Mein Tischnachbar ist ein Idiot! von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 11: ------------ Am Montag kam Johannes in den Klassensaal und wunderte sich, dass ihm bisher nicht die gewisse Person über den Weg gelaufen war, aber auch an ihrem Zweiertisch saß niemand, der ihn augenblicklich den Tag vermiesen wollte. Mysteriös. Entweder schwänzte Tobi oder war krank. Lief beides auf dasselbe hinaus, jedenfalls freute sich Johannes insgeheim, heute keinen Terrorattacken ausgeliefert zu sein, passierte ihm in letzter Zeit ja noch ziemlich oft. „Vielleicht hat er nur verschlafen“, bremste Tanja Johannes’ Glücksgefühl, als sie sich an den Tisch lehnte und eingehend die Uhr über der Tafel betrachtete. Konnte sie seit neustem Gedanken lesen? „Ihm bleiben noch drei Minuten.“ Allerdings tauchte er nach dieser Zeitspanne immer noch nicht auf, was Tanja dazu bewog, von ihrem eigentlichen Platz zu Johannes umzuziehen, obwohl ihre Nachbarin das nicht sehr nett fand, jetzt durfte sie sich nämlich langweilen. „Ich glaub, ich besteche Herrn Köhler, dass ich immer hier sitzen darf“, flüsterte Tanja Johannes zwanzig Minuten später zu, während sie irgendwelche hochinteressanten Sätze mit den passenden Verben ergänzen sollten. „Dann lebst du länger, ich kann dir in Englisch helfen und sonst gibt es nur Vorteile.“ „Und was ist mit Lisa? Die darf sich dann mit Tobi herumschlagen oder was?“ Johannes kritzelte irgendeine Verbform in die vorgegebene Lücke und schaute auf Tanjas Blatt, um ihre Lösungen miteinander zu vergleichen. „Nein, Tobi bekommt seinen Einzeltisch vorne im Eck und Lisa... die sitzt halt allein, wird sie schon aushalten.“ Tanjas tolle Theorien. Erstens würde Herr Köhler nie auf diese Anregung eingehen und zweitens kannte Tanja ihre Sitznachbarin Lisa gut genug, um zu wissen, dass dieser ohne passendem Partner Gesprächsentzug während der Stunde drohte. Ein Räuspern ließ die beiden aufsehen. „Ich möchte ja nicht eure Teamarbeit unterbrechen, aber wenn ihr das nicht sofort einstellen, könnt ihr euch gleich wieder umsetzen.“ Leider wussten die beiden, dass Herr Köhler diese Drohung nur zu gerne wahrmache, weil sonst alle anderen ebenfalls auf die Idee kamen, mit ihrem Nachbarn spannende oder eher weniger spannende Neuigkeiten auszutauschen und somit ihrem Lehrer auf der Nase herumtanzten. Nerven strapazieren leicht gemacht. Tanja murmelte etwas, was sich stark nach „Sie haben eh keine Ahnung von nichts“ klang und Johannes schrieb die restlichen Sachen von ihr ab, da er ehrlich gesagt dabei keinen richtigen Durchblick hatte. Englische Grammatik war eins der wenigen Mysterien, die es für ihn im Unterricht gab, gleich gefolgt von Musiktheorie – Intervalle und solche schrecklichen Verbrechen an Schülern –, die ihm leider nicht mal Tanja erklären konnte. Der Dienstag hob sich ebenfalls nur durch Tobis Abwesenheit von der vorigen Woche hervor, denn es passierte absolut nichts Neues, Umwerfendes oder Katastrophales, außer dass Johannes nun noch einmal neben Tanja hockte und sie ihre hilfreiche Partnerarbeit in den meisten Fächern fortsetzen, zumindest wenn der Lehrer pennte und es nicht bemerkte. „Johannes, könntest du Tobias die Hausaufgaben vorbeibringen?“, wurde er nach der vierten Stunde von seiner Geschichtslehrerin, einer sehr sozial angehauchten Frau Anfang dreißig, gebeten, die sich nämlich sehr sicher war, dass das sonst niemand tun würde. Besonders beliebt war Tobi schließlich nicht in der Klasse, was er allerdings selbst verursacht hatte. „Wenn es sein muss“, antwortete Johannes nicht begeistert, aber da er seine Note im Sozialverhalten nicht deswegen negativ beeinflussen wollte, blieb ihm keine andere Möglichkeit. Außerdem würde ein kurzer Anruf niemanden umbringen, außer Tobi besaß die Fähigkeit per Telefon Gewalt auszuüben. Eher unwahrscheinlich. „Bist du ab jetzt der Telefondienst?“, stichelte Tanja gehässig. „Wirst ja immer mehr bestraft.“ „Solange ich nicht sein Zimmer aufräumen muss oder so, geht’s noch.“ „Gute Idee, ich werde es Tobi gleich heute vorschlagen.“ „Nein, wirst du nicht. Du weißt ja nicht einmal seine Nummer.“ Und Johannes bezweifelte stark, dass Tanja ihre Zeit verschwendete, indem sie die Nummer im Telefonbuch oder im Internet suchte. Dumm gelaufen, wenn es keine Klassenliste mit Telefonnummer und anderen Daten gab, weil sich keiner dafür zuständig gefühlt hatte und auch die Eltern nicht daran interessiert gewesen waren. „Du etwa?“, lautete ihre Gegenfrage. „Naja... nicht direkt, aber Sarah hat mir doch seine Handynummer in die Hand gedrückt, ich probiers mal da.“ Ob er das unbeschadet überlebte? „Mal sehen, was Tobi davon hält. Ich wäre an seiner Stelle sehr sauer, wenn meine kleine Schwester meine Handynummer an jeden vorbeilaufenden Freak weitergibt.“ „Danke für dieses freundliche Kompliment“, brummte Johannes und nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche. „Ich werde es früh genug merken, wie er reagiert. Und außerdem hast du nicht mal eine Schwester, die das machen könnte.“ „Ich hab halt Glück“, grinste Tanja und piekte ihm in die Seite, um ihn noch ein wenig mehr zu ärgern. Wenn schon, dann richtig. Nach dem Mittagessen setzte sich Johannes an seinen Schreibtisch, legte den Zettel vor sich und tippte die darauf stehenden Ziffern in das schnurlose Telefon ein. Hoffentlich kam nicht gleich Vera oder seine Mutter angerannt, weil sie auch ganz zufällig telefonieren wollten. Johannes wartete nervös auf ein Zeichen und wollte nach dreißig Sekunden schon auflegen, als am anderen Ende abgenommen wurde. „Ja?“ „Äh, Tobi?“ Irgendwie klang er heute seltsam, vielleicht lag es daran, dass er nicht wusste, mit wem er sprach. „Wer denn sonst?“ Johannes wurde es von Sekunde zu Sekunde unwohler. Etwas stimmte nicht, das merkte er. Noch ein Grund, weshalb er telefonieren nicht mochte: man konnte seinen Gesprächspartner nicht sehen und dessen Gemütszustand nicht einschätzen. „Hallo, wer ist da überhaupt? Antworte mal, du Flasche.“ „Ich bins, dein geliebter Tischnachbar, ich muss dir die Hausaufgaben sagen.“ Tobi begann ohne Vorwarnung ihn anzuschreien, sodass Johannes erschrocken das Telefon aus der Hand rutschte und es auf die Tischplatte knallte. Anscheinend ging es ihm doch nicht so schlecht wie angenommen, wenn er wieder seiner Lieblingsbeschäftigung nachging. „... bist schuld“, verstand Johannes noch, als er endlich den Hörer aufsammelte und ihn mit leichter Distanz von seinem Ohr hielt. „Was hast du gesagt?“ „Mach dich nicht über mich lustig, du verdammter Wichser.“ Das Gezeter steigerte sich weiterhin, bis Tobi plötzlich in unkontrolliertes Schluchzen ausbrach und unzusammenhängende Beleidigungen verteilte. Entsetzt schüttelte Johannes den Kopf. Wenn Tobi schon anfing zu heulen, musste wirklich etwas passiert sein, nur leider wusste er bis jetzt noch nicht den Grund, da gewisse Personen sogar in solchen Situationen lieber herumwüteten wie der letzte Irre statt Klartext zu reden. „Jetzt krieg dich mal wieder ein und benehm dich wie ein zivilisierter Mensch.“ Klang hart, aber bei Tobi musste er so handeln, anders konnte man gar nicht mit ihm umgehen. „Ich geb dir gleich mal zivilisiert, Idiot.“ Wenigstens versuchte Tobi nicht mehr in den Hörer zu brüllen, ein kleiner Erfolg für den Anfang. „Nadja hat mit mir Schluss gemacht und du bist dran schuld!“ „Hallo?“ Umwerfende Logik. „Bei dir ist wirklich eine Schraube locker, was kann ich dafür, wenn ihr euch streitet?“ Musste Tobi ihn für jeden Schrott der Welt die Schuld zuschieben? Das nervte auf Dauer. „Und außerdem macht man nach zwei Wochen Beziehung nicht gleich so ein Drama daraus.“ „Halt dein Maul, du hast doch noch nie eine Freundin gehabt“, fauchte Tobi wütend, der sich wieder einigermaßen unter Kontrolle zu haben schien. „Und du eindeutig zu viele, also müsste eine Trennung nicht mehr so schlimm für dich sein.“ Zwar redete er hier von Dingen, von denen er wirklich keine Ahnung hatte, aber so wie sich Tobi gerade aufführte, war es kein Wunder, dass die Leute ihn schnell wieder verließen. „Es ist aber schlimm, kapiert?“ „So schlimm, dass man zwei Tage lang nicht in die Schule kommt? Wie alt bist du denn?“ Johannes war klar, wie provozierend seine Worte sich anhörten, aber das war ja nichts Neues. Auf der anderen Seite der Leitung herrschte für einen Moment zum Glück Stille. „Wieso rufst du mich überhaupt an? Und woher hast du meine Nummer?“ Anscheinend brauchte Tobi einen kleinen Themenwechsle, den konnte er gerne haben. „Tja, deine Schwester verschenkt sie gerne. Und Frau Schaffner hat mich gezwungen, dir die Hausaufgaben zu geben.“ Tobi sollte auf keinen Fall denken, dass er diese Nummer freiwillig abzog, so tief war er noch nicht gesunken. „Du kannst mich mal mit deinen Hausaufgaben. Lösch die Nummer und lass mich in Frieden“, ertönte die freundliche Antwort und Tobi legte einfach auf. Johannes brauchte einige Minuten, um sich von diesem Horrorgespräch zu erholen und alles zu sortieren. Nadja hatte mit Tobi Schluss gemacht. Kluge Entscheidung. Tobi gab ihm dafür die Schuld. Zu dumm für diese Welt, der Junge. Er hatte ihm nicht die Aufgaben überbringen können. Pech für Tobilein. „Was ist denn mit dir los?“, fragte Kevin, als sich Johannes eine Viertelstunde später zu ihm kommentarlos vor den Fernseher setzte. „Du siehst nicht gut aus.“ „Mir geht’s gut“, behauptete Johannes, obwohl das die größte Lüge der vergangenen fünf Jahre war, aber Kevin musste nicht alles wissen, selbst wenn er es drei Minuten später sicher wieder vergessen hätte, da er solche Sachen gerne im Kurzzeitgedächtnis abspeicherte. „Sei froh, dass ich nicht Vera bin, sonst würde ich dich jetzt ausfragen und Hobbypsychologe spielen“, meinte Kevin und Johannes stimmte ihm in Gedanken zu. Mädchen merken ab und zu definitiv nicht, wenn sie besser die Klappe halten sollten. „Was ist mit mir?“, ertönte ihre Stimme aus der Küche und Kevin unterdrückte ein Grinsen. „Nichts, wir haben nur über deine deinen neuen Freund gelästert.“ „Ach so... was habt ihr? Wagt es ja nicht, ihr kennt ihn nicht mal.“ „Was bestimmt auch gut ist“, murmelte Kevin halblaut und zwinkerte Johannes verschwörerisch zu. Manchmal waren Johannes‘ Geschwister wirklich fies zueinander. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)