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World of Faerûn - 6. Staffel

Awakening
von

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Vorwort und Prolog

Vorwort:
 

Hallo liebe Leser,
 

ich weiß eigentlich gar nicht wie und wo ich anfangen soll, denn eigentlich sah’s recht düster damit aus, dass ich die sechste und letzte Staffel meiner kleinen Fantasy-Geschichte hier je veröffentlichen werde. Alles schien unter einem schlechten Stern zu stehen, als ich wenige Episoden vor Schluss einen fatalen Skriptfehler in meiner Geschichte entdeckte und damit vieles komplett umkrempeln musste. Wegen der Arbeit, Lernen für die Abschlussprüfung und einigen anderen Dingen, kam ich dann immer mehr davon ab, die Geschichte zu Ende zu bringen. Mit der Zeit wurde ich immer selbstkritischer und nichts was ich „zu Papier“ brachte konnte meinen eigenen Ansprüchen genügen. Andere Projekte begannen mich mehr zu reizen, aber schlussendlich will diese Sache nicht unvollendet lassen, weil es ein Ende verdient hat. Was man anfängt muss man auch zu Ende bringen :)
 

Es ist für mich immer eine Herausforderung mir beim Schreiben das Ganze als Anime vorzustellen und das dann entsprechend in Schriftform umzusetzen. Im Laufe der Zeit hatte ich viele inspirative Quellen und somit finden sich über den Verlauf aller Staffeln Anlehnungen an Dragonball, Slayers, Detektiv Conan und One Piece wieder, wie auch an ganz reale Legenden wie Jack, the Ripper. Und tatsächlich war Slayers dank Lina Inverse auch Auslöser dieser Geschichte, gepaart mit meiner Begeisterung für die AD&D Welt Faerûn.
 

Inhaltlich setzt die 6. Staffel an die 5. Staffel an, rundet aber eigentlich sämtliche Vorgängerstaffeln ab und klärt zu guter letzte alle offenen Fragen. Die Episoden werden wie schon bei den Staffeln zuvor im Wochenrhythmus veröffentlicht. Natürlich sind Fragen, Lob und Kritik immer willkommen, wobei ich davon ausgehe das Word nicht alle meine Verbrechen an der deutschen Rechtschreibung und Grammatik geahndet hat.
 

Trotzdem wünsche ich euch viel Spaß beim lesen.
 

Prolog:
 

Faerûn war schon immer ein Kontinent gewesen, auf dessen Boden in großen Schlachten Schicksale ganzer Zivilisationen ausgetragen wurden, doch bisweilen gab es stets jemanden der den Untergang dieser Welt noch abwenden konnte. Es waren große Namen wie Mi’lan Richardson, einem legendären Abkömmling des toten Gottes Bhaal, die in entscheidenden Momenten für die Welt in der man lebte einstanden.

Trotz ihrer Taten kehrte der Schleier des Bösen immer wieder zurück. Es war nun mehr als ein Jahr vergangen als Faerûn die bis dahin größte Katastrophe seiner langen Geschichte überstanden hatte. Nerull - der Avatar des Todes – wurde besiegt, doch selbst solch glorreiche Momente sollten verblassen, wenn ein neues Unheil bereits bevor stand. In diesen Tagen schien es als ob eine längst vergessene Vergangenheit die Bewohner Faerûns wieder einholen sollte …
 

[Nigels Traum]
 

Lodernde Flammen, wohin das Auge sah, Rauchschwaden die das Tageslicht verschlangen, Kriegsgeschrei das Berge von Leichen mit sich brachte – es waren Dinge, die so normal wie grausam waren, in einer Welt die einer Hölle glich.

Menschen hausten in Bunkern und unterirdischen Gewölben, zusammen gekauert wie Ratten auf der Flucht. Kinder weinten, Frauen lagen ausgehungert neben ihnen. Es gab nur wenige Wachen, die auf drohende Gefahr achteten oder sie vor Angriffen schützen konnten. Zumeist kamen auf einhundert Zivilisten gerade einmal drei Soldaten. Sie waren nicht besonders gut ausgerüstet, geschweige denn ausgebildet. Einer von ihnen war ein Zwerg, ein ergrauter Kriegsveteran, und gleichzeitig das Beste was sein Volk als Verbündete für die Überlebenden der Stadt Handelstreff zur Verfügung stellen konnte. Er war es, der die alte Zwergenbaute entdeckt und für die Bevölkerung zur Rast zugänglich gemach hatte. Handelstreff selbst lag in einigen Meilen Entfernung in Trümmern und niemand wagte es auch nur annähernd an eine Rückkehr zu glauben.

Ein zweiter Soldat war ein Elf, ein ehemaliger Waldläufer, der auf einem abgebrannten Baum nahe des Bunkers Wache hielt. Die dritte und letzte Wache war ein junger Mann, mit anmutigem Blick. Sein braunes Haar war zu einem eleganten Zopf geflochten. Die Evakuierung von Handelstreff war erst einige Stunden her und man hoffte dass die feindlichen Truppen nicht allzu bald weiter nach Süden drängen würden. Trotzdem machte sich der junge Soldat Sorgen ob die erhoffte Verstärkung aus Tethir wirklich kommen würde. Noch einmal ließ er einen prüfenden Blick durch die Reihen der Flüchtlinge aller Rassen und jeden Alters schweifen, bevor er sich nach draußen begab. „Wie sieht es aus – ist Verstärkung in Sicht, Selin?“, rief er zu seinem Gefährten hinauf. „Nichts zu sehen, Nigel.“, antwortete er mit kurzen Blick zu ihm hinunter. Plötzlich stach ein Pfeil durch die Brust des Elfen. Der Treffer war tödlich und riss ihn sogleich vom Baum.

Aus den Rauchschwaden ertönte ein finsteres Grollen und Horden bewaffneter Krieger stürmten aus den Rauchschwaden herbei. Nigel war klar: man hatte sie gefunden. Es waren Dämonen, Untote und andere Monster, die wie eine schwarze Welle auf das Flüchtlingslager zuraste. Nigel zog sein Schwert, wissend das es vergebens war. „Netaf! Bring die Leute weg!“, rief er seinen zwergischen Landsmann panisch zu, hoffend das er ein paar Leben retten konnte. Sekunden später sah er den Schatten einer riesigen Bestie aus den Rauchschwaden hervortreten und er wusste dass das Ende nahte. Ein brennendes Katapult-Geschoss stürzte vom Himmel auf ihn und die Überlebenden hinab und begrub ihn wie alle Hoffnung unter sich.
 

Wie vom Blitz getroffen erschrak Nigel aus seinen stetig wiederkehrenden Träumen. Sein Herz raste, wissend dass es Realität gewesen war, wissend das er überlebt hatte. Von draußen schimmerte ein schmales Licht in sein Quartier aus Marmor. Es war die Barriere des Lichts, geschaffen von den Elfen um Suldanessalar vor etwaigen Angriffen zu schützen. Dennoch war es für ihn nur noch eine Frage der Zeit bis die Dunkelheit auch diesen Ort erreichen würde. Nigels Hand glitt über seine schweißgetränkte Stirn. Für diese Welt gab es keine Zukunft mehr, doch wusste er um eine letzte Chance …

Folge 92: Ein seltsamer Geselle

Folge 1: Ein seltsamer Geselle
 

Die Länder von Thay galten als eine der ältesten von Faerûn und obwohl die Städte, Siedlungen und Monumente deren Bewohner durch Kriege in der Vergangenheit immer wieder verwüstet wurden waren, wuchsen diese immer wieder wie von Zauberhand empor.

Diese Art von Unverwüstlichkeit kam nicht von ungefähr, denn Thay war zugleich die Heimat der Roten Magier, einer Organisation zu denen die mächtigsten Zauberer von Faerûn zählten. Obwohl die Herrscher Thays im Laufe der Geschichte immer wieder versucht hatten ihren Einfluss zu vergrößern, scheiterte das Reich bei solchen Unterfangen schon am allgegenwärtigen Verrat, den Intrigen und der Korruption, die in den eigenen Reihen unter den Mächtigsten der Roten Magiern herrschte. Einen Magier oder Hexenmeister aus Thay zu trauen, war ungefähr so als ob man einem Dieb seine Wertsachen anvertraute. Somit blieb es ein Reich gescheiterter Ambitionen, aber auch eines, das einige der besten Magier Faerûns hervorgebracht hatte.

Daher war es für jeden angehenden Magier, der in Thay die Magie studieren wollte eine große Ehre unter den Roten Magiern dienen zu können. Einer von Ihnen fühlte sich in diesen Tagen jedoch wenig geehrt, sondern viel mehr frustriert darüber, dass seine Schüler ihm keine so große Hilfe waren, wie er erhofft hatte.

Erbarmungslos strahlte die Sonne vom Himmel herab, während er eine Ausgrabungsstätte, fern seiner Heimat aus geeigneter Position aus beobachtete. Ein kleiner Junge hielt einen Sonnenschirm über ihn, während ein kleines Mädchen auf der anderen Seite ihm mit einem Fächer kühle Luft zukommen ließ. Von seiner Position aus konnte er gut in das etwas tiefer gelegene Tal hinabschauen, wo die meisten seiner Schüler und Sklaven eifrig an einer Ausgrabung arbeiteten. Obwohl es in dieser Wüstengegend immer recht warm war, trug er eine Robe und einen Umhang, der ihn als Magier von Thay kennzeichnete. Ein Zauber kühlte die Temperatur um ihn herum auf ein angenehmes Niveau ab, weswegen die beiden Kinder eigentlich auch recht froh waren bei ihm seien zu können.

Als er sich von der Stätte abwendete, sah er dass einer seiner Schüler sich im Eiltempo näherte. Obwohl er nur etwas um seine Lenden herum trug, war ihm sehr heiß. Pflichtbewusst verbeugte sich der junge Mann kurz vor seinem Meister und überbrachte ihn eine handschriftliche Nachricht. „Meister Donaghan. Der hohe Rat wünscht eine Auskunft über die Fortschritte an der Ausgrabungsstätte. Sie zweifeln das wir hier die Nesser-Ruinen finden werden, die Ihr sucht.“, sagte er und fasste das Schreiben somit in einem Satz zusammen.

Donaghans Gesicht verfinsterte sich als er die Anweisungen seiner Vorgesetzten las. Einem Novizen war es nicht möglich das Schreiben in seiner wahren Form zu lesen, doch Donaghan las auch die Zeilen, die den Augen seiner Schüler verschlossen bleiben sollten. Frustriert knüllte er das Schriftstück zusammen und ließ es in Flammen aufgehen. Der Wüstensand nahm sich seiner Asche an, während Donaghan in Gedanken sank.

„Geh zu den anderen und sag ihnen dass die Arbeiten eingestellt werden. Der hohe Rat hat mir eine andere Aufgabe zugewiesen.“, sagte er nüchtern. Er war nicht gerade glücklich mit der Entscheidung, aber er musste sie akzeptieren, wenn er nicht den Zorn seiner geistigen Führer auf sich ziehen wollte.
 

Etwas Abseits der zentralen Ausgrabungsstätte machte derweil ein Arbeiter eine Entdeckung, die ihn dazu veranlasste seinen Beaufsichtiger zu sich zu rufen. Der Menschensklave, wegen der Hitze nur notdürftig bekleidet, war auf harten Untergrund gestoßen, doch erst das geschulte Auge eines Thay-Magiers sollte den Wert des Fundes einzuschätzen wissen. Von den Rufen der Arbeiter herbeigelockt nahm sich einer von Donaghans Schülern dem Fund an. Trotz der hohen Temperaturen trug auch er eine rote Robe, ganz wie es für die Thay-Magier üblich war. Sein Haar war schwarz und füllig, seine Statur kräftig und sein Gang erhaben.

Als er den letzten Staub des Bodens mit einem kurzen Windzauber wegfächerte, offenbarte sich ihm das ganze Ausmaß des Funds. Seine Augen weiteten sich sichtlich erstaunt darüber auf was man gestoßen war. „Sollen wir es Meister Donaghan berichten, Ashton?“, fragte einer der Arbeiter zaghaft, doch der Magier schwieg. Interessiert musterte er die Zeichen, die auf der freigelegten Steinplatte eingeprägt waren. Ein Schmunzeln glitt über sein Gesicht und schließlich ließ er sich zu einer Antwort hinreißen. „Nein … dieser Fund gehört mir. Ich werde es erst untersuchen und sehen ob es seine Aufmerksamkeit wert ist.“, sagte er mit schroffem Ton, so dass unmissverständlich klar war, dass jeder der es wagen sollte etwas zu berichten, sofort mit dem Tode bestraft würde.

Mystische Worte glitten über Ashtons Lippen, dessen Wirkung sich schon bald entfalten sollte als er seine Hände für einen Zauber zur Hilfe nahm. Die Erde bebte auf wo die Steinplatte im Boden lag, doch während viele verschreckt davon liefen, blieb der Thay-Magier an Ort und Stelle. Ihm war klar was er gefunden hatte und auch wenn es nicht das war was Meister Donaghan gesucht hatte, so war dieses Grab durchaus von Interesse für ihn. Er hoffte auf Schätze und Bücher, die uraltes Wissen enthielten, Aufzeichnungen die ihm Aufschluss über die Standorte weiterer Nesser-Ruinen geben konnten.

Die Steinplatte begann sich zu teilen und den Eingang zu einem unterirdischen Verließ frei zu geben. Luft, die Tausende von Jahren dort eingekerkert war, stieg ihm entgegen. Treppen, die seit Ewigkeiten niemand mehr betreten hatten, ebneten ihm den Weg.
 

Thay-Magier neigten oft dazu sich selbst zu überschätzen. Sie glaubten auf Grund ihrer Macht jeder Gefahr trotzen zu können, doch wie so oft, sollte auch Ashton seine Lektion erst lernen. Kaum war er die ersten Stufen hinab gestiegen schloss sich das Grab wieder wie von Geisterhand. „Eine Falle!“, rief er aufgebracht und drehte sich hektisch zum Ausgang um.

Der allgegenwärtigen Dunkelheit würde er mit einem Lichtzauber besiegen können und den Eingang, so glaubte er, mit Magie wieder aufsprengen zu können. Der Lichtzauber war kaum vollendet, da hörte er eine Stimme aus der tieferen Ebene der Baute rufen, die bis in seine Gedanken eindrang. „Ashton …. Ashton Scu’l“, tönte es in seinem Kopf empor. Ashtons Augenbrauen zuckten erstaunt nach oben, denn wer immer hier gefangen oder begraben war, konnte seiner Ansicht nach unmöglich seinen Namen kennen.

Die Stimme rief immer wieder nach ihm, so oft, das er schon bald von Neugier gepackt, die Treppe vollends hinab stieg.

Am Ende der Kammer entdeckte er eine ungewöhnlich kleine Grabkammer. Der Raum war kaum größer als dreißig Quadratmeter und beinhaltete weder Schätze, noch Bücher, noch einen Sarkophag. Einzig die mystischen Zeichen an den Wänden und ein Pult im Zentrum des Raumes stachen ihm ins Auge. Wieder rief ihn die Stimme herbei, die wie die eines uralten Mannes klang. Bei genauerer Betrachtung stellte er fest dass auf dem Pult ein glänzender Edelstein lag, in dessen Inneren hunderte von Farben wirbelten.

„Wer seid Ihr?“, fragte er etwas verunsichert, in der Annahme dass in dem Stein eine uralte Seele inne wohnte. „Mein Name ist in Vergessenheit, meine sterbliche Hülle vergangen, doch wisset das ich einst einer der mächtigsten von Nesseril war.“, sprach die Stimme zurück. „Was wollt Ihr von mir?“, hakte Ashton forsch nach. „Die Frage ist doch wohl eher, was Ihr wollt.“, erwiderte die Stimme zwielichtig. Ashton blieb nicht mehr genug Zeit um die Zeichen an den Wänden zu deuten, denn diese erzählten keine historische Geschichte, sie stellten eine Warnung dar.
 

Das Lodern einer Fackel wies derweil einen jungen Elfen den Weg durch ein finsteres, unterirdisches Gewölbe. Elfen konnten zwar gut in der Dämmerung sehen, aber in totaler Dunkelheit brauchten auch sie das ein oder andere Hilfsmittel. Der Elf war eher schmächtig gebaut und trug einen Säbel an seiner Gürtelschlaufe. Sein silberner Umhang wehte kaum in der trockenen Luft und sein hellblaues Oberteil war mit reichlich Schmutz und Staub eingedeckt. Wildes, braunes Haar spross aus seinem Kopf. Trotz der Fackel zeigte er sich von der allgegenwärtigen Finsternis eher eingeschüchtert. „Bist du dir sicher, dass das der richtige Weg ist, Kyren?“, fragte er seine elfische Gefährtin, die ihm Rückendeckung gab. Sie selbst wusste sich mit einem Lichtzauber, in Form einer schwebenden Kugel, zu helfen, aber allzu viel sicherer machte sie das auch nicht ob man nicht schon einmal an dieser Stelle vorbei gekommen war. „Für mich sieht das alles hier irgendwie gleich aus.“, meinte sie etwas verunsichert und warf noch einmal ein Blick auf die Karte in ihrer linken Hand. Es war heiß und stickig geworden, so dass sie ihr modisches Kopftuch abnahm. In dem einen Jahr, das sie nun schon zusammen mit ihren Gefährten Atrix durch Faerûn reiste, hatte sie sich schon des Öfteren mal verlaufen, aber so schlimm, wie in diesem Moment, noch nie. „Also eigentlich müsste die Kammer etwa 200 Meter vor uns liegen.“, grübelte sie laut vor sich hin und begann die Karte mehrfach zu drehen, in der Hoffnung so etwas Orientierung in ihren Weg zu bringen.

Atrix runzelte die Stirn und versuchte mit seiner Fackel etwas voraus zu leuchten. „Ich kann nichts sehen.“, erwiderte er und ging langsam weiter. Mit seiner freien Hand im Dunkel tastend stieß er bald auf einen Widerstand in Form einer gemauerten Wand. Das Licht seiner Fackel verdeutlichte ihm das es dort nicht weiter ging und man in einer Sackgasse gelandet war. „Hier geht es nicht weiter.“, seufzte er resigniert. „Ich kann mir das nicht erklären.“, dachte Kyren laut und versuchte noch einmal den Weg auf der Karte zurück zu verfolgen, während Atrix im Hintergrund nach einem Geheimschalter tastete. Zunächst bemerkte er gar nicht dass einige Steine in der Wand nach innen rasteten, nachdem er sie berührt hatte. Der Effekt trat nicht unmittelbar auf und so machte ihn erst das Reiben der Steinkanten darauf aufmerksam.

„Eh … Kyren.“, stotterte er leicht verdutzt, denn er ahnte bereits das er wohl mehrere Fallen in Gang gesetzt hatte. Seine Begleitung verschwand nur Augenblicke später durch eine Falltür, die sich danach wieder schloss, weswegen es ihm verwährt blieb sie auf mögliche Gefahren aufmerksam zu machen. „Wah, nicht gut!“, schluckte er aufgeregt. Er selbst sah sich als bald mit einem grollenden Geräusch konfrontiert, welches sich als herannahende Wassermassen entpuppte.
 

Kyren hatte ihren Sturz mit einem Zauber gebremst, doch dabei hatte sie ihre Karte verloren. Orientierungsprobleme sollten sich jedoch als das geringste Übel heraus stellen, denn auch ihr kündigte ein dumpfes Grollen bereits die heran nahenden Wassermassen an. Ohne weiter über den Verlust der Karte und des Schatzes nachzudenken lief sie so schnell sie die Beine tragen konnten.

Atrix versuchte sich derweil ein Wettschwimmen mit einem verwesten Skelett zu gewinnen, das das Wasser mit sich gerissen hatte. Für Kyren hingegen gab es noch Licht am Ende des Tunnels, doch wenn gleich sie dieses Licht nach draußen führte, so fand sie sich dort unmittelbar an einem Abgrund wieder, der in ein tiefes, tropisches Tal führte. Gerade als sie versuchen wollte der Welle mit einem Zauber zu entgehen, wurde sie auch schon von der selbigen erfasst und hinaus geschleudert. Wie das Wasser selbst, landete sie im Teich einer Lagune, am unteren Ende des Abgrunds.
 

Ein paar Minuten später saß sie bereits wieder auf festen Boden, während ein Teil ihrer Sachen am Ast eines Baumes über dem Lagerfeuer trockneten. Atrix leistete ihr Gesellschaft, denn auch seine Sachen waren reichlich durchnässt. Er hatte sich bewusst bis auf die Lendenbekleidung frei gemacht um ihr ein bisschen zu imponieren, doch Kyren war in diesem Moment durch nichts mehr aufzuheitern. Während er sich guter Dinge einen Fisch über dem Feuer brutzelte, grummelte sie vor sich hin. Atrix genoss die Sicht auf ihren nur leicht bekleideten Oberkörper schon viel zu sehr, ganz so als käme ihn das Geschehene sogar entgegen. Kyren hingegen hatte eine gerade zu einmalige Chance verpasst einen uralten Schatz der untergegangenen Nesseril-Nation zu finden. Sie wusste nicht recht was sie mehr störte – das ihr Gefährte auf ihr schmales Oberteil gaffte, das ihre zierliche Brust bedeckte oder das die Aussicht auf den Schatz verflogen war. „Du bist Schuld daran dass wir in dieser Lage sind und es ist auch deine Schuld dass der Nesseril-Schatz jetzt weg ist!“, tönte sie ihm gefrustet entgegen und brachte somit beide Dinge, die sie bedrückten unter einen Hut. „Na ja, ich habe immer hin diese Pergamentrolle ergattert, die die Flutwelle mit sich gerissen hat.“, erwiderte er strahlend und deutete auf ein zusammengerolltes Stück Papier in seiner rechten Hand. Es machte einen ziemlich wertlosen Eindruck, strahlte nicht einen Hauch von versiegelten Energien aus, weshalb es die Magerin nicht weiter interessierte.

„Sag’s mir noch mal, Kyren – warum tun wir uns das Tag für Tag aufs Neue an?“, seufzte Atrix als er merkte dass sie seinen Fund nicht weiter würdigte. „Wir sind schon Monatelang unterwegs, ohne irgendetwas brauchbares gefunden zu haben.“, ergänzte er mit kritischen Blick, enttäuscht über die Ausbeute, doch Kyren ließ sich nicht zu einer Antwort hinreißen. Sie hatte es ihm mehr als ein Mal erklärt und ihn seinerzeit auch nicht darum gebeten sie zu begleiten, obwohl sie seine Gesellschaft im Nachhinein als besser empfand als die Einsamkeit. Gedankenversunken starrte sie ins Lagerfeuer und erinnerte sich zurück an den Tag als ein Menschenjunge wie aus dem Nichts in ihren Zimmer aufgetaucht war.
 

Es war schon recht spät gewesen als sie sich nach einem Tag in der Natur dazu entschloss ihr Bett aufzusuchen um etwas Schlaf zu tanken. Es waren bereits einige Monate vergangen seit sie einige elfische Waldläufer ausgeschickt hatte um nach Shane zu suchen. Jeden Tag hoffte sie auf eine gute Nachricht, doch mit jedem Tag schrumpfte ihre Hoffnung mehr und mehr. Sie war geduldig, glaubte aber langsam sich geirrt zu haben, was seinen Verbleib betraf. Sie wollte Klarheit, denn schließlich war er es, der nicht unerheblichen Anteil daran trug das sie noch lebte. Er war es der über all seine Grenzen hinausgegangen war, um sie und die Welt in der sie lebte zu schützen, er war er es, an dem sie ihr Herz verloren hatte.

Die Frage ob der finstere Magier Diron ihn seines bösen Blutes wegen getötet hatte oder was er mit ihm angestellt hatte, begleitete sie fast wie ihr eigener Schatten. An diesem Abend jedoch sollte sich all das ändern als sie die Tür zu ihrem Gemach öffnete. Sie staunte und weitete ihre Augen überrascht als sie dort einen kleinen Jungen auf ihrem Bett sitzen sah. Ihr Atem stockte, denn sie wusste nicht wie es ein kleiner Mensch es in den Elfenpalast der Königin geschafft hatte in dem sie lebte. Einen Moment glaubte sie an ein Attentat, aber der Junge lächelte ihr in freudiger Erwartung zu. Er konnte kaum älter als zehn Jahre sein, doch er war gekleidet wie ein Erwachsener. Pechschwarzes Haar spross aus seinem Schopf und formte eine wild verwirbelte Frisur. „W-wer bist du?“, fragte sie verwundert und trat in ihr Zimmer ein. „Ah, Lady Cyrissean. Ich habe schon auf Euch gewartet.“, begrüßte sie der Junge freundlich und sprang vom Bett. „Mein Name ist Zun. Es ist mir eine Ehre.“, fügte er mit einer kurzen Verbeugung an. „Wie … wie bist du hier rein gekommen?! Und woher kennst du meinen Namen?!“, fragte sie streng nach, ganz so als wollte sie dem Kind verdeutlichen das es etwas falsches gemacht hatte. Ein selbstgefälliges Grinsen legte sich auf Zuns Gesicht, hinter dem er die Antwort auf ihre Fragen verbarg. Kyren schluckte, denn in seinem Gesicht lag etwas fremdartiges das sie nicht in Worte zu fassen vermochte. Es ging eine seltsame Kraft von ihm aus, etwas was sie noch nie zuvor gespürt hatte. Sie wusste nicht ob sie übermüdet war oder ob ihr der Verstand einen Streich spielte. „Ihr seid nicht dumm, Lady Cyrissean. Ihr werdet derartige Fragen sicher als unwichtig befinden, wenn ihr den Grund meiner Anwesenheit erfahrt.“, erwiderte er schließlich und sah ihr tief in die Augen. Kyren Atmung war fast ehrfürchtig. „Ich bin hier um Euch ein Geschäft vorzuschlagen. Ich will dass Ihr den Tarraske findet! Und ich verspreche Euch, dass Ihr den Halbelfen, den Ihr sucht bald wieder sehen werdet.“, erklärte er mit beängstigend tiefer Stimme. Die Augen der Elfin weiteten sich abermals, schon allein deswegen weil diese Kreatur in ganz Faerûn Angst und Schrecken verbreitete und nichts als Verwüstung hinterließ, einmal aus seinen Schlaf erwacht. Dieser Junge schien zudem über Shanes Verbleib bescheid zu wissen und obwohl etwas Bösartiges in seiner Stimme lag, reichte ihr der Gedanke an Shane aus um seinen Worten zu folgen. „Ich …“, wollte sie erwidern, doch Zun schien ihre Antwort bereits vor ihr zu kennen. „Ihr werdet es tun, kein Zweifel. Nehmt diesen Handschuh. Er verstärkt Eure Magie und durch ihn könnt Ihr mich rufen, wenn Ihr fündig geworden seid.“, unterbrach er sie und nahm einen Handschuh aus seiner Hosentasche hervor. Er warf ihn ihr aufs Bett und wendete sich ab, zuversichtlich dass sie schon am nächsten Morgen aufbrechen würde. „Ich bin sicher dass Ihr mich nicht enttäuschen werdet.“, meinte er mit kurzen Abschiedswink und einem Unterton der mehr nach einer Drohung klang als nach allen anderen. Nach ein paar Schritten in Richtung Balkon verschwanden seine Konturen, wie Schemen im Nebel. Die Elfenmagierin blieb mit vielen Fragen zurück, aber ein Blick auf die fingerfreien Handschuhe auf ihrem Bett, ließ sie begreifen, dass der Besucher keine Einbildung gewesen war.
 

Kyrens Blick schweifte vom Lagerfeuer ab und fiel auf ihre rechte Hand, die mit dem Geschenk des Jungen bekleidet war. Es war Atrix, der sie aus ihren Gedankengang entriss, ganz so als ob er gemerkt hatte, dass sie etwas bedrückte. „Heh, früher oder später finden wir dieses Artefakt schon noch. Ich begreife zwar noch immer nicht wieso du den Tarraske finden willst, aber ich bleibe an deiner Seite. Wenn dir dieses Artefakt hilft eine solche Kreatur aufzuspüren, ist es sicher nicht leicht zu finden.“, munterte er sie auf, auch wenn er damit nicht ganz ihren Gedankengang traf. Für Atrix war es ein Rätsel wie jemand, der bei klarem Verstand war eine solche Bestie aufzuspüren versuchte, aber er vertraute auf seine Gefährtin. Bei den Gedanken an den Tarraske kamen ihm viele Geschichten um diese Bestie in Erinnerung. Zum Glück gab es sie nur mal ein Mal und sie musste den Legenden nach schon mehrere Tausend Jahre alt sein. Die meiste Zeit schlief sie in abgelegenen Gegenden, in finsteren Höhlen, doch einmal erwacht, brachte diese Kreatur den Tod in das Land. Diese schuppige, zweibeinige Kreatur war laut Berichten so groß wie ein fünfstöckiger Turm. Mit seinen gigantischen Ausmaßen wog es sicher über hundert Tonnen. Der Rücken des Wesens, so stand es in den Überlieferungen, war durch einen dicken, undurchdringbaren Panzer geschützt. Hörner ragten aus seinem Kopf und selbst die ledrige Haut des Tarraske war so dick, das kein Schwert sie durchdringen konnte. Stacheln und Hörner zierten den Körper der Kreatur, eine Klaue brach selbst das härteste Material wie ein Streichholz. Einige, wie die Magier der Zakarim, hatten bereits aus den Schuppen des Wesens eine Art Clone zu erschaffen, doch entweder schlugen die Experimente fehl oder das Ergebnis entsprach nicht deren Erwartungen. Somit blieb unklar woher der Tarraske eigentlich stammte, auch wenn es einige Anzeichen dafür gab das die untergegangene Nation Nesseril damit zu tun hatte. Ganze Armeen waren dem Tarraske schon zum Opfer gefallen und so zog man es vor, vor ihm zu flüchten, statt sich ihm zu stellen.
 

Bald schon konnte es weiter gehen. Die Sonne senkte sich, bereit den Abend eintreten zu lassen. Kyren wusste dass sie sich ziemlich im Wald verlaufen hatte, ließ sich aber nichts anmerken. Atrix wirkte unbehaglich, gerade zu verängstigt. Der Wald war ruhig, viel zu ruhig für seinen Geschmack. „Bist du sicher das du noch weißt wo es lang geht?“, fragte er vorsichtig. „Ehrlich gesagt, ich habe nicht die geringste Ahnung.“, seufzte sie mit gesenkten Kopf und blieb stehen, was ihren Gefährten glatt umhaute. „Am besten du kletterst auf einen der Bäume und versuchst dir einen Überblick zu verschaffen.“, ergänzte sie mit Blick auf einen recht hohen Baum, ganz in der Nähe. Atrix wirkte etwas perplex, doch die Idee stieß bei ihm auf Zustimmung. Elfen waren geübte Kletterer, zumindest wenn es darum ging einen Baum zu erklimmen.

Auch wenn Atrix recht ungeschickt war, vermochten seine Fähigkeiten ihn bis zur Spitze des Baumes zu bringen. Der Ausblick von dort oben war erfreulich, denn ganz in der Nähe sah er einen gepflasterten Pfad, der an einem Fluss entlang lief. Ein Lächeln breitete sich über seinem Gesicht aus. Er konnte es kaum erwarten Kyren die gute Nachricht zu überbringen.

Diese sah sich jedoch derweil mit größeren Problemen konfrontiert. Eine Bande von Orks hatte sich aus den Büschen gewagt, nachdem sie Atrix auf den Baum geschickt hatte. Grunzend und sabbernd gierten sie nach ihrem zarten Elfenfleisch. Mit Netzen und Speeren bewaffnet sahen sie in ihr eine leichte Beute, doch die Elfin blieb ungewöhnlich ruhig. Einer der Orks gab den Befehl zum Angriff und erhob seine Keule in die Luft. Kyren wollte bereits einen Zauber entfesseln, der sich ihrer Angreifer annehmen sollte, doch dies sollte sich als unnötig herausstellen. Der Ork, der eben noch seine Keule empor gehoben hatte, stellte fest, dass sein Unterarm samt Waffe langsam von seinen Oberarm hinab glitt. Unter den überraschten Blicken seiner Artgenossen begriff er langsam was geschehen war. Der Ork begann wild zu brüllen und nach einen Schuldigen zu suchen, noch während Unmengen Blut aus seinem Armstümmel schossen. Zunächst verdächtigte man das Elfenmädchen, doch als dem einhändigen Ork kurz darauf eine Schwertspitze aus dem Brustkorb ragte, war auch dem Dümmsten klar, das der Angreifer ein anderer sein musste.

Kyren war überrascht, so überrascht, dass ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen gegenüber nachließ. Bevor sie sich versah, befand sie sich in der Umklammerung eines Orks, der sich von hinten an sie herangeschlichen hatte. Ein Dolch presste sich gegen ihre Kehle. „Rauskommen! Oder Elfe stirbt!“, grunzte er in Richtung seines gefallenen Kameraden. Tatsächlich ging der fremde Angreifer auf die Forderung ein und trat aus den Büschen hervor. „Ein Mensch?“, bestaunte Kyren ihre Sichtung. Der junge Mann war mit Brust und Schulterpolstern aus Hartleder bekleidet und hatte hellbraunes Haar, das an seinen Hinterkopf zu einem schmalen Zopf geflochten war. Er hatte ein Schmunzeln im Gesicht und spähte in die Richtung seiner potentiellen Angreifer. Die verbliebenen Orks sahen eine leichte Beute in ihm und griffen an. Statt ihnen mit dem Schwert entgegen zu treten, bevorzugte er es, dieses in den Wipfel des Baumes hinter Kyren zu schleudern, wo es mehrere Äste durchtrennte. Der Geiselnehmer war verwirrt, während es der Fremde mit Hand und Fuß mit den übrigen Orks aufnahm. Er war geschickt im Kampf, es gelang ihm sogar einen der Orks seine Waffe zu entreißen und gegen sie einzusetzen. Schon wenige Sekunden später war der Mensch, der einzige der noch stand.

Der Ork, der Kyren gefangen hielt, wurde bleich und sah seine einzige Chance zu entkommen darin, der Elfe die Kehle zu aufzuschneiden. Kyren schluckte tief und noch tiefer als auf einmal das Schwert des Menschen neben ihr in den Boden fiel, gefolgt von einem schreienden Elfen, der durch seinen Sturz den letzten Ork mit sich zu Boden riss. „Huh? Atrix?! Alles in Ordnung?“, fragte Kyren besorgt nach dessen Landung. „Ja … ich glaube schon … aber seit wann gibt es dich denn drei Mal?“, ächzte er recht desorientiert, die Hand am Kopf haltend. „Gut dass du so weich gelandet bist.“, meinte sie schmunzelnd und half ihm auf.
 

Der Mensch eignete sich derweil sein Schwert wieder an, steckte es rasch in die dafür vorgesehene Haltung am Rücken. „Danke … aber … wer … wer seid Ihr?“, fragte Kyren, während sie Atrix leicht stützte. „Oh, verzeiht. Ich bin sicher Ihr wäret auch alleine mit ihnen fertig geworden. Mein Name ist Nigel.“, erwiderte er und verbeugte sich übertrieben höflich. „Ich hatte gehofft Euch hier zu finden, aber es war nicht ganz einfach.“, ergänzte er als er wieder aufsah. Er machte einen sehr freundlichen Eindruck, seine blauen Augen machten ihn nicht zum Schönling, aber dennoch strahlte er eine gewisse Anmut aus. „Ihr habt nach mir gesucht?“, schlussfolgerte Kyren. „Gewissermaßen …“, sagte er in einen recht bedächtigen Ton, worauf sich ihre Stirn runzelte. „Seid Ihr ein Kopfgeldjäger oder so etwas?“, wollte sie wissen. Nigel begann amüsiert zu lachen und wendete sich ab. „Aber nein, Lady Cyrissean. Aber ich denke, das ist nicht der richtige Ort und nicht die richtige Zeit für ein solches Gespräch. Es ist zu früh um euch über unwichtige Details zu informieren. Dennoch würde ich vorschlagen zu gehen. Der Wald wimmelt nur so von Waldschraten und anderen Monstern. Kommt – hier in der Nähe gibt es einen Weg, der euch in eine etwas sichere Gegend führt.“, erwiderte er und wies sie an ihm zu folgen. Kyren wusste nicht was sie davon halten sollte, aber er schien nichts Böses im Schilde zu führen.
 

Es war bereits Nacht und die Sterne funkelten am Himmel als man sich niederließ und ein Nachtlager aufschlug. Nigel hatte die beiden Gefährten in eine kleine Höhle geführt, wo man vor Witterung und Monstern vorerst sicher war. Atrix mühte sich daran Feuer zu machen, während Kyren sich im Schneidersitz vor Nigel niederließ. „Also, Ihr kennt meinen Namen, wisst wer ich bin und habt mich gesucht. Warum das Ganze?“, tönte es freundlich von der Elfenmagierin. „Das ist etwas schwierig zu vermitteln, aber Ihr müsst mir vertrauen, wenn ich euch sage, das diese Welt den Untergang geweiht ist, wenn ihr es nicht verhindert.“, setzte Nigel an, worauf auch Atrix ihm etwas mehr Aufmerksamkeit schenkte.

„Im fernen Thay agiert zurzeit ein Roter Magier, der etwas Schreckliches plant. Etwas das Auswirkungen auf die Zukunft haben wird … auf die Zukunft aller.“, erzählte er und auch wenn es die beiden Elfen eher skeptisch aufnahmen, so waren sie gewillt ihm weiter zuzuhören.

„Ich weiß, das mag für euch etwas seltsam klingen, aber ich habe euch aufgesucht um das drohende Schicksal dieser Welt zu verhindern.“, erzählte er und ging einen Moment in sich. Nigel schienen Visionen und Bilder zu von einer nahen Zukunft zu plagen, die vor seinem inneren Auge vorbeiliefen, eines schlimmer und qualvoller als das andere. Die Schreie der Menschen, die ihm Nahe standen penetrierten sein Innerstes. Nach kurzem Zögern war er gewillt fort zu fahren.

Atrix hatte gewisse Zweifel an der Geschichte des Menschen und sprang empört auf. „Das klingt wie das Gebrabbel eines irren Propheten. Warum sollten wir Euch glauben?!“, sagte er und rügte ihn gestisch mit seinem linken Zeigefinger. Kyren hingegen schenkte Nigel Glauben und ließ ihren Gefährten auf die erhoffte Zustimmung warten, was Nigel zum Anlass nahm, die Situation näher zu erklären. „Leider kann ich nicht lange bei euch bleiben. Andere … Aufgaben warten auf mich. Ich kann euch noch nicht alles sagen – es würde unser Unterfangen gefährden. Der Mann, der all dies auslösen wird heißt Ashton Scu’l. Es scheint unvermeidlich dass er ganz Faerûn in einen blutigen Krieg führen wird, wenn ihn niemand aufhält. Es wird hunderttausende von Toten geben! Das Leben wie ihr es hier kennt, all das wird vergangen sein. Nichts wird mehr so sein wie vorher. Diese Welt steht vor einer grundlegenden Säuberung, wie er es nennt, die schließlich zur Ausrottung aller Rassen führen wird.“, berichtete er mit gebrochener Stimme. Kyren atmete tief vor Schock, rang sich aber dennoch eine weitere Frage hinaus. „Aber warum … warum gerade ich? Und was macht Euch so sicher?“, fragte sie irritiert. Mittlerweile schien sie das Schicksal der Welt regelrecht zu verfolgen. Sie begann sich zu fragen warum ausgerechnet sie immer wieder in solche Konflikte gezogen wurde, wo sie doch ihre eigenen Sorgen hatte. Nigel wusste nicht recht ob er sie ansehen sollte oder nicht, denn die folgenden Worte mussten gut überlegt sein. „Ich kann euch nicht sagen was mich so sicher macht, aber ich hoffe inständig darauf das ihr mir glauben werdet. Ich habe Euch für diese Mission gewählt, weil ich niemand anderen es Zutraue gegen einen solchen Feind zu bestehen. Schließlich habt ihr vor Jahren bereits den großen Adrian von Nesseril geschlagen.“, erklärte er mit beinah verzweifelter Stimme. Nicht nur Kyrens Augen und Mund waren weit aufgerissen, auch Atrix renkte es beinah den Kiefer aus. „Woher wisst Ihr von der Schlacht gegen Adrian? Nur eine Handvoll Leute …“, setzte Kyren verblüfft an, bevor er ihr das Wort nahm. „Das ist unwichtig! Wichtig ist ob ich auf euch zählen kann. Wenn ihr jetzt zu viel wissen würdet, würdet ihr alles in Gefahr bringen! Stellt euch Ashton und stoppt seine Pläne!“, gab er aufgeregt zurück.

„Dann sagt uns was genau wir tun sollen.“, sagte Kyren entschlossen, bereit die Bitte einzuwilligen. „Ich danke Euch. Zunächst braucht ihr mehr Leute. Trommelt so viele eurer alten Gefährten zusammen, wie ihr finden könnt. Es ist anzunehmen das Ashton euch früher oder später aufsuchen wird. Momentan hätten wir nicht den Hauch einer Chance.“, erklärte er mit ernsten Blick. Atrix erstarrte innerlich zu Eis und knickte um wie ein abgebrochener Ast, denn das ihr Gegner gleich so mächtig sein würde, schien etwas zu viel für sein gutes Gemüt.

„Wenn ihr den Pfad in Richtung Osten folgt werdet ihr auf eine Siedlung treffen. Dort leben einfache Mönche, aber dort werdet ihr auch Verbündete finden. Es dürfte nur eine Tagesreise von hier entfernt sein. Allerdings …“, meinte er, bevor seine Worte ein abruptes Ende fanden und er sich abwendete. „Allerdings?“, hakte Kyren nach. „Allerdings werde ich euch nicht begleiten können. Es wäre zu gefährlich für mich und auch für euch. Ich werde euch zu gegebener Zeit wieder aufsuchen.“, fuhr Nigel fort. Kyren versank in Gedanken, während Nigel begann sich Reisefertig zu machen. Dieser junge Mann schien alles durcheinander zu bringen und dennoch klangen seine Worte so wahr, als wären es mehr als Visionen. Nigel verabschiedete sich freundlich und verschwand alsbald in der Dunkelheit der Nacht. Kyren wurde sichtlich mulmig zu Mute. Nach dieser Erzählung war sie so aufgewühlt, das sie die ganze Nacht kein Auge mehr zumachen sollte.

Folge 93: Alte Bekannte

[Folge 2: Alte Bekannte]
 

Dunkelheit, grenzenlose Dunkelheit – und dort ein Licht? Ein unerwartetes Gefühl durchströmte plötzlich den Geist einer verlorenen Seele. Erst langsam besann sie sich, realisierte das sie fühlen, sehen und denken konnte. Schmerzen breiteten sich in jede einzelne Faser seines Selbst aus und allmählich wurde der Seele klar dass sie zu Fleisch wurde. Der Gedanke, allein schon die Möglichkeit einen Gedanken zu fassen, verursachte ein Gefühl von Panik. Das Licht, das in die Dunkelheit getreten war, wurde immer größer und bald schon war es nicht mehr die Dunkelheit des endlosen Nichts was die Sicht der Seele erfüllte, sondern die Dunkelheit geschlossener Augenglieder. Beim Versuch einen klaren Gedanken zu fassen öffneten sich diese beinah wie von selbst und ebneten der Seele einen Einblick auf die fleischliche Existenzebene. Der Raum, der sich dort offenbarte war im ersten Moment blendend hell, doch das Licht wich schnell als sich die Pupillen der Augen auf die Lichtverhältnisse zu fixieren begannen. Der Schmerz, der das Fleisch durchzog ließ langsam nach und so wagte sich die Gestalt aufzurichten. Es war befremdlich einen Körper zu bewegen zu können. Das Gefühl nicht in diese Form hinein zu gehören, begann langsam zu weichen. Vorsichtig tastete die Gestalt mit der rechten Hand sein Gesicht ab, realisierend das die Zeit der ewigen Dunkelheit und Körperlosigkeit vorbei war. Die Form, die die Seele nun angenommen hatte, war der Körper eines Mannes, einen Menschen, wie ihm seine Sinne verrieten. Er spürte dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte und versuchte den stechenden Schmerz in seinen Kopf mit seiner Handfläche zu mildern. Es tat weh zu denken und so wählte seine die Stimme als Ventil. „Wer … wer bin ich?“
 

Folge 2: Alte Bekannte
 

In Thay herrschte große Aufregung seit eine Expedition der Roten Magier zurückgekehrt war. Es war nicht die Tatsache dass die Expedition zurückgekehrt war, sondern die erschreckend geringe Anzahl von Mitgliedern, die sich in den heiligen Hallen der obersten Magier einfand. Eine Garde aus erfahrenen Männern saß an einen großen, runden Tisch in Erwartung des Expeditionskorps. Sie alle waren in prächtige, zumeist rötlich schimmernde Gewänder gekleidet, wie sie für ranghohe Magier üblich waren. Jeder im Land wusste das sie so etwas wie den Hohen Rat der Roten Magier darstellten. Sie wurden in ganz Thay respektiert, wie gefürchtet, weil jeder einzelne der neun Mitglieder, in den wichtigsten Geschicken des Landes seinen Einfluss geltend machte. Ungeduldig wartete man auf das Eintreffen der Rückkehrer. Das wenige Getuschel unter den Herrschern verstummte sofort als schließlich eine Handvoll Leute, begleitet von einigen mit Hellbarden bewaffneten Wachen, in den kreisrunden Saal geführt wurde. „Hier sind die Leute, die Ihr sehen wolltet, Exzellenz!“, sagte eine der ranghöheren Wachen und stampfte mit der Hellbarde in seiner linken Hand auf. Obwohl das Volk der Thay die Kunst der Magie mehr schätzte als die der Waffen, so gab es auch in diesen Landen, leicht berüstete Einheiten, die für Ordnung im Land sorgten und freilich jeden Geheiß der obersten Roten Magier folge leisteten.

„Schon gut, ihr könnt uns nun allein lassen.“, sagte einer der Magier am Tisch, der etwa mittig saß. Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich die Garde aus dem Saal und schloss die Türen von Außen.

„Seid ihr die Expedition die Donoghan geleitet hat? Warum seid ihr so wenige und wo steckt er?!“, fragte einer der Magier am äußeren Bereich. Die handvoll Menschen reagierte in Großteilen recht eingeschüchtert von den Worten des Mannes und wagte keine Antwort zu geben. Es waren nur Lakaien und Schüler, die wenig Ahnung von Magie hatten. Sie waren verängstigt, fürchteten dass ein falsches Wort den Tod für sie bedeuten konnte. Aus ihrer Mitte jedoch, trat ein Magier hervor, dem keinerlei Furcht oder Respekt aus dem Gesicht sprach. Er wirkte sehr souverän im Auftreten und legte ein leichtes Schmunzeln auf. Er musterte ein jedes Mitglied am Tisch genaustens, gerade zu analisierend. „Wirklich beeindruckend wie sich die Menschheit in den letzten Jahrtausenden entwickelt hat.“, sagte er nach kurzem Zögern, wenn gleich diese verwirrende Aussage eher einem lauten Gedanken gleichkam als einer Antwort. „Nennt Euren Namen!“ „Was meint Ihr?“ „Berichtet was geschehen ist!“, drängten drei der ranghohen Magier am Tisch nacheinander. „Ich würde sagen dieser Donaghan und die meisten seiner Leute sind gestorben nachdem sie versucht haben mich zu töten. Er hat so viele Menschen arglos in den Tod geschickt … dabei hätte niemand sterben müssen.“, erklärte der seltsame Mann schmunzelnd. „Was sagt Ihr da?! Wollt Ihr mir allen ernstes weiß machen Ihr kleiner Magier hättet Donaghan einfach so besiegt?! Wer glaubt ihr zu sein, so etwas zu behaupten?“, rief der Magier aus der Mitte empört. Der Mann schmunzelte verdächtig vor sich hin, es entlockte ihm sogar ein leichtes Lachen als er den Schwall von Fragen entgegennahm. „Ihr haltet euch für sehr mächtig, doch in den richtigen Maßstäben seid ihr alle nur kleine Würmchen. Meinen Namen wollt ihr wissen? Wisset, mein Name wird Geschichte schreiben, mein Name wird die Welt in eine neue Ordnung führen und von all dem Bösen befreien - mein Name ist Ashton Scu’l!“, tönte er Selbstbewusst zurück und schlug mit der linken Handfläche auf den Tisch auf, wo er sie letztendlich auch haften ließ. Einen Moment hielt eine verdächtige Stille Einzug im Saal. „Und so frage ich, wer von euch sich meiner Vision einer perfekten Welt in den Weg stellt … wer für mich und wer gegen mich ist.“, fuhr er mit verschlagenen Blick in die Runde fort. Die hohen Magier wussten nicht ob der Mann noch bei Verstand war oder ob sie diese Drohung ernst nehmen sollten. Es war ihre Eitelkeit, die ihnen zu Verhängnis wurde.

Einige Sekunden später erschütterte das Gebäude von innen heraus unter schweren Explosionen. Nur drei der neun Mitglieder sollten diesen Saal je wieder lebendig verlassen, gerade noch lebendig genug um die Herrschaft von Ashton Scu’l zu verkündigen.
 

Für eine Seele die schon lange die Welt der Lebenden verlassen hatte, war es ungewohnt zu atmen oder zu denken. Ein pochender Schmerz durchdrang jede Zelle des Gehirns, doch Schmerzen waren die Geringsten Sorgen, die man als wieder auferstandene Seele verspürte. Es fiel schwer die Orientierung zu wahren.

Mit jeder Sekunde begann er sich neuer Dinge klar zu werden. Er lag auf einen kalten, metallenen Tisch, inmitten eines dunklen Raumes. Ein Spalt an der Decke warf einen Sonnenstrahl in den Raum. Obwohl nur Schmal füllte er der Strahl den Raum mit ausreichend Licht.

„Ruhig, es ist alles gut.“, hallte eine beruhigende Stimme aus dem Dunkeln hinter dem Lichtstrahl hervor. „Wer … wer ist da?“, fragte er mit schwacher Stimme zurück und setzte sich auf. „Ich weiß, Ihr habt viele Fragen. Ich habe Euch ins Leben zurückgeholt. Euer Name ist Gerrard - Gerrard Deckard.“, erwiderte die Mädchenstimme. Der Mann erschrak innerlich, denn obwohl er keinen Beweis dafür hatte, fühlte er dass die Stimme die Wahrheit sprach.

Ein umhülltes Mädchen trat in den schmalen Lichtstrahl, der von oben in den Raum fiel. Er versuchte ihre Gestalt zuzuordnen, was sich aber als schwierig erwies, wo nur ihre Augen unbedeckt waren. „Wer seid ihr? Was geht hier vor? Ich … erinnere mich … nicht.“, sagte er, sichtlich verstört und verwirrt zugleich. „Leider haben wir nicht die Zeit alle Einzelheiten Eurer Vergangenheit zu klären, aber wisset das Ihr vor fast fünf Jahren den Tod in einer Schlacht gefunden habt.“, begann das Mädchen zu erzählen.

„Ich … starb …“, dachte Gerrard laut und abermals spürte er dass sie die Wahrheit sagte. Verschwommene Bilder füllten sein inneres Auge und er sah wie er einem Mann mit langen, weißen Haar in die Schulter biss. Vorsichtig begann er seine Zähne abzutasten. Was er gesehen hatte war eigenartig, doch was er dort in seinen Mund fühlte bestätigte diese Erinnerung aus vergangener Zeit. „Ja, Gerrard. Ihr seid ein Vampir. Biologisch seid Ihr bereits tot … schon seit vielen, vielen Jahren.“, meinte das Mädchen nickend. Gerrard fehlten die Worte und so fuhr sie mit ihrer Erklärung fort. „Ich habe Euch ins Leben zurück gebracht, weil die Welt auf Eure Hilfe angewiesen ist. Eure Einzigartigkeit, die Tatsache wie sehr Ihr euch von anderen eurer Art unterscheidet macht Euch zu einem wichtigen Verbündeten im Kampf gegen ein bevorstehendes Unheil. Ihr seid kein gewöhnlicher Vampir, Gerrard. Anders als andere Vampire wurdet Ihr nicht durch einen Biss zum Vampir, sondern durch eine Zeremonie, durch die Macht einer uralten Magie. Das befähigt Euch dazu auch am Tage zu wandeln, ohne das es Euch etwas ausmachen würde. Ihr seid stärker und fähiger als jeder andere Vampir. Mit jeden Tropfen Blut den ihr trinkt, werdet Ihr mächtiger und fähiger als zuvor.“, sagte sie, doch Gerrard schien kaum zugehört zu haben. „Ich starb, weil ich einen Untoten gebissen habe … ich meine … richtig gebissen, nicht wahr?“, erwiderte er lediglich, zur Überraschung des Mädchens. „Eh … ja … das stimmt. Erstaunlich wie gut Euer Gedächtnis nach der Zeit, die ich euch in Stasis hielt, erhalten geblieben ist.“, gab sie in entsprechender Tonlage zurück. Einen Augenblick später sah sie sich im strengen Blick des Vampirs gefangen. „Wie hast du mich wiederbelebt!? Rede!“, entgegnete er düster. „Ein uraltes Ritual, man benötigt etwa einhundert Zauber und Mixturen dafür …“, deutete sie eingeschüchtert an, worauf er von den metallenen Tisch stieg auf den er zuvor noch gelegen hatte.

„Was ist das für ein Blutgeschmack?“, wunderte er sich und strich sich nachdenklich über sein bärtiges Kinn. „Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht eine Nachwirkung. Ich habe euch etwas von meinem Blut injiziert um Euren toten Organismus zu stimulieren.“, gab sie unwissend zurück. „Nein … ich meine diesen Duft …“, ergänzte er, ihre These verneinend und fixierte sich gleichzeitig auf sie. Das Mädchen wurde nun etwas nervös und trat vorsichtig zurück. „Ihr seid vielleicht durstig … nach all der Zeit. Ich habe draußen noch etwas …“, wollte sie erwidern, da sah sie sich schon in der Gewalt des Vampirs, der wie ein Schatten über sie herfiel.
 

Ohne das sie es verhindern hätte können, hatte er ihr ihren weiten Umhang, der sie so gut verhüllt hatte, vom Leib gerissen, seine Hand an ihren Hals gelegt. Gerrard hatte ein zierliches, aber schönes Mädchen freigelegt. Ihr rotbraunes Haar war durch eine Haarklammer geschmückt, schmale, geflochtene Zöpfe hingen aus ihrem Haar herunter. Ihre Kleidung war nicht allzu Mädchenhaft, wirkte aber ohnehin wie aus einer anderen Welt.

„Wer seid Ihr?“, fragte er mit finsterer Miene. „M-Marian … mein Name ist Marian.“, gab sie geschockt zurück. Sie hatte nicht mit einer solch heftigen Reaktion gerechnet und wusste gar nicht recht wie ihr geschah. Genüsslich fuhr Gerrard mit seiner Nase über ihren Hals, bevor er abrupt stoppte. Das Mädchen nahm die Gelegenheit wahr um sich von ihm loszureißen, auch wenn es ihr nur kurz etwas Luft verschaffte. „Dein Blut, ich kann es riechen, ich kann es fühlen. Du hast ein süßes Gesicht … aber etwas ist eigenartig. Wie alt bist du?“, tönte Gerrard mit zweifelhaften Blick. Marian griff sich etwas verlegen an den Hinterkopf und lief sogar etwas rot an als sie ihn so reden hörte. „Nun ja, mein körperliches Alter kann man wohl auf siebzehn Jahre schätzen … aber ich lebe schon etliche Tausend Jahre.“, antwortete sie verschwitzt. „Verstehe. Trotzdem … dein Blut ist rein und unverdorben. Lass mich ein wenig daran nippen.“, meinte der Vampir schmunzelnd mit verschlagenen Blick. Erschrocken wich Marian zurück und presste sich gegen die Wand des Raums, hoffend ihn mit ihren Händen vom Leib halten zu können. „Iehks! Nein, bitte nicht beißen! Bitte nicht!“, flehte sie verängstigt. „Ja, das dachte ich mir.“, dachte ihr Gegenüber laut, ohne seine Drohung wahr zu machen. „Wie? Was?“, fragte Marian verwundert und löste ihre panische Haltung. „Du verfügst nicht über die nötige Magie, die mich abwehren könnte. Deshalb bittest du mich um Hilfe. Und wenn ich wirklich dein köstliches Blut hätte trinken wollen, hätte ich es mir schon längst genommen.“, erklärte er und wendete seinen Blick ab. „Das war nur ein Test …?“, gab Marian erstaunt zurück. „Ich verstehe nicht ganz genau was hier eigentlich vorgeht … doch erwarte nicht das ich dir aus bloßer Dankbarkeit meine Hilfe anbiete. Ich hatte nicht darum gebeten …“, setzte er an, bevor sie ihm rasch das Wort nahm. „Mir ist schon klar was für ein … Vampir Ihr seid … und ich hätte Euch nicht ins Leben zurückgeholt, wenn ich keinen Anreiz gehabt hätte, der mir Eure Hilfe zusichert.“, sagte sie selbstbewusst. „Und was wäre dieser Anreiz?“, fragte Gerrard geduldig. „Ich kann euch wieder zu einem richtigen Menschen machen …“, tönte es aus ihrer Richtung mit Nachdruck zurück. Gerrards Augen weiteten sich, denn obwohl er keine Ahnung hatte wer sie war, schien sie seine innersten Sehnsüchte zu kennen.
 

Kyren und Atrix waren bereits eine ganze Weile ununterbrochen unterwegs gewesen. Der Weg wurde schwieriger nachdem man das Waldgebiet verlassen hatte. Das Terrain wurde bergiger und auch wenn man das Gefühl hatte das noch nie ein Humanoid einen Fuß in diese Landschaft gesetzt hatte, so gab es hier und dort noch Zeichen von Zivilisation. Ihr Weg führte sie durch Getreidefelder und Obstplantagen. Am Himmel deutete sich bereits die Abenddämmerung an als sich die Aussicht bot das man das Ziel der Reise endlich erreicht hatte – eine kleine Mönchssiedlung, die auf einen abgeflachten Berg gebaut war. Das Dorf lag beinah idyllisch, hatte alles was es brauchte um sich herum. Wälder, Flüsse und Felder erstreckten sich um die Gegend. Die Bewohner der Siedlung arbeiteten zumeist auf den Feldern, während andere mit Eimern für die Wasserversorgung sorgten. Eine Palisade aus Holzpfählen war um die zentralen Gebäude gezogen, obwohl es keinerlei militärischer Verteidigungsanlagen zu geben schien.

„Wo sind wir hier? Was ist das für ein Ort?“, fragte Atrix geringfügig beeindruckt. Kyren wusste keine passende Antwort, aber sie war sich sicher dass man in der Siedlung selbst genaueres in Erfahrung bringen konnte. Dennoch nagte an ihr die Frage warum Nigel sie gerade hier hin geschickt hatte. Seine Geschichte wirkte stimmig auf sie, doch etwas bereitete ihr Kopfzerbrechen, auch wenn sie es nicht deuten konnte.

Am Eingang zum Dorf begrüßte die beiden Abenteurer ein glatzköpfiger Mönch in einer tiefblauen Robe. Er war schon etwas in die Jahre gekommen, wirkte aber auf seine Weise noch recht vital. Kyren verbeugte sich kurz zur Begrüßung und er tat es ihr gleich. „Seid gegrüßt. Wir suchen nach einer bleibe für die Nacht. Wäret ihr bereit uns Unterschlupf zu gewähren?“, fragte die Elfe höflich. Freundlich nickend und mit einladenden Gesten bat er die seine elfischen Gäste ins Dorf einzutreten. „Wir jedem geben Hilfe, egal ob Elf oder Zwerg. Ihr willkommen seid.“, erwiderte er in leicht gebrochenen elfisch. Die beiden waren erstaunt dass er ihnen in ihrer Sprache antwortete, werteten es aber als Geste der Höflichkeit. Trotzdem nagte an Kyren die Frage warum Nigel gerade diesen Ort vorgeschlagen hatte. „Sagt, gibt es in eurer Siedlung Waffen oder Krieger?“, wollte Kyren wissen als man ein paar Schritte gegangen war. „Nein, wir nicht kämpfen mit Waffen. Wir kämpfen mit Intellekt. Waffen machen Krieg, reiner Geist machen Frieden.“, antwortete er, leicht verwundert über ihre Frage. „Eigenartig.“, dachte sie laut und legte nachdenklich ihren Zeigefinger auf ihre Lippe. „Vielleicht Gast haben wonach ihr sucht.“, merkte der Mönch an. „Gast?“, fragten die beiden Abenteurer neugierig. „Ja, ich bringen Elfen zu ihm. Eigenartiger Junge, sehr eigenartig.“, brabbelte er lächelnd vor sich hin und führte die Besucher durchs Dorf. Atrix wurde langsam mürrisch zu mute. Der Mönch verstand es seine Heimatsprache aufs grausamste zu verstümmeln. Er fragte sich warum er ihnen nicht in Menschensprache antworten wollte, wo man ihm diese doch zum Dialog anbot.
 

Die meisten Hütten und Gebäude an diesem Ort waren aus Holz gebaut. Kyren bemerkte das es hier viele Kinder und Heranwachsende gab, aber keine richtigen Frauen. Man hätte glauben können das der Mönch ihre Gedanken lesen konnte und gab ihr unaufgefordert eine Erklärung. „Wir hier leben frei von Fleischeslust. Frauen hier nicht gern gesehen. Kinder seien gut. Frauen böse, bringen böse Gedanken in Köpfe und Geist.“, sagte er schmunzelnd, wissend dass er Kyrens Mimik richtig gelesen hatte. „Wieso lassen sie dann Kyren rein?“, hakte Atrix interessiert nach. „Knaben wie ihr willkommen, nur Frauen böse …“, setzte er an, was Kyren innerlich Zusammensacken ließ, hielt der Mönch sie offenbar für einen Jungen. „Wir müssen dringend was mit deinem Aussehen tun, Kyren.“, flüsterte Ihr Atrix heimlich zu und fing sich sogleich einen Faustschlag ein.
 

Letztendlich sollte es für Kyren egal sein, denn nur einen Augenblick später trat der Mönch vor ihnen beiseite, wodurch er die Sicht auf einen Halbelfen freigab. Er war ganz anders gekleidet als die Mönche im Dorf, erinnerte seine Tracht doch eher an die eines Kämpfers. Kyren fühlte sich wie erstarrt, denn obwohl sie ihn zunächst nur von hinten sah, war sie sich bereits sicher dass sie den Gast dort kannte. Es war eine Weile her seit dem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber alles an ihn war bereits wie in ihr Gedächtnis eingemeißelt. Einen Moment zweifelte sie noch ob es wirklich Shane war, der dort gerade die Wäsche der Mönche abnahm.

„Shane? Shane, bist du das?“, fragte sie zögerlich, beinah ängstlich. Sie hatte so lange nach ihm gesucht, hoffte immer auf ein Lebenszeichen und ausgerechnet hier und jetzt schien sie fündig geworden zu sein. Der Halbelf reagierte nicht unmittelbar auf ihre Frage, bis er zu realisieren schien dass er angesprochen war. Als er sich umdrehte war für Kyren es als ob die Zeit stehen blieb. Es war als ob ein Geist vor ihr stand und es fiel schwer die Freude und Erleichterung, die sie überkam, im Zaum zu halten. Dennoch verflüchtigte sich dieses Gefühl wieder als sie merkte dass er sie wie eine Fremde betrachtete. „Dies sein Halbelf. Wir ihn haben ‚den Namenlosen’ getauft. Er nicht wissen wer er ist als er hier ankam. Er haben Waffe.“, erklärte der Mönch mit Blick auf den Halbelfen.

Die junge Elfenmagierin hegte keinen Zweifel bei der Frage wen sie dort vor sich hatte. Sie wollte etwas sagen, doch er kam ihr zuvor. „Shane? Ist das mein Name?“, fragte er verwundert und trat ein paar Schritt an die Reisenden heran. Der Elfe trieb es beinah die Tränen in die Augen ihn so reden zu hören. Er sah sie als Fremde und fühlte nichts, ahnte nicht einmal welche Sorgen sie sich um ihn gemacht hatte.

Ein spöttisches Lachen unterbrach den Moment, der eben noch unendlich schien. Schnell konnte dessen Besitzer aufgespürt werden, der sich auf dem Dach eines nahe gelegenen Wohnhauses niedergelassen hatte. Der Mönch reagierte relativ gefasst auf den unerwarteten Besucher, während seine Gäste überrascht waren dort einen Mann in Weiß zu sehen. „Der Weiße Falke!“, staunte Kyren atemlos. Die Gestalt war ihr in guter Erinnerung geblieben, hatte sie im Laufe ihrer Reisen doch schon öfter das Vergnügen gehabt. Seither hatte er sich nur wenig verändert. Sein Kopftuch, sein Marschallsmantel, mit dem hohen Kragen, der seine untere Gesichtshälfte abdeckte und die stets weiße Farbe seiner Tracht, machten ihn zu einer unverwechselbaren Persönlichkeit. Sein Erscheinen warf einige Fragen auf, denn was sollte ein Meisterdieb wie in diesem Dorf ohne Reichtümer wohl wollen?
 

Er ließ es sich nicht nehmen sein Auftreten zu rechtfertigen, meldete aber zugleich Besitzansprüche auf den Halbelfen an. „Seid ihr gekommen um ihn abzuholen? Ihr werdet ihn doch nicht gegen seinen Willen mitnehmen … oder etwa doch?“, tönte er in gewohnt arroganter Art hinab. Shane kam einer Antwort zuvor, denn der Anblick des Mannes in Weiß war ihm vertraut. „Ihr da! Ich kenne Euch … in meinen Träumen …“, rief er leicht erstaunt. „Ja, der Geist eines schlafenden Halbelfen ist leicht zu manipulieren. Ich werde mich zu gegebener Zeit dafür schämen.“, gab er trocken zurück. Kyren war da schon etwas direkter und stampfte wütend auf ihn zu. „Was geht hier vor? Was habt Ihr mit ihm gemacht?!“, fragte sie, sichtlich aufgewühlt. „Wo habt Ihr Eure Höflichkeit versteckt, Kyren?“, begann er leicht amüsiert zu fragen und beugte sich zu ihr herunter. „So wie ich das sehe hat sein Gedächtnis verloren. Er weiß nicht wer er ist und in den letzten paar Monaten hat er sich auch an nichts erinnern können. Ich habe vergeblich versucht sein Gedächtnis zu stimulieren, aber vielleicht wirkt eure Präsenz ja besser auf ihn. Vielleicht erinnert er sich nie wieder, vielleicht ist er nicht der, der er zu sein scheint – wer weiß das schon.“, philosophierte er vor sich hin, ganz so als ob es ihm Spaß machte die Abenteurer im Unwissen zu lassen. „Genug! Ich will wissen was Ihr mit ihm gemacht habt. Ich schwöre ich …“, setzte sie an, doch sein Gelächter nahm ihr den Schwung den Satz zu vollenden. „Es ist mir egal was Ihr über mich denkt und was ihr schwört, denn wahrscheinlich würde Euch keine Antwort wirklich Genüge tun.“, kommentierte er ihre Aufregung gelassen. Atrix war irritiert und schaltete sich in das Gespräch ein. „Wieso seid Ihr eigentlich hier? Ihr seid doch ein Dieb. Was wollt Ihr von Shane?“, fragte er nach.

„Neugier. Ich wollte sehen wie er auf die entzückende kleine Elfe reagiert, aber sein Hirn ist genauso hohl wie vorher. Nehmt ihn mit, tut was ihr wollt. Es ist mir gleich. Menschen wie Elfen neigen dazu falsche Schlüsse zu ziehen, wenn sie andere nicht richtig einzuschätzen wissen. In sofern tut nichts was ich noch sagen könnte zur Lösung all eurer Fragen bei. Ein guter Moment um sich wichtigeren Ereignissen jenseits dieses Dorfes zu widmen.“, gab er selbstverliebt zurück und machte sich daran den Schauplatz zu verlassen.

Shane wollte ihn noch aufhalten, aber da setzte er sich bereits mit einen weiten Sprung vom Ort des Geschehens ab. „Ich … ich bin momentan etwas durcheinander. Kann mir einer von euch erklären was hier eigentlich vorgeht?“, fragte er stattdessen in Richtung der Abenteurer. Kyren hatte damit gerechnet ihn zur Wiedersehensfreude umarmen zu können, doch nun sah sie einen recht hilflosen und verwirrten jungen Mann dort stehen, der dringend ihre Hilfe brauchte.
 

Shane hatte eine kleine Hütte, von der er sagte, dass er sie selbst gebaut hatte. Dort bewahrte er all sein Hab und Gut auf und dies war der Platz an dem er sich zur Nachtruhe schlafen legte. Es war eine kleine Hütte ohne viel Komfort, hatte aber alles was man zum Leben brauchte. Shane hatte ein Feuer in der Feuerstelle angefacht um genug Wärme für die bevorstehende Nacht zu erhalten. Gebannt lauschte er den Geschichten, die ihm Kyren und Atrix erzählten, doch so wie er auf die einzelnen Erzählungen reagierte, wirkte es eher so als ob man ihn von jemand anderes erzählte. „Ich kann mich an nichts von dem erinnern was ihr mir da berichtet. Ich kenne diese ganzen Leute nicht, von denen ihr mir erzählt. Ich weiß nicht wer meine Familie ist und ich kann mich auch nicht and diese Alextra erinnern.“, sagte er und hielt sich beinah verzweifelt am Kopf. „Alexandra! Ihr Name ist Alexandra. Sie ist … sie war deine Schwester, sie war die wichtigste Person in deinen Leben!“, mahnte ihn Kyren mit Nachdruck, jedoch schnell resignierend. Für ihn war das alles nicht greifbar.

„An was erinnerst du dich denn noch?“, fragte sie vorsichtig. „Ich erinnere mich an … den Duft von Blumen … und an diesen Schmerz, diesen unglaublich starken Schmerz. Dann ist da noch dieser Mann in Weiß. Er sagt etwas zu mir, doch ich kann ihn nicht hören. Das nächste was ich weiß ist das ich hier, nahe des Dorfes aufgewacht bin.“, erzählte er mit verkrampfter Miene. Kyren seufzte tief und Atrix schüttelte Hoffnungslos den Kopf, bevor Shane noch etwas ergänzte. „Aber ich weiß … nein ich spüre … das ich Euch kenne. Irgendetwas sagt mir das wir uns heute nicht zum ersten Mal sehen.“, sagte er, was das betrübte Gesicht der Elfenmagierin wieder etwas aufklaren ließ. Auch Atrix wirkte nun etwas zuversichtlicher. „Na ja, das ist ja immerhin schon mal ein Anfang. Vielleicht hatte dieser Meisterdieb ja doch recht.“, meinte er, zuversichtlich nickend.
 

An diesen Abend schlief Kyren friedlich ein. Das Shane noch lebte ließ viele ihrer Sorgen vergessen. Ihr war nun klar was Nigel bezweckt hatte und was der Junge in ihrem Zimmer meinte als er sie auf reisen schickte. Für diesen einen Abend wollte sie all ihr Sorgen jedoch vergessen. Eigentlich wollte sie noch wach bleiben um so lange wie möglich einen Blick auf Shane werfen zu können, doch in diesen Minuten wurde ihr erst bewusst wie müde sie von der anstrengenden Anreise eigentlich war.

Folge 94: Der Biss des Todes

[Folge 3: Der Biss des Todes]
 

Der Blick auf eine ausgebreitete Karte Faerûns ließ Ashton tief in Gedanken versinken. Phase 1 seines Planes war erfolgreich abgeschlossen und niemand der Thay-Magier würde es wagen, sich ihm in den Weg zu stellen. Trotzdem war er ein vorsichtiger Mensch, weshalb er eine unterirdische Basis bezogen hatte, die ihm vor etwaigen Übergriffen oder Störungen Schutz bot.

Die Landkarte war auf einem relativ großen Tisch ausgebreitet und obwohl noch nicht ganz ausgerollt, zeigte sie ihm das Wesentliche. Ein junger Mann in einfacher Tracht trat in die große Halle ein, in der Ashton gerade die Feinheiten der verschiedenen Herrschaftsterritorien analysierte. Der Raum war recht finster gehalten und nur ein einfacher Lichtzauber am Kartentisch erhellte ihn etwas. „Herr, Euer Gast ist nun eingetroffen.“, rief er, seine Stimme in Ehrfurcht geprägt. „Gut, er soll eintreten, Daniel.“, erwiderte Ashton zufrieden und ließ von seiner Aktivität ab. Nach einer kurzen Verbeugung verschwand der junge Diener wieder im Dunkel, um einige Sekunden später, wieder ins Licht zu treten. An seiner Seite führte er einen Gast in die Halle hinein, welcher recht unerschrocken an den Magier herantrat. Er machte erst halt als er den Tisch mit der ausgebreiteten Karte erreicht hatte und offenbarte somit sein ganzes Äußeres.

„So, Ihr seid also Jay?“, fragte Ashton zufrieden und musterte den Fremden eingehend. Er hatte langes braunes Haar, das Strähnenweise sein Gesicht einhüllte und trug eine Kleidung, die am ehesten der eines Jägers gleich kam – ganz genau so wie er sich einen Kopfgeldjäger vorgestellt hatte. „Ich bevorzuge … John … John Doyle.“, gab er mit finsteren Blick zurück.
 

Folge 3: Der Biss des Todes
 

Ein strahlender Sonnentag begrüßte Kyren als sie zu früher Morgenstunde erwachte. Es schien ihr fast noch alles wie im Traum, aber Shane war wirklich wieder da und er lebte. Sie hatte noch zu gut in Erinnerung was Nigel ihr erzählt hatte, doch für sie war es wichtiger aus Shane wieder den Jungen zu machen, der er einmal war. Die Mönche der Siedlung hatten sie am Vorabend auf eine Stadt verwiesen, die eine halbe Tagesreise entfernt lag. Obwohl sie in relativer Abgeschiedenheit lebten, schienen sie zu wissen, dass man mit so mancher Mixtur allerlei Gebrechen kurieren konnte. Die Chancen standen nicht schlecht ein solches Getränk dort zu finden das ein Gedächtnis wieder herstellen konnte.
 

Obwohl Kyren es liebte lange zu schlafen und sich im Bett zu wälzen, war sie an diesen Morgen als Erste Reisefertig. Atrix war noch immer im Halbschlaf als sie zum Aufbruch rief. „Jahoo, Leute! Heute wird ein guter Tag. Also raus mit euch aus den Federn. Wir haben noch viel vor!“, rief sie euphorisch, den rechten Zeigefinger gen Himmel gestreckt. „Haben wir?“, fragte Shane gähnend, der es zwar mittlerweile gewohnt war früh aufzustehen, aber doch noch nicht recht in Tritt war. „Ja, Shane. Heute werden wir etwas gegen deine Amnesie tun.“, sagte sie eifrig nickend. „Kann das nicht noch 5 Minuten warten?“, grummelte Atrix unter seiner Bettdecke hervor, was Kyren fast ihre gute Stimmung verdarb. „Nein, kann es nicht! Und nun hoch mit dir!“, schimpfte sie und zerrte ihn unter seiner Decke hervor, ja sogar aus Shanes Behausung heraus.

Gut gelaunt marschierte sie wenig später aus der Mönchssiedlung, mit zwei reichlich müde wirkenden Begleitern im Schlepptau.
 

Ashton hatte seinen Gast derweil einen passenderen Ort angeboten um die Details des Arrangements zu besprechen. Hierfür hatte er einen Raum, der bequemere Sitzmöglichkeiten bot, sowie einen Tisch, der mit Früchten und allerlei anderer Speisen gedeckt war. John staunte etwas über die ovalen Fenster, die rund herum verteilt waren und Licht von draußen einließen. Dort bot sich ihm der Blick auf eine fruchtbare Landschaft, was seltsam war, da man sich ja unter der Erde befand. Ashton hatte bereits auf einen der bequemeren Sitze Platz genommen und genoss einen Schluck Rotwein. Er schien die Gedanken seines Gastes lesen zu können. „Lasst Euch nicht verwirren. Das sind kleinere magischere Spielereien. Setzt Euch doch.“, meinte er und bot ihm mit einer Geste einen Platz an. „Dieser Raum liegt in einer anderen Ebene, nicht wahr?“, fragte John nüchtern nach. „Nicht schlecht geraten. Genau genommen befinden wir uns nicht mehr in Thay.“, antwortete er, was gleichzeitig für ihn die Bestätigung war, dass man zuvor durch ein Portal gegangen war.

„Ihr seid ein cleverer Mann, John. Das gefällt mir. Dennoch frage ich mich, wieso Ihr an mich heran getreten seid.“, fuhr er fort und nahm einen weiteren Schluck Rotwein zu sich. John bevorzugte es zu stehen und ließ seinen Blick nach draußen zur Landschaft gerichtet. „Ihr habt nach einem Kopfgeldjäger gesucht …“, setzte er nüchtern an. „Oh, kommt schon. Eure Ausrede hätte etwas kreativer ausfallen können. Ich bin mir im vollen Umfang Eurer Natur bewusst, Gestaltenwandler. Ich frage mich, was ein Wesen wie Euch dazu veranlassen könnte, für mich zu arbeiten.“, warf Ashton ein, bevor sein Gast sich vollständig erklären konnte. John schmunzelte etwas als er sich dabei erwischt hatte den Menschen etwas zu unterschätzen. „Wenn Ihr mich so gut kennt, dann müsste Euch doch klar sein, das ich Euch keine ehrliche Antwort geben werde.“, erwiderte er, das Schmunzeln auf den Lippen haltend. Ashton begann ein wenig zu Lachen, hatte er doch nicht erwartet einen solch schlagfähigen Mann vor sich zu haben. Dennoch - ihm schien die Art seines Gastes zu gefallen. „Wisst Ihr. Ich hatte so meine Zweifel einem explanetaren Wesen eine solche Aufgabe zuzuweisen. Aber auf der anderen Seite wäre wohl niemand besser dafür geeignet als Ihr. Gut, lassen wir das Gerede und kommen zum Geschäft. Ich will das Ihr diese zehn Personen hier eliminiert.“, gab er zunächst amüsiert zurück, bevor er ihm eine Liste reichte, die auf ein kleines Stück Papier nieder geschrieben war. John nahm sich den Zettel und warf einen Blick auf die darauf enthaltenden Namen.

„Es sind Helden von denen ich gehört habe, Leute die mein Unterfangen gefährden könnten.“, erklärte Ashton in einem Ton, der davon abriet seine Auswahl zu hinterfragen. Dennoch stutzte John beim letzten Namen auf der Liste und hob ihn etwas hervor. „Kyren Cyrissean?“, fragte er. „Ja, ich habe gehört sie hat sich vor einigen Jahren recht wacker gegen einen alten Nesseril-Magier geschlagen und dazu beigetragen das der Avatar des Todes heute nicht auf Erden wandelt.“, bemerkte der Magier beiläufig an, ganz so als hielte er nicht viel von ihr. „Verstehe …“, setzte sein Gast an, wissend dass er nichts weiter zu sagen brauchte. „Ich vermute das Gold das ich als Lohn ausgesetzt habe, interessiert Euch nicht wirklich, oder etwa doch, John?“, fragte Ashton mit neugierigem Blick, während dieser die Liste in einer Seitentasche verstaute. „Wenn Ihr Toril unterwerfen wollt, werdet Ihr Leute brauchen, die Euch bei der Kontrolle unterstützen.“, erwiderte er mit verschlagenen Blick. „Ihr wollt einen Teil des Kuchens? Meinetwegen – so sei es.“, antwortete er recht desinteressiert und griff wieder zum Weinglas. „Ihr könnt nun gehen. Berichtet mir, wenn Ihr Eure Arbeit erledigt habt, dann klären wir die Details. Vielleicht habe ich ja noch eine andere Aufgabe für Euch.“, fuhr er nach einen weiteren Schluck Wein fort und wank ihn hinaus. John neigte nicht dazu länger zu bleiben als unbedingt nötig und ging ohne weitere Geste des Abschieds.

Kaum war er gegangen, bildeten sich merkwürdige Schemen, die in ihrem Aussehen einer durchsichtigen Wolke am nahsten kamen. Eine zischende Stimme trat aus der losen Form hervor und mahnte zur Vorsicht. „Eine gute Wahl … doch ihr hättet auf mich hören sollen. Dieser Nigel wird …“, zischte es hervor, bevor Ashton das Wort übernahm. „Ich weiß! Aber dieser Nigel kommt genau wie Ihr aus der Zukunft. Er wird nichts ausrichten können. Alles läuft genau so wie es geplant ist.“, meinte er breit grinsend und nahm einen weiteren Schluck zu sich. „Wie Ihr meint!“, zischte es ein letztes mal hervor, bevor die Schemen verschwanden. Ashtons gut gelaunter Blick verfinsterte sich als er den Raum für sich allein hatte und ein finsteres Schmunzeln legte sich auf seine Lippen.
 

Kyren zeigte sich beinah empört als ihr der örtliche Kräuterkundige von Kenton, einer kleinen Stadt nördlich der Mönchssiedlung gelegen, ihr eine schlechte Nachricht mitteilen musste. „Was?! Soll das heißen Ihr habt keine Mixturen da, die sein Gedächtnis wieder herstellen können?!“, fragte sie noch einmal, ganz so als hoffte sie sich verhört zu haben. Der Laden, den man aufgesucht hatte, war der einzigste der Stadt, der mit solchen Tränken und Kräutern handelte, weshalb es keine örtliche Alternative gab. Das Geschäft war sehr exotisch eingerichtet. Überall standen Regale mit Mixturen, auf manchen lag sogar Zentimeter hoher Staub.

„Ja, wie ich schon sagte, Junge … ich beziehe meine Kräuter und Zutaten aus Brexton und die nächste Lieferung ist noch nicht eingetroffen.“, bestätigte er noch einmal und knockte Kyren gleichzeitig geistig zu Boden. Bevor er sich versah hockte die kleine Elfin in einer dunklen Ecke seines Ladens und wimmerte vor sich hin. „Ich bin ein Mädchen … ein Mädchen …“, sagte sie in recht deprimierten Ton, weshalb sich Atrix des Händlers annahm.

„Vergesst sie für einen Augenblick. Wann erwartet Ihr denn die nächste Lieferung?“, fragte der Elf, neugierig über den Tresen gelehnt. „Na ja, das ist etwas seltsam. Eigentlich hätte sie schon vor drei Tagen hier sein müssen. Andere Händler in der Stadt beklagen auch den Nachschubmangel.“, erklärte der Kräuterhändler. Shane wurde hellhörig, denn das Ganze warf einige Ungereimtheiten auf. „Warum habt Ihr denn niemanden dort hin geschickt, der sich nach der Lage erkundigt?“, wollte er wissen, wenn gleich er Mühe hatte sich zu entscheiden seine Gefährtin zu trösten oder sich der Sache anzunehmen. „Das haben wir ja. Aber keiner ist seither zurückgekehrt. Selbst die Leute, die die Waren mit ihren Karren ausfahren, sind nicht mehr zurückgekehrt.“, gab der Ladenbesitzer besorgt von sich. „Wenn wir Euch die Zutaten, die Ihr für die Herstellung der Tränke braucht, besorgen können, würdet Ihr uns dann einen solchen Trank gegen Gedächtnisschwund zubereiten?“, fragte Shane mit einem entschlossenen Glitzern in den Augen nach. „Ja, aber selbstverständlich.“, tönte es zurück, was auch Atrix ein Lächeln ins Gesicht zauberte. „Na also, dann werden wir jetzt nach Brexton gehen und herausfinden was dort vorgeht.“, meinte er freudig, zuversichtlich das dieses Problem schon bald gelöst sein würde. „Wie weit ist es bis dort hin?“, fragte Shane mit Blick auf die Wanduhr, die hinter dem Händler hang. „Oh, wenn ihr sofort aufbrecht, könnt ihr es noch zur Abenddämmerung schaffen. Folgt einfach dem Weg aus der Stadt nach Norden.“, erwiderte er freundlich und begann in seinen Schubladen zu wühlen. Einen Moment später hatte er ein Stück Papier gefunden und notierte die Reagenzien die ihm zur Herstellung des Trankes fehlten. „Hier, das sind die Zutaten, die ihr besorgen müsst.“, erklärte er und reichte das Schriftstück bereitwillig an Shane weiter. „Gut, dann brechen wir sofort auf!“, rief Kyren euphorisch, riss ihm das Rezept aus der Hand und streckte den Arm mit dem selbigen in die Luft. Die kleine Kränkung war verdaut und je schneller man die Zutaten besorgen konnte, desto schneller würde man auch Shanes Gedächtnis wieder herstellen können, hoffte sie.
 

Es war fast dunkel als man schließlich Brexton erreichte. Die Stadt war etwas größer als Kenton, wirkte aber im Abendlicht wesentlich unscheinbarer. Eine beängstigende Stille lag in der Luft und ein kühler Wind zog durch die Gassen der Stadt. Mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Furcht im Gesicht hielten die drei Abenteurer inne. „Sieht mir aber reichlich öde aus, hier.“, meinte Atrix unerschrocken, wenn gleich es viel mehr ein Versuch war möglichst lässig zu wirken um seinen Gefährten zu imponieren. Shane sah die Situation schon etwas ernster und suchte die Stadt nach Anzeichen ungewöhnlicher Aktivitäten ab. Kyren ließ sich nicht entmutigen und wagte es ein paar Schritt voraus zu gehen.

„Ich glaube nicht dass die hier früher ins Bett gehen als anderswo … hier stimmt etwas nicht.“, sagte sie, wenn gleich diese Annahme viel mehr aus dem Vertrauen in ihren Instinkt beruhte als aus Indizien.

Nach kurzer Beredung wagte man es schließlich die Stadt zu betreten und die Geschäfte nach dem Händler für die Zutaten abzusuchen. Immer wieder starrten sie durch die Fenster anderer Läden, hinter dem sich gespenstig wenig tat. Sie waren zwar noch nicht lange in der Stadt, aber bisher waren sie nicht einer Menschenseele begegnet, hatten nicht mal ein Geräusch vernommen, das auf Leben schließen würde.

Kyren nahm noch einmal die Liste zur Hand und las sie eingehender durch. Ihr Blick versteifte sich und fuhr bald enttäuscht zusammen. „Was hast du?“, fragte Shane verwundert. „Wenn es hier keine Menschenseele mehr gibt, haben wir ein Problem. Ich habe nicht die geringste Ahnung wie diese Kräuter überhaupt aussehen, die wir besorgen müssen.“, sagte sie in resignierter Haltung und knüllte das Schriftstück zusammen. Einen Augenblick später ließ sie es zu Boden fallen und lehnte sich enttäuscht mit den Rücken gegen eine Haustür. Das zerknüllte Stückchen Papier fand in Atrix schnell einen neuen Besitzer, doch auch der merkte dass ihre Laune am Tiefpunkt war. „Warum muss immer alles so kompliziert sein … warum kann nicht einmal alles auf Anhieb so ablaufen wie ich es mir vorstelle?“, schimpfte sie betrübt und wuschelte sich durchs Haar. Gedanklich schmunzelte sie, als sie daran dachte das Shane mit seinem Gedächtnis jetzt bestimmt eine Lösung eingefallen wäre. Er schaffte es stets Schwierigkeiten zu überwinden und die Hoffnung nie aufzugeben. Es kam ihr beinah verrückt vor das er es in einer gewissen Art und Weise auch dieses mal tat. „Hm … vielleicht gibt es hier eine Bibliothek. Es gibt bestimmt irgendwo ein Buch das Abbildungen der Kräuter enthält.“, sagte er, sich mit dem Zeigefinger gegen die Wange tippend, sein Blick in Gedanken versunken.

Die Idee erschien ihr logisch und sogar Hoffnungsvoll, da schrie Atrix auf einmal laut auf. „Was … was ist denn?!“, fragte sie leicht erzürnt. „Da … da … da drin hat sich irgendwas bewegt!“, gab er mit zittriger Stimme zurück und deutete in gleicher Art auf eine gegenüberliegende Taverne. Einen Moment lang war sie geneigt es für Einbildung abzutun, als sie es plötzlich selbst sah. „Ein Golem.“, sagte Shane zur Überraschung aller, obwohl er keine bessere Sicht in das Lokal hatte.

„Was … wie … woher willst du das denn wissen?!“, kreischte Atrix panisch, wenig überzeugt von den Worten des Halbelfen. „Es steht am Eingangsschild des Gebäudes.“, erwiderte er und deutet auf ein Schild mit viel sagender Aufschrift. Neugierig beugten sich die beiden Elfen nach vorn und lasen synchron vor. „Barrits Taverne – Golems Inn.“

Von Neugier gepackt entschied man sich das Lokal zu betreten, nicht wissend das man bereits eine ganze Zeit lang beobachtet wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite eines anderen Hausdaches hockte eine dunkle Gestalt im Schutz der Dunkelheit, die sehr genau jede Bewegung der Elfenmagierin beobachtete.
 

Drinnen in der Taverne sah man alsbald die Bestätigung dass ein Golem dort drin hausierte. Er stand beinah regungslos hinter dem Tresen und putzte Gläser und Geschirr. Der Golem war aus Holz gebaut, das jedoch sehr fein geschliffen war. Dadurch wirkte er sehr edel und weniger wie eine Kampfmaschine. Trotzdem maß er etwa 2 Meter an Höhe und war breit gebaut. Er hatte beinah menschliche Finger und wirkte bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Sein Gesicht wirkte hohl und starr, er schien seine Gäste nicht einmal zu bemerken.

An der Wand hinter dem Tresen hingen einige Bilder auf dem der Golem zu sehen war. Auf einigen posierte er mit vermeintlichen Besuchern der Gaststätte, häufiger mit einem einzelnen Mann. Für Shane war es nicht schwer eins und eins zusammen zu rechnen. „Tja, ich würde mal sagen, dieser Golem hier ist so was wie eine Attraktion dieser Taverne hier.“, sagte er während er sich die Bilder in aller Ruhe ansah. Atrix versuchte sich darin dem Golem einige Informationen zu entlocken, doch dieser hielt es nicht einmal für nötig ihm eines Blickes zu würdigen. „Was stimmt mit dem nicht?“, fragte er leicht verstimmt und wedelte mit seiner Hand vor dessen Gesicht herum. „Es ist ein Golem. Man kann ihn auf bestimmte Dinge programmieren, aber er hat keinen eigenen Willen. Er reagiert nur auf die Dinge, die man ihm beigebracht hat. Ich werde versuchen mit einem Zauber seine Programmierung zu ändern. Vielleicht kann er uns ja sagen was hier eigentlich geschehen ist.“, gab Kyren bedächtig von sich und wagte sich mit einem gekonnten Sprung hinter den Tresen. „Ist das nicht gefährlich?“, fragte Shane unsicher. „Nicht für mich.“, meinte sie und zwinkerte ihm zu. Sie wollte gerade ihre Magie wirken, da spürte sie die Hand des Wesens an ihren Kragen. „Niemand darf hinter dem Tresen.“, sagte das Wesen in emotionslosen Ton und setzte Kyren prompt auf einen der Tresenstühle ab. Der Schreck stand den drei Abenteurern einen Augenblick später noch ins Gesicht geschrieben. Verlegen begann sich Kyren am Hinterkopf zu kratzen, wohlwissend das ihre Aktion leichtsinnig gewesen war. „Nur ein kleiner Rückschlag.“, sagte sie, gezwungen kichernd, wogegen ihre Gefährten noch etwas zu brauchen schienen um ihre Nerven wieder zu beruhigen.
 

Schließlich probierte es Kyren ein zweites mal das Wesen mit ihrer Magie zu manipulieren – mit Erfolg. Sie wirbelte mit ihrem Armen während sie ihre Magieströme in den Golem fließen ließ. Ihre Augen waren geschlossen und sie wirkte regelrecht entspannt dabei. Es war als ob sie einen durchsichtigen, Schleier webte, der den Golem langsam umschlang. Nach nicht einmal einer Minute war der Zauber beendet, das Wesen aus Holz hatte nicht einmal gezuckt und die ganze Prozedur ohne Widerstand über sich ergehen lassen.

Kyren lächelte und wand ihren Kopf in Richtung ihrer Freunde. „Wir können ihn nun befragen.“, verkündete sie stolz. Shane setzte sich zu ihr und wagte als erster eine Frage zu stellen. „Was ist hier geschehen? Wo sind all die Bürger der Stadt?“, fragte er ungehemmt drauf los. „Ich nicht wissen. Menschen die kamen um zu trinken, nicht mehr gekommen, Menschen die nach oben gingen um zu schlafen, nie wieder herunter gekommen. Menschen weg nun.“, antwortete er und brachte wenig Aufschluss über den Verbleib der Bewohner. „Wo ist dein Meister?“, wollte Kyren wissen. „Meister sein gegangen. Meister sagen ich aufpassen auf zu Hause bis er zurückkommen.“, tönte es aus Richtung des Golems.

Die Abenteurer wendeten sich beinah desinteressiert ab „Ob er wirklich die Wahrheit sagt? Vielleicht weiß er ja noch mehr?“, mutmaßte Atrix. „Nein, Golems wissen nicht wie man lügt oder was eine Lüge ist. Das ist sehr unwahrscheinlich. Allerdings reicht sein Intellekt auch nicht aus als das er begriffen hat, was hier geschehen ist. Wir tappen weiter im Dunkel.“, entgegnete ihm Kyren rasch, wenn auch etwas enttäuscht über das Resultat ihrer Magie. Shane formulierte derweil eine letzte Frage nachdem seine Gefährtin ihm dafür das passende Stichwort gegeben hatte. „Können wir ein Zimmer haben?“, fragte er höflich. Für diesen Tag sollte es genug sein. Es würde bald dunkel werden und es lag nicht viel Sinn darin sich unnötig in Gefahr zu begeben.
 

Ingesamt standen ihnen acht Zimmer zur Auswahl, doch Atrix versuchte sich mit Kyren ein Zimmer zu teilen. Sie hatte das erst beste gewählt und merkte recht schnell was ihr elfischer Gefährte vorhatte. Dennoch war es Shane der beiden abriet dieses Zimmer zu betreten. Auch er hatte zunächst ein zufälliges Zimmer gewählt, blieb aber dabei die Tür einen Spalt weit zu öffnen. „Nehmt lieber ein anderes Zimmer.“, wies er seine Gefährten an, deren irritierter Gesichtsausdruck schnell verriet, dass sie nicht recht verstanden warum sie das tun sollten.

„Diese Räume haben ein kaputtes Schloss. Sucht lieber einen Raum, den man abschließen kann. Ich will nicht das einer von uns … auch nicht mehr runterkommt.“, erklärte er mit bedächtiger Stimme und einen ebensolchen Blick. Atrix machte sich fix daran ein Zimmer nach dem anderen nach einen unbeschädigten Schloss abzuklappern, auf das er es Kyren anbieten konnte. Sie wusste sich selbst zu helfen und fand das letztendlich einzige Zimmer mit intaktem Schloss. Ihr Herz pochte etwas heftiger als sie realisierte was das bedeutete, so dass sie erst gar nicht mehr vom Türgriff abließ. „Nur ein Zimmer?“, staunte Atrix halb verzweifelt auf ein Stück Stoff beißend. An sich kam ihm das recht, aber nun musste er es auch mit Shane teilen. Das Zimmer bot einen weiteren Nachteil - das darin befindliche Bett bot nur einer Person Platz darauf zu schlafen. Bevor es zu einer Entscheidungsschlacht um die bequemste Schlafmöglichkeit kam, legte Shane die Verteilung fest. „Kyren, du nimmst das Bett, wir lassen uns daneben nieder.“, sagte er mit bestimmenden Tonfall. Kyren wollte widersprechen, doch ihr Erstaunen über seine Entscheidung ließ ihre Stimme schweigen.
 

Die Nacht verlief ruhiger als angenommen, auch wenn es angesichts der Geisterstadt in der man sich nieder gelassen hatte, keine große Verwunderung war. Shanes Träume hielten sich meist friedlich, wenn er überhaupt träumte.

Dieses Mal waren seine Träume jedoch anders als gewohnt. Ein Mädchenlachen durchströmte seine Traumwelt und als er die Augen öffnete fand er sich auf einer endlos grünen Wiese wieder. Die Sonne strahlte und erhellte ein jedermanns Gemüt das von ihren Strahlen getroffen wurde. Das freudige Lachen des Mädchens wurde lauter. Als er sich umdrehte entdeckte er sie, wie sie in der Wiese tollte und ihm immer wieder ein Lächeln schenkte. Ein Baum hinter ihr warf einen kühlenden, wenn gleich verdunkelnden Schatten auf ihr Gesicht. Er konnte weder ihr Gesicht sehen, noch wusste er wer sie war. Dennoch strömte sie eine solch angenehme Wärme aus das er sich zu ihr hingezogen fühlte. Ihm fehlten nur noch wenige Meter um sie zu erreichen, da ließ ihn eine vertraute Stimme abrupt stoppen.

„Eigenartig, nicht wahr?“, tönte es hinter ihm hervor. Die Wiese wurde plötzlich zur Wüste und ein heftiger Wind kam auf. Genauso wie der Wind das Gras hinfort trug, so verschwand mit ihm auch das Mädchen. Shane war wütend, aber auch verwirrt, weil ihm sein schöner Traum genommen worden war. Geblieben war der Mann, der zu ihm gesprochen hatte. Er hatte ihn mittlerweile als Weißen Falken kennen gelernt und sah ihn in seiner üblichen Tracht gekleidet, die Hände lässig in den Hosentaschen versunken. „Was meint Ihr?“, fragte er nach als er bemerkte, dass er die Frage eigentlich gar nicht richtig verstanden hatte.

Er erwartete eine Antwort, doch stattdessen nahm der Meisterdieb einen kleinen Spiegel aus seiner Hosentasche hervor und hielt ihn in seiner rechten Hand. Der Spiegel reflektierte das einfallende Licht so stark das Shane sich geblendet abwenden musste. „Das du noch lebst!“, tönte es in ungewöhnlich schroffen Ton zurück. Es gelang ihm sein Gesicht aus der Blendung zu befreien, doch was er sah, ließ ihn förmlich erstarren. Der Mann in weiß hielt eine Art Waffe auf ihn gerichtet, die von der Bauform her am ehesten einer tragbaren Kanone glich. Er hielt die Waffe oder was immer es war auf die rechte Schulter gestützt, den Lauf auf den Halbelfen gerichtet. Bevor dieser etwas erwidern konnte, drückte sein Gegenüber ab.

Shane sollte nicht mehr erleben was danach geschah, doch der Schmerz der ihm in Traum durchfuhr, verfolgte in selbst bis ins Bewusstsein. Einen Augenblick später war er aus dem Schlaf erwacht, geplagt von starken Schmerzen, die seinen Körper aus der Traumwelt gefolgt waren. Zunächst zweifelte geträumt zu haben, doch das Bild das sich ihm nun bot wirkte realer. Kyren schlief friedlich in ihrem Bett.
 

Er wollte sich bereits wieder zur Ruhe legen, da vernahm er ein eigenartiges Geräusch. Es klang wie ein Stampfen, das vom Flur zu kommen schien. Es war zu leicht für den Golem und zu schwer für einen Menschen. Neugierig richtete er sich auf und lauschte dem näher kommenden Laut. Atrix, der neben ihm schlief, griff im Traum seinen Arm in der Annahme dass er einem hübschen Mädchen gehörte. Shanes versuch sich loszureißen endete damit das er den Elfen weckte. „Hm? Wie? Was?“, murmelte er und versuchte sich neu zu orientieren. Shane deutete ihn an, keinen weiteren Muchs von sich zu geben und als Atrix nur eine Sekunde später ein Geräusch in Türnähe hörte, verstand er auch warum.

Beide waren schlagartig hellwach, während Kyren friedlich weiter schlief. Federleise tasteten sich die beiden bis zur Tür hervor und lauschten in die Nacht. Es war so still geworden, dass es schon fast unheimlicher war wie das Schrittgeräusch von zuvor. Ein unwohles Gefühl durchströmte Atrix, der Shane gestisch anwies doch einmal nachzusehen, wer dort zu solch später Stunde vor der Zimmertür zum stehen gekommen war. Der Halbelf wagte zunächst nur einen zögerlichen Blick durch das Schlüsselloch. Ein Mensch hätte in der Dunkelheit wahrscheinlich nichts erkannt, doch Wesen seiner Rasse, konnten unter diesen Bedingungen noch etwas besser sehen. Er schluckte tief als er dort den Teil einer Gestalt zu erkennen glaubte. „Wer ist es?“, flüsterte Atrix und brach somit die Stille, so dass Shane wieder vom Schlüsselloch abließ. „Ein nackter Mann?“, erwiderte er in fragender Unwissendheit, schlussfolgernd aus dem was er gesehen hatte. Es sollte sich als Fehler heraus stellen, die Stimme zu erheben, denn nur einen Augenblick später durchschlug eine Hand die Holztür und schlang sich um Shanes Hals.

Atrix schrie panisch auf und wich zurück, während sein Gefährte von einer grauen Hand regelrecht durch die Tür gerissen wurde. Kyrens Schlaf war nicht so tief, das all der Krach sie nicht aufschrecken ließ und so war sie die erste, die das Wesen in voller Größe sah, das Shane gerade an sich gerissen hatte. Wenn gleich der Körper der Kreatur beinah menschlich wirkte so war seine Haut doch grau und haarlos. Der Kopf war lang und unförmig, erinnerte am ehesten noch einem deformierten Totenschädel. Der Anblick des Wesens ließ sie erschaudern, doch dieses Gefühl wich rasch als sie ihren Gefährten in Gefahr sah.

Dieser gab sich recht verbissen und legte seine ganze Kraft gegen das Geschöpf um es mit sich durch die gegenüberliegende Zimmertür zu reißen. Unter der Wucht des Aufpralls brach auch die zweite Tür an diesem Abend in Stücke. Der Schauplatz hatte sich auf das Gästezimmer gegenüber verlegt, was die Situation aber nicht merklich entspannte. Shane war es zwar gelungen sich aus den Fängen des Wesens zu lösen, doch das Glück war ihm an diesem Abend nicht hold. Der Boden auf dem er gelandet war, offenbarte sich als zu alt und brüchig um sein geringes Gewicht zu halten. Kaum aus seiner misslichen Lage befreit stürzte er unter dem nachgebenden Boden in das Erdgeschoss. „Shane!“, rief Kyren besorgt und sprang auf. Die Kreatur blieb auf ihrer Etage zurück und raffte sich bereits wieder auf.

Die junge Elfenmagierin zögerte nicht der Existenz dieses liderlichen Wesens ein Ende setzen zu wollen und schleuderte ihn einen Feuerzauber entgegen. Die magische Kugel explodierte beim Aufprall auf der grauen Haut des Monsters und katapultierte es mit einer heftigen Explosion aus dem Gasthaus heraus. Atrix stellte mit erschrecken fest das der Zauber beinah das ganze Zimmer zersprengt hatte, aber zumindest war die Gefahr gebannt. „Was … was war das?!“, fragte er mit zittriger Stimme. „Ich bin mir nicht sicher. Komm – lass uns nach Shane sehen.“, erwiderte sie mit ernstem Blick.
 

Unten angekommen, sah man Shane unter Trümmern liegen, jedoch gerade dabei sich wieder aufzuraffen. „Shane! Alles in Ordnung?“, rief seine herbeieilende Gefährtin und half ihm auf. „Ja, es geht schon. Ich fühl mich als wäre ich durch die Decke gefallen.“, erwiderte er mit leicht schmerzverzerrten Gesicht, behielt sich aber eine Priese Humor bei. Während der Golem hinter den Tresen bereits einen Besen suchte um die Unordnung zu beseitigen, schien Atrix bereits mit dem nächsten Übel konfrontiert zu sein. Mit zittriger Hand deutete er nach draußen, denn was er dort sah, ließ ihn ahnen das es noch lange nicht vorbei war. „Freunde … seht doch.“, sagte er mit nervöser Stimme und lenkte somit die Aufmerksamkeit der beiden auf die zahlreichen Gestalten, die vor der Taverne bereit standen. Sie unterschieden sich zwar in der Größe, glichen aber im Aussehen dem Wesen, das man gerade bekämpft hatte. Die Augen der Abenteurer weiteten sich als man feststellte, dass man komplett umzingelt war. „Das ist nicht gut, oder?“, fragte Atrix mit Bangen Blick zu seinen Freunden. „Das sind Bodaks, nicht wahr?“, merkte Shane an, ohne auf die Frage einzugehen. Kyren war etwas überrascht das ihr amnesiegeschwächter Mitstreiter diese Kreaturen identifizieren konnte, aber es gab ihr Hoffnung das sein Unterbewusstsein wichtige Erinnerungen behalten hatte. „Was ist ein Bodak?!“, wollte Atrix wissen, hoffend das man aus der folgenden Erklärung eine Schwäche des Wesens herauslesen konnte.

„Ich bin mir nicht sicher. Ein Wesen das durch eine Berührung des absolut Bösen zerstört wurde. Es sind Untote … aber es waren mal Menschen.“, gab Shane bedächtig zurück, wohl selbst überrascht darüber woher er dieses Wissen hatte. Das allein reichte Kyren aber bereits um selbstsicher nach draußen zu laufen um sich den Scharen von Bodaks entgegen zu stellen. „Warte! Wenn du ihnen zu nahe kommst, verwandeln sie dich in einen von ihnen!“, rief Shane ihr besorgt nach. Kyren schenkte ihm ein Lächeln ohne einen Hauch von Zweifel oder Furcht, ganz so, als war sie sich ihrer Sache sehr sicher. „Wenn sie Untot sind, vertragen sie bestimmt kein Sonnenlicht!“, führte sie, draußen angekommen, als Erklärung an.

Ohne zu zögern beschwor die Elfenmagierin einen Flächenzauber herbei, der die Nacht für diese Wesen zum hellsten Tage machen sollte. „Sonnenfeuer!“, rief sie laut aus und vollendete somit ihre Magie, die wie ein flammendes Inferno auf den Bodaks niederging. Eine helle Kugel aus Magie hatte sich in nach oben ausgestreckten Händen der Elfin gebildet und ließ die Gegend um sie herum Taghell und noch heller erscheinen. Schlagartig finden die Bodaks Feuer und schrieen ihre Pein laut heraus.

Für einen Moment wirkte Kyren schon wie der Sieger, doch etwas durchschlug ihre magische Kugel und löste sie damit auf. Das Licht erlosch schlagartig und die Bodaks waren noch einmal mit leichten Verbrennungen davon gekommen. „Was?!“, gaben Shane und Atrix erstaunt von sich. Auch Kyren schien nicht recht zu verstehen was passiert war, hatte aber bemerkt wie ein Zauber ihren Zauber durchschlagen und somit gestoppt hatte. „Was war das?“, fragte sie verwundert, während ihre Gefährten nach draußen zu ihr eilten.
 

Die Bodaks waren nun klar im Vorteil, aber sie griffen nicht an. Stattdessen begannen sie eine Art rhythmischen Gesang und ihre huldigende Haltung ließ darauf schließen dass sie jemand anbeteten. „Onegato, Onegato!“, tönte es immer wieder aus ihren Reihen, in einer Art und Weise das es fast einer Beschwörungsformel gleich kam. Aus ihren Reihen trat plötzlich eine Gestalt hervor, die sich von den Bodaks unterschied. Es handelte sich um einen Mann, der sich an einen Zauberstecken stütze. Er humpelte und ging auch mit recht krummer Rückenhaltung. Das Mondlicht erhellte bald schon sein bleiches Gesicht, wie auch seine rot-bräunliche Tracht, die einer abgetragenen Magierrobe glich.

„Ihr wagt es meine Lieblinge anzugreifen?! Wer seid ihr?!“, fragte der Mann, der mit Sicherheit nicht mehr im Reich der Lebenden wandelte. „Wir sind Reisende! Diese Kreaturen haben uns angriffen!“, erwiderte Kyren mutig. „Dann seid ihr keine Götter?!“, wollte der Fremde wissen. Die drei Abenteurer sahen sich einen Moment ratlos an. Keiner wusste so recht, wie man auf solch eine Frage antworten sollte. „Eh … nein.“, sagte Shane schließlich. „Dann sterbt!“, schrie der Mann und befahl seinen Dienern mit einer Geste den Angriff.

Kaum war der Befehl ausgesprochen huschte ein Schatten über die drei Gefährten hinweg und landete hinter dem seltsamen Mann. Es bedurfte nur zwei gezielter Schwerthiebe um diesen zu Boden zu bringen. Der erste durchtrennte eines seiner Beine, der zweite den Schädel vom Kopf.

„Los Kyren – noch einmal deine Magie!“, befahl der Retter, der soeben ins Geschehen eingeschritten war und Kyren folgte ihm bedingungslos. Abermals beschwor sie ihre Magie und dieses mal wurde sie nicht unterbrochen. Die vielen Bodaks gingen in Flammen auf und zerfielen zu Asche. Das Spektakel dauerte nicht lange, aber es reichte um die Kreaturen zu besiegen.
 

Schließlich offenbarte sich der Fremdling, der zu Hilfe geeilt war. Kyren war froh ein bekanntes Gesicht zu sehen als er sich ihnen zuwendete. „Nigel!“, rief sie erfreut, während dieser sein Schwert wieder wegsteckte. „Was machst du denn hier?“, wollte sie wissen. Nigel lächelte vergnügt, ein Lächeln das ihn jegliche Bedrohlichkeit nahm. „Ich habe euch beobachtet. Tut mir Leid das ich nicht früher zu Hilfe gekommen bin, aber jeder Kontakt mit euch untersteht einen gewissen Risiko.“, erklärte er sich und trat näher.

Shane war sichtlich verwirrt, hoffte darauf dass der junge Mann mit dem Zopf nicht eine vertraute Gestalt aus seiner Vergangenheit war. Er war sich sicher den Namen des Mannes bereits einmal gehört zu haben und erinnerte sich an das was ihn Kyren bei ihren ersten aufeinander treffen erzählt hatte. Nigel beruhigte ihn mit einem freundlichen Blick, fast so als konnte er seine Gedanken lesen.

„Es freut mich das Kyren dich gefunden hat, Shane. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir sind uns vorher noch nie begegnet. Mein Name ist übrigens Nigel.“, sagte er mit freundlichen Ton und reichte ihm die Hand. Shane erwiderte die Geste, fühlte sich aber etwas unwohl dabei, dass ein Fremder so viel von ihm zu wissen schien.

Trotz des freudigen Wiedersehens stießen die Umstände bei Atrix auf Besorgnis. „Wer war dieser seltsame Mann?! Was geht hier vor?!“, fragte er etwas aufgebracht und erhielt eine nüchterne Antwort. „Dieser Mann hieß Onegato. Bis vor kurzem war er ein hochrangiges Mitglied der Roten Magier von Thay und ein herausragender Hexenmeister. Ashton Scu’l hat jedoch seit kurzem die Kontrolle über die Roten Magier übernommen und fast alle aus dem hohen Rat getötet. Einige von Ihnen hat er als Untote oder Dämonen wieder belebt und in die Welt hinaus geschickt, auf das sie Chaos und Verderben verbreiten.“, erklärte Nigel bereitwillig. Die Abenteurer nahmen seine Aussage beunruhigt zur Kenntnis, wenn gleich es noch viel mehr zu erzählen gab.

„Dann will er die Welt mit den Überresten der mächtigsten Männer von Thay unterwerfen?“, fragte Atrix neugierig. „Nein!“, widersprach Nigel streng. „Er will sich selbst profilieren. Indem er die Welt von derartigen Plagen befreit, will er das Vertrauen der Menschen gewinnen.“, ergänzte er. So perfide es klang, so unglaublich wirkte es auch. „Was genau hat Ashton vor?“, fragte Kyren verwirrt.

„Totale Kontrolle, die Unterwerfung der gesamten Welt, ohne Rücksicht auf Verluste. Wenn er es schafft die Menschen davon zu überzeugen dass er ihr Erretter ist, wird man ihm willig folgen und sein Handeln nicht in Frage stellen. Nur sehr wenige wissen, dass er für die meisten der Plagen verantwortlich ist, die Toril heimsuchen werden. Ashton wird Mittel und Wege finden, diese Welt systematisch nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Das darf nicht geschehen!“, erzählte er mit düsteren Blick. „Ja, du scheinst sehr viel zu wissen. Vielleicht sollten wir uns zusammen tun und …“, setzte Shane an, bevor er ihm das Wort entriss. „Nein! Ich kann leider nicht bei euch bleiben. Das würde alles in Gefahr bringen. Ich habe Grund zur Annahme dass mir etwas gefolgt ist, etwas das mich beobachtet und meinen Plan gefährdet Ashton zu stoppen. Wenn es wir uns zu früh zusammen tun wird es ein leichtes sein mich zu durchschauen.“, gab er mit strengen Blick zurück. Er schien regelrecht verängstigt, beinah paranoid, wenn gleich er die Gefahr nicht konkretisierte, die ihm folgte. Shane zeigte Verständnis und zog es vor keinen Einwand zu erheben.

„Ich muss nun los. Aber bevor ich gehe, möchte ich euch noch etwas geben.“, sagte er und nahm einen kleinen Beutel unter seiner Tracht hervor. „Hier, ich glaube das sind die Kräuter, die ihr für die Mixtur braucht.“, erklärte er und drückte den Beutel in die Hände des sichtlich verblüfften Halbelfen. Kyren kam nicht einmal dazu ihm zu danken, so schnell machte er sich bereits wieder auf den Weg.

„Warte – ich habe noch so viele Fragen.“, rief sie, doch er wank schnell ab, ohne sich ihr zuzuwenden. „Zu gegebener Zeit … zu gegebener Zeit.“, erwiderte er lediglich und verschwand im Dunkel der Nacht.

Kyren wirkte ratlos und unwissend, denn so blieb ihr nur ein Gefühl, dass ihr sagte was es mit dem jungen Menschen auf sich hatte.
 

Tags darauf, in Kenton angekommen, strahlte ihr Gesicht bereits wieder als der Inhaber des Alchemieladens ihr mit Hilfe der Zutaten einen Trank braute, der Shanes Gedächtnis wieder herstellen sollte. Er hatte kaum den Korken auf das kleine Fläschchen mit der frisch gebrauten Flüssigkeit gesteckt, da riss sie es ihm schon aus der Hand. „Vielen Dank für Ihre Mühe.“, sagte sie und verbeugte sich höflich.

Shane und Atrix warteten bereits vor dem Geschäft auf sie. Eine Bank lud dank des schönen Wetters zum Sonnenbaden ein. Keiner der beiden wusste mit Sicherheit wie oft man dieser Tage noch Gelegenheit dazu haben würde, denn die friedliche Idylle war trügerisch, wenn man wusste dass sie nicht von Dauer sein könnte.

Kyren strahlte über beide Ohren als sie voller Stolz den Trank präsentierte und ihn Shane reichte. „Hier, das wird dir sicher helfen.“, sagte sie und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Er wirkte noch etwas unsicher, bedacht darauf was wohl passieren würde, wenn er die lila schimmernde Flüssigkeit erst einmal schlucken würde. Vielleicht gab es Nebenwirkungen von denen er nichts wusste, doch jeden Moment den er zögerte, machte seine beiden Gefährten nur noch ungeduldiger.

Vorsichtig nahm er den Korken aus dem Fläschchen und führte sie zu seinem Lippen, seinen Kopf leicht nach hinten neigend, damit der Trank mit dem furchtbaren Geschmack schnell über seine Zunge hinunter fließen lassen konnte. Kurz bevor der erste Tropfen seine Lippen berühren konnte, stoppte er auf einmal abrupt. Seine leichte Kopfneigung ließ eine Gestalt in sein Blickfeld geraten, die ihn sehr genau vom Dach eines Hauses aus beobachtete. Der Mann in Weiß tat nicht viel um seine Position geheim zu halten, ganz so als wollte er entdeckt werden. Shane setzte das Behältnis ab, bevor auch nur ein Schluck in seinen Rachen fließen konnte und fixierte sich voll und ganz auf den Mann, der sich ihm bereits als Weißer Falke offenbart hatte. „Stimmt etwas nicht?“, frage Kyren mit besorgter Miene.

„Seht …“, sagte er und wies seinen Gefährten mit einen Fingerzeig an, wen er gesichtet hatte. Irritation breitete sich in den Gesichtern den Abenteurer aus als in diesen Moment nichts mehr an besagter Stelle zu sehen war.

Kyren zweifelte und warf einen Blick auf Shane. Dieser wirkte selbst etwas verunsichert, fragte sich womöglich ob er halluzinieren würde. „Ich … ich weiß nicht was du gesehen hast, aber ich denke du solltest den Trank zu dir nehmen.“, gab sie schließlich mit zögerlicher Stimme von sich und deutete auf das kleine Fläschchen. Shane erinnerte sich an seinen Traum und irgendetwas sagte ihn, dass der Mann in Weiß mehr wusste als er preisgab und das er in irgendeiner Verbindung zu ihm stand. Nur war es ihm bisher nicht möglich hinter das Geheimnis des Diebes zu sehen.

Schließlich nickte Shane und trank die Flüssigkeit mit einen Zug aus. Seine Mimik verriet dass sie furchtbar bitter geschmeckt haben musste. „Und … kannst du dich … erinnern?“, fragte Atrix vorsichtig. Shanes Miene verkrampfte als er sich zu erinnern versuchte. So sehr er sich auch konzentrierte, so sehr er sich auch mühte, sein bisheriges Leben blieb schwarz. Eigenartige Bilder füllten seine inneren Augen, Bilder, die er aus seinen Träumen kannte. Der Mann in Weiß stellte sich klar und deutlich in seiner Erinnerung dar. Er schien zu lächeln, doch nach einen kurzen Blinzeln, richtete er dieselbe Apparatur auf ihn, wie zuvor in seinen Träumen. Grelles Licht blendete ihn und Schmerz ereilte durchfuhr seinen Körper, die seine Vision schließlich enden ließ. Shane legte seine Hände an seinen Kopf und versank auf seinen Schoß. „Ich … ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nicht was mit mir passiert ist!“, schluchzte er, teils vor Verzweiflung, teils vor Schmerzen. Alles was er wusste war das der Meisterdieb ihm die Antworten geben konnte, die er suchte und niemand anderes.
 

Kyrens Miene verschwand im Schatten als sie feststellte dass der Trank nicht gewirkt hatte. Sie hatte so sehr gehofft, dass am Ende dieses Tages wieder alles so wie früher sein würde, doch in letzter Zeit ereilten sie nur Enttäuschungen. Es fiel ihr schwer ihren Kummer zu unterdrücken und trotzdem rang sie sich für Shane ein Lächeln heraus. „Das macht nichts. Du brauchst keine Erinnerungen um jemand besonderes zu sein.“, sagte sie und nahm seine rechte Hand. Shane blickte auf und es schien so als ob ihre Berührung eine heilende Wirkung auf ihn hatte. Für einen Moment empfand er seine Vergangenheit als weniger wichtig, so lange er das Lächeln dieser hübschen Elfe bewundern konnte.

Atrix verstand nicht wirklich was zwischen seinen beiden Gefährten vorging und kratzte sich unwissend am Hinterkopf. „Wirklich seltsam … dann war ja alles umsonst gewesen.“, dachte er laut vor sich hin, rückblickend auf die mühsame Kräutersuche.
 

Eine altvertraute Gestalt hielt sich derweil hinter einer Häuserecke versteckt, seinen Blick auf Kyren fixiert. Einen Moment später war der Mann, den sie unter den Namen John Doyle kannten, zwischen den Bewohnern der Stadt verschwunden …

Folge 95: Der Schatten der Nacht

[Folge 4: Der Schatten der Nacht]
 

Rückblick:

Dunkle Wolken zogen über einen entlegenen Landstrich Faerûns. Ein rauer Wind zog auf und wehte das lichte Gras am Boden hin und her. Obwohl es Tag war, wurde es alsbald so finster wie die Nacht. Die Luft elektrisierte sich regelrecht und Blitze schossen über einen kleineren Bereich des Bodens hinweg. Beinah unmerklich nahm die Intensität der Blitze zu, wenn gleich diese sich auf eine kleinere Fläche inmitten der Landschaft beschränkte. Bald schon wiederholten sie sich so schnell dass sie einen Käfig aus Energie erschufen, gefolgt von einer kleinen Explosion, die den umliegenden Radius verkohlen ließ.

Dort wo zuvor noch das merkwürdige Phänomen gewütet hatte, kniete nun ein junger Mann. Vorsichtig richtete sich der Mensch auf. Er wirkte noch etwas unsicher auf den Beinen, doch diese Schwierigkeiten blieben nicht von Dauer. Ein fades Licht ließ seine Konturen erklaren. Sein mächtiges Schwert blitze hervor, wenn gleich es ihm an einer ebenwürdigen Tracht fehlte. Sein geflochtener Zopf wehte im Wind, während er sich zu orientieren begann. Er wusste, selbst wenn alles geklappt hatte, würde er nicht mehr viel Zeit haben. Bald schon würde er sich der Elfenprinzessin Kyren Cyrissean als Nigel Kerrigan vorstellen …
 

Folge 4: Der Schatten der Nacht
 

Ein schummriges Licht füllte einen Raum, ausgehend von einem kleinen, hellblauen Kristall, den eine Gestalt in ihren Händen hielt. Stille beherrschte das Szenario als auf einmal eine verzerrte Stimme aus dem leuchtenden Objekt trat. „Er ist also hier. Und Kyren ist bei ihm.“, resümierte die Stimme. „Ja. Wie soll ich vorgehen?“, bestätigte der Mann, der den Kristall hielt, nüchtern. „Findet heraus was sie vorhaben und tötet das Mädchen. Sorgt dafür das Shane nichts passiert. Bedenkt aber, dass er Kyren vermutlich beschützen wird, solltet Ihr sie angreifen. Tut was immer nötig ist.“, wies die Stimme ihn an. Kaum war das letzte Wort gesprochen erlosch das Licht des Kristalls und legte den Raum in völliger Dunkelheit. Die Finsternis war nicht von Dauer als zwei stechend rote Augen sich im Gesicht der Gestalt auftaten. „Wie Ihr wünscht …“, dachte er laut vor sich hin.
 

Kyren hatte sich ein Zimmer in Kenton genommen und über Nacht geblieben. Ihre Unterkunft war beschaulich, frei von Luxus, doch mit allen was man als Gast benötigte ausgestattet. Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages hatten sie geweckt. Sie war darauf bedacht möglichst früh aufzustehen, nachdem sie am Vortag eine interessante Bekanntschaft gemacht hatte.

Zu gut erinnerte sich wie auf einmal ein Luftschiff über Kenton erschienen war als man abreisen wollte. An Bord war eine Gruppe von erfahrenen Abenteurern. Es waren anständige und ehrenhafte Leute, die ihre Vorräte auffrischen wollten und mal wieder festen Boden unter den Füßen brauchten. Ihr Anführer hieß Rommath, ein Mensch und ein bekannter Held zugleich. Sie verstanden sich mehr als Schatzsucher statt als Abenteurer, waren aber bereit Kyren und ihre Freunde ein Stück mitzunehmen. Ihr Luftschiff wirkte beinah außerirdisch, aber Rommath erzählte das er es den Githyanki abgenommen hatten, einer Rasse, die sich hin und wieder in ihre Ebene verirrte. Alles klang nach einem viel versprechenden Abenteuer, doch Kyren seufzte innerlich als sie auf ihrem Bett saß und ihren zweiten Schuh anzog.

Gerade noch in Gedanken versunken, schrak sie plötzlich auf als sie auf einmal eine zweite Präsenz in ihrem Zimmer zu spüren glaubte. Ein Blick zur Zimmertür bestätigte ihre Annahme nicht länger allein zu sein. Der Junge, der dort lässig gelehnt an der Tür stand, schmunzelte dreist. Überrascht und auch ein wenig beängstigt erhob sie sich von ihren Bett. Sie hatte den Jungen noch nicht vergessen, aber nicht damit gerechnet ihn noch einmal wieder zu sehen. „Wie lange …“, setzte sie atemlos an, ihre Arme schützend vor ihren bekleideten Körper haltend. „Zu meinem bedauern erst ein paar Sekunden.“, erwiderte der Junge schmunzelnd, den sie als Zun kennen gelernt hatte. Er näherte sich ein paar Schritt, ließ seine Hände dabei lässig in seinen Hosentaschen gesteckt. Kyren war erleichtert dass sie sich nicht in Blöße vor ihm gezeigt hatte, wenn gleich ihr der Eindruck kam, dass er nicht deswegen gekommen war. Sie entspannte ihre Haltung wieder, atmete befreit aus.

„Wie bist du hier rein gekommen und was machst du hier?“, fragte sie verwundert. Zun warf einen Blick auf ihren Handschuh an ihrer rechten Hand. „Ich habe doch gesagt dass ich Euch überall finden kann. Natürlich bin ich nicht ohne Grund gekommen. Wie ich festgestellt habe, habt Ihr Shane gefunden. Eine höchst glückliche Fügung für Euch, nehme ich an.“, sagte er und wirkte mit einem durchdringenden Blick auf sie ein.

„Ja, wie du siehst bin ich nicht länger auf deine Hilfe angewiesen.“, bestätigte sie entschlossen. „Ich habe mir gedacht dass Ihr so etwas sagen würdet, aber leider irrt Ihr Euch. Ihr braucht meine Hilfe mehr denn je. Was Euch euer Freund Nigel nicht zu sagen vermochte, kann ich Euch beantworten. Vielleicht ist es Euch nicht ganz klar geworden, aber ich habe nicht zu meiner persönlichen Belustigung nach dem Tarraske suchen lassen. Auch mir geht es um nichts anderes als die Vernichtung von Ashton Scu’l.“, erklärte er bereitwillig. Kyren erschrak, denn als Zun von der Vernichtung des Magiers sprach verfinsterte sich dessen Gesicht beinah dämonisch tief. „Aber …“, setzte sie an, bevor ihr der Junge das Wort nahm. „Ich sehe dass Ihr nun ziellos seid, nachdem Ihr gefunden habt wonach Ihr gesucht habt, aber damit darf Eure Reise nicht enden. Wenn Ihr auf diesen Nigel hört, werdet ihr Ashton nicht stoppen können. Die Plagen, die Faerûn nun heimsuchen sind nur ein kleines Vorspiel. Er versucht Zeit zu schinden, Zeit die er braucht um den Tarraske und das Artefakt zu finden, das ihn aufspüren und kontrollieren kann. Wenn Ihr nichts unternehmt, werdet Ihr nicht lange Freude an euren Wiedersehen haben.“, gab Zun mit Nachdruck von sich.

Kyren wirkte verunsichert. Und dennoch - obwohl Zun zu den zwielichtigsten Gestalten gehörte, die sie kannte, glaubte sie dass es besser war auf ihn zu hören, anstatt die Taktik von Nigel einzuschlagen. „Begebt euch auf das Schiff der Reisenden und begleitet sie nach Riatavin.“, wies Zun die Elfe an. „Wieso gerade nach Riatavin?“, fragte sie erstaunt. „Weil einige Leute dort angeblich den Tarraske in der Nähe der Stadt gesehen haben wollen.“, erklärte er mit selbstsicheren Blick, bevor sich abwendete und das Zimmer verließ. Wann immer Zun ging, so hinterließ er bei Kyren ein ungutes Gefühl und mehr Fragen als Antworten. Nur über eine Sache glaubte sie Gewissheit zu haben – Zun war kein einfaches Kind.
 

Etwas später waren die drei Gefährten Abreisebereit und verließen ihre Unterkunft gemeinsam Richtung Luftschiff. Unterwegs traf man Crewmitglieder, die Kisten und Säcke in Richtung Schiff transportierten. Es galt Vorräte aufzufrischen, denn eine lange Reise stand den Schatzjägern bevor. Rommath selbst stand vor dem Schiff und notierte welche Waren in welche Menge aufgeladen waren. Er war ein recht edel gekleideter Mann, dessen Erfolge bei der Schatzsuche bereits durch den bloßen Anblick seiner Tracht deutlich wurden. Er trug einen langen, dunkelroten Mantel, der an den Rändern mit mystischen Zeichen versehen waren. Offenbar lag eine Magie darauf. Ein mächtiges Breitschwert ragte aus seiner Schwerthalterung am Rücken hervor. Sein Vollbart war ähnlich wuschig wie sein dunkelbraunes Haar. Alles in allem nahm man ihn als nahbare Persönlichkeit wahr.

Er nahm recht schnell Notiz von den herbeikommenden Abenteurern und begrüßte sie mit einer kurzen Handgeste. „Hallo werter Rommath.“, begrüßte Kyren ihn höflich mit erwidernder Geste. „Ich erinnere mich an euch. Wir sind uns bereits einmal gestern begegnet. Was führt euch zu mir?“, gab er freundlich zurück und musterte die Abenteurer oberflächlich. „Wir wollten fragen ob Ihr zufällig nach Riatavin reist.“, sagte Kyren mit hoffnungsvollen Blick. Rommath begann zu Schmunzeln und wog den Platz der Drei mit seinem Luftschiff ab. „Ja, zufällig reisen wir dort vorbei. Darf ich annehmen das ihr mit uns reisen wollt?“, erwiderte er. „Ja, wenn es Euch genehm ist.“, meinte die Elfin nickend. „Nun ja, Ihr seid nicht die Ersten die angefragt haben. Aber mein Schiff ist groß genug für euch. Wenn ihr bezahlt, seid herzlich willkommen.“, erwiderte er nach kurzem Bedenken. „Oh wirklich? Vielen Dank!“, gab Kyren aufgeregt zurück und verbeugte sich.
 

Das Luftschiff sah von der Nähe aus betrachtet noch viel beeindruckender aus als aus der Ferne. Ein angenehmer Schauer glitt über Kyrens Rücken als sie mit ihren Gefährten die Rampe zum Deck betrat. Sie spürte dass das Schiff schon sehr alt sein musste und unendlich viele Geschichten zu erzählen hatte. Es lag ein ganz besonderer Glanz auf diesem Gefährt und selbst der Boden des Decks schien ihr zu heilig um ihn zu betreten. Rommath schien ein paar Umbauten am Schiff vorgenommen zu haben, denn am Deck angelangt versprühte es nur wenig Flair der Githyanki. Statt zackigen Kanten und unförmigen Masten, wirkte alles sehr nach einem normalen Segelschiff. „Wow!“, sagte Shane gebannt, der sich kaum satt sehen konnte. Nur einen Augenblick später wurde er aus dem Staunen gerissen als eine Mädchenstimme aufgeregt seinen Namen rief. „Hey! Shane! Bist du das?!“, rief ein Mädchen das ungefähr in Shanes Alter war und lief winkend auf ihn zu. Sie hatte mittellanges, schwarzes Haar und trug recht sommerliche Kleidung. Ein einfaches, helles Top, kurze, dunkle Stoffhosen und ein paar Lederstiefel stellten die wesentlichen Bestandteile ihrer Tracht dar. Dennoch wirkte er eher verunsichert als erfreut das Mädchen zu sehen das ihn kurz darauf überglücklich in die Arme schloss. Kyren wirkte beinah erschrocken über die herzliche Reaktion des Mädchens, wie auch über ihre prächtige Oberweite die sie an Shanes Körper presste. „Was denn? Erkennst du mich nicht mehr? Ich bin es – Judy!“, meinte sie, etwas überrascht über seine Reaktion. Atrix verlor sich derweil in der knappen Tracht der jungen Dame und dazu passender unanständiger Fantasien.

„E-es tut mir Leid. Ich … ich leide unter Amnesie. Kennen wir uns?“, versuchte sich der Halbelf zu erklären. Judy schien dieses Problem nur kurz zu bedrücken, denn davon wollte sie sich nicht die gute Stimmung verderben lassen. „Oh, das ist ja schlimm. Wie ist das denn passiert? Aber weißt du - das macht nichts. Es ist auch eine Weile her seitdem wir uns das letzte mal gesehen haben. Ich bin Judy, deine Cousine … die Tochter von Imoen.“, entgegnete sie ihm freundlich und legte ein bezauberndes Lächeln auf. Shane errötete etwas und kratze sich verlegen am Hinterkopf. „Ich weiß nicht einmal wer Imoen ist.“, gab er nervös zurück. Kyren staunte dass sogar sie mehr wusste als ihr Gefährte und klärte ihn sogleich darüber auf. „Imoen war auch eine von Bhaals Kindern. Sie hat mit deinem Vater und deiner Mutter Seite an Seite gekämpft und mit ihnen zusammen zahllose Abenteurer bestritten. Sie gilt als eine der herausragendsten Diebinnen in ganz Faerûn.“, erzählte sie mit wissenden Blick. „Meine Eltern … waren Abenteurer? Ich sehe … ich muss noch viel aufholen.“, meinte Shane mit recht hilfloser Miene. Judy zögerte nicht lange und griff sich seine rechte Hand.

„Mach dir mal keine Sorgen. Mit mir in der Nähe wird dir bestimmt alles wieder einfallen.“, sagte sie, hoffend dass es ihn wieder etwas aufmuntern würde. „Ja, vielleicht hast du recht.“, wirkte er verschwitzt entgegen.

„Sag, wer sind deine Freunde? Und was machst du auf diesem Schiff hier?“, fragte sie neugierig nach. „Oh, das hier sind Kyren und Atrix. Wir sind auf der Suche nach einem Artefakt mit dem wir den Tarraske finden können.“, erzählte er. Judy erschrak vor Erstaunen, die Augen geweitet. „Den Tarraske? Ist das nicht ein ’bisschen’ gefährlich?“, hakte sie nach, wissend was für ein Wesen der Tarraske war. Kyren nutzte die Gelegenheit um ihr Vorhaben etwas genauer zu erklären. „Nicht so gefährlich wie das Unheil, das die Welt bedroht.“, entgegnete sie mit ernsten Blick. „Ein Unheil?“, wunderte sich das Mädchen. „Ein thayischer Magier Namens Ashton Scu’l sucht ebenfalls nach dieser Kreatur. Und wenn wir ihm nicht zuvor kommen und den Tarraske irgendwie unschädlich machen können, steht uns schlimmeres bevor.“, fuhr sie mit ähnlicher Stimmlage wie zuvor fort. „Ohhh … klingt wie ein großartiges Abenteuer!“, meinte Judy gebannt und begeistert zugleich, was Kyren glatt zu Boden riss. So viel Naivität hatte sie von ihr nicht erwartet.
 

Riatavin war eine weit verzweigte Stadt, ähnlich wie Atkatla in Amn. Es gab verschiedene Stadtviertel und damit auch verschiedene Gruppierungen die sich um die einzelnen Gebiete stritten. All dies geschah jedoch stets unter dem wachsamen Auge der Harfner, einer Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Frieden in Faerûn zu wahren. Kaum ein Bürger wusste wer ein Mitglied der Harfner war, sofern man es nicht offen zugab. In städtischen Gebieten wie Riatavin war dies jedoch eher die Ausnahme. Trotzdem war es Gerrard gelungen das geheime Hauptgebäude der Harfner aufzuspüren. Geduldig wartete er nahe dem Haupteingang, lässig an eine Straßenlaterne gelehnt. Es war schon Abend und noch hatte niemand das Haus verlassen. Ein Umhang mit hohem Kragensatz verhüllte seine untere Gesichtshälfte, ledergeschnürte Kleidung zierte seinen Körper. Knappes, schwarzes Haar, spross aus seinem Schopf hervor und veränderte damit sein ursprüngliches Aussehen so, das ihn niemand wieder erkannte.

In seiner Vergangenheit hatte er sich viele Feinde gemacht und er war darauf aus sich nicht in unnötige Streitereien zu verstricken. Endlich trat eine Gestalt aus dem unscheinbaren Gebäude hervor. Gerade zu desinteressiert ließ er den Mann mit der Robe an sich vorbei gehen, bevor er es schließlich wagte ihn anzusprechen. „Man sagt die Harfner wissen immer und zu jeder Zeit was im Land vor sich geht.“, meinte er zwanglos. Der Mann mit dem Priesterstab stoppte abrupt und wendete sich dem Vampir an der Laterne zu. Gerrard war es vorher gar nicht aufgefallen, doch dieser Mensch trug eine Augenbinde, wie sie nur bei Blinden gebräuchlich war. „Ah, Gerrard Deckard. Dann stimmt es also das Ihr von den Toten auferstanden seid.“, tönte der Mann frech aber freundlich zurück und gab damit zugleich eine Antwort auf die Frage. Dieser wirkte sichtlich überrascht, glaubte er doch seine Maskerade wäre undurchschaubar. Es schien als ob der Blinde durch sein Äußeres hindurch sehen konnte und noch viel mehr. „Seid nicht so überrascht. Glaubt Ihr ein Blinder würde etwas anderes sehen als Euer wahres Ich?“, sagte der Mönch schmunzelnd. „Wie …?“, staunte Gerrard, kam aber nicht dazu seine Frage zu vollenden.

„Sicher erwartet man von einem Blinden nicht dass er Dinge ’sieht’, aber manchmal ist es auch gar nicht nötig, wo mir doch so viele andere Sinne zur Verfügung stehen. Ich weiß warum Ihr hier seid. Ich kann es in Euren Gedanken lesen, aber lasst Euch gleich sagen, dass ihr umsonst gekommen seid. Nichts was Ihr zu tun versucht, wird etwas am Schicksal dieser Welt ändern. Ashton ist ein beinah gottgleicher Magier – wie glaubt Ihr dagegen ankommen zu können?“, tönte der Mann mit der Augenbinde nüchtern hervor.

„Wer … wer seid Ihr?“, fragte sein gegenüber geschockt über so viel Wissen. „Man nennt mich Jarod - Jarod Underwood.“, erwiderte er freundlich und reichte ihm die Hand. Der Vampir sah davon ab die Geste zu erwidern, viel mehr jedoch weil auch er ein Geheimnis des Mannes zu erahnen schien. „Ihr seid kein Mensch, habe ich Recht?“, fragte er gezielt nach, was Jarod aber nur ein weiteres Schmunzeln entlockte. „Ist Euch eine ehrliche Antwort Euer Leben wert? Warum fragt Ihr nicht einfach was Ihr wissen wollt und belasst es dabei?“, gab der Mönch übertrieben charmant zurück. Gerrards Blick verfinsterte sich. Er hatte die Drohung durchaus erkannt, war jedoch gewillt diesen Vorschlag anzunehmen.
 

Eine schier endlose Wiesenlandschaft breitete sich vor Shane aus. Eine angenehme Priese fuhr durch sein Haar und wärmende Sonnenstrahlen fielen auf seine Haut. Der Himmel war im kristallklaren Blau gehalten und es gab nur wenig was dieses Paradies noch schöner gestalten hätte können. Das Lachen eines Mädchen hallte hinter ihm auf, doch als er sich umdrehte blickte er in das Visier einer merkwürdigen Waffe, die der Weiße Falke gegen ihn gerichtet hielt. Die Augen des Halbelfen weiteten sich und noch bevor er ein Wort sagen konnte drückte er ab. Ein grelles Licht schoss aus der Waffe heraus, ohne das er eine Chance hatte auszuweichen.

Ein panischer Aufschrei schreckte Shane aus seinen Träumen, riss ihn zurück in die Wirklichkeit wo er sich den Kopf am Etagenbett über ihn stieß und gleich wieder zurück fiel. Grummelnd legte er seine rechte Hand auf seine rechte Stirn und orientierte sich neu. Es war ihm zunächst entfallen, dass er sich der Kajüte eines Luftschiffes befand. Hier hatte er für die Nacht ein Bett genommen, das ihn Kapitän Rommath zur Verfügung gestellt hatte. Er bemerkte das hektische Treiben außerhalb seiner kleinen Kabine und entschloss sich ebenfalls auf den Flur zu begeben um zu sehen was geschehen war. Als er die Zimmertür öffnete und herauslugte, entdeckte er eine junge Schiffsmaid, die zusammengesackt, einige Zimmer links vom ihm, im Flur vor sich hin wimmerte. Zwei Männer der Schiffsbesatzung waren ihr zur Hilfe geeilt, konnten aber auch nicht mehr verhindern, dass einer von der Besatzung Tod im Zimmer vor der Schiffsmaid lag. Die Leiche war regelrecht durchsiebt und das Zimmer voller Blut.

Aus dem Zimmer neben Shane kamen nun auch Kyren und Judy hervor um nach dem Rechten zu sehen. Ratlos blickten sich die Gefährten an. Nur Atrix schlief tief und fest im Bett, jenes unter dem Shane genächtigt hatte.

Einen Augenblick später stieß auch Kapitän Rommath zum Geschehen hinzu. Selbst im Schlafanzug war er noch immer eine einnehme Erscheinung. Er machte sich höchstpersönlich ein Bild von dem was geschehen war und zog einen der Besatzung zu sich heran. „Was ist hier geschehen?!“, fragte er erzürnt vom Anblick des niedergemetzelten Mannschaftsmitglieds. „Wir wissen es nicht. Alissa hat ihn genauso vorgefunden.“, antwortete einer der Männer eingeschüchtert. „Das ist inakzeptabel! Noch nie, noch nie seitdem ich dieses Schiff leite, gab es hier einen Mord! Ich will das die Besatzung an Deck zusammengetrommelt wird!“, fauchte Rommath aufgebracht und ließ von ihn ab. „Aye!“, erwiderte dieser rasch und wies sofort einige Männer an, sich um die Ausführung des Befehls zu kümmern. Shane erschrak als Rommath sich ihn und seinen Gefährten zuwendete. Mit skeptischem Blick musterte er jeden einzelnen von ihnen. „Zieht euch was an und meldet euch an Deck.“, meinte er, vergleichsweise freundlich.
 

Es regnete, doch dies hinderte Rommath nicht die komplette Besatzung dort zu versammeln. Bis auf den Verstorbenen wurde niemand vermisst. Man stand vor einem Rätsel, denn bis auf Magie war keine Waffe bekannt, die einen Menschen so zurichten konnte.

Wie ein General marschierte Rommath in strömenden Regen vor der versammelten Menge auf und ab. „Für alle die nicht wissen warum ich sie bei diesem Wetter an Deck gebeten habe, fasse ich es noch einmal zusammen.“, begann er mit ernstem Blick. „Heute Nacht gab es einen Mord – den ersten hier an Bord seitdem ich Kapitän dieses Schiffes bin. Ich dulde derartiges Verhalten nicht und verurteile es aufs härteste! Da niemand fehlt, befindet sich der Täter noch an Board. Die Wunden am Toten lassen mich darauf schließen, dass er irgendeiner Magie zum Opfer gefallen ist. Dennoch steht jeder hier an Board unter Verdacht das Verbrechen begangen zu haben. Selbstmord ist auf jeden Fall auszuschließen. Sollte jemand hier und jetzt sein Verbrechen gestehen wollen, versichere ich ihm ein anständiges Gerichtsverfahren in Riatavin. Ihr wisst dass ich ein Mann bin, der sein Wort hält. Derjenige der dieses abscheuliche Verbrechen begangen hat, möge nun bitte vortreten!“, fuhr er fort und kam schließlich zum stehen. Aufmerksam sah er in die Gesichter der Besatzung, konnte dort aber keine Schuld oder Sünde feststellen. Interessiert blickten Kyren und Shane durch die Menge, während Atrix ermüdend gähnte. Niemand trat hervor, was Rommath zu härteren Maßnahmen greifen ließ.

„Da niemand das Verbrechen gestehen will, werde ich in Anwesenheit vom ersten Maat nun eine genaue Untersuchung des Falls einleiten. Das heißt ich werde jeden Einzelnen hier an Board befragen und nach eigenen ermessen über ihn richten. Der Täter sollte wissen, das er nicht auf die Gnade eines Gerichts hoffen kann.“, sagte er und wendete sich dem ersten Maat zu.
 

Während Rommath die Details besprach, traten Kyren und ihre Gefährten zusammen. „Was denkt ihr?“, fragte sie vorsichtig im Flüsterton. „Na ja, ich weiß das ich es nicht war.“, grummelte Atrix, der sich trotz Regencape ziemlich am Regen störte. „Vielleicht sollten wir selbst Nachforschungen anstellen.“, schlug Judy vor, was bei Shane aber nur auf wenig Begeisterung stieß. „Nein, ich glaube, damit würden wir uns nur verdächtig machen. Ich schätze Rommath ist ein guter Mann. Er wird den Täter sicher bald finden. Es sind noch drei Tage bis Riatavin und nur etwa zwanzig Mann an Board. Bis dahin ist der Täter sicher gefunden.“, meinte er zuversichtlich.
 

Einige Stunden später saßen sie auf einer Bank vor der Kapitänskajüte und warteten darauf einzeln vernommen zu werden. Keiner von ihnen wirkte nervös. Dennoch war die Stimmung bedrückt, da man als Gastreisender natürlich unter besonders kritischem Auge betrachtet wurde.

Kyren, die neben Shane saß, fiel auf das dieser tief in Gedanken versunken war und stupste ihn mit dem Ellenbogen an. „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie besorgt und schenkte ihm ein warmes Lächeln. Er erschrak regelrecht und rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Nein, es geht mir gut. Ich glaube, ich brauche nur etwas frische Luft. Am besten ich gehe kurz an Deck. Ruft mich, wenn ich dran bin.“, antwortete er recht hektisch. „Wie … wie du meinst.“, antwortete sie zögerlich. Sie fühlte sich beinah schuldig ihn überhaupt angesprochen zu haben und fuhr etwas in sich zusammen, die Hände zu Fäusten, auf die Beine gepresst. Bevor sie auch nur einen weiteren Gedanken zu Ende führen konnte, war Shane schon aufgestanden und hinter der Treppe zum Deck verschwunden. „Seltsam – was hat er nur?“, fragte sich Atrix und traf damit genau ihren Gedanken. Kyren seufzte - ein Versuch die Sorgen zu unterdrücken, die sie sich machte.
 

Einen Moment später wurde Judy hereingebeten. Es dauerte kaum mehr als fünf Minuten da durfte sie das Zimmer bereits wieder verlassen und Atrix hineinbitten. Ein Daumengeste und ihr breites Grinsen deuteten bereits darauf hin das es gut für sie gelaufen war und sie nicht länger unter Verdacht stand.

Sie hatte gemerkt das Kyren etwas bedrückte, hoffte in einem Gespräch von Frau zu Frau, das sie sich ihr öffnen würde. „Du wirkst auf mich nicht gerade wie ein unbekümmertes Mädchen …“, begann sie und setzte ein aufheiterndes Lächeln auf. Kyren wank jedoch schnell ab und versuchte ebenfalls wieder etwas besser gelaunt drein zu blicken. „Ach was, ich bin nur müde.“, widersprach sie schwitzend. „Ich wette du willst wissen was mit Shane ist, nicht wahr?“, gab sie stichelnd zurück, was die Elfe etwas erröten ließ. „Nein! Ich meine … ich hoffe nur das er nichts mit dem Mord zu tun hatte.“, meinte sie recht aufgeregt. „Traust du ihm denn so etwas zu?“, fragte Judy erstaunt. „Nein, natürlich nicht. Es ist dumm von mir, ich weiß. Aber schließlich kann er sich nicht mehr an seine Vergangenheit erinnern und … und …“, antwortete sie in beinah weinerlichen Tonfall, bevor ihr die Stimme versagte. „Vielleicht sollte ich nach ihm sehen und ihn einfach mal fragen?“, schlug Judy in ihrer typischen dreisten Art vor.
 

Derweil stand Shane an Deck und genoss die Abendluft. Es hatte aufgehört zu regnen und in ein paar Stunden würde sicher auch die Sonne wieder aufgehen. Er lehnte über einem Geländer an der Ostseite des Schiffes und sah ziellos ins Dunkel hinaus. So viele Fragen gingen durch seinen Kopf, doch vor allem ging ihm Kyrens Lächeln nicht aus dem Kopf. Sie hielt zu ihm und munterte ihn auf, selbst nachdem der Trank nicht gewirkt hatte. Er wusste nicht warum, aber in letzter Zeit musste er immer öfter an sie denken und dennoch fehlte ihn der Mut es auszusprechen. Manchmal, wenn er die Augen schloss, sah er ihr Lächeln und nicht eine beruhigende Schwärze. Er seufzte innerlich und hoffe dass sich das Gefühl wieder legen würde, das in ihn aufgestiegen war als er neben ihr sitzen durfte.
 

Als Atrix etwas später aus dem Verhörraum hinaus kam hörte man plötzlich einen Aufschrei durch das Schiff hallen. Überrascht sprang Kyren auf und versuchte den Laut zu lokalisieren. Judy, die kurz zuvor noch auf den Weg zu Shane gewesen war, kam die Treppe hinab gelaufen. Auch sie hatte den Aufschrei gehört und deutete an nach oben zu gehen. „Es kam vom Deck! Schnell!“, rief sie aufgeregt. Rommath kam im selben Moment aus dem Zimmer gelaufen und eilte in Richtung Treppe.

Oben an Deck angekommen war zunächst nichts Ungewöhnliches zusehen, doch einer der Mannschaftsmitglieder am Bug des Schiffes wank den Kapitän mit einer Fackel zu sich herbei. „Hier her!“, rief er aufgeregt, hoffend das Leben seines Kameraden noch retten zu können. Als Rommath mit Kyren, Judy und Atrix eintraf, wurde schnell klar, dass man zu spät war. Fast Zeitgleich stieß Shane hinzu und erschrak beim Anblick des Maats, dessen Torso ein riesiges Loch zierte.

„Was ist geschehen?!“, fragte Rommath aufgebracht. „Ich war ganz normal auf Patrouillengang als ich auf ihn gestoßen bin. Ich schwöre – ich war das nicht!“, gab der Mann verängstigt zurück. „Schon gut, ich glaube Euch.“, wirkte er ihn beruhigend entgegen. Kyren fiel etwas am Toten auf und hoffte ihre Entdeckung würde zur Lösung des Falles beitragen. „Das Blut an der Wunde ist noch frisch. Es muss gerade erst geschehen sein. Der Täter kann nicht weit gekommen sein.“

Rommath dachte kurz nach, versuchte einen Zusammenhang zwischen den Morden herzustellen und die Bemerkung der Elfe mit in die Täteranalyse einfließen zu lassen. Vorsichtig kniete er sich zur Leiche nieder und untersuchte dessen Lage. Er kannte den Mann, doch fragte er sich, wieso er dessen Leiche am Bug fand. Er hatte ihn zur Wache am anderen Eck des Decks eingeteilt. Seine Körperhaltung gab nur wenig Aufschluss darüber wie er gestorben war, dennoch war erstaunlich wenig Blut am Fundort für die Größe seiner Wunde.

„Ich will dass alle, die sich an Deck aufgehalten haben, verhört werden! Jedes Geräusch, alles was ungewöhnlich war, soll notiert werden! Das ganze Schiff soll durchsucht werden. Möglicherweise haben wir es auch mit einem blinden Passagier zu tun.“, sagte Rommath mit entschlossener Stimme und wendete sich von der Leiche ab. „Aye, Kapitän!“, erwiderte der Maat und salutierte.
 

Kyren hatte sich nicht getraut daran zu denken oder es auszusprechen, aber nachdem Rommath gegangen war, wagte sie es Shane zu fragen. „Hast du etwas gesehen oder gehört, Shane?“, erkundigte sie sich vorsichtig. „Nein … ich … ich … da war nur ein seltsames Geräusch und ein paar Sekunden später hat ihn der Mann entdeckt.“, antwortete er nervös. Er wusste wie schlecht es um ihn stand, wo er doch an Deck gewesen war, während es passierte. Judy haute sich wütend auf die Handfläche ihrer rechten Hand. „Verdammt, wäre ich doch nur etwas früher losgegangen, dann hätte ich dir ein Alibi geben können.“, rügte sie sich selbst.
 

Die Untersuchungen dauerten noch den ganzen folgenden Tag an. Es stellte sich heraus, das mit dem Toten nur 4 weitere Personen nachweislich an Deck gewesen waren. Neben Shane waren der Mann, der die Leiche gefunden hatte, der Maat am Steuer und ein Navigator Anwesend gewesen. Judy selbst bezeugte dass niemand die Treppe hinab gelaufen kam und somit eine weitere Person ausgeschlossen wurde. Eine große Menge Blut wurde nahe den Hauptmasten gefunden, nur unweit von Shanes Position an diesen Abend entfernt.

Gerade weil er ein Fremder, ein Halbelf und ohne Alibi war, wurde er besonders hart vernommen. Kyren wartete geduldig vor dem Verhörraum, selbst nachdem Judy und Atrix sich die Beine vertreten gingen, weil es ganze sechs Stunden dauerte, bis man ihn wieder hinaus ließ.

Shane wirkte müde als er den Raum verließ. Er war nicht in Handschellen oder anderweitig gefesselt, was darauf hin deutete das er fürs Erste entlastet war. Erfreut sprang Kyren von der Bank und eilte zu ihm. „Wie ist es gelaufen, Shane?“, fragte sie mit leuchtenden Augen. „Ich habe ihnen alles erzählt was ich wusste. Mein Glück war wohl das ich der Magie nicht mächtig bin – daher fehlt mir die Tatwaffe.“, erzählte er und fand sich sogleich in einer kurzen Umarmung wieder. „Ich bin so froh!“, sagte sie erleichtert. Shane reagierte beinah so als wäre er in Gips gebettet, wusste nicht mit so viel Herzlichkeit umzugehen. „Ich … ich glaube ich werde mich jetzt etwas hinlegen.“, sagte er, nachdem sie wieder von ihm abgelassen hatte. „Mhm, das wird sicher das Beste sein. Diese ganze Reise ist viel anstrengender als wir gedacht hätten.“, stimmte sie guter Dinge zu.

Einen Moment lang war sie geneigt ihm zu folgen, doch als sie sah, wie müde er durch den Gang trottete glaubte sie, das es besser war ihn eine Zeit lang allein zu lassen. Eine Patrouille, bestehend aus den engsten Vertrauten streifte seinen Weg und beäugte ihn misstrauisch. Offiziell suchten die beiden Männer nach einem blinden Passagier, doch hinter vorgehaltener Hand stand für viele Shane als Schuldiger fest. Fest entschlossen ballte Kyren ihre Hand zur Faust, gewillt den Täter selbst zu finden und ihrem Freund aus seiner misslichen Lage hinaus zu helfen.

Sie hoffe das die beiden Tatorte noch ein paar Hinweise auf den Täter hinterlassen hatten, die bisher übersehen wurden waren. Eiligst machte sie sich daran, das Deck genauer zu untersuchen.
 

Oben an Deck schien alles normal. Nichts deutete auf einen Kampf oder etwas anderes ungewöhnliches Ereignis hin. Noch einmal ging sie zu der Stelle an der das letzte Opfer gefunden wurde. Sie erinnerte sich an die gewaltige und zugleich tödliche Verletzung, die den Torso des Mannes geziert hatte. Es hatte so ausgesehen als hätte man ihn aus kürzester Distanz eine Kanonenkugel durch Oberkörper gejagt. Zu ihrem erstaunen fand sie kaum Blut am Fundort der Leiche. Ungewöhnlich, in Anbetracht der Größe der Wunde.

Einen Kanonenschuss hätte man sicher gehört, aber auch das wirken von Magie ging normalerweise nicht lautlos von statten. Kyren kniete sich zur der Fundfläche an Deck nieder und tastete sie vorsichtig ab. Sie spürte, wusste beinah dass etwas nicht zusammen passte, konnte es aber nicht in Worte fassen.

Es war ihr klar, das dieser Ort, nicht der Ort des Verbrechens war. Unter diesen Aspekt betrachtet ergab es für sie kaum Sinn warum jemand die Leiche an diesen Ort gebracht haben könnte, wo sie doch relativ leicht gefunden werden würde. Kyren erschrak innerlich als sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

„Außer der Mann sollte gefunden werden …“, wisperte sie leise vor sich hin. Nicht leise genug für Judy jedoch, die sich von hinten heran geschlichen hatte. „Oder weil der Ort des Verbrechens Aufschluss über die Identität des Täters geben würde.“, ergänzte sie mit ruhiger Stimme, die Arme vor der Brust verschränkt haltend.

Etwas überrascht von der unerwarteten Gesellschaft, riss ihr Gedankengang ab. Verwundert drehte sie sich zu Judy um und sah zu ihr auf. „Glaubst du das Shane etwas damit zu tun hat?“, fragte sie besorgt.

„So wie ich ihn kenne, würde ich das nicht glauben wollen. Dennoch … er hat sein Gedächtnis verloren und niemand kennt den Grund dafür oder weiß was mit ihm geschehen ist.“, erwiderte sie nachdenklich, gen Himmel schauend. Kyren war verunsichert, versuchte es sich aber nicht anmerken zu lassen.
 

Die weiteren Untersuchungen des Tages brachten keine neuen Erkenntnisse. Obwohl man das ganze Schiff mehrfach nach blinden Passagieren abgesucht hatte, war man nicht fündig geworden. Shane schien derweil inoffiziell unter Arrest zu stehen, denn zwei von Rommaths Mannschaft überwachten beinah jeden Schritt den er tat. Kurz vor Sonnenuntergang rief er noch einmal die gesamte Besatzung an Deck um die Ergebnisse seiner Untersuchung mitzuteilen. Rommath drängte darauf auch Shane an Deck zu bringen, der die meiste Zeit des Tages in seiner Kabine verbrachte. Judy salutierte kurz und machte damit auf sich aufmerksam. „Wenn Ihr erlaubt, werter Rommath, werde ich ihn holen gehen.“, sagte sie mit demütiger Stimme.

Rommath nickte zustimmend und verwies darauf dass sich jeder ohne Ausnahme an Deck einzufinden hatte. Das Schiff war nicht so groß und die Besatzung nicht so zahlreich das man Stundenlang auf den letzten warten musste. Dennoch verzögerte sich die Versammlung, da man bis zuletzt voller Ungeduld auf Shanes Eintreffen warten musste. Einen Augenblick später schallte ein Schrei durch das Schiff und jeder an Bord ahnte schon was vorgefallen war. „Das war Judy!“, rief Atrix besorgt, der mit weit aufgerissenen Augen neben Kyren stand. Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten liefen die beiden zu Shanes Kabine, dicht gefolgt von Rommath und einigen aufgebrachten Mannschaftsmitgliedern. Zu ihrer Erleichterung fanden Sie Judy lebend vor, doch das Bild das sich ihnen bot war weit weniger erfreulich.

Nur wenige Meter vor Shanes Kabine lagen die Leichen von Shanes Beaufsichtigern. Der ganze Flur war mit Blut übersäht, die Organe der Opfer regelrecht zerfetzt in der Gegend verstreut. Ein intensives Rütteln an Shanes Tür ließ Kyren aufschrecken. Selbst Rommath stockte der Atem, nicht wissend was dort hinter der Tür lauerte. Schließlich durchbrach Shane mit einiger Wucht die Holztür von innen heraus und prallte zugleich gegen die Schiffswand. Ein jeder von Rommaths Leuten erschrak, doch die Furcht wich schnell dem Hass. Shane wirkte einen Moment desorientiert und als er merkte was sich vor seiner Kajütentür vorfand, wurde er sehr bleich im Gesicht. „Shane! Was ist hier passiert?!“, fragte Kyren aufgeregt. „Ich … ich weiß es nicht. Ich habe geschlafen.“, antwortete er mit zittriger Stimme, geschockt vom Anblick der sich ihm auftat.

Rommath war weniger höflich und stieß seine Gefährten einfach beiseite. „Jetzt reicht’s! Du wirst dafür büßen!“, brüllte er aufgebracht. Es schien so als wollte er dem Halbelfen an die Gurgel gehen, doch ein beherzter Griff von Judy an seine Tracht, hielt ihn zurück. „Er war es nicht.“, sagte sie leise, ihr Haupt zum Boden gerichtet. „Was?!“, gab Rommath erstaunt von sich und wendete sich dem wimmernden Mädchen zu.

„Ich … ich habe den Täter … dieses Wesen gesehen.“, erklärte sie leicht verängstigt. Das Gesicht des Kapitäns nahm eine sehr überraschte Mimik an. Es schien so als wusste er gar nicht was er sagen sollte.

„Es war eine Kreatur, mit Klauen und Pranken. Es war beharrt … ich … ich glaube ein Werwolf.“, sagte sie und präzisierte was sie gesehen hatte. Rommaths Blick wanderte zwischen Shane und Judy hin und her, doch schlussendlich war er gewillt dem Mädchen zu glauben.

„Wo ist er hin?!“, fragte er mit drängender Stimme, worauf sie ihn auf den vor ihm liegenden Gang verwies. „Also gut, Männer! Irgendwo auf diesem Schiff gibt es ein Versteck, das wir noch nicht kennen! Sucht alles ab! Ich will das dieses Vieh gefunden wird das meine Männer niedermetzelt!“, befahl er und der Rest seiner Mannschaft, war entschlossen dem folge zu leisten. Rommaths finsterer Blick wanderte schließlich über Kyren und ihre Gefährten. „Und ihr geht in eure Kabinen … und bleibt da!“, ergänzte er im gleichen Ton. Es war klar dass jedes Widerwort zu ungeahnten Konsequenzen geführt hätte und so machte man sich rasch zurück in die Zimmer.
 

Judy trabte relativ behäbig in ihr Zimmer, gefolgt von Kyren, die hinter ihr die Tür verschloss. Ein bedächtiger Blick huschte über ihr Gesicht, bevor sie sich rückends an die Tür lehnte, ganz so als wollte sie sicher gehen dass nichts hinein oder heraus konnte. „Du hast gelogen, nicht wahr?“, fragte sie ihre Gefährtin mit ernstem Blick. Judy hatte gerade auf dem Bett platz genommen und sah verwundert zu ihr auf. „Wie? Was meinst du?“, erwiderte sie in entsprechender Tonlage. „Das mit dem Monster. Du hast gelogen um Shane zu schützen, ist es nicht so? Es gibt diese Kreatur doch gar nicht.“, präzisierte die Elfe.

„Woher willst du das denn wissen?“, meinte Judy erstaunt. „Was immer du beschrieben hast, es hätte nicht solche Verletzungen verursacht.“, erklärte sie selbstsicher. Judy rang sich ein Schmunzeln heraus und gestand schließlich. „Ja, du hast Recht. Ich kann einfach nicht glauben das er dahinter stecken soll Ich bin mir sicher das es ihn jemand anhängen will.“, sagte sie und legte sich aufs Bett. „Auch wenn du gelogen hast – ich danke dir, dass du das für Shane tust.“, entgegnete sie ihr mit freundlichen Blick und ließ von der Tür ab.
 

Judys Lüge sollte unentdeckt bleiben und so suchte die Mannschaft vergeblich bis in die tiefste Nacht, nach der Kreatur. Rommath saß noch sehr lange an seinem Schreibtisch in seinem Quartier und grübelte über den Berichten, hoffend das er einen Hinweis fand, den er bisher übersehen hatte. Alles was geschehen war, ergab in der Summe keinen Sinn. „Es fehlt das Motiv.“, murmelte er vor sich hin und warf einen Blick auf die Kerze in seiner kleinen Tischlampe.

Er hatte nicht gemerkt dass es schon spät geworden und sein Raum fast völlig in Dunkelheit versunken war. Fast jeder an Board schlief mittlerweile tief und fest und immerhin war nun schon seit ein paar Stunden wieder Ruhe im Schiff eingekehrt.

Plötzlich öffnete sich die Tür zu seinem Quartier und jemand trat ungefragt ein. Für einen Moment glaubte er in den Schatten der Dunkelheit eine junge Frau zu sehen, doch als die Gestalt ins Licht trat offenbarte sich ihm ein Mann, den Kyren mit dem Namen John Doyle zu benennen wusste. „Wer … seid Ihr?“, fragte Rommath irritiert und stand auf. Johns Miene zeigte ein leichtes Schmunzeln und als er den Arm erhob, ahnte der stolze Kapitän noch nicht was folgen würde. „Das ist nun nicht länger von Bedeutung für Euch.“, antwortete John und richtete seinen Zeigefinger auf ihn. Innerhalb eines Wimpernschlages formte sich der Finger zu blanken Metall und stieß wie eine Lanze durch den Schädel des Kapitäns. Sein Leib zuckte noch, teils vor Schock, teils auf Grund der Tatsache das sein Gehirn durchbohrt wurden war. Ebenso schnell wie sich Johns Finger in scharfes Metall umgewandelt und an Länge gewonnen hatte, kehrte er auch wieder zu seinem Ursprungszustand zurück. Rommath war bereits tot und sein lebloser Körper fiel vom Tisch schließlich zu Boden.

„Da waren es nur noch sechs.“, dachte John amüsiert vor sich hin und strich gedanklich einen Namen auf Ashtons Liste durch. Mit einem niederträchtigen Grinsen im Gesicht wendete er sich vom Schreibtisch des Kapitäns ab und verschwand in den Schatten gen Richtung Tür. So wie er im Dunkel verschwunden war, ging der Raum in Flammen auf, ein Feuer das schon bald das ganze Schiff erfassen sollte.
 

Etwas später fand sich Kyren wieder auf festen Boden wieder. Effektreste ihres Teleportationszaubers verschwanden und gaben die Sicht auf ihre Gefährten frei. Sie wirkte erleichtert, aber auch ein wenig erschöpft. Atrix und Shane husteten noch recht eifrig, waren aber genau wie Judy unverletzt. Am Himmel sah man einen glühenden Feuerball langsam Richtung Boden sinken, mit dem traurigen Gewissen das man nicht alle an Board hatte retten können. „Seid ihr in Ordnung?“, fragte Kyren noch einmal nach. „Ja, irgendwie schon.“, ächzte Atrix. „Dank dir.“, ergänzte Shane, noch immer etwas schockiert über das was geschehen war. Judy starrte noch eine ganze Weile auf das brennende Himmelsschiff, bevor sie sich schließlich Kyren zuwendete.

„Unglaublich – wir wären beinah bei lebendigem Leibe verbrannt. Nur gut das ich das Feuer rechtzeitig bemerkt hatte. Es tut mir so Leid um die vielen Menschen an Board. Wir können nur hoffen dass das Böse mit in den Flammen verschwindet.“, merkte sie betroffen an. In dieser Nacht war ein Stückchen Fröhlichkeit aus ihrem Gesicht gewichen.

Folge 96: Überwesen sucht Held

[Folge 5: Überwesen sucht Held]
 

Die Gegend um Riatavin war als ein sehr ruhiger Ort bekannt, doch diese Ruhe sollte in diesem Tagen von vier wagemutigen Abenteurern gestört werden. Der Klageschrei eines Lindwurms hallte aus einer Höhle in die angrenzenden Wälder hinaus. Kyrens Miene war erfreut als das drachenartige Wesen schließlich zu Boden ging und der letzte Flügelschlag der Kreatur geschlagen war. Es war Shane der triumphierend sein Schwert aus dem Kopf der Bestie zog, der für einen Lindwurm ungewöhnlich groß war. Es war nicht der Tarraske, aber dennoch eine Plage weniger, die diese Lande heimsuchte. Erleichtert ließ Atrix vom Schwanz der Kreatur ab, wenn gleich der Körper dieses Wesens ohnehin wie ein einziger Reptilienschwanz mit kleinen Ärmchen wirkte.

Judy lief herbei und bejubelte die Gemeinschaftsarbeit ihrer Gefährten. „Das war super!“, rief sie begeistert, worauf ihr Shane breit grinsend den rechten Daumen entgegen streckte.
 

Folge 5: Überwesen sucht Held
 

In Riatavin war an diesen Tag eine Festlichkeit einberufen. Überall prangten Banner deren Schriftzüge die vier Helden priesen, welche den grausamen Lindwurm erledigt hatten. Die ganze Stadt feierte, denn schon viel zu lange hatte die Kreatur Vieh und Kinder gerissen.

Im Haus Andil, eines reichen Adligen der Stadt wurde dem Empfangssaal zum Ballsaal umgebaut. Viele hundert Gäste kamen und nahmen Trank und Speis zu sich, während eine kleine Gruppe von Barden für festliche Musik sorgte. Einige Lieder handelten von den Heldentaten, andere von Riativin und anderen Legenden.

Lord Andil war ein einflussreicher und mächtiger Mann in der Stadt. Er hatte eine fürstliche Summe als Belohnung für den Kopf des Lindwurms ausgesetzt, nachdem sein einziger Sohn von diesen Wyrm angegriffen wurde. Für Shane und seine Begleiter war es die Gelegenheit wieder etwas Geld in die leere Reisekasse zu bringen und den Ruf der Gruppe wieder ins rechte Licht zu rücken.
 

Etwas nervös vor der bevorstehenden Ehrung rückte Shane noch einmal seine Kleidung zurecht und musterte sich kritisch im Spiegel. Ein Teil des Geldes hatte man in Festtagskleidung investiert, nachdem Lord Andil darauf bestanden hatte, eine Feier zu ihren Ehren zu veranstalten. Als Abenteurer war man nicht unbedingt mit angebrachter Tracht ausgestattet, doch die Belohnung für den Tod des Lindwurms glich das wieder aus. Wie auch Atrix hatte sich Shane einen Anzug zugelegt, bestehend aus einem weißen Hemd mit langen Ärmel, die sich am Ende aufplusterten, und einer edlen, schwarzen Weste, die mit goldenen Stickereien verziert war. Atrix wählte die gleiche Kleidung, lediglich in rot-weiß gehalten. Der Elf schien es regelrecht zu genießen wieder in adliger Umgebung zu sein und wollte gar nicht mehr weg.

„Wir sollten langsam los. Lord Andil hat um Anwesenheit bei seiner Rede gebeten.“, meinte Shane mit Blick auf die Wanduhr im Zimmer. Eilig sprang Atrix vom Bett auf und machte sich daran der Bitte des Lords folge zu leisten. Bevor Shane das Zimmer verließ warf er noch einmal einen Blick auf seine Habseeligkeiten und schloss die Tür schließlich von außen ab.
 

Gespannt sah Atrix zur Tür des nächsten Zimmers. Er ließ es sich nicht nehmen seine beiden Gefährtinnen an die Feier zu erinnern. Wie ein Pirscher schlich er sich an die Tür heran und lauschte einen Moment lang.

„Was macht ihr da?!“, rief auf einmal eine weibliche Stimme empört vom Flur her. Shane lief einen Moment lang schuldbewusst eine Gänsehaut den Rücken hinunter, obwohl er gar nichts gemacht hatte. Wie vom Blitz getroffen ließ Atrix von der Tür ab und stolperte Rückwärts zu Boden.

Eine Mischung aus Erleichterung und Unzufriedenheit stellte sich in seinem Gesicht ein als er sah das es Kyren war die ihn erwischt hatte. Atrix wirkte etwas enttäuscht über ihre Tracht, während Shane Schwierigkeiten bekam auch nur ein Wort zu sagen. Sie hatte sich mit einer langen, weißen, ärmelfreien Robe gekleidet, mit Kapuze und allerlei elfischer Verzierungen. Alles war aus feinster Seide oder einem ähnlichen Material, wie es nur von Elfenvölkern verwendet wurde. Für Shane war es fast so als ob er einen Engel sah. Atrix hingegen schmollte, weil er erhofft hatte etwas mehr zu sehen.

Sein Durst nach holder Weiblichkeit wurde jedoch alsbald von Judy gestillt, die vom Aufschrei Ihrer Gefährtin neugierig aus dem Zimmer trat um zu sehen was geschehen war. Hektisch brachte sie noch einen kleinen, dezenten Ohrring an, der kaum vermochte von ihrer Tracht abzulenken.

Judy hatte ein rotes Kleid gewählt, dessen Dokolleté sogar Kyren noch die Röte in die Wangen trieb, so sehr, wie es ihre Oberweite betonte und präsentierte. Ihr Kleid war im Beinbereich an der Seite aufgeschnitten was die Fortbewegung in den recht engen Kleidungsstück vereinfachen sollte. Atrix schwelgte in den schmutzigsten Fantasien, doch Judy entschied sich ihre Aufmerksamkeit auf Shane zu konzentrieren. „Findest du es zu gewagt, lieber Shane?“, fragte sie kichernd und drehte sich kurz im Kreis.

Am Rande eines Ohnmachtsanfalls war es schwer ein paar Worte zu finden, die das Niveau von Atrix’ anzüglichen Blicken übertrafen. Es war Kyren, die ihm die Antwort schließlich abnahm. „Judy! Wir gehen auf eine Festlichkeit des Hofes, nicht zur einer Verabredung mit deinen Traummann!“, mahnte sie die hübsche Menschendame, die Hände empört gegen die Hüften gestemmt. Judy trat ihr prompt gegenüber und hob ihren Zeigefinger an. „Wer weiß, vielleicht lässt sich ja beides kombinieren.“, meinte sie belustigt und ging voraus. Kyren zeigte sich wenig begeistert und senkte resignierend den Kopf.
 

Mit Applaus wurden die Abenteurer in der großen Festhalle empfangen. Es war ein großes Bankett errichtet und ein herbeieilender Diener verwiesen die jungen Abenteurer vornehm auf ihre Plätze. Viele Bewohner der Stadt hatten sich hier versammelt, vorzugsweise die der gehobenen Schicht. Es wurde viel geboten. Musik, Tanz und Unterhaltung war durch einige ausgezeichnete Barden sichergestellt. Der Saal war vergleichsweise riesig und in weißen Marmor gehalten. Große Fenster und Türen, verzierte Säulen und verschnörkelte Treppenstufen trugen zum Glanz des Ambientes bei.

Nachdem Kyren und die anderen Platz genommen hatten, erwog der Bürgermeister ein paar Worte an die feiernde Masse zu richten und klimperte mit einem Löffel gegen sein Weinglas.

Seine Rede sollte nicht lang werden, was jedoch nicht daran lag das er wenig zu sagen hatte, denn schon nach ein paar Worten wurde er von einen unerwarteten Ereignis unterbrochen. Ein seltsames Rauschen hallte durch den Saal und Augenblicke später lösten sich Kyren, Atrix und Shane in blendend weißem Licht auf. Nur Judy blieb zurück und starrte ungläubig auf die Plätze neben sich, die wenige Sekunden zuvor noch mit ihren Gefährten besetzt waren. Ein jeder Blick war folglich auf sie gerichtet, doch mehr als gute Miene zum bösen Spiel konnte auch sie nicht machen, wusste sie doch selbst nicht was passiert war.
 

Als Kyren die Augen wieder öffnete und das blendende Licht um sie herum verschwand, fand sie sich auf einmal in einem seltsamen Gebäude wieder. Es gab keine Fenster und Türen, nur einen Kristall an der Decke, der hell erleuchtet war. Darunter befand sich ein Podest mit einer Art Thronstuhl, dessen Lehne ein wenig wie eine Art Tür aussah. Gut ein dutzend Stufen führten von diesem Podest hinunter auf einen schmalen Steg, der den einzigen Übergang zu ihrer Position markierte, während anderweitig ein tiefer, finsterer Abgrund wartete.

Die Wände schienen metallischer Natur. Sie hatte bisher noch nichts Vergleichbares gesehen.

Kyren realisierte langsam das sie nicht allein in dieser kreisrunden Halle war. Shane und Atrix standen neben ihr und schienen das Szenario auf dieselbe Art und Weise zu verinnerlichen wie sie. Ein weiterreichender Blick eröffnete ihr dass sich gut zwanzig weitere Gestalten an diesen Ort befanden. Manche schienen schon etwas länger da zu sein, da sie sich bereits angeregt über andere Dinge als deren Lage unterhielten. „Was ist passiert? Und wo ist Judy?“, fragte Atrix schließlich, verzweifelt um sich sehend. „Hat man uns was ins Getränk getan?“, scherzte Shane, der recht perplex wirkte und seinen Blick kaum von den riesigen Kristall in der Mitte des Raumes abwenden konnte. Kyren wollte sich mit Theorien nicht zufrieden geben und wollte einen der umstehenden Männer fragen. Sie waren zumeist wie Abenteurer gekleidet, verschiedenster Rasse. Einige Frauen waren ebenso wie unter Ihnen zu finden, wie Elfen, Gnome und Zwerge. Keiner von diesen Leuten kam ihr auf den ersten Augenblick bekannt vor und gerade als sie den erstbesten ansprechen wollte, hallte wieder das Rauschen von zuvor durch die Halle. Das Licht des Kristalls flackerte kurz auf und transportierte eine Hand voll weiterer Leute in den Saal.

Das erklärte zumindest wie sie an diesen Ort gelangt war, aber Judy war wundersamer weise nicht unter ihnen. Einen Augenblick später ertönte ein Gong, obwohl nirgends eine passende Platte dafür zu sehen war. Er war so laut das es fast in den Ohren wehtat, stellte allerdings sicher die Aufmerksamkeit der Anwesenden in Richtung des Thrones zu richten. Der Kristall an der Decke transportierte eine letzte Gestalt in den Raum, dessen Strahl sie in den Thron bettete. Mit seinen vier armen, seiner hellblauen Haut und seinen dämonartigen Schädel war jedoch klar, dass an diesem Wesen etwas Besonderes war. “Willkommen, Freunde!“, rief es laut und breitete seine vier Arme weit aus. „Ich bin Oparat und der Grund warum Ihr hier seid!“, fuhr er fort und begab sich langsam die Stufen hinab. Oparats Erscheinung und Größe kam der eines Riesen gleich. Seine Tracht war prunkvoll gehalten – ähnlich der eines hochrangigen Paladins - und wirkte gerade zu ehrfurchtsvoll auf die einzelnen Anwesenden. „Fürchtet Euch nicht, denn der Anlass dieser Zusammenkunft ist wahrhaft großartiger Natur.“, fuhr er fort, doch kaum einer mochte sich für das fremdartige Wesen zu begeistern. „Warum sind wir hier?! Was soll das alles?!“, rief einer der unfreiwilligen Gäste erzürnt. „Ihr seid hier weil Ihr die größten Helden eurer Zeit seid. Ich habe euch zusammentragen lassen weil ich euch ein Angebot machen will.“, erwiderte er mit Blick in die Runde.

„Ein Angebot? Was denn für ein Angebot?“, rief eine Elfe, nur unweit von Kyren entfernt. Die Dame kam ihr irgendwie bekannt vor, aber sie konnte sie im ersten Moment nicht zuordnen. „Ich biete euch an in die Geschichte einzugehen als jemand der die Welt gerettet hat.“, antwortete er und zog ein Pergament unter seiner Rüstung hervor. „In meinen Händen halte ich die Belohnung für jene, denen es gelingt die Aufgabe, die ich euch auftrage zu meistern. Dies ist die mächtigste Rolle des Nesseril-Imperiums, die jemals geschaffen wurde. Sie wird euch Macht verleihen, genug Macht um selbst dem größten Übel dieser Welt die Stirn zu bieten.“, fuhr er rasch fort und hielt die Schriftrolle empor. Viele rissen erstaunt die Augen auf. Getuschel machte die Runde, doch einer wagte etwas einzuwerfen. „Woher wissen wir dass Ihr die Wahrheit sagt? Und was ist das für eine Aufgabe?“, fragte er misstrauisch. Oparat ließ sich nicht das Geringste anmerken, schien auf jede Frage eine Antwort zu haben. „Nun, ich habe bereits einmal von der Macht dieser Rolle gekostet und wie ihr seht seid ihr alle hier – gegen euren Willen.“, tönte es mit ungebrochener Überzeugung zurück. „Unglücklicherweise ist es nicht möglich das jemand dieses Wunderwerk ein zweites mal zu benutzen, ist es einmal verwendet worden. Und was eure Aufgabe betrifft – nun es handelt sich um eine Aufgabe höchster Dringlichkeit.“, fuhr Oparat mit imposanter Stimme fort.

„Jenseits dieser Ebene plant eine Armee von Dämonen den Einmarsch in diese Welt. Sie sind dabei ein Portal zu errichten, das ihnen uneingeschränkten Zugang in eure Welt verschafft. Leid und Elend wären die Folge dieses Einmarsches und es obliegt Euch diesen zu stoppen. Unglücklicherweise ist das Portal der Dämonen nicht über diese Ebene erreichbar, doch sorgt euch nicht – ich habe bereits daran gedacht und einen Weg gefunden, einen jeden von Euch gefahrlos in die Existenzebene der Dämonen zu schicken.“, erzählte Oparat und deutete zum Abschluss seiner Worte mit einen seiner Arme hinter die Abenteurer. Dort waren wabenartige Kapseln in der Wand befestigt, groß genug das man sich hinein legen konnte. „Sie bieten euch Schutz und einen Weg in die Welt der Dämonen. Sollte einen von euch etwas zustoßen, wird sein Geist und Körper in diese Ebene hier gerettet. Doch nur diejenigen, die es schaffen das Portal zu zerstören, erwartet die Belohnung.“, erklärte er und ließ seine Worte auf die einzelnen Abenteurer wirken.

Es folgten vereinzelte Nachfragen, doch ein jeder der Anwesenden konnte beschwichtigt werden. Ein Fremdling, in weiter Kutte nutzte die Gelegenheit sich Kyren zu nähern. Sie merkte erst recht spät, dass sich jemand zu ihr gesellt hatte, erschrak daher etwas als man sie plötzlich von der Seite ansprach.

„Lass dich nicht beirren, Kyren. Es ist nicht wonach es aussieht. Etwas stimmt hier nicht.“, sprach der Mann und weckte somit ihre Aufmerksamkeit. Sie kannte die Stimme und wusste dass sie vertrauenswürdig war. „Nigel?!“, fragte sie erstaunt und machte somit auch ihre beiden Gefährten auf ihn aufmerksam. Vorsichtig zog er die Kapuze seiner Kutte zurück und erwiderte ihre Frage mit einem kurzen Lächeln, den Zeigefinger auf seine Lippen legend in Anmahnung etwas leiser zu reden. „Was machst du hier? Und was meinst du damit?“, fragte sie in gewünschter Tonlage, während sich ihre Gefährten hinzugesellten. „Ich kenne mich sehr gut mit der Geschichte aus, bin mit vielen Bardenliedern vertraut, doch die meisten dieser Leute hier sind keine Helden. Es sind Söldner, Krieger und einfache Abenteurer. Sagt mir, seht ihr Drizzit, den Dunkelelfen? Seht ihr all die großen Namen, die die Geschichte Faerûns geprägt haben? Elminister? Ich sehe ihn nicht.“, meinte er und warf einen prüfenden Blick durch die Reihen der Anwesenden in denen vergleichsweise namenlose Gesichter zu erkennen waren. Nun wurden auch Kyren und ihre Gefährten skeptisch und widmeten sich Oparats Rede.
 

„Es steht euch frei zu gehen, aber wenn ihr bleibt, erhaltet ihr diese einmalige Gelegenheit von der Macht dieser Schriftrolle zu profitieren.“, rief er laut aus und hielt das Pergament hoch.

Atrix Neugier war geweckt. „Vielleicht sollten wir auf diese Sache eingehen. Ich meine, wir könnten diese Schriftrolle wirklich gut gebrauchen, im Kampf gegen Ashton.“, meinte er vorsichtig. Kyren kam nicht dazu zu antworten, denn Oparats Stimme hallte überdeutlich durch die Halle. „Entscheidet euch. Hinter euch befinden sich Seelenkokons. Legt euch hinein und ihr findet euch in der Welt der Dämonen wieder. Andernfalls meldet euch bei mir, wenn ihr der Herausforderung nicht gewachsen seid.“, rief er laut aus. Die Menge der Anwesenden drehte sich fast synchron zu den hinter ihnen befindlichen Apparaturen um. Sie hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Bienenwabe, waren aber aus dem gleichen Material wie die Wände und boten eine anscheinend bequeme Liegemöglichkeit. Kyren fiel auf das einer der Anwesenden sich nicht umgedreht hatte. Sie schellte sich innerlich das ihr der junge Mann nicht schon vorher aufgefallen war. „Was … das ist doch Decan, dort drüben!“, meinte sie aufgeregt und lenkte somit die Aufmerksamkeit ihrer Gefährten zu ihren alten Gefährten hinüber. Atrix Miene verzog sich leicht, denn ihm war klar was das für das bedeutete. „Ach Mist. Wenn der mit dabei ist, steht der Sieger ja schon fest. Wir sollten dann lieber gehen.“, meinte er enttäuscht. Decan nahm nur kurz von seinen alten Gefährten Notiz, als interessiere er sich nicht weiter für sie. Er hatte sich seit dem Kyren ihn das letzte mal gesehen hatte nur wenig verändert. Noch immer trug er eine bevorzugt schwarze Tracht in Form eines langen Mantels. Pechschwarzes, wildes Haar spross aus seinem Schopf und ein stetig düsterer Blick prägte seine Miene.
 

„Vielleicht hilft er uns bei dieser Sache. Damit steigen unsere Chancen.“, meinte sie begeistert. „Möglich. Ich habe zwar keine Ahnung wer er ist, aber wir sollten dieser Sache auf jeden Fall nachgehen um zu sehen was wirklich dahinter steckt.“, warf Shane mit zweifelnden Blick ein und ging zum Kokon.

Nach und nach taten es ihm andere gleich, so auch Decan, Kyren und Nigel. Hatte man sich erst einmal hinein gelegt schloss ein Energiefeld den Kokon und ließ die innen liegenden Teilnehmer einschlafen. Alle entschieden sich dafür den Dämonen Einhalt zu gebieten und ein jeder war gespannt was sie wohl erwarten würde.

Lediglich Atrix haderte noch eine Zeit lang und erregte somit die Aufmerksamkeit Oparats. „Was ist mit dir, kleiner Elf?“, fragte das mächtige Wesen. „Wisst Ihr, ich glaube, ich belasse es lieber bei einen einfachen Daumendrücken für meine Gefährten.“, ächzte er sichtlich verlegen hervor. Ihm war klar, dass er mit seinen Fähigkeiten gegen Dämonen nicht bestehen konnte. Oparat runzelte erstaunt die Stirn, ließ ihn aber gewähren. Ein zweifelhaftes Schmunzeln glitt über sein Gesicht als er sich abwendete und sich auf seinen Thronstuhl begab. „Ihr könnt Euch den Verlauf der Schlacht im Kristall ansehen.“, merkte Oparat an und nahm platz.
 

Kyren fand sich zu ihrer Überraschung in einer roten, zerklüfteten Landschaft wieder. Die Umgebung war finster oder zumindest in wirkte es so als ob hier kein Leben gedeihen konnte. Felsen in verschiedener Größe waren um sie herum verteilt. Von unbekannter Quelle schien ein schwaches Licht auf alles nieder und für den ersten Augenblick glaubte sie allein zu sein.

Weder Shane, noch Nigel waren bei ihr und so entschied sie sich erst einmal loszulaufen. Einige Minuten lang waren ihre Schritte alles was sie hörte, doch bald vernahm sie Kampfgeschrei. Hinter einem größeren Hügel entdeckte sie schließlich ein Schlachtfeld auf dem bereits etliche Teilnehmer kämpften. Die Dämonen waren niederer Natur, mit Hörnern und Hufen. Einfache Teufel, ohne Rüstung und Waffen, die nur mit ihren Klauen kämpften. Wenn einer von ihnen getötet wurde lösten sie sich kreischend in Flammen auf. Obwohl sie zahlenmäßig überlegen waren, konnten die Abenteurer einen jeden von ihnen ohne eigene Verluste abwehren.
 

Einer der Dämonen hatte Kyren entdeckt und schlich von hinten an sie heran. Er wollte aus den Schatten heraus attackieren, hielt das Mädchen für leichte Beute und holte zielsicher mit seinen mit seiner Kralle aus. Es sollte nicht reichen um die junge Elfenmagierin zu überwältigen, denn ein anderer nutzte dessen Unaufmerksamkeit um ihn zu beseitigen. Ein Schwerthieb quer durch den Körper des Wesens bereite seinem Angriff ein jähes Ende. Kyren erschrak als sie merkte was hinter ihren Rücken geschehen war, reagierte aber erleichtert als sie sah das Nigel sie gerettet hatte. „Puh, das war knapp. Vielen Dank, Nigel.“, meinte sie, die Hand an ihr klopfendes Herz haltend. „Kein Problem, aber gib besser auf dich acht..“, gab er abwinkend zurück. „Hast du Shane oder Atrix schon gesehen?“, fragte sie erwartungsvoll. „Shane habe ich vorhin irgendwo am Rande des Schlachtgetümmels gesehen. Von Atrix weiß ich nichts.“, antwortete er rasch und konzentrierte sich auf etwaige weitere Hinterhalte. Kyren hoffte das es das alles wert war und man als Sieger aus dem Turnier hervor gehen würde.
 

Shane stand wie paralysiert am Rande des Kampfgeschehens da. Er hatte festgestellt dass er wegen der Festlichkeit gar nicht richtig ausgerüstet war, aber es schien ihn auch kaum jemand zu beachten. Die meisten hatten mehr mit sich selbst zu tun. Shane schien keine Bedrohung für die anstürmenden Dämonen darzustellen. Er selbst wusste nicht recht wie er reagieren sollte, denn auch wenn momentan noch kein Anlass zur Sorge bestand, fühlte er sich nicht gut dabei ohne Waffe in dieser Welt herum zu laufen. Ihm fiel auf das der Mann, den seine Gefährtin zuvor als Decan benannt hatte sich relativ gemächlich durch die Reihen der Kämpfenden bewegte. Es schien sich nicht im Geringsten bedroht zu fühlen. Ein eiskalter Schauer lief Shane den Rücken herunter als er merkte das Decan sich auf ihn fixiert hatte.

Ein Dämon versuchte über den Schwertkämpfer in schwarz herzufallen. Der Kreatur war gar nicht klar wie ihr geschah, denn kaum das er in Decans Schlagreichweite war, spürte er eine tödliche Wunde am Leib und ging in Flammen auf, wie auch die anderen Dämonen, deren Zahl stetig sank. Ein paar weitere versuchten sich ebenfalls am Schwertkämpfer, doch wie auf gespenstische Art und Weise starben sie alle samt als sie ihn zu nahe kamen. Shane schluckte tief, denn er hatte aus seiner Position gesehen was passiert war. „Man ist der schnell.“, sagte er leise.
 

Kyren entledigte sich derweil einiger Angreifer mit ihrer Magie. Einer von Ihnen war tödlich getroffen und nach zwei weiteren Treffern durch zwei Pfeile, ging er endlich in Flammen auf. Es war die Elfe, die ihr zuvor aufgefallen war und Kyren nun mit ihrem Bogen zur Seite stand. Sie glaubte ihr Gesicht zu kennen, konnte es aber immer noch nicht zuordnen.
 

Nigel entledigte sich nach und nach den verbliebenen Dämonen, bis auch der Letzte gefallen war. Danach wurde es ruhig und die meisten Mitstreiter jubelten. Nigel fiel auf wie Decan Shane am Rande des Schlachtfeldes ihm eines seiner Katanas gab. Shane nahm es nur zögerlich an, nickte aber schließlich dankend. Irgendetwas sagte ihm dass es mit dieser einfachen Schlacht aber noch nicht vorbei war, denn vieles war einfach zu leicht gewesen. Er entschloss sich dazu Kyren aufzusuchen, die noch nach Atrix zu suchen schien. „Atrix scheint nicht mitgekommen zu sein.“, sagte sie laut denkend vor sich hin.
 

Noch während man sich in den Reihen der Abenteurer im Glücksgefühl befand, tat sich am Himmel auf einmal ein Lichterspektakel auf. Feuerbälle, so groß wie Häuser prasselten auf einmal nieder und wer glaubte sich mit einem Sprung zu retten, sah sich alsbald mit einem weiteren Feuerball konfrontiert, der auf den Boden einschlug.

„Was ist passiert? Was geht hier vor?!“, rief einer von den Abenteurern aufgeregt, bevor ihn ein Feuerball traf und in Stücke riss. Ein Meer von Explosionen erschütterte die Gegend und hüllte die Landschaft in Staubwolken. Der Feuerregen dauerte nur eine halbe Minute, doch die Verluste in den Reihen der Menschen waren enorm. Einige, wenige hatten mit schlimmen Verbrennungen am ganzen Leib überlebt und krümmten sich wehleidend am Boden, andere hatten nicht so viel Glück. Aus den Staubschwaden ging nur eine Hand voll Leute hervor, unter ihnen auch Kyren und ihre elfische Artgenossin, die sich unter einem magischen Schild geschützt hatten. Nigel atmete erleichtert aus, denn auch er zählte zu denjenigen, die unter Kyrens Magie Schutz gefunden hatten und nun völlig unversehrt in der zerklüfteten Landschaft standen. Sofort schweifte ihr Blick zu Shane, doch der schien Glück im Unglück gehabt zu haben, das er sich zusammen mit Decan zu weit vom Einschlagsbereich entfernt aufgehalten hatte. Dessen Miene verzog sich und wurde noch etwas finsterer als zuvor. „Das war ein abgekartetes Spiel, eine Falle.“, merkte der Schwertkämpfer an und stieß zu Kyren hinzu. Shane folgte ihm nach kurzen zögern, noch etwas unsicher auf den Beinen.

Ingesamt 8 der über 20 Anwärter hatten diesen Anschlag überlebt und versuchten nun das Beste aus der Lage zu machen. Zwei weitere verstarben an ihren Verbrennungen, ohne das Kyrens Magie etwas hätte bewirken können. Sie lösten sich in gleißend hellem Licht auf und verschwanden einfach. „Scheint so als ob dieser Oparat nicht gelogen hat. Wer hier drauf geht wird kommt zurück in unsere Heimatebene … hoffentlich lebendig.“, tönte einer der Überlebenden.

„Weiß jemand in welche Richtung wir müssen?“, fragte Kyren in die Runde, hoffend das man möglichst schnell aus diesem Schreckensszenario entkommen konnte. Die Elfe neben ihr wies sie auf den Horizont in nördlicher Richtung hin. Was von weiten aussah wie eine Art Gebirge, entpuppte sich bei genaurer Betrachtung als ein riesiges Portal, geschaffen aus schwarzem Metall. „Ich schätze das dürfte unser Ziel sein.“, merkte sie an. „Unglaublich. Wie sollen wir denn etwas so großes zerstören?“, staunte Kyren atemlos. „Das werden wir erfahren, wenn wir da sind.“, antwortete einer der verbliebenen Abenteurer.

Decan hatte sich mittlerweile hinzu gesellt und stoppte jegliche weitere Hoffnung auf ein Gelingen dieser Mission. „Bildet euch nicht ein dass ihr dort je ankommen werdet, noch das ihr hier jemals wieder weg kommt.“, sagte er mit schroffer Stimme. „Wer sagt das? Und woher willst du Knilch das wissen?!“, antwortete ein stämmiger, bärtiger Mann aus der Gruppe mit einer Zweihänder-Axt empört.
 

„Falls es euch noch nicht aufgefallen ist, aber viele sind bereits tot, mit ihren Seelen ist, wer-weiß-was passiert. Das ganze ist ein abgekartetes Spiel, eine Falle!“, gab Decan in gleicher Tonlage zurück. Einen Moment schien er die verbliebenen Abenteurer überzeugt zu haben, noch einmal alles zu überdenken, doch schließlich meldete sich wieder der bärtige Mann zu Wort. „Ah, jetzt weiß ich was hier vorgeht. Du willst die Schriftrolle für dich haben, du willst dass wir aufgeben und du absahnen kannst. Aber darauf falle ich nicht rein. Das schlimmste haben wir überstanden. Jetzt ist der Weg frei. Kommt Leute. Holen wir uns den Schatz!“

Nigel war erstaunt wie einfach es war die meisten zum weiter machen zu überreden, nachdem so viele gefallen waren. Die Gruppe splittete sich entzwei, in Kyren, Nigel, Shane und Decan und die vier verbliebenen Abenteurer. Die junge Magierin hatte zwar keinen Grund Decan zu glauben, aber sie wusste dass er nicht raffgierig nach Artefakten war und kein Motiv dafür hatte, zu lügen. Vielleicht, so hoffte sie, war er der Einzige, der sie heil aus dieser Lage herausbringen konnte.

Nun wo man fortan getrennte Wege ging, rief Kyren die verbliebenen Mitglieder ihrer Gruppe zusammen. „Also schön, Decan. Ich weiß nicht was hier los ist, aber ich glaube dir. Was genau weißt du?“, fragte sie mit Blick auf den Schwertkämpfer. „Genau genommen nicht allzu viel. Die Götterwelt hat in letzter Zeit bemerkt dass Menschen einfach so verschwinden, aber keine Seelen ins Jenseits fließen. Wir vermuten das dieser Oparat damit zu tun hat und das er nicht das ist was er vorgibt zu sein.“, erzählte er nüchtern. „Was also schlägst du vor?“, hakte Nigel nach. „Wenn es einen Weg hier raus gibt, dann nur durch ein Portal …“, gab er mit Blick zum Horizont zurück, wissend wie perfide die Situation auf einmal aussah.
 

Atrix hatte über den Kristall in der großen Halle mit gesehen und mitgehört. Er traute seinen Sinnen nicht und sah ängstlich zu Oparat auf den Thronstuhl hinauf. Dieser schien es zu genießen, wie sich die Abenteurer zu behaupten versuchten, nahm von Atrix jedoch keine Kenntnis. „Ist das wahr?!“, brüllte er das Wesen wütend an. „Ja, kleiner Elf. Das Menschlein ist cleverer als alle anderen zuvor. Man kann mit eurer Angst so wunderbar spielen, euch glauben machen das eine Invasion bevor steht, doch letztendlich, seid ihr nur Gefangene in meiner Welt – und dort sind deine Freunde nichts anderes als Beute für meine Seelenjäger. Das Portal das, sollten sie es je erreichen, ihnen als Ausgang dienen könnte, ist in ihren Gedanken das Objekt das sie zerstören müssen um die Invasion der Dämonen abzuhalten. Ist es nicht lustig das sie ihre einzige Rettung zerstören werden?“, erwiderte Oparat erheitert. „Aber dieser Mensch da, der wird mir noch Schwierigkeiten machen, mehr als die anderen Opfer zuvor. Doch das macht nichts. Bisher hat noch nie jemand auch nur annähernd das Portal erreicht.“, dachte er laut vor sich hin und schürte Atrix Zorn umso mehr.

„Bastard! Dafür wirst du büßen!“, kreischte dieser und ging zu einer Attacke über, frei von jeglicher Angst. Es genügte Oparat den unbewaffneten Elfen mit einer seiner Arme abzuwehren, wusste er doch dass er ihn an Größe und Macht ohnehin überlegen war. Atrix fand sich sehr bald an die Wand geschmettert wieder, mit vor Schmerz geweiteten Augen.
 

Decan sah nachdenklich zum Horizont hinaus. Noch war die andere Gruppe nicht außer Sichtweite, aber sie davon zu überzeugen das Portal nicht zu zerstören war mindestens ebenso schwierig wie in dieser Welt zu überleben. „Kyren, kannst du uns nah genug ans Portal heran teleportieren?“, fragte er mit düsterer Stimme mit Blick auf das gewaltige Gebilde in der Ferne. Nigel gefiel die Idee auf Anhieb. „Keine schlechte Idee. Zu Fuß brauchen wir womöglich eine Ewigkeit und wer weiß welche Gefahren dort noch auf uns lauern.“

Die Elfin überlegte kurz, zeigte sich aber schließlich zuversichtlich. „Ja, das könnte funktionieren. Ihr müsst Euch an mir festhalten.“, meinte sie und nickte zustimmend.

Die drei jungen Männer suchten sich jeder eine freie Stelle, die man bedenkenlos berühren konnte - Decan ihre linke Schulter, Nigel ihre rechte Schulter. Shane sah sich auf einmal in der Situation nicht zu wissen woran er sich bei ihr festhalten sollte, wusste aber sein zögern zu überwinden und legte einfach seinen Arm um ihre Hüfte. Kyren die schon dabei war, den Zauber zu beschwören, entglitt bei solch einer Berührung jegliche Konzentration, so dass sie wie mit Beinen wie Wackelpudding, mit einem kurzen Laut in sich zusammen sackte. „Was ist?“, fragte Decan irritiert von ihrem Verhalten, worauf sich die Elfenmagierin peinlich berührt wieder aufrappelte. „Eheh-Entschuldigt … ich bin etwas kitzelig.“, gab sie verschwitzt zur Antwort. „Du kannst deine Hand auf meinen Kopf legen, Shane.“, stotterte sie leicht gerötet und setzte ein zweites mal an ihren Zauber auszuführen. Dieses mal legte Shane seine Hand auf ihren Kopf und ein paar Sekunden später, brachte der Teleportationszauber ihn und seine Gefährten fort.
 

Es war das erste mal das er eine Teleportation erlebte, aber es war genauso schnell vorbei wie es begonnen hatte. Kaum mehr als eine Sekunde verstrich und der helle Lichtblitz, der ihn zuvor noch umschlossen hatte, war bereits wieder erloschen. Das Szenario um ihn herum hatte sich jedoch geändert. Kyren war es gelungen sie bis auf wenige 100 Meter an das Portal heran zu bringen. Wieder sackte sie zusammen, dieses mal jedoch vor Erschöpfung. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er besorgt nach. „Ja, es geht schon. Es ist nur ziemlich anstrengend vier Personen über solch eine Distanz zu bringen.“, antwortete sie, deutlich außer Atem.

Nigel schaute skeptisch zu dem Monument vor ihnen empor und wendete sich anschließend seinen Begleitern zu. „Wie … wie wollen wir es aktivieren?“, fragte er ratlos. „Wir sollten die Gegend absuchen. Es gibt sicher eine Art Pult.“, schlug Decan vor, bereits nach etwaigen Apparaturen Ausschau haltend.
 

Oparat amüsierte sich derweil als er die Klagenschreie der vier anderen Abenteurer vernahm. Ein kleiner Trupp von dämonischen Babau hatte sich ihrer angenommen und deren Seelen für Oparat erobert. Babau zählten schon immer zu den schrecklichsten Arten der Dämonen. Sie waren perfekte Assassinen, die durch ihre schnellen, präzisen und tödlichen Angriffe ihren Opfern nie eine Überlebenschance ließen. Sie waren nicht größer als Humanoide gebaut, jedoch reißende Bestien, deren halber Kopf ihr breites Maul ausgezackten Zähnen einnahm. Der Gestank der Verwesung haftete an ihrer dunklen, ledrigen Haut. Spitze Ohren und tödlichen Krallen an ihren Armen und ein giftiges Horn auf ihrem Kopf, machten sie zu perfekten Jägern. Bereitwillig lauschten sie Oparats Worten. „Und nun meine Kinder - jagt die Beute! Sie ist am Portal!“, rief er mit gehässiger Stimme aus. Ein bestätigendes Krächzen ertönte aus den Reihen der Babau, die sich sogleich an die Ausführung der Befehle machten.
 

Während Kyren an den Grundfesten des Portals versuchte einen Weg zur Aktivierung desselbigen zu finden, suchten ihre Gefährten die Gegend nach verdächtigen Objekten ab, auch nach vergrabenen Schaltern, denn irgendwo musste es eine Möglichkeit geben das Portal zu aktivieren. Decans Geduld geriet schnell an ihre Grenzen und er hoffte dass die Magierin mehr Glück haben würde. Nur wenige Schritte später, noch einige Meter von Kyren entfernt, bereute er bereits seine Wegwahl, da er sich somit von Shane entfernt hatte. Wie aus dem Nichts spürte er auf einmal die Präsenz von Dämonen in der Nähe des Halbelfen. Er hatte sich noch nicht einmal ganz umgedreht, da schossen sie aus dem Boden und fielen über Shane her, der gerade noch nach etwas unter einem Stein suchen wollte.

Shanes Mimik erstarrte als er zu den zahlreichen Babau-Dämonen aufsah, die sich wie Geier auf ihre Beute stürzten. Für einen Moment blieb die Zeit für ihn stehen in der er sich wie von selbst von jeden Gedanken befreite. Die Pranke des ersten Babau schlug zielsicher ein, doch grub sich zum erstaunen aller nur in den Boden, an dem Shane zuvor noch gehockt hatte. Nicht nur Decan stockte der Atem vor Erstaunen, wie schnell sich sein Gefährte etwas Raum verschafft hatte um den ersten Angriff auszuweichen. Weitere Babau sollten folgen, die wie ein wütender Bienenschwarm über ihn herfielen. Shane erwies sich jedoch als äußerst schwierige Beute. Binnen einer Sekunde, hatte er mit Decans geliehenen Katana zum Gegenangriff ausgeholt und gleich drei der Bestien zersäbelt. Kyren traute ihren Augen nicht, denn ihr Gefährte behauptete sich auch gegen das restliche dutzend der Dämonen und richtete sie, ohne einen Kratzer abzubekommen, nieder. Nach wenigen Sekunden war der Kampf zu Shanes Gunsten entschieden.

„Unglaublich …“, gab die junge Elfenmagierin atemlos von sich. Selbst Nigel wirkte erstaunt, aber auch erfreut, dass dem Halbelfen nichts passiert war. Dieser hingegen verharrte zitternd in seiner letzten Kampfhaltung. Seine Augen waren geweitet und jeder seiner Muskeln verkrampfte bei dem Versuch sich zu bewegen. Bald schon glitt ihn Decans Katana aus der Hand, das plump zu Boden fiel. Shane war starr vor Schock, wusste nicht einmal er selbst, wie er das gemacht hatte. Es dauerte einige Zeit bevor er sich seinen Gefährten wieder zuwendete, wo er sich Decans kritischen Blick behaupten musste. „Wie … wie hast du das gemacht?“, fragte er zunächst recht nüchtern nach. „Ich … ich weiß es nicht. Ich wusste es einfach … es war Instinkt.“, stammelte er und mühte sich dessen Katana aufzuheben. Sein Schritt war noch etwas wankelig als er es Decan brachte, doch der entschloss sich zu einer ungewöhnlichen Gegenmaßnahme. Niemand rechnete nicht damit, dass der Schwertkämpfer plötzlich zum Angriff übergehen und ihn blitzschnell mit einem Schlag gegen die Brust nieder schlagen würde. Shane landete unsanft in einigen Metern Entfernung, während Decans Leihwaffe zurück blieb.

„Was sollte das?!“, schrie Kyren empört und wollte ihm schon zu Hilfe eilen, als er sie mit einem strengen Blick zurück hielt. „Wenn du glaubst dass das Shane ist, dann irrst du dich.“, erklärte er sich und wendete sich dem Halbelfen zu, der sich gerade wieder aufrekelte.

„Also – wer bist du? Wer hat dir das beigebracht? Shane Richardson ist zwar ein guter Schwertkämpfer, aber so gut nun auch wieder nicht. Babau-Dämonen greifen immer erst die Stärksten in einer Gruppe an, um sich an den Schwächeren zu laben. Shane Richardson kann hier unmöglich der Stärkste sein.“, entgegnete er Shane. Dieser wirkte nun selbst verunsichert und wischte sich etwas Blut von den Lippen. „Ich schwöre dir, ich weiß nicht woher ich das kann. Es war einfach da. Ich kann es mir auch nicht erklären.“, antworte er, fast so als sei es ein Hilfeschrei. Kyren war ziemlich aufgeregt und äußerte sich dementsprechend. „Decan! Was ist nur in dich gefahren?!“, schrie sie in heftiger Tonlage. „Jemand der angeblich sein Gedächtnis verloren hat, kämpft normalerweise nicht so gut.“, meinte er und musterte Shane genauer. Nicht einmal sie schien verhindern zu können, das Decans nächster Angriff mit dem zuvor fallen gelassenen Katana folgen würde.

„Nein!“, ächzte Shane fassungslos und stellte sich auf das Schlimmste ein. Er war unbewaffnet, schaffte es aber dennoch sich dieses mal zu verteidigen. Mit Ausweichmanövern gelang es ihm dem Schwertarm des Kämpfers zu entziehen. „Hört auf!“, flehte Kyren verbittert, doch ihre Worte drangen nicht zu den beiden Kämpfenden durch. Nigel stellte sich auf Kyrens Seite und warf Shane sein Schwert zu, so dass er sich gegen den angreifenden Decan wehren konnte. „Hier! Nimm es Shane!“, rief er ihm zu, worauf dieser es fangsicher aus der Luft griff um den nächsten Angriff abzuwehren.
 

Einen Moment lang verharrten die beiden Kämpfer in ihrer letzten Haltung an Ort und Stelle, die Gesichter nur die Barriere der Schwerter voneinander getrennt. „Nun sag schon! Wer bist du wirklich und woher hast du so zu kämpfen gelernt?!“, murrte Decan mit finsterer Stimme. „Ich sagte doch! Ich weiß es nicht!“, gab er lauthals zurück, doch sein Gegner war nicht überzeugt. „Pah, dann lassen wir diese halbherzigen Aktionen. Ich will sehen was du kannst.“, spottete er und sprang auf einige Meter Abstand zurück. Schließlich nahm er sein zweites Katana zur Hilfe und bereitete ging in Angriffsstellung über.

„Seid Ihr verrückt! Ihr bringt euch noch um!“, kreischte Kyren aufgeregt, wenn gleich sich der Kampf mit Worten nicht beschwichtigen zu lassen schien. Decan stürmte dieses mal noch schneller an und fuhr sein ganzes Können auf, doch Shane wusste sich selbst bei diesem hohen Tempo zu verteidigen. Das ein ums andere mal fegte eine Druckwelle über den Kampfschauplatz hinweg. Der Halbelf wusste sich gegen seinen Angreifer zu wehren, setzte aber nie zu Gegenangriffen an. Der Kampf wirkte optisch spektakulär und tödlich, doch beide Kämpfer waren unversehrt als sie ein weiteres mal auf Abstand gingen. Keiner von beiden wirkte aus der Puste und es deutete nichts darauf hin, das es nicht jeden Moment in die nächste Runde gehen würde, wo Decan noch etwas mehr von seinen Schwertkünsten demonstrieren wollte. Beide waren gefechtsbereit, wenn gleich man Shane ansah das sein Bedürfnis nach einem Kampf gegen Null tendierte. Trotzdem war er bereit sich ein weiteres mal zu verteidigen. „Halt!“, schrie Kyren erbost und streckte die Arme nach beiden Seiten aus. Dieses mal stoppte Decan seinen Angriff nach wenigen Metern, denn sie war zwischen die beiden Kämpfer gelaufen.

„Genug! Es reicht! Hast du vergessen wo wir sind? Gibt es jetzt nichts Wichtigeres zu tun als dieses sinnlose Gekämpfe?“, schimpfte sie aufgebracht, mit bösem Blick in Richtung Decan. Dieser zögerte eine Zeit lang, steckte seine Waffen jedoch dann bereitwillig wieder zurück, ohne dass ein weiteres Wort gesagt werden musste.

„Schon gut, Kyren. Ich schätze es wird nicht nötig sein das Ganze zu verlängern.“, sagte er und ging ein paar Schritt auf sie zu. „Es musste sein. Ich wollte sicher gehen, dass er keine Bedrohung darstellt. Er hat sich nur gewehrt, mich aber nicht angegriffen. Ich schätze, wenn er ein Verräter oder ein Feind wäre, hätte er mich töten müssen um seinen Plan zu verfolgen. Tot kann er das schließlich nicht.“, ergänzte er beiläufig und widmete sich wieder dem Portal. „Das … das war nur ein Test?“, fragte Kyren baff, während Shane erleichtert ausatmete.
 

Oparat war außer sich vor Wut und hämmerte empört auf die Lehnen seines Thronstuhls. „Nein! Nein! Das darf doch nicht wahr sein! Ich will ihre Seelen und wenn ich die ganze Welt dafür opfern muss!“, fauchte er aufgebracht.

Atrix schmunzelte und stellte sich zufrieden nahe dem Thronstuhl auf. „Na? Das habt Ihr nicht erwartet, was? Meine Freunde werden Euch einheizen, wenn sie erst mal da raus sind!“, entgegnete er frech. „Dir wird deine gute Stimmung noch vergehen, Elf! Ich habe diese Welt geschaffen – ich kann sie auch wieder zerstören! Und mit ihr deine Freunde!“, gab er hässlich grinsend zurück. „Nein! Das werde ich nicht zulassen!“, rief er laut und versuchte erneut das Überwesen mit einem Dolch aus seinem Stiefel anzugreifen. Abermals sah er sich mit der Macht Oparats konfrontiert und landete nach einen Schlag mit dessen Arm unsanft neben der Stelle von zuvor.
 

Die Gemüter der vier Abenteurer hatten sich gerade erst beruhigt und Nigel sein Schwert zurück erhalten, da ereilte sie schon das nächste Unglück. Ein tiefes Grollen drang zu ihnen vor und jedem war klar, dass das nichts Gutes Verhieß. „Was ist das?“, fragte Shane verwundert, bevor man spürte wie die Erde erbebte. „Ein Erdbeben?!“, rief Nigel vorahnungsvoll. Beide sollten sich täuschen, denn der Anblick der sich ihnen kurz darauf bot überstieg alle Erwartungen. Eine riesige Welle aus Gestein fiel über das Land her. Der Ganze Boden um sie herum pulverisierte sich in zahlreichen Explosionen und was dann übrig blieb, nahm die Welle aus Erde und Gestein in sich auf. „Die ganze Welt reißt auseinander!“, mahnte Kyren ihre Gefährten, die sich begannen um sie herum zu versammeln. Es schien hoffnungslos, gab es ja nicht mal ein Weg zu entkommen.

Kurz darauf wurde es dunkel über den Abenteurern und eine gigantische Welle aus Gestein schlug auf ihren Standort ein.
 

Atrix traute seinen Augen nicht, wagte kaum zu glauben was er gerade gesehen hatte. Ihm war klar dass seine Freunde eine solche Lawine nicht überleben konnten, doch der Blick zu Oparat gab ihm neue Hoffnung. Er wirkte angestrengt, seine Arme und Hände schienen mit einem Zauber beschäftigt, sein Blick auf die Geschehnisse, die sich im Kristall darstellten, fokussiert. Irgendwas schien ihn zu beschäftigen.

Atrix sah wieder Kristall immer wieder aufleuchtete, je mehr Konzentration Oparat aufbrachte. Ihm wurde klar dass er ihm körperlich nicht gewachsen war, aber er wusste dass er womöglich die letzte Hoffnung für seine Freunde sein könnte. Noch einmal rappelte er sich auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern. „Komm schon Atrix, das ist nicht der richtige Zeitpunkt um aufzugeben.“, sagte er zu sich selbst und redete sich somit etwas Mut zu. Abermals stürmte er auf Oparat zu, der glaubte ihn mit einem Arm abwehren zu können, wie die Male zuvor. Atrix hatte seine Strategie jedoch geändert und verstand es dem Schlag des Dämonen auszuweichen. Er nutzte dessen breite Brustpanzerung geschickt wie eine Art Absprungbrett und so tat er es auch mit dessen Kopf. Mit genug Schwung in den Beinen gelang es ihm schließlich auf die Oberseite des Kristalls zu springen, unerreichbar für den großen Oparat. „Was machst du?! Komm da runter, Elf!“, schrie er empört und versuchte irgendwie an ihn heran zu reichen. „Schlagt Euch das aus dem Kopf. Ich weiß jetzt wie ich euch besiegen und meine Freunde retten kann. Ich werde Euren hübschen Kristall zerstören!“, rief er selbstsicher und schlug fortan mit seinem Dolch auf die Kette ein, die den riesigen Kristall hielt.
 

Kyrens Arme begannen derweil schon zu zittern. Mit dem Einschlag der Lawine aus Gestein hatte sie eine leuchtende Energiebarriere geschaffen, die das Geröll noch zurück hielt. Die Barriere war groß genug um Shane, Nigel und Decan mit zu umschließen, aber dennoch ergaben sich aus der Situation gleich mehrere Probleme. „Wie lange hält sie das noch durch?“, fragte Shane besorgt mit Blick auf die junge Elfe, der bereits der Schweiß von der Stirn lief. Kyren harrte wie versteift an Ort und Stelle und in Haltung des Zaubers aus, wissend dass es andernfalls die Barriere auflösen würde. „Nur noch wenige Minuten, wenn überhaupt. Und selbst, wenn es länger dauert, wie kommen wir aus diesem Zwischenraum überhaupt wieder raus?“, erwiderte Nigel ratlos. „Er hat Recht. Entweder wir ersticken hier drin oder wir werden lebendig begraben.“, kommentierte Decan die Lage nüchtern. „Aber wir müssen doch irgendwas tun!“, wirkte Shane auf seine Gefährten ein. Nur einen Augenblick später ging Kyren in die Knie, versuchte aber dennoch vehement, die Barriere aufrecht zu erhalten – vorerst mit Erfolg. „Oh nein! Kyren!“, rief Shane besorgt und wollte ihr schon zu Hilfe eilen. Er wusste das es nichts gab das er für sie tun konnte und wagte noch einmal einen Blick über sich, wo die Gesteinsmassen auf sie drängten. Der Schutzschild war nun etwas abgesackt, doch viel schlimmer erschien, dass man kaum noch Zeit hatte, sich einen Plan auszudenken. Es war Decan, der sich der Lösung der Situation als erster annahm. „Okay. Shane, Nigel. Sammelt euch um Kyren. Wenn ich es sage dann lässt du den Schild runter, klar Kyren?!“, sagte er in rauer Tonlage. „Was? Bist du irre? Dann gehen wir drauf!“, protestierte Nigel entschieden. „Ihr werdet mir schon vertrauen müssen.“, konterte er und ließ seine Schwerter aus seinen Ärmeln in seine Hände gleiten. Decan nahm eine vertraute Kampfposition ein. Nigel und Shane sahen sich auf einmal im Schatten einer Vogelscheuche und hielten gebannt den Atem an. Decans Blick fixierte sich nach oben und als er mit tiefer Stimme das Kommando gab, gehorchte Kyren sofort.
 

„Hab ich euch!“, schrie Oparat erleichtert auf als er spürte wie das Schild der Magierin verschwand und das Gestein hernieder stürzte. Sein Glücksgefühl sollte jedoch nicht von langer Dauer sein, denn Decan machte ihm einen Strich durch die Rechnung. „Nein!“, schrie er lauthals auf, die Arme auf die Lehnen seines Thronstuhls hämmernd.
 

Noch während die Lawine aus Gestein nieder prasselte, schoss Decan wie eine Rakete aus der Erde zur Luft hinaus und schnitt mit seinen Katanas einen kleinen Radius frei. Der Boden unter ihm krachte zusammen wie Gletscherspalten und was blieb war ein schmaler Weg in die Freiheit. Eine kleine Plattform aus einem Gesteinsbrocken folgte ihm sogleich in Richtung Himmel. Auf ihn warteten Shane, Nigel und Kyren ihren Retter mit aufzunehmen. Kyren nutzte einen Levitationszauber um sich und ihre Gefährten aus dem stickigen Grab zu befreien, nun wo der Weg frei war. Decan landete sicher auf dem Fels, während der Boden, wie auch die gesamte Erde dieser Welt durch ein schwarzes Loch aufgefressen wurde. Das Portal jedoch, stand noch immer, nun mehr frei schwebend in der Luft. „Das war genial, Decan!“, lobte Shane den Schwertkämpfer. „Wir haben es noch nicht überstanden. Ich schätze den Levitationszauber kann Kyren auch nicht ewig aufrecht erhalten.“, mahnte er mit Blick auf die am Boden kniende Elfe, ihre Hände auf den Boden gelegt. „Wir müssen näher an das Portal. Das ist unsere einzige Chance!“, rief Nigel mit Fingerzeig auf das genannte Objekt. „Das schaffen wir unmöglich. Kyren ist jetzt schon zu schwach und nicht jeder von uns kann über so weit springen.“, warf Shane ein. Kyren wirkte bereits so als ob sie jeden Moment zusammen brechen würde und Decan wurde klar, dass es unmöglich war, dass sich jeder retten konnte. „Schon gut. Ich gebe euch einen kleinen Schupps.“, meinte er und fuhr seine Schwerter wieder ein. „Warte – was hast du vor?!“, fragte Shane ungläubig. Er wollte ihn noch aufhalten, doch in Decans Gesicht sah er etwas, das ihn kurz erstarren ließ. Ein Schmunzeln zog sich durch sein Gesicht und bevor er eingreifen konnte, war er schon zur Tat geschritten. Mit einem kräftigen Tritt hatte der Gesteinsplattform in die richtige Richtung gestoßen, ihr genug Schwung gegeben, damit diese nah genug an das Portal heran kam. Er selbst fiel abwärts in Richtung des alles verschlingenden Strudels. Es schien so als würde er friedlich nach unten fallen, als ob all der Kummer und Sorgen von ihm abfallen würden.

„Decan!“, rief Shane ihm laut hinterher, auch wenn er wusste, das er nichts mehr für ihn tun konnte.
 

Tränen schossen Atrix aus den Augen, denn obwohl er immer wieder auf die Kette, die den Kristall hielt eindrosch, erzielte er keinen Schaden der groß genug war sie zum reißen zu bringen. Oparat schimpfte zwar auf ihn ein, konnte ihn aber nicht erreichen. Atrix verzweifelte innerlich als er sah wie Decan fiel, jener Mann der so tapfer um das Leben seiner Gefährten gekämpft hatte. Es blieben ihm nur noch Sekunden bis auch er durch das schwarze Loch gefressen werden würde und somit blieb Atrix auch nur noch ein Versuch. In seiner Verzweiflung wich er zurück um Anlauf zu nehmen. Mit einem lauten Schrei stürzte sich mit all seiner Kraft auf die Kette und schlug zu. Die Klinge seines Elfendolches zersplitterte in tausend Teile und er selbst prallte auch nicht gerade sanft auf. Die Kette hielt, doch irgendwie war es ihm dennoch gelungen, den Kristall aus der Halterung zu bringen. Zunächst merkte er wie es ein Stück nach unten ging, bevor ihm schließlich klar wurde, dass er abspringen musste. „Nein! Was tust du da?! NEIN!“, kreischte Oparat verzweifelt. Dieser versuchte den Kristall abzufangen, doch Atrix landete genau in seinem Gesicht. Es verschaffte ihn nur eine Sekunde, die aber reichte das Oparat der Kristall durch die Hände glitt. Decan sollte das schwarze Loch nicht erreichen, denn Sekunden zuvor zerschellte der Kristall am Brückenstück des Saals. Ein kräftiges Licht durchströmte den ganzen Saal und Oparat schrie schmerzvoll auf. Die Kokons explodierten und brachten zugleich die verbliebenen Teilnehmer wieder zum Vorschein.
 

Nigel und Shane waren erstaunt wieder zurück zu sein, genau wie Decan. Kyren hingegen fiel vor Erschöpfung in Ohnmacht, wurde aber schnell vom herbeieilenden Atrix aufgelesen. „Kyren! Du hast es geschafft! Ein Glück!“, rief er sichtlich erfreut. Er zuckte etwas zurück als Decans Schatten über ihn fiel, auch wenn er keine Bedrohung war. „Ich schätze wir haben es dir zu verdanken das wir wieder hier sind.“, sagte er mit strengen Blick. Atrix nickte eifrig, traute sich aber kein Wort zu sagen. „Wo sind die anderen Teilnehmer?“, fragte Nigel verunsichert. „Ich schätze das kann uns der hier sagen.“, meinte Shane grinsend als er zwischen den Trümmern des Kristalls einen Mini-Oparat liegen sah, kaum größer als ein Säugling. Neben ihm lag die Schriftrolle, die er dem Gewinner versprochen hatte. Der junge Halbelf zögerte nicht lange und nahm sie an sich.

„Ich werde mich darum kümmern. Ihr solltet jetzt von hier verschwinden.“, meinte Decan bestimmend und verwies auf die Rückenlehne des Thronstuhls, der die Form einer Tür hatte. „Du hast Recht. Wir … wir stehen tief in deiner Schuld.“, erwiderte Nigel und reichte ihm zum Dank seine Hand. Decan erwiderte die Geste nicht und wendete sich ab. „Schon gut. Verschwindet einfach von hier und wir sind quitt.“, tönte er schroff zurück. Nigel zog seine Hand schließlich zurück und half Shane und Atrix schließlich Kyren durch das Tor am Thronstuhl zu bringen. „Ich hoffe wir sehen uns wieder, dunkler Kämpfer.“, rief er dem Schwertkämpfer zu, wissend dass ihn so viel Freundlichkeit ärgern würde. Decans Miene zeigte jedoch keine Reaktion und einige Sekunden später löste sich auch seine Gestalt von dieser Ebene, mit Oparat unter dem rechten Arm geklemmt. Ein gleißend helles Licht führte auch die Abenteurer schließlich zurück in ihre Welt.

Folge 97: Wenn die Nacht nicht enden will

[Folge 6: Wenn die Nacht nicht enden will]
 

Düstere Orgelklänge hallten durch die Räume einer thayischen Kirche, bedrohlich wie beängstigend zugleich. Die Töne kamen in ihrer Vielfalt einem Orchester gleich; eine Melodie die von dunklen Mächten zu erzählen schien. Minutenlang hämmerte Ashton wie besessen auf die Tasten des Instruments ein und verlor sich voll und ganz in den Klängen der riesigen Orgel - umringt von Finsternis, so wie er es mochte.

Er spürte das etwas Großes bevor stand, dass schon bald etwas passieren würde, was den Lauf der Dinge für immer verändern würde. Sein treuer Adept Daniel verharrte einige Meter hinter ihm, wie gelähmt von der Kunst seines Meisters.

Schließlich senkten sich die letzten Töne, als Ashton sein Spiel beendete. Ohne sich umzudrehen mahnte er seinen Adepten zum Bericht. „Was gibt es, Daniel?“, fragte er in einer Tonart, die anklingen ließ, dass er sich durch seine Anwesenheit gestört fühlte. Daniel schluckte nervös, gefolgt von einer Salutierung. „Meister Ashton, wir haben es gefunden.“, berichtete er knapp, wissend dass diese Worte reichen würden um ihn verstehen zu lassen. „Ausgezeichnet. Sammelt alle Truppen, bereitet alles für die Abreise vor. Wir werden schnellstmöglich aufbrechen.“, antwortete Ashton zufrieden. „Alle Truppen, Meister?“, wunderte sich Daniel. „Thay hat seinen Zweck erfüllt. Ich überlasse dieses Land seinem eigenen Schicksal. Wir sind hier fertig. Nun geht. Ich bin das Warten leid.“, erwiderte er mit finsterer Stimme. „J-jawohl. Sofort, Meister.“, stammelte Daniel aufgeregt, wissend das er sich keinen Zweifel erlauben durfte.
 

Folge 6: Wenn die Nacht nicht enden will
 

Daniel war in seinen zwanzig Lebensjahren noch nicht sehr viel herum gekommen. Fast sein gesamtes Leben hatte er in Diensten der Thay-Magier verbracht, mit der abschließenden Erkenntnis dass er nicht das Talent für höhere Magie hatte. Er war es gewohnt Befehle entgegen zu nehmen und sie zur vollsten Zufriedenheit auszuführen. Die Namen der Magier, denen er gedient hatte, änderten sich im Laufe seines Lebens, doch Ashton Scu’l war anders als alle anderen, die er je mit ’Meister’ betitelt hatte. Wofür andere ein ganzes Leben lang brauchten, benötigte er einen Tag. Seit er in Thay an der Macht war, hatte sich für den jungen Adepten vieles geändert. Nun war er kein kleiner Gehilfe mehr, sondern ein Mann dessen Worte Gesetz waren, handelte es sich doch oftmals die Worte seines Meisters, die er übermittelte. Ashton selbst, hatte sich seit seiner Machtübernahme ungewöhnlich oft zurückgezogen. Im geheimen schmiedete dieser Pläne, die nicht einmal er erfahren durfte. Ashton war mehr in Bibliotheken zu finden als anderswo. Daniel konnte mit seinen vergleichsweise bescheidenen Verstand nicht verstehen, was es hieß, sich jahrtausend Jahre altes Wissen anzueignen. Genauso wenig war ihm klar warum Ashton dies tat, aber es sollte ihn nicht interessieren. Gewissermaßen schätze er sich schon glücklich genug von ihm verschont worden zu sein, während andere Menschen der Thay zunächst noch gegen ihn rebelliert hatten.

Der Anblick einiger hundert bewaffneter Leute, die Pferde und Karren mit Lebensmitteln und Ausrüstung beluden, entlockte ihm ein Lächeln. Schon in wenigen Minuten würde man Abreisebereit sein. Ashton würde zufrieden sein. So entschloss er sich ihn herbei zu holen, während die letzten Vorbereitungen getroffen worden.
 

Ashton traf derweil seine eigenen Reisevorbereitungen. Alles was er in den letzten Wochen je berührt hatte, stand nun in Flammen. Er wollte nichts zurück lassen, selbst die unterirdischen Gemäuer nicht. Er suchte noch paar letzte Landkarten aus einem Fass heraus und steckte dieses kurz darauf mittels Magie ebenfalls in Flammen. Daniel stieß nur Sekunden später hinzu, sichtlich irritiert, warum der ganze Saal in Flammen stand. Ashton nahm nur beiläufig Notiz von seiner Person und machte sich mit den zusammen gerollten Landkarten unterm Arm auf dem Weg zum Ausgang. „Gehen wir.“, verlautete er und Daniel wusste, das er gut daran tat auf ihn zu hören. Nachdem der Eingang seiner unterirdischen Hallen von außen Zuschlug, sollte das Gemäuer nicht mehr lange Stand halten und in sich zusammen brechen. Ein donnerndes Bersten deutete darauf hin dass die einstigen Gewölbe nun in Schutt und Asche lagen.

An der Oberfläche angekommen, erwartete ihn eine breite Masse an loyalen Dienern und beladenen Pferden. Rasch eilte einer seiner uniformierten Befehlshaber herbei um Befehle entgegen zu nehmen. „Die Magister sollen ein Portal schaffen, groß genug für alle. Der Zielort ist Euch bekannt. Von dort soll unsere Reise beginnen.“, befahl Ashton mit nüchternen Blick auf das vor ihn liegende Szenario. Seine Krieger und Adepten trugen fast ausnahmslos dieselbe Art von Kleidung. Es waren ehemalige Magier und Streiter der Thay-Nation, nun zu Gläubigen konvertiert, weswegen sie zumeist mit langen roten Mänteln bekleidet waren. Ebenso schnell wie der Befehlshaber heran getreten war, verschwand er auch wieder um seinen Pflichten nachzugehen – was in diesem Fall hieß dem Willen des Meisters zu gehorchen.

Daniel wirkte nervös und es dauerte einige Zeit, bis er sich überwand eine Frage an Ashton zu richten, der geduldig wartete bis seine Leute das Portal mit ihrer Magie errichtet hatten.

„Meister Ashton. Verzeiht meine Zweifel, aber … warum der Tarraske? Mit Eurer Macht und Euren Einfluss könntet Ihr ein unbesiegbares Heer aufstellen.“, merkte er beinah eingeschüchtert an. Ashton schmunzelte leicht, denn er hatte erwartet dass diese Frage früher oder später aufgeworfen werden würde. „Du glaubst vielleicht ich wäre an Macht interessiert, aber letztendlich ist nicht immer alles so wie es den Anschein hat.“, setzte er nachdenklich an und senkte sein Haupt. „Ich verstehe nicht …“, meinte Daniel irritiert. „Ich tue all dies nicht um mich persönlich zu bereichern oder mein Ego zu stillen, ich tue es um diese Welt zu retten. Ich werde Toril einer grundlegenden Säuberung unterziehen und dann wird einem Menschen nie wieder Schmerz und Leid geschehen.“, sinnierte er, was Daniel tief schlucken ließ. Er wusste durchaus das Ashton eine Säuberung anstrebte, doch hatte er bisher andere Vorstellungen davon gehabt.

„Was du nicht weißt, Daniel, ist das die Welt da draußen weit über die Vorstellung eines gewöhnlichen Menschen hinausgeht. Es sind Mächte am Werk, die selbst ich mir nur schwer vorstellen kann. Die einzige Chance, die diese Welt hat, ist unter meiner Dominanz zu leben. Andernfalls ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis alles Leben vergehen wird.“, fuhr er fort und hob seinen Kopf wieder an. „Wie meint Ihr das? Was wird passieren?“, fragte Daniel erschrocken. „Der Tarraske ist die perfekte Waffe mir diese Dominanz zu sichern. Doch in den falschen Händen, kann sie unser aller Untergang sein. Vor vielen Tausend Jahren sperrte man mich in ein Gefängnis, ließ meine Seele für immer verschlossen. Nun, frei und vereinigt in diesem Körper, besteht noch Hoffnung.“, erzählte Ashton mit Blick voraus. „Verzeiht abermals, Meister. Aber wer außer Ihr sollte in der Lage sein ein solches Wesen wie den Tarraske zu bändigen?“, wunderte sich sein treuer Adept. „Zun …“, antwortete er mit finsterer Stimme und ebenso finsteren Gesicht, so dass sich Daniel nicht traute auch nur einen Mucks von sich zu geben. „W-wer ist dieser Zun?“, fragte er dennoch nach kurzem Zögern. „Ein bösartiges Wesen, verbannt in die finsterste Ecke des Universums, Aos dunkle Seite, wenn man so will. Doch hin und wieder gelingt es ihm, einen Teil seines Selbst in dieser Welt zu manifestieren. Vor über 10000 Jahren gelang es ihm zum ersten mal. Er erhoffte sich, dass der Mensch, mit dem er sein Wissen teilte, wahnsinnig und machtbesessen werden würde – so sehr das er die ganze Welt in die so genannte Tote Zone reißen würde – Zuns Gefängnis … sein Reich. Aber er hatte Pech. Der Mensch nutzte das Wissen, erkannte Zuns wahre Natur und verbannte ihn für einige Tausend Jahre. Statt die Welt in den Abgrund zu reißen, befreite er die Menschheit von den Echsenmenschen. Er ging in die Geschichte ein als Adrian von Nesseril und doch leugnet man seine Existenz bis zum heutigen Tage. Beim zweiten mal, wand sich Zun an mich, doch auch ich erkannte die Gefahr die von ihm ausging. Zun unterlag ein zweites mal.“, berichtete Ashton und fuhr somit mit seiner Erzählung fort. „Warum gerade Ihr? Ich kann nicht ganz folgen, Meister.“, gab Daniel verwirrt zurück. „Zun braucht ein Geschöpf das kompatibel ist, seine Gedanken aufzunehmen und verwenden zu können. Die einzige bekannte Rasse in ganz Toril auf die das zutrifft ist die Menschheit. Zu unserem Glück ist nicht jeder Mensch kompatibel und man sagt, es würde nur ein mal alle 5000 Jahre ein solcher Mensch geboren. Nun ist Zun zurück und er hat aus seinen Fehlern gelernt. Er wird alles daran setzen den Tarraske für sich zu gewinnen. Genau wie ich weiß er um dessen Natur. Wenn es ihm gelingt die Kontrolle über diese Kreatur an sich zu reißen, wird jedes Leben auf dieser Welt aufhören zu existieren. Die Fähigkeit der Menschen Magie zu beherrschen kommt ihm entgegen. Magie verführt zu niederen Handlungen. Menschen mit einem schwachen Geist und Gedankengut sind anfälliger für ihn. Deswegen muss diese Welt Grundlegend erneuert werden. Er werden viele sterben um noch viel mehr zu erretten. Unter meiner uneingeschränkten Herrschaft bietet sich ihm keine Angriffsfläche mehr. Mit dem Reich Nesseril bin ich gescheitert, aber das wird kein zweites mal passieren.“, erzählte Ashton und erst jetzt wurden Daniel auch die letzten Details klar.
 

In weiter Ferne, in schier ewiger Dunkelheit, herrschte derweil eine wesentlich angespanntere Stimmung. Vasen gingen zu Bruch, Stühle zerschepperten an den Innenwänden des Schlosses, Kelche fungierten als Wurfgeschosse gegen alles und jeden. Es dauerte bis ein Mann mit langem, weißen Haar, gekleidet in blutroten Gewand wieder zu ruhe kam, wohl auch, weil er nichts mehr fand das er zerstören konnte. Es war ihm gleich welchen Schaden er hinterließ, denn dies war sein Schloss und somit auch alles was sich darin befand. Verängstigt, aber geduldig warteten einige Diener an den Türen des großen Hauptsaals, der nun einem Trümmerfeld glich. Ein ungutes Gefühl beschlich sie als ihr Herr und Meister sie mit seinen pechschwarzen Augen fixierte. Dieses mal versteckte der Mann im roten Anzug seine Vampirzähne nicht, sondern fletschte sie wie eine Bestie als er sprach. „Bringt mir frisches Blut! Bringt mir endlich frisches Blut!“, fauchte er aufgebracht. „A-Aber Lord Drac …“, setzte einer seiner Hofdiener vorsichtig an. „Halts Maul!“, tönte es ihm barsch entgegen und ein Kelch, gefüllt mit Blut landete an seiner Weste. „Ich kann dieses fade Gesöff keinen Tag länger ertragen! Bringt mir frisches, unverdorbenes Blut! Bringt mir ein Kind, eine Jungfer – es ist mir gleich, aber bringt es mir bald!“, krächzte er gerade zu verzweifelt. „Lord Drac – wie wir Ihnen bereits sagten. In Euren Landen gibt es kein Blut dieser Art mehr. Ihr habt bereits jeden …“, versuchte sich einer der Diener zu erklären. „Schweigt! Ich lebe schon seit Jahrtausenden! Es gab immer genug frisches Blut!“, brüllte Lord Drac wütend dazwischen. Seine Dienser wussten, dass ihr Meister die Wahrheit nicht hören wollte. Wahrscheinlich wusste er sogar dass er für diesen Zustand die Verantwortung trug. Zu sehr hatte er seine Gelüste nach eine Delikatesse wie die des unverdorbenen Blutes in den letzten Monaten ausschweifen lassen. Er hatte immer öfter immer mehr verlangt, bis irgendwann auch die letzte Jungfer gebissen und das letzte Kind aus seinen Landen verschwunden war. Als Lord dieses Landes hatte er den Familien seines Landes Gold und andere Vergütungen versprochen, wenn sie reichlich Nachwuchs zeugten an denen er sich laben konnte, doch die Zeiten hatten sich geändert. Die Menschen hatten sich zu wehr gesetzt oder waren geflohen. Zur Strafe hatte er sie höchstpersönlich abgeschlachtet. Wenn es etwas geändert hätte, hätte er sich am an einen seiner Diener ergötzt, aber zum einen war es nicht nach seinen Geschmack Männern das Blut auszusaugen, zum anderen war ihr Blut genauso fade, wie das was man ihm tag täglich servierte.

Einige Sekunden später hatte sich Lord Drac wieder beruhigt und stützte sich erschöpft an seinen Kamin ab. Fast verträumt sah er in das lodernde Feuer und dann schließlich zum Fenster hinaus, das über drei Meter Höhe maß und fünf Meter Breite. Von dort aus hatte er stets wachsam auf seine Territorien hinab gesehen, doch nun sah er dort nur noch eine verlassene Landschaft. „Setzt einen Jäger an. Er soll mir bringen wonach es mich begiert. Der Preis spielt keine Rolle.“, sagte er mit schwacher Stimme, doch seine Dienerschaft wusste, das man ihn besser ernst nehmen sollte. „Sehr wohl.“, erwiderte einer von ihnen, bevor man sich nach kurzer Verbeugung zurückzog.
 

Nachdenklich glitt Kyrens rechter Zeigefinger über die Zeilen des Textes auf dem Pergament, das man von Oparat erbeutet hatte. Schon seit Stunden saß sie an einen der Lesetische in der Bibliothek von Riatavin, umgeben von alten Büchern über noch ältere Sprachen. Sie merkte gar nicht wie sich Nigel von hinten näherte und erschrak leicht als er seine Stimme erhob. „Und? Schon was raus gefunden?“, fragte er vorsichtig. Ein Blick auf ein Stück Papier das im oberen Teil mit zwei Zeilen Schrift versehen war, ließ ihn bereits erahnen das sie noch nicht weit gekommen war. Nervös tippte sie mit dem Bleistift in der linken Hand auf selbiges Blatt Papier. „Noch nicht sehr weit. Die Sprache auf diesem Pergament ist ein uralter Code der Nesserer. Es gibt nur sehr wenige Informationen darüber.“, erwiderte sie seufzend. „Könntest du mit deiner Magie den Inhalt dieser Schriftrolle nicht einfach so entfesseln?“, wunderte er sich und beugte sich über ihre Schulter. „Ja schon, aber wenn ich nicht sicher bin was die darin eingeschlossene Magie bewirkt, birgt es ein Risiko.“, erklärte sie, was Nigel dazu bewog sich wieder gerade hinzustellen. „Ich bin sicher, du wirst die Magie noch entschlüsseln. Wenn du etwas brauchst, dann sag bescheid. Ich sehe mich dort hinten um.“, meinte er und deutete auf eine Abteilung am anderen Ende der Bibliothek. „Ehm … wo du es gerade sagst. Wo stecken Shane und die anderen?“, hakte Kyren rasch nach, gerade als Nigel sich entfernen wollte. „Soweit ich weiß hat Judy die beiden Jungs zum Eis essen eingeladen.“, gab er zurück und widmete sich seiner Dinge. Die junge Elfin seufzte innerlich, aber schließlich konnte sie es keinen von ihnen verübeln. Es war ein sonniger Tag, gerade zu prädestiniert dafür einen Stadtbummel zu machen. Ihr Magen begann zu knurren bei den Gedanken ans Essen. Sie hatte Stundenlang in der Bibliothek ausgeharrt ohne etwas zwischen die Zähne bekommen zu haben – sah man von ihren Bleistift ab auf dem sie herumgekaut hatte. „Vielleicht tut mir eine Pause ganz gut.“, dachte sie laut vor sich hin, packte ihre Aufzeichnungen zusammen und ging nach draußen an die frische Luft.
 

Vor der Bibliothek gab es einen großen Brunnen, der so klares und frisches Wasser bot, dass man daraus trinken konnte. Es war bereits Mittagszeit und überall in den Straßen der Stadt lag der Duft von frisch gemachten Mahlzeiten in der Luft. Kyrens Magen knurrte daraufhin nur noch mehr und sie wusste dass es mit einem Schluck Wasser nicht getan sein würde. „Heeh! Kyren!“, rief Shane plötzlich, der mit einer großen Tüte unterm Arm aus einer Einkaufspassage winkend herbei gelaufen kam. Kyren wunderte sich einen Moment lang warum er allein war, fühlte sich jedoch schnell angenehm überrascht. Leicht außer Atem kam er schließlich bei ihr zum stehen und reichte ihr die Tüte. „Hier … ich hab dir etwas zu essen mitgebracht. Ich dachte du bist vielleicht hungrig.“, sagte er. Sie konnte ihr Glück kaum fassen und nahm die Tüte freudig entgegen. Nicht nur das ihr Hunger bald gestillt sein sollte, nein, es war Shane der die Freundlichkeit besaß ihr das Essen zu bringen. „Wow, Danke! Genau im richtigen Moment.“, erwiderte sie und bedankte sich mit einem Lächeln.
 

Einen Moment später ließ man sich am Rand des Brunnens nieder. Shane hatte an alles gedacht. Von Gebäcken über Früchten variierte die Auswahl an Essbaren. „Hast du schon etwas über die Schriftrolle herausgefunden?“, fragte Shane neben ihr, während sie fast peinlich berührt einem Bissen von einer örtlichen Gebäckspezialität zu sich nahm. „Noch nicht.“, antwortete sie und zog aus ihrem Nimmervollen Beutel das Pergament und die dazugehörige Übersetzung hinaus. „Es handelt sich um eine alte Nesser-Codierung. Es ist sehr schwierig, aber mit etwas Glück haben wir heute Abend ein Ergebnis.“, ergänzte sie optimistisch und reichte die Sachen an Shane weiter. Dieser runzelte die Stirn, denn weder die Buchstabenfolge, noch die Übersetzung ergaben für ihn in diesen Augenblick einen Sinn.

Eine Zeit lang saßen die beiden Schweigend nebeneinander, während Kyren aß. Es war angenehm ruhig und eine erfrischende Priese zog hin und wieder über die beiden hinweg. Shane sah in den wolkenfreien blauen Himmel und versuchte einfach den Moment zu genießen. Er mochte die kleine Elfe neben sich, egal ob er sich an sie erinnert konnte oder nicht. Aber er war nicht besonders bewandert darin anderen dies auf irgendeine Art und Weise zu zeigen. Er dachte, ja wünschte sich sogar, dass es eigentlich mehr solcher Momente wie diesen geben sollte und während er das tat, begannen die Symbole des Pergaments in seinen Händen vereinzelt aufzuleuchten. Keiner der beiden merkte was geschah, wonach mehr und mehr und mehr Buchstaben golden erstrahlten. Schließlich erhob Kyren ein Wort um die bedrückende, wenn auch angenehme Stille zu brechen. „Du …“, setzte sie an, worauf Shane sich wieder auf sie konzentrierte. Ihre Mimik erstarrte auf einmal und was immer sie auch sagen wollte, ihre Stimme erlosch als sie bemerkte dass sich die Symbole des Pergaments leuchteten. „Shane! Das Pergament!“, rief sie aufgeregt und versuchte ihn es noch aus den Händen zu reißen. Ihr Griff zum Schriftstück kam Millisekunden zu spät, denn als es sich in Shanes Händen auflöste wurde ihr klar, dass sich der Zauber bereits entfesselte.

Sekunden später begann ein goldener Glitter den Halbelfen zu umkreisen, wobei dieser hin und wieder durch seinen Körper fuhr als wäre er ein Geist. „Was passiert mit mir?“, fragte er irritiert. Die leuchtenden Funken kreisten immer schneller, fast bedrohlich schnell. Shane wirkte hilflos und zuckte immer wieder zusammen. Auch Kyren blieb nichts anderen übrig als mit ansehen zu müssen, wie ihr Gefährte unter den vielen Lichtern nach und nach schrumpfte. „Kyren?! Was geschieht mit mir?“, wiederholte er nervös, während seine Stimme immer kindlicher wurde. Verzweifelt suchte die junge Elfin nach einer Antwort, aber sie wusste, was immer sie auch tun würde - es würde die Verwandlung nicht stoppen können.

Wenige Augenblicke später lag ein Säugling vor ihr wo zuvor noch Shane gestanden hatte. Das Baby schlief friedlich in den übergroßen Sachen ihres Gefährten. Der Glitter war verschwunden, die Transformation abgeschlossen, doch das Resultat erschreckender als sie sich es je hätte vorstellen können. Vorsichtig hob sie das Baby auf und wickelte Shanes Oberteil wie eine schützende Decke um ihn herum. „Sh-Shame? Bist du das?“, fragte sie ungläubig. Sie konnte kaum fassen was geschehen war und wirkte entsprechend konsterniert.
 

Die Rufe ihrer Gefährten drangen zu ihr durch, da Judy und Atrix von ihrem Stadtbummel zur Bibliothek zurückkehrten. Sie hatten nicht gesehen was geschehen war und erkundigten sich nach dem Säugling. „Hey? Wem gehört denn das Kind?“, wollte Judy wissen, während Atrix mit erhobener Augenbraue Shanes Sachen am Boden liegen sah. „Was ist hier passiert?“, wollte er wissen und warf Kyren einen kritischen Blick zu. „Was …? Ich … eh … weiß es nicht.“, brabbelte die Elfin, sichtlich durcheinander. „Ist … ist das etwa Shane?! Was hast du mit ihm gemacht?!“, kreischte Judy nachdem sie die losen Sachen ihres Cousins bemerkte. Kyren wirkte auch nach mehreren Nachfragen nicht viel ansprechbarer, vor Schock nach wie vor gelähmt. „Wir holen besser Nigel. Er wird wissen was zu tun ist.“, schlug Judy vor und wies Atrix zur Bibliothek.

In den Hallen der Bibliothek begegnete er einem sehr zuversichtlich dreinblickenden Nigel, der bereits auf dem Weg zum Ausgang war. „Nigel! Nigel! Es ist etwas Schlimmes passiert!“, berichtete der junge Elf aufgeregt.
 

Das Baby schlief noch als Nigel hinzu kam und obwohl er in bekümmerte Gesichter sah, zeigte er unerwartet wenig Sorge. Kyren machte sich noch immer Vorwürfe, aber er tat nichts um sie zu trösten. „Das ist ungünstig. Jetzt haben wir die Schriftrolle und Shane verloren. Aber es gibt auch gute Nachrichten. Einer der Bibliothekare hat mir von einem alten Mann erzählt, der trief draußen in den Wäldern lebt. Er sollte in der Lage sein auch dieses Problem zu lösen.“, meinte er mit Blick auf Shane, der friedlich in Judys Armen schlief. Nigel erntete einige Fragende Blicke für seine Äußerung. „Wie sollen wir das verstehen?“, fragte Atrix verwundert. „Sicher habt ihr schon von ihm gehört. Sein Name ist Andanariel, der Prophet.“, antwortete Nigel. „Andanariel?!“, rief Kyren erstaunt, während Judy sich unwissend der Elfe zuwendete. „Du kennst ihn?“, fragte sie neugierig. „Ja … er ist recht bekannt. Man sagt er sei ein Meister der weißen Magie. Er kann alle Krankheiten heilen und sogar Flüche brechen. Man sagt er sei von Geburt an blind, kann dafür aber in die Zukunft sehen. Es gibt viele Mythen und Legenden um ihn.“, erzählte sie berauscht von den Gedanken den Priester zu treffen.

„Das heißt er könnte uns helfen Shane wieder herzustellen und uns bei unseren Problem mit Ashton helfen.“, ergänzte Nigel grinsend.
 

Wenig später wurde die Stille des angrenzenden Waldes durch Baby-Geschrei gestört. Gerade zu penetrant hämmerte sich Shanes Stimmorgan in die Ohren seiner Gefährten. „Ich halte das bald nicht mehr aus! Er schreit schon seit er wach geworden ist!“, kreischte Atrix und hampelte wild umher. Judy tat ihr bestes um ihn zu beruhigen. Sie schaukelte ihn, drückte ihn fest an sich und redete ihm gut zu, aber das Geschrei nahm keinen Abbruch. „Was hat er denn?! Hat er sich in die Windeln gemacht?! Hat er Hunger?!“, rief Nigel leicht genervt. „Ich habe schon alles versucht. Ich weiß nicht warum er schreit.“, gab Judy ratlos zur Antwort und drückte Shane noch etwas fester an ihren Busen in der Hoffnung das es ihn irgendwie ruhig stellen würde. Doch das Baby wehrte sich regelrecht und schrie ungehemmt weiter. „Vielleicht sollte ich ihn mal nehmen.“, schlug Atrix aus einem Akt der Verzweiflung vor und nahm seiner Gefährtin das Baby ab. Für einen Moment schien es so als ob Atrix Erfolg damit hatte, doch stattdessen gesellte sich zum Geschrei nun auch noch die ein oder andere Träne. Kyren wirkte sichtlich niedergeschlagen. „Das ist alles meine Schuld. Hätte ich aufgepasst wäre das alles gar nicht passiert.“, sagte sie bekümmert. Derweil war es Atrix der an den kleinen Säugling verzweifelte, denn keine seiner Fratzen oder Bewegungen konnte dessen Stimmung aufhellen. „Wäre seine Mutter jetzt hier – sie wüsste was zu tun wäre.“, meinte Nigel resignierend und nahm den Elfen das Kind ab. Keiner von ihnen hatte Erfahrung mit Kindern, doch Nigel hoffte darauf dass in jedem Mädchen der natürliche Instinkt einer Mutter schlief. Aus irgendeinem Grund hatte sich Shane in Judys Armen unwohl gefühlt, obwohl sie verwandt waren. So blieb ihn nur Kyren als letzte weibliche Option in ihrer Abenteurergruppe. Die junge Magerin lief seit dem Vorfall mit herunterhängenden Elfenohren herum und wirkte wie ein Stück Elend. Trotzdem nahm sie Shane entgegen als Nigel ihn ihr hinreichte. Kyren war fast peinlich berührt, denn sie hatte noch nie mit Babys zu tun. Sie wusste weder wie man sie hielt, noch wie man sie beruhigen konnte. Dennoch verstummten Shanes Schreie unmittelbar nachdem er in Kyrens Obhut übergeben war. Atrix Augen weiteten sich erleichtert. „Er hat aufgehört!“, stellte er überglücklich fest. Kyren stand etwas bedröppelt da. Sie konnte sich nicht erklären wie sie es geschafft hatte. „Wie … was habe ich gemacht?“, wunderte sie sich verblüfft. „Ich habe keine Ahnung.“, gab Nigel breit grinsend zurück. Nach und nach begannen auch Atrix und Judy zu grinsen, was Kyren eine sichtbare röte ins Gesicht trieb. „W-was ist los mit euch?“, fragte sie nervös. „Nichts. Was soll denn sein?“, erwiderte Nigel amüsiert. Als Kyren in Shanes große Augen sah, entdeckte sie eine bisher nie da gewesene Fröhlichkeit und es schien so als wollte er nach ihrem Gesicht greifen. Statt Gekreische hallten nun sanfte Laute aus dem Mund des Säuglings. So sollte die weitereise zum Propheten Andanariel sich als wesentlich angenehmer gestalten.
 

Am Abend schlug man ein Lager nahe eines Flusses auf. Über einem Lagerfeuer wurden Vorräte gegrillt und Geistergeschichten unter klaren Sternenhimmel erzählt. Atrix versuchte sich auf einer Laute, während Kyren verträumt dem Knistern des Lagerfeuers lauschte. „Wie weit ist es noch bis zu diesem Wunderheiler?“, wollte Judy wissen. „Wir sollten in den Abendstunden des morgigen Tages ankommen.“, beruhigte Nigel seine Gefährtin. Kyren gefiel der Gedanke nicht Shane noch einen ganzen Tag in dieser Situation belassen zu müssen, aber sie tröstete sich damit dass er gesund und sicher bei ihr war. „Ich gehe ein paar Schritte spazieren.“, sagte sie Gedankenversunken und entfernte sich etwas vom Lager. „Ob es so gut ist, sie mit Shane allein durch die Nacht laufen zu lassen?“, zweifelte Atrix nachdem sie außer Hörweite war. „Sie ist keine gewöhnliche Elfe, auch wenn man es ihr nicht ansieht.“, meinte Nigel schmunzelnd.
 

Minuten verstrichen, die sie Gedankenversunken am Wasser verbrachte, nur unweit vom Lager entfernt, wo man die Grillen zirpen, statt das Lagerfeuerknistern hören konnte. Hier war es ruhig und die Luft roch mehr nach Natur, nicht nach Gegrilltem. Obwohl Nigel sich keine Sorgen um ihre Sicherheit machte, entschloss er sich ihr etwas Gesellschaft zu leisten. „Ein schöner Abend, nicht wahr?“, kündigte er sich an und setzte sich neben sie.

„Ja … du hast Recht.“, antwortete sie leicht verträumt und blickte in den Sternenhimmel, Shane leicht in den Armen schaukelnd. „Ich habe das Gefühl dich bedrückt etwas.“, sagte Nigel bedächtig. Kyren erschrak etwas, zwang sich dann aber ein Lächeln heraus als sie sich zu ihm wendete. „Schätze ich bin leicht zu durchschauen.“, gab sie peinlich berührt zurück. Ein Seufzer glitt über ihre Lippen in dessen Folge sie ihren Sorgen offenbarte. „Sieh mich doch an, Nigel. Ich weiß nicht ob ich das schaffe. Ich bin selbst fast noch ein Kind – wie soll ich mich da um ein Baby kümmern? Es tut mir so Leid um Shane, aber wenn ich ihn so in meinen Armen halte, dann habe ich Angst dieser Verantwortung nicht gerecht zu werden. Ich bin nur ein Mädchen, keine Mutter. Ich habe mir doch noch nie Gedanken darüber gemacht ob ich mal Kinder will und ob ich sie umsorgen kann. Ich fühle mich so hilflos.“, erzählte sie traurig, leicht errötet. Nigel haderte mit sich selbst, denn obwohl er etwas sagen wollte, fanden seine Gedanken nicht den Weg über seine Stimmbänder. „Ich kann dir nicht sagen woher ich es weiß – nenn es Zuversicht – aber ich glaube du würdest eine gute Mutter abgeben. Sieh dir Shane doch an. Er ist so friedlich und glücklich bei dir.“, versuchte er sie zu trösten. Kyrens Augen verloren sich in denen des Säuglings und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie wusste nicht was sie erwidern sollte oder ob sie etwas erwidern sollte und verfiel in Schweigen.

„Hast du keinen Hunger?“, fragte Nigel schließlich. „Weißt du, ich glaube …“, setzte Kyren an als Shane wie aufs Stichwort mit seiner Hand an ihre Brust tatschte. „Wa- … wah?!“, schrie die junge Elfe erschrocken als sie sah das der Säugling ebenfalls nach einer Mahlzeit trachtete. Zwar unbeholfen aber zielgerichtet tastete er sich auf ihrer Kleidung nach der Quelle für Muttermilch vor. Kyren war wie gelähmt und beschämt zugleich. „Was soll das? Heh! Nimm deine Hände da weg!“, mahnte sie das Baby hoch errötet und hielt es leicht von sich weg. Nigel schmunzelte belustigt. „Wahrscheinlich will er gefüttert werden.“

Kyren fand das gar nicht komisch und wirkte reichlich unbeholfen. „Wir hätten vor der Abreise Milch kaufen sollen. Babys können nichts Festes zu sich nehmen.“, seufzte Kyren resignierend und hielt fortan einen schreienden Säugling in der Hand, den man seine Mahlzeit vorenthalten hatte. „Ich schau mal besser in unseren Sachen nach, ob wir ihm nicht irgendetwas geben können.“, meinte Nigel und zog sich kurzerhand zum Lagerfeuer zurück. Der jungen Elfe war gar nicht wohl dabei das kleine Kind schreien zu lassen und hoffte dass Nigel bald etwas finden würde. Sie ahnte nicht dass das Geschrei eine finstere Gestalt im Wald auf sie aufmerksam gemacht hatte.
 

Während Kyren versuchte Shane durch wiegen zu beruhigen, schlich sich im Schutz des Waldes ein Jäger heran. Er wagte es nicht seine Position hinter einen der Bäume vorzeitig zu verlassen, wusste aber, dass er nicht ewig Zeit haben würde. Vorsichtig spannte er einen dünnen Pfeil in seinen Bogen, dessen Ende mit einer stecknadelgroßen Spitze versehen war. Sein Schuss war lautlos und traf die Elfin im Nacken. Der Pfeil zersplitterte beim Aufprall, während dessen Spitze sich in ihr Fleisch bohrte. Was sich zunächst wie ein Wespenstich anfühlte, fügte Kyren recht schnell größeren Schmerz zu. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck doch ihre Stimme verzagte als ein Gift ihren ganzen Körper erlahmen ließ.

Nigel war noch nicht ganz am Lagerfeuer angekommen als er merkte dass etwas hinter seinen Rücken geschah. Eine fremde Gestalt lief im hohen Tempo zu seiner Gefährtin, die bewusstlos zur Seite umkippte. „Was zum …“, setzte er an, bevor auch er sich plötzlich mit der Klinge eines Schwertes konfrontiert sah. Ein Komplize des Jägers war herbei gekommen und hinderte Nigel nun erfolgreich daran Kyren zu Hilfe zu kommen. Gerade noch rechtzeitig zog er sein Schwert um den Angreifer parieren zu können, doch der bullige, haarlose Mann, war nicht ungeübt mit seinem Zweihänder. Seiner Statur und Kriegskleidung nach handelte es sich um einen Barbaren – einen Söldner, wie Nigel vermutete. „Kyren!“, rief ihr Gefährte besorgt, musste aber mit ansehen, wie der Jäger sie samt Kind verschleppte.

Atrix und Judy zögerten nicht lange als sie merkten was geschehen war. „Atrix! Hilf Nigel! Ich kümmere mich um Kyren!“, wies Judy den Elfen an ihrer Seite an. Wie auch der Jäger mit seiner Beute verschwand sie rasch im Wald und ließ ihren Gefährten kaum Zeit zum Widerspruch. Nigel hatte seine Mühe den großen Hünen Gegenwehr zu leisten, waren seine Angriffe doch meist so wuchtig das diese ihn regelrecht nach hinten warfen. Nigel war schneller und wendiger, aber nicht schnell und wendig genug um den Kampf für sich zu entscheiden. „Nigel! Ich helfe dir!“, rief Atrix und zog sein Schwert zu Hilfe. „Nein! Sieh zu das du Kyren und Shane rettest! Ich schaffe das schon!“, wies er ihn im Kampfgeschrei zurück. Der Barbar schien amüsiert über die Einschätzung seines Gegenübers, denn bisher sah er sich selbst deutlich im Vorteil. „Da wäre ich mir nicht so sicher, Kumpel.“, knurrte er mürrisch und verwies ihn mit einem weiteren Hieb in die Schranken. Trotzdem gehorchte Atrix und folgte Judy nach kurzer Überlegung.
 

Judy war es derweil gelungen den Jäger im Wald zu stellen. Fast wie ein Stück Wild hielt er Kyren unter seinem rechten Arm fest, während er das schreiende Baby mit dem linken umklammert hielt. Er war erzürnt, denn auch wenn sie nur ein Mädchen war, musste er zumindest für einen Moment von seiner Beute ablassen um beide Hände für einen Kampf frei zu haben. Gerade zu plump ließ er Kyren fallen und legte das schreiende Baby neben ihr ab, bevor er ein Kurzschwert zog. „Aus dem Weg, Mädchen, oder du wirst es bereuen!“, fauchte er Judy an, die nur einen Dolch zur Hilfe nahm. „Tut mir Leid. Ich kann Euch leider nicht mit ihnen gehen lassen.“, erwiderte sie frech und selbstbewusst. Ohne weitere Worte zu vergeuden gingen die beiden aufeinander los. Judy suchte jedoch nicht den Nahkampf, sondern nutzte ihren Dolch als Wurfgeschoss. Durch einen präzisen Treffer in die linke Schulter des Mannes, gelang es ihr den Angriff des Jägers zu schwächen. Dieser schrie kurz auf und verzog schmerzverzerrt das Gesicht, bevor er sich ihres Dolches entledigte. „Du kleine Hexe! Dafür wirst du büßen!“, rief er wütend und sah das Mädchen nun schutzlos gegen ihn ausgeliefert, nun wo sie keine Waffe mehr hatte. Er wunderte sich nur kurz dass Judy dennoch sehr selbstbewusst wirkte und griff an. Gerade zu leichtfertig wich sie seinen Schwerthieben fortan aus, stets ein Grinsen im Gesicht. Immer wieder schlug der Jäger lediglich in die Luft ohne sie auch nur zu streifen. „Das war ganz amüsant, aber nun werdet Ihr sterben.“, gab sie amüsiert von sich und holte mit ihrem Arm zum Schlag aus. Für die beiden Kämpfenden endete der Kampf jedoch unerwartet als Atrix plötzlich hinzu stieß. „Judy!“, rief dieser aufgeregt dazwischen, was die Konzentration der beiden kurzzeitig vom Kampfgeschehen abschweifen ließ. Judys Augen weiteten sich ganz so als wäre sie starr vor Angst als sie ihren Gefährten erblickte. „Mist! Noch einer!“, fluchte der Jäger und versuchte das Duell mit Judy schnell zu Ende zu bringen. Er nutzte die Gelegenheit und vollendete was er begonnen hatte. Dieses mal schien er getroffen zu haben. Als Judy mit weit aufgerissenen Augen zu Boden sackte, war der Kampf entschieden. Ungeachtet seines Opfers machte sich der Jäger hektisch daran die Beute einzusammeln, solange der Neuankömmling noch außer Reichweite war. Als er Kyren und Shane jedoch auflesen wollte, fand er nur das Elfenmädchen vor, während Shane munter und unverdrossen auf der Jagd nach einem Glühwürmchen durch das hohe Gras krabbelte. Atrix war fast in Reichweite und so entschloss er sich es bei der Elfe zu belassen. Es blieb ihm nicht genügend Zeit Shane in der Dunkelheit zu suchen und so trat er die Flucht ohne das Baby an.

Während der Jäger im Schutz der Dunkelheit verschwand stolperte Atrix beinah über den Säugling. Vorsichtig nahm er ihn auf und eilte Judy zu Hilfe. „Judy! Judy!“, rief er aufgeregt, doch als er näher kam, rappelte diese sich schon wieder von allein auf. Sie hielt sich den Bauch und zeigte eine schmerzverzerrte Miene, doch viel näher schien ihr Kyrens Verlust zu gehen. „Judy? Ist alles in Ordnung? Dieser Typ …“, setzte Atrix besorgt an, bevor sie ihm das Wort entriss. „Mir geht’s gut. Mach dir keine Gedanken.“, gab sie beschwichtigend zurück und ließ ihren Blick über die Waldgegend streifen. Atrix staunte beim Anblick ihres makellosen Körpers, denn rein oberflächlich war keine Wunde zu erkennen. „Aber … dieser Mann! Er hat dich getroffen! Ich habe es gesehen!“, wunderte er sich. „Das … hat sicher getäuscht. Er hat mich mit der stumpfen Seite seines Schwertes erwischt. Nichts passiert.“, meinte sie ungewöhnlich gelassen. „Dieser Kerl ist jedenfalls weg, aber gut dass du Shane retten konntest. Wir sollten zurück und Nigel helfen.“, ergänzte sie schließlich und lief zurück zum Lager. „Ja … eh … ganz wie du meinst.“, gab Atrix vorsichtig zurück.
 

Nigel atmete bereits schwer und langsam begann auch er zu Zweifeln ob er den Barbaren besiegen konnte. Sein Gegner teilte so harte Schläge aus, dass er nicht einmal sicher war wie lange sein Schwert dem noch standhalten konnte. Ein Stück feuchtes Gras wurde Nigel schließlich zum Verhängnis. Als er ausrutschte und zu Boden fiel, war ihm klar, dass er aus dieser Situation nicht mehr heraus kommen sollte. Der Barbar würde ihm sicher keine zweite Chance geben und erhob bereits sein Schwert zum finalen Schlag. Nigels Augen weiteten sich und sein Körper erstarrte. Völlig unerwartet traf auf einmal ein magisches Geschoss den Kopf des Berserkers, der daraufhin wie eine Melone zerplatzte. Der Körper des Mannes fiel leblos zu Boden, während Nigel sein Glück noch gar nicht fassen konnte. Er hatte auf Kyren gehofft, doch außer ihm war weit und breit niemand zu sehen. Verunsicherung machte sich breit als sich niemand als sein Retter zu erkennen gab. „Hallo? Wer ist da?“, rief er ziellos in den Wald hinein. Niemand antwortete und blieb es bei der Suche nach einer Antwort. Einige Momente später kam Judy mit Atrix herbei geeilt. „Nigel! Alles in Ordnung?“, rief sie erleichtert, als sie ihn unversehrt sah. „Eh … ja … schätze schon.“, erwiderte er beinah überrascht. Kurz darauf stieß auch Atrix hinzu, mit Shane in den Armen, doch mit der schlechten Kunde das Kyren entführt wurde.
 

Der darauf folgende Tag bot weitere unangenehme Überraschungen für die Abenteurer. Obwohl sich Atrix mühte die Fährte des Jägers nicht zu verlieren, wurde es ihm durch die fortwährende Dunkelheit zusätzlich erschwert. „Ich verstehe das nicht. Nach meiner Rechnung müsste es doch schon fast Nachmittag sein, aber es ist so finster als ob es Mitternacht wäre.“, stellte er verwundert fest als man an einer Lichtung Halt machte, die einen Ausblick auf das vor ihnen liegende Gelände gewährte. Diese Wälder waren seltsam, anders als die anderen. Selbst er als einfacher Elf konnte einen Hauch von Magie an jedem Baum, im Boden und sogar in der Luft spüren. „Ich vermute diese Gegend hier ist verflucht. Eine finstere Magie scheint das Sonnenlicht von hier fern zu halten.“, resümierte Nigel, der Shane in einer Tragetasche am Brustkorb mit sich trug. „Wir dürfen nicht aufgeben! Wir müssen Kyren wieder finden.“, ergänzte er entschlossen und ballte seine rechte Hand zur Faust.

Innerlich wusste er bereits das es ein nahe zu aussichtloses Unterfangen war, da weder er, noch einer seiner Gefährten diese Gegend gut genug kannte um zu wissen wohin der Jäger mit ihr geflohen war.

Ein schwaches Licht in großer Entfernung ließ zumindest die Hoffnung schwellen auf Menschen zu treffen die ihnen weiter helfen konnten.
 

Als Kyren ihre Augen wieder öffnete, fand sie sich in einer Hütte, an einer senkrecht aufgerichteten Pritsche wieder. Blankes Holz rieb an ihren Rücken und ihre Hände und Füße waren durch metallische Fesseln unbeweglich gemacht. Sie fragte sich warum man sie angekettet hatte und was überhaupt passiert war. Das letzte was sie wusste war das sie Shane in seiner unglückseligen Gestalt in ihren Armen hielt. Die Hütte war nur mager beleuchtet, weswegen sie den Mann vor ihr, der im dunklen auf einen Stuhl hockte nicht sofort bemerkt hatte. Er starrte sie aus der Finsternis an, gerade zu als wollte er sie mit seinen Blicken durchbohren. „Wer … wer seid Ihr? Was geht hier vor?“, fragte sie in menschlicher Sprache. Der Holzboden knarkste als sich der Mann daraufhin aufrichtete und langsam an sie ins Licht heran trat. Er war gekleidet wie ein Jäger und hatte ungekämmtes braunes Haar. Ein feiner Bart zierte sein Gesicht und sein Blick verriet ihr dass ihr die Antwort nicht gefallen würde. „Es ist alles schief gelaufen, Gör!“, schrie er sie an und ohrfeigte sie aus seiner Wut heraus. Kyren verstand nicht, hoffte aber das er jegliche weitere Worte nicht mit einer so harten Ohrfeige abschließen würde. „Wir wollten nur dein Kind! Nun ist mein Gefährte tot und das Baby verloren.“, ergänzte er finster. Dennoch waren es Worte die in ihr Hoffnung und Freude weckten, wenn gleich sie sich daraufhin zu einer unbedachten Aussage verleiten ließ. „Shane geht es gut? Er konnte entkommen?“, fragte sie erleichtert. „JA!“, erwiderte der Mann lautstark und ohrfeigte sie noch härter als zuvor. Kyren schossen vor Schmerz die Tränen aus den Augen, aber der Gedanke dass es Shane gut ging linderte die Schmerzen etwas. „Aber mach dir keine falschen Hoffnungen. Du magst wertlos sein, aber vielleicht immer noch nützlich. Vielleicht lässt sich Lord Drac trotzdem auf das Geschäft ein.“, meinte der Jäger und verfiel etwas in Gedanken – was gut war, da es ihm davon abhielt sie zu ohrfeigen. Er war sich nicht sicher ob der hiesige Lord sich ebenfalls für eine zierliche Elfe interessieren würde, aber viel mehr hatte er nicht zu bieten und er wollte entlohnt werden. „Nein! Das könnt Ihr nicht tun!“, rief sie verzweifelt und versuchte sich zappelnd aus ihren Fesseln zu lösen. „Ich kann und ich werde. Lord Drac hat ein unschuldiges Kind gefordert, mit reinem Blut. Entweder dein Blut entspricht seinen Vorstellungen oder du wirst schlimmere Qualen als in der Hölle erleiden!“, gab er mit irren Blick zurück und legte seine Hände an ihre Wangen. Kyren fühlte sich von diesem Mann mit jeden Moment immer mehr angewidert. Sie wollte ihn am liebsten mit ihrer Magie niederstrecken, doch sie hatte schon kaum noch Gefühl in ihren Händen um auch nur einen Finger für einen Zauber zu bewegen. Als er von ihr abließ, schwante ihr, das die nächsten Stunden für sie nicht angenehmer werden würden. Sie musste Zeit schinden, egal wie. Er schien nichts von ihrer magischen Begabung zu wissen und wer immer Lord Drac war – sie würde schon mit ihm fertig werden, sollte sie ihre Hände erst einmal wieder frei bewegen können. Dennoch war der Mann vorsichtig und ließ ihr nicht die Chance sich zu wehr zu setzen. Mit einem Betäubungsgift würde er sie für den bevorstehenden Transport bereit machen. „Bete lieber dass Lord Drac dich nicht bei lebendigen Leibe frisst!“, entgegnete er ihr in warnender Stimmelage, bevor er den Betäubungspfeil in ihren rechten Unterarm stieß.
 

Gerrard wirkte unzufrieden als er mit seinem Dolch auf einen Tisch herumstocherte. Er hatte sich in einer Schänke nieder gelassen, die einzige weit und breit im Umkreis von knapp hundert Meilen. Er mochte diesen Ort nicht, noch die Gesellschaft die sich um ihn herum trieb. Das Lokal war für die Mittagszeit mit dürftigen Gestalten besetzt, die einen Becher Met nach dem anderen tranken, bis sie vergaßen, dass sie überhaupt schon etwas getrunken hatten. Er selbst hatte immer noch das Glas Wein auf dem Tisch stehen, dass er vor einer Stunde bestellt hatte. Gerrard war nicht freiwillig an diesem Ort, einem Ort an dem die Nacht nie zu enden schien, wie ihn ein Blick zum Fenster verriet. Eigentlich war er nur auf der Durchreise, aber seine Reisegefährtin Marian sah es als ihre Pflicht an heraus zu finden, was diesem Ort widerfahren war. Der Gedanke dass ein junges Mädchen dort draußen ohne Schutz herum streunte, behagte ihm nicht. Allerdings hatte er in den letzten Tagen und Wochen gelernt dass sie eine äußerst beeindruckende Persönlichkeit war, die sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte. Wenn sie es wollte konnte sie ungesehen durch Stadt und Land reisen, wie ein Phantom, das niemand wahrgenommen hatte. Gleichzeitig besaß sie ein hohes Maß an Wissen und weißer Magie. Sie würde zurecht kommen, dessen war er sich sicher.

Dennoch, die Intention diese Gegend aufzusuchen kam nicht von seiner Gefährtin. Er selbst hatte verlangt hier her reisen zu dürfen. Es war nur ein kleiner Umweg zum eigentlichen Ziel. Er wusste von einem Schloss in der Gegend, das so alt war wie der älteste Vampir selbst. Seit vielen hundert, ja vielleicht sogar tausenden von Jahren lebte dort ein Vampir, der berüchtigt für seinen Blutdurst war. Früher hatte er ihn für seine Macht bewundert, heute verabscheute er, wie er diese nutzte. Einen Moment schwelgte Gerrard in Ironie, denn er hasste seine eigene Art so sehr, das er sie, wo er immer er sie traf, bis in den endgültigen Tod jagte.

Ein Blick zur Wanduhr sagte ihm dass es Zeit wurde. Er hatte genug gerastet. Mit einem Satz trank er seinen Wein aus und erhob sich vom Tisch. Unauffällig legte er im heraus gehen ein paar Münzen auf den Tresen des Wirts und verschwand wortlos im Dunkel der Nacht.
 

Heftiger Regen prasselte zu diesem Stunden vom verfinsterten Himmel hinab. Ihm folgten Donner und Blitze. Keiner der bei klarem Verstand war, war jetzt noch bereit draußen herum zu laufen oder keinen Schutz vor den Unwetter aufzusuchen.

Gerrard störte sich nicht an diesen Bedingungen und ging Schritt für Schritt auf dem regennassen Pfad zum Schloss des Vampirs hinauf. Früher hatte er den Duft von Regen in der Luft genossen, heute roch er gar nichts mehr. Vieles war nicht mehr als eine Erinnerung. Er verabscheute nicht nur die Existenz des Schlossherren, sondern auch seine eigene. Ihm fielen Pferdespuren auf, die der Regen verwischte und es schien so als ob er nicht der einzige Gast zu dieser Stunde sein würde.

Am Schloss angekommen hielt er es nicht für nötig zu klopfen oder um Einlass zu bitten. Wie von einem Windstoß getroffen schlugen die beiden Tore zur Haupthalle auf und Gerrard trat ein. Sofort eilten einige mit Armbrüsten bewaffnete Diener herbei und positionierten sich hinter Pfeilern, Treppengeländern und etwaigen Wanduhren. Der Eingangsbereich war ansehnlich gestaltet, jedoch hatte der mitgebrachte Wind die meisten Kerzen ausgeblasen. Neben einer Treppe, die in das einsehbare Obergeschoss führte, gab es noch zahlreiche Türen, die alle möglichen Optionen offen ließen, welcher Weg nun der richtige wäre. Da Gerrard keine Bereitschaft zum Kampf erkennen ließ, blieb es dabei, dass die Waffen der Diener geladen und zum Abschuss bereit waren. Ein unbewaffneter Mann, der seiner Kleidung nach offenbar ebenfalls zur Dienerschaft gehörte, trat mit sichtlich besorgtem Blick an Gerrard heran. „Tut mir Leid – werdet Ihr erwartet?“, fragte er höflich. „Das ist höchst unwahrscheinlich. Bringt mich zu Lord Drac.“, murrte Gerrard mit finsterer Miene. „Ich werde anfragen ob er einen Moment Zeit für Euch hat, in Ordnung? Wen darf ich melden?“, erwiderte sein Gegenüber gezwungen freundlich. „Es spielt keine Rolle wie ich heiße.“, tönte es düster zurück. „Oh doch. Ich muss Euch vorstellen.“, erklärte der Diener, die Hände ineinander gelegt. Gerrard merkte, das die Dienerschaft kurz davor stand ihre Waffen abzufeuern, doch es störte ihn nicht wesentlich. In einem Anfall von Gleichgültigkeit entschloss er sich einen Namen zu nennen, den er seit seiner Widerauferstehung angenommen hatte. „Sagt ihm Keith will ihn sprechen.“, verlautete er.

Daraufhin verschwand der Mann für einige Augenblicke durch eine der Türen und kehrte mit einen Gefühl von Bedauern zurück. „Es tut mir Leid. Mein Herr kennt Euch nicht und wünscht Euch auch nicht zu sehen.“, sagte er und deute mit einer beinah unsichtbaren Geste an dass Gerrard zum Abschuss frei gegeben war.

Etliche Bolzen hagelten in dessen Folge auf ihn ein, aber auch wenn er die Wucht der Stöße spürte, so blieb er letztendlich einfach an Ort und Stelle stehen. Der Empfangsdiener erschrak als Gerrard einen Bolzen nach dem anderen aus seinem Leib heraus zog und wich verängstigt ein paar Schritte zurück.

„Pah, gewöhnliche Bolzen. Lächerlich.“, schnaufte der Vampir , wissend das ihn eigentlich nur höherwertige magische Waffen etwas anhaben konnten. Noch bevor die Belegschaft ihre Waffen nachladen konnten, fand sich der Mann vom Empfang bereits in den Fängen Gerrards. „Bring mich zu ihm oder stirb!“, hauchte er ihn bedrohlich zu, während seine Hand immer fester an dessen Hals anlegte. „D-das kann ich nicht tun. Seine Strafe wäre unermesslich grausam.“, stotterte der hilflose Diener. Gerrard war das Schicksal des Mannes gleich. Kaum hatte dieser Widerworte erklingen lassen, begann er ihm nach und nach Lebensenergie auszusaugen. Innerhalb weniger Sekunden wurde der Mann zum Greis, dann zum verwesenden Leichnam, schließlich zum Skelett und abschließend zerrann er in seiner Hand zu Staub. Einige der bewaffneten Männer im Vorraum ergriffen daraufhin die Flucht, andere erstarrten vor Schock. Gerrard stellte fest dass er die Hilfe des Mannes ohnehin nicht benötigte, da er gesehen hatte durch welche Tür er gegangen war um Rücksprache zu halten.
 

Ein Blitz erhellte den sonst so finsteren Speisesaal des hiesigen Lords für einen kurzen Moment. Es folgten zwei weitere Blitze, die offenbarten das sich ein Gast hinzugesellt hatte. Er grüßte beinah formell mit erhobenen Weinglas, doch der finstere Blick seines Besuchers verriet ihn, das diesem nicht zu einer Unterhaltung zumute war. „Nun, sieh da. Mit wem habe ich das Vergnügen?“, fragte er zunächst höflich, ließ aber keine Zeit für eine Antwort aufkommen. „Wer wagt es meinen Grund und Boden zu dieser Stunde aufzusuchen und mich zu stören?“, ergänzte er deutlich spitzfindiger. „Wenn Ihr also keine Jungfrau seid oder bei Euch habt, so geht und stört den Frieden anderer Leute.“, fuhr er mit einer Geste der geringfügigen Wertschätzung fort. „Seid Ihr Lord Drac?“, tönte es seitens seines Gastes. „Sicher – wen habt Ihr denn erwartet? Elminster?“, gab er scherzend zurück und erhob sich vom Stuhl seines Speisetisches, dessen beträchtliche Länge fast den ganzen Saal entlang reichte und einem ganzen Dorf platz bot. „Nun? Weswegen seid Ihr gekommen, Fremder?“, wollte Lord Drac wissen. „Ihr könnt mich Keith nennen und ich bin hier um Euch eine letzte Chance zu geben.“, gab Gerrard nüchtern zurück. „Ich verstehe nicht was Ihr meint?“, wunderte sich der alte Vampir. „Nehmt die Dunkelheit von diesen Landen und gebt den Menschen hier ihr normales Leben zurück!“, forderte er mit Nachdruck. „Ich fürchte das kann ich nicht tun. Ich brauche die Dunkelheit um zu jagen, jederzeit und überall.“, gab er spöttisch zurück. „Tut es oder der heutige Tag wird Euer letzter auf Erden sein.“, entgegnete Gerrard mit drohender Stimme. Einseitiges Gelächter hallte durch den Speisesaal, doch es war nicht von Dauer. „Euch ist schon klar dass ich einer der ältesten und mächtigsten Vampire Torils bin. Warum glaubt Ihr mir drohen zu können?“, antwortete Lord Drac schließlich.

Lange Zeit kam keine Antwort zurück, bis Gerrard schließlich begann langsam näher zu treten. „Weil ich schlimmer bin als ihr jemals sein werdet!“, gab er schlussendlich zurück und beschleunigte seinen Schritt. „Unsinn!“, rief Lord Drac wenig beeindruckt und beschwor einige magische Geschosse um seinen Gegenüber zu beseitigen. Keines traf sein Ziel, denn dieses löste sich umgehend in mehrere Fledermäuse auf. Der kleine Schwarm setzte sich an der Decke des Saals wieder zu Gerrard zusammen, der nun kopfüber seinen Gegner gegenüber trat.

Lord Drac war überrascht, zeigte sich aber nicht verängstigt. „Beeindruckend. Ihr seid also ein Vampir. Ich hätte es besser wissen müssen.“, resignierte er und forcierte eine neue Magie um sich des Eindringlings zu erledigen. Geschosse aus Feuer hagelten auf Gerrard ein, der diese mit einem Gegenzauber allesamt explodieren ließ, bevor sie ihr Ziel erreichten. Gekonnt sprang er auf den Speisetisch nieder und präsentierte sich dort unversehrt. „Es reicht mir!“, schrie Lord Drac, der nun all sein magisches Können auffuhr. Stürmische Winde fegten fortan durch seine Hallen, Ätzende Nebelschwaden zogen in rasantem Tempo über den Tisch hinweg und ließen alles verrotten was mit ihnen in Berührung kam. Blitze, Eis und Feuer zerlegten alles was irgendwie zerstörbar anmutete in Nichts als Asche. Zum Schluss war der Saal vollkommen zerstört und nicht einmal eine Maus hätte überleben können. Gerrard selbst war verschwunden und Lord Drac hoffte ihn pulverisiert zu haben. Schon bald jedoch wurde seine Hoffnung getrübt als eine hämisches Gelächter aus dem Nirgendwo zu ihm durchdrang. „Glaubt Ihr wirklich dass Ihr mich besiegen könnt, alter Mann? Ich bin Euer Bote des Todes …“, hallte es von überall her. „Euer Ende ist bereits besiegelt.“, flüsterte es Lord Drac ins Ohr und bevor er sich versah spürte er einen bedrückenden Schatten hinter sich. Gerrard trat aus der Finsternis, wie eine Assasine bei Nacht. Bevor sich sein Opfer auch nur umdrehen konnte, hatte er ihn einen Kugelblitz durch den Rücken geschossen. Lord Drac war regelrecht durchlöchert und wankte getroffen durch den Saal. „Ihr … Ihr …“, stammelte er verzweifelt und rang sich bis zu den Überresten des Kamins durch. „Das werdet Ihr büßen!“, ächzte der verletzte Vampir mit letzter Kraft und betätigte einen geheimen Schalter an der Wand. Gerrard ließ ihn gewähren, selbst dann als sich eine Geheimwand öffnete durch die sein Gegner zu flüchten versuchte. Verletzt wie er war stolperte er mehr die Treppe hinab als das er sie ging. Die Katakomben waren durch Fackeln erleuchtet und in deren Mitte stand ein schieferfarbener Sarg. Am Ende der Treppe schien ihn bereits jemand zu erwarten, half ihm jedoch nicht auf.

Der Jäger musterte den Lord ungläubig und warf nur noch einmal einen kurzen Blick zur Wand hinter sich, wo er eine junge Elfe angekettet hatte. „Ah, Lord Drac. Ich habe gerade alles für euch vorbereitet.“, sagte er und hielt ihm einen leeren Kelch hin. Erst in diesem Moment erkannte er die Verwundungen des Vampirs und schreckte überrascht zurück. Lord Drac riss ihn wie ein Raubtier den Kelch aus der Hand und warf ihn beiseite. „Ich brauche ihr Blut!“, keuchte er und wandelte angeschlagen auf die wehrlose Elfe zu. „Was ist mit Euch pa- …“, wollte der Jäger antworten, da spürte er eine eiskalte Hand auf seinen Rücken. Binnen Sekunden floss jegliches Leben aus ihm heraus und ließ nur ein Stückchen Asche und einen gestärkten Gerrard zurück. Die junge Elfe war für Lord Drac zum Greifen nah. Der Jäger hatte sie ihm gebracht und er hatte ihn dafür mit reichlich Gold entlohnt. Er hatte sie ihm als Jungfrau angepriesen, dessen Blut nicht nur köstlich sondern auch wohltuend sein sollte. Ihr Blick war schwach und getrübt von einen Betäubungsmittel das man ihr gegeben hatte. Ihre Hände fühlten sich taub an und sie spürte dass sie zu keiner Bewegung in der Lage war, die sie vor den herannahenden Vampir hätte retten können. Wie im Traum nahm sie wahr wie seine Hand an ihrem Körper entlang strich und sein Atem ihren Hals näherte. „Nein …“, wimmernde Kyren unter Tränen, hoffend dass er ihr eine Art Gnade entgegen bringen würde. Ihre Hoffnung verschwand als er seine Vampirzähne ausfuhr und ihren Hals entscheidend nah kam. Sie betete nur noch dafür dass es möglichst schnell und schmerzfrei vorbei sein würde. Der Augenblick in der sie vor Schmerz aufschreien würde, blieb ihr erspart, denn seine Zähne erreichten ihre Haut nicht mehr. Lord Drac spürte den Griff seines Gegners am Hinterkopf, der ihn Sekunden später gegen die Mauer seines Gewölbes wuchtete. Nicht mehr als eine klebrige Gehirnmasse, etwas Haut, Haar und Knochensplitter blieben zurück, wo eben noch sein Kopf gewesen war.

Der leblose Körper des uralten Vampirs fiel vor Kyren zu Boden, bevor sie realisierte was geschehen war. Im ersten Augenblick schien sich ihre Situation nicht gebessert zu haben, denn nun stand ein Mann vor ihr, dessen Intention noch unklarer war als die ihrer Knechtherren. Gerrard zögerte einen Moment, doch er erkannte ihr Gesicht wieder. Er war erstaunt sie in diesen Hallen anzutreffen, zeigte das in seiner eiskalten Miene jedoch nicht. Nach einem Augenblick erlöste er ihre Hände und Füße von den metallischen Fesseln, worauf sie erschöpft zu Boden sackte. Mühsam richtete sie sich auf und versuchte ihren Blick auf den Mann in schwarz mit dem Hohen Kragen zu fixieren. Sie wollte etwas sagen, doch ihr Hals war zu trocken von der ganzen Tortur. „Seid Ihr verletzt? Hat man Euch etwas angetan?“, wollte Gerrard wissen, fragte aber mehr aus einer Art Gewohnheit heraus als das es ihn wirklich kümmerte. „Nein …“, ächzte sie mühsam hervor. „Wer seid Ihr?“, fragte sie unter großer Anstrengung. Gerrard zögert und haderte damit ob sie ihn wohl erkennen würde. Immerhin hatte er sich sein Aussehen geändert. Er fragte sich ob sie ihn wohl für die Vergangenheit vorverurteilen würde, wenn sie wusste wer er wirklich war und antwortete schließlich: „Mein Name ist Keith.“
 

Kyren war so schwach das sie nur Sekunden später zusammen brach. In seinen Armen trug er die kleine Elfe aus dem Schloss hinaus, nachdem er sich um die Überbleibsel des Vampirs gekümmert hatte. Während er ging lichtete sich die allgegenwärtige Dunkelheit, die auf diesem Land gelegen hatte. Nun wo der Erschaffer dieses Zaubers tot war, konnte er nicht länger aufrechterhalten werden. Nachdenklich blickte er auf das Mädchen in seinen Armen. Er nahm den köstlichen Geruch ihres Blutes wahr, aber sie war wehrlos und bei den Gedanken ihr das Blut aus dem Leib zu saugen, wurde ihm klar, dass ihn in diesem Moment nichts mehr von Lord Drac unterscheiden würde.
 

Nigel und die anderen hatten eine nahe gelegene Schänke erreicht und hofften das dort jemand über den Verbleib ihrer Gefährtin bescheid wusste. Ihre Gesichter trugen ein durchweg betrübtes Bild mit sich, fast so als ob Hoffnung ein Luxus war, den man sich nicht leisten konnte. Gerade als sie einen Fuß hinein setzen wollten klarte der Himmel auf einmal auf und die Nacht wich dem Tageslicht. Staunend sah man in den klaren, blauen Himmel, ein Anblick von dem man nie geglaubt hätte dass er so faszinieren konnte. „Seht mal!“, rief Atrix plötzlich und deutete aufgeregt auf einen Mann in schwarz, dessen Ummantelung die untere Hälfte seines Gesichts verbarg. Er trug Kyren mit sich, die scheinbar schlafend in seinen Armen lag. „Das ist doch Kyren!“, staunte Nigel, überrascht wie erfreut zu gleich. Ein Lächeln breitete sich wie ein Lauffeuer auf den Lippen aller aus und selbst Shane in den Armen von Atrix schien die Präsenz seiner Gefährtin wahr zu nehmen.
 

Einige Stunden später schloss Kyren den Halbelfen in seiner Säuglingsgestalt bereits wieder freudig in die Arme. Sie strahlte über das ganze Gesicht und blickte zwischen ihn und ihren Gefährten am Tisch hin und her. „Danke Freunde, dass ihr das alles für mich getan habt.“, meinte sie glücklich. „Schon gut – dein wahrer Retter ist der Herr dort an der Theke.“, wiegelte Nigel dankend ab. Ihre Augen wanderten zu dem Mann in Schwarz. Er saß dort als ob ihn das alles nichts anging und trank sein Met als ob es Wasser wäre. Sie erinnerte sich an das was im Schloss geschehen war, aber nicht wie sie in die Schänke gekommen war. Das alles musste er gewesen sein und sie wusste, sie konnte ihm nie genug Dank entgegen bringen. Gerrard hatte Glück, denn sie schien ihn tatsächlich nicht wieder zu erkennen. „Habt Dank, Keith. Ohne Euch wäre ich womöglich nicht mehr am Leben.“, sagte sie mit kurzer Verneigung. „Ihr hattet Glück, Mädchen. Verlasst Euch nicht zu oft darauf.“, erwiderte er nüchtern, in fast beängstigenden Ton. „Was mich angeht. Ich muss nun weiter.“, ergänzte er müde und nahm einen letzten Schluck aus seinem Becher. Jeglicher weitere Versuch ihm Dank zu zeigen wurde abgeschmettert und so blieb Kyren etwas bedröppelt zurück. Als Shane sich kurz darauf in Armen zu rekeln begann, erinnerte sie sich das noch längst nicht alles ausgestanden war. „Richtig! Wir müssen ihn noch zurück verwandeln!“, meinte sie leicht erschrocken. „Ironischerweise wird draußen bald dunkel werden und ich will nicht noch einmal bei Nacht durch diese Gegend ziehen um einen Wunderheiler zu suchen.“, merkte Atrix mit erhobenen Zeigefinger an. „Vielleicht hast du Recht. Ich schätze wir sollten uns im nächsten Dorf ein Zimmer nehmen. Nach all der Aufregung wird uns ein richtiges Bett gut tun.“, stimmte Kyren zu.
 

Als die ersten Sonnenstrahlen des darauf folgenden Tages in das Rastzimmer einer Schänke fielen, erwachte Shane, wie aus einem schlimmen Traum. Beinah hektisch riss er seine Augen auf, als die ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf ihn fielen. Er wirkte desorientiert und fand sich nackt in einem weichen Bett wieder, lediglich durch eine Bedecke bedeckt. Vergeblich versuchte er sich zu erinnern was geschehen war, doch alles was geschehen war, nachdem sich der Zauber vom Pergament gelöst hatte, war wie weggeblasen aus seinem Gedächtnis. Vorsichtig nahm er seine Hände unter der Decke hervor und als er sie sah, wusste er dass etwas mit ihm geschehen war. Bruchstückhaft kehrten Erinnerungen zurück, daran das er geschrumpft, nein verjüngt worden war. Doch nun, so schien es, war alles vorbei – sein Körper war wieder zu normaler Größe zurückgekehrt. Wäre es dabei geblieben wäre er aufgestanden und hätte seine Sachen gesucht, doch etwas hielt ihn wie festgenagelt im Bett. Unter der Decke war noch etwas und als er einen Blick darunter wich, entdeckte er einen Arm, der über seine Hüfte gelegt war.

Vorsichtig neigte er seinen Kopf nach rechts zum Fenster hin. Hinter ihm liegend entdeckte er Kyren, die noch friedlich schlief. Seine Augen weiteten sich, während dutzende Fragen durch seinen Kopf schossen. Es fiel ihm schwer sich zu erklären was passiert seien könnte und wieso er nackt mit Kyren in einem Bett schlief. Er konnte nicht glauben dass das offensichtliche der Wahrheit entsprach. Sein Herz pochte bei ihrem Anblick so laut, das er fürchtete sie würde davon wach werden. Zum Glück war sie bekleidet, soweit er es sehen konnte ohne ihr die Decke zu entreißen. Trotzdem war das Oberteil ihres Nachthemdes nicht sehr ordentlich zugeknöpft, was ihm einen dezenten Einblick auf ihre linke Brust ermöglichte. Kaum hatte er die Situation realisiert wendete er sich ab und kniff sich Augen zu, sein Inneres beschwörend nichts gesehen zu haben und sich auch nie wieder daran zu erinnern – schließlich schickte es sich nicht einer jungen Dame dort hin zu sehen. Die Situation wurde ihm von Minute zu Minute peinlicher, allein schon weil ihm sein Gewissen plagte und ihn sekündlich predigte dass er die Situation nicht ausnützen durfte.

Sein Versuch das Bett still und heimlich zu verlassen endete als eine Bettfeder gerade zu alarmartig laut knarkste in dem Moment als er das Bett verlassen wollte. Die Konsequenz des Geräusches wurde ihm unmittelbar klar, denn auch wenn Kyren im erstem Moment noch reichlich verschlafen drein blickte und seinen Namen murmelte, so war sie doch blitzschnell wach, als sie Begriff in welcher Lage sie sich befand.

Als sie seinen Namen erneut sprach war der Tonfall doch schon deutlich lauter, gefolgt von einem Aufschrei und den Versuch sich mit der Bettdecke zu verhüllen. Shane purzelte aus dem Bett und fiel lautstark zu Boden, während Kyren sich verschämt abwendete und mit Kissen um sich warf. „Iek! Shane!“, kreischte sie mit deutlicher Schamesröte im Gesicht. Sie war bei weitem noch nicht so weit sich mit einem Mann das Bett zu teilen, doch als sie mit Shane letzte Nacht zu Bett ging war er nur ein harmloser Säugling, der in ihren Armen friedlich eingeschlafen war. Offensichtlich hatte der Zauber seine Wirkung von ganz allein verloren. Das war nichts ungewöhnliches, denn die meisten Zauber hatten zeitlich begrenzte Effekte.

Unter dem Bombardement von Kissen griff sich Shane schließlich etwas das nach Bekleidung aussah und flüchtete aus dem Zimmer. Halb auf den Boden krabbelnd rannte er Judy genau vor die Füße, die ihn mit einen sanften Lächeln begrüßte. „’Morgen Shane. Sieht aus als wärst du wieder der Alte.“, meinte sie erheitert und reichte ihm einen Keks zum Frühstück. Shane zögerte, nahm aber schließlich an. „Ist das ein Schwert oder freust du dich nur mich zu sehen?“, witzelte sie beim Anblick ihres halbnackten Cousins und ging kichernd weiter ihres Weges. Shane ahnte das man ihm sein Pech noch lange nachsehen würde, aber eigentlich war er doch recht froh das sein Fluch ein Ende hatte.

Folge 98: Falsche Legenden

[Folge 7: Falsche Legenden]
 

Eine düstere Stimme durchzog ein unterirdisches Gewölbe, die gerade zu wahnhaft immer wieder dieselben mystischen Worte sprach. Umringt von Runen und magischen Symbolen, die vom Boden aus leuchteten, verharrte eine Gestalt im Zentrum eines riesigen Raumes. Seine Augen hielt der bärtige Mann geschlossen und es schien so als musste er die Worte aus dem dicken Buch, das vor ihm auf einen kleinen Sockel lag, gar nicht mehr ablesen. Seine rote Magierrobe war mit feinen Stickereien übersäht, die sich bei genaurer Betrachtung als magische Runen heraus stellten, welche ihm zusätzlich Macht verliehen. Seine Arme hielt er zur Decke gestreckt, die erst viele Meter über ihm begann. Fackeln an den Wänden hielten das Szenario in einem dämmrigen Licht gebannt.

Obwohl der Mann nicht sehr leise sprach verstummte seine Stimme schlagartig als ein Flüstern zu ihm drang. Trotz dessen es nur ein Flüstern war, vermochte es den gesamten Raum für sich einzunehmen. „Nevrion … Nevrion.“, wisperte es ihm ins Ohr und es schien ihm nicht zu behagen, dass man ihm beim Namen rief. Hektisch sah er sich um, doch es war niemand zu sehen. Seine Blicke schweiften auf die Bannkreise, die er errichtet hatte. Normalerweise war ein einziger ausreichend, doch er hatte gleich vier erschaffen, die ihn schützen sollten. „Verschwindet! Verschwindet und lasst mich in Ruhe!“, erwiderte der Mann ins Nichts. Ein zwielichtiges Lachen ertönte, dass sich durch sein ganzes Knochenmark hämmerte. „Ihr könnt fliehen, aber Ihr könnt Euch nicht vor mir verstecken. Wir hatten eine Vereinbarung und ich mir werde holen was mir zusteht!“, sprach die Stimme aus dem Nirgendwo, nun in deutlicher Tonhöhe. Nevrion wurde nervös und blickte auf das uralte Buch vor sich. Er legte seine Hand darauf und atmete tief ein. „Diesen Preis werde ich niemals bezahlen, Dämon!“, gab er mit harter Stimme zurück, wenn gleich eine gewisse Angst aus seinen Augen sprach. „Wir werden sehen, wir werden sehen …“, hallte es zurück, bis die Stimme verstummte und Stille einkehr fand. Der Magier schluckte tief und sah zur Decke. „Was habe ich nur getan?“, dachte er mit reuevoller Stimme.
 

Folge 7: Falsche Legenden
 

Die Abenddämmerung hielt über einem kleinen Lager Einzug, das Ashtons Truppen aufgeschlagen hatten. An einigen Stellen waren Banner errichtet, denen der Magier sein eignes Wappen verliehen hatte. Es glich einem uralten Schriftzeichen, einer Glyphe aus der Vergangenheit.

Einige der Diener patrouillierten regelmäßig am Hauptzelt ihres Anführers vorbei, welches ohne direkte Bewachung blieb. Erste Fackeln waren angezündet worden um der nahenden Dunkelheit der Nacht Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig half es Tiere aus den anliegenden Wald fernzuhalten.

Ashton studierte gerade im Hauptzelt eine Karte von der Gegend, als sein treuer Diener Daniel herein kam. Er wirkte etwas aufgeregt, während sein Gebieter ihn relativ unbedacht ansah. „Was gibt es? Sind Probleme bei der Errichtung der Barrieren aufgetreten?“, fragte er streng, was Daniel regelrecht zusammen zucken ließ. „N-Nein! Es ist … da ist jemand, der Euch sprechen möchte.“, antwortete er stotternd. Ashton runzelte die Stirn, denn bisweilen hatte sich noch nie jemand den Lager genähert, geschweige denn Kontakt mit ihm aufnehmen wollen. „Und wer?“, fragte er unverdrossen. „Sie … sie wollte mir ihren Namen nicht nennen. Sie ist unbewaffnet und wünscht ein persönliches Gespräch.“, antwortete er aufgeregt. „Eine Frau? Nun denn, schickt sie herein.“, erwiderte er argwöhnisch und klappte die Karte auf dem Tisch zu. „S-sehr wohl.“, gab Daniel zurück und eilte aus dem Zelt. Wenige Augenblicke später trat ein Mädchen ein, gekleidet als ob sie aus einer anderen Welt kam. Sie wirkte noch sehr jung und hatte ein beinah kindliches Gesicht und obwohl ihr Körperbau ihr ebenfalls ein jugendliches Aussehen gab, schätze Ashton sie auf Anhieb richtig ein. Er hatte nicht vergessen wer sie war. „Marian …“, sagte er mit finsterer Stimme. Der Blick des Mädchens war so entschlossen wie ihr ganzes Auftreten. Ohne ein Anzeichen von Furcht trat sie näher an ihn heran. „Ich sehe, Ihr erinnert Euch, Ashton Scu’l.“, antwortete sie bedacht. „Nun, ich bin gespannt zu erfahren was jemand wie dich zu mir führt.“, gab er schmunzelnd zurück und lehnte sich bequem in seinem Stuhl, die Finger ineinander gekreuzt. „Ich weiß was Ihr vorhabt und ich kann nicht zulassen dass Ihr Euer Vorhaben fortführt.“, erklärte sie, worauf Ashton in schallendes Gelächter ausbrach. Plötzlich verfinsterte sich seine Mimik und er beugte sie bedrohlich weit nach vorn. „All die Jahrtausende, eingepfercht in einem Gefängnis … da hat man viel Zeit um sich über einige Dinge Gedanken zu machen. Dir selbst ist die Gefahr, die diese Welt ausgesetzt ist doch bewusst, Mädchen. Nicht einmal dein jämmerlicher Meister konnte verhindern dass sich Zun wieder in dieser Welt manifestiert. Wenn Faerûn keine grundlegende Reinigung widerfährt ist diese Welt dem Untergang geweiht. Ich bin die letzte Chance für alles Leben und das weißt du, Marian! Warum stellst du dich also nicht auf meine Seite?“, erwiderte er ungehalten. „Ihr wollt hundertausende opfern um hundertausende zu retten … das war schon damals so, im Reich Nesseril. Doch heute wie damals werden Eure Pläne scheitern, Ashton. Deshalb appelliere ich an Euch, diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten und das Leben von all den Unschuldigen zu verschonen. Ihr könnt noch umkehren und gemeinsam können wir …“, antwortete Marian mit flehender Stimme, bevor er sie lautstark unterbrach. „Schweig! Du und dein Meister hattet eure Chance! Und was hat es euch gebracht?! Adrian von Nesseril wurde aus sämtlichen Geschichtsbüchern gestrichen, er selbst von einer kleinen Elfe besiegt. Ihr seid so tief gesunken. Mein Name dagegen wird ewig weiter leben. Die Welt ist hart und grausam, egal wie sehr du dich davor verschließt. Du kannst nicht an die Menschheit appellieren das sie nett zueinander und die Finger von der Magie lassen sollen. Es ist das Schicksal dieser Welt von mir geführt zu werden – nur so hat Toril eine Zukunft.“, sagte er mit ausdrucksstarker Stimme. Enttäuscht senkte Marian ihren Kopf. „Dann habe ich mich getäuscht. Ich hatte gehofft zu dem Teil von Ashtons Seele durchdringen zu können, die Ihr verdorben habt, doch Euch fehlt wahrlich auch das letzte bisschen Verstand.“, gab sie in entsprechender Tonlage zurück. Als sie das Zelt verließ wusste sie, dass sie bei der nächsten Begegnung Feinde sein würden. Wie ein Geist verschwand sie in der Dunkelheit. Ashton sah ihr noch kurz nach, doch hegte er keinen Zweifel an seiner Unbesiegbarkeit.
 

Ratlos tunkte Shane ein Stückchen Brot in die Soße seines Mittagsmahls. Die Taverne in der man sich nieder gelassen hatte, mochte es zwar gutes Essen geben, aber selbst zur Mittagszeit war hier nicht viel los und nur am Tresen gab sich der ein oder andere Reisende einen Glas Met hin.

Die letzten Ereignisse schienen die Motivation der ganzen Abenteuertruppe schwinden zu lassen. Man hatte nicht den Hauch einer Spur, wo man mit der Suche nach weiteren Artefakten oder Schriftrollen beginnen sollte. Kyren wirkte in ein kleines Taschenbuch vertieft in dem zwar Informationen über den Tarraske selbst, aber weder zu dessen Standort noch zu dem Artefakt standen, das ihn zu vernichten vermochte. Atrix verlor sich wie üblich in Judys Ausschnitt, die hingegen verträumt aus dem Fenster sah. „Ob Nigel bald wieder kommt?“, fragte sie leise und wendete sich ihren drei Tischnachbarn zu. Er hatte versprochen Informationen zu beschaffen, die ihnen weiter helfen konnten, aber das war nun schon zwei Tage her.

Das Leben in der kleinen Stadt war langweilig. Shane vermied so oft es ging den Augenkontakt mit Kyren, nachdem er nach seiner Entzauberung vom Säugling neben ihr im Bett erwacht war und es für beide Seiten zu einer peinlichen Szene kam. Kyren hingegen versuchte die Tage mit magischen Studien zu überbrücken und Atrix versuchte sich als Elf bei der Damenwelt einen Namen zu machen. „Es ist seltsam das er schon so lange weg ist.“, merkte Shane an und nahm einen weiteren Bissen zu sich. „Wenn wir nicht bald eine Spur von diesem Artefakt bekommen, wird es zu spät sein um Ashton aufzuhalten.“, ergänzte er etwas lautstärker und ballte seine Hand zur Faust. Kyren blickte in ein entschlossenes Gesicht, das voller Tatendrang sprühte.

Shanes Worte machten einen Tavernengast auf die Abenteurer aufmerksam. Der Elf mit den wilden, roten Haaren am Tresen musterte die Gruppe kurz, bevor sich ein leichtes Schmunzeln auf sein Gesicht legte. Gemächlich trat er näher und machte mit einen kurzen Räuspern auf sich aufmerksam. „Verzeiht dass ich eure Unterhaltung störe, aber ich kam nicht umher zu hören was der junge Mann hier gesagt hat.“, sagte er in freundlichen Ton. Vier fragende Blicke widmeten sich seiner Person, so dass er sich kurz vorstellte. „Mein Name ist Ace und ich denke ich kann euch behilflich sein.“, ergänzte er mit einer angedeuteten Verneigung.
 

Wenige Minuten später befand man sich bereits auf den Weg aus der Stadt, denn der Fremdling mahnte zur Eile. Noch hatte er nichts Genaueres erklärt – was geschickt war, denn so nutzte er die Neugier der Abenteurer um ihren Beistand sicher zu stellen. „Hätten wir nicht auf Nigel warten sollen?“, fragte Shane etwas beunruhigt über das rasche Vorgehen. „Wenn es stimmt was dieser Ace sagt, dann könnte es ein Volltreffer sein. Wir müssen dem nachgehen, erst recht wenn uns nicht viel Zeit bleibt.“, wand Atrix ein. Natürlich hatte man den hiesigen Wirt gebeten Nigel zu benachrichtigen falls er noch eintreffen sollte, aber das allein löste das moralische Problem nicht.

Kyren vertraute auf Shanes Stimme und stellte sich den zügig voran schreitenden Elfen mit entsprechender Haltung in den Weg. „Halt! Bevor wir weitergehen haben wir ein Recht die Details zu erfahren!“, sagte sie mit strenger Stimme und brachte ihren Artgenossen zum stehen. „Ja, Ihr habt sicher Recht.“, gestand er widerstandlos ein. „Wie ich schon sagte – ganz in der Nähe, tief in den Wäldern verborgen, gibt es einen alten Magierturm. Sein Erbauer ist wahrscheinlich schon lange tot, doch die verborgenen Schätze und Geheimnisse dort könnten Euch bei Eurer Suche helfen. Ich rede hier nicht von irgendwelchen Glitzerzaubern, ich rede von uralter Nesser-Magie!“, begann er zu erzählen. „Und warum die Eile?“, hakte Shane skeptisch nach. Ein Schmunzeln glitt über das Gesicht des Elfen. „Das Problem ist, dass sich dort vor kurzem ein hochrangiger Magier aus Thay eingenistet hat. Wie ich gehört habe hat ein gewisser Ashton Scu’l ihn aus seiner Heimat vertrieben. Wie dem auch sei. Ich schätze ihn als fähig genug ein die uralten Magien die dort unten lagern zu wecken und für seine Zwecke zu missbrauchen. Ich nehme an er plant eine finstere Beschwörung.“, erklärte er gewissenhaft. „Aber woher wisst ihr das alles? Kennt Ihr diesen Magier?“, wollte Kyren wissen. Ace begann sich seine Kapuze über zu ziehen und sich nach Westen zu wenden. „Die Antwort auf diese Fragen ist einfach. Ich war … sein Meister.“, antwortete er knapp und begann seinen eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
 

Als Nigel das brennende Dorf vor sich sah, wurde er kreidebleich im Gesicht. Die Schreie von Menschen die bei lebendigem Leibe verbrannten hallten ihm entgegen, doch das Flammeninferno ließ keine Chance für Überlebende. Er fühlte sich wie in einen schlechten Traum, denn egal was er in der Vergangenheit versucht hatte – jemand kam ihm immer zuvor. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte er sich leise, die Augen geweitet, starr vor Schock. Er war umso überraschter als er plötzlich eine Antwort erhielt. „Das war Nummer neun.“, tönte es hinter ihm und als er sich umdrehte, erblickte er einen seltsamen Mann. Eine gerade zu gespenstische Aura ging von ihm aus. Seelenruhig streifte er sich einen Handschuh über und strich sich sein Haar aus dem Gesicht, das sogleich an selbige Stelle zurück fiel. „Wer seid Ihr?“, wollte Nigel wissen, atemlos von der Erscheinung des Fremden. „Man nennt mich John Doyle. Ich nehme an Ihr seid Nigel Kerrigan.“, erwiderte er nüchtern, mit einen durchdringenden Blick. „Woher wisst …“, setzte Kyrens Gefährte verblüfft an, doch John entriss ihm sogleich wieder das Wort. „Ihr seid in diese Zeit gekommen um eure Zukunft zu verhindern, doch habt Ihr wirklich geglaubt die Gegenseite würde das ohne weiteres Geschehen lassen? Eure 10 Helden aus der Zukunft gibt es nicht mehr. Nur einer ist noch übrig und um den wird sich bereits gekümmert.“, erklärte er bereitwillig. „A-aber …“, stotterte Nigel fassungslos, ohne dass er ein weiteres Wort heraus bekam. Alles was er getan hatte schien umsonst gewesen zu sein. Seine einzige Hoffnung war verblasst, denn selbst wenn Kyren es nun gelingen sollte, den Tarraske aufzuhalten, so würde sie die Zukunft nicht mehr ändern können. Nigel erschrak aus seinen Gedankengängen als er realisierte was John ihm gerade gesagt hatte. „Oh nein! Kyren!“, rief er mit geweiteten Augen. „Ja, Nummer 10 auf der Liste. Macht Euch keine Gedanken. Ihr werdet es nicht rechtzeitig zurück schaffen. Ihr könnt Euch glücklich schätzen – das ist der einzige Grund warum ich gedenke Euch am Leben zu lassen.“, meinte John mit einem genüsslichen Grinsen und wand sich ab. Während er ging sackte Nigel entkräftet in die Knie. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung brannte sich durch seinen Körper und die Zeit lief ihm davon. Seine zitternden Hände ballten sich zu Fäusten und ein letzter Anflug von Mut und Entschlossenheit blitzte durch seine Augen. „Selbst wenn er nicht verhindern konnte was geschehen würde, so würde er zumindest versuchen Kyren zu retten. „Ich kann nicht zulassen das sie stirbt!“, sagte er sich selbst und raffte sich wieder auf.
 

Kyren hatte derweil mit ihrer Begleitung den Turm des Magiers erreicht. Er war alt und verwittert, tief im Wald verborgen und vom selbigen verschlungen. Vögel nutzten einige Löcher in den Wänden als Nistplatz, während sich Pflanzen jeder Art um den Turm schlängelten. Die Tür zum Turm lag vor dem Eingang am Boden und es sah nicht so aus als ob die letzten Tausend Jahre jemand hier gewesen wäre. „Der Turm ist nur Fassade. Das eigentliche Zentrum liegt unterhalb, in einigen Metern Tiefe.“, erklärte Ace rasch, bevor Zweifel aufkeimen konnten. „Also schön. Gehen wir rein.“, meinte Judy übermutig und wagte sich als erstes in den Turm. Drinnen gab es nicht viel zu sehen, außer einer alten Treppe, die in die oberen Stockwerke führte. Sie war an mehreren Stellen gebrochen und wirkte nicht mehr passierbar. Der Boden in der Mitte der Eingangshalle erschien mit dem Rest des Gebäudes gut gepflegt und weniger Staubverhangen. „Hier in der Mitte gibt es ein Geheimes Portal, das uns in die unteren Ebenen führen wird.“, meinte Ace, der kurz darauf hinzu stieß.

Als alle am Sammelpunkt standen streckte er seinen Arm aus und nutzte er eine einfache Magie um eine verborgene Rune in der Wand zu aktivieren. Ein helles Licht strahlte aus dem Boden empor und brachte die Abenteurer in eine tiefer gelegene Ebene.

Dieser Ort war finster, doch Kyren wusste sich schnell mit einem Lichtzauber zu behelfen. Fledermäuse, die von der Decke herab hingen fühlten sich sogleich gestört und flogen einen Augenblick lang aufgeregt hin und her. Kyren erschrak so sehr das sie ihre Lichtkugel fallen ließ, die sie gerade erst beschworen hatte. „Ich fürchte uns wird hier unten schlimmeres erwarten als das hier.“, prophezeite Ace ungerührt, nahm die Lichtkugel und ging voran. „Schlimmeres?“, wunderte sich Atrix. „Nevrion ist nicht dumm. Zweifellos wird er die vor uns liegenden Abschnitte mit Fallen versehen haben.“, antwortete der Elf und zog seine Kapuze wieder zurück. Sein junger Artgenosse begann zu schlucken, denn das es gefährlich werden würde, war ihm bisher nicht bewusst gewesen.

Die erste Ebene machte einen rohen unbehauenen Eindruck. Man hatte die Höhle in seiner Gesamtheit so belassen und nur ein eisernes Tor am anderen Ende ließ den Anschein wahren das jemals ein Humanoid ein Fuß hinein gesetzt hatte. Die Tür quietschte als Ace sie öffnete. Mit einem Lächeln und einer freundlichen Handgeste bewog er seine Begleiter einzutreten.

Kaum hatte man einen Fuß in die erste Passage gesetzt begannen an den Seiten sich ein paar dutzend Fackeln wie von selbst zu entzünden. Die Wände waren gemauert, vergleichbar mit dem Inneren eines Schlosses. Bis zur nächsten Tür waren es nur dreißig Meter, doch Ace hielt Judy am Kragen als diese einfach weiter laufen wollte. „Nicht so schnell.“, mahnte er und verwies auf die eingestaubten Ritterrüstungen, die auf linker und rechter Seite gleichmäßig verteilt standen. „Der erste Raum sollte uns in Sicherheit wiegen. Daher waren dort auch keine Fallen aufgestellt. Wir sollten diese Passage mit Vorsicht genießen.“, erklärte er und ließ von Judy ab. „Wartet – ich werde versuchen magische Quellen aufzuspüren.“, meinte Kyren und begann ihre Hände mit ausgestreckten Fingern zusammen zu legen.

„Und? Kannst du etwas entdecken?“, fragte Atrix nach einigen Sekunden neugierig. „Die Ritterrüstungen vielleicht.“, deutete Shane an. „Nein, ich kann keine magische Quelle von den Rüstungen ausgehen sehen. Aber … DA! Im Boden! Die Steinplatten im Boden. Zwar nur schwach, aber unten ihnen lagert ein magischer Impuls.“, analisierte die junge Magierin. „Moment … wenn der komplette Boden eine Falle ist, wie sollen wir dann zur nächsten Tür kommen?“, fragte Atrix verwundert, während Kyren ihre Haltung löste.

Man merkte das jeder einzelne tief ins Grübeln geriet und auch wenn Kyren der Gedanke an Levitation gefiel, so musste es doch eine andere Lösung geben. Ace schien den Abenteurern schon weit voraus und verstand es geschickt von Rüstung zu Rüstung zu springen ohne dabei eine umzustoßen. „Worauf wartet Ihr noch? Die Rüstungen sind stabil im Boden verankert.“, rief er ihnen zu und machte sich daran das Ende des Raumes zu erreichen. Judy zögerte nicht lange und folgte. Die Decke war nicht allzu hoch, so dass es ein wenig wie Gehoppel aussah als sie von Rüstung zu Rüstung sprang, aber es war effektiv. Shane zuckte mit den Schultern und tat es ihr auf der anderen Seite gleich. Es war nicht schön, aber führte zum Ziel, doch Kyren bevorzugte schlussendlich die Levitation und erreichte das Ende des Raumes zusammen mit Ace. „Kommt der Bereich hier hinten ist sicher.“, rief sie ihren Gefährten winkend zu. Atrix stellte sich wie üblich sehr ungeschickt an und kam nur langsam voran. Einmal landete er so unglücklich auf den Schultern der Rüstung dass er fast abrutschte. Reflexartig hielt er sich am Helm der Rüstung fest und auch wenn er sich daran wieder Hochhangeln konnte, hatte er ihn in dabei die verkehrte Richtung gedreht. „Puh, das war knapp.“, ächzte er und drehte den Helm wieder richtig herum. Ein seltsames Knirschen entstand, was ihn kurz aufhorchen ließ.

„Komm schon Atrix, wir sind soweit.“, rief Kyren ihm vom Ende des Ganges zu. Ungeduldig öffnete Ace bereits die Tür zur nächsten Passage und trat ein. Judy und Shane folgten kurz entschlossen, hoffend das Atrix bald aufschließen würde. Dieser wirkte verunsichert und mahnte seine Freunde zur Vorsicht. „Wartet. Was war das für ein Geräusch?“, wollte er wissen und hob den Helm einmal an. Darunter offenbarte sich ihm ein modriger Totenschädel aus dessen Öffnungen allerlei Maden und Gewürm heraus fielen. Atrix erschrak so sehr das ihm der Helm aus den Händen fiel und er hektisch mit den Armen zu rudern begann. Er schrie vor Panik und wollte noch auf die nächste Rüstung überwechseln, da stellte er fest dass ihm der Helm entglitten war und im selben Moment zu Boden purzelte. „Atrix!“, rief Kyren aufgeregt, doch als sie ihm zu Hilfe kommen wollte, schlug die Stahltür zu und riss sie mit sich in die Richtung des nächsten Raumes. Die Platte im Boden, die der Helm berührt hatte, glühte auf und plötzlich schienen sich die Verankerungen aller Rüstungen zu lösen. Atrix Sprung auf die nächste Rüstung offenbarte ihm das er nun die Wächter des Raumes erweckt hatte, eben mit jenen magischen Impuls von den Kyren zuvor gesprochen hatte. Bevor er das Ausmaß seines Unglücks realisierte sah er sich von den blechernen Wächtern dieser Passage umzingelt. Sie alle droschen gleichzeitig mit ihrem Schwert auf ihn ein, doch der wieselflinke Elf verstand es rechtzeitig durch die Beine eine der Wachen zu kriechen und somit den Schlägen zu entkommen. „Ist das nicht ein bisschen fies wegen eines rostigen Helmes gleich mit Mord zu drohen?“, fragte er die versammelte Truppe vorwurfsvoll mit erhobenem Zeigefinger, doch seine Hoffnung dass man mit diesen Wesen reden konnte erübrigte sich schnell als sie begannen auf ihn loszustürmen. Atrix rannte so schnell er konnte zurück. Er hatte Glück, denn die Eingangstür war nicht zugeschlagen. Trotz seiner kurzen Beine erreichte er diese vor seinen Verfolgern und schlug sie vor deren Nase zu. Mit aller Kraft stemmte er sich dagegen, worauf er es kräftig aus dem Raum scheppern hörte. Offenbar hatten die Wachen nicht schnell genug Bremsen können. „Also mir reicht’s. Ich gehe keinen Schritt weiter!“, schimpfte er und verschränkte eingeschnappt die Arme.
 

Kyren hämmerte noch ein paar mal gegen die Tür, aber es war kein Durchkommen mehr möglich. „Atrix ...“, seufzte sie traurig, denn obwohl sie ihn manchmal erwürgen konnte, so hätte sie ihm solch ein Ende nicht gegönnt. Sie wusste nicht das er entkommen war, Ace hingegen schon. „Macht euch keine Gedanken. Euer Freund lebt. Ich kann seine Präsenz noch spüren. Aber er wird wohl zurück bleiben müssen. Ihr könnt ihn ja später abholen.“, meinte er relativ gelassen.

Judy inspizierte derweil das vorliegende Szenario. Der Weg zur nächsten Tür war nur etwas länger als zuvor, doch die Überreste von Skeletten, die vereinzelt am Boden verstreut lagen, bereiteten ihr leichte Sorgen. Es roch seltsam. Ein Hauch von Verwesung lag in der Luft und da war noch etwas anderes. „Irgendwas an diesem Ort ist eigenartig.“, merkte sie an. Kyren verstärkte ihren Lichtzauber, während Ace den Boden mit einer Fackel ausleuchtete, die er aus dem letzten Raum entwendet hatte. Shane bemerkte die ungewöhnliche Feuchtigkeit in dieser Halle als er mit einen Finger an der Wand entlang streifte. Sein Blick fiel auf Ace, dem am Boden ähnliches aufgefallen war. Zögerlich richtete er sich auf und leuchtete mit seiner Fackel zur Decke. Kyren tat es ihm mit ihrem Lichtzauber gleich und was sie sah verhieß nichts Gutes. „Nein …“, sagte sie fast atemlos und schüttelte immer wieder den Kopf. Kaum zwei Atemzüge später begannen sich die vielbeinigen Kreaturen in rasender Geschwindigkeit von der Decke zu seilen. „Spinnen!“, schrie Ace aufgebracht und verlor keine Zeit damit zur nächsten Tür zu laufen. „Lauft!“, forderte er seine Begleiter lautstark auf.

Sekunden später wimmelte es überall von Spinnen so groß ganze Häuser. Mit ihren Meterlangen Beinen setzten sie auf, begierig darauf Beute zu machen. Selbst der Boden war binnen einiger Wimpernschläge voll mit etlichen kleineren Spinnen, die Handgroß oder kleiner waren. Einige fanden ein jähes Ende unter den Füßen der davon laufenden Abenteurer, doch nur Ace war schnell genug um nicht eingekesselt zu werden.

Geschickt verstanden es die Kreaturen die Abenteurer zu trennen, so dass sich Kyren und Judy alleine zu verteidigen wissen mussten, während Shane gerade zu todesmutig Slalom um die nach ihn gierenden Spinnenbeine lief. Wie ein Bombardement prasselten sie von oben auf ihn ein und versuchten ihn wie ein lästiges Insekt aufzuspießen. Doch der junge Halbelf war flink, wenn gleich er durch seinen Zickzack-Kurs relativ schnell an Nähe zu seinen Gefährten verlor.

Kyren schluckte verängstigt als die Riesen-Spinnen ihre Mäuler wetzten. Sie mochte ohnehin keine Wesen die mehr als vier Beine hatten, aber vor allem mochte sie sie nicht in dieser Größe. „Was sollen wir tun?“, fragte Judy aufgeregt, mit den Rücken zu ihr gewendet, ihren Dolch fest entschlossen in der Hand haltend. Kyrens innere Starre war nicht von Dauer, denn sie wusste dass sie sich davon nicht aufhalten lassen durfte. „Jetzt wird gegrillt!“, erwiderte sie und bereitete eine Feuermagie vor. Wie ein lebendig gewordener Flammenwerfer wirbelte sie mit Feuermagie um sich und steckte dabei etliche Spinnenwesen in brand. Die Monstrositäten erkannten die Gefahr, die von der Elfe ausging. Eine versuchte Kyren mit frischer Spinnenseide zu fangen, welche es aus seinem Hinterteil spie. Die junge Magierin erkannte die Gefahr in ihrem Rücken nicht und war dem Angriff hilflos ausgeliefert. „Pass auf!“, rief Judy aufgeregt und warf sich dazwischen. Das Netz erwischte sie direkt und bevor Kyren realisierte was hinter ihr geschah, war ihre Gefährtin in einen Kokon gewickelt und zur Decke gezogen. „Judy!“, schrie sie ihr lautstark nach. Von Flammen und Bestien umringt kam sie nicht dazu ihr nachzusetzen, musste sich alsbald schon mit der nächsten Riesenspinne auseinander setzten. Shane erkannte die Situation und nutzte einige Spinnenkadaver als Sprungbrett nach oben. Judy befand sich bereits im Griff einer größeren Spinne. Er sah wie eine Spinne ihr Gift injizierte um sie ruhig zu stellen. Rasch zog er sein Schwert aus seiner Halterung am Rücken herbei und schlug zu. Er traf zunächst den Faden und noch im Fall die Giftbeißer der Spinne, die entsetzlich laut vor Schmerz aufschrie. Judy fiel im Kokon zu Boden, wo sie von Kyrens Magie geistesgegenwärtig gebremst wurde, damit ihre Landung nicht allzu hart werden würde.

Die Feuer die Kyren unfreiwillig gelegt hatte, breiteten sich über den ganzen Saal aus und brachte die Kreaturen zum Rückzug. Shane landete elegant neben Kyren und griff sich Judy, die noch immer im Seidekokon eingehüllt war. „Wir müssen hier raus!“, mahnte er seine Gefährtin und stieß sie sanft in Richtung Ausgang an dem Ace bereits auf sie wartete. Er hatte schnell gehandelt und die Tür für sie geöffnet. Mit Judy über die Schulter geschlagen lief Shane los und riss Kyren an seiner freien Hand mit sich. Das Feuer wütete gnadenlos und die Tür schien einfach nicht greifbarer zu werden als man die letzten Meter entlang lief. Noch während die Spinnen regelrecht wutentbrannt nach ihren Opfern kreischten, schloss Ace die Tür, nachdem alle passiert waren.
 

Völlig außer Atem lud Shane seine Cousine ab und auch Kyren wirkte nach so viel Einsatz von Magie etwas außer Puste. Beide gingen fast synchron in die Knie und schnappten nach Luft. „Das war knapp.“, kommentierte Ace das Geschehene relativ nüchtern und wendete sich bereits den vor ihm liegenden Raum vor. Überall sprossen Kristalle aus dem Boden, die von sich aus zu leuchten schienen. Eine Fackel oder gar ein Lichtzauber, den Kyren im letzten Raum aufgelöst hatte, war hier überflüssig.

Das Szenario was sich ihnen bot war wunderschön anzuschauen und auch wenn der Weg zur nächsten Tür nicht zu sehen war, so schien diese Passage etwas freundlicher zu sein als die vorherige. Besorgt wendete sich Shane Judy zu und befreite sie von den Spinnenweben. „Judy? Judy!? Geht es dir gut? Sag doch was!“, sagte er und riss hektisch die Spinnenseide von ihr ab. Judy wirkte vergleichsweise gefasst und schnappte nach Luft. Sie öffnete die Augen und wollte etwas sagen, als sie Ace unterbrach. „Sie wurde von einen dieser Spinnen vergiftet. Ich kenne diese Gattung. Sie wird es überleben, aber ihr Körper wird die nächsten Stunden gelähmt sein.“, meinte er und warf ihr einen zweifelhaften Blick zu. Judy wirkte so starr wie erstaunt über die Erkenntnis des Mannes, konnte aber ihren Kopf noch etwas bewegen. „Schon gut. Lasst mich hier und bringt es zu Ende. Es kann nicht mehr weit sein, nicht wahr?“, meinte sie mit schwacher Stimme, ihren Blick auf Ace gerichtet. Dieser nickte zuversichtlich und verschränkte die Arme. „Ja, meinen Informationen nach ist dies die letzte Halle vor der Magierkammer.“, bestätigte er knapp. „Wir können dich doch nicht einfach hier zurück lassen.“, protestierte Shane leicht, doch Judy schüttelte so gut sie konnte den Kopf. „Nein. Ihr müsst gehen. Ich halte Euch nur auf und vielleicht haben wir nicht mehr so viel Zeit. Es geht mir gut. Ihr könnt mich ja nachher abholen, wenn ihr das Artefakt habt.“, widersprach sie energisch. Kyren seufzte, war sie mit der Entscheidung ihrer Begleiterin nicht sonderlich glücklich. „Also schön. Wir werden uns beeilen, versprochen.“, sagte sie schließlich und wendete sich wieder Ace zu. „Fein. Dann sollten wir weiter. Dieses Kristalllabyrinth sollte keine Hürde für mich sein.“, gab dieser optimistisch von sich und schritt voran. Kyren und Shane tauschten sich Blicke aus und obwohl es ohne Worte geschah, waren sich beide einig dass man diesen Optimismus nicht teilte.
 

Atrix gähnte schon etwas gelangweilt und streckte seine Glieder fast so als wolle er zu einem Nickerchen ansetzen. Er fragte sich ob seine Freunde schon bis ins Zentrum vorgedrungen waren und hoffte auf ihre baldige Rückkehr. Die Angst begleitete ihn das ihnen etwas schlimmes passiert sein könnte, doch er verdrängte den Gedanken so gut es ging. Plötzlich klopfte es drei Mal hinter ihm an der Tür, so dass er von seinen Gedanken abließ und aufhorchte. Ein erleichtertes Strahlen hielt in seinem Gesicht Einzug als er anschließend die Tür überfreudig aufriss. Seine Mimik erschlaffte jedoch schlagartig als ihn die knöchernen Grimassen seiner Verfolger empfingen und ihre Waffen zum Angriff erhoben. „Ehmh … Tut mir Leid. Wir haben geschlossen!“, stammelte er aufgeregt und knallte die Tür ein weiteres mal vor der Nase seiner Feinde zu. Offenbar würde er noch eine Weile ausharren müssen.
 

Das Kristalllabyrinth war wunderschön anzusehen und anscheinend frei von Gefahr. Zielstrebig bahnte sich Ace einen Weg durch die Kristalle, ohne das man wusste woher er den Weg kannte. Shane wirkte skeptisch, nicht des Elfen wegen, sondern viel mehr weil sein suchender Blick verriet das er glaubte hier nicht allein zu sein. Er spürte dass an diesen Ort etwas verborgen war und konnte nur darauf hoffen dass es sie nicht bemerken würde. Seine Hoffnung schien sich zu erfüllen, denn einige Sekunden später schon, entdeckte Ace für alle sichtbar den Weg in die letzte Räumlichkeit, abermals durch eine schlichte Eisentür versperrt. „Das war einfacher als ich gedacht hätte.“, meinte er zufrieden und wendete sich seinen Gefährten zu. „Ich frage mich warum diese Kristallformationen wohl hier sind?“, dachte Kyren laut vor sich hin und begutachtete im vorbeilaufen ihr verzerrtes Spiegelbild in einen der riesigen Kristalle. „Vielleicht stellen sie eine Ablenkung dar.“, meinte Shane und zog somit ihren Blick auf sich. „Eine Ablenkung wovor?“, fragte Kyren verwundert und erhielt die Antwort schneller als ihr lieb war. Eine riesige, kristalline Hand schoss auf einmal aus dem Kristall neben ihr hervor und legte sich um sie. „Wa-was ist hier los?! Lass mich los!“, rief sie empört, während sich der Griff um sie festigte. Die Hand war so groß das sie mit Leichtigkeit ihren ganzen Elfenkörper umschlang. Nur ihr Kopf ragte noch hervor. Shane erkannte das sie sich nicht von selbst befreien konnte. „Kyren!“, schrie er aufgeregt und zog sein Schwert. Gerade als er im Begriff war zu ihr zu eilen verschlimmerte sich die Situation nochmals. Der Kristall brach und entlang der Hand entwuchs ein gewaltiger Golem aus Kristall. Gebannt bestaunten Ace und Shane das Wesen, doch letzterer war nur kurz vom Anblick der Kreatur eingenommen. Obwohl er wie ein Zwerg gegen den Golem wirkte, stürmte er auf ihn zu, hoffend dass er Kyren aus dessen Fängen befreien konnte. Seine Hoffnungen wurden alsbald enttäuscht, denn sein Schwert wirkte wie ein hölzerner Zahnstocher auf Metall ein. Ohne einen Kratzer an Hand und Arm des Wesens zu hinterlassen beendete Shane den Angriff und das einzige was er erreicht hatte, war den Zorn des Golems zu wecken. „Verdammt! Wirkungslos! Was soll ich nur tun?“, gab er angespannt von sich. Sein Blick schweifte zu Ace, doch der wirkte noch rat- und hilfloser als er selbst. Ein Schrei von seiner Gefährtin machte ihn darauf aufmerksam dass sich die Situation weiter verschlimmern sollte. Der kristallene Golem öffnete seinen Mund und zwängte die kreischende, aber wehrlose Elfe hinein. „Oh nein! Kyren!“, rief Shane fassungslos und erstarrt zugleich. Das Wesen war durch seine kristalline Form nahezu durchsichtig und so sah man die junge Elfenmagierin Augenblicke später in dessen Torso festsitzen.

Immerhin waren nun ihre Hände frei, was ihr den Glauben gab sich von selbst befreien zu können. Mit ihrer Magie wollte sie sich den Weg nach draußen bahnen, doch Ace hielt sie lautstark ab. „Nein! Tu das nicht! Er wird deine Magie aufsaugen und reflektieren!“, warnte er sie. Kyren zögerte nur kurz und sah zwischen Shane und Ace hin und her. Sie hatte ihren Artgenossen durchaus verstanden, aber so einfach wollte sie nicht aufgeben. „Das Risiko gehe ich ein!“, erwiderte sie und feuerte eine explosive Magie gegen den inneren Torso der Kreatur. Die Magie verpuffte zunächst wirkungslos, bevor eine elektrische Ladung auf den Anwender zurück fiel. Kyren schrie von Schmerzen geplagt und ging entkräftet in die Knie. „Kyren!“, rief Shane abermals, sah er sich doch nicht im Stande ihr helfen zu können. „Warum hört sie nicht?!“, schimpfte Ace aufgeregt und wendete sich ihren Gefährten zu. „Es muss doch etwas geben um sie frei zu bekommen. Wie kann man dieses Wesen knacken?“, erwiderte er ihm und ließ die Antwort auf dessen Frage offen. „Diese Art von Golem verliert seine Kraft und Stabilität, wenn sein Beschwörer den Zauber auf dem Wesen beendet oder er stirbt.“, merkte Ace an, hoffend das beide zur Vernunft finden würden. „Wir müssen Nevrion finden, sonst wird sie das nicht überleben!“, fügte er mit deutlichem Unterton an. Kyren wurde derweil immer wieder von Blitzen gepeitscht und stand schon nicht mehr aufrecht. „Shane …“, ächzte sie mit verzweifelter, wie schmerzverzerrter Miene, bevor sie ein weiterer Blitz traf. Der junge Halbelf wirkte verbissen und wendete sich einen Moment der Tür zum nächsten Raum zu. „Halt durch Kyren! Ich hol dich da raus!“, erwiderte er ihr im Mut der Verzweiflung.

„Na los – schnappen wir uns diesen Magier!“, sagte er lautstark zu Ace, der ihn sogleich im Laufschritt zur Tür begleitete, während der Golem desinteressiert zurück blieb.
 

Nevrion schien zunächst gar nicht bemerkt zu haben dass die beiden verbliebenen Abenteurer in seine Haupthalle vorgestoßen waren. Er zeigte sich ganz und gar in seine Magie vertieft und horchte erst auf als Ace lautstark seinen Namen rief.

Die Augen des Magiers weiteten sich als er ihn und einen fremden Begleiter sah. Angst übermannte ihn. Mit zittriger Hand deutet er auf die Beiden und zwängte sich ein paar Worte heraus. „Was hat das zu bedeuten?!“, fragte er schockiert. „Eure Zeit ist abgelaufen, Nevrion.“, erklärte Ace bereitwillig und legte ein genüssliches Grinsen auf. Shane bestaunte die Bannkreise, die der Magier um sich errichtet hatte, wie auch alles andere in diesem Saal. „Jetzt liegt es an dir, den Taten dieses Mannes ein Ende zu bereiten! Die Barrieren werden dich nicht aufhalten, vertrau mir!“, meinte Shanes Gefährte mit zielgerichteten Blick. Der junge Halbelf zögerte kurz, dachte an Kyren und seine Gefährten, festigte aber anschließend seinen Griff um das Schwert. „Gut. Ich werde angreifen.“, erwiderte er entschlossen und stürmte vor. Nevrion wurde panisch und wedelte mit seinen Händen herum. „Nein! Was tut Ihr denn?! Seid Ihr wahnsinnig?! Warum helft Ihr ihm?!“, schrie er aufgeregt.

Shane hatte bereits alle vier Bannkreise durchlaufen, ohne dass sie ihm aufgehalten oder gar geschädigt hätten. Auf einmal war es so leicht und der von Angst erfüllte Magier wurde ein viel zu einfaches Ziel für sein Schwert. Zentimeter vor dem Kopf Nevrions brachte er es schließlich zum stoppen und ließ seinen Gegner erstarren. „Ich bitte Euch. Lasst es mich erklären.“, stammelte er kopfschüttelnd. „Lasst keine Gnade walten oder Eure Freundin stirbt!“, rief Ace mahnend von der Eingangstür, aber Shane zeigte sich gewillt zuzuhören und begann langsam sein Schwert zu senken. „Also schön. Sagt was Ihr zu sagen habt.“, murrte er den eingeschüchterten Magier schroff an. „Ihr wurdet zum Narren gehalten! Ich weiß nicht was man Euch erzählt hat, aber ich bin vielleicht die letzte Möglichkeit Acelatraeus wieder in seine Ebene zu verbannen.“, erzählte er und seine Atemzüge begannen sich zu verschnellern. „Wieso verbannen? Ich dachte Ihr wolltet etwas herauf beschwören?“, wunderte sich Shane. „Das habe ich, Fremder. Das habe ich. Ihr seht das Resultat meiner Beschwörung hinter Euch.“, begann er zu antworten und Shane erkannte das dessen Augen sich auf Ace fixierten. „Das ist nicht was ich wollte. Ich wollte einen Racheengel der Ashton Scu’l besiegt und mich an die Spitze von Thay bringt, doch was ich beschworen habe, ist etwas vollkommen anderes. Einen Dämon, der nicht kontrollierbar ist. Ihr müsst mir glauben! Er ist nicht was er vorgibt zu sein! Seht ihr nicht? Er kann diese Bannkreise nicht passieren, weil sie Dämonen abhalten sollen. Deshalb habt Ihr diese unversehrt durchschritten …“, fuhr er mit ehrfürchtiger Stimme fort. Ace begann zu lachen, wissend warum die Worte des Magiers verstummt waren. „Wie erbärmlich. Er versucht sich doch allen ernstes frei zu reden. Ihr solltet ihn jetzt töten!“, forderte er Shane auf. „Sonst gibt es für Eure Freunde keine Rettung mehr.“, fuhr er mit zwielichtigen Blick fort. Plötzlich sah sich Nevrion wieder mit dem Schwert des Halbelfen konfrontiert. „Schaltet den Golem ab oder ich tue was er sagt!“, fauchte Shane wütend. „Welchen Golem?!“, fragte Nevrion irritiert. „Stellt Euch nicht dumm! Meine Freunde und ich haben sich durch drei Räume schlagen müssen. Es wird nicht umsonst gewesen sein!“, antwortete er mit strengen Blick. „Was?! Ich weiß nicht wovon Ihr redet.“, stammelte sein gegenüber ungläubig. Ace schien höchst amüsiert und verschränkte lässig die Arme. „Ihr werdet ihn schon töten müssen, wollt Ihr Eure Freundin retten.“, rief er nüchtern. Zweifel durchfuhren Shane und langsam begann sich vor seinem inneren Auge ein Puzzle aufzubreiten das nicht zusammen passte. Nach kurzem Zögern begann er sich von allen Zweifeln loszureißen, doch nicht so wie Ace es erhofft hatte. „Ich tue es! Aber erst wenn Ihr einen Bannkreis überschreitet.“, konterte er und richtete sein Schwert auf den rothaarigen Elfen. Ein Schmunzeln glitt über dessen Gesicht und seine Hände verschwanden in seinen Hosentaschen. „Gut … wie Ihr meint …“, sagte er in gleichgültiger Tonart. Gemächlich, in aller Seelenruhe machte er einen Schritt nach den anderen, blieb aber Zentimeter vor der ersten Barriere stehen. „… aber ich werde Euch diesen Gefallen nicht tun können. Das ändert aber nichts daran das Eure Freundin stirbt, wenn Ihr ihn nicht tötet.“, gab er grinsend zurück und Shane begann zu begreifen. „Ihr! Ihr wart es von Anfang an! Das alles war von Euch inszeniert! Ihr wolltet verhindern das Nevrion Euch wieder verbannen kann. Ihr habt mich und meine Freunde für Eure Zwecke benutzt!“, entgegnete er zornig. „Da bist du wohl ganz allein drauf gekommen, was?“, entgegnete Ace spöttisch. „Ja, es stimmt. Aber es ändert nichts daran, das deine Gefährtin bald sterben wird, wenn du meine Forderung nicht erfüllst.“, ergänzte er etwas sachlicher.

Shane fühlte sich in einer Zwickmühle, denn beide Optionen die ihm zur Wahl standen, erschienen ihm unrecht. Doch als sich ihm eine dritte Option auftat schöpfte er wieder Hoffnung. „Wie lange braucht Ihr um ihn zu verbannen?“, fragte er leise. „Das Ritual zur Beschwörung und zur Verbannung dauert je 48 Stunden. Es fehlen nur noch zwei.“, antwortete er in selber Tonhöhe. Dennoch hatte Ace die beiden gut verstanden und brachte sogleich einen Einwand. „So viel Zeit hat die Kleine nicht.“, warf er warnend ein. Shane wurde nervös, aber es blieb noch eine weitere Variante. „Ist er sterblich?“, wollte er wissen und begann seine Hand wieder etwas fester um seinen Schwertgriff zu legen. „Ja, ich denke schon, aber Ihr wisst nicht wie …“, erwiderte Nevrion, doch bevor er ihn auch nur über die Macht und Kraft seines Gegners unterrichten konnte, stürmte Shane mit gezogenen Schwert gegen Ace an.
 

Der Elf mit dem roten Haar hatte keine Mühe den ersten Schwerthieb des Halbelfen auszuweichen in dem er einfach in die Luft entschwebte. Seine Hände waren noch immer in seine Hosentaschen gesteckt als er beinah thronend über Shane schwebte. „Ihr Sterblichen amüsiert mich doch immer wieder aufs Neue. Habt ihr wirklich geglaubt dass ihr irgendetwas gegen mich ausrichten könnt? Ihr seid nur Spielzeuge, deren Existenz ich mit einem Fingerschnipp beenden kann.“, sagte er mit arroganter Stimme und schnippte mit den Fingern seiner rechten Hand, die er für den Augenblick aus der Hosentasche nahm. Shane wirkte ungebrochen und gewillt dem Dämon das Handwerk zu legen. Er ließ sich nicht durch die Höhe bändigen, in der Ace schwebte. Ein Bücherregal diente als Sprungbrett, doch sein Schwerthieb ging wieder ins Leere. Die Bewegungen seines Gegners waren zu schnell als das er ihn hätte irgendwie treffen können. Selbst als das Duell sich am Boden fortsetzte, war Ace nicht bemüht den Angriffen des Halbelfen etwas entgegen setzen zu müssen.

„Gib sie frei!“, fauchte Shane erbittert und ging immer wieder auf den Elfen los. Das Szenario bekam eine unerwartete Wendung als Ace sich plötzlich wegducken musste, nachdem er Shane wieder einmal wie einen wilden Stier am roten Tuch vorbei laufen hatte lassen. Mehrere magische Geschosse schlugen dicht hinter dem Dämonen ein und richteten beträchtlichen Schaden an. „Nett …“, sagte er mit unheimlicher Stimme und begann sich auf den Magier in die Mitte des Raumes zu fixieren. Die Barrieren waren verschwunden und Nevrion zeigte sich als Beschwörer der magischen Geschosse. „Ich bin überrascht, Nevrion. Ihr hättet nur noch 2 Stunden gebraucht und gebt die Sicherheit Eurer Bannzauber auf um mich bekämpfen zu können? Ihr riskiert Euer eigenes Leben für das eines Fremden.“, stellte er amüsiert fest. Nun begann Shane auch zu verstehen warum sich Nevrion nicht gegen seinen Angriff zur Wehr gesetzt hatte. Der Erhalt der Barrieren musste sein ganzes magisches Potential erfordert haben. „Ich werde gutmachen was ich angerichtet habe!“, entgegnete der Magier wild entschlossen und beschwor einen Feuerzauber herbei.
 

Der Kampf nahm nun eine neue Form an. Shane und Nevrion wechselten in ihren Angriffen, doch deren Bemühungen liefen ins Leere. Ace gelang es trotz allem sogar sich Nevrion zu nähern, wissend das er der einzige in diesem Saal war, der ihn noch aufhalten konnte. Der Magier setzte sich mit mächtigen Zaubern zur Wehr, die im gesamten Raum schwere Schäden hinterließen. Shane versuchte die Rauchschwaden als Deckung für seine Angriffe zu nutzen, doch es gelang ihm nicht seinen Gegner zu treffen.

Nevrion warf nur so mit Feuermagie um sich, geriet in einen regelrechten Wahn, doch seinen mächtigsten Feuerzauber konnte er nicht mehr ausführen. Seine Magie verpuffte in seinen Händen als ein harter Tritt in die Magengegend ihn niederrang. Seine Miene war schmerzverzerrt als er in die Knie ging und aufsah. Seine Augen erblickten Ace, der siegessicher vor ihm stand und ihn mit einem weiteren Fußtritt außer Gefecht setzte. „Dich erwartet schlimmeres als der Tod, Nevrion.“, sagte er selbstgefällig, obwohl der Magier ihn schon nicht mehr hören konnte. Shane versuchte den Moment zu nutzen um Ace in den Rücken zu fallen, doch seine Aktion war vorhersehbar. Der Elf brauchte sich nicht einmal umzudrehen und streckte nur seine linke Hand in Shanes Richtung aus. Sekunden später sah sich der Halbelf mit einer heftigen Druckwelle konfrontiert, die ihn gegen eine aus dem Boden ragende Steinplatte schleuderte. Der Aufprall war so heftig das er sein Schwert verlor und er Schwierigkeiten hatte sich zu Besinnen. Schon einige Augenblicke später legte sich Ace’s linke Hand um seinen Kragen und zog ihn hoch. „Und du mein Freund, wirst einen kurzen schmerzlosen Tod haben, genau wie deine Freunde.“, wisperte er ihm genüsslich zu. Als er seine rechte Hand ausfuhr und dort einen Zauber fokussierte, wurde Shane klar das er versagt hatte und nichts ihn retten konnte. Er fühlte sich schuldig und machtlos zugleich.

Der tödliche Zauber des Dämonen kam jedoch nicht zur Vollendung als einen Wimpernschlag darauf ein Dolch seine Hand durchbohrte. Blut spritze aufs Shanes Gesicht und der Zauber brach ab. Ace schien nicht einmal von Schmerz erfüllt und wendete sich lediglich dem Werfer zu. Judy stand leicht erbost in einigen Metern Entfernung und löste ihre Wurfhaltung auf. „Finger weg! Er gehört mir!“, fauchte sie ungemein düsteren Tones. Grinsend ließ Ace vom Halbelfen ab und ließ ihn wie ein Stück totes Vieh zu Boden fallen. Beinah beiläufig zog er den Dolch aus seiner Hand und ließ ihn zu Boden fallen. „Aja, richtig. Ich hatte Euch schon vergessen. Ein ebenwürdiger Gegner.“, gab er mit einen Lachen von sich. „Ihr habt doch was Ihr wolltet. Warum geht Ihr nicht einfach und genießt Eure Freiheit?“, entgegnete Judy forsch. Ace rieb sich das Kinn und sah zum bewusstlosen Nevrion herüber. „Einverstanden. Ich will ja nicht undankbar erscheinen. Nun da ich in dieser Welt bin, stehen mir alle Möglichkeiten offen.“, meinte er nachdenklich und warf Judy einen zweifelhaften Blick zu. Judy wirkte überrascht, glaubte aber an einen Trick. „Nehmt Eure Freunde mit Euch, aber das Buch nehme ich mir als kleine Belohnung für meine Großzügigkeit mit.“, erklärte er und bewegte sich zu dem Podest auf dem das Nesser-Relikt lag. Judy ließ ihn gewähren, doch Shane leistete leisen Protest. „Wir brauchen es um Ashton und den Tarraske zu stoppen.“, ächzte er hervor, noch während sich der Dämon das Buch aneignete. „Wie bedauerlich für euch.“, meinte Ace spöttisch grinsend und teleportierte sich mitsamt dem Buch aus der Halle heraus. „Genießt Euer Leben so lange ihr noch eines habt. Ihr seid frei.“, tönte es noch durch die Halle als er bereits verschwunden war. Kyrens kristallines Gefängnis verschwand wie von Geisterhand, wie auch die untoten Wachen, die Atrix eingesperrt hatte. Trotzdem blieb ein bitterer Nachgeschmack, denn das fühlte sich nicht wie ein Sieg an.
 

Einige Stunden später als die Abenddämmerung bereits über Faerûn Einzug hielt, war die Stimmung trotz das man noch einmal mit dem Leben davon gekommen war nicht sehr feierlich. Nachdenklich starrten die Gefährten in das Lagerfeuer und lauschten den Geräuschen des Waldes. Atrix war nicht mehr unter ihnen, denn als die Frage aufkam wer auf Nigel warten und ihn benachrichtigen sollte, meldete er sich freiwillig.

Shane ließ sich noch einmal Nevrions Worte durch den Kopf gehen, der aus Dankbarkeit all sein Wissen über Ashton und seine Pläne verraten hatte. Viel mehr war aus der alten Bibliothek im Hauptsaal auch nicht mehr zu holen gewesen, denn im Kampf wurde sie fast vollständig zerstört.

Nevrion war nach Thay aufgebrochen und hatte ihnen als Trostpreis eine Schriftrolle hinterlassen, mit der sie den Tarraske zumindest aufspüren konnten. Kyren hielt das Pergament fest umschlossen in ihren Händen, doch nun, wo man genau wusste wo sich Ashton aufhielt und das man nichts gegen ihn in der Hand hatte, hegte sie nicht allzu viel Hoffnung siegreich aus der bevorstehenden Schlacht gehen zu können.

Folge 99: Getrennte Wege

[Folge 8: Getrennte Wege]
 

Ein angenehmer Duft zog durch Shanes Träume. Es roch nach Heimat, nach freier, unberührter Natur. Wärmende Sonnenstrahlen schienen auf ihn herab und eine sanfte Priese zog über ihn hinweg. Alles was er um sich herum sah erinnerte ein Paradies. Die Bäume, die Tiere und das Plätschern eines Flusses.

Sein Atem stockte als er das vertraute Lachen eines Mädchens hörte. Es klang befreiend und glücklich, doch er hatte Problem es zwischen den vereinzelten Bäumen um ihn herum zu orten. Ein vergnügtes Glucksen hinter seinen Rücken ließ ihn schließlich die Position des Mädchens erkennen. Ihr Gesicht war von den Schatten der Baumwipfel verdeckt, doch als sie vortrat erkannte er sie. Sie schenkte ihn ein herzliches Lächeln, fast so als wollte sie seinen sich weiteten Augen entgegen wirken. „K-Kyren …“, stammelte Shane und trat langsam näher. Mit jedem Schritt den er näher kam legte sich eine intensive, aber angenehme Wärme um sein Herz. Sein ganzer Körper begann zu kribbeln als er seine Hand an ihre Wange legte und ihr den Hals hinab strich. Er wusste dass er nur träumte und eigentlich wollte er in diesen Moment auch nichts anderes. Dieses Mal, so betete er, sollte ihm dieser Traum nicht entrissen werden und er mit Schmerzen in der Realität erwachen. Die Zeit schien still zu stehen, noch während er seine Hand an sie gelegt hielt. Dennoch blieb der Moment nicht von Dauer und es schien ein weiteres Mal wie immer zu enden, wenn er diesen Traum hatte. Wimpernschläge später war seine Hand an eine Statue der Elfe gelegt wo sie eben noch in Fleisch und Blut gestanden hatte und alles um ihn herum begann zu verwesen. „Nein … Nein!“, sagte er mit aufgeregter Stimme. Er versuchte seine Gedankenwelt so zu bewegen, das alles wieder so werden würde wie vorher, aber seine Gedanken gehorchten ihm nicht.

Bald schon fand er sich in einen Meer aus Asche wieder, einer kalten, toten Ebene in der es nur ihn und den Weißen Falken gab. Gerade zu behäbig saß der Meisterdieb auf einen Stein und fixierte seinen Blick auf den Halbelfen. „Wa-Warum tut Ihr mir das an?! Was wollt Ihr von mir?!“, schrie Shane mit gekränkten Herz.

„Ich bin ein Gefangener Eurer Träume, Shane. Weder ich noch Ihr selbst könnt verhindern dass Ihr Eurem Schicksal entkommt.“, sagte er ruhigen Tones. „Was?! Was soll das?“, fragte Shane verwirrt. „Ihr könnt Eurem Schicksal nicht entkommen! Niemand kann das! Es ist vorbestimmt!“, antwortete der Mann in Weiß nun deutlich aggressiver. Wieder traf Shane ein starker Schmerz und riss ihn zu Boden. Dieses Mal sollte er nicht so schnell erwachen.
 

Folge 8: Getrennte Wege
 

Kyren schlief in dieser Nacht äußerst unruhig. Es lag nicht am weichen Waldboden, daran das der Nachthimmel zu hell erleuchtet oder daran das die Tiere des Waldes zu laut waren. Alpträume schienen sie zu plagen, fast so als kamen ihre Sorgen und Gedanken nicht zur Ruhe. Ihre Augen sprangen auf als sich plötzlich eine Hand um ihren Hals legte. Der Griff festigte sich, doch was ihr den Atem raubte, war das Gesicht des Täters. Shanes Augen leuchteten rot auf und ein diabolisches Grinsen lag in seinem Gesicht. Seine kalte Hand drückte immer fester zu und nahm ihr die Luft zum atmen. „Shane … was tust du? Lass los …“, krächzte sie mit schwacher Stimme und ihrer verbliebenen Luft, doch er schüttelte einfach nur verneinend den Kopf. Vergeblich legten sich ihre Hände um seinen Arm und versuchten den Griff zu lockern. Er war zu stark und Kyrens Schock zu groß als das sie Gegenwehr leisten konnte. Noch als ihr schwarz vor Augen wurde, fragte sie sich noch wieso er ihr das antat, wieso er sie tötete.
 

Als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen auf Kyrens Haut trafen, schrak sie laut keuchend auf. Reflexartig ging ihre rechte Hand zu ihrem Hals. Sie atmete laut und tief, aber langsam begann sie zu realisieren das sie lebte. Shane schlief noch auf der anderen Seite des mittlerweile aufgebrauchten Lagerfeuers, ganz so wie sie es in Erinnerung hatte bevor sie zu Bett gegangen war. Judy lag zu ihrer Linken und schnarchte vergnüglich vor sich hin. „War es nur ein Traum?“, fragte sie sich, doch selbst in diesem Moment fühlte sie noch ganz genau die Druckstelle an ihrem Hals. Rasch schlüpfte sie in ihre Stiefel und tappte zum nahe gelegenen See. Dort angekommen kniete sie sich nieder und tunkte ihre Hände ins Wasser. Rasch legte sie ihre Hände mit dem kühlen Nass wieder an ihr Gesicht und wiederholte diese Prozedur ein paar Mal. Sie musste einen klaren Kopf bekommen. Sie kannte Shane doch. Niemals hatte er ihr etwas angetan, geschweige denn je solch ein Verhalten gezeigt. Es erschien ihr unmöglich, undenkbar dass er so etwas mit ihr machen würde. Doch warum spürte sie den Abdruck um ihren Hals noch, wenn es nur ein Traum gewesen war? Immer wieder kehrten ihre Zweifel zurück, doch sie entschloss sich vorerst so zu tun als wäre nichts geschehen.
 

Es war noch etwas mehr als eine Tagesreise, bis zu dem Punkt an dem sich Ashton aufhalten sollte. Vor den Abenteurern lagen nur noch ein kleineres Waldstück in einer recht bergigen Gegend und die dahinter liegende Brachlandebene. Judy war aufgefallen das Kyren im Vergleich zu den Vortagen ungewöhnlich ruhig war. Immer wieder sah sie zu Shane herüber, der ebenfalls etwas teilnahmslos aussah. „Woah … dieses Schweigen ist ja kaum auszuhalten!“, meinte Judy lautstark und raufte sich die Haare. Für den Augenblick hatte sie die volle Aufmerksamkeit ihrer beiden Gefährten und brachte sie somit stehen. „Ich weiß ja das die bevorstehende Schlacht nicht einfach wird, aber müssen wir deshalb Trübsaal blasen?“, fragte sie in die Runde. Kyren wendete ihren Kopf ab und versteifte sich. „Das ist es nicht …“, erwiderte sie beinah Flüsterleise. Shane wirkte nun auch besorgt. Judy, die einige Momente grübelnd an Ort und Stelle verharrte, versuchte aus den Augen der Elfe zu lesen. Schließlich hakte sie sich bei Kyren ein und wendete sich kurz Shane zu. „Ah, einen Moment, Shane. Mädchensache.“, sagte sie und zog die Elfe einige Meter mit sich, so weit weg von Shane wie nötig. Wie eine Puppe setzte sie Kyren auf einen gefallenen Baumstamm ab und stellte sie zur Rede.

„Also schön. Lass hören, was dich bedrückt.“, entgegnete sie ihr mit ernster Miene. Der Kopf der Magierin war gen Boden gesenkt und man merkte dass sie immer noch mit sich selbst zu kämpfen hatte. „Ihr habt doch sicher schon schlimmere Situationen als das hier durch gestanden. Also warum so ein Gesicht, Kyren?“, hakte Judy beharrlich nach. „Sag mal, Judy. Was glaubst du warum sich Shane an nichts mehr von früher erinnern kann?“, erwiderte Kyren als Antwort auf ihre Frage. Judy war etwas verblüfft und schien die Zusammenhänge ordnen zu wollen. „Ich gebe zu, ich habe nicht die leiseste Ahnung warum.“, antwortete sie schließlich. „Kam er dir seit du ihm wieder begegnet bist irgendwie fremd vor? Hast du das Gefühl dass das wirklich Shane ist, der dort drüben steht?“, begann Kyren weiter zu fragen. „Eh … ich bin mir nicht sicher. Ich … ich habe ihn ja so viele Jahre nicht mehr gesehen gehabt, aber ich bin mir eigentlich immer sicher gewesen dass das dort Shane ist.“, sagte sie stirnrunzelnd. Eine Träne lief an Kyrens rechter Wange hinab und auch sie begann leicht zu nicken. „Hey, warum weinst du denn jetzt?“, fragte Judy besorgt und legte ihre Hand tröstend auf ihre Schulter. „Weil ich auch geglaubt habe dass das dort Shane ist.“, gab sie weinerlich von sich. „Wa-was ist denn los mit dir?“, wollte Judy wissen.

„Shane … Shane hat … versucht mich letzte Nacht zu erwürgen. Ich versuche die ganze Zeit zu glauben dass es nur ein Traum war, aber selbst jetzt spüre ich noch immer die Druckmerkmale.“, gab sie schluchzend von sich. „W-was?“, staunte Judy atemlos. „Warum tut er mir das an?“, schluchzte sie und verlor sogleich ihre Stimme. Judy schenkte ihr so gut es ging Mitgefühl aus, doch langsam reifte auch in ihr die Erkenntnis, dass etwas mit Shane nicht stimmte. „Wir hätten skeptisch werden sollen nachdem die Mannschaft von Rommaths Schiff getötet wurde und es schließlich in Flammen aufging. Selbst Rommath hatte erkannt, das in ihm etwas Böses steckt, das er nicht der ist, der er zu sein vorgibt.“, erzählte sie mit gefasster Stimme. Die Worte trugen nicht gerade dazu bei Kyren zu beruhigen, denn nun kamen all ihre Zweifel wie durch ein offenes Ventil hervor. „Ich war so naiv.“, meinte sie und grub ihren Kopf in ihre Hände. Decan hatte es ihr doch schon nahezu prophezeit dass etwas an Shane merkwürdig war, aber sie hatte nicht hören wollen. Letzte Nacht hatte sie ihr Vertrauen in seine Person beinah mit dem Leben bezahlt.

Einen Moment lang schwieg Judy und ließ einen ausdruckslosen Blick auf ihre Gefährtin fallen. „Du hast vielleicht Recht, Kyren. Es ist möglich das er nur ein Teil eines abgekarteten Spiels ist, das wir nicht durchschauen, aber wie willst du ihn enttarnen?“, sagte sie schließlich. Kyren sah auf und noch immer sprach die Trauer aus ihren Augen. „Ich … ich werde ihn heraus fordern.“, antwortete sie und es klang so als ob sie es für eine gute Idee hielt.
 

Shane wirkte derweil schon etwas gelangweilt und stocherte mit seinem linken Fuß im Boden herum Plötzlich schlug ein magisches Geschoss neben ihm ein und verfehlte seinen Fuß nur knapp. Shane erschrak und zog reflexartig sein Schwert, erkannte aber schnell das Kyren auf ihn gefeuert hatte. „Wa-was soll das, Kyren?!“, fragte er sichtlich irritiert. „Es endet hier und jetzt, Shane! Ich habe genug von deinen Lügenspielchen! Wenn du nichts anderes vorhast, dann bringen wir es hier zu Ende.“, entgegnete sie ihm mit zornigen Blick. Shanes Blick fiel auf Judy, die sich in sicherer Entfernung aufhielt. Sie wirkte als ob sie auf Kyrens Seite stand, griff aber nicht ins Geschehen ein. „Kyren? Was geht hier vor? Was ist in dich gefahren?“, fragte er ungläubig. Als Antwort folgten einige Flammenpfeile, die den Boden auf dem er stand, wegsprengten und in Flammen setzten. Nur durch einen Sprung zurück, konnte er dem Angriff rechtzeitig entgehen. „Ich lasse mich nicht länger von dir hinters Licht führen. Wer immer du auch bist – jetzt tragen wir es aus.“, tönte sie ihm entgegen. „Wieso denn hinters Licht führen? Was habe ich dir getan?“, wollte Shane wissen und erhielt seine Antwort nach einem Feuerball, der neben ihn einschlug, nachdem er zur Seite gehechtet war. „Tu nicht so! Du hast versucht mich diese Nacht zu erwürgen! Glaubst du das ich das vergessen würde?!“, fauchte sie ihm verbittert an. Shane war für einen Moment wie erstarrt. „Nein …“, wisperte er leise vor sich hin und erinnerte sich an seinen Traum indem er ihr über Wange und Hals gestreichelt hatte. Schuldgefühle durchstiegen sein Innerstes, denn er hatte nicht gewusst was er getan hatte. Langsam glaubte er zu verstehen und machte sich für alles verantwortlich, was in den letzten Wochen geschehen war. Er konnte kaum glauben wozu er fähig war und versteifte förmlich. Kyren erkannte ihre Chance und beschwor eine Blitzmagie, die Shane traf und ihn weit zurück warf. Sie zuckte zusammen als vor Schmerz aufschrie, wusste aber, dass sie keine Gnade gegen den Betrüger walten lassen konnte. „Es tut mir so Leid, Kyren …“, ächzte er, kaum hörbar nach seinen Treffer als er sich begann an seinem Schwert aufzuraffen. „Deine Ausreden kannst du dir sparen. Ich habe dich längst durchschaut. Und nun kämpfe. Das ist es doch was du wolltest.“, warf sie ihm entgegen, schon in Vorbereitung des nächsten Zaubers. Verzweiflung breitete sich auf Shanes Gesicht aus. Er schüttelte den Kopf, denn selbst jetzt konnte er seine Waffe nicht gegen sie erheben. „Du gibst auf? Fein!“, meinte Kyren und entlud eine mächtige Magie in seine Richtung.
 

Eine heftige Explosion erschütterte die Gegend und dort wo Shane gestanden hatte, war nun noch ein Krater in dem aus der Luft vereinzelte Steinbrocken hinein fielen. Der Wald um den Krater herum war in Mitleidenschaft gezogen worden und etliche Bäume umgeknickt, doch von Shane selbst gab es keine Spur. „Er ist entkommen.“, analisierte Judy das Geschehene. Kyren wirkte mit dem Ausgang des Kampfes unzufrieden, hätte sich gewünscht die Wahrheit von ihren Gegner zu erfahren, aber zumindest hatte sie ihn zurück geschlagen. Die Zeit der Intrigen war nun vorüber und dennoch tat ihr Herz so weh, das sie glaubte es würde bluten. „Was sollen wir nun tun?“, fragte Judy vorsichtig. „Wir bleiben wachsam und gehen weiter. Notfalls nehme ich es auch allein mit Ashton auf.“, erwiderte sie entschlossen.
 

Atrix lechzte nach Luft und rannte so schnell ihn seine kurzen Beine tragen konnten. Nigel, der nur wenige Meter vor ihm lief, gönnte sich selbst und somit Atrix selbst nur selten eine Pause. Er konnte kaum Schritt halten, doch Nigels Eile war berechtigt. Zum Glück für den Elfen hielt Nigel an einem steilen Abhang an, von wo aus er über das vor ihm liegende Waldgebiet blicken konnte. Die Gegend war bergig, mit dichten Waldstücken und Flüssen durchzogen. Es war schier unmöglich Kyren rechtzeitig zu finden, denn diese Suche, war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Ziemlich außer Atem kam Atrix neben ihn zum stehen. Er hatte nicht alles verstanden was ihm Nigel am Vortag erzählt hatte, aber er wusste das Kyren in höchster Gefahr schwebte. Trotzdem schien Nigel die Sache näher zu gehen als ihm selbst. „Es ist alles meine Schuld. Wie konnte ich nur so dumm sein? Wir müssen sie unbedingt finden, koste es was es wolle.“, sagte er mit entschlossenem Blick.
 

Judy blickte sich noch eine ganze Zeit lang um, in der wagen Hoffnung das Shane zurückkehren könnte. Kyren war seither von ihren Emotionen übermannt und hockte auf dem Baumstamm wie ein Stück Elend. Ständig wischte sie sich Tränen aus dem Gesicht und versuchte sich wieder zusammen zu reißen. Es war ihr nicht leicht gefallen und es wog schwer in ihrem Herzen das sie an Shane geglaubt hatte. Sie wusste dass sie bald weiter musste, zum Treffpunkt, den man Atrix für Nigel mit auf den Weg gegeben hatte. Sie ahnte nicht dass er bereits aufgeregt nach ihr suchte, doch schon sehr bald wurde es ihre einzige Hoffnung.

„Ich glaube nicht dass er zurück kommt.“, meinte Judy schulterzuckend und kam langsam näher. Kyren wusste nicht ob das gute oder schlechte Nachrichten für sie waren, aber sie nahm es nickend zur Kenntnis. „Wir sollten langsam weiter, sonst überholen uns Atrix uns Nigel noch.“, antwortete sie etwas gefasster von den kürzlichen Ereignissen, doch Judy schmunzelte nur und schüttelte den Kopf leicht hin und her. „Ahm … nein. Ich glaube das sollten wir nicht.“, meinte sie mit seltsam zwiespältiger Stimme. Kyren wollte gerade etwas erwidern, da bemerkte sie eine seltsame Aura von ihrer Gefährtin ausgehen. „Judy? Ist alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig. „Oh, ja. Alles ist wirklich bestens.“, gab sie laut lachend zurück. Sie lachte so lange, das es der Magerin unheimlich war, doch dies war nur der Anfang. „Wie lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet!“, ergänzte sie mit einem diabolischen Grinsen, das Kyrens Augen weiten ließ.
 

Wütend schlug Nigel mit der Faust gegen einen Baum, der sogleich ein paar Früchte abwarf, die Atrix auf den Kopf fielen. „Ich war so dumm, so ein Narr. Wie konnte ich es nur vergessen? Ich hätte es wissen müssen!“, schimpfte er mit sich selbst. „Was nicht vergessen?“, fragte Atrix, noch etwas mitgenommen von der Frucht die auf seinem Kopf gefallen war. „Imoen hat keine Tochter, die Judy heißt. Imoen hat überhaupt keine Kinder. Ich hatte mich geirrt, war nicht wachsam und nun wird Kyren wegen mir sterben.“, gab er verzweifelt von sich und kniff seine Augen zusammen. Atrix verstand nicht wieso sein Gefährte von vergessen sprach, hatte er ihm bisher nur gesagt, das Judy nicht der ist, der sie vorgab zu sein. Er wusste das Kyrens Leben auf den Spiel stand, sollte man sie nicht rechtzeitig finden. Alles schien vergebens, denn es gab kaum Hoffnung sie noch retten zu können. Atrix erschrak als sich eine Gestalt näherte und verwies Nigel auf diesen. „Sieh doch.“, sagte er und deutet auf einen Mann ganz in Weiß, den er als Weißen Falken kannte. Nigel sah auf und sah ungläubig zu ihm herüber. „Ihr sucht die kleine Elfe? Ich denke, ich kann euch behilflich sein.“, sagte er und streckte seinen Arm nach links aus.
 

Eine eiskalte Hand hatte sich um Kyrens Hals gelegt und sie zu Boden gerissen. Judy lachte immer wieder laut auf, so als genoss sie es die gebrochene Elfe zu quälen. Kyrens Augen waren geweitet und Tränenerfüllt als Judy auf sie herab sah. „Ja, Kleine. Ich war es! Ich war es die ganze Zeit!“, sagte sie mit breiten Grinsen und rot leuchtenden Augen. „Wa-warum?“, ächzte Kyren mit schwacher Stimme hervor. „Ja, ich hätte dich einfach so töten können. Es wäre so einfach gewesen, aber ich wollte meinen Sieg über dich auskosten, so lange und so gut es nur ging. Shane hat mich damals bezwungen und ich habe nie meine Rache dafür bekommen, doch heute ist es endlich soweit. Indem ich dir dein kümmerliches Herz gebrochen und ihn von dir getrennt habe, ist meine Rache perfekt geworden. Dank mir hast du nun alles verloren was dir etwas bedeutet hat, haha.“, sagte Judy mit finsterer Stimme und verformte ihren freien Arm zu einem spitzen Metall. „Jay … goyle …“, krächzte Kyren kaum hörbar hervor, obwohl sie die Transformation nicht sehen hätte müssen um zu wissen, wer ihr das angetan hatte. Sie zerbrach innerlich an dem was geschehen war, hatte nicht einmal mehr die Kraft sich zu wehren. Im Angesicht des Todes lag es ihr so klar vor Augen, das Shane all ihr Vertrauen verdient gehabt hätte, doch Judy hatte sie gezielt manipuliert. „Es wird ein absoluter Hochgenuss sein, dein jämmerliches Leben hier und jetzt zu beenden.“, sagte der Gestaltenwandler auf ihr mit begierigen Blick und hob seinen spitz geformten Arm zum tödlichen Stoß auf ihren Kopf an. Kyren kämpfte bereits mit der Atemluft und wenn er sie nicht erstechen würde, dann würde sie wohl ersticken. Dieses Mal würde er sie nicht davon kommen lassen.

Judy holte bereits zum Schlag aus als ein herum wirbelndes Kurzschwert in ihren Kopf traf. Der Treffer saß und brachte den Gestaltenwandler kurzzeitig zu Boden. Kyren atmete laut ein als sich dessen Hand von ihren Hals löste, realisierte aber noch nicht was passiert war.

„Kyren!“, rief auf einmal eine vertraute Stimme, die sie Nigel zuordnen konnte. Sie wollte sich schon aufraffen da drückte sie der Fuß des Gestaltenwandlers bereits zu Boden. „Nein!“, fauchte er zornig und nahm die Gestalt an, mit der er unter den Namen John Doyle verkehrte. Fast beiläufig nahm er das Schwert aus seinem Kopf und warf es beiseite. „Nein! Wie konntet Ihr nur so schnell hier sein?!“, ergänzte er in gleicher Stimmlage.

Atrix lehnte völlig außer Atem an einem Baum und wank ab. „Moment … gleich … einen Augenblick noch … muss kurz … Luft holen.“, keuchte er, willens die Frage zu beantworten, doch sichtlich außer Atem. Jaygoyle legte es nicht darauf an geduldig zu warten und entgegnete Kyrens Gefährten eine heftige Druckwelle, die mehre Bäume und Atrix mit sich riss. Nigel hingegen wich aus und setzte zum Gegenangriff an. Er brachte den Gestaltenwandler durch einen Schwerthieb dazu, von Kyren abzulassen. Hektisch rappelte sie sich auf und lief einige Meter auf Abstand. John wirkte amüsiert über die Bemühungen des Menschen und verharrte in Kampfhaltung. „Was denn? Glaubst du dein Schwert könnte mir wehtun?“, gab er grinsend von sich. Nigel wirkte konsterniert, als John sich zu vervielfachen begann und er sich auf einmal umzingelt sah. „Was zum Geier seid Ihr für eine Kreatur?“, fragte er mehr aus Angst als aus Neugier. „Ich schätze Ihr habt andere Sorgen als das.“, führte eine der Kopien an, während drei andere zum Angriff übergingen. Nigel wehrte sich nach Kräften, doch auch wenn es ihm gelang, die Angriffe abzuwehren, hinterließ er an seinen Gegnern nicht eine bleibende Wunde. „Nigel! Das schaffst du nicht! Lauf!“, rief ihm Kyren zu, die eine Frostwelle auf Jaygoyle und dessen Duplikate wirkte. Augenblicke später sah er sich von eingefrorenen Gegnern umgeben, doch der Vorteil war nicht von Dauer. Schon Sekunden später begannen die ersten mit dem Eis zu verschmelzen und selbigen Aggregatzustand anzunehmen. Nigel nutzte die Chance und zerschlug so viele er konnte mit seinem Schwert. Wie ein Haufen voll Porzellan zerschellten sie an seinem Schwert und fielen in mehr oder mindergroßen Eisbrocken zu Boden. „Das wird ihn nicht lange aufhalten!“, mahnte ihn Kyren und wank ihn herbei. Nigel nickte und entschloss sich ihrem Rat zu folgen. Ihre einzige Chance war, im Wald Deckung zu suchen, sich zu verstecken und zu hoffen dass er sie nicht finden würde.
 

Enttäuscht trabte Shane an den letzten Bäumen vorbei, bevor ihn der Weg ins Brachland geebnet wurde. Eine Gegend in der kaum etwas wuchs, in der es nur Felsen und Einöde gab. Direkt dahinter erwartete ihn der Stützpunkt von Ashton Scu’l, doch er fragte sich ob er diesen überhaupt noch aufsuchen sollte. Alles hatte sich gegen ihn gestellt. Das Mädchen das er so sehr liebte hatte ihn verstoßen, das Schicksal ihn die ganze Zeit über nur übel mitgespielt. Er fühlte sich allein und verlassen und dennoch gab es jemanden, der ihm seine Aufmerksamkeit zuteil werden ließ. „Warum so ein langes Gesicht?“, tönte es plötzlich hinter ihm aus dem Wald hervor. Als sich Shane umdrehte entdeckte er den Mann in Weiß auf dem Ast eines Baumes hocken. „Ihr?!“, erwiderte Shane mit einen Anflug von Erstaunen und Verachtung zugleich. „Was wollt Ihr?!“, ergänzte er rasch. „Ich habe gesehen was passiert ist und obwohl ich kein Mitgefühl empfinde, so kann ich Euch dennoch helfen.“, erwiderte der Meisterdieb und sprang elegant vom Ast des Baumes herunter. „Mir helfen? Wieso glaubt Ihr mir helfen zu können? Und vor allem wie gedenkt Ihr dies zu tun zu?“, wunderte sich der Halbelf. „Ich muss gestehen ich hatte mir einen anderen Ausgang der Ereignisse erhofft. Deshalb ist es nun an der Zeit alles zu erfahren was Ihr wissen müsst. Erst wenn Ihr erkennt wer Ihr seid, werdet Ihr Euer eigenes Schicksal schmieden können.“, antwortete der Weiße Falke und legte einen bestimmenden Blick auf. „Kommt mit mir und ich zeige Euch was ich meine.“, fuhr er fort und bot seine Hand an. Shane zögerte sie anzunehmen, doch etwas in den Augen seines Gegenübers bannte ihn förmlich an ihn. Schließlich nahm er seine Hand, worauf er mitsamt dem Meisterdieb in einem Teleportzauber verschwand.
 

Kyren, Atrix und Nigel hatten sich in die Tiefen des Waldes zurückgezogen und hielten sich hinter einen größeren Baum versteckt. Immer wieder schaute sich Nigel um, hoffend dass man ihren Verfolger abgeschüttelt hatte. Atrix atmete heftig und machte eine finale Armbewegung. „Is’ mir egal, wer hinter uns her ist - Ich lauf’ keinen Schritt weiter.“, meinte er und ließ sich neben Kyren zu Boden. „Ob wir ihn abgeschüttelt haben?“, fragte diese zögerlich mit Blick auf Nigel. „Ich kann es nur hoffen.“, erwiderte er und wendete sich ihr zu. Sie harrten schon eine Stunde hier aus, ohne das auch nur ein Waldtier in ihre Nähe gekommen war. Der Wald war dicht bewachsen und es fiel schwer die Orientierung zu wahren. Vielleicht hatte es Jaygoyle aufgegeben und wartete an anderer Stelle, dachte er.

Auf der einen Seite konnte er sein Glück kaum fassen das er Kyren noch rechtzeitig erreichen konnte, auf der anderen Seite sah man ihr den Kummer ins Gesicht geschrieben. Sie dachte immer wieder daran wie sie Shane angegriffen hatte, dachte daran dass sie ihm nicht vertraut hatte. Sie gab sich die Schuld an allen und als Atrix sie fragte was mit Shane geschehen war, wusste sie es nicht in Worte zu fassen. Atrix versucht sie mit seiner Hand auf ihren Rücken zu trösten als die junge Elfe in sich zusammen sank, aber in diesen Minuten gab es für sie keine Linderung, keine Hoffnung auf Wiedergutmachung. „Shane ist fort …ich habe ihm nicht geglaubt … habe ihm nicht vertraut, habe mich von meinen Zweifeln fehlleiten lassen, obwohl er jederzeit ehrlich zu mir war. Ich bin Schuld … und ich hätte ihn beinah noch getötet. Er wird nie wieder mit mir sprechen wollen, selbst wenn ich ihn wieder finde.“, schluchzte sie verbittert. Nigel wusste was er zu tun hatte, denn auch er fühlte Schuld, hätte er es doch vielleicht verhindern können. Entschlossenheit legte sich in seinen Blick als er vor Kyren trat. „Kyren. Hör zu. Ich weiß nicht wie das alles hier ausgehen wird, aber da ist etwas was du wissen solltest.“, sagte er, worauf Kyren zu ihm auf sah.

„Es tut mir Leid. Ich hätte wissen müssen dass Judy nicht die ist, für die sie sich ausgab. Ich hatte mich nicht darauf vorbereitet, doch als mir klar wurde das Shane keine Cousine hat, war es zu spät. Ich hätte es verhindern können. Genau deswegen bin ich hier.“, fuhr er fort, während er in die traurigen Augen des Mädchens blickte. „Ich verstehe nicht ganz …“, meinte Atrix stirnrunzelnd. „Mein Name ist Nigel Kerrigan und ich bin kein Prophet, der das Ende der Welt, wie ihr sie kennt, kommen sieht. Ich bin aus der Welt, wie sie werden wird, wenn Ashton nicht aufgehalten werden kann.“, erklärte er mit bedächtigen Blick. „Du … bist aus der Zukunft?“, gab Kyren erstaunt von sich, was er knapp benickte. „Ich bin in diese Zeit gekommen um all das zu verhindern, zu verhindern das Menschen wie Tiere gejagt werden, wie Ratten in unterirdischen Gemäuern leben und stets und ständig auf der Flucht sind. Ashton Scu’l wird all dies auslösen. Ich werde in eine Zeit des Schreckens geboren werden.“, erzählte er und er merkte wie seine Gefährten ihn mit immer größeren werdenden Augen anstarrten. In beiden rumorte es und es stellte sich die Frage ob und wie Zeitreisen überhaupt möglich waren. Dennoch geriet dies schnell in den Hintergrund als er seine Erzählung fortsetzte.

„Doch in meiner Zeit gibt es Widerstandskämpfer. Helden, die sich dem Terror entgegen stellen. Die meisten jedoch sind gefallen oder gelten als vermisst. Es ist ein aussichtsloser Kampf. Einer dieser Heldinnen ist deine Tochter, Kyren.“, fuhr er fort, wobei der letzte Satz den beiden Elfen das Kinnladen nach unten riss. Hoch errötet sprang Kyren auf und fasste sich an die Brust um ihr pochendes Herz zu beruhigen. „W-wa-was?! Ich habe eine Tochter?!“, stotterte sie aufgeregt. Atrix wedelte wie wild mit seiner rechten Hand herum und unterbrach den Moment. „Mo-Moment. Soll das heißen Kyren findet einen Kerl, der sie ins Bett kriegt?“, wollte er wissen, doch sein Blick auf Kyren, die schüchtern ihre Fingerspitzen aneinander tippte, verriet ihm schon an wen sie gerade dachte. „Das heißt ja das ich und … und … wir … miteinander …“, stammelte sie mit hochroten Kopf verlegen vor sich hin, bevor ihr bewusst wurde das die Realität zurzeit ganz anders aussah. „Wer ist der Vater?!“, fragte sie aufgeregt nach und packte Nigel am Kragen. „Unmöglich! Das kann ich dir nicht sagen. Darum geht es ja auch nicht.“, wiegelte er sie ab und löste sich von ihren Griff. Kyren wirkte enttäuscht, aber man sah ihr an das sie kurz davor stand vor Neugier zu platzen. Nigel verstand dass darin eine gewisse Hoffnung begraben lag, eine Hoffnung die sie vermochte aufzumuntern, doch es gab noch etwas, das für diesen Moment wichtiger war. “Hör zu. Ich bin in diese Zeit gekommen um zu verhindern dass diese Welt nicht in solch einer Zukunft endet. Ich konnte nicht immer bei euch sein, weil ich zehn Helden rekrutieren wollte, dir mir helfen sollten Ashton zu stoppen. Menschen, Zwerge und Elfen, die heute noch niemand kennt, aber in 20 Jahren zur letzten Hoffnung unserer Zivilisation gehören. Doch sie sind alle tot und nur du bist übrig.“, erzählte er. „Sie sind tot?“, fragte Atrix erstaunt. „Jemand oder etwas muss mir in diese Zeit gefolgt sein. Jemand muss gewusst haben, was ich vorhatte. Ich erzähle euch das alles erst jetzt, weil ich befürchten musste, dass es negative Auswirkungen auf die Zukunft gehabt hätte, hättet ihr das alles früher gewusst. Doch ich habe feststellen müssen dass jemand die Zukunft bereits so verändert, dass sie auf jeden Fall so geschehen wird, wie ich es in meiner Zeit erlebe. Deswegen ist das nun alles nicht länger von Bedeutung.“, fuhr er fort und sank gedanklich zusammen. „Nur was dieses Wesen betrifft. Ich hatte keine Ahnung … Judy, oder wer immer das ist, existiert weder in meiner Zeit, noch in den historischen Aufzeichnungen.“, ergänzte er von Schuldgefühlen geplagt. Kyren kannte ihren Feind gut und informierte Nigel ausführlich. „John Doyle, auch bekannt als Jaygoyle. Eine Kreatur aus purer negativer Energie. Er ist in der Lage jede Gestalt und jeden Aggregatzustand anzunehmen und wie du sehen konntest, ist das bei weitem noch nicht alles.“, erklärte Kyren mit verachtender Stimme. „Wir hatten bereits früher mit ihm zu tun.“, ergänzte Atrix mit erhobenen Finger. „Shane wäre es vor einigen Jahren beinah gelungen ihn zu vernichten, aber er hat überlebt und sinnt seither nach Rache.“, fuhr Kyren fort, doch all das sagte Nigel nicht viel.

„Können wir ihn vernichten? Wir werden uns hier nicht ewig verstecken können, versteht ihr?“, warf er mahnend ein. „Reine, positive, weiße Magie kann ihn Schaden zusetzen. Alles andere ist wirkungslos. Ich könnte dein Schwert mit einem Heilzauber prägen. Vielleicht kannst du ihn dadurch verletzen.“, erwiderte Kyren nachdenklich. „Gut, dann tu das.“, meinte Nigel nickend und reichte ihr sein Schwert. Behutsam legte Kyren ihre Hand auf die Klinge seiner Waffe. Sie schloss die Augen und murmelte ein paar mystische Wort vor sich hin, durch die das Schwert nach und nach selbstständig zu leuchten schien. Kyren war schnell mit der Verzauberung fertig, zögerte aber bei der Rückgabe des Schwertes. „Nigel, sag mir bitte … was ist mit mir? Was wird mit mir in der Zukunft geschehen?“, gab sie mit beinah flehenden Blick zurück. Nigel senkte sein Haupt, wissend das ihr die Antwort nicht gefallen würde und trug stattdessen etwas von ihrer Tochter vor. „Eure Tochter hat mir viel von Euch erzählt. Ihr beide seid euch so ähnlich. Ihr seid beide wunderschön. Leider hatte sie nie die Möglichkeit mich dir vorzustellen.“, begann er zu erzählen, was Kyren wieder etwas röte ins Gesicht trieb. „Ich liebe sie vom ganzen Herzen, weil sie den Menschen so viel Gutes tut und manchmal scheinbar schon mit einem Lächeln jedes Leid zu lindern vermag. Ich würde dich ja fragen ob ich um ihre Hand anhalten darf, aber das würde nichts bringen. Hier in dieser Zeit bin ich nur eine Kopie meines selbst aus der Zukunft. Irgendwann wird die Zeit meine Existenz hier beenden und ich werde mich auflösen. Meine Erinnerungen an diese Zeit, werden nie mein wahres selbst in der Zukunft erreichen.“, erzählte er mit einer beruhigenden Stimme. „Schon gut, du musst nicht mehr erzählen.“, sagte Kyren und legte ihre Hand auf seinen rechten Arm. Schließlich nahm er sein Schwert wieder an sich und schüttelte die Gedanken an die Zukunft ab. „Wir sollten nun gehen.“, meinte er abschließend und schlug einen Weg ein, der sie aus den Wald heraus bringen würde.

Nigel kam nicht weit, denn schon nach wenigen Schritten wurde er mit einen heran geschleuderten Kurzschwert konfrontiert. Er wich gerade noch rechtzeitig aus, so dass es sich lediglich in den Stamm des Baumes hinter ihn bohrte, anstatt in seinen Kopf. Atrix Augen weiteten sich erstaunt und beängstigt zugleich. „Mein Schwert?!“, rief er in entsprechender Tonlage und ließ erahnen wer der Absender dieses Geschosses war. „Er hat uns gefunden!“, mahnte Kyren ihre Gefährten, während Atrix sich sein Schwert aneignete, das er zuvor so bereitwillig für Kyrens Rettung hergegeben hatte.
 

Augenblicke später trat John aus dem Schatten eines Baumes hervor. Ein finsteres Grinsen lag auf seinem Gesicht und er schien sich seines Sieges ziemlich sicher. „Habt ihr geglaubt ich würde Euch nicht finden?“, fragte er amüsiert. Nigel zog sein Schwert und stellte sich John entgegen. „Ich werde nicht zulassen dass Ihr Kyren etwas antut!“, entgegnete er mit drohender Stimme, wenn gleich sich sein Gegner wenig imponiert zeigte. „Oh, ich denke die kleine Elfe ist zehnmal eher in der Lage mich aufzuhalten als Ihr selbst, Mensch. Ihr seid nur ein unbedeutendes Hindernis.“, erwiderte er und formte seinen rechten Unterarm zu einer Schwertklinge um. „Unterschätzt mich nicht!“, fauchte Nigel und ging trotz der warnenden Rufe seiner Mitstreiter zum Angriff über. Dennoch war es ein magisches Geschoss der Elfenmagierin, das an Nigel vorbei zischte und John zuerst traf. Der Treffer wirkte an der Oberfläche seines Körpers als ob man einen Stein in einen Teich geworfen hätte und fügte dem Gestaltenwandler keinen größeren Schaden zu. Er hatte nicht einmal versucht auszuweichen, wissend dass es ihn nichts anhaben würde. „Lächerlich!“, schrie er und wehrte den anstürmenden Nigel gerade zu beiläufig ab. Zähneknirschend versuchte Nigel den Schwertarm seines Gegners zu durchbrechen, doch der sah nicht einmal angestrengt aus. Wieder war es Kyren, die mit ihrer Magie den Kampf zu ihren Gunsten entscheiden wollte. Sie wirbelte mit ihren Händen und formte Eispfeile in der Luft herbei, die daraufhin auf John zuschossen. Nigel sprang auf Abstand, doch John wusste sich mit einer Feuermagie zu helfen und ließ die Geschosse mit einem in seiner linken Hand herbei beschworenen Feuerball schmelzen. Der Feuerball mutierte sogleich zum Angriffsgeschoss, dem sich Kyren nur durch einen Sprung zur Seite rechtzeitig entziehen konnte. Atrix duckte sich erschrocken weg und sah zu wie der Feuerball an einem Baum explodierte und mehrere weitere, umstehende Bäume in Flammen aufgehen ließ.

Nigel versuchte weiter mit seinem Schwert auf John einzuschlagen, doch der wehrte mühelos alle Attacken ab. „Pah, Kinderkram. Ihr verschwendet Eure Zeit.“, kommentierte er die Versuche des Menschen gelangweilt. Bevor Nigel reagieren konnte schleuderte ihn eine Druckwelle des Gestaltenwandlers davon. Kyren griff bereits mit einer magischen Feuerwelle an, doch John formte seine Armklinge zu einem schützenden Schild um. Der Angriff verpuffte wirkungslos und John konterte mit einer Schattenmagie. Ein finsterer Schleier umschlang Kyren, die sich dem wehrlos ausgesetzt sah. Es schnürte ihr die Luft ab und es fühlte sich so an als ob es ihr das Leben aussaugen würde. Sie wurde schnell schwächer und ging schließlich in die Knie. Verzweifelt versuchte sie noch eine befreiende Magie zu wirken, doch schlussendlich fehlte ihr jegliche Kraft. „Kyren!“, rief Atrix besorgt und eilte ihr zu Hilfe. John grinste zufrieden, genoss es regelrecht sie leiden zu sehen. „Ja, ein langsamer, schmerzvoller Tod. Das ist es was ich mir für dich gewünscht hab, Elfe. Ich werde es genießen dich leiden zu sehen. Sei dir gewiss dass ich dir eine Welt voller Finsternis ersparen werde, wenn du stirbst.“, meinte er zufrieden und kam langsam näher. Kyren ächzte, während Atrix sie versuchte zu halten. Wütend sah er dem Gestaltenwandler entgegen. „Warum nur …?“, fragte er mit verzweifelter Miene. „Leider ist es mir nicht erlaubt an Shane Rache zu nehmen, also nehme ich mir das was ihm am wichtigsten ist.“, entgegnete er breit grinsend. Noch im selben Moment transformierte er seinen linken Unterarm zu einer Klinge um und wehrte den von hinten heran stürmenden Nigel ab. „Zwecklos, du Wurm.“, fauchte er und schlug ihn zurück. Immerhin ließ Johns Konzentration auf den Zauber nach, der Kyren schwächte, so dass sie den Moment nutzen konnte. Ihr blieb nicht einmal die Kraft um zu stehen, doch mit allem was ihr geblieben war, gab sie dem Zauber auf Nigels Schwert den entscheidenden Impuls. Es würde nur ein Leuchtfeuer werden, aber vielleicht reichte es, um Nigel einen Vorteil zu verschaffen.

Nigels Schwert glühte hell auf und als er dieses mal zuschlug, durchbrach es den Schild, der Johns Unterarm war. Schwarzer Dampf entstieg der abgetrennten Stelle und Johns Augen weiteten sich erstaunt. „WAS?!“, rief er geschockt und noch bevor er realisierte was passiert war, schlug Nigel erneut zu. Dieses Mal trennte er den Kopf vom Körper. Es folgten weitere Schwerthiebe, die John regelrecht zerteilten. Nur Augenblicke später erlosch das Leuchten des Schwertes und die Reste von Johns Körper verwandelten sich in schwarzen Dampf, der wie Nebel über den Boden schwebte.
 

Kyren atmete wieder auf, doch ihr Gesicht war, obwohl von der Magie befreit, Kreidebleich. Sie war geschwächt und hielt sich nur dank Atrix noch auf den Beinen. „Wir … wir haben es geschafft!“, meinte Nigel erfreut, was auch ihr ein schwaches Lächeln ins Gesicht brachte. Ihr war klar, dass ihnen das nur etwas Zeit verschaffen würde, bis sich John wieder regenerieren konnte. Sie bemerkte dass sich der Rauch am Boden schematisch in eine bestimmte Richtung verzog. In ihren Zustand war sie noch zu schwach um zu realisieren was das zu bedeuten vermochte, doch langsam begann sie zu begreifen. Ihre Augen weiteten sich, doch ihre Stimme versagte als sie Nigel ins Gesicht sah. „Pass auf …“, gab sie flüsternd von sich. „Was sagst du?“, fragte Nigel nach, der nicht ganz verstanden hatte. Sekunden später durchbohrte ein greller, roter Strahl einen Rücken und trat in seinem Brustkorb wieder aus. Er verfehlte Kyren nur knapp, aber Nigel schien schwerer getroffen. „Nigel!“, schrie Atrix aufgeregt, wissend das der Treffer tödlich war.

Ein düsteres Lachen ertönte aus einiger Entfernung, dort wo sich der Qualm am Boden hin aufmachte. „Wie ich sehe habt Ihr es geschafft die Prinzessin rechtzeitig zu erreichen. Meinen Respekt, aber es ist ihr nicht bestimmt zu leben, genauso wenig wie es Euch bestimmt ist.“, tönte eine vertraute Stimme. Abermals war es John Doyle, noch immer in der Haltung seines letzten Zaubers verharrend, der als Quelle für diesen Zauber ausgemacht werden konnte. Er harrte aus, bis der schwarze Rauch sich wieder mit seinem Körper vereinigte, atmete ihn gar genüsslich ein.

„Wie … wie …?“, ächzte Nigel, dem Blut aus dem Mund heraus lief. Er hielt seine Wunde, doch er wusste dass er die Blutung nicht stoppen konnte. Kyren streckte ihre Hand nach ihm aus, doch ihr wurde schwarz vor Augen, bevor sie auch nur einen Heilzauber hätte wirken können.

„Ihr wart ein tapferes kleines Bürschchen, Menschlein. Ihr habt eines meiner höheren Duplikate besiegt, aber zu welchem Preis? Ihr seid ein Narr. Ich bin viel mächtiger als ihr drei zusammen es jemals sein könntet. Wenn ihr nicht einmal gegen mich bestehen wollt, wie glaubt Ihr dann gegen Ashton Scu’l bestehen zu können? Ich werde euch diese Enttäuschung abnehmen und mich euch persönlich annehmen.“, meinte er und feuerte eine heftige Druckwelle auf die drei Gefährten ab. Kyren schlug hart gegen einen Baum während Nigel und Atrix etwas weiter entfernt von ihr landeten. „Ihr könnt nicht immer gewinnen. Dieses mal ist der Sieger ein anderer!“, fuhr er mit strenger Stimme fort und richtete seinen Arm gegen Kyren aus um dort seinen finalen Zauber für Kyrens Ende zu beschwören. Sie verlor einige Tränen und wähnte sich am Ende. Sie nahm nur noch Bruchstückhaft wahr was um sie herum geschah, hörte Johns Worte jedoch deutlich genug um zu wissen was ihr schwante.

Sie schloss ihre Augen und horchte ihren letzten Atemzügen zu. Ihr war klar, dass sie nicht immer das Glück haben konnte noch einmal davon zu kommen, doch statt eines tödlichen Zaubers erfüllte sie eine ungewöhnlich stärkende Wärme – eine Wärme, die von ihrem Handschuh ausging, den ihr Zun gegeben hatte. Unkontrolliert, aber genau zur rechten Zeit brach eine fremde Macht aus ihren geschwächten Körper hervor und versprühte regenbogenfarbiges Licht. John wendete sich geblendet ab, während Kyren die Gelegenheit nutzte um einen Teleportationszauber auf sich zu wirken. Es war mehr ein selbst schützender Instinkt als das sie es wirklich gewollt hätte, aber er rettete ihr noch einmal das Leben.

John fluchte als das Licht nachließ und er feststellte dass sie entkommen war. Wütend sah er sich um, doch nirgends war etwas von ihr oder ihren Gefährten zu sehen. Er ballte seine Hand zur Faust und wendete sich ab, wissend dass er früher oder später Erfolg haben würde.
 

Atrix hatte Nigel hinter einem Baum in Sicherheit gebracht, konnte aber nichts mehr für ihn tun. Vergeblich war seine Hoffnung dass ihn ein Heiltrank noch zu retten vermochte, denn Nigel begann bereits durchsichtig zu werden. „Meine Form … meine Manifestation in dieser Zeit löst sich auf, Atrix. Ich habe versagt …“, ächzte er mit schwacher Stimme. „Nigel! Nigel! Sagt mir was ich tun kann?“, entgegnete ihm der Elf aufgeregt. „Mein Ende hier bedeutet nichts, denn noch bin ich nicht einmal geboren. Ich sterbe nicht wirklich. Aber da ist noch eine Bitte.“, antwortete er mit schwächer werdender Stimme. „Ja, was immer du willst.“, gab Atrix nickend zurück. „Sag Kyren … sag ihr … ihre Tochter … sag ihr, ihre Tochter … heißt ...“, sagte er mit flüsterleiser Stimme worauf Atrix sein rechtes Ohr an seinen Mund hielt. Augenblicke später, kaum war ihr Name gesprochen, verblasste die Gestalt des Menschen vollends. Nigel hatte aufgehört in dieser Zeit zu existieren und hinterließ ein seltsam leeres Gefühl bei seinem Begleiter. Atrix betete dafür das es kein schlechtes Zeichen war und das die Dinge, so wie sie geschehen waren, noch immer die Möglichkeit offen ließen, eine schreckliche Zukunft zu verhindern. Er wusste nicht wo Kyren war, aber er würde sie finden, egal was es kostete.

Folge 100: Erstschlag

[Folge 9: Erstschlag]
 

Eine lange Halle in deren Mitte ein roter Teppich verlief ebnete sich der jungen Marian. Die Wände waren in reinsten Weiß gehalten, wie auch die Marmorsäulen, die sich daran erstreckten. Zielstrebig, aber bedächtig schritt sie voran, bis sie etwa zwanzig Meter vom leuchtenden Thronstuhl am Ende der Halle entfernt war. Untertänig kniete sie nieder als der Mann darauf sie zur Kenntnis nahm. Es schien als wäre er aus einen Traum erwacht, doch seine Augen erkannten seinen Besucher. „Warum bist du hier?“, fragte er mit strenger Stimme und es hallte wie ein Gewitter auf das Mädchen ein. „Verzeiht. Ich weiß, ich hätte nicht kommen dürfen, aber ich weiß keinen Ausweg mehr.“, begann sie mit zittriger Stimme. Das Schweigen des Mannes gab ihr Hoffnung dass er ihr Gehör schenken würde, also wagte sie es fortzufahren. „Ich weiß, ich habe kein Recht irgendetwas von Euch einzufordern, doch diese Welt benötigt Eure Hilfe. Sicher habt Ihr schon gehört das … ER … als Ashton wieder durch diese Welt wandert … und …“, stotterte sie nervös. Die rechte Hand des Mannes ging nach oben und deutete ihr an zu Schweigen. „Ich weiß von all dem, Marian, aber … wie kommst du darauf das ich dieser Welt auch nur noch ein einziges mal helfen würde?“, fragte der Mann und beugte sich etwas vor. Seine Halterlose Brille schien das Funkeln in seine Augen noch zu verstärken und als eine Strähne seines Haares in sein Gesicht fiel, formte sich seine Miene gerade zu gespenstisch um. Marian schluckte nervös als sich ihr einstiger Meister zwielichtig auf sie hinab blickte – Adrian von Nesseril.
 

Folge 9: Erstschlag
 

Wie in Trance trottete Kyren durch eine trostlose wie leblose Ebene. Sonnenstrahlen fielen im Überfluss auf sie herab, doch diese Gegend war kalt und leer. Sie konnte sich nicht erinnern wie sie Jaygoyle entkommen konnte, aber sie spürte wie eine unbekannte und zugleich stärkende Kraft von ihren Handschuh ausging, jenem Geschenk eines Jungen Namens Zun. Obwohl sie allein war hörte sie seine Stimme wie ein unaufhörliches Flüstern in ihren Ohren. Es schien so als ob sein Wille ihre Beine trug, denn von allein her, wollte sie keinen Schritt mehr gehen. Zu schwer wogen die Erinnerungen an den vorherigen Tag. Es war kaum mehr ihr eigener Verstand, der zu ihr sprach und sie beschwor sich Ashton allein zu stellen. Zuns Abbild erschien wie ein Geist in ihren Gedanken. „Wegen Ashton musste Nigel sterben, wegen Ashton hast du Shane verloren, wegen Ashton mussten so viele Menschen sterben.“, flüsterte seine Stimme ihr ins Ohr. Bilder und Visionen quälten sie, die ihr immer wieder den Tod ihres Gefährten zeigten, gefolgt von unaussprechlichen Dingen, die anderen widerfahren waren. Seinetwegen würde sie beständig daran glauben die Hilfe anderer nicht zu benötigen, nicht so lange der Handschuh ihr diese Kraft verlieh. Bald schon würde sie vollständig regeneriert sein und alles was sie voran trieb war der fremde Wunsch Ashton heimzuzahlen was er ihr und so vielen anderen angetan hatte.
 

Shane blickte auf eine Gegend die ihm fremd und zugleich vertraut erschien. Gerüche, die durch seine Nase zogen, fühlten sich vertraut an, aber er konnte nichts davon zuordnen. Die Gegend war wunderschön, die Luft frisch und klar zugleich. Berge ragten durch die Wolken unter ihn und er selbst fand sich auf einen der zahlreichen, bewaldeten Plateaus dieser Ebene wieder. „Wo sind wir?“, fragte er sich und drehte sich zu seinem Begleiter um. Hinter ihm verharrte der Meisterdieb Faerûns – der weiße Falke - auf einem kleinen Felsen, die Arme verschränkt, seinen Blick auf den Halbelfen fixiert. „Dies ist das Land der Avariel-Elfen, Shane. Deine Heimat. Hier wurdest du geboren, hier bist du aufgewachsen. Hier sind deine Ursprünge.“, erklärte er mit verschlagenen Blick. „Warum … sind wir hier?“, wollte Shane wissen und runzelte verwundert die Stirn. „Es hätte jeder Ort sein können. Nennen wir es Willkür und ein leichter Drang zur Nostalgie, der mich zu dieser Entscheidung bewog, dich hier her zu bringen.“, antwortete der Mann in Weiß nüchtern. Shane setzte sich in die Wiese zu seinen Füßen und versank kurz in Gedanken. „Aber das ist nur ein Teil, der Wahrheit nicht wahr? Du schuldest mir eine Antwort auf meine Frage.“, meinte Shane mit ernster Stimme. „Die nächsten Tage werden über Aufstieg und Niedergang dieser Welt entscheiden. Du weißt so vieles nicht und ohne dieses Wissen wirst du nie in der Lage sein, ein besseres Ende für Faerûn zu erkämpfen.“, begann der weiße Falke zu erklären und fiel in eine kurze Gedankenpause. „Um deine wahre Herkunft zu erkennen, wirst du zunächst verstehen müssen. Deshalb bedarf es, dass ich ganz am Anfang beginne.“, fuhr er kurzerhand fort. Shanes Miene schwankte zwischen Neugier und Sorge als sich der Mann in Weiß daraufhin erhob und näher kam. Noch während er lief, löste er sein Piratenkopftuch vom Kopf und entfernte den Kragen, der seine untere Gesichtshälfte verdeckt hatte. Darunter kam ein Gesicht zum Vorschein das so unscheinbar war wie das eines jeden anderen Bürgers dieser Welt. Shane erkannte niemanden darin wieder, doch sein Atem stockte als sich das Gesicht des Mannes plötzlich zu einem anderen verformte – in das Gesicht welches auch John Doyle trug. „Du sollst wissen wer ich bin und was ich bin. Hier in dieser Welt habe ich viele Namen. The White Falcon – der weiße Falke nennt man mich für gewöhnlich. Für dich heiße ich heute Eagen – auch wenn dies nicht der Name ist, den ich seit meiner Erschaffung trage.“, sagte sein Gegenüber und kam vor ihm zum stehen. Shane war verwirrt, doch erhielt er die Antwort ohne die Frage gestellt zu haben. „Ich bin kein Mensch, Shane. Ich bin nicht mal ein lebender Organismus oder das was du darunter verstehen würdest. Faerûn ist nicht meine Heimatwelt, obwohl ich hier eine Heimat gefunden habe. Ich stamme aus einer Welt in der Lebensformen aus reiner Energie bestehen – einer Welt, die zweigeteilt ist. Eine Seite des Lichts, eine Seite des Schattens. Wann immer eine neue Lebensform entsteht, so ist es bei uns Brauch, reinigt sie sich von allem Negativen und verbannt diese Energie auf die Schattenseite meiner Welt. Während auf der Seite des Lichts Frieden und Glückseeligkeit herrscht, tobt auf der dunklen Seite ein nimmerendenes Chaos, zwischen all denen, die das Negative, das Böse verkörpern. Deine Freundin Kyren öffnete vor einigen Jahren ein Portal in unsere Welt, einen Riss um genau zu sein. Es war nicht ihre Absicht, es war nur ein unerwünschter Nebeneffekt, doch die kurze Dauer reichte aus um ein Wesen in diese Welt zu locken, das ihr Jaygoyle nennt.“, erzählte er. „Ja, Kyren hat mir von ihm erzählt.“, ergänzte Shane nickend. „Als er eure Welt betrat wurde ich mitgerissen, denn obwohl von ihm getrennt, bin ich auf eine sonderbare Weise immer noch mit seiner Existenz verbunden. Ich verkörpere das Gute, er alles Schlechte und Böse.“, meinte er bedächtig. „Aber du bist ein Dieb – wie kannst du das Gute verkörpern?“, wunderte sich der junge Halbelf. „Wir sind noch immer verbunden, selbst über viele Tausend Meilen hinweg. Sobald ich einen negativen Charakterzug annehme, ist er derjenige, der einen positiven Charakterzug an dessen Stelle annimmt. Alles bleibt im Einklang. Nachdem er Suldanessalar zerstört hat und eine Bedrohung für eure Welt darstellte, habe ich beschlossen ein Teil meiner reinen Essenz aufzugeben um Jaygoyle seine Wildheit, seine Brutalität und seinen Drang nach Vernichtung zu nehmen. Ich habe mich Meisterdieb 112 genannt, weil die erste und der zwölfte Silbe des Alphabets meiner Sprache, meinen Namen bildet: Jaygoyle. Wir nutzen andere Zeichen als ihr in dieser Welt und unsere Sprache ist mit eurer nicht vergleichbar. Dennoch lassen sich unsere Namen in eurer Zivilisation darstellen.“, erklärte er bedacht. Shane war verblüfft, aber Eagen deutete an, das er gerade erst angefangen hatte. Unerwartet packte er ihn am Kragen und zog ihn leicht nach oben. Finstere Blicke entsprangen aus seiner Miene. „Und ich HASSE diesen Zustand, dieses Leid, diese Bürde meine Existenz mit der dieser Kreatur teilen zu müssen! Er ist mein Makel! Meine Schande! Ich kann nicht ertragen das er und ich Seite an Seite in dieser Welt leben müssen! Ich kann ihn nicht töten, wie er mich nicht töten kann, denn stirbt der eine, ist auch die Existenz des anderen beendet. Zumindest nehmen wir das beide an. Deshalb habe ich alles daran gesetzt diese Bindung zu lösen, aber Ergebnislos!“, sagte er mit deutlichen Nachdruck und ließ vom eingeschüchterten Halbelfen ab. „Was …. was hat das alles mit mir zu tun?“, fragte dieser irritiert. „Ich wollte Gewissheit, ich wollte sehen was passiert, wenn die eine Seite stirbt. Ich habe es an Tieren probiert, aber die Ergebnisse waren unbefriedigend. Die meisten Wesen in dieser Welt haben keinen inneren Zwiespalt, keine dunkle Seite, die man von ihr lösen konnte … bis ich dich fand. Du warst perfekt.“, erklärte er und verfiel in ein selbstgefälliges Grinsen. Shanes Augen weiteten sich als er begann zu verstehen. Die Waffe in seinen Träumen, das Objekt das er stets auf sich gerichtet sah erschien nun durch Zauberei ganz real vor ihm in den Händen des Meisterdiebs. „Ich habe lange an dieser Waffe gearbeitet, sie perfektioniert und schließlich an dir getestet.“, fügte er beinah nebensächlich an und verlor sich mit seinen Blicken in seiner Schöpfung.

Shane schaute bedächtig als er sich ihm wieder zuwendete. „Du kannst dich an nichts erinnern, weil du nie eine Vergangenheit hattest, an die du dich hättest erinnern können! Dein Gedächtnis ist wie ein Schiff das einen Hafen sucht. Auf deiner Seele kannst du zwar segeln, doch wird sie nur neues Land ansteuern können.“, wirkte er ihm streng entgegen, was das Herz des Halbelfen zum rasen brachte. In seinen Erinnerungen überkamen ihn die Schmerzen und ihm trug sich erstmals das Bild vor Augen auf wie er aus dem Körper seines Seins gerissen wurde. Er konnte diese Schmerzen nicht vergessen und nun wusste er warum – es war seine Geburt. „Dann … dann bin ich nicht echt?“, fragte er beinah verzweifelt. „So echt wie jedes andere Wesen dieser Welt, doch der Shane, der einst existierte starb in einer Wiese liegend als sein dunkles Selbst, seine gute Hälfte verschlang. Ich habe gerettet was übrig war.“, antwortete er wenig mitleidig und ließ die Waffe wieder verschwinden. Eagens Blick machte ihm klar was er war und was er von ihm wollte. Shane stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Entsetzt starrte er auf seine Hände.

„Meine Waffe hat besser funktioniert als erwartet, Shane. Nicht nur das ich eure beiden Seiten voneinander trennen konnte, du hast die kompletten physischen Fähigkeiten deiner dunklen Seite geerbt. Dir sind sie nicht unbedingt bewusst, aber sie sind in die verankert. Ich brachte dich weg, denn schließlich warst du zu schwach für einen Kampf. Ich gebe zu, ich wollte das du gewinnst.“, erzählte Eagen weiter. „Doch du warst eine Enttäuschung, kaum in der Lage überhaupt mit einem Schwert umzugehen, hilflos wie ein Säugling.“, ergänzte er und wendete sich ab. Shane begann zu weinen und grub sein Gesicht in seine Hände. Eagen ließ ihm seine Trauer gewähren und es dauerte einen Moment bis seine Schöpfung wieder zu ihm aufsah. „Was … was ist mit meiner anderen Hälfte?“, fragte er schließlich, sein Gesicht in Tränen gehüllt. Eagen begann zu Schmunzeln und streckte ihm den rechten Zeigefinger entgegen. „DAS ist die entscheidende Frage, nicht wahr?“, rief er euphorisch.
 

Kyren trottete beinah hypnotisch voran und sah starr nach vorn. Einige ihrer Instinkte schrieen nach Wasser oder Essen, aber die Macht, die ihren Körper durchzog füllte sämtliche Bedürfnisse. Zuns Stimme sprach immer noch zu ihr, wirkte unablässig auf sie ein und gab ihr schier endlose Kraft. Was zunächst wie eine Fata Morgana erschien, wirkte mit jedem Schritt realer. Ein Mann stand mitten in der kahlen Ebene, schien regelrecht auf sie zu warten. Kyren stoppte als er sich ihr zuwendete. Gekleidet in einen langen, schwarzen Mantel, wie sie ihn Magier trugen, wirkte er beinah unscheinbar, doch in seinen Augen lag etwas das sie erkennen ließ, das jemand mit großer Macht vor ihr stand. Obwohl sie keinen Gedanken daran verschwendete sprach sie fast wie von selbst. „Ashton …“

Sie konnte sich nicht erklären woher sie wusste wer er war, hatte sie ihn doch bisher noch nie gesehen. Der Mann grinste leichte und nickte ihr kurz zu. „Ich habe gewusst dass du kommen würdest … aber … ich hatte dich mir größer vorgestellt.“, meinte er und es schien so als ob er genau wusste wen er vor sich hatte. „Ihr seid Ashton Scu’l, nicht wahr?!“, schrie Kyren wütend zurück. „Ganz genau … und du … kleines Mädchen, du willst Kyren Cyrissean sein?“, gab er höhnisch zurück, gerade zu amüsiert über die Erscheinung der Elfe. Kyren wurde wütend und ballte eine Hand zur Fast, doch Ashton provozierte sie unverdrossen weiter. „Du sollst also die Nummer 10 auf meiner Liste sein? Jene, die mich stoppen wollten? Ich finde es bemerkenswert wie du es geschafft hast John zu entkommen, aber ich habe meine Quellen und nichts was du tust oder vorhattest zu tun hätte dein Scheitern verhindern können. Ich werde dir immer einen Schritt voraus sein. Du hast dich wacker gehalten, Kindchen und zur Belohnung gebe ich dir die einmalige Gelegenheit zu verschwinden. Du kannst gehen und dich in deinen Wäldern verstecken, wie ihr Elfen es so zu tun pflegt.“, entgegnete er ihr, doch Kyren schenkte ihm kein Gehör. „Ihr! Ihr seid an allem Schuld! So wahr ich hier stehe, ich werde nicht zulassen das auch nur noch ein Einziger wegen Eurer Gier nach Macht leiden muss.“, schimpfte sie erbost. Ashton strich sich schmunzelnd eine Strähne aus dem Gesicht und konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. „Du stehst tatsächlich vor mir und hast nicht einmal die geringste Ahnung. Wie erbärmlich, du bist. Das Streben nach Macht ist etwas für Leute ohne Selbstvertrauen. Mir geht es um etwas völlig anderes.“, gab er geringfügig amüsiert zurück. Kyren wurde stutzig, bereitete sich aber im Inneren auf den bevorstehenden Kampf vor. „Ich werde eine neue Weltordnung schaffen, kleine Elfe! Ich werde der Schöpfer einer völlig neuen Welt sein! Einer Welt ohne Hunger, ohne Leid, ohne Hass!“, propagierte er selbstherrlich. „Euer Name wird bereits in ganz Faerûn mit Verachtung und Angst gesprochen. Auf Euren Weg hinterlasst Ihr nichts als Asche und Verderben! Viele Menschen mussten euretwegen sterben und viele weitere werden sterben, wenn Ihr Euren Wahnsinn nicht Einhalt gebietet!“, erwiderte Kyren und beschwor ihn zur Vernunft. Nur zu gut war ihr in Erinnerung geblieben was Nigel ihr erzählt hatte. „Ich bin mir der vollen Konsequenz meines Handels bewusst, Mädchen. Es werden Opfer gebracht werden müssen um eine solche Welt zu schaffen, aber andernfalls hat diese Welt keine Zukunft mehr und noch mehr Menschen werden sterben.“, antwortete er gelassen, sich keiner Schuld bewusst. „Ob einer oder tausende - Ihr seid ein Mörder!“, fauchte Kyren empört und dachte an Nigel, der sterben musste, weil Ashton ihren Tod wollte. „Warum diese Wut? Das ist der natürliche Lauf der Dinge. Der natürliche Feind des Menschen ist ... der Mensch.“, gab er unberührt zurück und begann sich langsam zu nähern. „Ihr seid ein Monster und ich werde Euch heimzahlen was Ihr den Menschen dieser Welt angetan habt … und antun werdet!“, rief Kyren wütend und entfesselte eine Reihe von magischen Geschossen. Obwohl sie allesamt am Ziel explodierten hinterließen sie keinen Schaden. Ashton stand nach wie vor unversehrt einige Meter vor ihr.
 

Das Szenario durchzog eine frostige Stille. Kyrens Angriff auf Ashton schien jegliche Chance auf eine friedliche Lösung zerbrochen zu haben. Unbeeindruckt und arrogant harrte er an seiner Position aus. Er atmete tief ein und schloss seine Augen. Mehrere Atemzüge vergingen, bis er seine meditative Haltung löste – Sekunden die Kyren abwartete, statt weiter anzugreifen. „Ich akzeptiere, aber bedauere deine Entscheidung gegen mich kämpfen zu wollen. Letztendlich wirst auch du einsehen dass es zwecklos ist. Ich bin das mächtigste Wesen auf dieser Welt. Glaubst du wirklich gegen mich siegen zu können? Um deiner Dummheit Ausdruck zu verleihen, werde ich dich mit bloßen Händen auf den Boden der Tatsachen zurückholen, kleine Elfe!“, rief er ihr zu. „Unterschätzt mich nicht, Ashton!“, konterte Kyren und wirbelte mehrere Magien empor, vorzugsweise um ihre eigenen magischen Kräfte zu stärken. Das Lichterspektakel war schön anzusehen, aber auch gefährlich für ihren Gegner. Schon bald schmetterten weitere Salben von Feuer- und Eispfeilen auf ihn zu. Ashton wich nicht aus, denn wie schon die magischen Geschosse zuvor, konnten sie ihn nichts anhaben. Es schien als neutralisierte sich jede Magie an seinem Körper. Was Ashton zunächst als Angriff verstand, entpuppte sich schnell als Ablenkungsmanöver. Kyren hatte ihre Position geändert und beschwor nun einen Meteoritenschwarm auf das Areal des Magiers nieder. Ashton schien nur kurz überrascht und während der Boden unter ihn zertrümmert wurde als die Geschosse wie Hagelkönner niederprasselten. Beinah gelassen entsprang er gen Luft, wo er im Schwebezustand allen Meteoriten leicht auswich, bis der Schauer vorüber war. „Beeindruckend! Eine Magie des 9. Grades. Aber nicht mehr als Spielereien!“, gab er nach Ende des Zaubers amüsiert von sich. In der Luft war er für Kyren ein leichtes Ziel für ihre Flammende Wolke, die sie nun beschwor. Wie ein Inferno sauste diese auf Ashton zu, der sich jedoch per Teleport zu retten wusste. „Tatsächlich, Mädchen. Du bist eine begabte Magierin, aber das reicht nicht einmal annähernd!“, entgegnete er ihr von neuer Position und setzte zum Angriff an als Kyren schon die nächste Magie vorbereitete. Noch eben hatte sie ihn fokussiert, da tauchte er plötzlich vor ihrer Nase auf und stieß seinen Ellenbogen gegen ihre Stirn. Kyren verlor die Magie, benommen wie sie war, doch Ashton war noch nicht mit ihr fertig. Er packte sie am Arm und schleuderte sie wie einen leblosen Stein davon, so dass sie unsanft in einigen Metern Entfernung landete.
 

Kyren brauchte etwas um sich aufzuraffen, doch sie wusste schon was als nächstes zu tun war als sich noch alles vor ihren Augen drehte. Mental fixierte sie ihr Ziel, drehte sich um und ließ mehrere Blitze aus ihrer Hand schießen. Ashton war schnell, aber er hatte sie unterschätzt. Zwei Blitze trafen ihn und warfen ihn zurück. Kyren grinste, noch während sie sich die Stirn hielt, denn der Treffer gab ihr Hoffnung ihm beikommen zu können. Ashton hingegen zeigte sich nun weniger zaghaft, klopfte sich aber erst einmal allen Staub von seinem Mantel. Es war nicht einmal die Tatsache dass sie ihn getroffen hatte, sondern viel mehr ein seltsamer, aber vertrauter Geschmack der seine Magieinstinkte durchzog. Seine Mimik verfinsterte sich schlagartig als er Kyren betrachtete. „Das ist … Ich spüre die Verderbnis von Zun in dir. Seine finstere Präsenz ist unverkennbar. Scheint so als hätte er ein neues Opfer gefunden das seine perfiden Pläne ausführt. Wie bedauerlich für ein solch zartes Geschöpf. Du wirst sterben - und das ist noch die gute Nachricht!“, wirkte er ihr entgegen und schien nun entschlossener als zuvor.
 

Ähnlich entschlossen wirkte Marian derweil als sie vor Adrian verharrte. Ihr Blick deutete an das sie ein ‚nein’ nicht akzeptieren würde. „Ich bitte Euch Meister. Hunderttausende werden sterben! Ihr habt Ashton schon einmal stoppen können. Ihr könntet diese Welt vor einer grausamen Zukunft bewahren! Wieder ein Held sein … wie früher.“, redete sie auf ihn ein, doch Adrian schien an nichts von dem interessiert. „Diese Welt hat mich ausgestoßen, hat mich verraten. Man hat mich eingekerkert und verrotten lassen. Es ist mir egal was aus dieser Welt wird, denn schon bald werde ich hier genug Energien gesammelt haben um als Gott aufzusteigen – wie ich es mir verdient habe.“, erwiderte er mit ruhiger Stimme. Marian schüttelte ihren Kopf aufgeregt hin und her. „Aber ich liebe diese Welt mit all ihren Facetten! Ich weiß, sie ist nicht perfekt, aber gerade das macht sie so wertvoll.“, protestierte sie eifrig. „Das Schicksal dieser Welt ist unvermeidlich so es die Götter so wollen. Und so ist es deren Bürde, nicht die meine.“, meinte er und lehnte sich zurück. „Aber Meister!“, widersprach Marian lautstark. „Es ist genug, Marian! Ich werde diese Welt ihren Schicksal und ihren Bewohnern überlassen und wenn es ihr Schicksal ist unter zu gehen, dann soll es so sein.“, meinte er streng und deutete ihr an zu gehen. Marian sank auf alle vier. Ein leises Schluchzen ging von ihr aus. Ihr Herz schmerzte und so griff sie zu einem Dolch, den sie in ihren Gurt mit sich trug. Sie wusste das Ashton und alles was dem folgen würde nicht durch eine Hand voll Helden zu stoppen sein würde und nur er diesem ein Ende bereiten konnte. Beinah überraschend raffte sie sich wieder etwas auf und hielt sich den Dolch unter ihr tränenverhangenes Gesicht, direkt an die Halsschlagader. „Tut es nicht für die Menschen Faerûns – tut es für mich! Ich bitte Euch ein letztes mal, ich bitte Euch … lasst mich nicht im Stich. Wenn ich Euch je etwas bedeutet habe … helft mir! Ich will nicht länger leben mit dem Wissen das meine Zuneigung einem Mann galt, den es nie gab!“, schrie sie mit errötetem Gesicht. Adrian stockte zum ersten Mal seit Jahren der Atem. Marian war über so viele Jahrtausende eine gute und loyale Schülerin gewesen. Auch wenn ihm selbst das Schicksal dieser Welt egal war, so war es doch eine Welt in der sie leben wollte. Über all die Zeit hatte er das kleine Mädchen in ihr gesehen, das sie einst war als er sie zu sich holte, doch nun offenbarte sie, dass sie das sie weit mehr war. Er würde sie wahrscheinlich wiederbeleben können, würde sie sich hier vor seinen Augen das Leben nehmen, doch hatte sie ihre Botschaft verstanden. Marians Hand, in dem sie das Messer hielt, zitterte und sie wartete auf seine Reaktion, selbst wenn das was er sagen, das letzte wäre, was sie hören würde. „Es gibt da etwas das du wissen solltest …“, sagte er mit ruhiger Stimme und deutet ihr an, nicht vorschnell zu reagieren.
 

Kyren hastete, gestärkt durch eine entsprechende Magie, wie der Wind durch die karge Landschaft um den schnellen Ashton einigermaßen Paroli bieten zu können. Oftmals konnte sie nur durch zu Hilfenahme ihrer linken der Hand abbremsen um ein Davonrutschen beim Halt zu verhindern, so auch dieses mal. Kaum zum Stillstand gekommen wollte sie ihre nächste Magie entfesseln, doch ihr Gegner ließ sie nicht gewähren. Als sie aufsah blickte sie in seine trügerische Miene und bevor sie reagieren konnte, hatte er ihr seinen Oberschenkel gegen ihren Torso gerammt. Kyren versagte sie Stimme vor Schmerz, doch Ashton reichte das noch nicht. Gnadenlos hämmerte er seinen Ellenbogen auf ihren Rücken und schmetterte sie regelrecht zu Boden. „Hat Zun wirklich geglaubt er könnte sich deiner bemächtigen und mich so einfach aufhalten?“, sagte er mit vorwurfsvollem Blick auf die regungslose Elfe am Boden. Es waren nicht die ersten Treffer die Kyren einstecken musste, aber die mit Abstand härtesten bisher. „Ashton … es liegt noch immer in Eurer Hand diesen Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Ich könnt Euch noch immer dem Guten zuwenden.“, ächzte Kyren und raffte sich auf. Er ließ sie gewähren, aber nicht für lange. „Dem Guten? Du bist eine Närrin! Ich vertrete das Gute! Dieses mal bist du auf der falschen Seite gelandet indem du dich Zun angeschlossen hast!“, schimpfte er empört und schleuderte die Elfe mit einen weiteren Tritt einige Meter davon. Kyren wusste nicht ob sie liegen bleiben oder aufstehen sollte, doch die Kraft in ihren Handschuh, beschwor sie weiter zu machen.

Geschwächt raffte sie sich auf und entfesselte eine weitere Magie. Ihr Bewusstsein wurde immer mehr von Dunkelheit vernebelt, so dass sie nicht einmal merkte was sie tat. Kyren spürte das sie die Kontrolle über ihren eigenen Körper verlor und der Handschuh an ihrer Hand immer mehr Macht über sie gewann. Nur noch Bruchstückhaft merkte sie was mit ihr geschah, immer dann wenn Ashton sie trat oder schlug. Sie schmeckte ihr Blut in ihrem Mund, spürte wie ihr Körper litt. Innerlich schrie sie nur noch vor Schmerzen, doch die Dunkelheit vor ihren Augen vernebelte ihre Wahrnehmung. Zum ersten mal begann sie zu realisieren, das Ashton die Wahrheit gesagt hatte. Zun war nicht einfach nur ein Junge gewesen, er war ein Wesen großer Macht, ein Wesen das Ashton aufhalten wollte um seine eigenen finsteren Pläne zu realisieren. Der Zweck rechtfertigte nicht die Mittel, doch sie spürte am eigenen Leib was es hieß Ashton aufhalten zu wollen. Es gab nur eine Chance um sich von Zuns Bann zu lösen und somit vielleicht zu überleben. Sie nutzte einen Moment der Kontrolle aus um den Handschuh von ihrer Hand zu reißen. Schlagartig verflüchtigte sich der schwarze Nebel vor ihren Augen und die Kontrolle über ihren Körper war wieder hergestellt. Es fühlte sich nur kurz wie ein Sieg an, denn Ashton vervollständigte im selben Moment seinen Angriff. Er hatte sein Versprechen gebrochen und sie mit einer Druckwelle attackiert. Kyren spürte wie auch noch der letzte heile Knochen brach als sie davon erfasst und durch die Luft geschleudert wurde. Ihre Landung war unsanft und so schmerzvoll, dass sie dachte, ihr Körper würde auseinander reißen.
 

Tränen flossen aus ihren Augen und jeder Atemzug war mit unvorstellbaren Schmerzen verbunden. Blut rann aus ihrem Mund und anderen offenen Wunden. Verschwommen nahm sie das Bild des Magiers wahr als dieser vor sie heran trat. „Pah, kaum zu glauben dass du es gewesen sein sollst, die den mächtigen Adrian von Nesseril besiegt hat. Du hattest von Anfang an keine Chance. Nicht einmal weil du meiner Macht nicht gewachsen wärst, sondern weil du nichts mehr hattest wofür du hättest kämpfen können. Du wolltest nur Rache und das besiegelte deine Niederlage. Hier und jetzt warst du ganz allein … und so wirst du auch sterben.“, sagte er zu ihr und Kyren begann noch etwas mehr zu weinen. Er hatte Recht, denn sie hatte alles verloren und alles geopfert, hatte sich gegen Shane entschieden und für ein Mädchen das sie kaum kannte. Die junge Elfe quälte sich mit der Frage warum sie auch nur einen Augenblick an ihn gezweifelt hatte. Sie hatte Zun vertraut, sich auf seine Worthülsen eingelassen, weil er genau das sagte was sie hören wollte und letztendlich alles dafür geopfert. Kyren erinnerte sich dass sie auch den Sieg über Adrian nicht allein zustande gebracht hatte, dass sie niemals so weit gekommen wäre, hätte sie nicht ihre Freunde an ihrer Seite gehabt. Ihr wurde klar warum sie gescheitert war und dass es zu spät war zu bereuen. „Ich könnte dir den Gnadenstoß gewähren, doch einen jeden, der mit Zun paktiert, gönne ich einen langsamen, grausamen Tod.“, meinte Ashton abschließend und entfernte sie langsam von ihr. Er ließ sie in der Wüste zurück, wissen dass sie dort ihr Ende finden würde. Kyren spürte wie das Leben aus ihr wich und doch wünschte sie sich nichts mehr als Shane noch sagen zu können dass es ihr Leid tat.
 

Die Sonne schien unablässig auf sie Kyren hinab und jede Sekunde, die sie regungslos, geplagt von zahllosen Schmerzen, am Boden lag, kam ihr wie eine Stunde vor. Sie war allein und hatte jedes Gefühl für Zeit verloren. Geier kreisten über ihr und warteten darauf dass sie den letzten Atemzug machen würde. Sie zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, dachte an all die Abenteuer und Erlebnisse ihres Lebens: wie Drow ihr Heim überfallen hatten, wie sie danach auf Shane traf, ihr Kampf gegen Bell und Jaygoyle, ihre Freunde, die sie auf ihren Reisen kennen gelernt hatte. Es waren die guten Erinnerungen mit denen sie in den Tod gehen wollte. Schließlich wurde ihr schwarz vor Augen und sie verlor das Bewusstsein.

Nur einige Augenblicke später fiel ein Schatten über den regungslosen Leib des Elfenmädchens. Marian sah sich um ob noch jemand außer ihr in der Nähe war, wissend das Ashton das Mädchen so zugerichtet hatte. Sie spürte dass sie nicht viel Zeit hatte, aber auch, dass es noch nicht zu spät war. „Es ist noch nicht vorbei, Kyren.“, sagte sie leise und beugte sich über sie.
 

Als Kyren am nächsten Morgen erwachte, glaubte sie zunächst ihren Sinnen nicht. Sie fand sich in einem weichen Bett wieder. Der Raum um sie herum war ein gepflegtes Zimmer mit allen Zierden die es annehmbar machten hier zu Nächtigen. Beinah ihr ganzer Körper war in Verbände gewickelt, die auf magische Weise heilend auf sie wirkten. Sie konnte bereits einige Finger bewegen, aber alles andere ließ sie mit schmerzerfüllter Miene aufzucken. „Ah … tut weh.“, ächzte sie geschwächt. Sie wusste nicht was vor sich ging, doch ihr leises Aufstöhnen hatte eine Gestalt im Raum erweckt. Direkt neben ihrem Bett am Boden hatte ein Elf ausgeharrt, dessen Anblick ihr vertraut war. „Kyren? Du bist wach!“, rief Atrix höchst erfreut und klatschte glücklich die Hände aneinander. „A-Atrix?“, stammelte sie geschwächt. „Sieh an was du gemacht hast, Kyren! Du siehst aus wie eine Mumie.“, gab er amüsiert von sich und schenkte ihr ein friedvolles Lächeln. Langsam wurde Kyren etwas mulmig zu Mute, hoffend das nicht er es war, der sie in die Verbände gewickelt hatte. Immerhin war sie darunter nackt – ihre Kleidung lag nur wenige Meter auf einem Stuhl.

Einen Moment später kam Marian in das Zimmer hinein. Auch sie freute sich sie wohl auf zu sehen. Sie wusste, dass die Elfe damit das Schlimmste überstanden hatte. „Ah, Lady Cyrissean. Es freut mich dass ihr wach seid. Ich wollte gerade nach Euch sehen.“, sagte sie. Kyren kannte das Mädchen, brauchte aber einen Moment sie zuzuordnen. „Ich kenne dich …“, meinte sie überrascht und erinnerte sich an einige vergangene Momente mit ihr zurück. Marian lächelte und legte die Verbände ab, die sie dabei hatte. „Ja, Ihr könnt mich Marian nennen.“, bestätigte sie nickend. Atrix war sehr aufgeregt und konnte gar nicht warten ihr alles zu erzählen. „Ich bin froh dass Marian dich gefunden hat. Du warst ganze zwei Tage bewusstlos! Sie will uns gegen Ashton helfen.“, berichtete er. Kyren begann langsam zu realisieren was mit ihr geschehen war und welche Ereignisse dem voraus gegangen waren. „Nigel …! Shane?!“, fragte sie besorgt. „Es tut mir Leid … aber sie sind nicht hier. Nigel starb … bei den Versuch dich vor Jaygoyle zu retten.“, gab Atrix betrübt von sich, bevor seine Mimik sich wieder besserte. „Aber es gibt auch gute Nachrichten. In den letzten beiden Tagen ist viel geschehen!“, ergänzte er rasch und nickte eifrig. Marian setzte sich zu ihr ans Bett und brachte sie auf den neusten Stand der Dinge. „Ashton hat es geschafft den Tarraske zu finden und ihn mit Hilfe magischer Mittel gebändigt. Er marschiert bereits nach Tiefwasser und hat bereits hunderte auf den Weg dort hin getötet. Aber es gibt noch Hoffnung, eine Widerstandsbewegung, die ich ins Leben gerufen habe. Ihr sollt ein Teil davon sein. Es tut mir Leid was geschehen ist. Ich fühle mich ein wenig verantwortlich dafür … hätte ich euch doch nur früher von Zun und Ashton in Kenntnis gesetzt. … ich werde Eure Verbände wechseln, damit ihr wieder zu Kräften kommt.“, erklärte das hübsche Mädchen und legte ihre Hand auf Kyrens Brust. Ihre Hand leuchtete in einem grellen Weiß auf und Kyren spürte, wie die heilende Magie ihr gut tat. Viele innere Wunden begannen zu verheilen.
 

Kyren sah noch recht ungläubig an sich herab als sie einige Stunden später wieder in alter Frische aus dem Zimmer kam. Sie konnte kaum glauben wie unglaublich mächtig die heilende Magie war, die sie innerhalb von 2 Tagen kurieren konnte. An ihrer Seite stand Marian und stellte mit einer Geste, die Mitglieder ihrer Truppe vor. „Keith kennt ihr ja mittlerweile.“, meinte sie schmunzelnd und deutete auf den Vampir zu ihrer Linken, worauf sich die anderen von selbst vorstellten. „Hey Kyren! Wir müssen wohl mal wieder den Karren aus den Dreck ziehen, was?“, meinte Mitch, der nur einen Platz neben Gerrard am Tisch saß und genüsslich einen Apfel aß. „Schön dich wieder wohl auf zu sehen.“, meinte Zelda zu dessen Linken. „Lass es uns anpacken!“, stimmte Jason an ihrer Seite zu, der auf der Lehne des Stuhles saß. Kyrens Augen weiteten sich zusehens, denn die drei Begleiter früherer Abenteuer hatten sich in den letzten Jahren gar nicht so stark verändert. Zelda war so schön wie nie zuvor, Jason wirkte regelrecht brav, aber immer noch recht muskulös. Sie alle trugen Uniformen, wie es bei Soldaten üblich war und ihr wurde klar, dass dies auch angebracht war. Auch Atrix hatte sich in die Reihe der Kämpfer am Tisch eingereiht, ebenso wie Larissa, Salina und Baram. Nur einen Augenblick nachdem sie die beiden entdeckt hatte, trat Decan aus einem Nebenraum ein. Die Anwesenheit des Schwertkämpfers in Schwarz sowie Larissas bedeutete dass auch die Götter auf ihrer Seite waren. „Ein weiterer Streiter hat sich soeben eingefunden, Lady Marian.“, meinte er mit typisch düsterer Stimme. „Oh, wie erfreulich. Lasst ihn doch eintreten.“, meinte Marian erfreut. Kyren kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus als Jáin eintrat. „Das glaub ich ja nicht …“, stammelte sie überwältigt von so viel Unterstützung. „Weitere Kämpfer sind draußen und bereiten sich auf die Schlacht vor.“, ergänzte Marian mit breiten Grinsen.
 

Draußen erblickte Kyren ein Heer von Soldaten die bereits eifrig an der Waffe trainierten. „Morgen wird sich das Schicksal dieser Welt entscheiden. Ruht Euch aus und sammelt Eure Kräfte.“, sagte Marian, die ihr nach draußen gefolgt war. Sie wusste dass die junge Elfe so viel Anteilnahme ohnehin erst einmal verdauen musste. „Wir haben einen Plan und werden diesen Ashton kräftig in den Hintern treten!“, rief Jason aus dem Hintergrund und grinste frech. Kyren fühlte sich nicht nur durch ihre Genesung gestärkt, sondern weil es noch eine echte Chance gab Ashton aufzuhalten.

Folge 101: Das Ende der Legende

[Folge 10: Das Ende der Legende]
 

Von einem Hügel aus hatte Kyren gute Sicht auf das vor ihr liegende Tal. Die Ebene vor ihr war kaum bewachsen und schloss in einer Felsformation ab. Wenn man genau hinsah, erkannte man, dass dies früher einst ein blühendes Tal gewesen und sich ein gewaltiger Fluss hier hindurch gebahnt haben musste. In der niederen Ebene vor ihr marschierte Ashtons Armee und auch wenn diese nicht allzu groß war, so wusste man dass sie nicht allein war. Irgendwo unter ihnen war der Tarraske – verborgen und versteckt um keinen Verdacht zu erregen. Kyren erinnerte sich bereits einmal gegen eine Art Nachbau dieser Kreatur gekämpft zu haben, doch der Gedanke gegen das Original antreten zu müssen, ließ sie ihren Atem anhalten. Ashton hatte diese Kreatur bereits auf einige kleinere Dörfer und Städte losgelassen, von denen nun nur noch Schutt existierte. Innerlich schwor sie, dass man ihn aufhalten würde, auch wenn sie nur hoffen konnte, dass man einer Kreatur wie dem Tarraske beikommen konnte. Dennoch vermisste sie Ashton selbst unter den zahlreichen Kuttenträgern, was sie aber nicht wirklich wunderte. Schließlich wollte er sich nicht mit dem Tarraske zusammen sehen lassen und traf Vorsichtsmaßnahmen.

Der erste Eindruck, dass die junge Elfe allein war, täuschte, denn schon kurz darauf stießen weitere Mitstreiter zu ihr auf den Hügel hinzu. Marian nickte entschlossen und drehte sich der Armee hinter ihr zu. „Macht Euch bereit! Die Stunde der Helden naht!“, rief sie ihrem Gefolge zu, worauf diese euphorisch aufschrieen und ihre Waffen erhoben.
 

Folge 10: Das Ende der Legende
 

Daniel wirkte angespannt als er an die Spitze des Marschtrupps den Befehl zum Halten gab. Ihm war nicht entgangen dass im Osten eine Streitmacht aufmarschiert war. Schließlich griff er in seinen Mantel und nahm einen schillernden Kristall hervor, den er mit einer einfachen Magie zum Leuchten brachte. Er wusste, dass ihn die Stimme seines Meisters erwarten würde, wenn er ihn auf diese Weise kontaktierte.

„Ihr habt festgestellt, dass wir beobachtet werden, nicht wahr?“, tönte Ashtons Stimme gelassen aus dem Kristall. „Ja, Meister. Ich habe in den Hügeln ein kampfbereites Heer ausgemacht. Was sollen wir tun?“, erwiderte er nickend. Daniels Blick fiel auf etwas, dass für andere ungesehen blieb, bevor er sich wieder dem Kristall in seiner Hand widmete. „Ich habe erwartet dass sie kommen würden … der letzte Widerstand, ein verzweifelter Haufen von Rechtschaffenden, die meinen Aufstieg verhindern wollen. Ja, setzt den Tarraske ein. Es sollte die Reihen der Angreifer auf ein Mindestmaß reduzieren. Mit den Rest werdet Ihr sicher allein fertig, Daniel.“, meinte Ashton kühl, aber berechnend. Daniel schmunzelte zufrieden, wissend dass es so ein leichtes sein würde zu siegen. Der Tarraske hatte auf seinen Weg nach Tiefwasser schon mehrere Dörfer angegriffen und verwüstet. Überlebende gab es keine. Die Botschaft des Schreckens machte bereits die umliegenden Regionen unsicher. Nun sollte die Kreatur ein weiters mal seinen Ruf gerecht werden.
 

Marian schritt stramm vor ihren Truppen hin und her, während sich der Himmel über ihr verdunkelte. „Hier und heute werdet ihr den Tarraske gegenüber zu treten. Es wird nicht leicht, aber bedenkt dass hier mehr als nur unser aller Leben auf dem Spiel steht. Ashton wird Toril mit aller Gewalt unterwerfen. Die Nesserer dürfen sich nicht erneut erheben um über uns zu herrschen! Auf mein Kommando greifen wir an!“, rief sie ihren Leuten zu und drehte sich in Richtung der Soldaten. Mut stand in ihren Gesichtsausdruck geschrieben und sie hoffte dass es sich auf ihre Truppen übertragen würde. Hier und heute hatte sie nichts mehr zu verlieren. Schließlich gab sie das Signal zum Angriff, worauf ihre Mannen an ihr vorbei in den Kampf stürmten.
 

„Wir werden angegriffen! Zieht Eure Waffen!“, rief Daniel aufgeregt als er das Heer heranstürmen sah. Der junge Magier begann bereits eine erste Magie zu entfesseln und schleuderte einen Feuerball in die Massen der Gegner. Der Feuerball warf einige Ritter um, doch ließen deren Gefährten sicht nicht entmutigen und gingen in den Nahkampf mit dem Gefolge seines Meisters.
 

Ashtons sah dem Treiben fast teilnahmslos von einer fernen Anhöhe zu. „Sorg dafür dass Marian zu mir findet.“, sagte er und für einen Moment konnte man glauben dass er mit sich selbst redete. Dennoch erhielt er eine Antwort, auch wenn nicht klar war woher diese kam. „Natürlich.“, tönte es mit finsterer Stimme zurück und es war klar, dass ihm jedes Mittel recht war. Ein ungewöhnlicher Windhauch zog an Ashton vorbei und deutete an, dass er nicht allein gewesen war.
 

Kyren besiegte mit ihrer Magie einen Gegner nach den anderen. Meist reichte schon ein Windstoß oder ein magisches Geschoss aus um sich ihrer Angreifer zu entledigen. Sie tötete nicht, machte sie so aber kampfunfähig. Es herrschte schreckliches Chaos um sie herum. Die Schlachtordnung war zu dieser Zeit kaum zu halten. Rechts neben sich erblickte sie Jáin der sich im Schwertkampf gegen einen Gegner behauptete. Zu ihrer Linken war Jason, der sich mit reinster Körperkampfkultur etlicher Gegner annahm und einen nach dem anderen zu Boden rang. Plötzlich erschütterte der Boden und ein bestialischer Schrei übertönte das Klirren der Klingen. Gebannt sahen ihre Mitstreiter wie sich der Tarnmantel um den Tarraske entledigte. Es war nur logisch dass sich Ashton es nicht leisten konnte, mit der Kreatur gesehen zu werden und er seine schlimmste Waffe gegen sie einsetzen würde. Der Tarraske hatte nur aufgestampft, doch riss es dabei mehrere Kämpfende zu Boden. Weitere Kämpfer starben als sie von dessen mächtigen Hauern getroffen oder von dessen Zähnen zerfetzt wurden. „Wir müssen etwas gegen die Bestie tun! Konzentriert Eure Angriffe auf den Tarraske!“, rief einer der Männer hinter ihr. In der Folge griffen immer mehr ihrer Mitstreiter die riesige Kreatur an, doch die Speere und Bogengeschosse, richteten keinen nennenswerten Schaden an der Haut der Bestie an. Einige versuchten es mit Magie, mussten aber feststellen dass es auch nicht wesentlich wirksamer als bloße Waffengewalt war.
 

Natürlich hatte Marian einen Plan um die Kreatur zu bändigen, denn sie wusste dass es in deren Reihen einen Magier geben musste, der den Willen dieser Bestie kontrollierte. Wie ein Geist schritt sie durch die Kämpfenden, die sie trotz ihrer außergewöhnlichen Tracht und deren hellen Farben gar nicht wahr zu nehmen schienen. Sie hatte mit Magie nachgeholfen, aber sie musste diesen Vorteil nun noch zu nutzen wissen. Marian rechnete nicht damit das Ashton selbst das Artefakt hatte das den Tarraske steuerte. Er musste einen Helfer haben.

Weitaus gefährlicher als der Tarraske war nur Ashton selbst und so stand ihr und ihren Mitstreitern noch eine schwere Schlacht bevor, die sie ihnen zumindest erleichtern konnte. Ihr Blick fiel auf einen jungen Magier, der mit außerordentlichen Nachdruck Magie auf ihre Truppe abfeuerte, ohne davon zu erschöpfen. Sie würde sich ihm annehmen und ihn das Artefakt entreißen, sofern er es hatte. Ihr Schritt war zielstrebig, doch einer von Ashtons Leuten stellte sich ihr plötzlich in den Weg. Marians Augen weiteten sich und sie trat erschrocken ein paar Schritte zurück. „Ashton erwartet Euch bereits, Marian.“, meinte der Mann mit einem finsteren Grinsen. „Ihr … Ihr seid das.“, stammelte sie verblüfft, wissend das derjenige, der vor ihr stand kein Mensch aus Fleisch und Blut war. In seine Gestalt kannte man ihn als John Doyle, doch sie ließ sich davon nicht beirren.

„Jaygoyle …“, fügte sie mit flüsterleise Stimme an, als dieser aus seinen rechten Arm eine Klinge formte. „Geht zu ihm oder sterbt.“, drohte er und machte einen Schritt nach vorn. Wieder erzitterte der Boden und ein lautes Grollen durchzog das Szenario. Der Tarraske wütete zu ihrem bedauern höchst erfolgreich durch die eigenen Reihen. Abermals fiel ihr Blick an Jaygoyle vorbei in Richtung des jungen Magiers.

Ein Regentropfen plumpste auf ihre Nase und Donner begann den Himmel zu durchziehen. Es schien so als hätten sie auch die Götter auf ihrer Seite, doch gegen ein Wesen wie Jaygoyle konnte sie sich effektiv nicht zur Wehr setzen. „Überlasst ihn mir!“, tönte auf einmal eine Stimme hinter ihr, worauf sie sich erschrocken umdrehte. Ein Blitz fiel in der Ferne vom Himmel und erleuchtete Decan in seiner dunklen Tracht. Jaygoyle sah neugierig auf und lächelte vorfreudig. „Das könnte interessant werden.“, meinte dieser und nahm die Herausforderung an. Vorsichtig zog sich Marian aus dem Szenario zurück, hoffend dass es zu Decans Gunsten ausgehen würde. Beide gingen zunächst nur mit einem Schwert in den Kampf und schon als sich diese das erste mal kreuzten wurde ihr bewusst, dass sich zwei ebenwürdige Gegner gegenüber standen.
 

Ashton hielt sich derweil untätig in sicherer Entfernung auf. Vor ihm erstreckte sich ein Canyon - ein ausgetrocknetes Flussbett – das gerade zu dafür geschaffen war Marian in eine Falle zu locken. Tatsächlich hörte er alsbald die ersten Schritte einer heran nahenden Person. Zu seiner Enttäuschung war es ein Ritter, der aus Angst vor dem Tarraske flüchten wollte. Obwohl dieser Ashton gar nicht sah war es bereits zu spät, denn ein magisches Geschoss erfasste seinen Kopf und ließ diesen wie eine Seifenblase platzen. „Pah, was für eine Verschwendung.“, merkte Ashton ungerührt an und harrte weiter aus, während er die Schlacht nüchtern beobachtete.
 

Obwohl Zelda ein ganzes Arsenal von Pfeilen gegen den Tarraske verschossen hatte, zeigte keiner eine sichtbare Wirkung. Immer mehr Kämpfer fiel den Klauen des Wesens zum Opfer. Nun begann es auch noch zu regnen, was den Kampf sicher nicht einfacher gestalten würde. Langsam aber sicher verlor sie den Glauben etwas gegen dieses Wesen ausrichten zu können. Als nächstes Ziel suchte sich die Kreatur nun auch noch sie selbst aus, doch die Pranke der Kreatur verfehlte sie knapp, da Jason sie in letzter Sekunde mit sich riss. „Hey! Glaubst du ich lass dich hier sterben?“, fragte er in scherzenden Ton und half ihr rasch wieder auf. Zelda lächelte. Seine Nähe gab ihr Hoffnung und sie besann sich wieder auf den eigentlichen Kampf. Beide blickten sich um und entdeckten dass noch immer viele bekannte Gesichter lebten, alle eifrig damit beschäftigt Ashtons Jünger oder den Tarraske auszuschalten. „Wir sind nicht allein.“, resümierte Jason zuversichtlich.
 

Atrix versuchte sich derweil gegen einen zwei Meter großen Hünen zu behaupten, doch der hielt ihn einfach auf Abstand in dem er seine rechte Hand bei ausgestreckten Arm an dessen Kopf gelegt hatte. Atrix schlug wie ein Berserker in der Luft herum, während sich der groß gewachsene Kämpfer mit dem Fingern die Überreste eines vergangenen Mahls aus den Zahnzwischenräumen kratzte. Die Leichtigkeit seines Gegners ließ ihn jedoch unaufmerksam werden, so dass ihn unvermittelt ein schwacher Feuerball im Gesicht traf und ihn umwarf. Atrix glaubte selbst gesiegt zu haben und feierte seinen Erfolg ausgiebig. Der Dank an Kyren, die ihm geholfen hatte, blieb daher auch aus. „Sohoo! Das blüht jedem der sich mit dem mächtigen Atrix van Forten anlegt! Kommt doch her, ich nehme es mit jedem von euch auf!“, brüllte er herum und wirbelte mit seinem Schwert ziellos umher. „Eh … Atrix … hinter dir!“, rief ihm Kyren vorsichtig zu und deutete an, sich einmal umzudrehen. „Boah! Was stinkt hier so?!“, fluchte der junge Elf, der noch nicht ahnte was hinter ihm war. Als er sich umgedreht hatte, blickte er in die Fratze des Tarraske, der sich den Elfen als nächstes Häppchen heraus gesucht hatte. Das Untier brüllte seine Beute wild an, so dass dieser regelrecht umgeworfen wurde. Nun bereute er es eine abfällige Bemerkung über das Wesen gemacht zu haben. Von allen Kämpfern sollte Atrix zur schwierigsten Beute werden, nicht einmal weil er so stark war, sondern weil keiner so schnell und kreischend davon laufen konnte wie er.
 

Der Regen wurde heftiger und der Boden aufgeweichter. Trotzdem vermochten es Jaygoyle und Decan sich gegeneinander zu behaupten. Für einen kurzen Moment sprangen die beiden auf Abstand um sich neu zu positionieren. „Ich bin wirklich beeindruckt, Mensch, aber mich kann man nicht besiegen!“, gab das Unwesen arrogant von sich. Decan blieb unbeeindruckt und nahm eine zweite Klinge zu Hilfe, die aus einen seiner Ärmel genau in seine Hand glitt. „Ich mag Herausforderungen.“, gab er trocken zurück ohne die Miene zu verziehen und leitete die nächste Runde ein.
 

Marian hatte sich indessen an den jungen Magier heran gepirscht. Obwohl sie kaum zwei Meter von ihm weg stand, bemerkte er sie nicht. Dagegen sah sie, dass er einen kleinen Zauberstab in seiner rechten Hand führte. Die Bauart des Stabes erschien ihr nesserischer Natur zu sein. Sie war sich sicher – damit kontrollierte er das Wesen. Als sie nach den Stab greifen wollte, verblasste ihr Schutzschirm jedoch schlagartig, wodurch er auf das Mädchen in den seltsamen Gewändern aufmerksam wurde. Reflexartig sprang er etwas auf Abstand zurück und richtete den Stab gegen sie. „W-was?! Wer bist du?! Was sollte das?!“, fragte er mit zittriger Stimme. Immerhin hatte er sie nicht gleich angegriffen oder getötet, weswegen sie ihre guten Manieren nicht beiseite legte und auf seine Fragen antwortete. „Man nennt mich Marian. Diesen Stab, den Ihr habt – gebt ihn mir! Er bringt Unheil und muss vernichtet werden“, sagte sie mit freundlicher Stimme. Der Mann traute ihr nicht und ging nun dazu über ihr zu drohen. „Bleibt von mir weg! Ich bin Daniel, treuer Adjutant des Meisters. Dieser Stab wird uns in ein neues Zeitalter führen, in eine perfekte Welt. Wir brauchen den Tarraske! Verschwinde zurück in dein Dorf und spiel mit deinen Puppen.“, fauchte er ihr entgegen. Wenn gleich er ihr körperliches Alter unterschätze, war er sich der Bedrohung, die von ihr ausgehen könnte, bewusst. „Seid kein Narr! Hundertausende von Menschen werden sterben, wenn Ashton so weiter macht! Das ist kein Spaß, das ist bitterer Ernst!“, erwiderte sie energisch. Zu Ungunsten ihrer Argumentation kam just in diesen Moment im Hintergrund Atrix wimmernd und schreiend vorbei gelaufen, dem der Tarraske wie eine Katze dem Wollball hinterher hetzte. Daniel besann sich als erster wieder aufs eigentliche Geschehen. „Wah! Bleibt fern von mir!“, schrie Daniel und brachte Marian mit einem Feuerball auf Abstand.
 

Atrix hatte sich selbst in eine Sackgasse manövriert, den Tarraske aber weg vom eigentlichen Schlachtfeld in eine enge Passage des Canyons gelockt, wo er nun feststeckte und nach ihm schnappte. Willkürlich bewarf er die riesige Kreatur mit Gegenständen aus seinem nimmervollen Beutel. Viel mehr wusste er der Kreatur in seiner Panik nicht entgegen zu setzen. Einige Soldaten, die zusammen mit Kyren eintrafen, schienen die Bestie nicht mehr entscheidend stören zu können. „Nimm das! …. Und das!“, rief der junge Elf panisch und konnte sich nur einige Sekunden verschaffen, wenn er hin und wieder in die Augen des Tarraske traf. Zauberstäbe, Wünschelruten, Bücher und sogar Unterwäsche fand so seinen Weg in das Gesicht der Bestie. Erst als Atrix seine „Wattebällchen“-Muntion ausging, griff er zu einer Schriftrolle, die er zu Beginn seiner Reisen mit Kyren gefunden hatte. Gerne erinnerte er sich zurück, wie er mit ihr die gesamten Katakomben der alten Nesser-Ruinen geflutet hatte, in denen er das Pergament gefunden hatte. Seltsamerweise schienen sich in der Gegenwart des Monsters einige neue kryptische Zeichen auf dem Schriftstück zu ergänzen. In seiner Hektik las Atrix die wenigen Zeilen mehr oder weniger gestammelt vor, obwohl die Worte weder in Reihenfolge noch in Ihrer Bedeutung irgendeinen Sinn ergaben. Noch im selben Moment brach die Bestie durch und droht den kleinen Elfen zu zerfleischen.

„Atrix!“, rief Kyren aufgeregt, die hifllos mit ansah, wie der Tarraske den Elfen mit einen einzigen Biss verschlingen würde. Atrix sah bereits sein Spiegelbild in einem Zahn der Kreatur als sie plötzlich Millimeter vor ihm stoppte, gerade als er das letzte Wort der Schriftrolle gesprochen hatte. Eine Magie explodierte plötzlich in seinen Händen und ließ den Tarraske wie Stein vor ihm ausharren. Die Mitstreiter des Elfen sahen sich verblüfft an und auch Kyren musste sich zunächst selbst vergewissern dass sie nicht träumte. Atrix nutzte die Gunst der Stunde und lehnte sich dreist mit seinem Arm an das Maul der Kreatur. „Ja klar werd’ ich mit dem alleine fertig. Ist ja nur der Tarraske, wisst Ihr.“, posaunte er eitel heraus und ignorierte den Moment zuvor als er wimmernd um sein Leben gelaufen war.
 

Daniel schüttelte seinen Szepter als wäre er kaputt, doch egal was er Befahl, der Tarraske reagierte nicht auf seine Befehle. „Was ist los?! Warum hörst du nicht?!“, fluchte er aufgebracht. Der kurze Moment der Ablenkung reichte Marian, um Daniel mit einem einfachen Lichtzauber zu blenden und ihn das Artefakt abzunehmen. „Nein!“, kreischte der geblendete Magier und versuchte verzweifelt nach dem Mädchen zu greifen. Tatsächlich gelang es ihm sich am Umhang festzukrallen und sie mit seinem Körpergewicht zu Fall zu bringen. Beide landeten vergleichsweise sanft im aufgeweichten Boden. Das Szepter purzelte davon, landete außerhalb der Griffreichweite und blieb in einer Pfütze liegen. „Dafür wirst du büßen, Gör!“, schimpfte Daniel und drehte das Mädchen auf den Rücken, worauf er sie am Hals zu würgen begann.
 

Währenddessen hielten sich Jaygoyle und Decan für den finalen Schlagabtausch bereit. Der Kampf der zwei Klingenarme gegen zwei Katana-Schwerter hatte bisher noch keinen Sieger hervor gebracht. Unbändig regnete es vom Himmel herab, doch keiner von beiden ließ eine Schwäche erkennen. Decan sah in welche Gefahr Marian schwebte und setzte alles auf eine Karte. Sekunden später ging er in die Haltung der Vogelscheuche, die ihn seinen Spitznamen eingebracht hatte. Sein Gegner schmunzelte amüsiert und machte sich bereit, den Kampf zu seinen Gunsten zu beenden. „Ihr könnt nicht gewinnen!“, schrie er und stürmte los. Fast zeitgleich startete Decan seinen Angriff und für einen Moment schien das Geschehen um die beiden still zu stehen. Decan lief mit seitlichen ausgestreckten Armen, was Jaygoyle einen Gegner ohne Verteidigung bot. Ein Blitz erleuchtete zeitgleich das Szenario als die beiden Kontrahenten aufeinander trafen und niemand wusste ob die Kampfgeräuscht vom Blitz oder vom Kampf kamen. Für einen Augenblick sah es so aus als hätten sich Decan und Jaygoyle ohne Entscheidung getrennt, denn beide verharrten für einige Sekunden regungslos mit dem Rücken zueinander. Ein Stofffetzen von Decans Mantel flog durch die Luft, womit klar schien, dass er getroffen wurde, doch es war Jaygoyle, der förmlich in dutzende Einzelteile zerrissen wurde.

Decan verließ seine Kampfhaltung unverletzt und machte sich nun daran Marian zu helfen. Hinter ihm verhinderten das Wasser und der Regen das der Gestaltenwandler sich einfach so wieder zusammensetzen konnte. Alles was blieb war eine wabbrige, graue Masse in Pfützenform.
 

Daniel wusste nicht wie ihm geschah als ihm Decan am Kragen packte und weg zog. Schon im nächsten Moment sah er sich selbst gen Boden gedrückt und schmeckte die kalte, aufgeweichte Erde. Marian röchelte nach Luft und richtete sich allmählich wieder auf. „Also schön, wo ist dein Meister, Wurm!?“, fragte Decan mit sichtlichem Nachdruck. Der Tarraske war gezähmt, die Truppen geschlagen, die Schlacht für Daniel verloren. Dennoch wollte er nicht einfach so aufgeben und schwieg. Marian verwahrte derweil das Szepter bei sich, das dem Tarraske gesteuert hatte. „Der Bann ist gebrochen. Ashton hat verloren. Er kann seiner Strafe nicht entkommen.“, wirkte sie auf Daniel ein, doch war seine Antwort nicht mehr nötig als ein finsteres Lachen aus der Ferne ertönte. „Ihr denkt, Ihr habt gewonnen? Dann spürt wie sehr Ihr Euch doch täuscht!“, rief Ashton, dessen Stimme aus dem Nirgendwo zu kommen schien.
 

Plötzlich formte sich ein gewaltiger Energieball am Himmel und schoss wie ein Meteor auf den Boden zu, mitten in die Streitmacht Marians. Eine heftige Explosion ließ die Erde beben und schleuderte die Kämpfer, ob sie nun zu Ashton angehörten oder nicht, in alle Richtungen davon. Marian reagierte schnell und wob um sich und Decan eine Schutzblase. Trotzdem wurde sie von der Druckwelle fort getragen, wie so viele andere auch, die sich mit Magie zu retten versuchten. Die Explosion war so stark, dass sie selbst den Tarraske, den Regen und die Regenwolken am Himmel fort wehte.
 

Als Marian wieder zu sich kam, fand sie sich auf trockenen Boden vor. Sie war nicht lange bewusstlos gewesen, vielleicht nur ein paar Sekunden, aber es hatte gereicht um sie in eine ungünstige Lage zu bringen. Fast zeitgleich mit ihr raffte sich Decan auf, der ebenfalls sah, dass nicht viel vom einstigen Schlachtfeld übrig geblieben war. Einzig Ashton, der einige Meter vor Ihnen verharrte war von der feindlichen Streitmacht übrig geblieben. Marians Augen weiteten sich, denn sie fürchtete dass diejenigen die ihr geholfen hatten, ihr Leben verloren hatten. Dennoch rekelten sich in einiger Entfernung vereinzelt noch Menschen am Boden, auch wenn die wenigstens davon kampffähig schienen. Noch während sie sich aufrichtete trat Kyren von hinten an ihre Seite heran. Sie hatte sich zu helfen gewusst und um sich und Atrix eine schützende Hülle aus Magie gelegt, die nun wieder verblasste. Ashton schien ein wenig erstaunt die junge Elfe zu sehen und rühmte ihr Auftreten missbilligend. „Ich hätte nicht erwartet dich wieder zu sehen, Mädchen. Hatte ich dich nicht zum Sterben zurück gelassen?“, entgegnete er ihr. „Ich werde Euch nicht mit Euren Plänen durchkommen lassen, nicht nachdem ihr so viel Leid verbreitet habt, nicht nachdem ihr so viel Leid verbreiten werdet.“, antwortete sie mit strengem Blick. „Ja!? Die Aura des Bösen ist von dir gewichen und dennoch sprichst du immer noch solch unvernünftige Dinge aus. Dieses mal bringe ich es zu Ende. Aber keine Sorge. Und deine Gefährten begleiten dich in den Tod.“, fauchte Ashton leicht erzürnt. Es waren nicht viele an ihrer Seite übrig geblieben, aber sie würde nicht aufgeben. Ein kurzer Blick zurück ließ sie hoffen dass Jason, Zelda und den anderen nichts Schlimmeres passiert war. So heftig die Magie des Zauberers auch gewesen war – tödlich war sie nur im Zentrum gewesen.
 

Ashton schmunzelte zufrieden, fast so als hätte er bereits gesiegt. „Ist das alles was von eurem lächerlichen Kreuzzug übrig ist, Marian?“, fragte er höhnisch „Eure Streitmacht hat sich ebenso reduziert.“, konterte Kyren frech, während Marian mit ihrer Fassung rang. „Ihr hättet jederzeit umkehren können, Ashton. Wie viele Leben wollt ihr noch verschwenden, bevor dieser Wahnsinn ein Ende hat?“, gab sie in entsprechenden Ton zurück. „Ihr seid einfach zu weich, das wart Ihr schon immer. Damals, im Reich Nesseril konntet Ihr mich aufhalten, meine Seele einsperren, doch wusstet Ihr schon damals dass es keinen anderen Weg gibt, die Welt von Zuns Einfluss ein für alle mal zu befreien.“, erwiderte er mit strafenden Blick. „Ihr verurteilt die Menschheit noch immer für ihr Potential, doch heute wie damals seht Ihr nicht, dass aus ihnen nicht nur Böses entspringen kann.“, antwortete sie betrübt. „Denkt was Ihr wollt. Das Reich der Nesserer wird wieder auferstehen, doch das werdet Ihr nicht mehr miterleben. Ihr werdet hier und heute allesamt scheitern. Euch ist nicht einmal bewusst, dass meine reine Großzügigkeit das einzige ist, was mich davon abhält diesen Ort mit samt seinen Bewohnern auf der Stelle in Schutt und Asche zu legen.“, meinte Ashton und setzte ein arrogantes Grinsen auf.

Atrix schluckte nervös und trat einen Schritt zurück. „Macht ihn lieber nicht wütend, Leute.“, mahnte er seine Gefährten eingeschüchtert. „Ich werde nicht einfach aufgeben, nicht nach all dem was geschehen ist und all dem Opfern die gebracht werden mussten. Ich … bin es mir selbst schuldig.“, meinte Kyren zähneknirschend und formte einen Zauber in ihrer rechten Hand. „Decan! Ich zähl auf dich!“, ergänzte sie lautstark und griff an.
 

Ihre Magie wirbelte nur etwas Staub auf, jedoch genug um Ashton die Sicht zu nehmen. „Lächerlich.“, rief er und konterte mit seiner Magie. Ein Windstoß trieb den Staub vom Schlachtfeld und gab die Sicht auf seine Gegner frei. Decan war schnell gewesen und mit seinen Schwertern in Reichweite gekommen. Dennoch benötigte Ashton nur einen Wimpernschlag um sich auf eine andere Position zu teleportieren. Dort erwartete ihn jedoch bereits ein Feuerball von Kyren und obwohl er traf, zerschellte die Explosion an einer magischen Barriere, die Ashton sich zur Abwehr beschworen hatte.

Atrix schien nicht eingreifen zu wollen und Marian hatte nichts womit sie ihren Gefährten helfen konnte. Dennoch sah sie einen engagierten Kampf zwischen Ashton und ihren Mitstreitern, die auf alle erdenkliche Art versuchten ihn zu besiegen. Schwerthiebe Decans gingen ins Leere und prallten an unsichtbaren Barrieren aus Magie ab. Kyrens Zauber wurden entweder gekontert und zurück geworfen oder verfehlten Ashton. In einer unglaublichen Schnelligkeit gelang es dem Magier immer wieder seine Position zu wechseln, auszuweichen oder Gegenzauber aufzubauen. Egal wie sehr sich die beiden auch mühten, es gelang ihnen nicht ihm auch nur ansatzweise in Gefahr zu bringen. Bald schon steigerte er seine Dominanz darin, Decan und Kyren durch Gegenangriffe in die Defensive zu bringen. Decan steckte immer wieder Treffer von Druckwellenmagie ein, Kyren hatte nun selbst damit zu tun, den Zaubern ihres Gegners auszuweichen.

„Sie schaffen es nicht!“, sagte Marian mit verzweifelndem Blick. Kurz darauf erwischte Decan eine magische Hand, die ihn gänzlich umschloss und gegen eine Felswand wuchtete. Kyren erwischte ein Blitzzauber und warf sie ebenfalls zurück. „Zwecklos, ihr Narren. Wann begreift ihr endlich, dass ihr nicht gewinnen könnt.“, tönte Ashton und ließ keine Anstrengung aus dem Kampf erkennen.

„Kyren? Alles in Ordnung?“, fragte Atrix und half seiner Artgenossin auf. „Ja, es geht schon.“, erwiderte sie angeschlagen. Decan hatte Mühe sich aufzurichten und so wie sein rechter Arm herunter hing, hatte er sich wohl mehrere Knochen gebrochen. Blut lief aus seinem Mund und es war klar, dass er nicht weiter kämpfen konnte.
 

Kyren blieb nicht viel Spielraum. Alles was sie noch tun konnte, war auf die Macht von Asa zu vertrauen, auch wenn sie selbst nicht glaubte, dass sie damit mehr ausrichten konnte. „Gebt auf und ich gewähre Euch einen schnellen, schmerzlosen Tod.“, kommentierte Ashton die Sachlage genüsslich. „Nein! Ich … bin noch nicht geschlagen!“, rief Kyren lauthals zurück und entfesselte die Macht von Asa in sich. Eine unsichtbare Energie schien aus ihr hervor zu sprießen, Winde wirbelten ihre Kleidung und ihr Haar auf, welches sich plötzlich regenbogenfarben färbte. Eine magische Explosion schien durch Kyrens Körper zu fahren und ließ sie erstarken. Einen Augenblick war Ashton erstaunt. Als Kyren sich in eine schützende Hülle schloss und wie ein Geschoss auf ihn zuraste, gelang ihr dadurch auch ein erster Erfolg. Getroffen fiel Ashton zurück, richtete sie jedoch fast genauso schnell wieder auf. „Kyren!“, schrie Atrix begeistert, während Marian etwas überrascht von dem Willen der Elfe wirkte. „Das wirst du büßen, Gör!“, fauchte Ashton und bereitete eine Gegenmagie vor. Fortan verschwanden die beiden Kämpfenden in einem Meer aus Explosionen und Erschütterungen. Es war nicht einmal mehr zu erkennen wer wo genau war oder getroffen wurde, doch die Kampfgeräusche ließen erahnen, dass es mit vollem Einsatz zur Sache ging. Zeitweise entschwebte das Kampfgeschehen gen Himmel wo sie wie zwei tanzende Lichter aufeinander losgingen. Marian nutzte die Gelegenheit um Decan zu Hilfe zu kommen. Seine Wunden mussten versorgt werden, doch kaum hatte sie angefangen einen Heilzauber auf ihn zu wirken, verlagerte sich das Geschehen wieder auf Bodennähe.

Erstmalig gingen Ashton und Kyren auf sichtbaren Abstand und pausierten ihre Angriffe. Beide wurden von ihren Angriffen zurück gerissen und mussten sich mit ihrer rechten Hand im Boden festhalten um nicht allzu weit zurück geworfen zu werden. Ihr Kampf hatte viel Staub aufgewirbelt und die Umgebung durchaus sichtbar in Mitleidenschaft gezogen. Ashton atmete heftig, doch Kyren noch viel schwerer. Es schien fast so als rang sie nach Luft. Atrix wusste, dass sie diesen Zustand nicht ewig aufrechterhalten konnte. Obwohl beide noch standen war der Kampf Sekunden später entschieden. Kyrens Haar färbte sich zurück und die angenehme Aura um sie herum verblasste. „Ich … kann nicht mehr …“, ächzte sie und sackte erschöpft zu Boden.

Ashton richtete sich vollends auf und prangerte sich als Sieger dieser Schlacht an. „Für eine kleine Elfe, war das recht beeindruckend. Jetzt verstehe ich warum Zun dich auserwählt hatte. Dennoch war dieser Ausgang absehbar. Ihr …“, sagte er, bevor seine Stimme plötzlich verstummte. Marian lag ein seltsames Schmunzeln auf den Lippen und er spürte dass etwas nicht stimmte. Ein eigenartiger Schatten breitete sich plötzlich vor seinen Füßen auf der Erde aus und schien das Lich regelrecht zu verschlingen. Der Wind schien zu raunen, fast so als wolle er von etwas unheilvollem ankünden. Aus der Dunkelerheit erhob sich ein Schatten, der schon bald feste Konturen gewann. So wie die Gestalt an Masse gewann, so verschwand der Schatten vom Boden.

Kyrens Augen weiteten sich als sich vor ihr Keith aus dem Dunkel erhob. Sie hatte ihn im Schlachtgetümmel nicht bemerkt, doch seine Hilfe kam gerade rechtzeitig. „Habt Ihr geglaubt, dass ich nicht Vorkehrungen getroffen habe?“, entgegnete Marian Ashton selbstsicher. Er versuchte sich nicht allzu sehr beeindruckt von Keiths Auftritt zu zeigen und machte sich bereit, den Kampf fortzusetzen. „Sieh an – paktierst du nun schon mit Vampiren, Marian?“, gab er harrsch von sich. Gerrard, der sich hinter diesem Namen verbarg schien einen Augenblick lang die Luft zu riechen, bevor er sich auf seinen Gegner konzentrierte. „Eine Schwärze hat sich auf Euer Herz gelegt, Vampir. Ihr … seid nicht … natürlich.“, stellte Ashton nüchtern fest. „Euer Ende wird mich wieder in einen Menschen verwandeln. Und nur der Tod kann mich davon abhalten.“, konterte Keith mit finsterer Stimme und entfesselte eine finstere Magie. Schatten rangen sich aus seinen Händen und fielen wie riesige Wellen auf Ashton nieder, doch er wehrte sie mit einer Gegenmagie ab, bevor sie ihn erreichen konnten. Er realisierte schnell, dass diese Magie nur ein Ablenkugnsmanöver des Vampirs gewesen war um eine andere entfesseln zu können. Eine Schattenwand schloss ihn binnen weniger Sekunden vollkommen ein. Fremdartige Augen bildeten sich in der finsteren Mauer und starrten den Magier zwielichtig an. Kein Licht drang zu ihm hindurch und er sah sich von völlgier Finsternis umgeben. Tentakeln schossen plötzlich aus der Wand heraus und umklammerten den sich heftig wehrenden Ashton, bis er bewegungsunfähig war. Keith machte wirkte eine weitere Magie, durch die der Körper seines Opfers mit Schattenblitzen gepeitscht wurde. Schreie ertönte aus der Barriere, doch Ashton schien sich selbst aus dieser Lage mit seiner Magie befreien zu können. Die Barriere explodierte plötzlich und hinterließ ein Flammeninferno aus dem er als Sieger hervor trat. „Das werdet Ihr büßen!“, fauchte er wütend und griff Keith mit einer Feuerwand, die sich wie vom Wind getrieben auf ihn zubewegte. Keith ließ diese jedoch schnell durch eine Gegenmagie verpuffen und stürmte auf Ashton zu. Dieser beschwor einen Hagel aus Eispfeielen, doch statts dass sie ihr Ziel trafen, teilte sich Keiths Körper in einen Schwarm aus Fledermäusen, die den Eispfeilen davon flogen und seinen Gegner wie ein Schwarm Heuschrecken heimsuchten. Noch während der Magier versuchte sich von den Fledermäusen zu befreien, merkte er wie sich Keith hinter ihm wieder zusammenfügte und eine weitere Schattenmagie durch seinen Körper jagte. Ashton schrie auf, Blut spritzte aus seinem Mund hervor, doch er schaffte es sich erneut zu lösen, indem er Keiths Schulter griff und ihn mit einer Blitzmagie zurück warf. Beide schienen einen würdigen Gegner gefunden zu haben. „Ihr seid stark … doch, dass allein wird nicht reichen um mich aufzuhalten.“, merkte Ashton an.

Kyren hoffte mit Keith eine Chance zu haben und bisher verlief der Kampf durchaus zu Gunsten ihrer Hoffnung. Der Vampir setzte Ashton immer wieder schwer zu. Tentakeln, Schattenblitze und herbei gerufene Spukgestalten, gierten immer wieder nach seinem Leben, doch Ashton wusste sich schlussendlich gegen jede dieser Angriffe zur Wehr zu setzen.

Keith schien es beenden zu wollen und formte eine riesige, magische Kugel in seinen Händen, die so schwarz wie die Nacht war. Ashton reagierte ähnlich und formte ein magisches Geschoss, das so hell leuchtete wie die Sonne. Beide feuerten die Magie nahezu zeitgleich aufeinander ab. Als ihre Zauber sich in der Mitte trafen, explodierten sie und warfen beide Seiten einige Meter durch die Luft. Teile des Canyons wurden durch das Ausmaß der daraus entstehenden Druckwelle wie weggeschnitten und der Boden war an der Stelle der Explosion eingedrückt, als ob er eine Delle hätte. Keith hatte Pech, denn als sich die aufgewirbelten Staubwolken legten, sah man, dass ihm ein Teil seiner linken Körperhälfte fehlte. Geschwächt raffte er sich auf, doch während sein Körper sich langsam wieder regenerierte, erkannte man dass ihn der Angriff sehr geschwächt hatte. Ashton hatte einige kleinere Verbrennungen, schien die Explosion jedoch besser überstanden zu haben. Keith versuchte weiter zu kämpfen, aber er wusste er würde neue Energien brauchen, wollte er dies in die Tat umsetzen. „Ich brauche Blut … Euer Blut!“, lechzte er in Richtung Marian und Kyren, doch bevor er auch nur zwei Schritt näher kam, brach er bewusstlos zusammen und mit ihm die Hoffnung, die Marian gehegt hatte. „Keith!“, rief sie besorgt und verzweifelt zu gleich.
 

„Seht es endlich ein! Man kann mich nicht besiegen. Ich bin so mächtig wie kein anderes Wesen auf dieser Welt. Kein Sterblicher wird mich je besiegen, haha.“, tönte Ashton euphorisch heraus. „Nein …“, seufzte Marian resignierend und senkte ihr Haupt zum Boden.

Atrix hatte bereits aufgegeben als ihm etwas Unerwartetes auffiel. Seine Augen weiteten sich, denn in der sich senkenden Staubwolke hinter Ashton, erkannte er dort die Konturen einer weiteren Gestalt. Noch während Ashton selbstherrlich lachte, bohrte sich plötzlich hinterrücks eine Hand durch seinen Brustkorb.

Sein Lachen war einem schockierten Blick gewichen und er begann zu realisieren was gerade geschehen war. „Was … ist … das ist … nicht möglich.“, ächzte er fassungslos. Augenblicke später zog sich der Arm aus seinem tödlich verletzten Leib wieder zurück und wie die Staubwolken sich legten, so legten sie auch die Sicht auf deren Besitzer frei. Ashton fiel regungslos zu Boden, worauf sich Augenblicklich eine Blutlache unter ihm am Boden bildete. Kyren und ihre Gefährten erblickten einen Mann ganz in schwarz gekleidet. Kyrens Herz raste vor Aufregung, aber auch vor Angst. Sie wusste wer dort vor ihr stand und obwohl sie es nicht glauben konnte, war es bittere Realität. „Sen … wa-was …?“, stotterte sie leise. Sie kannte Sen als Shanes dunkle Seite, die seit je her durch seine Adern geflossen war. Ein Makel, den ihm sein Vater durch das Blut des toten Gottes Bhaal hinterlassen hatte. Sie verstand nicht wie er existieren konnte, hatte sie doch geglaubt das Shane den Fluch seines Blutes endgültig verloren hatte. Kyrens Hoffnung verschwand, denn wenn Sen existierte, entsprachen die Lügen, die Jaygoyle inszeniert hatte, tatsächlich der Wahrheit.

Sen grinste selbstgefällig und würdigte Ashton einen abwertenden Blick. „Wenn kein Sterblicher Euch besiegen kann, dann bin ich wohl ein Gott!“, gab er spöttisch von sich.
 

Marian sah in Kyrens Miene, dass das schlimmst denkbare Szenario überhaupt eingetreten war, denn dieser Mann war mit Sicherheit nicht gekommen um zu helfen. Selbst Atrix wünschte sich Ashton als Gegner zurück. „Habt Ihr wirklich geglaubt, dass es so einfach werden würde, Ashton? Die Welt hat sich verändert, seit Ihr zum letzten mal auf Erden gewandelt seid. Ich jedoch, bin nicht so gnädig wie die kleine Marian und ihr toter Meister.“, sprach er zu den gefallenen Magier und fixierte seinen Blick abschließend auf Marian. Ein unheimliches Grinsen huschte über sein Gesicht, dass ihr die Gänsehaut auf den ganzen Körper trieb. „Ihr seid Sen! Der letzte Abkömmling Bhaals!“, rief sie ihm entgegen als sie begriff was geschehen war. „Ich gebe zu, meine Genialität hat mich selbst etwas überrascht. Ashton war die perfekte Figur in diesem Spiel, denn so wie er wütete, vergaß mich die Welt. Ashton war zu sehr von seinem Traum besessen das Reich Nesseril nach seinen Vorstellungen wieder auferstehen zu lassen – das machte ihn leichtsinnig und unvorsichtig.“, erzählte Sen gelassen. „Was redet Ihr da?“, fragte Atrix verwundert. „Indem er Thay angriff, konnte ich das Durcheinander nutzen die antiken Bibliotheken dieser Magier zu ergründen. Indem er die Bestie unter seine Kontrolle brachte und das Zepter für mich fand, erschuf er eine Waffe, durch die ich diese Welt in die Knie zwingen kann. Seht es von der positiven Seite. Die Zukunft, die Euer Freund Nigel erlebt hat, wird es für Euch nie geben.“, erklärte er und Kyren wusste, dass die Zukunft, die Toril nun blühte um einiges Schlimmer als Ashtons überidealistischen Szenario von einer bereinigten Welt war. „Ach ja, fehlt nur noch das Zepter, Marian.“, sagte Sen mit fordernden Blick und streckte seine Hand in ihre Richtung aus. „Ich gehe nicht davon aus, dass Ihr uns lebend davon kommen lasst, wenn ich es Euch gebe.“, erwiderte Marian stur. Sen lachte kurz und warf noch einmal einen Blick auf den scheidenden Körper des Magiers. „Ich habe nicht vor Euch nur ein Haar zu krümmen, aber dennoch glaube ich nicht dass ihr den morgigen Tag erleben werdet.“, sagte er Gedankenversunken als sich neben ihm aus einem kleinen Stein langsam ein Wesen zu formen begann. „Ich denke, ihr alle kennt Jaygoyle. Er war so frei für mich ein wenig zu spionieren und dürstet bereits danach Euch alle in Fetzen zu reißen.“, kommentierte er dass Erscheinen des Gestaltenwandlers beinah desinteressiert. Kyren schluckte tief als sie den Gestaltenwandler in seiner wahren Gestalt an der Seite Sens erblickte. Sein grau-blauer Körper war mit ansehnlichen Muskeln übersäht, die er hinter einer Ganzkörperrüstung verbarg. Diese wiederum schien ein Teil seiner Haut zu sein. Minütlich schien sich ihre Lage zu verschlimmern. „Ich werde dann schon einmal weiter ziehen. Jaygoyle. Erledige den Rest für mich und bring mir das Zepter.“, gab Sen von sich und deutete dem Gestaltenwandler an, seine Befehle auszuführen. Decan sah sich bei dessen Anblick um seinen Sieg betrogen, obwohl er wusste, dass ihm schwer beizukommen war. „Ich werde Euch töten! Dann schlitze ich euch auf und reiße Euch die Gedärme aus dem Leib.“, drohte Jaygoyle mit finsterer Stimme.

Atrix reagierte überraschend erleichtert. „Puh, da haben wir ja noch mal Glück gehabt …“, deutete er an, worauf er einige fragende Blicke erntete. „… ja, stellt euch mal vor, der würde uns erst aufschlitzen und ausweiden, bevor er uns tötet. Das wäre doch sicher viel schlimmer.“, meinte er und versprühte eine Spur von Zwangsoptimismus.
 

Sen hatte genug gehört und wendete sich ab. „Halt! Ich lasse Euch nicht gehen, Abkömmling Bhaals! Nicht bevor Ihr mir sagt was Ihr vorhabt?!“, schrie Marian, die sich mutig zwischen Jaygoyle und ihre Mitstreiter stellte. Sen, schon im Begriff zu gehen, drehte sich noch einmal um und deutete an, noch einen Moment mit der Vernichtung seiner Feinde zu warten. „Ist das denn nicht offensichtlich? Ich werde mein Schicksal erfüllen. Ashton war der letzte auf dieser Welt, der mich überhaupt noch hätte stoppen können. Ihr habt ihn freundlicherweise für mich geschwächt.“, erklärte er bereitwillig. Kyren spürte, dass er nicht bluffte. Sie biss sich auf die Unterlippe als sie realisierte, dass man ihm die ganze Zeit in die Karten gespielt hatte. So sehr sie Ashtons Ziel auch verachtete, so hätte es Wesen wie Sen, in seiner perfekten Welt nicht gegeben. Sukzessive hätte er Wesen wie ihn und Zun vernichtet und verbannt, doch war ihr der Preis zu hoch. Sie hätte ahnen müssen, dass Shanes Schicksal nach der Schlacht gegen Nerulls Avatar noch nicht besiegelt war. Nur deswegen, so warf sie sich vor, konnte es überhaupt so weit kommen.

„Euer Schicksal?“, fragte Marian ungläubig. „Ja, ich werde dass mir vererbte Recht endlich annehmen und zu einem Gott aufsteigen. Ich werde den Thron meines Großvaters besteigen …. Ich werde zu Bhaal werden!“, erwiderte er die Frage mit strengem Ton. „Es bedarf nicht mehr viel und ich werde aufsteigen! Und während ich als Gott herrsche, wird Jaygoyle über diese Welt dominieren. So ist es abgemacht.“, ergänzte er euphorisch. Kyren wurde nun klar, dass Nigels Vision von seiner Zukunft doch nicht so falsch gewesen war. Jaygoyle konnte jede Form und Gestalt annehmen, wenn er wollte. Als Ashton konnte er erneut seine Anhänger um sich scharen und die Welt nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten. Das musste es sein, was Nigel gesehen und erlebt hatte. „Und nun töte sie! Sie sollen dieses Wissen mit in ihr Grab nehmen!“, wies Sen den Gestaltenwandler an. „Mit Vergnügen!“, erwiderte er freudig und ließ etwas, das einem Grinsen gleich kam in seinem Gesicht erkennen.
 

Marians Augen weiteten sich. „Dieses Wesen ist das pure Böse. Seine Macht ist so stark, dass ich es ohne Magie spüren kann.“, meinte sie und man sah ihr an das ihr übel wurde. „Ich glaube nicht, dass der nun noch auf irgendwas Rücksicht nehmen wird.“, sagte Decan, wissend dass er sich zuletzt nur im Schwertkampf gezeigt hatte. Schon kurz darauf ballte Jaygoyle in seinen Fäusten einige zerstörerische Zauber zusammen, die er auf Kyren und ihre Gefährten abfeuerte. Reflexartig beschworen Marian und Kyren ein magisches Schild und nur mit Mühe hielt es dem Angriff stand. „Arg …wir können Ihn nicht ewig so aufhalten.“, meinte Kyren, wissend, dass sie die einzige war, die ihm mit ihrer Magie vielleicht noch etwas entgegen setzen konnte. „Decan! Wir müssen …“, setzte sie an, bevor sie ein fremdes Gelächter unterbrach. Der Blick aller schweifte nach oben zu einer Felsformation. Dort stand ein Mann ganz in weiß, den Kyren als Weißen Falken kennen gelernt hatte. „Na, na, na. Das wäre doch nicht fair, wenn Ihr Euch an solcher Beute vergreifen würdet, mein lieber Jaygoyle.“, tönte es arrogant herab. Ohne eine Reaktion abzuwarten sprang der Neuankömmling hinab, schwebte dabei jedoch regelrecht zu Boden. Jaygoyle schien einen Moment eingeschüchtert und wich einige Schritt zurück. „Du? Hier?“, rief er aufgeregt.

Sen schien durch diese Störung nicht sehr angetan und forderte eine Erklärung. „Wer ist dieser Narr? Ein Maskierter, der es wagt sich auf die Seite, dieser Streiter zu stellen? Tötet ihn!“, sagte er mit strenger Stimme. Jaygoyle schien zu zögern und meinte sogar ein Grinsen hinter der Maskierung des Meisterdiebes zu erkennen. „Das wird er nicht, werter Sen.“, konterte dieser amüsiert. „Pah, leeres Geschwätz! Greift an!“, befahl der Abkömmling Bhaals verstimmt. „Wrrahhhh! Also schön! Bringen wir es zu Ende! Nur wir beide! Du und ich! Lass es uns ein für alle mal beenden!“, fauchte Jaygoyle säuerlich und ließ seine Kräfte frei. Die Finsternis, die nun von ihm aus ging, ließ Marian zusammen brechen, doch dass interessierte ihn nur wenig. „Sein Maximum an Stärke! Ich bin gespannt.“, meinte Sen zuversichtlich. Kyren und Atrix eilten Marian zur Hilfe. Decan harrte am Rand des Schauplatzes aus. Er wusste, er konnte nichts tun um den Mann in Weiß zu helfen.
 

Mit einem lauten Schrei formte Jaygoyle eine erste Magie, ähnlich wie er sie zuvor auf Kyren und ihre Freunde abgefeuert hatte, doch dieses mal schien sie zahn mal so stark zu sein. Unter der Wucht dieser dunklen Magie, wären Kyren und die anderen wie Streichhölzer gebrochen, doch der Meisterdieb, hob lediglich seinen kleinen Finger an. Vor ihm schoss eine blau leuchtende, durchsichtige Barriere aus Magie aus dem Boden, in der abertausende Runen schimmerten. Die Magie des Gestaltenwandlers verpuffte wirkungslos darin und schien die Barriere sogar noch zu stärken. Jaygoyle erschrak und wusste zunächst nicht, wie er weiter verfahren sollte. „Nun Sen, ich denke, diesen Kampf solltet Ihr selbst austragen. Hier und heute, wird Euch niemand helfen.“, tönte der Weiße Falke selbstsicher. Noch bevor sich Sen dessen Worte bewusst wurde, brachte der Meisterdieb seine Arme fortlaufend in verschiedene Stellungen. Jedes mal wenn eine Haltung erreicht war, schien es eine unsichtbare Magie zu entfesseln. Nach einigen Bewegungen ließ die letzte schließlich sichtbar werden, was er getan hatte. Unter Jaygoyle bildete sich plötzlich ein blauer Runenkreis im Boden, der aus mystischen wie fremdartigen Zeichen bestand. Aus dessen Ecken schossen seltsame Blitze auf den Gestaltenwandler zu, die ihm sichtbar Schmerzen bereiteten. Jaygoyle schrie und schien wehrlos. Wenige Sekunden später umrangen die Blitze seinen ganzen Leib und formten einen bläulichen Kristall um ihn herum. In diesem Kristall war er wie zu einer Steinsäule erstarrt und der Kampf zu Gunsten des Meisterdiebes entschieden. Die Runen verschwanden und mit einem Fingerschnipp des Magiewirkers auch Jaygoyle in seinem kristallinen Gefängnis. „Vorerst ist sein Spuk beendet. Ich habe ihn an einen sicheren Ort gebracht, doch dieser Kampf gehört nun wieder ganz Euch.“, meinte der Weiße Falke in Richtung der Abenteurer. Atrix staunte Atemlos, als der mysteriöse Mann in Weiß wie eine Fata Morgana verschwand. „Warte!“, rief Kyren ihm verzweifelt nach, denn entscheidend gebessert hatte sich ihre Lage noch lange nicht. Sie wusste, dass sich auf seine Hilfe angewiesen sein würde, aber ihr Ruf blieb ungehört. Sens Laune hatte sich sichtlich ins negative geändert. „Das Blatt hat sich wohl doch wieder etwas mehr zu meinen Gunsten gewendet. Nun darf ich Euch doch selbst höchstpersönlich töten. Um diesen Mann in Weiß werde ich mich später kümmern.“, meinte er und ging auf Kyren und ihre Freunde zu.
 

Langsam, beinah genüsslich zog Sen sein Schwert aus seiner Rückenhalterung. „Der Allesschnitter – eine würdige Waffe für Euer Ende.“, meinte er vorfreudig, sich sicher dass er leichtes Spiel haben würde. Decan hatte zwar nur noch einen Arm, mit dem er Kämpfen konnte, aber er fühlte dass er lange genug Tatenlos zugesehen hatte. Nach nur zwei Schritt war sein Angriff jedoch schon wieder beendet. Bevor er realisierte was geschehen war, hatte ihn ein Druckwellenzauber Sens bereits wieder gegen die Wand geschleudert. „Spart Euch Euren Atem. Euer Schwert würde gegen meine Klinge ohnehin nicht halten.“, kommentierte Sen seine Tat nüchtern und zog seine Hand mit der er den Zauber gewirkt hatte wieder ein. Atrix stützte die beinah ohnmächtige Marian ab und versuchte sich hinter Kyren zu halten. Sie konnte Sen mit ihrer Magie nicht viel entgegen setzen, aber vielleicht schaffte sie noch ein Wunder. Wenn jemand ihn aufhalten konnte, dann sie.

„Shane! Dass darfst du nicht zulassen. Kämpf gegen dein Blut an. Lass es nicht zu, ich bitte dich. Wenn du mich hören kannst … bitte, wehre dich.“, flehte sie, den Tränen nah. Sen lachte genüsslich und sah sich in der Pflicht die kleine Elfe über Lage aufzuklären. „Das ist zwecklos, Kyren. Den, den du als Shane kanntest gibt es nicht mehr in mir. Seine Präsenz, alles was je von ihm existiert hat ist ausgelöscht wurden. Egal wie sehr du rufst und weinst. Niemand wird dir helfen – schon gar nicht Shane!“, gab er amüsiert zurück und griff schließlich an. Verzweifelt und mit der Gewissheit dass es sinnlos war an etwas zu appellieren, was nicht mehr existierte feuerte sie ein paar magische Geschosse auf Sen ab. Sein Schwert schnitt ihre Magie entzwei als ob sie feste Materie war. Tränen schossen aus ihren Augen als sein Schwert unmittelbar davor stand ihren Körper zu durchbohren. „Neeeeeiiin!“, schrie sie lauthals heraus. Für einen Moment schien die Zeit für sie still zu stehen. Im Angesicht des Todes begann sie zu bereuen und zu beten. Sie wollte nicht sterben, aber vielleicht, so dachte sie, war es die einzige Erlösung die ihr blieb. Ein Windstoß zischte an ihr vorbei und sie sah wie Sen durch die Klinge eines Zweihänders zurück geworfen wurde. Vor ihr stellte sich auf einmal eine Gestalt, deren Erscheinung ihr suspekt und unwirklich erschien. Sen brauchte einen Moment um sich zu fangen und glaubte nicht recht wen er sah. „Du!“, fauchte er verbissen, während seine Miene sich verfinsterte. Es war Shane, der ihm entgegen getreten war, gerade noch rechtzeitig um Kyren und ihre Mitstreiter zu retten. Nicht nur Kyren blickte verwundert zwischen den beiden Kämpfenden hin und her. „Wie ist das möglich? Zwei Shanes?“, fragte sie sich und für einen Moment glaubte sie verrückt geworden zu sein.

Sekunden später erschien der Meisterdieb erneut und stellte sich neben sie. „Nein, Ihr seht schon richtig. Verzeiht dass ich kurz weg musste, aber ich musste ihn noch herbringen.“, sagte er und tat fast so als wäre alles eine Selbstverständlichkeit gewesen. „Wa-was geht hier vor? Wie kann es Shane zwei mal geben?“, fragte sie aufgeregt. „Ja, Shane. Wie kann es dich zwei mal geben?“, meinte Sen grinsend und gab die Frage an seinen Schützling weiter. Er wollte den Augenblick genießen, wenn Kyren die Wahrheit erfahren würde und sie daran zerbrach.
 

Shane seufzte und senkte sein Haupt. Es fiel ihm schwer die richtigen Worte zu finden, denn gewiss würde seine Antwort Kyren enttäuschen. „Ich bin das was übrig ist. Ein Wesen aus Fleisch und Blut, doch nicht geboren, sondern geschaffen. Eine Kreation des Mannes neben dir.“, erklärte er schließlich und verwies auf den Weißen Falken. Kyren blickte ungläubig wie auch verwirrt auf den Mann neben sich und so sehr ihre Augen nach Antworten verlangten, so wenig gab er ihr diese.

„Also schön, Shane. Was hast du vor? Willst du wirklich gegen mich kämpfen? Für die, die dich verstoßen haben? Was erhoffst du dir?“, fragte Sen, der sich stets kampfbereit hielt. „Meine Existenz ist zwar unnatürlich und ich werde mich nie an das erinnern können, was früher war, aber genauso wenig kann ich zulassen, dass ein Wesen wie du auf dieser Welt wandelt.“, konterte Shane und erhob sein Schwert zu Kampf. „Wenn du mich tötest, tötest du dich selbst. Ich bin das Original! Du bist aus mir entstanden, nicht umgekehrt. Ich trage deine Erinnerungen in mir, nicht du!“, warnte Sen sein Gegenüber. „Ja, und wenn ich sterbe, stirbst auch du … denn ich kann ohne dich genauso wenig existieren wie du ohne mich. Diesen Preis bin ich bereit zu zahlen.“, gab Shane entschlossen zurück.

Kyren glaubte nicht was sie hörte und wandte sich ein weiteres mal an den Mann in Weiß. „Ist das wahr? Was geht hier vor?“, fragte sie, so dass er ihr endlich Antwort gab. „Ich fürchte du musst dich damit abfinden, dass das Blut Bhaals am Ende über den Körper des Halbelfen triumphiert hat. Alle Erinnerungen, alles was du je erlebt hast, hast du mit dem Körper erlebt, den Sen nun innehat. Shane hier, war alles was ich extrahieren konnte, bevor Sen endgültig Kontrolle gewann und alles drohte auszulöschen was Shane jemals ausgemacht hat. Als du Shane auf dieser Reise begegnet bist, dann bist du dem begegnet der nun vor dir steht – doch dieser Mann wird nie eine Erinnerung haben an die Zeit, die du vorher mit ihm verbracht hast. Er ist nur ein Restabbild seiner Selbst und dennoch ein Wesen aus Fleisch und Blut, das eigenständig denkt, eigenständig handelt, eigenständig fühlt. Aber selbst ich weiß nicht genau, welche Konsequenz es hat, wenn einer den anderen tötet – genau das wollte ich herausfinden und Shane war einverstanden mir dabei zu helfen.“, erklärte er nüchtern. Kyren versank in Fassungslosigkeit und versuchte all das zu ordnen was sie eben erfahren hatte.
 

Augenblicke später, schlugen die Klingen der beiden Gegensätze wieder aufeinander. „Also schön! Lass uns herausfinden, was passiert, wenn einer von uns stirbt!“, rief Shane. „Ah, Carsomyr. Das Schwert meines Vaters!“, tönte Sen arrogant zurück und betonte die eigentlichen Besitzverhältnisse. Kurz darauf wuchteten die beiden ihre Waffen immer wieder gegeneinander, bei dem Versuch einen Treffer zu landen. Die Fähigkeiten der beiden Ebenbilder im Schwertkampf vermochten sogar Decan zu beeindrucken. Beide Kämpfer agierten schnell, wussten aber dennoch einander Paroli zu bieten. Jedes mal, wenn man glaubte, ein Schwerthieb würde den Kampf entscheiden gelang es dem Gegner dennoch irgendwie auszuweichen oder den Schlag zu blocken. Sen versuchte öfter Magie zu Hilfe zu nehmen, doch Shanes Carsomyr sog diese einfach auf und neutralisierte sie somit. Das Kampfgeschrei tönte unablässig über das Schlachtfeld, doch egal wie perfekt beide kämpften – einen Sieger brachten sie bisweilen nicht hervor.

Für einen Moment gingen beide auf Abstand um ihre Strategie zu überdenken. „Wie kann ein schwächlicher Wurm wie du mir ebenwürdig sein?!“, fauchte Sen wütend. „Auch wenn du meine Erinnerung trägst und Magie beherrscht, so haben wir dennoch dieselben Fähigkeiten. Immerhin wurde ich aus dir geschaffen!“, entgegnete ihm Shane verbissen.

Kyren wusste dass dieser Kampf kein gutes Ende nehmen würde. Immer wieder schüttelte sie den Kopf und schellte ich selbst. Auch wenn der Shane, den sie kannte zum Teil mit Sen verloren gegangen war, so stand ein Teil von ihm noch immer vor ihr und setzte sich für eine gerechte Sache ein. Alles was sie in den letzten Wochen erlebte hatte, war ehrlich gewesen. Auch ohne sein Gedächtnis war er ein durchaus achtenswerter junger Mann geworden. Er war alles was von Shane übrig war und vielleicht mehr Shane als jemals zuvor. Sie konnte nicht zulassen dass er auf die ein oder andere Weise in diesem Kampf sterben würde.

Als die beiden Halbelfen erneut aufeinander losstürmen wollten unterbrach sie der Aufschrei der Elfe. „Hört auf!“, rief sie so laut sie nur konnte. Ihre Worte hallten durch das ausgetrocknete Tal wie ein Echo der Götter. Verwundert drehte sich Shane zu ihr um und blickte in die Augen eines weinenden Mädchens. „Es ist mir egal, was du bist. Für mich zählt wer du bist, Shane. Ich lasse nicht zu, dass du dein Leben in diesen Kampf gibst! Du hast es verdient zu leben.“, sagte sie und wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. Der Weiße Falke schien ihre Worte weniger förderlich zu empfinden und widersprach. „Lass dich nicht verwirren! Wir hatten eine Abmachung. Selbst wenn du deine Waffe niederlegst, könnte Sen sich das zum Vorteil machen und jeden töten, der dir nahe steht!“, mahnte er seinen Schützling. Sen wollte die Gelegenheit nutzen und feuerte eine dunkle Magie auf sein Ebenbild ab. Shane reagierte jedoch schnell genug um den Angriff mit seinem Schwert abzuwehren. Dennoch war der Aufprall des Zaubers hart genug um ihn zurück zu werfen, genau vor die Füße seiner einstigen Gefährtin. „Du lässt dich von deinen Gefühlen leiten, Shane. Das war schon immer deine Schwäche.“, kommentierte Sen das Geschehene. Kyren half Shane auf, aber er schien gar nicht auf ihre Hilfe angewiesen zu sein. „Du musst vergessen Kyren …lass los und vergiss mich. Diese Welt braucht eine Zukunft, selbst wenn diese ohne mich sein wird.“, sagte er mit sanfter Stimme und widmete sich wieder seinen Gegner. Marian trat mit Atrix und Decan an Kyrens Seite, hoffend ihr Trost und Mut spenden zu können. „Ich weiß dass es nicht leicht ist einen Freund gehen zu lassen, aber er ist unsere einzigste Hoffnung.“, meinte Atrix, doch Marian wusste ihm zu widersprechen. „Nein, es gibt noch eine Option.“, sagte sie mit ernster Stimme und zog somit die Blicke auf sich. Dennoch blieb ihr nicht viel Zeit zum reden, denn Sen griff nun auf schmutzige Mittel zurück um den Kampf für sich zu entscheiden.

Noch bevor Shane zum ersten Schlag ausgeholt hatte, hatte Sen die Gelegenheit genutzt eine Magie in Richtung der Elfe und ihren Gefährten zu feuern. Die Explosion warf Kyren und die anderen um. Lediglich der Weiße Falke nutzte die Gelegenheit sich nach oben aus dem Kampf zurück zu ziehen. „Du solltest dir gut überlegen ob du weiter kämpfst. Beim nächsten mal ziele ich nicht daneben. Du kannst nicht alle retten.“, tönte Sen selbstsicher und hielt sein Ebenbild somit erst einmal auf Distanz. Shane senkte sein Schwert und zweifelte immer mehr an sich selbst. Immer wieder fragte er sich ob der den Tod von vielen genauso verantworten konnte wie den Tod seiner Freunde.
 

Mühsam rappelte sich Kyren auf und sah mit an, wie Sen seinen Gegner mit einem Tritt gegen den Brustkorb zurück wuchtete. Er hatte sich nicht gewehrt und ihr war klar, er tat dies um sie alle zu beschützen. „Fein! Dann sind wir uns einig. Für’s erste werde ich Euch verschonen.“, meinte Sen arrogant.

„Ihr werdet damit nicht durchkommen!“, spie ihn Marian wütend entgegen, die sich beim Aufprall an der Stirn verletzt hatte. „Oh doch, das werde ich. Es gibt niemanden mehr der über die Mittel und die Macht verfügt mich aufzuhalten. Ich bin …“, erwiderte er, bevor er auf einmal seinen Satz abbrach. Auch wenn sein Kopf sich nicht drehte, so wanderten seine Augen langsam nach rechts. Hinter ihm, aus dem Schatten der Schlucht trat eine Gestalt mit einem Stab und edlen Gewand. „Seid Ihr Euch da sicher?“, fragte der Fremde. Sen schien von Angst erfüllt und wagte sich kaum umzudrehen. „I-Ihr … ich kenne …“, stammelte er. Schließlich trat die Gestalt ins Licht und ließ auch Kyren und Marian die Augen weiten. „Das ist nicht möglich … ich habe Euch … ihr wurdet ….“, stotterte Kyren fassungslos als sie das Gesicht des Mannes sah. „Adrian …“, gab Marian erleichtert von sich. Sein langes Haar wehte in Sens Richtung, fast so als wollte es nach ihm greifen. Die Sonne spiegelte sich in seiner halterlosen Brille und ein selbstsicherer Blick entsprang aus seinen Augen.

„Es wird immer schlimmer als das es besser wird.“, seufzte Kyren verzweifelt, wurde jedoch von ihrer Gefährtin wach gerüttelt. „Nein, du verstehst nicht. Er ist nicht mehr der Lich, den du kanntest. Er ist erneuert, er ist … zurück gekehrt.“, gab sie mit strahlender Miene von sich. „Soll das heißen … er wird uns helfen?“, wunderte sich Kyren.
 

Sen stolperte währenddessen einige Schritt zurück und versuchte den näher tretenden Magier mit seinem Schwert auf Distanz zu halten. „Nein! Wie ist das möglich? Die Elfe und Jaygoyle haben Euch doch besiegt?! Ihr wart vernichtet!“, gab er aufgeregt von sich. Er realisierte dass es nicht besonders klug gewesen war, die einstige Schülerin des Mannes zu verletzen, den man einst selbst, die Bestie Faerûns genannt hatte.

Adrian schmunzelte genüsslich und klärte Sen kurzerhand auf. „Einem Lich den Kopf abzuschlagen und seinen Körper zu vernichten, hat nicht denselben Effekt wie dies mit einem Menschen zu tun. Ich gebe zu, ich habe es Diron zu verdanken dass ich wieder in dieser Gestalt auf Erden wandeln kann. Ihr erinnert Euch an Diron?“, entgegnete er beinah freundlich. „Dieser dreckige Nekromant …“, fluchte Sen in sich hinein. „Nun? Wollen wir herausfinden ob man Euch besiegen kann?“, fragte Adrian mit zwielichtigen Blick und fixierte seinen Stab auf ihn. Dieses mal war es Kyren die Sens Leben schützen wollte. „Nein! Nicht!“, schrie sie lauthals dazwischen. „Ihr dürft ihn nicht töten! Dann stirbt vielleicht auch Shane!“, ergänzte sie rasch, worauf Adrian seinen Stab schmunzelnd zurück zog. „Das ist mir bewusst. Eigentlich hatte ich auch nicht von mir gesprochen, kleine Elfe. Ihr seid es, die über Leben und Tod dieser Halbelfen entscheidet. Die Lösung dieses Konflikts liegt in Euch selbst.“, sagte er und nickte ihr zu.

Sen ballte seine ganze Stärke zusammen, denn Kampflos wollte er sich gegen Adrian nicht geschlagen geben. Er wusste wer sein Gegner war, aber sein Stolz ließ ihn nicht zögern anzugreifen. Sein Gegner wusste sich zu wehren und warf den anstürmenden Sen mit einer Magie zurück. Sen verletzte sich beim Aufprall mit seinem eigenen Schwert am Arm. Die Wunde war nicht schlimm, doch auch Shane fasste sich an den Arm, obwohl er gar nicht verwundet war. Abermals ballte Sen seine Energien und schrie seine Wut heraus. Seine Augen leuchteten purpurrot und seine Stimme wurde finsterer. „Ich lasse mich nicht aufhalten! Ich bin ein Gott!“, rief er wutentbrand. Im selben Augenblick begann Kyren zu verstehen was Adrian ihr zu sagen versucht hatte. Sie spürte seine Präsenz in ihren Kopf, die ihr genauste Anweisungen gab. Hektisch lief sie zum Kampfgeschehen und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. „Hey Sen! Ich sorge dafür dass du in der Hölle schmorst!“, rief sie ihm zu und entfesselte ein weiteres mal die Macht von Asa. Dieses mal färbten sich ihre Haare nur kurz regenbogenfarben. Kyren schloss ihre Augen und leitete all die Macht, die Asa ihr gab, all die Macht, die Asa ausmachte aus ihr heraus, so dass diese sich über ihren Händen in einen Ball aus Energie formte. Kyren feuerte das Geschoss mit all ihrer Kraft auf den überraschten Abkömmling Bhaals. Noch bevor der wusste was sie getan hatte, war er durch das göttliche Geschoss getroffen. Die Macht, die ihn durchfloss, war alles was ihm vom Aufstieg zum Gottsein fehlte. Augenblicke lang fühlte er sich unbesiegbar, unsterblich und vollkommen. „Hahahaha! Närrin! Mit dieser göttlichen Macht kann nichts mehr meinen Aufstieg verhindern!“, gab er lachend von sich. „Und wie du aufsteigen wirst.“, erwiderte Kyren selbstsicher, die vor Erschöpfung zusammen sackte. Sen, eben noch in Euphorie, bemerkte recht schnell dass etwas nicht stimmte, denn wo eben noch ein Gefühl von Macht herrschte, füllte sich sein Körper nun mit schier endlosen Schmerzen. Blitze schossen aus seinem Körper heraus und bereiteten ihm unermessliche Qualen. „Nein! NEIN! NEEEIIIN!“, schrie er verzweifelt als er realisierte, dass eine solch reine Energie wie die von Asa sein innerstes zerfraß. „Was passiert da?!“, fragte Shane irritiert. „Die Macht, die ihn nun in die Welt der Götter reißt, reißt auch seinen Verstand auseinander. Ein Wesen mit seiner finsteren Natur, kann mit der Macht Asas niemals in Einklang existieren. Er wird den Thron Bhaals besteigen … als wimmernder, lahmender Gott, zu blind und taub um wahr zu nehmen, was um ihn herum geschieht.“, erklärte Adrian und stampfte mit seinen Stab auf. Kurz darauf verschwand der sich windende Sen in einen Strahl aus Licht gen Himmel. Danach wurde es ruhig und ein jeder begann langsam zu begreifen, dass man gesiegt hatte. Kyren wagte erst gar nicht sich umzudrehen, doch dass Shane noch unversehrt dort stand, gab ihr die Gewissheit richtig gehandelt zu haben. Abermals wendete sie sich Adrian zu und wusste ihren Dank kaum in Worte auszudrücken. „Ich danke Euch … es … ohne Euch …“, sagte sie, wurde aber jäh unterbrochen. „Nun, ich würde sagen wir sind quitt, Mädchen.“, meinte er nüchtern. Marian schien vor Glück zu weinen, auch wenn niemand verstand, dass es wegen Adrian war. „Ich danke Euch, Meister.“, sagte sie leise und griff sich an ihr Herz. Sie wusste, dass er wegen ihr gekommen war und es fühlte sich gut an, zu wissen dass ihm etwas an ihr lag. Shane wusste zunächst gar nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. „Wow … das heißt, das war’s? Ich bin frei? Es ist also vorbei?“, fragte er sich. „Ja, es ist vorbei und du kannst sein, kannst leben wie immer du willst.“, erwiderte Kyren und schenkte ihm das herzlichste Lächeln, dass sie noch aufzulegen vermochte. Sekunden später wurde ihr schwarz vor Augen. Die Anstrengungen ihres letzten Zaubers, hatten ihr zu viel Kraft gekostet. Nun schlief sie friedlich auf dem Boden des Kampfschauplatzes und träumte von einer besseren Welt.
 

Marian wusste dass es noch viel zu tun gab. Sie hoffte dass nicht allzu viele von Ashtons Angriff mitgenommen waren. Die Lazarette würden an diesem Abend sicher voll sein. Dennoch vermochte dieser Sieg all die Schmerzen und Wunden vergessen zu machen. Nachdenklich trat sie an Ashton heran und wischte ihm etwas Staub vom Gesicht. Obwohl die Wunde jeden anderen sofort getötet hatte, schien er bisher überlebt zu haben, auch wenn sein Körper langsam aber sicher dahin schied. Adrian gesellte sich zu ihr und beide schienen zu wissen, welches Schicksal sie für ihn vorgesehen hatten.

Epilog & Nachwort

Epilog
 

Die Siegesfeiern in Tiefwasser waren ausgelassen und sollten mehrere Tage andauern. Menschen, Elfen, Zwerge, Halblinge und Gnome saßen in einer großen wie prächtig geschmückten Festhalle geeint nebeneinander. Es wurde getrunken, gegessen, gelacht, getanzt und gesungen. Kyren blickte zufrieden durch die Reihen. Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Es fühlte sich gut an etwas bewirkt zu haben, was alle Differenzen zwischen Völkern und Gruppierungen beiseite zu legen vermochte. Gerrard saß am Kopfende und spielte mit einigen anderen Barden einige fröhliche Melodien auf seiner Laute. Marian hatte erzählt, dass sie ihn vom Vampir-Dasein befreien konnte und wie es schien hatte sie ihr Versprechen ihm gegenüber eingehalten. Kyren hatte erst nach der Schlacht erfahren, dass er als Keith auf ihrer Seite gekämpft hatte und wie es kam, dass er noch lebte. Zu ihrer linken saßen Jason und Zelda. Sie hatten den Kampf vergleichsweise unbeschadet überstanden und feierten ausgiebig mit ihren Tischnachbarn. Ihnen gegenüber saß Jáin, der Halb-Drow, mit dem sie einige Zeit lang gereist war. Er trug noch eine Binde vom Kampf um den Arm, ließ sich aber davon nicht die Feierlaune verderben. Neben ihn saß Mitch, der Jason immer wieder zu einem Trinkduell heraus forderte, nachdem er am Zwergentisch gegen Baram bereits haushoch verloren hatte. Obwohl er und Larissa nicht wieder zueinander fanden, lachte sie herzlich über jeden seiner Witze. Kyren bermerkte, dass sie ihm hin und wieder verträumt in die Augen blickte. Kyren gegenüber saßen Atrix und Salina. Die beiden Elfen schienen an diesem Abend näher zueinander zu finden, auch wenn Kyren hätte hin und wieder darauf hinweisen sollen, dass die meisten der glorreichen Heldengeschichten, die Atrix der Waldläuferin erzählte, frei erfunden waren. Decan bevorzugte es, etwas abseits vom Gelage zu stehen und starrte gedankenversunken aus dem Fenster. Sein rechter Arm war bandagiert, ebenso seine Stirn. Seine nicht enden wollende Düsterheit, schien auch in solchen Momenten nicht aufzulockern. Wahrscheinlich grämte er sich, weil er im Kampf nicht gesiegt hatte. Kyren bemerkte das Shanes Platz neben Salina frei war. Ihr war bei all dem Trubel nicht aufgefallen, dass er aufgestanden war. Ihr Lächeln verschwand langsam und sie fühlte, dass sie etwas frische Luft schnappen musste. Vielleicht, so hoffte sie, würde ihr Shane auf dem Weg ja begegnen.
 

Draußen war es schon beinah kalt, denn die Nacht hatte Einzug gehalten. Der Himmel war sternenklar und der Blick auf die Lichter der Stadt ließ Kyren sich verträumt auf das Geländer eines Balkons stützen. Sie genoss den Augenblick der Ruhe und atmete tief ein. Als sie nach unten blickte, entdeckte sie Shane, der auf der Treppe zum Eingang des Gebäudes saß. Er schien in Gedanken versunken und Kyren wusste, dass diese Tage die schwersten für ihn sein würden. Sie erforschte Ihre Gefühle und wusste dass sie jetzt bei ihm sein wollte. Dennoch hatte er sicher nicht vergessen, was sie ihm angetan hatte und alles was sie nun noch hoffen konnte, war dass er ihr eines Tages verzeihen könnte.

Atrix stieß zu ihr auf den Balkon hinzu, wagte aber nicht näher an sie heran zu treten. Er schien zu wissen was ihr Kummer bereitete und versuchte sie mit einem Lächeln zu trösten als sie sich zu ihm umdrehte. „Weißt du, es gibt da noch etwas was ich dir sagen wollte, Kyren.“, setzte er an und versuchte nicht so offensichtlich rot anzulaufen. „Atrix? Ein weiterer Heiratsantrag?“, erwiderte Kyren schmunzelnd. „Nein. Ich weiß wem dein Herz gehört und ich glaube du solltest etwas wissen.“, gab er zögerlich zur Antwort, was Kyren nun selbst etwas Röte in die Wangen trieb. „Auch wenn Nigel heute nicht mit uns feiern kann … als er starb, bat er mich dir noch etwas zu sagen.“, ergänzte er schüchtern, bevor sich seine Miene festigte. „Nigel …“, wisperte Kyren vor sich hin. Sie hatte nicht vergessen, was er für sie getan hatte und sie war sich sicher dass es ohne ihn nie eine Feier gegeben hätte. „Deine Tochter … Kyren …“, setzte Atrix an und hielt kurz inne. „Das Mädchen das Nigel liebt …“, fuhr er fort, worauf Kyrens Augen sich immer mehr weiteten. „… ihr Name ist Alexandra.“, ergänzte Atrix und brachte seine Aussage schlussendlich zum Abschluss. Kyrens Mund stand sperrangelweit offen. Langsam begann sie zu realisieren, was Nigel ihr damit zu sagen versucht hatte. Dies war der Name von Shanes verstorbener Schwester und sie wusste dieses Zeichen zu deuten. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie Angst hatte, es würde aus ihrer Brust springen. Sie begann zu realisieren was all das für ihre Zukunft zu bedeuten hatte. Nichts konnte sie nun noch davon abhalten nach unten zu Shane zu laufen. „Danke, Atrix!“, sagte sie und drückte ihm im vorbeilaufen einen Kuss auf die Wange. Dieser war ganz hin und weg, raufte sich dann jedoch plötzlich durchs Haar. „Verdammt, ich hätte mehr heraus schlagen können als das.“, ärgerte er sich, doch schon im nächsten Moment war er glücklich ihr damit geholfen zu haben.
 

Shane betrachtete seine Hände als ob sie nicht die seinen wären. Er war dankbar dass er lebte, aber fühlte sich seine Existenz falsch an. Die Leute, die ihm herzlich auf die Schulter geklopft hatten, die ihn länger kannten als er selbst – es waren Fremde für ihn, deren Freundschaft er nicht so einfach erwidern konnte. Lediglich Kyren hatte er auf seiner Reise ins Herz geschlossen. Er fühlte dass er sie kannte, doch nun wo sie wusste was er war, war es fraglich ob für ihn noch eine Zukunft bestand. Sie hatte ihn bereits einmal verstoßen, wenn gleich ihm bewusst war, dass man sie getäuscht hatte. Er resignierte und fühlte dass er niemanden hatte, dass er ganz allein auf dieser Welt war. „Shane …“, tönte es plötzlich hinter ihm hervor. Die sanfte Stimme konnte er rasch Kyren zuordnen und er hörte sie gerne so seinen Namen sagen. Kyren ging um ihn herum und stellte sich vor ihm auf eine Treppenstufe. „Was machst du denn hier ganz allein?“, fragte sie und legte ein aufmunterndes Lächeln auf. „Ich fühle, ich gehöre nicht dort hin, Kyren. Diese Leute sind mir fremd … ich kenne mich ja nicht einmal selbst.“, antwortete er betrübt. „Deine Erinnerungen an früher mögen zwar verloren sein, aber du kannst dir neue schaffen. Außerdem hast du ja mich.“, meinte sie frech zwinkernd und hockte sich auf seine Augenhöhe. Shane schmunzelte kurz als er ihr in die Augen sah. Sie hatte Recht. Er hatte sie kennen und lieben gelernt, in der Zeit in der er mit ihr gereist war. Dennoch hatte er Zweifel ob sie ihn zurück lassen würde, wenn die Feiern vorrüber waren. „Ich bin gerne mit dir gereist. Ich habe dir mehr als mein Leben zu verdanken und fühle mich dir verbunden. In manchen Nächten, während unserer Reisen wollte ich meine Hand auf deine Wange legen um dir näher zu sein. Du hast mir geholfen mein wahres Dasein zu ergründen, hast mir in vielen Momenten beigstanden … und dennoch … du bist eine Prinzessin, durch deine Taten eine Inspiration für dein Volk. Und ich? Ich bin nicht der, den du kanntest, ich bin nicht mal ein richtiger Elf, würdig an deiner Seite zu sein. Ich wünschte ich …“, sagte er, bevor seine Worte verstummten. Kyren fühlte dass es keiner Worte mehr bedarfte und legte ihre Hand auf seine Wange. Shane schrak kurz auf und versuchte den Moment festhalten zu können. „Du bist alles was ich liebe, nur das zählt.“, flüsterte sie errötet in sein Ohr. Beide schlossen sich in die Arme und es war fast so als wollten sie sich nie wieder loslassen. Ein sanfter Kuss besiegelte, was ungesagt blieb.
 

Marian hatte das Gesrpäch der beiden vom Balkon aus beobachtet und lächelte vergnügt in sich hinein. „Wurde aber auch Zeit, ihr beiden.“, dachte sie leise vor sich hin. Sie entschied sich die beiden nicht zu stören und zog sich glücklich pfeifend in die Hallen zum Feiern zurück. Diese Geschichte sollte ein Ende finden, doch Faerûn hielt noch unzählige weitere Abenteuer bereit.
 


 

Nachwort:

Nachdem mir ausgerechnet die finale Episode durch Probleme mit der Festplatte verloren gegangen war, hatte ich natürlich ein ziemliches Motivationsproblem. Ich konnte auch den damaligen Status kein zweites mal so erreichen, hoffe aber zumindest einigermaßen nah heran gekommen zu sein.

An dieser Stelle endet die Geschichte um Kyren und ihre Abenteuer. Es gibt vielleicht noch mal ein Special. Über die Jahre sind mir die Charaktere irgendwie ans Herz gewachsen, aber ich finde, dass auch sie ein ordentliches Ende verdient haben, dass ihnen hiermit gewährt ist. Vielen Dank an alle Leser.



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