Der Französischlehrer von Terrormopf (Heathcliff St. John's) ================================================================================ Kapitel 14: ------------ Nur zwei Dinge: Entweder ihr hasst mich für das Ende oder ihr hasst einfach nur das Ende... „Was ist?“ fragte Nemours, nachdem er Louis für den Bruchteil einer Sekunde verwirrt gemustert hatte. „Nichts“, murmelte der und zog Nemours wieder zu sich, um ihn zu küssen. Nemours schien nicht weiter darauf eingehen zu wollen, ebenso wenig wie Louis. Der wusste genau, dass der Franzose bemerkte, dass er abwesend war, mit seinen Gedanken ganz wo anders. Nur wo, das würde Nemours ganz gewiss nicht herausfinden. Er dachte an Richard. An niemand anderen als an Richard. Er wollte in diesem Augenblick nicht mit Nemours schlafen, doch besaß er nicht genug Anstand und Courage es nicht zu tun. Was war er doch für ein Waschlappen. Nemours löste ihm die Krawatte seiner Schuluniform und Louis ließ es einfach nur geschehen, wähnte sich in Gedanken in Richards Armen, der ihn sanft an sich ziehen würde, an seinen warmen Körper. Nun löste Nemours den kalten, feuchten Kuss für einen Moment um Louis begierig den Pulli auszuziehen. Oh ja, Richard würde ihn auf die Schläfe küssen und er würde die Augen schließen. Nemours nahm den Kuss wieder auf und knöpfte sein Hemd auf. Draußen war es dunkel, Regenwolken bedeckten den Himmel; in Nemours’ Zimmer brannte kein Licht. Er spürte die eiskalten Finger Nemours’ auf seiner Haut und wie automatisch begann er auch Nemours seiner Kleidung zu entledigen. Und dann legte er die Hand an die Gürtelschnalle des Lehrers und dachte daran, dass Richard nun wahrscheinlich, schon umgezogen, auf dem Dach saß und eine rauchte. Wahrscheinlich vermutete er, dass Louis bei Nemours war. Diese kalten Finger schienen überall zu sein und wanderten ungeliebt über seine Haut, hinterließen eine unbehagliche Gänsehaut. Nemours drängte ihn zum Bett und er schloss die Augen. Ließ es einfach geschehen. Er spürte das Gewicht des Franzosen auf sich und das Atmen fiel ihm schwerer. Nemours’ Lippen blieben nicht mehr länger auf seinen eigenen, sondern wanderten hinunter, zogen eine feuchte Spur, er spürte Nemours Zunge auf seiner Haut und es fröstelte ihn. All das kam ihm so mechanisch, so einstudiert, so unecht vor. Die kleinen, anrüchigen Geräusche entrannen seiner Kehle, ohne dass er darüber nachdenken musste und immer an den Stellen an denen es passte und er spürte dann, wie Nemours Mund sich für den Bruchteil einer Sekunde zu einem Grinsen verformte. Aber innerlich ließ ihn das alles so kalt! So kalt wie Nemours’ Fingerspitzen, die ihm wie gefroren vorkamen. Er spielte während des ganzen Liebesaktes einfach nur seine Rolle, fiel nicht heraus und das einzige, was ihn dabei hätte verraten können, waren seine Augen gewesen. Nur in diesen hatten sich seine Gleichgültigkeit und sein Ekel vor sich selbst widergespiegelt. Aber als er einen Blick in Nemours’ Augen geworfen hatte, jene Augen, die ihn einst so fasziniert hatten, die er nie zu lesen vermocht, die er nie zu deuten gekonnt hatte, da hatte er festgestellt, dass diese ihn nicht durchschauen konnten. Über sie hatte sich der trübe, verhängnisvolle Schleier der Lust gelegt und gab sie wohl so schnell nicht wieder frei. Er blieb nicht lange neben Nemours liegen, sondern erhob sich und begann dann damit sich anzuziehen. Nemours war anscheinend eingeschlafen, hatte nun den Handrücken der linken Hand über die geschlossenen Augen gelegt, seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Schnell wandte Louis den Blick von der blassen, durchsichtigen Haut ab; es schüttelte ihn. Hastig knöpfte er sein Hemd zu, achtete nicht darauf, dass er sich verknöpft hatte, band sich die Krawatte, dass sie lotterhaft beinahe abstand und zog seinen Pulli im Fortgehen über. Er beeilte sich, hechtete die Treppen hinauf, konnte es gar nicht erwarten. Er musste Richard jetzt sehen, unbedingt! Er wollte dessen sanfte Lippen spüren, nicht mehr die harten, kalten Nemours’. Er wollte seine unschuldigen, kindlichen Sommersprossen sehen, nicht mehr die verruchten Schönheitsflecken Nemours’. Er wollte seine weichen orangeroten Haare zwischen seinen Fingern spüren, nicht mehr die widerspenstigen schwarzen Locken Nemours’. Er wollte einfach nur bei Richard sein. Nicht mehr. Er zog sich hastig etwas anderes an – Jeans, T-Shirt und Pullover darüber – er wollte sofort danach hinauf zu Richard. Doch als er an seinen Schreibtisch ging, um seine Schachtel Zigaretten aus der Schublade zu nehmen, stutzte er, als er auf der Arbeitsfläche einen zusammengefalteten Zettel entdeckte. Etwas unsicher setzte er sich auf den Stuhl und nahm den Zettel in die Hand, ohne ihn zu öffnen. Er drehte ihn um, um zu sehen, ob vielleicht ein Absender draufstand, doch er fand keinen. Ein seltsames Gefühl überkam ihn und dieses Gefühl sagte ihm, er solle den Zettel nicht öffnen; nicht lesen, was draufstand, ihn einfach nur verbrennen. Sein Magen krampfte sich zusammen und irgendetwas schien ihm die Kehle abzuschnüren. Was hatte dieses Gefühl nur zu bedeuten? Mit bebenden Fingern folgte er seiner Neugierde, ignorierte das Gefühl einfach. Er faltete das Papier auseinander und starrte einen Moment darauf, ohne irgendetwas zu sehen. Dann erkannte er Richards unsaubere, unordentliche Handschrift und allein das schien wie ein Schlag in den Magen. Es stand nicht viel da. Nicht viel, nur ein Satz. Nur ein Satz in Richards sudeliger Handschrift. Nur drei Worte. Subjekt, Prädikat, Objekt. „Ich bin Egoist.“ Und Louis wusste genau, was das bedeutete. Er wusste es ganz genau. Er faltete den Zettel wieder zusammen und steckte ihn sich in die Hosentasche. Dann machte er sich auf den Weg. Ging die Flure entlang, die Treppen hinunter, bis er endlich wieder vor Nemours’ Zimmertür stand. Oh sicherlich, andere hätten in dieser Situation geweint, geschrieen, sich vielleicht übergeben, währen in Ohnmacht gefallen, hätten einfach alles getan, nur nicht was er tat. Doch ihn hatte es noch nie sonderlich gekümmert, was andere an seiner statt getan hätten. So trat er ein und fand Nemours vor, der nicht mehr im Bett lag und schlief, sondern angezogen vor seinem Schreibtisch saß, an seinem Bleistift kaute und aus dem Fenster in die grauen Wolken starrte. Louis zögerte nicht. Er kam auf ihn zu, zog ihn auf die Beine und küsste ihn leidenschaftlich; oder zumindest war es ein Kuss, den ein Außenstehender als leidenschaftlich bezeichnet hätte. Er löste sich wieder von dem überraschten Nemours, legte seine Wange an dessen, sodass sein Mund ganz nah an dessen Ohr lag und flüsterte ihm etwas zu. Was er sagte, wusste er überhaupt nicht. Wahrscheinlich irgendetwas von den schmutzigen, anrüchigen Aussprüchen die er ihm früher immer ins Ohr geraunt hatte. Doch was es auch war, es nahm Nemours’ Blick die Verwirrtheit und ließ einen lüsternen Glanz in seine Augen treten. Sie verbrachten diesmal nicht viel Zeit damit einander auszuziehen, landeten fast augenblicklich in Nemours’ Bett. Und nun spielte Louis seine Rolle besser als zuvor. Er keuchte, stöhnte lauter; suchte sich die Momente passend aus, krallte sich in Nemours’ Rücken fest. Es war keine der Spielereien wie die von früher. Diesmal war es ernst. Es war, als wären jegliche Zusammentreffen zuvor nur die Proben gewesen und dies war die Uraufführung. Und er konnte seinen Text. Wusste, was er tun musste, wohin er fassen musste, welche Mimik er aufsetzen musste. Es fiel ihm nicht schwer. Sie hatten oft genug geprobt. Und wäre dies ein Film gewesen, so hätte der Regisseur mit Sicherheit ihre Silhouetten gezeigt. Die Zeit langsamer, in Zeitlupe laufen lassen. Bald würde der Höhepunkt kommen und damit die Peripetie. Mit jedem Stoß Nemours’; mit jedem Keuchen, mit jedem Stöhnen kamen sie dem Unausweichlichen näher und es war, als wolle jemand diesen Höhepunkt, der zweifelsohne nicht zu vermeiden war, hinauszögern, die Spannungskurve immer höher treiben. Louis spürte, wie Nemours ihm mit einer Hand durchs Haar fuhr, damit einige Strähnen aus seinem Gesicht entfernte. Er schlug die Augen auf und erkannte dessen Gesicht direkt über seinem. Nun legten sich die feuchten, leicht geschwollenen und geröteten Lippen Nemours ungeschickt, ungeduldig auf die Seinen. Jedoch löste Nemours sich sofort darauf wieder von seinem Schüler und sagte gepresst: „Du musst leiser sein… uns erwischt noch jemand.“ Und wie aus Protest entrann Louis nun ein kehliger Laut, woraufhin Nemours ihm erneut die Lippen aufpresste, ihn zum Schweigen zu bringen. Doch Louis wehrte sich, wurde noch lauter. Und nun war es ihm, als vernähme er gedämpft, aus weiter Ferne Schreie. Doch er ignorierte es, schlang die Arme um den Nacken seines Lehrers, zog ihn noch weiter zu sich hinab. Aufgeregte Schritte, eine schaulustige Masse. Niemand außer ihnen war da, das Zimmer wurde nur von der Schreibtischlampe erleuchtet. Der erste Tropfen Regen fiel auf den leblosen Körper in der Mitte der Masse. Und in dem Moment wurde die Zimmertür Nemours’ aufgerissen und der Chemielehrer rief aufgeregt: „Olivier! Komm schnell, Richard McCreeby hat sich vom Dach gestürzt, ein Krankenwagen…“ Er hielt inne, als er nun Louis unter dem Französischlehrer liegen sah. Schweiß auf der Stirn, Wangen und Lippen gerötet, keine Kleidung am Leib. Beim Sex. „Oh mein Gott.“ Mehr brachte er nicht heraus, bevor er sich umdrehte und die Tür wieder schloss, die Augen weit aufgerissen. Nemours sah erschrocken von der Tür zu Louis, der ungerührt seinen Blick erwiderte. „Richard ist doch dein…“ Er stockte, als er Louis’ gleichgültigen Gesichtsausdruck wahrnahm. Er wich vor ihm zurück und keuchte: „Du wusstest es!“ „Was?“ Er richtete sich auf und sah seinen Lehrer durchdringend an. „Dass er sich umbringen wollte. Louis, warum hast du ihn nicht aufgehalten? Warum hast du ihn nicht davon abgebracht? Er war doch dein Freund!“ In diesem Moment war er nicht mehr der verruchte und geheimnisvolle, undurchschaubare Franzose; in diesem Moment war er einfach nur noch ein gewöhnlicher Mensch und er verstand es einfach nicht. Wie sollte er auch? Louis stand langsam auf und zog sich gemächlich an, während er sagte: „Es war schon zu spät.“ „Und warum bist du dann zu mir…?“ Er hielt mitten im Satz inne und starrte ungläubig auf Louis, der sich nach seinem T-Shirt bückte. „Nein.“ Er schüttelte den Kopf, doch Louis sah ihn einen Augenblick herablassend an, dann sagte er: „Doch.“ Damit zog er sich T-Shirt und dann Pulli über und ging aus der Tür, die Hand in der Hosentasche, Richards Zettel darin. Nächsten Sonntag kommt das letzte Kapitel... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)