Spiegelworte von Xamyn ([SxJ]) ================================================================================ Kapitel 1: Big Blue Butterfly ----------------------------- Auf dem einen Auge konnte ich nahezu nichts sehen, als die grelle Morgensonne mein Gesicht traf. Von rechts strahlte es hell in das üppige Badezimmer, in welches gerade mal Klo, Dusche und Becken Platz fand. Die schmale Ablage links vom beschlagenen Spiegel war gefüllt mit einheitlich gefärbten Bechern, in der sich Zahnbürste und Pasta trafen. Ausgefranste Borsten und aufgerollte Tuben. Das Becken noch feucht von der morgendlichen Reinigung, während die letzten Tropfen vom Rand des Duschkopfes hinab in die Tiefe stürzten und in den verbliebenen Pfützen verschwanden. Das Fenster war weit aufgerissen, kühle Luft drang hinein, warme Luft wich. Nur kurz blieb es offen, wurde eilig wieder geschlossen, als auch die Worte verschwanden, die auf dem feuchten Spiegel geschrieben standen. Langsam konnte ich wieder mein Gesicht erkennen. Sah die schmale Nase, die braunen Augen, das blonde Haar,… Ich wandte den Blick ab, sah der stechenden Sonne entgegen bis bunte Punkte vor meinen Augen flimmerten und ich erneut kehrt machte. Das wenige Stück Stoff, welches ich trug, ging zu Boden und ich stieg achtlos darüber hinweg. Ich griff nach einem trockenen Handtuch. Splitternackt und etwas frierend wegen der vergangenen Wärme. Mein Körper reagierte wie gewohnt, das feine Haar stellte sich auf. Ein Schauer suchte seinen Weg über meinen kräftigen Rücken, ehe das Kribbeln wieder abklang. Für einen Moment schloss ich die Augen, öffnet sie dann wieder zaghaft. Vor mir sah ich die Toilette, das WC, das stille Örtchen. Je nachdem, wie man es nennen mochte. Ich kippte den Deckel runter, setzte mich darauf. Wieder spürte ich die Kälte, doch diesmal reagierte mein Körper nicht mit einer Gänsehaut. Ich zog bloß die Beine näher an mich heran, schlang meine Arme darum und lehnte die Nase gegen die knochigen Knie. Nur zwei wortlose Augen starrten über sie hinweg, warfen ihren Blick erneut auf den Spiegel, der nur wenige Meter vor mir an die farblosen Fliesen befestigt war. Ich konnte sie noch immer erkennen. Die Worte, die ich nur Minuten zuvor in an beschlagenen Spiegel schrieb. Nur noch blass waren sie zu erkennen, doch wusste ich genau, dass sie da waren. Sie lösten sich bloß auf, schwirrten um mich herum und hallten in meinen Ohren wieder. Kurz verdunkelte sich der Raum, als eine dichte Regenwolke den lebenswichtigen Licht- und Wärmespender verdeckte. Es kam mir vor, als hätten auch die Vögel für einen Moment aufgehört zu zwitschern. Es wurde still, als sich alles um mich herum verdunkelte. Umso lauter hörte ich mein Herz schlagen, das Blut, dass durch meine Venen schoss. Ich spürte den Rinnsal, der von meinen noch feuchten Haaren der Wange hinab zum Hals hinunter über die Brust verlief. Doch für einen Moment spürte ich nichts, hörte nichts und sah nichts bis mich wieder die Wärme traf, mich einlullte und auch die Vögel wieder sangen. Jedoch blieb das Grau, ließ mich nicht los. Zwar füllte sich der Raum wieder mit Wärme, nur spürte ich sie nicht. Die Vögel tirilierten und sangen ihr Lied, doch hörte ich sie nicht. Der letzte Buchstabe verschwand, doch sah ich es nicht. Um mich herum war alles kalt, still und dunkel. Ich wollte nichts fühlen, nichts hören, nichts sehen. Und ich wünschte, es wäre immer so. Ein Ast traf das Fenster, ließ mich die Augen wieder öffnen. Ich war noch immer hier. Ganz alleine, während die Morgensonne strahlte und die Vögel aufgeweckt zwitscherten. Für einen Augenblick lauschte ich, sah aus dem Fenster und versuchte zu vergessen. Es gelang mir nicht - wie immer. Ich wusste nicht, wie spät es war, so konnte ich doch spüren, dass es Zeit wurde mich zu erheben. Und doch hielt ich inne, als mein Blick erneut zum Spiegel schweifte. Blau. Ein stechend, strahlendes Blau. Ein Schmetterling mit wunderschönen, blauen Flügeln saß auf dem Spiegel, bewegte sich kaum. Wie auch immer der hier rein gekommen war, es war mir egal. Ich mochte mich selbst kaum bewegen, wollte den Schmetterling nicht verschrecken. Ich starrte ihn einfach nur an, spürte wieder dieses erdrückende Gefühl in mir und musste augenblicklich bitter lächeln. Dieses strahlend, stechende Blau erinnerte mich unweigerlich an ihn. Seine Augen waren ganz genau so. Sie strahlten immerzu, doch verraten taten sie nichts. Sie waren mehr wie eine massive Mauer. Mal war er kalt und unnahbar, mal gemein und ätzend. Im Grunde ein richtig fieser Kerl, wäre da nicht sein Bruder, der es wohl einzig und allein schaffte sein Herz zu erweichen. Ich hasste ihn! Hasste ich ihn? Nein! Verachtete ich ihn? Nein! Liebe ich ihn? Liebe, was war schon Liebe? Entweder man war gut genug oder nicht. Liebe konnte man gar nicht definieren. Liebe war allgegenwärtig und hatte viele Facetten. Es bedeutete voneinander abhängig zu sein, Sehnsucht und Leid. Liebe konnte schön, aber auch schmerzvoll sein. Ich wusste es nicht. Ich liebte nicht. Tat ich es nicht? Blau. Die Farbe seiner Augen. Die Farbe meines Schmerzes. Die Farbe meines Hasses. Meine Hölle war blau. Meine Hölle hatte ein Gesicht. Sein Gesicht und ich konnte nichts, aber auch gar nichts dagegen tun. Ich wollte schreien. Ich wollte fliehen. Ich wollte weinen. Ich wollte einfach fort von diesem Schmerz, der mich mental zerfraß. Nie ließ ich mir etwas anmerken, überspielte meinen Kummer mit einem Grinsen und einem schlagfertigen Argument. Mir ging es gut. Mir machte das nichts aus. Natürlich tat es das. Das tat es immer, wenn ich seinen Blick sah. Verachtung. Hass. Abscheu. Was anderes sah ich in seinem Blick nicht, dabei wusste ich nicht einmal den Grund dafür. Natürlich, wir hatten unsere Differenzen, ärgerten uns gegenseitig und stritten häufig, aber warum dieser Hass? Mein Herz schmerzte, mir wurde schwindelig, während eine gefühlte und doch unsichtbare Kraft mein Innerstes zu erdrücken schien. Noch immer haftete mein Blick auf dem blauen Schmetterling, der so friedlich und unschuldig auf dem Spiegel saß. Er war so weit weg, so unerreichbar. Er war wie er. Warum konnte er nicht einfach gehen und mich in Ruhe lassen? Warum quälte er mich so? Ich hasste ihn nicht. Ich verachtete ihn nicht. Ich verabscheute ihn nicht. Ich konnte nur nicht verstehen, warum? Warum ausgerechnet er? Warum jetzt? Und warum dieser Hass? Ich verstand es nicht, wollte es aber verstehen. Ich wollte mir dieses betäubende Gefühl, dieses Kribbeln und diese Sehnsucht erklären. Ich wollte wissen, warum ich mich einerseits so wohl und andererseits so schrecklich in seiner Nähe fühlte. Ich wollte begreifen können, warum mein Herz so schnell schlug, wenn ich an ihn dachte. Ich wollte die Wahrheit nicht wissen. Ich wollte nicht wissen, warum es so war, wie es war. Ich liebte ihn. Ich hasste ihn. Ich konnte nicht ohne ihn. Ich wollte weg von ihm. Meine Augen waren fest zusammen gekniffen. Vereinzelte Tränen suchten ihren Weg der Wange hinab und tröpfelten auf mein geschundenes Knie, welche ich noch immer nahe an meinem Körper gezogen hatte. Vorsichtig öffnete ich die Augen, blinzelte einige Male, während mein verschwommener Blick durch das Badezimmer schweifte und beim Spiegel haften blieb. Kein blauer Schmetterling. Keine Worte. Langsam löste ich mich aus meiner Starre, wusste, ich musste aufstehen. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, ging zum Becken und wusch mir die letzten Tränen aus dem Gesicht. Es war vorbei. Vorerst. Erschöpft haftete mein Blick eine Weile auf mein eigenes Spiegelbild. Meinte die Worte noch erkennen zu können, die kurz zuvor noch darauf zu sehen gewesen waren. Ein nahezu müdes Lächeln umspielte meine Lippen, ehe ich mir das Gesicht abtrocknete und das Bad verließ. Ich musste los. Der Unterricht begann bald. Dann sah ich auch wieder ihn und alles würde wieder von vorne beginnen. ~ Nicht weit entfernt traf derweil ein blauer Schmetterling einen brauen seiner Art. Gemeinsam tänzelten sie durch die Luft und trugen das ewiges Geheimnis zweier Liebenden mit sich. ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)