FFVII: Blue Wanderer - In the lines von Ich_eben ================================================================================ Kapitel 52: Was im Labor entstand Teil 2/2 ------------------------------------------ Mittlerweile fiel der Regen vorhangdicht. Blitze zuckten über den nachtschwarzen Himmel, als wollten sie diesen zerreißen. Donner grollte wie ein urzeitliches Monster, das aus dem Schlaf gerissen worden war und lautstark seinen Unmut darüber verkündete. Immer wieder fegten Sturmböen über und durch die Stadt. Und inmitten dieses apokalyptischen Szenarios befand sich Sephiroth - und er war nicht alleine. Momentan allerdings ließ sich nicht sagen, wer wen jagte. Denn der Instinkt des Generals, der sich sonst nie irrte, der ihn mit unschlagbarer Präzision zum Ziel führte, schlug mal in diese, mal in jene Richtung aus. Er konnte sich nicht entscheiden! Und so war auch sein Besitzer leicht irritiert – und gezwungen, eine andere Strategie anzuwenden. Sie funktionierte zwar, entsprach aber bei Weitem nicht der üblichen Vorgehensweise. Sephiroth war es nicht gewohnt, sich so verhältnismäßig ziellos durch die Stadt zu bewegen. Es erfreute ihn nicht, um eine Ecke zu biegen ohne vorher von seinem Instinkt über wahrscheinlich auf ihn wartende Unannehmlichkeiten informiert worden zu sein. Und doch ging es momentan nur so. Sehr zur Bequemlichkeit seines Gegners. Schon zweimal hatte er (bwz. `es´) hinter einer Kurve gewartet und sofort angegriffen. Einmal, indem es ein ganzes Auto geworfen hatte und ein zweites Mal mit Magie. Sich unter dem Auto durchzuducken ohne die eigene Vorwärtsbewegung auch nur für eine Sekunde zu stoppen, bedurfte es nur der üblichen Körperkontrolle. Um den magischen Angriff abzuwehren, war nicht mehr als ein gezielter Schlag mit Masamune nötig gewesen. Aber beide Male war das Wesen mit der Schnelligkeit eines Gedankens verschwunden und hatte so keine Möglichkeit des Gegenangriffes eröffnet. Und so blieb Sephiroth nur, weiter durch die Stadt zu streunen und auf den nächsten Angriff zu warten. Warten! Noch dazu in einem Kampf! Wie er es verabscheute! Sich belauern, ja. Aber das?! Es war so ... Zeit schindend! Und hochgradig psychologisch. Denn das Wesen hatte auf ihn gewartet. Zweimal. Man konnte also davon ausgehen, dass es von der immer noch andauernden Irritation seines Gegners wusste. Wie würde es diese weiter nutzen? Für gewöhnlich, dachte der General, bin ich es, der immer weiß, wo der Feind ist. Diesmal ist es genau umgedreht. Und ich bin ganz klar im Nachteil. Eine mehr als ungewöhnliche Situation. Aber ... sie fordert mich auch heraus. Auf eine Art und Weise, die mir völlig fremd ist. Und ich genieße sie. Würde ich die Kontrolle über meinen Körper nur ein klein wenig locker, würde dieser in heftiges Zittern ausbrechen. Nicht aus Angst. Sondern vor Erregung! Es ist lange her, dass ich zum letzten Mal einen Kampf so wollte, wie diesen hier! Gleichzeitig zwang er sich zur Ruhe. Kämpfen, ja. Aber niemals unbeherrscht oder gar ohne Strategie. Die jetzige besaß ihren vorübergehenden Schwerpunkt im Aufspüren des Gegners. Sephiroth stieß sich vom Boden ab und gelangte über mehrere günstig liegende Hausdächer auf eines das hoch genug war, um die darunter liegenden Straßenzüge zu überblicken. Aber das immer noch tobende Gewitter machte es selbst den scharfen Augen des Generals schwer, mehr außer Regen und vage Umrisse zu erkennen, was den Vorteil eine solchen Unwetters, nämlich normale Menschen in die Sicherheit ihrer Häuser zu treiben, quasi neutralisierte. Abgesehen davon gab es selbst aus dieser Position immer noch zu viele tote Winkel, die geschickt genutzt werden konnten. Vorausgesetzt, der Gegner wusste von der besseren Sichtposition des anderen. Was nicht der Fall war! Der General gestattete sich ein flüchtiges Grinsen. Dort war sein Gegner! Nur zwei Kreuzungen entfernt. Gar kein Zweifel. Sephiroth spannte alle Muskeln für einen gigantischen Sprung an und ... Vielleicht war es Zufall, vielleicht Glück, vielleicht auch Schicksal. Wenn man eine hochkonzentriert vor einem Mauseloch sitzende Katze jäh berührte, machte diese für gewöhnlich einen erschrockenen, kerzengeraden Sprung in die Luft. In diesem Fall war es keine Berührung. Sondern ein Blitzeinschlag in einem der Gebäude unmittelbar hinter dem General. Der Knall war ohrenbetäubend. Sephiroths Kopf ruckte jäh herum ... und kollidierte mit einem anderen, tiefgrün glühenden, auf ihn gerichteten Blick in einer Entfernung von weniger als zwei Metern. Masamune jagte mit einer gedankenschnellen Bewegung durch die Luft, teilte Regentropfen im Flug, hätte absolut tödlich sein müssen ... und verfehlte sein Ziel. Weil dieses mit der Gelassenheit des über ihm grollenden Donners auswich, die Distanz rasend schnell verkürzte ... Es blieb keine Zeit mehr für einen erneuten Angriff. Nicht einmal für Sephiroth. Nur der Sprung über die Dachkante. Die zupackende Hand seines Gegners verfehlte ihr Ziel nur um wenige Millimeter, wich der durch Masamune von unten nach oben geschleuderten Energieentladung aus und verschwand. Sephiroth erreichte das unter ihm liegende Hausdach und letztendlich auch den Boden, ohne Schaden davongetragen zu haben. Und dann, zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren, ging er in Deckung, spürte, wie sein Herz nicht nur ein klein wenig, sondern spürbar schneller schlug als sonst im Kampf – und konnte über das wenige Sekunden zurückliegende Ereignis nur ungläubig den Kopf schütteln. Es hat sich an mich herangeschlichen. An mich! Und ich habe es nicht kommen hören. Weshalb habe ich es nicht kommen hören? Es war hinter mir! Es war hinter mir und mein Instinkt hat nicht angeschlagen. Ohne den Blitzeinschlag hätte es mich voll erwischt! Und es ist Masamune ausgewichen, als wäre der Angriff langsam gewesen, was er nicht war. Es hat mich zur Flucht veranlasst. Mich! Das gelingt niemandem! Ich jage andere, und bringe sie zur Strecke! Hojo, du verdammter Mistkerl ... Erneut zwang er sich zur Ruhe. Gut. Dem Wesen war etwas Unglaubliches gelungen. Aber es hatte keinen Erfolg gehabt! Was wohl bedeutete, dass es sich weiter steigern würde. Sephiroth knirschte mit den Zähnen. In Ordnung! Auch er hatte noch ein paar Tricks auf Lager. Tricks, denen bisher niemand gewachsen gewesen war, die ... Die Meldung seines Instinkts kam nicht mit der sonstigen Zielstrebig- und Genauigkeit. Sie glich mehr einem schüchternen: `Ähm ... ich bin nicht ganz sicher ... aber wenn du kurz Zeit hättest ... wenn nicht, bin ich auf keinen Fall sauer oder enttäuscht, aber wenn du mir eine Sekunde schenken kannst ...?´ Sephiroth erstarrte. Nicht, dass er es gewollt hätte, aber sein Körper tat es trotzdem, gefangen in einer dumpfen Vorahnung. Dann wandte der General den Kopf. Langsam. Und konnte nicht verhindern, dass sich seine Augen in jähem Erstaunen weiteten. Das Wesen saß wenige Meter hinter und nur knapp zwei Meter über ihm, auf dem Dach einer Garage, in lässiger Pose, und sah zu ihm hinüber als wartete es auf den Beginn einer Vorstellung, deren Titel zwar interessant klang, dessen Inhalt aber dennoch gewaltig enttäuschen dürfte. Mit anderen Worten: Genau den Blick, den Sephiroth selbst einem Gegner zuwarf, der sich ihm gewachsen fühlte. Diesem Blick jetzt zum ersten Mal selbst ausgeliefert zu sein, war ... mehr als erniedrigend. Und steigerungsfähig. Denn die Mundwinkel des Wesens verzogen sich zu einem spöttisch-verächtlichen Grinsen. Dann erhob es sich, sprang von dem Dach und verschwand, ohne den geringsten Angriff geführt zu haben. Der General stand da wie erstarrt und fühlte sich, als habe er gerade einen Volltreffer durch einen sehr großen, sehr schweren Gegenstand erlitten. Dieses ... Ding war ihm nicht nur gefolgt, ohne bemerkt zu werden, sondern hatte ihn auch noch ganz direkt beobachtet. Wie lange schon? 5 Sekunden? 1 Minute? 5 Minuten? Und es machte sich lustig über ihn! Es spielte mit ihm. Als sei er nur ein kleiner, unwürdiger Ersatz für einen echten Gegner, und nicht die Person, die er doch eigentlich war, deren alleiniges Auftauchen auf einem Schlachtfeld schon für den Sieg gesorgt hatte, dem es gelungen war, SOLDIER zu dem zu machen, was es jetzt war, der noch nie einen Kampf verloren hatte, dem ein legendärer Ruf als Schwertkämpfer und General vorauseilte ... Nichts von alledem schien von Bedeutung zu sein. Nichts! Sephiroth gelang es, zu blinzeln. Die Bewegung verjagte auch die restliche Starre seines Körpers und brachte die Gedanken wieder ins Laufen. In Ordnung, dachte er. Ich ergänze die Liste der mit bekannten Fähigkeiten um den Punkt `Bösartiger Humor´. Das bedeutet noch lange nicht, dass ich ihm unterlegen bin! Bei der nächsten Begegnung gehört er mir! Eine halbe Sekunde später setzte sich die Garage, auf die Sephiroth immer noch starrte und auf der das Wesen so bequem gesessen hatte, urplötzlich in Bewegung und raste auf ihn zu. Der General fletschte die Zähne und umfasste Masamune fester. Er war einmal in die Flucht geschlagen worden. Das genügte! Die durch das Schwert verursachte Energieentladung glich einer gigantischen Schockwelle. Sie stoppte die Vorwärtsbewegung der Garage, schob sie zurück und pulverisierte sie gleichzeitig. Es blieb nur Staub – und ein Gefühl des Triumphes. Das noch genau eine halbe Sekunde andauerte. Dann kollidierte die Faust eines von oben kommenden Angreifers mit der linken Schulterrüstung des Generals. Sephiroths Rüstung war auf ganz Gaia einmalig. Sie erlaubte die größtmöglichste Beweglichkeit und ausreichend Schutz – von einer Art und Weise, die überdeutlich sagte: `... aber eigentlich ist das nur Zierde. So nah wird niemals irgendjemand an mich herankommen!´ Entsprechend unbeschadet sahen der Bauchschutz und die Schulterrüstungen aus – bis jetzt. Die gewölbten Platten oberhalb der linken Schulter brachen unter der Wucht des Aufpralls wie die Schale eines rohen Eies, verwandelten sich in große und kleine Bruchstücke, die zu Boden fielen oder sich durch das noch über der Schulter liegende schwarze Leder in den Körper darunter gruben. Sephiroth drängte den Schmerz zurück und ließ sich auf die Knie fallen, um seinem Gegner das Gleichgewicht zu nehmen, und dieser nutzte die veränderte Position aus, als habe er auf genau diese Veränderung gewartet, stieß sich ab, entging dem durch die Luft jagenden Masamune ein weiteres Mal völlig problemlos und war nach einer halben Sekunde im immer noch fallenden Regen hinter einer Hausecke verschwunden. Sephiroth kam mit einer geschmeidigen Bewegung wieder auf die Füße, das Schwert nach wie vor kampfbereit erhoben, nahm augenblicklich die Verfolgung auf ... und hielt wieder inne. Es war unlogisch. Dieses Wesen war schneller als er. Vermutlich beobachtete es ihn schon wieder. Der General warf seiner linken Rrüstung einen prüfenden Blick zu. Nutzlos geworden. Dann bewegte er probehalber die Schulter. Sie schmerzte, aber dieser Schmerz ließ sich durch die eingedrungenen Bruchstücke erklären. Nach deren Entfernung wurde der Schmerz schlimmer, aber der Knochen war unbeschädigt. Was zum Einen eine schnelle Heilung bedeutete, und zum Anderen, dass Sephiroth Masamune weiterhin in seiner besseren Hand halten konnte. Zwar kam er mit der rechten annähernd auf dieselbe Geschicklichkeit, aber eben nur annähernd. Viel wichtiger war, dass sein Gegner eine Strategie offenbart hatte. Der nächste Angriff würde vermutlich darauf ausgelegt sein, die linke Schulter vorübergehend gänzlich unbrauchbar zu machen. Und danach die rechte. Eine schlaue, brutale Vorgehensweise. Denn selbst der beste Schwertkämpfer war hilflos, wenn er seine Waffe nicht halten konnte, und Sephiroth bezweifelte, dass man ihm genug Zeit ließ, um die gebrochenen Knochen zu heilen. Er musste unwillkürlich an Cutter denken. Zwar hatte er ihr ganz klare Befehle erteilt, aber im tiefsten Grunde seines Herzens wusste er, dass sie sich noch irgendwo in der Stadt befand - und gegen genau dieselben Wesen kämpfte, wie er. Wenn auch auf andere Art und Weise. Gemessen an der Tatsache, dass selbst er schon Probleme hatte ... Moment mal!, dachte der General. Ich habe keine Probleme! Ich bin nur ... Aber seine schmerzende Schulter belehrte ihn eines Besseren. Und so zwang er seine Gedanken wieder auf sich selbst, die aktuelle Situation. Und die Wahrheit. Sie ließ sich nicht mehr leugnen, und war erschreckend. Dieses Wesen war ihm nicht einfach nur ähnlich – es kämpfte wie er, nur härter, schneller und brutaler, als er es jemals getan hatte. Der durch jahrelanges, intensives Training erreichte geistige und körperliche Zustand Sephiroths bildete für dieses Wesen lediglich die Basis, und ließ es somit zu der neuen, wesentlich verbesserten Version des Originals werden. Als kämpfe man gegen ein eigenständig agierendes Spiegelbild voller zusätzlicher Extras. Zugegeben hätte der General es nie, aber hinsichtlich dieser akzeptierten Erkenntnis überlief selbst ihn ein kalter Schauer. Diesmal würde es wirklich knapp werden. Verdammt knapp! Unwichtig, wie knapp es wird, dachte Sephiroth, du kriegst mich nicht! Ich weiß zwar noch nicht genau, wie ich es diesmal anstellen werde, aber diesen Triumph werde ich Hojo nicht gönnen, niemals! Abgesehen davon ... Cutter braucht mich. Und ich sie. Wir brauchen einander. Lebend! Aber wie nur sollte er einen so starken Gegner bezwingen? Der Gedanke brachte ihn unwillkürlich zum Schmunzeln. So also hatten sich seine bisherigen Herausforderer irgendwann gefühlt. Interessant. Aber kein Grund, sie zu bedauern. Viel sinnvoller war jetzt ein Standortwechsel. Diesmal wählte er seine neue Position sehr genau aus und verharrte dort, nachdenklich, sehr wachsam ... und einmal mehr unterlegen. Der Angriff kam so unvermittelt und entschlossen, dass Sephiroth nicht ein Sekundenbruchteil Zeit für Gegenwehr blieb. Innerhalb eines Sekundenbruchteils verwandelte sich die Welt um ihn herum in Milliarden von steinernen, wild durcheinanderfliegenden Bruchstücken von unterschiedlicher Größe und Schwere. Und dann, schlagartig, grün glühende Augen direkt vor ihm, Augen, in denen nur eine einzige Botschaft zu finden war. `Hab´ ich dich!´ Der General dachte nicht nach. Er handelte reflexartig. Entfaltete den schwarzen Flügel und katapultierte sich nach oben, aus dem Bereich der Trümmer und der unmittelbaren Reichweite seines Gegners, ließ die aufsteigende Wolke aus Staub unter sich zurück. Für die Dauer von einigen wenigen Herzschlägen war alles gut. Dann schoss etwas aus der Wolke. Grün glühende Augen. Und zwei, zwei tiefschwarze Flügel, die den dazugehörigen Körper so schnell vorwärts trugen, dass Sephiroth abermals keine Zeit blieb, um auch nur an einen Gegenangriff zu denken. Er glich diesen Mangel aus, indem er blitzartig höher stieg, die Distanz wahrte, aber sein Gegner folgte ihm mit spielerischer Leichtigkeit, getragen durch die Kraft von zwei Flügeln. Einen Moment lang verfolgten die unterschiedlichen Versionen einander - und dann, ohne jegliche Vorwarnung, begann Hojos Kreatur die Entfernung zu verkürzen. Langsam. Wissend, dass seine Beute ihm hier oben genauso wenig entkommen konnte, wie am Boden. Ein Boden, der mittlerweile etliche Kilometer unter ihnen lag. Sephiroth hatte keine Probleme mit Landungen, aber kein ihm bekannter Trick hätte die Wucht eines Aufpralls aus dieser Entfernung auch nur im geringsten nützlichen Maße gedämpft. Es galt also unter allen Umständen den Flügel zu bewahren ... Den Flügel. Wenn dieses ... Monster ... mir jetzt den Flügel bricht, bin ich geliefert. Wenn es mich nicht schon hier erledigt, schlage ich mit voller Wucht am Boden auf. Vielleicht überlebe ich den Aufprall. Aber dann wird unsere nächste Begegnung meine letzte sein. Denn es ist Masamune schon mehrfach ausgewichen und ... Er hielt inne. Richtig. Das Wesen war dem legendären Katana ausgewichen. Es mied die direkte Konfrontation! Weil es auf ganz Gaia noch niemals irgendjemanden oder irgendetwas gegeben hatte, das es länger als eine Sekunde mit dieser Waffe hätte aufnehmen können. Sephiroth umfasste sein Schwert unwillkürlich fester. Masamune, daran zweifelte er keine Sekunde, konnte es auch mit diesem neuen Gegner aufnehmen. Aber wie sollte er Hojos neuste Schöpfung dazu bringen, sich direkt in die Reichweite des Schwertes zu begeben? Die Kreatur kannte ihren eigenen Schwachpunkt, und war sehr bemüht, ihn nicht schutzlos zu offenbaren. Es gab nur eine Möglichkeit. In Ordnung, dachte der General. Das wird weh tun. Gleichzeitig spürte er einen einzigen harten Pulsschlag in seiner Hand. Er kannte dieses Gefühl. Es war eine Rückmeldung Masamunes auf seine Gedanken. Die Erinnerung an ein einmal gegebenes, für lange Zeit gültiges Versprechen. `Bereit, wenn du es bist!´ „Danke“, wisperte der General. Dann verengten sich seine Augen, fixierten den sich beständig nähernden Gegner. Es war an der Zeit, dieses Duell zu entscheiden! Die Attacke wirkte genau so, wie sie wirken sollte. Verzweifelt. Nahezu besiegt. Ein letztes Aufbäumen vor dem Ende. Der kurze Augenblick vor dem Todesröcheln - und doch Teil eines mörderischen Plans. Sephiroths Gegner reagierte wie erhofft. Er wich aus und katapultierte sich gleichzeitig noch höher, auf Augenhöhe mit dem veralteten Original. Der General gab sich alle Mühe nicht übertriebene, aber dennoch gut sichtbare Angst zu zeigen – und trat die horizontale Flucht an, in einem steil ansteigenden Winkel. Denn wenn Teil 1 seines Plans funktionierte, brauchte er so viel Zeit wie möglich für den 2.ten, wesentlich gefährlicheren Teil. Wenn ... Hojos Monster nahm sofort die Verfolgung auf. Und während Sephiroth es ganz bewusst langsam näher kommen ließ, machte er die erste positive Entdeckung seit Beginn des Kampfes. In den Straßen Midgars war sein Instinkt unentschlossen und unsicher gewesen, aber hier oben, ganz allein mit seinem Gegner, funktionierte er wieder einwandfrei, meldete zuverlässig jeden Zentimeter, den sich das Wesen näherte, und schuf somit einen unschätzbaren Vorteil. Der General musste sich nicht, wie geplant, ständig umsehen, sondern nur nach innen lauschen, und gleichzeitig nach außen eine verzweifelte Flucht vortäuschen ... Und dann, urplötzlich, war es soweit. Sein Instinkt schrie auf, gellend. Gleichzeitig spürte Sephiroth einen scharfen, seinem Flügel geltenden Luftzug ... und konnte nur Sekundenbruchteile später fühlen, wie die Faust seines Gegners traf. Knochen brachen, Schmerz flammte auf. Sephiroth konnte seinen Gegner nicht sehen – und sah die Situation dennoch klar vor sich. Für einen kurzen Augenblick schwebten Original und verbesserte Version nur wenige Zentimeter voneinander entfernt genau übereinander. Für einen kurzen Augenblick gab es gar keine Zweifel bezüglich der Dominanzfrage. Für einen kurzen Augenblick schien der Kampf entschieden. Dann rollte sich Sephiroth mit einer einzigen, blitzschnellen Bewegung vom Bauch auf den Rücken, den noch verbliebenen Schwung nutzend, beide Hände fest um das bereits vorher in die richtige Stellung gebrachte Schwert geschlossen, sah seinem Kontrahenten direkt in die Augen ... und schlug zu. Nur ein einziges Mal, aber mit ganzer Kraft. Die unvergleichliche Klinge Masamunes setzte am Kopf des Monsters an und glitt durch diesen und den gesamten restlichen Körper hindurch, wie ein heißes Messer durch ein Stück Butter, alles mit der Schnelligkeit eines einzigen Herzschlages. Das Glühen in den Augen des Wesens erlosch, als habe man einen Stecker gezogen. Dann kippten die beiden Körperhälften voneinander weg, gestatten einen Einblick in dessen Innerstes. Kein Fleisch. Kein Blut. Keine Knochen. Keine Innereien. Nur ein weiterer Beweis für Hojos genialen Irrsinn. Dann fielen beide Teile in Richtung Boden. Sephiroth rollte sich wieder auf den Bauch und behielt die Reste seines Gegners so lange im Auge, wie ihm der immer noch dicht fallende Regen dies gestattete. Erst als er sie nicht mehr sehen konnte, atmete er leicht auf – und nahm war, langsam am Ende seines Schwunges angekommen zu sein. Schon sehr bald würde auch er fallen. Der General schlug probehalber einmal mit dem Flügel und verzeichnete, wie erwartet, keinerlei Stabilisation oder gar Antrieb, nur Schmerz. Er faltete den Flügel wieder in sich zusammen, ließ ihn in die Tiefen seines Körpers zurückkehren und bemerkte, dass der Fall begann. Jetzt kam es auf jede Sekunde an. Sephiroth kannte viele, viele Tricks, um den eigenen Sturz zu bremsen, und er führte die effektivsten immer wieder und wieder aus, unermüdlich, kämpfte um jede Sekunde und konnte doch nicht verhindern, dass der asphaltierte Boden Midgars immer näher und näher kam und er selbst sich trotz aller Tricks immer noch mit der Schnelligkeit eines Steins auf diesen zu bewegte. Der Augenblick, in dem der Boden förmlich auf ihn zusprang, ihm versicherte, seinen Körper mit aller Härte zu empfangen, ihm weitere Knochen zu brechen und vielleicht sogar sein Leben zu nehmen, kam mit aller Intensität, traf auf Nerven wie Drahtseile, begann, daran zu nagen ... Der General holte tief Luft. Und entfaltete blitzartig den schwarzen Flügel. Schlug ein paar Mal mit aller Kraft, peitschte die Luft, ignorierte alle Regeln ... Und landete aufgrund des in der Zwischenzeit geheilten Knochens nicht sanft, aber sicher und auf beiden Beinen stehend in einer glücklicherweise durch den Regen immer noch wie leergefegten Seitenstraße Midgars. Einen kurzen Augenblick lang verharrte er bewegungslos in dem Bestreben, das Gefühl, immer noch zu fallen, abzuschütteln. Es dauerte eine kleine Weile, aber letztendlich gelang es ihm. Erst dann, als alle Sinne davon überzeugt waren, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, ließ er den Flügel verschwinden, und begann mit einer Analyse des Kampfes. Besonders der Strategie, die ihn trotz aller Nachteile hatte gewinnen lassen. Warum konnte ich ihn letztendlich doch erledigen? Weil ich mich für meine Verhältnisse nicht typisch verhalten habe. Stattdessen bin ich ein Risiko eingegangen. Ich habe mich streckenweise nicht auf meine Fähigkeiten, sondern auf mein Glück verlassen. Das entsprach nicht meiner üblichen Vorgehensweise. Zack und manche meiner SOLDIER handeln hin und wieder so. Cutter ebenfalls. Es macht sie ... unberechenbar. Bei mir geht man immer davon aus, dass ich mein Bestes gebe. Logisch denke. Nicht weglaufe. Darauf hat dieses Wesen spekuliert. Wenn ich meinen Kampfstil in Bezug auf diese Biester also ändere ... genau einkalkulierte Fehler begehe, nur, um sie einen Moment später wieder zu korrigieren, ... würde das bedeuten ... Weiter kam er nicht. Auch die Augen dieses Wesens glühten grün, aber es war nicht dasselbe. Es stieß ein lautes Zischen aus und stürzte sich auf Sephiroth. Dieser ergriff sofort die Flucht (augenrollend, aber gespannt, ob seine neue Strategie der Schlüssel zum dauerhaften Sieg sein würde), und verschwand hinter einer Hauswand. Sein Gegner folgte ihm, schlitterte um die Kurve ... und kollidierte mit Masamune. Ihm blieb nicht einmal Zeit für die geringste Schrecksekunde, so schnell teilte das Katana seinen Körper in zwei säuberliche Hälften. Der General warf den traurigen Überbleibseln einen verächtlichen Blick zu und wandte sich seinem neuen, eben in seinem Blickfeld aufgetauchten, Gegner zu. Der Tag versprach, wesentlich besser zu werden, als er angefangen hatte! Letztendlich jedoch war kein Kampf gleich, und jeder einzelne forderte die Sinne des 1st Class SOLDIERs in höchstem Maße, zumal dessen Instinkt wieder so unentschlossen war, wie zu Beginn des ersten Kampfes. Sephiroth musste alles geben, um die Monster in Reichweite zu bringen, tricksen, täuschen, Risiken, hohe Risiken eingehen. Einmal tat er so, als sei er nach einer Attacke seines Gegners schwer verletzt und blieb einfach liegen, ein anderes Mal entfernte er sich humpelnd, dann wieder machte er mit voller Absicht einen Fehler ... Er siegte jedes Mal. Aber es waren die schwierigsten Kämpfe seines bisherigen Lebens. Und sie wurden von einem Gefühl überschattet, das der General nur zu gut kannte. Cutter war in Schwierigkeiten – und diesmal war es mehr als nur eine Situation, die sich nicht zum positiven entwickelte, sondern eine Mischung aus echter Todesangst und dem verzweifelten Hilferuf nach ihm. Dem Ruf jetzt schon zu folgen, war allerdings unmöglich, und so konnte der General nur auf die Fähigkeiten seiner Freundin vertrauen (vor allem die, am Leben zu bleiben), und sich bei seinem eigenen Kampf nicht ablenken lassen. Es endete mit den letzten fallenden Regentropfen und Einbruch der Dämmerung. Sehen konnte man sie nicht, da der Himmel immer noch wolkenverhangen war und unentschlossen schien, aber der General konnte sie spüren. Und als fürchteten Hojos neueste Kreationen die Finsternis, wichen sie zurück und verschwanden zwischen den Häusern. Sephiroth gestattete sich eine Sekunde Pause und setzte sich anschließend wieder in Bewegung, auf das Gefühl lauschend, das ihn so sicher zu Cutter bringen würde, wie ein Stück Eisen den Weg zu einem Magneten fand. Aber einem bestimmten Zeitpunkt wäre dieses Gefühl völlig überflüssig gewesen. Geräusche nahmen dessen Platz ein – Kampfgeräusche. Der General beschleunigte das Tempo, trat um eine Kurve und hielt inne, erfasste die Situation. Midgar war ein Sammelsurium aus Straßen, Gebäuden und Plätzen, wobei manche dieser Straßen nur den Sinn zu haben schienen, wenige Meter nach ihrem Anfang schon wieder zu enden, vorzugsweise als Sackgasse zwischen zwei Häusern. Was sich Sephiroth hier offenbarte, war eine solche Sackgasse, allerdings wurde diese von dreien der Labormonster belagert. Sie waren dabei, sich mit aller Kraft durch massiven, den Weg nach vorne und oben blockierenden Beton zu graben, kamen allerdings nicht richtig vorwärts, da der Beton ebenso schnell nachzuwachsen schien, wie sie ihn zerstörten. Fast hätte Sephiroth gelächelt. Sich in einem Berg aus Beton zu verstecken ... nur Cutter konnte auf eine solche Idee kommen. Aber er lächelte eben nur fast. Für gewöhnlich versteckte sich seine Freundin nicht vor einem Gegner! Sie kreuzte seinen Pfad ganz offen und schlug ihren Widersacher in die Flucht! Aber diesmal war sie ganz klar unterlegen – ein Zustand, den es schnellstmöglich zu ändern galt. Die drei Laborratten bemerkten die Gegenwart des Generals einen Sekundenbruchteil zu spät und bezahlten mit ihrer Existenz dafür. Sephiroth stieg über die leblosen Körper, in denen (wie bei den bereits getöteten Exemplaren) nicht ein Funken des Lebensstroms glühte, und legte eine Hand auf den kalten Beton. Mehr war gar nicht nötig, um Cutter über seine Anwesenheit zu informieren. Die Betonwand zog sich zurück und verschmolz wieder mit den Wänden der rechts und links des Weges liegenden Häuser. Sephiroth betrat die Sackgasse, folgte ihr etliche Meter, hielt schließlich inne und drehte sich zu einer der Wände. „Death Walker Tzimmek Cutter“, seine Stimme klang so kalt und hart, als spräche er mit irgendeinem seiner SOLDIER, „du hast dich der Befehlsverweigerung schuldig gemacht. Des weiteren bist du trotz mehrfacher Ermahnung nicht zu einer für dich äußerst wichtigen Schulung erschienen. Als Konsequenz streiche ich dir die restlichen freien Nachmittage dieses Monats!“ Cutter, in sitzender Position, die Luna Lance in den Händen haltend, reagierte nicht. Sie sah durch die Dunkelheit, die Hauswände und sogar durch Sephiroth selbst hindurch, als läge alles Wesentliche irgendwo dahinter, und schwieg. Ein Schweigen, das tiefer ging als jedes Wort und, bei Cutter, auf tiefe mentale und körperliche Erschöpfung hinwies. Der General ließ sich vor seiner Freundin in die Hocke gleiten. „Du bist verletzt.“ Jetzt klang seine Stimme nur noch ruhig und gefasst. Sachlich. Sie glich einem im Meer schwimmenden Stück Treibgut, groß und stark genug, um einem erschöpften Schwimmer die Möglichkeit zu geben, sich festzuhalten und vielleicht sogar tragen zu lassen. Und Cutter griff danach. Eine mentale Bewegung, die sich in der materiellen Welt als langsames Nicken äußerte. „Ja.“ Ihre Stimme klang völlig tonlos. „Was ist mit deinen Beinen?“ „Waren beide gebrochen. Ich habe sie mit Materia geheilt, aber ...“ Sie verstummte, schniefte leise und fuhr fort: „Ich ... ich habe versucht, diese Typen vom Töten abzuhalten, mit allem, wirklich allem! Aber es hat nicht geklappt. Sie haben einfach weiter Türen eingetreten und Menschen getötet, und es war ihnen ganz egal, wen sie erwischt haben. Und irgendwann hatten sie genug von mir und sind zu dritt auf mich losgegangen.“ „Das war zuviel für dich.“ „Sie hatten keine Line. Niemand von ihnen. Einer hat nur eine Sekunde gebraucht, um mich bewegungsunfähig zu machen. Er war so schnell ... Zum Glück befanden wir uns zu dem Zeitpunkt genau hier, also habe ich mich eingekerkert und gehofft, dass sie irgendwann die Lust verlieren. Aber sie haben nicht aufgegeben. Ich hatte so Angst, dass sie reinkommen ...“ Sie blinzelte. Tränen begannen über ihre Wangen zu laufen. „Diese getöteten Menschen ... ich konnte ihre Angst spüren. Und ihre Verwirrung. Und ...“, sie presste beide Hände auf die Ohren, „... ich kriege dieses Todesröcheln nicht aus meinem Kopf! Es geht einfach nicht weg ...“ Sephiroth seufzte leise. Genau deshalb ... Er streckte die Hände aus und schob Cutters eigene Hände vorsichtig, aber mit Nachdruck von den Ohren. „Deshalb habe ich dich ursprünglich zurück ins HQ geschickt.“ „Ich weiß“, wisperte Cutter und sah ihn zum ersten Mal seit Beginn der Diskussion ganz bewusst an. „Ich wusste es von Anfang an. Aber ich konnte einfach nicht auf dich hören.“ Sie schüttelte abermals den Kopf, schniefte leise und wischte sich energisch über die Augen. Trotzdem gelang es ihr nicht ganz, die feste Version ihrer Stimme zu finden. „Ich verstehe es nicht, Sephy. Diese Dinger ... leben doch irgendwie. Warum haben sie keine Line? Alles auf diesem Planeten hat eine Line, damit eine Kommunikation mit dem Planeten stattfinden kann. Und diese Bastarde sind definitiv keine Blue Wanderer!“ „Nein. Es ist ... Ich bin selbst in einen Kampf verwickelt worden und habe in dessen Verlauf einen Blick ins Innere dieser Wesen geworfen. Es ist eine neue Generation von Monstern - und eine weiterentwickelte Form meiner Selbst.“ „Das habe ich längst begriffen. Aber warum haben sie keine Line?! Sogar Monster haben eine! Sie sind ... anders als die von Menschen, Objekten oder Tieren, chaotischer, schwieriger, aber sie haben eine! Hojo mag alle möglichen Gesetze brechen und überlisten können, aber niemals den Planeten; so mächtig ist er nicht!“ „Anscheinend ist es ihm trotzdem gelungen.“ Die Stimme des Generals klang immer noch völlig ruhig und sachlich. „Ich denke allerdings nicht, dass es sich dabei um ein angestrebtes Ergebnis handelt.“ „Du hältst es für einen Zufall?“ „Was sonst bleibt übrig? Nicht einmal Hojo ist es möglich zu erforschen, was er nicht sichtbar machen kann. Fakt ist, etwas wie diese Wesen hat es niemals zuvor auf diesem Planeten gegeben. Vielleicht hat Gaia Probleme zu erkennen, was sie sind, und sie haben deshalb keine Line.“ „Du meinst, es könnte sich noch eine aufbauen?“ „Durchaus möglich. Aber ich bin kein Experte. Du schon.“ „Momentan nicht. Momentan bin ich einfach nur ... restlos kaputt. Was ist in der Stadt los? Ich habe Schüsse gehört.“ „Rufus hat eine vermutlich Ausgangssperre verhängt, deren Sicherstellung durch das Militär gewährleistet wird.“ „Schon wieder Gewalt. Oh, dieser Mistkerl! Und was ist mit diesen ... Dingern? Sind sie wieder im HQ?“ „Davon gehe ich aus. Sie werden wohl nicht mehr gebraucht.“ „Bis zum nächsten Mal. Und die Menschen können nicht weg. Weshalb ... Nein. Er will Solar Solution in die Enge treiben, nicht wahr? Hiwako zu einer unbedachten Tat oder gleich zur Kapitulation zwingen.“ „Ich gebe Solar Solution noch maximal eine Woche, dann wird ein erneuter Machtwechsel stattfinden.“ „Blut und Tränen. Immer wieder, Blut und Tränen. Kann ich denn wirklich nichts machen? Diese Biester mögen keine Line haben, aber Rufus hat eine, und ...“ „Vergiss nicht, Cutter, Rufus ist der Punkt, an dem alle Fäden zusammenlaufen. Wenn er stirbt, zerfällt die Electric Power Company in ihre Einzelteile. Es würde mich nicht wundern, wenn sich gewisse Dinge schon vorher selbst vernichten. Seine Konten zum Beispiel. Rufus würde sich eher beide Hände abhacken als zulassen, dass jemand außer ihm selbst Hand an sein Geld legt. Und ohne Geld sind selbst Hojo die Hände gebunden. Denn seine Arbeit verschlingt täglich Unsummen. Und betrifft auch dich.“ Er streichelte über Cutters Wange. „Glaub mir, in Situationen wie dieser gibt es nur eine einzige akzeptable Strategie.“ Cutter wollte protestieren. Aber die Fakten zerschlugen jedes Argument zu Staub. Und zwangen selbst sie zur Vernunft. „Also“, sagte sie schließlich leise, „A.B.R.?“ Sephiroth nickte. Abwarten. Beobachten. Reagieren. Der mit Abstand schlauste Plan in einer Situation, die man noch nicht vollständig zu überschauen vermochte, die einem mit Nebel gefüllten Tal glich, aus dem nur die Spitzen der höchsten Bäume herausragten. Jeder konnte sehen, dass es welche gab. Aber über deren genauen Zustand vermochte niemand etwas zu sagen. Bis auf weiteres musste das Wissen über die bloße Existenz von Bäumen ausreichen. Und so nickte auch Cutter. Gleichzeitig streckte sie die Hand nach der zerbrochenen Schulterrüstung aus. „Sephy, bist du verletzt?“ „Nein.“ Er schmunzelte. „Ich wollte meinem Gegner wenigstens einen Treffer gönnen. Alles andere wäre zu arrogant gewesen.“ „Angeber. Erzähl!“ Sie lauschte schweigend, schüttelte letztendlich den Kopf und konstatierte mit gänzlich veränderter, wesentlich düsterer Stimme: „Es wird nicht gut enden, oder? Letztendlich kriegt Rufus immer, was er will. Ganz egal, wie hoch der Preis ist. Und es spielt überhaupt keine Rolle, ob sich seine Opfer wehren oder nicht. Er wird Solar Solution vernichten, die Makoreaktoren wieder ans Netz bringen und den Planeten zerstören. Wir werden alle wegen des Größenwahns einer einzelnen Person sterben.“ Niemals zuvor hatte Sephiroth seine Freundin so hoffnungslos sprechen hören. Es beunruhigte ihn zutiefst! Und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei dies nur die Vorstufe zu wesentlich drastischeren, Cutter betreffenden Entwicklungen ... Dann rief er sich in Erinnerung, dass auch die junge Frau den ganzen Tag kämpfend verbracht hatte, und in welchem Zustand sie sich jetzt befand. „Phoenix, sieh dich an. Du bist klatschnass und völlig erschöpft. In diesem Zustand sieht alles äußerst trostlos aus. Was du jetzt brauchst, ist ein heißes Bad und Schlaf.“ „Hmhm“, machte Cutter leise. „Weißt du, du siehst momentan aus, als könntest du selbst mindestens eine dieser Sachen brauchen.“ „Tatsächlich? Dann bade ich mit dir.“ Ein Lächeln huschte über Cutters Gesicht. Gleichzeitig richtete sie die Luna Lance auf die zerstörte Schulterrüstung, reparierte diese ... und fiel Sephiroth um den Hals. „Dir ist nichts passiert ... Ich bin so froh!“ „Hast du ernsthaft einen anderen Ausgang des Kampfes erwartet?“ Aber gleichzeitig schob er seine Arme um ihren Körper, hielt sie fest auf eine Art und Weise, die überdeutlich versicherte, dass alle den Kampf betreffende Coolness momentan nur gespielt war. Es war knapp gewesen, unglaublich knapp. Und würde daher vermutlich kein weiteres Mal funktionieren. „Was werden sie jetzt tun?“, erkundigte sich Cutter leise. „Hojo und Rufus. Sie wollen dich immer noch erledigen. Wenn sie es mit diesen Monstern nicht schaffen ...“ „... werden sie sich etwas Neues ausdenken. Und ich werde es besiegen. Nichts und niemand kommt langfristig an mir und Masamune vorbei. Eigentlich sollten sie das mittlerweile wissen.“ „Hm“, machte Cutter leise und kuschelte sich enger an ihn. „Hmmh.“ Auch Sephiroth verstärkte seine Umarmung ein wenig. „Ich bin so froh, dass du lebst“, wisperte er irgendwann. „Und so kreativ bist. Die Idee mit dem nachwachsenden Beton war großartig.“ „Ich kam mir eher wie ein Feigling vor.“ „Ich kann dir versichern, du warst keiner. Also, hör wenigstens diesmal auf deinen General und Freund, ok?“ Und als Cutter nickte, fuhr er fort: „Gehen wir zurück ins HQ.“ „`Herz der Finsternis´ trifft es besser.“ „Wann hattest du Zeit, Comics zu lesen?“ Gleichzeitig kam er auf die Beine und zog Cutter mit sich. Gemeinsam verließen sie die Seitenstraße. So leer Midgar während des Gewitters gewesen war, so voll fanden sie es jetzt vor, aber es war ausschließlich ShinRa Militär, das schwer bewaffnet in den Straßen patrouillierte und die Bevölkerung zwang, in den Häusern zu bleiben. Cutter nahm dieses ganze Szenario in sich auf und konnte spüren, wie der seelische Schmerz stärker wurde. Es war einfach nicht richtig. All das hier entbehrte jeder Grundregel. Es ließ einfach alles vermissen, wofür so viele Menschen täglich kämpften. Respekt, Toleranz, Freundlichkeit ... Es war eine pure Machtdemonstration, erfüllt von Finsternis und Verachtung. „Weißt du“, sagte die junge Frau irgendwann leise zu ihrem Begleiter, „in diesem Comic geht’s ähnlich zu, wie hier. Nur, dass es dort einen Superhelden gibt, der gegen das Böse kämpft und es letztendlich vernichtet. Und dann ist alles gut.“ „Die Bösen bestraft und die Guten leben glücklich bis an ihr friedliches Lebensende? Dieses Szenario brauchst du in der realen Welt nicht zu suchen.“ „Aber ich würde es mir so sehr wünschen. Dass ein Superheld kommt und alles wieder in Ordnung bringt. Einfach, weil die Guten es verdient haben.“ „Das Argument reicht in dieser Welt nicht aus.“ „Ja.“ Ihre Stimme klang immer noch sehr leise. Und sehr traurig. „Es sollte anders sein.“ Als sie um die nächste Straßenecke bogen, tauchte das gigantische ShinRa HQ am Ende der Straße vor ihnen auf, wie ein König in seinem Thronsaal, majestätisch, erhaben, unnahbar und besitzergreifend. Der große Puppenspieler, der an den Fäden zog. Cutter hatte sich nie für eine Marionette der Electric Power Company gehalten – aber im Rahmen der jüngsten Ereignisse konnte sie spüren, dass diese Ansicht nicht zutraf. Die ungewollten Verbindungen waren überall. In ihren Gedanken, an ihrem Körper, in ihrem Herzen. Und sie schmerzten. Durchtrennen allerdings ließen sie sich nicht, denn jede einzelne von ihnen hinderte die junge Frau daran, abzustürzen. Und die Puppenspieler wussten das nur zu gut. Wirklich, dachte Cutter. Hat mein Protest jemals irgendetwas am System geändert? Nein. Ganz egal, wie sehr ich mich gesträubt habe, dieses oder jenes mit den Lines nicht zu tun, man hat immer Mittel und Wege gefunden, mich zu zwingen. Oder habe ich mich zwingen lassen? Nein. Die Konsequenzen wären für mich untragbar gewesen. Aber dafür waren die Lines niemals vorgesehen, niemals ... Dennoch habe ich sie genau dafür benutzt. Von Anfang an. Ich habe widerwillig, aber aktiv geholfen, ShinRa´ s Macht zu steigern. Und das heißt, der aktuelle Zustand der Stadt und selbst der des Planeten ist zum Teil auch meine Schuld. Dasselbe gilt für die heute gestorbenen Menschen. Denn wenn Widerwillen einen nicht davon abhält, eine Tat zu begehen, welchen Sinn sollte er im Nachhinein noch haben? Sephiroth fiel auf, wie still seine Freundin und wie seltsam das von ihr empfangene Gefühl war, aber er fragte nicht, wissend, dass sie zu ihm kommen würde, wenn die Last zu schwer wurde. Und so gingen sie schweigend nebeneinander her, betraten schließlich das trügerisch friedlich wirkende HQ und steuerten die Aufzüge an. Lange dauerte es nicht, ehe sich die Türen vor einer der Kabinen öffneten. Der Blick ins Innere allerdings offenbarte ein Überraschung der eher unschönen Sorte. Es gab genau zwei Personen, mit denen Cutter so wenig Zeit wie möglich verbringen wollte. Nicht, weil sie sich fürchtete (obwohl diese Furcht durchaus angebracht gewesen wäre), sondern weil diese beiden Menschen sie reizten, auf jede nur erdenkliche Art und Weise, und sie förmlich herausforderten, ihnen Schranken zu setzen. Genau das nicht zu tun, gehörte zu den größten Regeln, die Cutter täglich einhalten musste. Eine dieser beiden Personen war Rufus Shinra. Die andere ... Hojo verzog keine Miene hinsichtlich des sich ihm bietenden Anblickes. Er sagte kein Wort, als Sephiroth und Cutter die Kabine betraten. Die Türen schlossen sich, der Fahrstuhl glitt weiter nach oben. Etliche Sekunden blieb es ganz still. Dann allerdings ... „Du lebst noch.“ Die Stimme des Professors war kälter als Eis. „Zu schade.“ „Deine billigen Kopien“, antwortete Sephiroth zu gleichen Teilen gelangweilt wie verächtlich, „können mir nichts anhaben.“ „Noch.“ Der General ließ sich nicht zu einer weiteren Antwort herab, berührte aber warnend Cutters Schulter, vermittelte eine ganz bestimmte Botschaft. `Lass es!´ Seiner Aufforderung wurde Folge geleistet. Wenige Sekunden später hielt der Fahrstuhl auf der Ebene der Wohnmöglichkeiten für Offiziere. Sephiroth und Cutter stiegen aus, die Türen schlossen sich wieder, die kleine Kabine setzte ihren Weg fort. „Eines schönen Tages“, knurrte der Death Walker, „wenn du nicht hinguckst, verwandle ich ihn in eine Ratte und werde ihm irgendeine eklige Rattenkrankheit verpassen! Ich hab schon recherchiert.“ „Death Walker Cutter `Phoenix´ Tzimmek! Du hast zuviel Freizeit.“ Und dann, sachte schmunzelnd: „Verpass ihm die fieseste Krankheit, die deine Recherchen ergeben haben.“ „Deal!“ Und dann, wesentlich friedfertiger: „Ich glaube, ich freue mich auf die Badewanne.“ Sephiroth nickte. Er sich auch. Von `Freude´ waren Rufus und Hojo weit entfernt. Sie zogen es vor, mit der gewohnten Professionalität den ersten Einsatz der S-1 Einheiten auszuwerten – und Rufus war, wie üblich, nicht zufrieden. „Sie haben mir Perfektion versprochen, Professor! Das gelieferte Endergebnis entspricht nicht meinen Erwartungen!“ Hojo schnappte entrüstet nach Luft. „Sie wollten Wesen, ausgestattet mit Kräften, die sonst nur Maschinen erreichen! Schmerzunempfindliche Kreaturen ohne Moralvorstellungen und Werte, die kein eigenes Bewusstsein und keine Gefühle haben, sondern nur den gegebenen Befehlen von autorisierten Personen gehorchen, bis diese Befehle erfüllt sind! Wesen, die kämpfen, bis sie auseinanderfallen! Die keinen Schlaf, keine Erholung und keine Bezahlung benötigen! Eine Mischung aus meiner Genialität, Ihren Anweisungen und Jenovazellen! Genau das habe ich ihnen gegeben!“ „Wenn sie perfekt wären, hätten wir Crescent jetzt nicht mehr am Hals!“ „Das liegt an diesem verfluchten Schwert!“, ereiferte sich Hojo. „Nichts auf ganz Gaia kann dieser Klinge ...“ Rufus war sehr nach einem Nicken zumute, aber er beherrschte sich. Masamune war eine einzigartige Waffe und sie lag in den Händen eines einzigartigen Schwertkämpfers. Auf dem sichtbaren Schlachtfeld war diese Kombination nicht zu stoppen. Aber es gab noch die anderen. Solche, auf die Jenova Projekt 1 seine bevorzugte Waffe nicht mitnehmen konnte. Die unsichtbaren, die innerlichen Schlachtfelder. Eines von ihnen würde sich schon sehr bald eröffnen. „Es war nicht nur das Schwert“, unterbrach Rufus betont gelangweilt. „Sie haben Crescents Kämpfe gegen die S-1 Einheiten mit Hilfe der in der Stadt angebrachten Überwachungskameras ebenso aufmerksam verfolgt, wie ich. Er hat seine Gegner ausgetrickst.“ „Das hätte er nicht tun dürfen!“ „Vielleicht“, der Spott in Rufus´ Stimme war unüberhörbar, „hätten Sie es ihm sagen sollen. `Bleib einfach stehen und lass dich umbringen.´ Ich bin ganz sicher, er hätte auf Sie gehört.“ Gleichzeitig parierte er mühelos einen giftigen Blick seines Gesprächspartners und schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie diesbezüglich die S-1 Einheiten.“ Ein kaltes Feuer begann in seinen Augen zu glühen. „Wir erledigen Jenova Projekt 1!“ „Tun wir das, Mr. President. Und wie?“ „Ich dachte an ... Nibelheim.“ Hojo lächelte finster. „Das gesamte Nibelheim, Mr. President?“ „Die gesamte Wahrheit. Er wollte sie doch so sehr erfahren. Wir zeigen sie ihm. Danach wird er sich uns entweder für immer unterordnen, oder seinem Leben selbst ein Ende setzen. Immerhin hält er sich momentan für einen Menschen. Die Erkenntnis, doch keiner zu sein, dürfte ihn zutiefst schockieren.“ Hojos finsteres Lächeln verstärkte sich. „Dann also Nibelheim. Ich werde alle entsprechenden Vorbereitungen treffen.“ „Vorher kümmern Sie sich um die Aufstockung der S-1 Einheiten, sie werden für meine weiteren Pläne benötigt. Und, Professor? Es gibt da noch eine Aufnahme, die Sie sich ansehen sollten.“ Er drehte den Bildschirm des Laptops in Richtung Hojo und startete eine weitere, durch die Überwachungskameras aufgenommene Kampfszene. Zu sehen waren Cutter und die S-1 Einheiten – und wie diese die junge Frau in die Enge trieben, bis sich diese hinter dem Beton versteckte. Rufus beendete die Vorführung. „Fällt Ihnen etwas auf?“ „Ja. Sie lebt noch.“ „Das meine ich nicht. Sie kämpft nicht, wie gewohnt. Normalerweise verwandelt sie ihre Angreifer in irgendetwas völlig Harmloses. Aber diesmal hat sie es nicht getan, obwohl ihr Leben in Gefahr war. Sie haben bei Ihrer Entwicklung der S-1 Einheiten ein weiteres Mal das Ziel verfehlt, Professor.“ Hojo sog zischend die Luft ein und erkundigte sich eisig: „Was wollen Sie damit andeuten, Mr. President?“ „Dass sie stellenweise sogar über das Ziel hinausgeschossen sind, verehrter Professor. Denn es scheint, als hätten unsere S-1 Einheiten ... keine eigene Line.“ Hojo schwieg einen Augenblick. Dann begann er zu kichern, zuerst leise, dann laut. Es wurde zu einem Lachen, das selbst Rufus kalte Schauer über den Rücken jagte. „Fabelhaft! Großartig! Mr. President, wissen Sie, was das bedeutet?“ „Detaillierter, als Sie!“, antwortete Rufus betont verächtlich, konnte Hojos Freude aber nicht bremsen. „Wir werden eine Armee haben, die nicht einmal von Tzimmek oder dem Planeten beeinflusst werden kann! Niemand wird sie aufhalten können! Niemand!“ „Bis auf Jenova Projekt 1“, bemerkte Rufus trocken und mit hörbarem Widerwillen. „Hätten Sie damals nicht die Kontrolle über ihn verloren, könnten wir jetzt anders vorgehen, um uns seiner zu entledigen. Aber Sie mussten ja im entscheidenden Moment versagen.“ Bei aller von Hojo an den Tag gelegten bösartigen Genialität konnte es nie schaden, ihn des öfteren auf seinen größten Fehltritt hinzuweisen. Am besten täglich. (Und am liebsten stündlich, aber dafür fehlte es Rufus leider an Zeit.) „Nun ja, wir werden ihn mit Nibelheim erledigen.“ „Sie können Sich auf mich verlassen, Mr. President!“ Genau das, dachte Rufus, werde ich nicht tun. Und die heimlich in deinem Labor installierten Kameras werden mir bei deiner Überwachung gute Dienste leisten. Die Sache mit Jenova Projekt 1 allerdings dürfte in wenigen Tagen geklärt sein. Endlich! Endlich wird es der Electric Power Company gelingen, sich dieses viel zu stark gewordenen Risikofaktors zu entledigen! Ruhe wird einkehren. Und ich kann endlich wieder friedlich schlafen. Nur noch ein paar Tage! Sieh dich vor, Jenova Projekt 1! Diesmal breche ich deinen Willen vollständig! Besagtes `Projekt´ ahnte nichts von den finsteren Plänen, in denen es gänzlich ungewollt die Hauptrolle spielen würde. Erst jetzt, nach dem langen heißen Bad mit Cutter (und nach dem langsamen, gefühlvollen Sex, denn es war beiden unmöglich gewesen, sich nackt in derselben Wanne zu befinden ohne dem anderen körperlich so nah wie möglich zu sein) bemerkte er, wie müde er selbst war. Auch Cutter schien förmlich im stehen einschlafen zu wollen, und so dauerte es nicht lange, ehe sie schlafen gingen. Für gewöhnlich wartete Sephiroth ab, bis die eng an ihn geschmiegte Cutter eingeschlafen war, aber diesmal gelang es ihm nicht. Aber er wachte auf, als sie sich irgendwann von ihm löste und das Bett verließ. Der General wartete auf ihre Rückkehr, auf das erneute Anschmiegen, das seine Freundin in einer Perfektion beherrschte, die ihn schon nach wenigen Sekunden glauben ließ, der Körper in seinen Armen sei nie fort gewesen. Aber diesmal kam sie nicht zurück. Irgendwann verließ Sephiroth das Schlafzimmer, um sie zu finden. Die unsichtbare Verbindung zwischen ihr und ihm führte ihn direkt auf den Balkon. Cutter saß auf dem Boden, an die Wand gelehnt, und starrte ins Leere, so intensiv, dass sie zusammenzuckte, als sie ihn neben sich bemerkte. „Hey“, sagte sie dann leise. „Hab ich dich geweckt?“ „Ein bisschen.“ Und dann, obwohl der Sachverhalt im Grunde klar genug war, um sich jede diesbezügliche Frage zu sparen: „Phoenix, kannst du nicht schlafen?“ Kopfschütteln. „Ich hab´ s versucht. Aber jedes Mal, wenn ich kurz vorm Einschlafen bin, habe ich wieder dieses Todesröcheln im Kopf – und bin sofort hellwach.“ Sephiroth seufzte leise, aber nicht genervt, und ließ sich neben ihr nieder, spürte nur wenige Herzschläge später, wie sich ihr Kopf auf seine Schulter legte. „Die Erinnerungen sind noch sehr frisch.“ Seine Stimme klang sanft, verstehend. „Sie werden im Laufe der Zeit ihre Schärfe verlieren.“ „Meinst du?“ Tränen glitzerten in ihren Augen. „Ich glaube nämlich, nicht.“ „Ich meine nicht nur, ich weiß es. Weil es bei mir genauso war.“ Er schwieg einen Moment. „Das Geräusch, wenn sich früher im Labor die Eisenfesseln um meine Hand- und Fußgelenke schlossen ... Es hatte einen ganz speziellen Klang. Sehr ... hart. Und, natürlich, Hojos Stimme. Das ganze Labor und die Vorgänge darin. Ich weiß nicht, was grausamer war: Die Erinnerungen an all die dort stattgefunden Experimente oder der Gedanke an die neuen Versuche. Mein Körper hat sich immer wieder regeneriert, aber du weißt, wie tief die mentalen Verletzungen waren. Ich war mir so sicher, niemals darüber hinwegzukommen und habe sie akzeptiert, statt etwas dagegen zu tun. Dann sind ... so viele Dinge geschehen, die mir geholfen haben, und heute sind all diese Verletzungen, bis auf einige wenige Ausnahmen, vollständig verheilt. Deine werden genauso heilen.“ Cutter glaubte und vertraute Sephiroth, weil die von ihm vorhergesagten Dinge für gewöhnlich genau so eintrafen. Sie hätte so gerne genickt! Aber momentan fehlte ihr selbst für diese kleine und doch so aussagekräftige Bewegung die Kraft. „Worüber grübelst du noch?“, erkundigte sich ihr Freund leise. „Über mich. Und ShinRa. Hiwako. Und den Planeten. Ich muss ständig daran denken, dass ...“ Sie verstummte. Aber Sephiroth hatte keine Probleme, den Rest des Satzes zu ergänzen. „... auch du gewissermaßen schuld an der aktuellen Situation bist. Wie jeder, der für ShinRa arbeitet. Vom niedrigsten, bis hin zum höchsten Rang.“ „Aber ich bin anders! Ich hätte die Macht ... die Fähigkeiten, alles zu verändern!“ „Die du deiner Rückkehr und der militärischen Rangordnung untergeordnet hast.“ „Ja. Und mittlerweile denke ich, das war grundfalsch. Missversteh mich nicht, ich wollte unbedingt zurück zu dir und Zack! Aber ... vielleicht hätte es noch einen anderen, besseren Weg gegeben.“ „Damals nicht. Es ist sinnlos, sich Gedanken darüber zu machen. Was war, ist vergangen. Wir müssen unsere Kraft nutzen, die Gegenwart zu bewältigen. Sich schuldig zu fühlen ist wenig hilfreich, wenn man daraus keine Lehre ziehen kann oder die Umstände eine Weiterentwicklung dieser Lehre, in Form von Taten, verhindern.“ „Du meinst also, ich soll weitermachen wie bisher, weil ich sowieso nichts ändern kann?“ Ihre Stimme hatte einen seltsamen Klang. Als habe tief in ihr irgendetwas einen Sprung, der sich rasch ausbreitete. „Ich meine“, antwortete Sephiroth ruhig, „diese Sache hat ein Ausmaß angenommen, das weder du noch ich in gewünschtem Ausmaß beherrschen können. Wann habe ich zum letzten Mal zugegeben, irgendetwas nicht zu können?“ Cutter schwieg einen Moment. „Ich kann mich nicht erinnern.“ „Dann glaub mir einfach, Phoenix. Momentan können wir nichts tun, aber wir werden trotzdem wachsam bleiben und unsere Chance nutzen, sobald sie sich bietet. Also steigere dich nicht in diese Situation herein. Schuld ist etwas sehr Gefährliches. Sie kann dich in die lichtlose Tiefe ziehen, wie ein schwerer Stein. Ich würde dir zwar ohne zu zögern hinterher springen, aber wenn du dich nicht wehrst, verschenkst du vielleicht gerade die Sekunde oder die Situation auf die es ankommt, um dich wieder zu befreien.“ Cutter schmunzelte sachte. Es tat gut zu wissen, dass es jemanden gab, der ein Auge auf sie hatte. Aber gleichzeitig wusste sie mit tiefer innerer Gewissheit, dass es diesmal nicht ausreichen würde. Eine einmal gewonnene Erkenntnis ließ sich nur sehr schwer wieder verdrängen, und gerade die, aktiv an der momentanen Situation Midgars beteiligt zu sein, hatte sich mit scharfen Widerhaken in das Bewusstsein der jungen Frau gegraben. Und drang beständig (und äußerst schmerzhaft) tiefer ein. „Ich hätte es wissen müssen.“ Destins Stimme war nur ein Flüstern. „Dass Rufus etwas Derartiges plant. Ich hätte es wissen müssen.“ „Hättest du dann irgendetwas anders gemacht?“ Rogers Stimme am anderen Ende der Leitung klang ein wenig leiser als sonst, und tief in ihr glühte namenloses Entsetzen über die vergangenen Stunden. „Ja“, wisperte Destin. „Ich hätte es gar nicht erst begonnen.“ „Aber du hast es begonnen. Du ... verdammt, Destin, dich trifft keine Schuld!“ Seine Stimme gewann zunehmend an Energie. „Du hast selbst gesagt, der Planet hatte fast keine Kraft mehr. Wenn er stirbt, sterben wir alle! Dieses ganze Szenario, inklusive der heutigen Morde, geht aufs Konto des machtgeilen Rufus, und das weißt du! Also hör auf, dir irgendwelche Schuldgefühle einzureden, kapiert?!“ In Rogers Stimme klang noch eine andere Botschaft mit. `Sag Ja, oder ich stehe innerhalb von 3 Minuten vor deiner Tür und wir werden solange diskutieren, bis du mir glaubst!´ Keine gute Idee hinsichtlich des in den Straßen auf- und ablaufenden Militäraufgebotes. „Ja.“ Destin war selbst überrascht, wie ruhig seine Stimme schlagartig klang. „Das habe ich gesagt. Ich ... hatte es völlig vergessen. Du hast Recht! Es ist alles Rufus´ Schuld!“ „Na bitte! Destin, was heute passiert ist ... Es ist grausam und brutal, aber es wird Rufus nichts nützen! Der Untergang seines Unternehmens ist beschlossene Sache, ganz egal, wie sehr er strampelt! Denk dran, der Planet ist auf unserer Seite.“ „Ich werde es nicht wieder vergessen.“ Sie beendeten das Gespräch. Destin legte das Telefon weg, ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken und schloss die Augen. Der Planet ist auf unserer Seite? Wirklich? Weshalb hat er diese Leute dann nicht beschützt? Mittlerweile dürfte er doch genug Kraft gesammelt haben. Wie nur konnte er dieses Massaker zulassen? Liegt Gaia am Ende gar nichts an uns, sondern nur an sich selbst? Habe ich ... etwas Wichtiges missverstanden? „Bitte“, flüsterte er, „sprich mit mir. Sag mir, dass ich mich irre. Erklär es mir ...“ Er begann zu warten. Auf die Müdigkeit. Den Schlaf. Und den Traum. Den Traum, der ihm alles erklären würde. Er wartete die ganze Nacht. Vergeblich. Und als der Morgen graute, wusste Destin mit Gewissheit, dass er keine Antwort bekommen würde, sondern stattdessen die Tatsache akzeptieren musste, verraten worden zu sein. Von der Existenz, für die er so hart gekämpft, an die er so geglaubt hatte, für die Menschen gestorben waren ... Und er verstand es nicht. Aber er sollte keine Zeit haben, sich weiter darüber Gedanken zu machen, denn der Schrecken war noch nicht vorbei. Der Fernseher schaltete sich ein. Destin zuckte erschrocken zusammen und suchte mit dem Blick nach der Fernbedienung – aber diese lag auf dem Gerät. Der Fernseher hatte sich von ganz alleine aktiviert! Und nur wenig später wurde klar, wer dafür gesorgt hatte. Das ShinRa Logo füllte, untermalt von der Hymne der Electric Power Company, den ganzen Bildschirm. Und nicht nur diesen. Die Töne waren schlagartig in der ganzen Stadt zu vernehmen, und ein Blick aus dem Fenster sagte Destin, dass auch die großen, überall in Midgar benutzten Reklametafeln dasselbe Bild zeigten, wie der Fernseher. Etwa eine Minute lang. Dann verschwand das Logo, die Musik verstummte. Rufus erschien. Er saß hinter einem tiefschwarz glänzenden Schreibtisch und lächelte wie ein Raubtier, das gerade seine Lieblingsbeute in die Enge getrieben hatte und sich nun fragte, welches Körperteil er zuerst angreifen sollte. „Guten Morgen, Midgar.“ So freundlich seine Stimme klang, man konnte die blitzenden, scharfen Reißzähne förmlich hören. „Gut geschlafen? Süß geträumt?“ Die Betonung machte überdeutlich, dass er nur aus purem Spott fragte, und eine Antwort nicht die geringste Rolle spielte. „Ich habe keine Sekunde geschlafen. Ich musste denken. Für mich ... und letztendlich auch für euch. Und ich bin zu einem Entschluss gekommen. Ich möchte mich für das gestrige Verhalten meiner neuesten S-1 Spezialeinheiten entschuldigen. Sie waren ... vielleicht ... ein wenig grob. Aber das lässt sich auf ihre Sorge bezüglich ihres Arbeitsplatzes zurückführen. Die Electric Power Company ist der größte Arbeitgeber dieses Planeten, und eine Schließung wäre ... nennen wir es vorsichtig: Unerwünscht. Das umschreibt einen Zustand, der sich für alle Beteiligten höchst unangenehm auswirken würde. Von daher danke ich den Bewohnern Midgars für ihre Entscheidung, der Solarenergie den Rücken zu kehren und die Energieversorgung wieder gänzlich in die Hände ShinRa´s zu legen. Das schließt die schnelle, für euch relativ kostengünstige Entfernung der Solarplatten mit ein. Wann ich diese Last von euch nehme, liegt ganz bei euch.“ Seine Stimme änderte sich, wurde merklich kälter und befehlender. „Bringt mir Hiwako Destin! Bis es soweit ist, werden meine S-1 Einheiten jeden Tag mindestens einmal durch die Stadt ziehen und eure Entschlussfreudigkeit auf die bereits bekannte Art und Weise fördern! Zum nächsten Mal in ... ach, lasst euch überraschen. Es liegt ganz in euren Händen, dieses für euch sicher höchst ungewollte Szenario zu beenden. Euch allen noch einen schönen Tag!“ Das Bild verblasste. Stattdessen erschien erneut das ShinRa Logo. Auf jedem Fernseher, auf jeder Reklametafel. Lautlose Versicherung für `ShinRa ist überall!´ Destin nahm es kaum wahr. Er fühlte sich wie mit Eiswasser übergossen und gleichzeitig in Brand gesteckt. Es war noch nicht vorbei ... Die entsetzlichen Ereignisse des gestrigen Tages würden sich wiederholen ... immer und immer wieder ... Bis er sich stellte. Destin seufzte tief auf, schloss die Augen, ließ den Kopf auf die am Rand der Tischplatten liegenden Arme sinken und nahm wahr, heftig zu zittern. Jetzt hing jedes einzelne Leben in Midgar von seiner Entscheidung ab. Und er würde eine Entscheidung treffen müssen. Ganz allein. ----------------------------------------------------- Nachtrag, 04.12.10 Liebe Fans, Freunde und Komplizen, ich wollte es nicht wahr haben, kann es aber nicht weiter leugnen. Leider ist trotz aller Planung, aller Arbeit und aller investierter Zeit in `Blue Wanderer´ jetzt genau das passiert, was ich eigentlich um jeden Preis verhindern wollte: Mein Vorsprung an fertig geschriebenen Kapiteln ist zu Ende und der Rest (inklusive des für diesen Samstag vorgesehenen Updates) ist mehr oder weniger Baustelle. Ich sehe mich daher gezwungen, `Blue Wanderer´ auf Eis zu legen, bis es mir gelungen ist, diese Baustelle/n in etwas zu verwandeln, das man gefahrlos betreten kann. Im Grunde fehlt auch gar nicht mehr viel, aber was fehlt, ist wirklich wichtig. Tut mir leid, aber das ist die einzige Möglichkeit. Liebe (und gleichzeitig zerknirschte ) Grüße B. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)