Scramble von Vanillaspirit ================================================================================ Kapitel 5: welcome back ----------------------- Es war Montag Nachmittag und lautes Gebrüll erfüllte die Luft um das Footballfeld der Deimon High. Jugendliche in voller Montur stemmten sich gegen einen improvisierten Dummy aus zusammengebundenen Fässern auf geräderten Holzpaletten. Eine von Doburokus unverkennbaren Konstruktionen, die herhalten musste für das eigentliche Gerät, welches nur noch ein Haufen Schrott im Schatten des Clubhauses war. Gegenüber der Line trainierte der neue Kicker. Sena hatte die zweifelhafte Ehre ihm als Holder zu assistieren und konnte gerade noch rechtzeitig seine Finger zurückziehen, als der Ball getroffen und im hohen Bogen auf das Tor zuflog. Hinter dem Kick steckte eine beeindruckende Kraft, jedoch keine Präzision und mit einem lauten „Klong“ prallte der Ball vom linken Torpfosten ab. Von dem Hügel zwischen Schulgebäude und Feld hatte Mamori Übersicht über das gesamte Feld. Nachdenklich beobachtete sie das Passtraining Montas mit einem schlaksigen Jungen, dessen Trikot ein paar Nummern zu weit wirkte. Sie sah zu, wie Juumonji versuchte seine Line anzutreiben, Suzuna immer wieder Getränke verteilte und Taki mit einem anderen Jungen das Leiterlaufen absolvierte. Es wirkte normal und dennoch bekam Mamori ein flaues Gefühl im Magen. Nichts wirkte harmonisch oder zielgerichtet. Doburoku war kurz davor zu resignieren. Er hatte es geschafft eine Bande Straßenkinder und einen Jungen, der an seinen netten Tagen als bösartig gerissen zu bezeichnen war, zu trainieren, aber diesmal schien er an seine Grenzen zu geraten. Er stürzte einen Schluck Sake seine Kehle hinab, bevor er, mit dem Tonkrug in der Hand, neue Anweisungen über den Platz brüllte. Erst als er eine Bewegung in seinen Augenwinkeln sah, hielt er inne und drehe sich grinsend zu dem wohlbekannten Duft aus Vanille und Pfirsich um. Sein Lächeln wurde noch um einiges breiter, als er die rote Trainingshose und das weiße T-Shirt bemerkte. „Ich wusste, dass du kommen wirst“, begrüßte er Mamori ohne Umschweife und hätte am Liebsten laut gelacht, als das Mädchen nur fragend eine Braue hob. „Du kannst ihm eben nichts abschlagen.“ Der alte Trainer fröstelte leicht, als die Aura um Mamori schlagartig kälter wurde. „Ich bin nicht wegen ihm hier“, erklärte sie eindringlich. „Natürlich.“ Doburokus Stimme war voller sanftem Spott. Er setzte den Tonkrug an seine Lippen und nahm einen weiteren Schluck Sake. „Hauptsache, du bist hier.“ Mamori lächelte. Ihr wurde erst jetzt bewusst, wie gern sie solche Worte hören wollte. „Man kann vieles über den Jungen sagen“, fuhr der alte Mann fort und riss die Aufmerksamkeit des Mädchens wieder an sich, „aber die Devilbats würde er nie im Stich lassen.“ Artig nickte Mamori. Sie nickte auch, als ihr Gesprächspartner von Hirumas Lebensziel sprach. Ein bisschen vermessen vielleicht, denn wirklich konnte niemand wissen, was in dem Kopf des Jungen vorging. Erst, als Doburoku ein wundes Thema anschnitt, blickte sie ihn aufmerksam an. „… und du als gute Freundin, tust natürlich alles, um ihm zu helfen.“ Ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Der alte Mann war wenig beeindruckt. Amüsiert zuckten seine Mundwinkel, während er den Sakekrug wieder zu seinem Mund führte. „Ich bin nicht seine Freundin.“ Wenn man zusah, wie ihre blauen Augen funkelten, die Nasenflügel bebten und die Wangen sich tiefrot färbten, konnte man nachvollziehen, warum Hiruma das Mädchen zu gern aufregte. Beruhigend versuchte er ihr auf die Schulter zu klopfen, was sich als recht schwer erwies, da er um einiges kleiner war. „Wie auch immer“, erklärte er gelassen. „Hauptsache, ihr reißt euch wieder zusammen.“ Mamori rollte mit den Augen. Sie hatte keine Lust weiter über Hiruma zu reden, schon gar nicht, weil es für Doburoku ohnehin nur ein Spaß war. Sie schüttelte den Kopf. Wenn sie noch länger zuließ, den alten Mann darüber reden zu lassen, würde er früher oder später nur auf seine Theorie zurückkommen, dass es zwischen ihr und dem Ex-Quarterback schon lange funkte. Um sich abzulenken ließ sie ihren Blick über das Feld schweifen. Nachdenklich beobachtete sie einen Jungen, der ihr bekannt vorkam. Unbeteiligt saß dieser im Gras, den Helm neben sich gestellt, den Oberkörper zurückgelehnt und auf die Arme gestützt. Er beobachtete die Linemen und gönnte sich immer wieder ein Grinsen, mal gehässig, mal schlicht amüsiert. „Wer ist das?“, fragte Mamori und zeigte mit dem Kinn in die Richtung des Schwarzhaarigen. Doburoku neben ihr strich sich mit nicht deutbarer Miene über den Bart und nickte knapp. „Warum trainiert er nicht?“ Die Runzeln im Gesicht des alten Mannes vertieften sich noch mehr. Es war unübersehbar, dass er nicht all zu viel von dem Jungen hielt. Erstaunlich, wenn man bedachte, was für besondere Charaktere er schon unter seiner Obhut hatte. „Weil er eben Yamanaka Masao ist“, antwortete er einen Hauch zu genervt. „Ich kann froh sein, wenn er nicht schon wieder Ärger macht.“ „Warum ist er dann überhaupt noch im Team?“ Es war mit Sicherheit eine berechtigte Frage, auch wenn Mamori noch nie erlebt hatte, dass irgend jemand aus der Mannschaft geworfen wurde. Bisher hatte Hiruma es immer nur mit sehr viel Überredungskunst geschafft gerade so die erforderliche Zahl für ein Spiel zusammen zu bekommen. „Er ist eben Yamanaka Masao“, erwiderte Doburoku und knirschte mit den Zähnen. Bevor Mamori ihre Meinung zu der kryptischen Aussage kund tun konnte, bemerkte sie, dass sie die Aufmerksamkeit Masaos auf sich gezogen hatte. Ruhig beobachtete sie, wie dieser sie unverhohlen musterte. Langsam erhob er sich, klopfte den Dreck von seiner Hose und schlenderte auf das Mädchen und den Trainer zu. Er hatte diese Aura, die Mamori mittlerweile abstieß: sich seiner Wirkung bewusst und jeden mit seinem Ego erdrückend. „Gut, dass du kommst“, begrüßte der alte Mann neben Mamori den Ankömmling, der keine Notiz davon zu nehmen schien. „Darf ich dir Anezaki Mamori vorstellen?“ Flüchtig wanderte ein Blick voller jugendlicher Überheblichkeit zu Doburoku. Im Gesicht klebte ein Lächeln, dass Masao wohl als charmant empfand. Das Mädchen nutzte die Gelegenheit den Jungen genauer zu mustern. Er war attraktiv und trotz seiner Größe wirkte er nicht schlaksig oder unbeholfen. „Hallo“, raunte er und verblüffte Mamori mit einer sehr tiefen Stimme. Dieser Junge musste der Traum aller Mädchen in der Mittelschule gewesen sein und gab sich nun die Ehre die Deimon High zu besuchen. „Äh, hallo“, entgegnete das Mädchen und versuchte verzweifelt nicht zu kichern. Es fiel ihr schwer, sein offenes Interesse ernst zu nehmen. Bevor er auf die Idee kam sie mit einem weiteren Lächeln zu entzücken, verabschiedete sie sich mit einem „Ich sollte dann mal Suzuna-chan helfen“ und trat einen taktischen Rückzug an. Aufgeregt hüpfte Monta durch das Clubhaus, sprang auf den Tisch in der Raummitte, auf dessen Platte ein kleines Footballfeld geklebt worden war und hängte sich schließlich an die Lampe, um hin und her zu schwingen. Noch gestern hätte er vermutlich einen Berg aus Gerümpel heruntergerissen und den Fußboden endgültig unter Müll verschwinden lassen. Suzuna bemühte sich redlich als Manager, aber die Doppelbelastung als Cheerleader-Captain und der weite Weg von ihrer Schule, machten es ihr schwer sich um alle Belange des Teams kümmern zu können. Sie war ebenso froh darüber gewesen, dass Mamori ihre alte Stellung mehr oder weniger wieder ausfüllte, wie Raimon, dessen Affenzirkus tatkräftige Unterstützung von Taki erhielt. Es war ein bizarrer Anblick. Der große, überdrehte Taki wirkte wie ein deformiertes Showgirl, als er sein Bein über seinen Kopf streckte und nur mit einem Handtuch bekleidet Pirouetten drehte. Begleitet von einem enthusiastischen „A-Ha Ha“ löste sich das Frotteetuch und landete vor den Füßen eines Neulings, der sich angewidert abwendete. „Warum das ganze Theater?“, fragte der Junge mit den rotgefärbten Haaren und der angeekelten Grimasse. An Tagen wie diesen bezweifelte er, dass es eine kluge Entscheidung war als Kicker in das Team eingetreten zu sein, andererseits waren sie die beste Mannschaft Tokyos. Schmerzhaft wurden seine Gedanken unterbrochen, als Montas Klammergriff an der Lampe versagte, der Oberschüler durch die Luft segelte und den Rotschopf zu Boden riss. Gleichzeitig verärgert und überrascht blickte Sawada Jun auf das Bündel Mensch, das auf ihm gelandet war. In Momenten wie diesen konnte er Masaos Abneigung gegen die exzentrischen Mannschaftsmitglieder aus den höheren Klassen verstehen. Sie waren schlicht und ergreifend Idioten, aber liebenswerte Idioten, wie er gedanklich anhängen musste, als sein Captain ihm eine helfende Hand reichte. „Mamo-nee … ich meine Anezaki-san ist zurück“, erklärte Sena, während er sich verlegen den Nacken rieb. „Ah“, machte Jun und nickte. Liebeskrank diagnostizierte er im Stillen als er einen Blick auf einen schwankenden Monta warf. Nachvollziehen konnte er es dennoch nicht. So ein Zirkus wegen eines Mädchens. Vielleicht konnte er es auch nicht begreifen, da ihm die Verbindung innerhalb der Mannschaft entgangen waren. Er wusste nichts von der engen Freundschaft, die im Originalteam geherrscht hatte und konnte sich nur ein wages Bild davon machen, wenn er, so wie heute, einmal nicht an Masaos Seite war. Sie waren eine eingeschworene Gemeinschaft, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Manchmal fragte er sich, ob Masaos Abneigung gegen die älteren Teammitglieder einfach nur Eifersucht war, weil er, trotz Talent, nie ein Teil dieser Clique werden könnte. Jun zuckte mit den Schultern und ignorierte die fragenden Blicke. Yamanaka war ohnehin ein kleines Kind, das permanent nach Aufmerksamkeit verlangte. Einer wie er musste fast vergehen bei dem Gedanken, dass jemand so unscheinbares und unterdurchschnittliches wie Sena der große Star war. „Bin zurück“, rief Sena unbestimmt in das Haus, während er aus seinen Schuhen schlüpfte. Penibel stellte er das Paar neben die anderen Schuhe in dem Eingang, schnappte sich seine Pantoffel und erklomm die kleine Stufe in den bewohnten Teil des Hauses. Der Holzboden roch nach Zitrone und hier und da schimmerten noch feuchte Stellen. Seine Mutter hatte anscheinend ihren wöchentlichen Putztag gehabt. Automatisch begann er große Schritte zu machen, um so wenig Dreck wie möglich zu verbreiten. Aus der Küche schwebte der Duft von Gewürzen und gekochtem Fleisch. Seine Mutter war wohl schon dabei das Abendessen vorzubereiten. Senas Magen grummelte und auf einen kleinen Leckerbissen hoffend, bog er in die Küche ab, anstatt wie üblich gleich die Treppe hinauf in sein Zimmer zu gehen und die Sporttasche auf sein Bett zu werfen. Wie erwartet stand Senas Mutter mit dem Rücken zur Küchentür und rührte in einem Topf. Alarmiert durch ein Schrammen der Sporttasche am Türrahmen, wandte sie ihren Kopf zu ihrem Sohn. Ein Lächeln zierte ihr Gesicht. „Hallo, mein Schatz“, begrüßte sie den Jugendlichen fröhlich. Dieser nickte knapp und erwiderte das Lächeln eher zaghaft. Als er noch näher kam, legte sie den rötlich-braun verschmierten Kochlöffel beiseite und drehte sich ganz herum. „Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht“, sagte sie heiter, „es gibt Curry.“ Sena zwang sich weiter zu lächeln. Das Curry seiner Mutter war mit zwei Worten treffend zu beschreiben: höllisch und scharf. Sein Magen rumorte wieder. Anscheinend hatte er keine Wahl. Er war hungrig und konnte leider nicht selber kochen – mit viel Reis war allerdings auch dieses Gericht einigermaßen erträglich. „Oh, da fällt mir ein“, sagte Kobayakawa Mihae und wischte ihre Hände an ihrer knielangen, weißen Schürze ab, „heute hat jemand einen Brief für dich abgegeben.“ Fragend blickte Sena zu ihr, während er seine schwere Tasche endlich auf einem der Stühle am Esstisch abstellen konnte. „Wer denn?“ Seine Mutter antwortete nicht und zog nur einen Brief aus ihrer Schürzentasche. Der Junge schaute erst auf den Brief, dann in ihr Gesicht. Ihr Lächeln wirkte auf einmal künstlich und erzwungen. Stirnrunzelnd nahm er den Umschlag entgegen. In sauberer Schrift stand Masaos vollständiger Name darauf. Verwundert drehte er den Brief und musste hart schlucken. Das Wort „Austritt“ machte es unnötig das Schreiben überhaupt noch lesen zu müssen. Für die Länge eines Herzschlages glaubte Sena das Bewusstsein zu verlieren, doch der Moment verging und er stand immer noch auf beiden Beinen, die sich instinktiv in Bewegung setzten. Verwirrt blickte Mihae ihrem Sohn nach, als dieser aus der Küche sprintete. Kräftiger als nötig, drückte Musashi den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus. Sein Blick war geradeaus gerichtet. Hiruma schenkte ihm wie üblich keine Beachtung. Die Beine auf dem Tisch, das Notebook im Schoß, saß dieser gegenüber und trank einen Kaffee, so stark, dass der Geruch den gesamten Raum erfüllte. Musashi kippte mit seinem Stuhl zurück und stieß gegen die Wand hinter sich. Mit einem undefinierbaren Geräusch fuhr er sich fahrig durch die Haare. „Das erklärt natürlich einiges“, stieß er schließlich aus. Sein Gegenüber reagierte noch immer nicht. Der Blonde hatte Musashi in seine Wohnung beordert, ihm eine Nachricht offenbart, die nicht so einfach zu begreifen, geschweige denn zu verdauen war und schwieg nun vor sich hin. „Lass mich raten, du wirst es natürlich nicht den anderen sagen.“ Diesmal reagierte Hiruma auf Musashis Worte. Seine Augen drehten sich zu seinem Gast und verengten sich. „Wüsste nicht, was es die verdammten Bälger angeht“, zischte er. Musashi wirkte fast amüsiert, als er schnaubte. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte zur niedrigen Küchendecke. Spinnenweben breiteten sich aus und ein dunkler Fleck, der wohl das Überbleibsel eines alten Wasserschadens war. Überhaupt wirkte die kleine Wohnung heruntergekommen, aber das schien ihren Besitzer nicht zu stören. Die Räume waren mit Sicherheit kostenfrei und nur der Teufel wusste, mit was er den Mieter dazu „überredet“ hatte. Hiruma war niemand, der sich großartig um seine Unterkunft kümmerte. Sämtliche Türen im Inneren waren entfernt worden und die wenigen Möbel waren fast leer und von Staub überzogen; lediglich ein kleiner Schreibtisch im Hauptzimmer nebenan, wurde sichtlich benutzt. Unmengen an Handys lagen darauf, teils aufgeschraubt oder nur noch in Einzelteilen vorhanden. Mehr brauchte er nicht, nur einen Platz zum Schlafen und Denken. „Das weißt du sehr wohl“, griff Musashi das Gespräch wieder auf. „Wenigstens eine Erklärung bist du ihnen schuldig.“ Er musterte einen Moment lang seinen Gesprächspartner, der mehr als desinteressiert wirkte und gab schließlich nach. „Dann erzähl es zumindest Kurita!“ „Pah, der verdammte Fettsack“, ereiferte sich der ehemalige Quarterback, „wird nur heulen und es dann doch den dämlichen Gören stecken.“ Trocken lachte Musashi auf, doch bevor er etwas erwidern konnte, ertönte eine piepsige Melodie. Hiruma hob fragend eine Braue, nachdem er sein Handy aus der Hosentasche gezogen hatte und auf das Display schauen konnte. Seine Mimik änderte sich von fragend zu erstaunt und weiter zu verärgert. Mit einer fließenden Fingerbewegung klappte er das Handy auf, fuhr mit dem Daumen über die Tastatur und hielt es an sein Ohr. „Ich hoffe für dich, du hast einen verdammt guten Grund mich zu stören, Zwerg.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)