Fensterschreiben von Technomage (Every day is writing day) ================================================================================ Donnervogel (16.06.2009) ------------------------ Quezca ahnte durch den eitrigen Rauch Aotls Gestalt, die wie ein trunkener Koyote im Wildtanz um das Feuer wankte. Jemand sollte hierzu trommeln und singen, aber die anderen Toltekids waren alle auf dem großen Hukilau und keiner wollte sich eine Hulapogo entgehen lassen, nur weil „die Sterne günstig stehen“. Loser, dachte Quezca, während er rötliches Laub schmatzend in seinen Händen zerdrückte und in die Glut warf. Aotl hustete, als schneckenspurige Purpurschlieren durch den Nebel flossen wie Blut im Wundbrand. Taumelnd tanzte sie weiter und schlängelte ihre Bahnen um Quezcas Feuer. Kleine Schwestern sind gar nicht so verkehrt, dachte Quezca, solange sie noch „cool“ finden, was man tut, und bei einem Ritual gerne dabei sind, weil es böse und verboten klingt. Eigentlich war Aotl ansonsten auch ganz in Ordnung, wenig am Quengeln und recht helle für ihr Alter. Nur noch nicht einsichtig genug, um zu wissen, dass er einen einfachen Herdgeist beschwören wollte, dessen gefährlichste Bedrohung darin bestand, Tee verschütten würde. Mehr Feuer, dachte Quezca, und warf einen weiteren moosbewachsenen Ast in die Flammen, wo er augenblicklich verzehrt wurde und nur seinen fauligen Geruch in der Höhle hinterließ. Hätte Vater ihm keine Rituale verboten, dann könnte er den Ritus unter freiem Himmel abhalten – wie es gedacht war – und nicht in den morschen Ausbuchtungen unter den Häuserstegen und Grundpfählen an der Grenze zur Unterstadt. Paranoider, alter Sack, dachte Quezca, als Aotls Schemen im Dunstkreis zu einer reinen Ahnung wurde. Er konnte die kleine Schwester nicht mehr sehen, aber empfand sie als Teil der Beschwörung, in der seine Sinne langsam aufgingen. Ich weiß, was ich tue, und du hast nur Panik, dass dein Sohn dich als Schamane überflügelt, noch bevor ihm der erste Bart wächst. Das Trommeln und Pulsieren der Stadt wurde zum Rhythmus seiner Atmung, dann seines Herzschlags, der ebenso verklungen wie unaufhörlich war in jedem Moment. Das Agieren und Reagieren der weiten Stege, der Brücken und Falltüren, der wandernden Schlupfwinkel kontraktierte mit seinen Muskeln. Eine lange Wanderung an Ort und Stelle. Darunter, tief im Magen, rauschte das drohende Wehen und Zerren der Unterstadt, das fern bleiben sollte, doch stets hungrig war. Die Farbe wechselte von Rauch zu Rot und Weiß; Blut und Knochen mit tiefen Schwarzen Wurzeln, die hineinfraßen. Aotl war der Kompass und die Nadel tanzte – längst ohne eigenes Zutun – auf der Suche nach Magnetismus, dem großen Ziel. Quezca war der Anker und fiel auf der Suche nach dem Grund. Grund ist Boden, Grund ist Erde. Grund ist Dreck. Grund ist nicht immer unten. Der Anker griff und der Kompass zog sich daran fest, doch ohne Steuermann; ohne Reiter. Hier fehlen Trommeln, die den Rhythmus vorgeben, ging es Quezca in einem klaren Sekundenbruchteil auf. Ich hab’ die Trommeln unterschätzt. Die Ankerkette rasselte, dann nahm sie den einfachsten Weg: den Weg nach Unten. Schwerkraft ist nicht wirklich, sagte sein Vater oft. Aber nahe liegend. Die schwarzen Wurzeln wurden größer und Zähne. Ein einsamer Unterkiefer. Der Kompass kreischte auf, als die Schwere die Anziehungskraft überlagerte. Die Nadel zappelte orientierungslos. Der Anker suchte nach Halt. Eine Statik tat sich auf, je näher sie dem Griff der Unterstadt kamen. Elektrizität. Ein in der Stadt ungekanntes Übel. Schwarz wurde langsam zu Blau, als die Spannung sich an ihnen reibend auflud und verdichtete. Unregelmäßig durchzog ein weißes Gleißen das Dunkel, als winde sich das verschlungene Weiß wieder hervor. Doch nicht das Weiß von Knochen. Keine Knochen – Keine Menschen. Der Farbteppich zerriss wieder zu Rauch und rauem Fluchen. Die plötzliche Rückkehr riss die Verknüpfungen auseinander und die Teile des gereisten Ganzen kehrten verquer und durcheinander zurück. Quezca sah seinen Vater im Rauch. Eine Silhouette von Federn, Knochen und bronzener Haut, der glühenden Phosphoriszenz von Körperbemalung, die ihn von der Glut weggerissen hat und nun auf sie einstampft, um die Reste des Rituals unter Flüchen zu löschen; gewaltig wie ein Berg in der Höhle aufragend und den Kopf in einem breiten Büffelschädel verborgen. Ein tobendes Alphatier. Der Luft war schwindelig und sie roch nach verbranntem Fleisch, während Quezcas Handflächen schmerzten. Aotls Stimme irrte durch seinen Kopf, doch er konnte die Schwester nirgendwo ausmachen. Das wird ordentlich Ärger geben, dachte Quezca. Mindestens zwei Mondläufe komplettes Schamanenverbot. Als die Glut nicht bereit war aufzugeben, öffnete der Vater kurzerhand seine Hose und erleichterte sich auf die unnachgiebigen Flammen. Ein unpassender Geruch von Regen statt Urin, dann ein weiterer bekannter Geruch, für den Quezca kein Wort kannte, nur ein Gefühl: das zeitlose Aufatmen nach dem Blitz. Der Moment gehört der Gewitterschlange, hatte sein Vater gesagt, und ist deshalb so endlos wie grausam, selbst in seiner Kürze. Der Vater erstarrte und Quezca konnte nur erkennen, wie die Federn an seinem Gewand sich kräuselten wie welkende Blätter. Einen banalen Augenblick noch stand er dort, durch den Strahl aus seiner Hose mit dem Feuer verbunden, – eine eigenartige Scham durchfuhr Quezca – dann stürzte der große Körper mit Donnergrollen in die Glut und löschte die letzten Reste der Beschwörung mit dem Tod aus. Der Gestank von versengtem Fleisch lichtete den Rauch wie einen gebannten Zauber und irgendwo in der Nähe der Feuerstelle lag Aotl. Regungslos und in einem überraschten Blick zur Decke erstarrt, ihre schmale Brust sich sachte im Takt ihres Atems hebend und senkend. Ein Gurren irgendwo in der Nähe. Quezca sah nicht einfach, was geschehen war, er wusste alles innerhalb seines Rituals. Er war das Ritual. Er wusste vom Tod seines Vaters ohne sich vergewissern zu müssen; ebenso wie davon, dass Aotl in seinen Gedanken so anwesend war, wie in der Realität. Quezca wusste, dass nicht beschworen war, was er gerufen hatte, aber Vater auch das Gegenteil verhindert hatte. Eine irrsinnige Gewissheit brannte ihm in den Fingern. Als er sich erhob, erhob sich auch Aotls Körper und Aotl in seinem Kopf erhob ihre Stimme und unter der Leiche des Vaters erhob sich das Gurren. Es brach knisternd durch den Körper – wie Holz bricht, wenn es völlig ausgebrannt ist – und nahm ihn in sich auf. Das schwarze Bündel Gefieder war nur handtellergroß, als es den Platz auf dem erloschenen Feuer einnahm. Es schlug Augen wie mäandernde Saphire auf und krächzte Quezca entgegen. „Was ist aus mir geworden?“ – „Ich habe Hunger. Füttere mich!“ sagte Aotl zweistimmig in seinem Kopf Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)