Mein Pol der Ruhe von Ouka31 (oder auch: warum ich Vorträge hasste) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Schon immer hatte ich Vorträge gehasst. Auf meiner alten Schule hatte ich immer das Gefühl, dass die Leute mir gegenüber entweder schliefen, quatschten oder mich nieder starrten, in der Hoffnung, die Zeit würde so schneller vergehen. Vor allem letzteres – diese intensiven und doch leeren Blicke – verabscheute ich zutiefst. Immer redete ich zu schnell, vergas Betonungen und lies mich auch von keinen noch so besänftigenden Worten der Lehrer beruhigen. Jetzt hatte ich die Schule gewechselt, doch auch hier kam ich nicht um einen Vortrag herum. Waren es jedoch damals 20 Schüler, denen ich gegenüber gestanden hatte, saßen jetzt 30 Leute vor mir, die alle nur auf eines warteten: Das Ende ihres Vortrages. Und das, obwohl ich noch nicht einmal begonnen hatte. Also fing ich an, merkte, dass sich schon nach dem ersten Satz meine Redegeschwindigkeit proportional zum Puls erhöhte und starrte an die mir gegenüberliegende Wand, fest entschlossen, ihr alles zu erzählen, was man über Goethe und sein Liebesleben sagen konnte. Doch dann schweifte mein Blick kurz über die Ansammlung der mir noch unbekannten Gesichter und der Entschluss, weiter die weiße Raufasertapete anzusehen, schmolz dahin. In der vorletzten Reihe saß eine Elfenfee, dessen war ich mir sicher. Mit sanften Lächeln sah dieses überirdische Geschöpf mich an, schaute interessiert direkt in meine Augen. Ich merkte, wie mein Sprechtempo sich langsam wieder dem normalen menschlichen Gehör anpasste und ich es sogar schaffte leicht zu lächeln. Mein ganzes Denken konzentrierte sich nur auf die Fee, mein Puls normalisierte sich und mein Pol der Ruhe, meine Elfe, wurde zum Mittelpunkt des Universums. Ihre langen dunkelbraunen Haare umrahmten sanft ein wunderschönes Gesicht mit tiefbraunen Augen, in denen ich das Gefühl hatte zu versinken. Zum Glück hatte ich den Vortrag praktisch auswendig gelernt, so musste ich meinen Blick nur zweimal kurz von der Fee lösen, um anschließend noch tiefer einzutauchen in diese magische Welt, in die sie mich geführt hatte. Nach etwa zehn Minuten hatte ich meinem Engel alles erzählt, was man über Goethes Liebesleben wissen musste und ging – noch leicht benebelt – zu meinem Platz. Aber auch auf dem Weg dorthin konnte ich meinen Blick nicht von der Elfenfee lösen, erst als ich mich – zur Lehrerin gedreht – setzen musste, brach der Kontakt ab. Der Unterricht verlief normal weiter, bis ich auf einmal von hinten angetippt wurde und mir jemand ein Zettelchen gab. Ich faltete es auseinander und las: „Danke für den schönen Vortrag. Ich bin übrigens Caro.“ Ungläubig drehte ich mich um und sah nach hinten, doch als ich die Fee lächeln sah, konnte ich nicht anders und tat es ihr gleich. Vielleicht waren Vorträge ja doch nicht so schlimm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)