Meine Wochenaufgabe-Beiträge von Rahir (24h Schreibwettbewerb) ================================================================================ Kapitel 1: Wöchentliche Schreibaufgabe vom 17.05.2008 ----------------------------------------------------- Die Zeit Die Zeit vergeht. Die Zeit verrinnt. Zerrinnt zwischen unseren Fingern wie Sand. Ich habe keine Zeit. Dazu fehlt mir die Zeit. Wie oft hören wir diese Worte von unseren Mitmenschen? Die Zeit, sie hetzt uns. Sie jagt uns durch das Leben, von der Geburt bis zum Tod. Sie hat uns immer im Griff. Sie lässt uns nicht los. Zeit. Was ist das überhaupt? Man kann sie messen und einteilen… aber kein Mensch hat sie jemals gesehen. Die Sonnenuhren der alten Kulturen, die ersten Chronographen aus Zahnrädern und Steuerwellen, bis hin zur ultragenauen Atomuhr: sie alle stehen für das Joch der Zeit, das seit Jahrtausenden auf uns lastet. Wir sind ihre Gefangenen, und es scheint weder Tür noch Fenster in diesem Gefängnis zu geben. Oder etwa doch? Was ist Zeit? Viele Wissenschaftler, Philosophen und andere kluge Köpfe haben sich den Kopf darüber zerbrochen. Haben darüber nachgedacht und heftige Diskussionen über das Wesen der Zeit geführt. Doch nie wurde sie endgültig enträtselt. Was ist Zeit? Sie beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Und die ganze Zeit über versuchen wir so viel wie möglich hineinzupacken. Immer mehr pressen wir in die 24 Stunden des Tages hinein. Und doch tickt die Uhr erbarmungslos, bis sie stehen bleibt… Endet die Zeit jemals? Ja, das tut sie. Mit dem irdischen Ableben endet auch die Zeit. Die Zeit existiert nur in der materiellen Welt. Sie ist praktisch eine Erfindung der Menschen selbst. Sie ist die große Illusion, die das tragische Theaterstück namens ‚Menschheit‘ inszeniert, wie ein Dirigent, der ein Orchester leitet. Sie ist es, die die Bahnen zieht, in denen unser Leben und ER-leben abläuft. In denen Schmerzen und Freude, Pein und Glück, Verzweiflung und Hoffnung diese Welt formen. Gibt es wirklich keinen Ausweg? Ja, es gibt ihn. Jeder Mensch auf dieser Welt hat schon einmal in seinem Leben die Abwesenheit von Zeit erlebt. Ein Sonnenaufgang an einem klaren Tag. Ein Tautropfen, der sich langsam löst und zu Boden fällt. Das Lächeln eines geliebten Menschen… Zeit kann auch kostbar sein. Einzelne Momente können sich für ein ganzes Leben einprägen. Sie können das Licht der Hoffnung in finsteren Stunden sein. Sie können uns immer daran erinnern, wofür es sich zu leben lohnt. Besonders intensiv erleben dies Menschen, die keine Zeit mehr haben. Menschen mit unheilbaren Krankheiten, deren kurze Lebensspanne befristet ist wie eine fast abgebrannte Kerze. Und das ist wieder der Punkt, an dem die Zeit endet. Wenn sich Menschen mit ihrem Ableben auseinandersetzen und sich ihrer irdischen Vergänglichkeit bewusst werden, dann werfen sie oftmals einen Blick in die Zeitlosigkeit. Dinge, an denen wir oft achtlos vorbeihetzen, werden plötzlich bemerkt. Die Strahlen der Sonne, wie sie durch ein grünes Blätterdach brechen. Eine unscheinbare Blume am Wegesrand. Das Lachen eines Kindes. Eine sanfte Berührung. In Momenten tiefsten Schmerzes und reinster Freude bekommen wir eine Ahnung der Zeitlosigkeit. Wenn die ganze Welt um uns stehen zu bleiben scheint. Wenn das hektische Rotieren der Leistungsgesellschaft mit einem Male durch innere Zufriedenheit oder auch Leere ersetzt wird. Wenn wir uns eins mit allen Dingen fühlen. Wenn Wunder geschehen… Dann, in diesen raren, kostbaren Augenblicken, wenn wir uns von der Zeit befreien, dann LEBEN wir. Dann funktionieren wir nicht einfach nur, dann sind wir mehr als nur ein produktives Element der Gesellschaft. Wenn unser Herz atmet und unser Geist frei wird. Dann bekommen wir eine winzige Ahnung von der Ewigkeit. Manche fragen, wie lange die Ewigkeit dauert. Sie dauert nicht, denn sie enthält keine Zeit. Manche fragen, wann die Ewigkeit beginnt, wann sie stattfindet. Sie beginnt niemals, denn alles was beginnt und endet, existiert innerhalb der Zeit. Die Ewigkeit ist hier und jetzt, niemals sonst. Und irgendwo steht eine goldene Sanduhr, gestützt vom Gott der Zeit. Langsam rinnt der Sand hindurch, bis er zur Gänze durch ist… dann dreht der Gott der Zeit die Sanduhr wieder, und der ewige Kreislauf erneuert sich. Leben und Sterben, Werden und Vergehen… die Bühne für unsere Reise, unsere ewig sich wiederholende Reise. Die Zeit bildet die ehernen Säulen, auf denen diese Welt ruht, um uns immer wieder neues Leben und Erleben zu ermöglichen. Sie begleitet uns auf dieser Reise. Die Zeit als unbekümmertes Kind. Die Zeit als heranwachsender Mensch. Die Zeit des ernsten Erwachsenendaseins. Die Zeit der Selbstverwirklichung, von Familie und Beruf. Die Zeit des Alterns. Und die Zeit des Todes. Meilensteine in unser aller Leben, gesetzt von der Zeit. Oft trauern wir Vergangenem nach, oft fürchten wir uns vor Zukünftigen. Dies ist der Lauf der Dinge in dieser Welt, bis… Bis sich unser Bewusstsein erweitert. Nach zahllosen Leben auf dieser Welt kommen wir irgendwann an den Punkt, an dem wir die Grenze überschreiten, an dem wir die Wand durchbrechen, die bis dahin immer unser Leben in enge, scheinbar unvermeidliche Bahnen gelenkt hat. Dann erkennen wir die Zeitlosigkeit, die Struktur hinter der sicht-, hör- und fühlbaren Welt. Wir entdecken dann ein Bewusstsein jenseits der Fesseln der Zeit. Wir entdecken, dass die Zeit eine selbstgeschaffene Illusion war und in Wahrheit alles gleichzeitig passiert. Wir kommen der letzten Wahrheit näher, strecken die Hand danach aus und berühren sie- Es gibt einen Ort ohne Zeit. In allen Kulturen gibt es Bezeichnungen dafür. Garten Eden, Shangri-la, Nirvana, Satori, die elysischen Felder… immer schon haben Menschen in dieser Welt einen kurzen Blick in diese Welt geworfen und dann davon gekündet. Doch keine Beschreibung, kein Bild kann diesen Ort wiedergeben. Unser Verstand ist an die Zeit gekettet, und das soll auch so sein. Wenn Götter nur die Ewigkeit haben, erfinden sie irgendwann die Zeit… Neubeginn und Sterben, Angst und Hoffnung, Sieg und Scheitern, Lust und Qual: alle diese Erfahrungen kann uns nur die Zeit vermitteln. Und deshalb gibt es die Zeit und alle anderen Illusionen. Um uns das LEBEN unmittelbar und direkt erfahren zu lassen. So glücklich wir auch sind, so tief unsere Verzweiflung auch sein mag: all dies ist unser Weg durch die Zeit, an dessen Ende die Erfahrung der Zeitlosigkeit steht. Wenn sich der Kreis wieder schließt. Dann, wenn mit der Zeit auch alle Worte enden- ENDE © by C.S., bzw. Rahir Teilnahme am 17.05.2008 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)