Hide from the Sun von TheLoneWolf ================================================================================ Die siebte Nacht ---------------- Die siebte Nacht Mehrere Wochen waren inzwischen vergangen. Zwar kam Seto seit diesem einmaligen Zwischenfall nun wieder regelmäßig zur Arbeit, jedoch gab es einige Änderungen in der Firma. Keiner der Angestellten durfte das Büro des jungen Firmenchefs betreten, es sei denn Kaiba wünschte es und mit Geschäftspartnern traf er sich nun bevorzugt in den Abendstunden. Wenn dies nicht möglich war erschien er stetes mit einer dunklen Sonnenbrille bei den Meetings. Jedoch verbrachte er zu Mokubas Enttäuschung die Nächte auch weiterhin nicht zu Hause. Er sagte nur, er würde an wichtigen Projekten arbeiten und habe viel zu tun, weshalb es sich nicht lohnen würde, nur zum Schlafen zur Kaiba-Villa zu fahren. Sein kleiner Bruder war trotz allem glücklich und bemühte sich, die Wünsche des Älteren so gut wie möglich zu respektieren, obwohl ein Rest Unsicherheit immer noch blieb. Es war ein seltsames Gefühl, dass er mit Seto nicht einfach über seine Probleme sprechen konnte, so wie er es immer getan hatte. Sie hatten sich immer alles sagen können. Mehr noch: sie verstanden einander auch ohne Worte. Ein Blick in die blauen Augen des Älteren hatte gereicht und er kannte seine gesamte Gefühlswelt. Aber Mokuba bekam seinen Bruder ja kaum noch zu Gesicht. Wie sollte er so seine Gefühle deuten und verstehen? Fest stand nur, dass sich der Brünette verändert hatte. Warum wusste der Jüngere noch nicht, doch er hoffte, dass Seto es ihm irgendwann von sich aus sagen würde. Doch meistens wollte dieser seine Probleme ganz allein und ohne Hilfe lösen. Niemals wollte er jemandem etwas schuldig sein. Deshalb machte er lieber alles mit sich selbst ab und verbarg seine Gefühle vor der Welt. Emotionen waren für ihn nur ein Ausdruck von Schwäche. Mokuba würde wohl noch viel Geduld aufbringen müssen, bis sein Bruder sich dazu überwinden würde, ihn um Unterstützung zu bitten. *********************************************************************** Die große Turmuhr schlug Mitternacht und über der gesamten Stadt lag eine seltsam bedrückende Stille. Es wäre bestimmt stockfinster gewesen, hätten die Lichter der zahllosen Wohnhäuser und Geschäfte die Nacht nicht erhellt. Wie eine große runde Scheibe hing der Mond am Himmel und ein paar vereinzelte Sterne funkelten schwach vor sich hin. Doch in dieser Stadt fielen sie niemandem auf. Fast niemandem. Mokuba hatte am offenen Fenster in Setos Schlafzimmer gesessen und hatte in dem Nachthimmel geschaut. Er wusste nicht mehr, wie lange er dort verweilte auf der Suche nach Trost, doch der Anblick dieser Schwärze mit nur ein paar leuchtenden Punkten, die kaum wahrzunehmen waren, hatte irgendwie beruhigend auf ihn gewirkt. Er hatte sich erst ins Bett zurückgezogen, als ihm kalt geworden war. Trotzdem ließ er das Fenster aber einen Spalt weit offen stehen. Draußen war es bitterkalt, schließlich war es schon fast Mitte Januar. Die Feiertage waren dieses Mal relativ bedeutungslos an den Brüdern vorbeigegangen. Aber Mokuba war auch nicht wirklich in Feierlaune gewesen, da Seto und er sich so gut wie gar nicht gesehen hatten. Der Ältere hatte dafür immer wieder zu viel Arbeit als Grund angegeben. Zwar hatte der 14-Jährige geglaubt, er würde in dieser Nacht kein Auge zubekommen, doch er schlief trotzdem recht schnell ein. Die Müdigkeit übermannte ihn, ohne dass er irgendwelchen Widerstand leistete, denn der Schlaf war für ihn erholsam und Trost spendend. So konnte er wenigstens für ein paar Stunden seine Sorgen vergessen, bevor das Klingeln des Weckers ihn auf grausame Weise zurück in die Realität holte (Anmerkung: Stimmt doch!). Wie ein Gespenst wehte die Gardine in dem leichten Windzug, der durch das offene Fenster hereinkam, hin und her, als plötzlich die dunkle Silhouette einer Person im Rahmen erschien. Eine Weile verharrte sie dort und beobachtete den Jungen, der in dem großen Bett lag, um sicher zu gehen, dass dieser auch wirklich schon schlief. Erst als sie sich davon ausreichend überzeugt hatte, kletterte die Person durch das Fenster in den dunklen Raum hinein. Es war niemand geringeres als Seto Kaiba, der sich auf diese ungewöhnliche Art Eintritt in sein eigenes Schlafzimmer verschaffte. Er hatte es abgelehnt, durch die Tür zu gehen, weil er befürchtet hatte, jedes noch kleine Geräusch hätte Mokuba aufwecken können. Doch er wollte seinen kleinen Bruder auf keinen Fall aus seinen Träumen reißen. Lautlos wie ein Schatten bewegte sich der 19-Jährige auf das Bett zu. Ihm fiel auf, wie friedlich der schwarzhaarige Junge doch aussah, wenn er schlief. Doch Seto fand auch, dass eine Spur von Kummer ebenfalls in dem kindlichen Gesicht zu erkennen war. Er wusste, dass dies seine Schuld war, auch wenn er es nicht gewollt hatte. Niemals hätte er seinem Bruder absichtlich schaden wollen – ganz egal auf welche Weise. Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante und spürte, dass die Matratze unter ihm etwas nachgab. Regungslos saß er da und beobachtete, wie sich der Brustkorb seines Bruders leicht hob und senkte unter der Bettdecke, während er gleichmäßig atmete. Seto hätte dem Jüngeren so gerne gesagt, dass ihm all das, was in letzter Zeit geschehen war, sehr Leid tat. Doch das ging nicht. Wie hätte er Mokuba in die Augen sehen können, nach dem, was mit ihm passiert war. Wahrscheinlich hätte der Junge ihn nicht mehr gehen lassen wollen, wenn er seine Anwesenheit bemerkt hätte und auch er selbst wäre gern für immer geblieben. Doch der junge Firmenchef hatte sich verändert und nun schienen er und sein kleiner Bruder in zwei völlig verschiedenen Welten zu leben. Der 19-Jährige erhob sich wieder und war gerade im Begriff zu gehen, als er eine leise Stimme fragend seinen Namen sagen hörte. Noch im Halbschlaf setzte sich Mokuba im Bett auf und rieb sich ungläubig die Augen. Er hatte Mühe, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, welche nur vom Schein des Mondes erhellt wurde. Seto drehte sich jedoch nicht um und tat so, als hätte er den Jüngeren nicht gehört. Gerade als er die Türklinke herunterdrücken wollte, spürte er einen leichten Ruck an seinem Mantel. Es war Mokuba, der so schnell aus dem Bett aufgesprungen war, dass Seto es in seiner Bemühung, ihn zu ignorieren, überhaupt nicht mitbekommen hatte. Doch nun stand er direkt hinter ihm. „Seto, was tust du hier?“ fragte der schwarzhaarige Junge unsicher. Seine Stimme zitterte. Doch er bekam keine Antwort. Nicht mal einen Blick. Der Brünette konnte dem anderen Jungen einfach nicht in die Augen schauen. Aber plötzlich vernahm der Ältere ein leises Schluchzen hinter sich: „Seto…“ Er fühlte sich miserabel dabei, seinen geliebten Bruder so zu behandeln und er hatte Mitleid mit ihm. Der junge Firmenchef hasste sich selbst dafür, dass er Mokuba solchen Kummer bereiten musste. Deshalb erbarmte er sich endlich und drehte sich um. Am liebsten hätte er den anderen Jungen in den Arm genommen, um ihn zu trösten. Er hielt jedoch inne, weil er es nicht wagte, sein Gegenüber zu berühren. Zu sehr fürchtete er das, was hätte passieren können. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick, was Mokuba dazu brachte, den Zipfel vom Mantel seines Bruders aus seinem Griff zu entlassen. Seto bemerkte das Entsetzen in den Augen des Jüngeren, weshalb er sich mit nur einem Satz in eine andere Ecke des Zimmers begab. Die Bewegung war so schnell, dass der Schwarzhaarige sie kaum wahrgenommen hatte. Er starrte nur weiterhin geschockt in Setos Augen, welche blutrot leuchteten. Was in aller Welt war nur mit ihm geschehen? Für einen Moment herrschte eine Furcht erregende, bedrückende Stille im Raum, doch dann sagte der junge Firmenchef unvermittelt: „Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehen“, und damit bewegte er sich auf das immer noch offen stehende Fenster zu. „Nein! Bitte geh nicht! Bleib bei mir!“ rief Mokuba verzweifelt. Nun, da sein Bruder endlich mal wieder in seiner Nähe war, wollte er auf keinen Fall, dass er ihn so schnell wieder verließ. Darüber vergaß er ganz den eben erlittenen Schreck. Seto hielt inne. Eigentlich wollte er den anderen Jungen gar nicht alleine lassen. Doch er wusste, dass er nicht bleiben konnte. Der Gedanke daran, dass sein Anblick Mokuba Angst gemacht hatte, schmerzte ihn sehr. So wie ein Messerstich mitten ins Herz. „Jetzt sind wir endlich mal wieder zusammen und du willst einfach wieder gehen? Das kann doch nicht dein Ernst sein! Glaubst du etwa allen Ernstes, ich wüsste nicht, dass du jede Nacht hierher kommst? Wieso machst du dich nicht bemerkbar, wenn du da bist? Ich verstehe nicht, was diese Heimlichtuerei soll. Wie kannst du mir das nur antun?“ flehte der 14-Jährige mit erstickter Stimme. Dicke Tränen rannen seine Wangen hinunter. Er hatte nicht so reagieren wollen, doch es war einfach aus ihm herausgesprudelt, als er begonnen hatte zu spreche. Plötzlich spürte er, wie der Ältere seine Arme um ihn schlang. Der Brünette hatte dieses Theater nicht länger ertragen können. Schließlich war es sein eigen Fleisch und Blut, vor dem er sich hier so zierte. Das war doch absolut albern. Es war ihm egal, wie die Konsequenzen aussehen würden, aber er konnte nicht mehr länger mit ansehen, wie der Jüngere litt. Er spürte, wie der Körper des Schwarzhaarigen heftig bebte, während dieser laut schluchzte. Doch in der Umarmung seines Bruders beruhigte sich Mokuba schnell. In Setos Nähe hatte er sich schon immer wohl und behütet gefühlt. Der dunkelhaarige Junge schmiegte sich ganz nah an den 19-Jährigen. Am liebsten wäre er für immer in dieser Situation verweilt. Nach einer Weile hatte sich Mokuba wieder gesammelt und flüsterte leise: „Du fühlst dich so kalt an. Frierst du etwa?“ „Ja, es ist sehr frisch draußen heute Nacht, weißt du?“ antwortete der Junge Mann. Doch er wirkte bei dieser Äußerung irgendwie, als wäre er nicht ganz bei der Sache. Tatsächlich beschäftigten ihn in seinen Gedanken auch völlig andere Dinge. Die Nähe des Jungen brachte ihn in seinem momentanen Zustand vollkommen durcheinander. >Er fühlt sich so warm an. Ich…kann spüren, wie das Blut in seinen Adern pulsiert… sein Blut…köstliches, warmes Blut…so voller Leben…< Seto seufzte schwer und versuchte seine Gedankengänge so schnell wie möglich wieder zu ordnen. Wie konnte er sich so etwas nur vorstellen? Sein Bruder durfte auf keinen Fall zum Opfer seiner Gier werden! Schnell löste er ihre Umarmung und versuchte, etwas Abstand zwischen sich und dem Jüngeren zu schaffen. Er musste jetzt jedes bisschen Selbstbeherrschung aufbringen, das er besaß. Mokuba blickte ihn mit seinen großen Kinderaugen traurig an. „Was ist nur mit dir geschehen?“ fragte der 14-Jährige unsicher. „Ich weiß es nicht genau. Doch aus mir ist etwas geworden, was ich nie hatte sein wollen. Glaube mir, ich verstehe mich selbst nicht mehr. Deshalb ist es besser, wenn wir nicht allzu viel Zeit mit einander verbringen. Das ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, dich zu beschützen. Vor denen, die aus mir das gemacht haben, was ich jetzt bin, und auch vor mir selbst“, lautete die Antwort, die er bekam. „Nein! Bitte geh nicht!“ bettelte Mokuba. Dabei begannen seine Augen verdächtig zu funkeln. Er konnte nicht begreifen, was sein Bruder ihm damit sagen wollte. „Vergib mir!“ hauchte der Ältere ihm mit zitternder Stimme ins Ohr und erhob sich. Bevor dem Jungen bewusst wurde, was passiert war, hatte Seto das Fenster so weit wie möglich geöffnet und war hinaus gesprungen. Der im Zimmer Verbliebene erschreckte sich fast zu Tode. Doch er versuchte sich schnell wieder zu fangen. Panisch hechtete er zum Fenster und lehnte sich vorsichtig hinaus. Er befürchtete schon das Schlimmste. Doch er konnte seinen Bruder nirgendwo entdecken, denn dieser hatte sich bereits schnellen Schrittes aus dem Staub gemacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)