Drachenblut von Vei-Chan ================================================================================ Kapitel 1: Drachenblut ---------------------- Dumpf hallten seine Schritte auf dem trockenen Sandboden wider, auf den schon seit Tagen kein Regen mehr gefallen war. Hart zeichneten sich die Abdrücke seiner Stiefelsohlen ab und seine Knie pulsierten in pochendem Schmerz, ständig begleitet vom gemächlichen Klirren der Klinge, die er fast jede Minute in der letzten Zeit mit der rechten Hand umklammert gehalten hatte. Viel hatte sein Schwert bereits mitgemacht - er dachte darüber nach und erlaubte sich einen Blick hinab auf die Waffe, welche ihm sein Spiegelbild offenbarte - und obwohl der Griff verbraucht erschien, war dessen Spitze so scharf, dass sie einen hinabfallenden Apfel ohne Bewegung zweiteilen konnte. Er selbst hatte als Schmiedegeselle gelernt, wie man eine Waffe korrekt bearbeitete und so immer wieder bis aufs Äußerste ihrer Leistung bringen konnte - und diese Lehre war eine der wertvollsten seines Lebens. Ohne eine Spur von Angst durchzog sein Blick die Umgebung. Noch immer befand er sich auf kahlem Untergrund, Sand wohin das Auge reichte und nur ab und an eine einsame Palme, zumeist schon vertrocknet. Kurz erhaschte er einen Funken Grün am Horizont, doch konnte man hier selten glauben, was man sah. Er fürchtete das Verdursten nicht, denn genau baute sich die Landschaft, die er durchzog vor seinem Geiste auf. In höchstens fünf Stunden, so schätzte er, würde er die Silhouette einer Stadt erkennen und auf sie zusteuern können. Es war erst das zweite Mal, dass er diese Ebene durchquerte, doch kannte er sie bereits jetzt fast mit geschlossenen Augen. Räumliches Vorstellungsvermögen und die Merkfähigkeit von Orten zählten zu seinen Stärken. Die Fähigkeit, sich schon nach kurzer Zeit orientieren und zurechtfinden zu können war als Reisender, wie er es war, unersätzlich. Er war kein Pilgerer - das gewiss nicht - aber er genoss das Reisen auf diesem Weg wie niemals zuvor, denn ihm war klar, dass es seine letzte sein würde. Nicht, dass er besonders alt war und deshalb wahrscheinlich innerhalb der nächsten Zeit ableben würde - gerade zweiundzwanzig war der Jüngling geworden, geboren auf dem Lande unter dem Namen Remos und im Kasernenhof mit den anderen Kindern großgeworden. Die Ausbildung hatte ihm mehr als Freude bereitet, denn von Geburt an zählte er zu den Kämpfernaturen - hatte er doch die schwere Lungenentzündung nur mit ein paar Kräutern direkt nach seiner Geburt überlebt. Seine Eltern waren arm gewesen und hätten Medizin nie bezahlen können. Trotzdem war er nichts Besonderes und dies gefiel ihm so. Sein Haar, welches er regelmäßig stutzte, um das Erscheinen von Locken zu verhindern, war kastanienbraun und von relativ hoher Dichter - verglichen mit anderen Männern. Typisch für ihn war diese hartnäckige Strähne, die ihm seit Beginn seiner Kindheit ständig über die Stirn fiel und sich dem Rest des Strichs einfach nicht anzupassen vermochte. Remos' Blick aus den ozeanblauen Augen erschien zumeist müde, doch kaschierte dieser nur seine ungeheuere Aufmerksamkeit für alles um ihn herum. Er war kein Riese, doch imposant und nicht gerade schmächtig gebaut - die Schneider beschwerten sich öfters darüber, dass er einen langen Oberkörper habe - obwohl er sich nicht sicher war, ob das eine Beleidigung oder ein Kompliment darstellen sollte. Aufgrund seiner hohen Körperkraft hatte er nie Schwierigkeit im Krafttraining und in der Schwertführung gehabt, was ihm letztlich die Ausbildung erleichtert und ihn zu einem anerkannten Schüler seines damaligen Lehrers gemacht hatte. Remos war keine Berühmtheit, hatte sich aber durch gute Taten einen kleinen Namen in seinem jetzigen Heimatdorf gemacht. In Zeiten des Friedens bildeten die Länder zwar aus, schickten jedoch nicht in den Krieg und so hatte Remos dort nach Abschluss seiner Ausbildung nichts mehr zu tun. Einige Tage war er ziellos im Dorf umhergewandert, um Arbeit zu finden, bis Barbaroth - ein guter, alter Mann und Schmiedemeister - ihn zu sich in die Lehre nahm. Dort verbrachte er die seiner Meinung nach wertvollste Zeit seines Lebens - jedenfalls was das Erlernen neuer Dinge anging. In der Welt, in der Remos lebte, war man mit vierzig bereits ein wahrer Greis, also hatte er erst gut die Hälfte seines Lebens verlebt. Zumindest zeitlich gesehen. Doch gab es etwas, dessen Erfüllung Remos so wichtig war, dass er dafür sein Leben aufgeben wollte. Es hatte sein Herz umfasst wie kalter Draht und schmerzte mit jedem Atemzug, in dem er sein Vorhaben noch nicht umgesetzt hatte... Eigentlich war es ein normaler Tag inmitten der warmen Jahreszeit gewesen, der sein Leben verändert hatte. Wie immer hatte Remos in Barbaroths Laden gearbeitet und war gerade dabei gewesen, die Klinge eines Kunden neu zu schärfen und zu polieren, als sein Meister ihn darum bat, einen weiteren zu bedienen, da er gerade am Ofen stünde. Remos war ein gelehriger Schüler, die nie widersprach - ohne sich zu versklaven - und so war er aufgestanden und an die Theke nach vorn getreten. In seinem Geschäft gab es im Normalfall nur Männer, denn sie konnten kämpfen, waren stark und besaßen schnelle Reflexe. Doch wie Remos nach zweimaligem, leicht irritiertem Blinzeln feststellen musste, handelte es sich bei seinem Kunden um eine Frau. Nicht, dass er noch nie eine gesehen hatte - aber ganz offensichtlich war dieses Mädchen eine Kriegerin. Zwar hatte es in den letzten Jahren vermehrt weibliche Kämpferinnen gegeben, so blickten die Männer eher mit nachsichtigem Lächeln zu ihnen herab und in diesem Laden hatte sich vorher nie eine blicken gelassen. Jedenfalls nicht, dass er es mitbekommen hätte. Doch war es nicht nur die Tatsache, dass er zum ersten Mal einen weiblichen Kämpfer sah - nein, es war etwas, was er in seinem Leben vorher noch nicht gespürt hatte. Ihre Augen strahlten von dunklem Blau - so wie es seine eigenen ebenfalls taten - ihre Haut war hell, fast bleich und strahlte eine Art von Zartheit aus, die ihn beinahe verwirrte und das kupferfarbene, etwa schulterlange Haar fiel ihr locker um den Nacken, an den Ohren mit zwei kleinen Flechtezöpfen gebändigt. "Entschuldigung?", fragte das Wesen vor Remos mit einem freundlichen, fast strahlendem Lächeln, obwohl er sie offensichtlich gerade in höchstem Maße unverschämt angestarrt hatte, "Ist alles in Ordnung?" "Nun... Ja", meinte Remos schnell und tat eine leichte, entschuldigungsheischende Verneigung mit dem Kopf, "Was ist euer Wunsch?" "Ich habe diese Pfeile auf einem Markt in Thodrir erstanden... Doch die Spitzen sind stumpf und bleiben kaum in Holz stecken. Wäre es möglich, sie zu schärfen?" "Selbstverständlich", bestätigte Remos und nahm ihr die Pfeile ab, "Es wird etwa dreißig Minuten dauern. Ihr könnt dann also wiederkommen." "Nein, nicht nötig", entgegnete sie, "Ich werde einfach hier warten, in Ordnung?" "S-Sicher... Gern. Dort drüben könnt ihr Platz nehmen - es dauert wirklich nur einen Moment." Sie ließ sich auf einen der Stühle am Ende des bescheiden eingerichteten Raumes nieder und Remos war froh, mit ihren Waffen hinter den Vorhang gehen und sich so aus ihrem Sichtfeld entfernen zu können. Noch immer vollkommen unsicher aber zugleich fasziniert lugte er nun hinter dem Fell hervor und beobachtete sie. Das Mädchen hatte den Kopf leicht geneigt und betrachtete mit tatsächlichem Interesse die Umgebung, obwohl es in genau dieser eigentlich nichts zu sehen gab. Sie waren spärlich eingerichtet, denn Geld gab es nie zuviel, obwohl sie sich eigentlich guter Kundschaft erfreuten. "Wolltest du nicht arbeiten?", ertönte eine gedämpfte, tiefe Stimme hinter Remos und dieser zuckte zusammen. Sich ertappt fühlend ließ er sich auf der Bank nieder, begutachtete kurz die zwanzig Pfeile und begann deren Spitzen säuberlich zu pfeilen und danach zu polieren. "Was ist mit dir?", fragte Barbaroth - er musste warten, bis seine derzeitige Arbeit ausgehärtet war und blieb deshalb neben ihm stehen. Er lehnte sich in seiner typischen Art und Weise an die Mauer des Hauses und strich kurz durch den weißen, bauschigen Bart, der sein Kinn umsäumte. "Nichts, Meister", log Remos - es war nicht seine Art, die Unwahrheit zu sagen, doch er hätte selbst nicht gewusst, wie er dieses Phänomen, was ihm eben widerfahren war, hätte erklären sollen. "Lass die Finger von Kriegerinnen", kam es von Barbaroth in leicht tadelndem Tonfall, "Solche Frauen machen nur Ärger." Dann entfernte der alte Mann sich und bald hörte Remos das gemächlich klirrende Schlagen seiner Arbeit. Er selbst kümmerte sich wenig um Barbaroths Hinweis, obwohl auch dies nicht seine Art war und bearbeitete die Pfeile mit einer Sorgfalt, wie er sie noch nie an den Tag gelegt hatte. Nach über vierzig Minuten war jeder Pfeil schmaler und ausgesprochen spitz. Remos hatte ganze Arbeit geleistet, denn als er mit der Fingerkuppe kurz auf das Pfeilende tippte, fand er sogleich einen blutenden Punkt vor. Zufrieden nahm er die zwanzig Pfeile und trat wieder nach vorn an den Thresen. Das hübsche Mädchen saß noch immer auf dem Stuhl, hatte sich kaum bewegt und scheinbar mit ungetrübter Geduld gewartet. Dabei hatte er sie zehn Minuten länger warten lassen als angekündigt... Remos räusperte sich, sodass die kupferhaarige Frau auf ihn aufmerksam wurde. Nur kurz blickten ihn ihre blaue Augen an, dann stand sie auf und trat zu ihm nach vorn. "Ihr wart sehr schnell", meinte sie mit einem Lächeln, "Danke dafür." "Nichts zu danken...", Remos überreichte ihr die Pfeile und sie musterte sie nicht, steckte sie bedenkenlos in den Köcher auf ihrem Rücken, als kenne sie ihn schon seit Jahrzehnten und traue ihm keine schlechte Arbeit zu. Jetzt fiel Remos auch der weiße, mit Mustern und Innenschriften verzierte Bogen auf, den sie über der Schulter trug. Er nannte ihr den Geldbetrag, den er für diese Arbeit erhalten sollte und kurz suchten ihre schmalen Finger in einer der Taschen ihrer in grün und braun gehaltenen, ledernen Kleidung, dann fand und zückte sie ein Säckchen und befreite die verlangten Goldstücke und ein kleines Trinkgeld daraus. "Danke nochmals...", sie nickte ihm zu und verließ schließlich die Schmiede. Remos schlängelte sich hinter dem Thresen hervor und blickte aus dem Fenster, um ihr nachzuschauen. Das schöne Mädchen - zwar hatte sie sichtbare Wangenknochen, wie es nur bei erwachsenen Frauen der Fall war, so war sie doch höchstens siebzehn - stand bei einem schneeweißen Pferd und rückte gerade dessen braunen Sattel zurecht, ergriff dann dessen Zügel und führte es Richtung Innenstand. "Remos", ertönte die Stimme Barbaroths und wollte wohl weitersprechen, doch Remos unterbrach ihn durch eifriges Nicken und begab sich wieder an die Arbeit. Im Laufe des Tages dachte Remos ständig an die junge Schönheit. Zwar gab er sich Mühe, nicht abwesend zu erscheinen, so kannte Barbaroth ihn doch wie seinen eigenen Sohn - immerhin lebte der Jüngling schon seit er sechzehn war bei ihm. Seine Eltern hatten ihn erst spät bekommen und waren längst verschieden. Irgendwann, es war früher Abend und sie räumten bereits benutzte Arbeitsmaterialien nach dem Säubern weg, als Barbaroth seine Stimme erhob. "Die ist mindestens sechzehn", meinte er beiläufig, "Garantiert verheiratet. Hast du ihren Bogen gesehen? Der war nicht billig. Entweder hat sie einen reichen Mann oder eine reiche Familie, und Adelige verheiraten ihre Töchter sehr früh." "Sie trägt keinen Ehering...", murmelte Remos in Gedanken, wünschte seinem Meister eine gute Nacht und trat die Treppe nach oben in sein Zimmer. Es war ebenso bescheiden eingerichtet wie der Rest des Hauses, aber Remos fühlte sich hier wohl und heimisch. Er brauchte keinen silbernen Briefbeschwerer oder mit Gold verzierte Nachttischkanten, er war bescheiden und sah mehr die inneren Werte als Äußerlichkeiten. In dieser Nacht träumte Remos einen finsteren Traum. Es war, als zöge Dunkelheit über das Land und stürze die Welt in Unheil. Er sah sich selbst als Schwertkämpfer gegen eine gigantische, schwarze Silhouette kämpfen und kläglich scheitern - gerade als ein Stich sein Herz durchbohrte, schrillte Barbaroths Stimme ihn aus dem Schlaf. Remos hatte vorher noch nie etwas Derartiges geträumt und war besorgt. Er tat seine Arbeit wie geheißen und fürchtete, eine Art Vorahnung gehabt zu haben. Noch konnte er sich nicht vorstellen, was Schlimmes passieren konnte, aber er spürte diese Unruhe in seinem Magen, die sich als harter Stein abzeichnete. Doch Mitte des Tages hellte seine vorher getrübte Laune sichtlich auf, als er nach vorn trat, um einen Kunden zu bedienen. Das hübsche Mädchen von gestern stand vor dem Thresen und lächelte wieder strahlend. "Oh... Guten Tag", begrüßte er sie erfreut und bedrückt zugleich, da sie mi Sicherheit gekommen war, um die Pfeilspitzen zu reklamieren - anscheinend hatte er sich doch zu sehr auf sie konzentriert und nicht ordentlich genug gearbeitet, auch wenn er sich das kaum vorstellen konnte. "Eure Pfeile waren wirklich sehr gute Arbeit", bemerkte die junge Frau - Remos hatte sich noch nie in seinem Leben so über ein Lob gefreut, wie ihm etwas verstört auffiel, "Und deshalb dachte ich mir, ihr könntet euch vielleicht meinen Dolch ansehen." Kurz fingerte sie in einer wirklich kleinen Schwertscheide, die seitlich an ihrem Gürtel hing und zückte einen etwa zwanzig Zentimeter langen Dolch. Er war nur spärlich verziert und von nicht besonders hohem Wert, das konnte Remos' geübtes Auge sofort erkennen. Kurz musterte er die vollkommen abgenutzte, regelrecht ausgemergelte Klinge. "Die Reparatur würde den Wert wahrscheinlich übersteigen", meinte er dann. "Ich weiß...", entgegnete sie, "Aber es ist ein Familienerbstück. Das letzte, was mir von ihnen geblieben ist... Deshalb möchte ich es in gutem Zustand mit mir führen." "Verstehe", meinte er und konnte seine Erleichterung kaum unterdrücken. Sie war also kein reiches, verheiratetes Kind, "Es wird etwas länger dauern." "Ich werde hier warten. Immerhin habe ich es nicht eilig." Wieder bewegte sie sich zu dem Stuhl an der Wand, als wohne sie hier schon ewig. Remos bewegte sich ans einen Arbeitsplatz, setzte sich und begutachtete den Dolch einen Moment. Er würde die Klinge ausbessern, schleifen und polieren. Gerade dachte er über den Griff nach, als die große Hand Barbaroths ihm den Dolch wegnahm. Fragend blickte Remos zu ihm auf. "Geh und mach Pause", meinte er, "Ich übernehme den Dolch." "Aber...", begann Remos leise zu protestieren, denn er wollte das Stück für sie fertig stellen. "Geh zu ihr." "Ähm... Wie?", jetzt doch verunsichert blickte Remos hilfesuchend in die Augen seines Meisters. "Unterhalte dich mit ihr. Sonst wird das nichts." Dankbar fixierte Remos den alten Barbaroth, doch der schickte ihn kommentarlos nach vorn. Kurz vor dem Vorhang blieb Remos stehen, band seine Schürze ab und warf Barbaroth einen fragenden Blick zu. "Warum?" Der Bärtige legte seine Arbeit für einen kurzen Moment ab und sah seinen Schützling an. "Noch nie in meinem Leben habe ich gesehen, dass du einem Mädchen derartige Beachtung geschenkt hast. Meistens hattest du nur dein Training im Kopf oder deine Arbeit, hast Frauen oft nichtmal als solche wahrgenommen und sie in der Erinnerung für einen Mann gehalten, so wenig hat dich ihr Geschlecht interessiert. Jetzt geh, sonst läuft sie noch weg." Nervös wandte er sich ab und trat langsam nach vorn zu ihr. Sie schien seine Präsenz früh zu spüren und schaute mit wachen Augen zu ihm auf. "...Darf ich?", fragte Remos leise. "Natürlich", bestätigte die Frau freundlich und er ließ sich neben ihr nieder. "Ich habe Pause - mein Meister übernimmt euren Dolch", erzählte er, um irgendwie ein Gespräch zu beginnen. Darin hatte er sich zuvor mit dem anderen Geschlecht noch nie versucht. "Euer Beruf muss hart sein", stieg sie darauf ein, "Ich bewundere diese schwere Arbeit." "Es gibt gewiss Schlimmeres... Ich mag die Arbeit, denn sie gibt mir das Gefühl, etwas Gutes zu tun." Kurz herrschte Stille. "Darf ich euch fragen, welcher Tätigkeit ihr nachgeht?" "Ich bin Söldnerin", erzählte die Kupferhaarige bereitwillig, "Eigentlich übernehme ich nur Gelegenheitsarbeiten. Zumeist jage ich Verbrecher, die dem Galgen entgehen wollen... Oder ich fange entlaufene Hunde ein", dabei lachte sie hell und fröhlich. "Ich mag Hunde", erwiderte Remos und lächelte sanft, "Leider könnten wir uns momentan keinen leisten." "Ich auch... Aber mein Pferd Haraska würde sich wahrscheinlich nicht mit einem Hund verstehen." "Woher stammt ihr?", fragte Remos weiter. Es interessierte ihn brennend, doch wollte er sie keinesfalls bedrängen oder gar verschrecken, "Wenn ihr ein Pferd habt, müsst ihr weit gereist sein." "Ja, das stimmt...", entgegnete sie, "Ich komme aus Baldir, einem kleinen Dorf weit nördlich von Thodrir." Remos nickte. Er kannte Baldir von Erzählungen seines Vaters, doch selbst dort gewesen war der junge Mann nie. Es hieß, dass die Bewohner von Baldir und allen Dörfern in der näheren Umgebung enger mit der Natur zusammenlebten wie andere Städte und jetzt verstand Remos auch, warum sie trotz ihres offensichtlich nicht vorhandenen Reichtums ein Pferd besaß. In Baldir züchtete man immerhin auch diese Tiere und verkaufte sie an andere Ortschaften, um Geld zu verdienen. Erst jetzt sah er ihren Bogen von Nahem. Er aus edlem Holz geschnitzt und weiß gefärbt worden, Gravuren und Innenschriften zeichneten sich als Muster darauf ab. "Euer Bogen ist von hohem Wert", meinte Remos. "Ja... Ich habe ihn vor längerer Zeit von dem Geld gekauft, welches ich bei meinen Söldnerarbeiten verdient habe. Er war einfach wunderschön und ich konnte nicht widerstehen", sie lächelte unschuldig und Remos' Herz begann schneller zu schlagen. "Verzeihung...", begann er, "Ich möchte nicht aufdringlich sein, dies ist gewiss nicht mein Unterfangen. Dürfte ich euch nach eurem Namen fragen? Mein Name lautet Remos." Wieder lächelte sie auf diese Art und Weise, die sich ihm jetzt schon eingeprägt hatte. "Ich heiße Velia." So hatten sie sich kennengelernt und dieser Tag war etwa drei Jahre her. Sie hatten sich auf dem Stadtmarkt erneut getroffen, wieder aus Zufall - und danach immer öfter, bis sie vor zwei Jahren genug Geld für ein kleines, bescheidenes Haus zusammengespart hatten und dort eingezogen waren. Remos konnte seine Liebe ihr gegenüber kaum beschreiben. Er hing an ihr, als habe er schon sein Leben lang zu ihrem Körper und ihrer Seele gehört - doch seine größte Freude war, dass sie die gleiche Zuneigung für ihn teilte. Zum ersten Mal in seinem Leben war er wirklich von grundauf glücklich gewesen - schlecht war es ihm nie ergangen, doch der Unterschied zu dem was er bei ihr fühlte war gravierend - und Remos hatte diese Zeit genossen. Doch sollte ihr Glück nicht ewig halten. Es war ein wolkenverhangener Tag, an dem seine Vorahnung von vor so vielen Jahren sich bewahrheiten sollte. Es war Velia, die ihm die Nachricht überbrachte. "Der Kaiser ist tot!", schluchzte sie und drückte sich an Remos' Brust, welcher vollkommen erstarrt einen Arm um sie legte und spürte, wie die Farbe allmählig aus seinem Gesicht wich. Es war der Kaiser gewesen, der ihnen allen dieses wunderschöne, steuerarme Leben ermöglicht hatte. Seine unendliche Großherzigkeit hatte ihn zur Götzengestalt in all seinen Herrschaftsbereichen gemacht. Nie hatte er mehr verlangt als Frieden - kein Geld, keine Abgaben, hatte die Leibeigenschaft abgesetzt und armen Bauern neues Vieh und neue Höfe geschenkt. Doch nicht sein Tod, sondern des Kaisers Nachfolger war das Schlimmste. Den Gesetzen nach wurde sein einziger Sohn der neue Kaiser - Hagen war sein Name und er war kaum älter als Remos selbst. Doch war altbekannt, dass Hagen habgieriger und respektloser Natur war - sogar sein Vater selbst hatte damals Bedenken geäußert, ihn später an die Macht zu lassen. Und jetzt war dieser Kaiser tot. Remos streckte den Hals etwas, als er die Silhouette einer Stadt sah. Ja, dies war die Kaiserstadt, in der das riesige Schloss des derzeitigen Herrschers thronte. Remos war froh, den Weg so leicht wiedergefunden zu haben und fest umklammerte seine Hand den Griff des Schwertes, welches von Barbaroth mit ganzer Liebe aufs Äußerste geschärft und geschliffen worden war. Der Jüngling beschleunigte seinen Schritt und spürte allmählig die Anspannung auf seine Lunge pressen. Niemand hatte sich vorgestellt, wie schlimm Hagens Schreckensherrschaft werden sollte. Die Abgaben wurden so hoch, dass Remos die Hälfte seines Verdienstes genommen bekam und einige Bauern in ärmeren Ländern sogar verhungerten. Kurz darauf kam die Leibeigenschaft zurück und die Gesetze lockerten sich, sodass für Raub nun nicht mehr der Galgen, sondern nurnoch einige Geldstücke Strafe winkten. Armut paarte sich mit Stress und Kriminalität - seit Hagen an der Macht war, hatte Remos schon zwei junge Männer getötet, die an sein und Velias Hab und Gut gewollt und sie dafür mit Sicherheit umgebracht hätten. Seltene Wesen wie Einhörner und Drachen wurden aus ihren Revieren verjagt und teilweise sogar getötet, was Velia fast das Herz zerbrach und Remos' Wut auf Hagen nur noch steigerte. Doch trotz dieser schweren Zeit hatten Remos und Velia sich selbst gehabt - der junge Mann verlangte nichts weiter und brauchte nur sie zum Glücklichsein - aber auch sie nahm man ihm. Remos ballte die Faust so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Vergeblich versuchte er, die schmerzhaften Erinnerungen zu verdrängen, die nun wieder in ihm aufflammten. Hagen hatte begonnen, den Städten abwechselnd Besuche abzustatten. Hauptsächlich um zu überprüfen, ob die dortigen Bewohner auch 'zu seiner Zufriedenheit arbeiteten'. Das hieß nach seiner Meinung ständig, schnell und wenn möglich noch ohne Pause. Dabei peitschte er alte Menschen aus, die harte Arbeit körperlich nicht mehr schafften oder nahm aufmüpfige Passanten fest, die nicht sofort bei seinem Befehl niederknieten, um sie bei kommender Zeit an den Galgen zu hängen oder den Löwen im Colosseum zum Fraß vorzuwerfen. An dem Tag, an dem Hagen in Remos' und Velias Heimatstadt Korul kam, hatte Velia schon am Morgen bitterlichst geweint, so als hätte sie geahnt, was passieren sollte. Hagen war mit wenigen Kriegern an seiner Seite, dafür aber auf seinem schwarzen Drachen Bragan angereist und blickte spöttisch auf das Volk herab. Sein Haar war fast hüftlang und schneeweiß, während seine Augen von braun waren und von eisiger Kälte stachen. Remos ballte die Faust. Drachen waren würdevolle Wesen und es schmerzte ihn, dass Hagen einen solchen beschmutzte. Er musste ein Ei oder ein Baby gestohlen und es gezähmt haben, denn anders schlossen sich Drachen Menschen nie auf diese Art und Weise an. Sie alle hatten sich auf der Straße versammeln und Hagen huldigen müssen, welcher nur selbstgefällig grinste und selbstsicher Anweisungen gab, dass hier härter zu arbeiten sei, da die Abgaben von Korul die Niedrigsten seien. Er berücksichtige nicht, dass hier vermehrt Alte und Kinder lebten, sondern ließ fast akriebisch den Blick nach etwas schweifen, was ihm missfallen konnte - und er wurde fündig. "Mir gefällt dein Blick nicht", rief er von der Schulter des schwarzen Bragan hinab, welcher ungefähr so hoch wie drei übereinanderstehende Männer, aber um einiges breiter war. Dabei blickte er gezielt Barbaroth an. Der Mann war nicht mehr Jüngste, aber ein alter Veteran, der selbst eine hochrangige Kriegerausbildung hinter sich hatte. Sein Blick war stets gefüllt von Stolz, Mut und Selbstsicherheit. Wahrscheinlich empfand Hagen dies als Verachtung ihm gegenüber. "Auf die Knie!", schrie Hagen und knallte seine Peitsche nur zentimeterweit vor Barbaroth auf, als dieser sich nicht beugte. "Barbaroth", zischte Remos, der mit Velia neben ihm stand, "Bitte tu es!" "Nein!", sagte Barbaroth so laut, dass jeder es hören konnte - und sofort wurde es totenstill. Remos kniff die Augen zusammen und senkte das Haupt. Ein weiteres falsches Wort in Hagens Gehör und er würde seinen Meister und Ziehvater mitnehmen und hinrichten lassen. Remos wollte einschreiten, dem Alten den Mund zuhalten, doch riskierte er damit den eigenen Tod. Er durfte Velia in dieser Welt nicht allein lassen. "Ich...", erhob Barbaroth erneut das Wort, "Ich beuge mich ni...-" "Verschwindet endlich!", wurde der alte Mann plötzlich jäh unterbrochen, "Ihr habt schon genug Schaden in unserer Welt angerichtet! All das, was euren Vater so ehrenvoll machte, habt ihr innerhalb weniger Monate vernichtet! Ihr seid verachtenswert!" Remos' Herz überschlug sich fast, als er einige Sekunden nach dem Aufschrei realisierte, dass es Velia gewesen war. So laut hatte er sie noch nie reden hören und sie war nicht der Mensch, der sich seinen Gefühlen derart hingab, etwas so Dummes zu tun. Nein... Sie hatte Barbaroth bewusst unterbrochen und die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, um den Ziehvaters ihres Geliebten zu retten, der ihm viel bedeutete. "Velia... Nein...", flüsterte Remos und unterdrückte Tränen, als die Begleiter Hagens sich ihr näherten. Remos brach den Gedankengang dort erfolgreich ab. Er wollte nicht noch einmal vor Augen sehen, wie man seine Geliebte auf die Knie gepeitscht und dann abgeführt hatte, wollte nicht nochmal dieses leise aber stolze Schmerzenskeuchen aus ihrer Kehle vernehmen und er konnte den Gedanken daran nicht ertragen, dass sie jetzt irgendwo bei Wasser und Brot in einem staubigen, stockdunklen Kerker saß und auf ihr Ende wartete. Remos' Hass gegenüber Hagen hatte durch diesen Vorfall eine Intensität erreicht, die er sich selbst nie hätte vorstellen können jemals zu fühlen. Eine Woche war es her, dass man seine Velia von ihm getrennt hatte und der Jüngling war fest entschlossen, sie zurückzugewinnen und diese Missgeburt zu töten. Ihm war klar, wie wahnwitzig das klang. Er war der Kaiser und Remos hatte keine Chance, an den Wachen vorbeizukommen. Doch wusste er, dass Hagen seit Kindestagen ein eingebildetes und hochgestelltes Leben genossen und mit Sicherheit nicht viel trainiert hatte. Zwar vermochte er die besten Lehrer im Schwertkampf gehabt zu haben, da er adelig war, aber Remos war aufmerksam und bemerkte selbst Kleinigkeiten. Ihm war aufgefallen, dass Hagens Hände in keinster Weise vernarbt waren so wie die Seinigen, denn beim Herausziehen der Schwertklinge ritzte man sich des Öfteren die dünne Haut zwischen den Fingern auf. Remos hatte seit Hagens Herrschaft in jeder freien Minute trainiert, um sich und vor allem Velia vor den Kriminellen beschützen zu können. Unbewusst glaubte er selbst nicht daran, sie zu retten und Hagen zu töten, doch er wollte, würde er es nicht schaffen, zumindest bei dem Versuch sterben. Tatenlos herumsitzen fraß seine Seele. Die Silhouette der Stadt wurde größer und Remos schätzte, in etwa vier Stunden am Zielort zu sein. Die Kaiserstadt war groß und er musste die Hälfte davon durchqueren, um vor dem Schloss zu stehen. Er hoffte inständig, dass Hagen sich auf einen Kampf mit ihm einlassen würde, doch er schätzte ihn als selbstsicher und arrogant genug ein. Remos musste es nur schaffen, genügend Wachen zu töten, dass er alarmiert wurde. Er dachte an Velia und dies bestärkte ihn, Hagen zu töten. Einen schlimmeren Kaiser konnte es nicht geben und so würde wieder eine bessere Zeit anbrechen. Er stellte sich vor, Velia wieder in die Arme schließen zu können und beschloss spontan, sie zu heiraten und ihr einen Hund zu schenken, wenn sie das überleben würden. Seine wahrscheinlich letzte Reise fand nun langsam ihr Ende und Remos fühlte sich merkwürdig bei dem Gedanken daran. Er hoffte mit jeder Faser seines Körpers, dass seine Geliebte noch lebte, aber er zweifelte nicht daran. In den wenigen Monaten von Hagens Herrschaft waren so viele Leute gefangen genommen worden, dass die Kerker vollkommen überfüllt sein mussten. Und da in der Woche nur vier Personen hingerichtet werden durften - ein Gesetz, welches auch Hagen nicht brechen durfte ohne einen Massenaufstand zu riskieren - wog er Velia für den Moment in Sicherheit. Doch war ihm auf seiner einwöchigen Reise in Richtung Kaiserstadt etwas passiert, was er noch heute, fünf Tage später, kaum selbst fassen konnte. Remos hatte absichtlich nicht Velias Pferd Haraska genommen, obwohl er mit ihm sicher schneller gewesen wäre. Er wollte das Tier nicht mit in seinen Kampf ziehen, dafür liebte Velia es einfach zu sehr. Doch einen entscheidenen Grund hatte es noch: Er hatte das Gebirge überquert, anstatt die offensichtlichen Wege zu nehmen. Damit wollte er verhindern, von Kaiserwachen auf Patroullien gesehen und vielleicht erkannt zu werden. Und das Letzte was er wollte war, dass Hagen gewarnt wurde. Der Weg über das Gebirge war zwar schwerer, doch sparte er damit knapp achtundvierzig Stunden, die Pausen ausgenommen. Auf seinem Weg über einen schmalen Berghang war ihm ein leichtes Beben der Erde aufgefallen. Mit Vorsicht hatte Remos in die Tiefe gelugt, jedoch nichts erkennen können. Ihm war bekannt, dass es auch in diesem Gebirge einen Weg für die Kaiserwachen gab. Der Kontrollzwang, den Hagen an den Tag legte, war fast unerträglich. Achtsam, keine kleinen oder größeren Steine lose zu treten schob er sich liegend vorwärts und rutschte langsam die Steile hinab ins nächste Tal. Dort klopfte Remos sich die Sachen ab und entdeckte dabei einen kleinen Bach, der von einem dünnen Rinnsal gespeist wurde. Erleichtert über dieses Geschenk der Natur trank Remos einige große Schlucke und wusch sich Staub aus dem Gesicht, als er einen gewaltigen, qualvollen Schrei vernahm. Der Jüngling zuckte zusammen und richtete sich auf, jeden Muskel an seinem Körper aufs Äußerste angespannt. Der Schrei war nicht menschlich gewesen, zu gewaltig und kraftvoll. Langsam schob er einen bestiefelten Fuß voran, dann den zweiten und lugte um die nächste Ecke einer Felswand. Ein schmaler Weg baute sich vor ihm auf, vielleicht zwanzig Zentimeter breit. Remos schob sich weiter und wagte einen Blick über die Kante. Was er dort erspähte, stach schmerzhaft in sein Herz wie ein scharfes Schwert. Im Tal direkt unter ihm befanden sich drei Kaiserwachen - sie waren nicht sehr schwer gepanzert, patroullierten also nur - und vor ihnen lag ein Drachenwesen. Immer wieder erweckten diese Kreaturen höchsten Respekt in Remos. Der Drache war eingeklemmt unter einigem Felsgestein, welches wohl eben während des Kampfes hinabgerollt und auf ihn geprallt war. Daher also das Beben. Die Kaiserwachen traten auf den Drachen zu und lachten lauthals, ehe sie mit ihren Schwertern auf ihn einzustechen begannen. Wieder schrie der Drache qualvoll und Remos zerriss dieser Anblick fast die Seele. So schnell er sich auf diesem schmalen Grad fortbewegen konnte, überquerte er ihn auf die andere Seite und ließ sich dann achtlos an der Schräge hinabgleiten. Der Staub flog ihm um die Ohren und brannte in seinen Augen, Remos musste mit ganzer Kraft das Gleichgewicht halten, um nicht nach vorn überzufallen und sich das Genick zu brechen. Wackelig kam er auf der Ebene auf und zog ohne zu zögern sein Schwert. Die Wachen waren damit beschäftigt, das Tier vor ihnen zu quälen und bemerkten ihn nicht, sodass Remos dem ersten Mann mit einem gezielten Schwerthieb den Kopf von den Schultern riss. Die anderen beiden Wachen drehten sich perplex um und diesen Moment nutzte der geschickte Remos, um dem zweiten Mann die Klinge in die Eingeweide zu rammen. "Komm doch, du Feigling", zischte der braunhaarige Jüngling dem verbliebenen Ritter zu, der jetzt seinen beachtlich großen Zweihänder auf Remos richtete und mit langsamem Schritt vor ihm herumtänzelte. Remos berief sich auf eine Ausbildung in der Akademie und suchte den Nahkampf, denn ein so gewichtiges Schwert hatte in Sachen Geschwindigkeit keine Chance. Ein sogvoller Schwerthieb schoss knapp an Remos vorbei, da er sich auf den Boden fallen ließ und abrollte. So schnell er konnte kam er wieder auf die Beine, da sein Gegenüber länger brauchte, um das massige Schwert erneut zu heben und stieß sein treues Schwert in das Rückenmark des kaiserlichen Ritters. Dieser kippte nur kurz darauf mit einem gurgelnden Laut nach vorn um. Einen Moment lang verschnaufte Remos, in dem sich sein Brustkorb rhythmisch aber hastig hob und senkte. Ohne darüber nachzudenken hatte er gerade drei Wachen getötet. Zwar aus dem Hinterhalt, aber doch mit Geschick und Schnelligkeit. War er in der Zeit, in der er gelernt und trainiert hatte wirklich so gut geworden? Noch immer in Gedanken versunken wurde er schlagartig durch das dumpfe Grollen des Drachen wieder in die Wirklichkeit gerissen. Das hohle Brummen trug einen wimmernden Unterton, der Remos unendlich wehtat. Mit einer ruckartigen Bewegung schüttelte er das Blut von seiner Klinge und schob sie zurück in die Scheide an seinem Gürtel, dann näherte er sich dem begrabenen Drachen. Sein Kopf und Hals schauten heraus, das Hinterteil ebenfalls. Größtenteils lagen auf ihm nur Steine, die in etwa so groß waren wie Remos - und die hätte das grüne Echsenwesen problemlos abschütteln können. Doch schnell erfasste der Jüngling den Grund für den Schmerz des Tieres. Sein Flügel und sein Schwanz waren unter einem wirklichen dicken Stein eingeklemmt. Die dünne Lederhaut musste ihm unsagbar unter diesem Gewicht wehtun. "Halt durch, mein Freund", sprach Remos mit dem Wesen und die schwarzen Augen fixierten ihn voll Misstrauen, aber nicht voll Hass. "Ich helfe dir." Remos nahm sich zuerst den Stein vor, der auf seinem Flügel lastete. Er war um einiges größer als Remos und äußerst massig, aber der junge Mann versuchte sein Glück und schob mit ganzer Macht gegen den Fels. Er bewegte sich kaum einen Millimeter, obwohl Remos schon seine ganze Kraft in den Schub legte. Zu groß war einfach das Gewicht. "Du musst mir helfen", keuchte der Jüngling und schob weiter, "Du hast doch einen langen Hals... Schieb mit deinem Kopf gegen den Felsen. Ich schaffe es nicht allein." Die grüne Echse beobachtete Remos mit aufmerksamem Blick, wenn auch Leid in ihm lag. Für einen kurzen, dummen Augenblick fürchtete Remos, gleich von diesem Drachen getötet zu werden, doch intelligent und klardenkend wie diese Tiere waren - wie Tiere allgemein waren, im Gegensatz zu den Menschen - hätte er niemals einen Unschuldigen getötet, der ihm obendrein helfen wollte. Remos hielt viel von Tieren und hoffte, dass die Intelligenz, die er ihnen zugestand, sich jetzt beweisen würde. Noch immer starrte der Drache Remos nur an, aber dann hob er langsam den großen Kopf und schob mit gegen den Stein gelehnter Stirn. Sofort bemerkte Remos, wie der schwere Fels sich zu bewegen begann - auch wenn er selber wahrscheinlich gar nichts dafür tat. Die Kraft kam fast gänzlich von diesem atemberaubenden Wesen. Der Drache stieß ein weinerliches Brüllen aus, als der schwere Felsbrocken über seinen Flügel scharrte, ihn schließlich aber freigab. Vorsichtig richtete die Echse sich auf und stieß dabei das restliche Gestein von sich, aufgrund des noch immer vorhandenen Gewichts auf seinem Schweif gebückt stehend. "Gut gemacht", lobte Remos ihn, aber er sah schon, dass der Flügel Schaden genommen haben musste. Die Haut hing schlaff herab und mehrere kleinere Risse zeichneten sich in ihr ab, die bluteten. "Komm, jetzt noch deinen Schwanz, dann bist du frei." Remos begab sich zu dem anderen Felsbrocken, der nicht ganz so groß war wie der ebige. Wieder schob der Jüngling und diesmal gelang es ihm von selbst ihn zu bewegen, sodass der mächtige Drache ihn mit einer letzten Schweifbewegung in den nächsten Hang stieß. Der Drache - Remos nannte ihn spontan 'Drakkar', weil ihm der Name in den Kopf stieß - hob den langen Hals und stieß ein befreites Brüllen aus. Sein Schweif zeigte keine Verletzung, doch der Flügel regte Besorgnis in Remos. Er lief wieder vor den Drachen, damit dieser ihn auch ansehen konnte. "Dein Flügel ist verletzt", meinte er und blickte dabei hinauf, denn auch Drakkar war etwa so groß wie drei Männer, "Darf ich ihn mir ansehen?" Ein Atemzug des Drachen erfasste Remos und er war so machtvoll, dass sein Brustkorb dabei vibrierte. Das Echsenwesen blickte Remos mit einem dankbaren Ausdruck an und schritt rückwärts. Drachen hatte gute Heilkräfte, das wusste Remos, doch hätte er ihm gern geholfen. "Pass auf, dass du nicht wieder den Wachen über den Weg läufst. Sie sind hinterhältig und bösartig." Der Drache zog den Kopf hinauf, als würde er nickten. Remos war beeindruckt davon, dass Drakkar ihn tatsächlich zu verstehen schien. "Ich werde versuchen, diesen bösen Kaiser zu töten", erzählte er dem Drachen daher, "Er hat meine Liebste in seinen Kerker gesperrt, weil sie ihm widersprochen hat und Unheil über uns gebracht." Drakkar fixierte Remos treu und trat anschließend einige Meter zurück, wo bei jeder seiner Schritte ein leichtes, dumpfes Beben auslöste. "Gehab dich wohl", wünschte Remos ihm und dann wandte er sich ab, um seinen Weg fortzusetzen. Durch diesen Kampf hatte er einen kleinen Umweg in Kauf genommen, doch war ihm dies egal. Er war überglücklich, einem Drachen geholfen haben zu können und sogar jetzt nach fünf Tagen noch regelrecht berauscht von dieser einzigartigen Begegnung. Eigentlich zeigten sich Drachen den Menschen nicht und lebten scheu weit abseits der Zivilisation. Es war in höchstem Maße selten, dass man einem Drachen über den Weg lief. Jäh verließ ihn der neugewonnene Mut durch diese schöne Erinnerung, als er schließlich die Tore der Kaiserstadt erreicht hatte. Er ließ das Schwert in seiner Scheide, denn würde Remos mit gezückter Waffe durch die Stadt gehen, schöpfte man womöglich Verdacht. Er hätte versuchen können, Bürger zu überreden und so als Truppe gegen Hagen zu mobilisieren, doch hatte er dafür keine Zeit. Hagen hatte überall seine Spione und die Wachen hörten fast alles, weshalb das Risiko einfach zu groß war. Remos wollte außerdem keinen Unschuldigen in die Sache hineinziehen. Mit einer Spur Bitterkeit erinnerte er sich jetzt daran, wie er Barbaroth von seinem Vorhaben berichtet hatte. Er war vor seinen alten Meister getreten und hatte ihm knapp berichtet, dass er versuchen würde Hagen zu töten. Ein kurzer, mehr als trauriger Blick von Seiten Barbaroths hatte den Seinen getroffen. "Ich wusste, dass du das sagen würdest", meinte Barbaroth dann und übergoss etwas am Ofen mit kaltem Wasser, um es abzukühlen, "Du bist eben ein Kämpfer und kein Schmied." "Ich bin beides", entgegnete Remos sicher, "Doch jetzt muss der Kämpfer überwiegen." "Ich habe dein Schwert neu geschmiedet", erzählte Barbaroth, "Es kühlt gerade ab. Ich habe es so scharf und spitz wie möglich gemacht, aber dadurch ist es auch dünner geworden. Bei einem großen Kampf könnte es bersten, aber auf lange Kämpfe kannst du dich sowieso nicht einlassen, also versuche möglichst jeden hinterrücks zu töten. Ein gezielter Schlag mit dieser einzigartig scharfen Klinge wird genügen, wenn du Kraft hineinlegst." "Danke, Vater", sagte Remos und benutzte bewusst diesen Ausdruck, denn so hatte er Barbaroth noch nie genannt. Der Bärtige stand nun auf und schritt an Remos vorbei, blieb einen Moment stehen und drückte seinen Ziehsohn kurz. "Ich würde dir helfen, aber ich weiß, dass du mich niemals mitnehmen würdest. Dabei ist alles meine Schuld... Ich bete dafür, dass mein einziger Sohn zurückkommt." Dann war er die Stufen zu seinem Zimmer emporgestiegen und aus Remos' Sichtfeld verschwunden. Auch für ihn wollte er überleben und zurückkehren. Das Herz des jungen Kriegers begann mit jedem Schritt in die Kaiserstadt stärker zu klopfen. Ziellos wanderte er einige Minuten durch die Stadt, bis er den Weg zum Schloss gefunden und eingeschlagen hatte. Remos erweckte keinerlei Aufmerksamkeit, was er nebensächlich bemerkte. Zumindest noch nicht. Bald würde es hier einen Aufstand geben, da war er sich sicher. Doch die Bürger würden Remos unter Garantie nicht angreifen, um den Kaiser zu schützen. Zu verhasst war Hagen unter den Menschen, denn er hatte viel Leid über sie gebracht. Erst jetzt bemerkte er, dass der Lebensstandart in dieser Stadt immens gesunken war. Die Stadt war - wie jede andere in den Zeiten des alten, gutmütigen Herrschers - immer sauber, geruchsfrei und belebt gewesen. Doch heute sah er kaum einen Menschen auf der Straße, es stank nach Exkrementen und einige der Dächer waren verfallen. Dumpf vernahm er im Innern einer Hütte das Weinen eines Kindes, aber sein Geist realisierte die Eindrücke nicht einmal richtig. Zu sehr hing er dem Gedanken nach, wie er am besten handeln und vorgehen sollte. Als Remos schließlich das Schloss erreichte, machte er sich zuerst ein Bild vom näheren Umfeld. Dafür blieb er schlicht an seinem Platz stehen, den rechten Arm locker auf der Schwertscheide an seinem Gürtel abgelegt - so machte er sich nicht verdächtig. Das Schloss war von gewaltiger Größe und umfasste einen Radius von halb Korul. Die Dächer waren gespickt mit Fahnen, auf dem das Wappen Hagens prangte und die schmalen Stacheln, die auf einer der Hofwände weiter hinten saßen, verrieten Remos den ungefähren Lageort des Kerkers. Wie zu erwarten war musste er wahrscheinlich einen Weg nach unten suchen, um in den Keller vordringen und Velia befreien zu können. Doch genau an diesem Ort waren wahrscheinlich die meisten Wachen. Remos musste lautlos handeln, lautlos gehen und vor allem lautlos töten. Nicht gerade einer seiner geübtesten Fähigkeiten, aber irgendwie musste er es schaffen. Hatte er erstmal Velia befreit, würde Remos weitersehen. So näherte sich der Jüngling dem Schloss. Ein kleiner Graben war um es herum geschaufelt worden und nur eine Brücke führte ins Innere des Gebäudes. Sie war hinabgelassen und jedes der Wachtore stand offen, Patroullien konnte Remos ebenso wenig erspähen. Das Volk war zu friedlich und einen Aufstand hatte es, so lange Remos lebte, noch nie gegeben. Vielleicht konnte er den Überraschungseffekt nutzen. Zufrieden nickte er bedächtig und suchte sich dann nicht weit entfernt von der Burg ein freies Zimmer. Er bezahlte und verbrachte den restlichen Abend mit Essen und Planen, was aber in sinnlose Gedankenvertieftheit ausartete und sich nicht als produktiv erwies. Er hatte Angst und gab es zu, denn ihm war klar, dass er sich mit dieser Aufgabe übernahm. Kurz nach Mitternacht verließ Remos das Gebäude durch das Fenster. Er wollte nicht riskieren das man sah, wie er die Unterkunft verließ, denn dies hätte die Wachen vorwarnen können. Ein Fehler war tötlich, ganz gleich wie klein er auch sein mochte. Das Schloss war nicht beleuchtet und Remos sah kaum die Hand vor Augen. Eine einzige Straßenlaterne stand einsam am Rand des Weges, doch die Flamme in ihrem Innern hatte man nicht gezündet. Dies spendete Remos Dunkelheit und diese widerrum bedeutete ein Versteck. Ein Klos bildete sich in seinem Hals, den er nur schwerlich hinunterzuschlucken vermochte. Mit Sicherheit gab es einen Wächter, denn noch immer war die Burg offen zugänglich. Scheinbar hatte Hagen genug Vertrauen in sich selbst - oder auch genug Arroganz. Remos vermochte nicht zu sagen was von beidem der Grund war, doch Recht war er ihm allemal. Er schlich bis zum Tor und presste sich dort flach an die Wand. Wie er vermutet hatte befand sich knapp zwanzig Meter vor ihm ein Wachhaus, in dem wohl ein Wachposten patroullierte. Er hatte keine Chance, ungesehen dort hineinzukommen und ihn lautlos zu töten, außerdem prangten alle Fenster des Schlosses genau den Innenhof. Es war Selbstmord, den Versuch so anzugehen. Remos dachte nur einen kurzen Moment nach, dann schlich er sich an der Wand weiter. Wie er heute Mittag bereits beobachtet hatte gab es zwischen Schlossmauer und Wassergraben einen schmalen Grad mit Gras. Ebenso unbeleuchtet war er so gut wie nicht zu sehen, aber Remos schlich sich entlang und verließ sich dabei auf seine Sinne. Fast zehn Minuten dauerte der Übergang zum Hinterhof, aber Zeit spielte nun die kleinste Rolle. Er musste es nur schaffen, bevor die Sonne aufging. Remos musste leise sein und dementsprechend schwer fiel ihm das langsame Atmen in Verpaarung mit seiner Aufregung, weshalb er sich nun umblickte und einige tiefe Züge der frischkalten Luft einsog, um seine Lungen zu besänftigen. Doch nichts wollte helfen, der Klos und die Angst blieben. Der Hinterhof war breit und bestand nur aus Wiese, doch ein zweiter Wachturm prangte auf der abschließenden Mauer. Remos war sich sicher, dass der dortige Wächter vorn auf die Straße blickte, um alles unter Kontrolle zu behalten. Trotzdem verbarg sich der Jüngling so gut es ging im Schatten - der Mond auf dieser Seite bereitete ihm Schwierigkeiten bei diesem Unterfangen - und schob sich, das Kreuz fest an die kalte Steinmauer gepresst, Richtung Hintereingang des Schlosses. Jeder Schritt war wie in Stunden getan, aber jede Sekunde wurde Remos sicherer. Der Eingang war nach wenigen Minuten in Reichweite seines Armes. Aber bei dem vorletzten Schritt in Richtung seines Ziels schoss etwas mit unfassbarer Geschwindigkeit auf ihn zu. Es ging so schnell, dass Remos nichts tun konnte außer verharren - und direkt über seinem Kopf hatte sich ein Pfeil in die Rillen der Mauersteine gebohrt. Der Klos in Remos' Hals war jetzt, wo er diesen Pfeil sah, so groß, dass er dachte zu ersticken. Man hatte ihn entdeckt - das war das Ende. In einem letzten Anstoß von Willen wandte er sich zur Seite und rannte Richtung Eingang - vielleicht konnte er vorher zumindest noch einige Wachen ermorden. Noch im selben Gedankengang spürte Remos einen unfassbaren Stoß, der ihm für einen Moment die Eingeweide zusammenpresste. Steine polterten aus der Wand und der Jüngling hatte Glück, nicht von ihnen getroffen zu werden. Ein schwarzer Schatten huschte mit gegen den Schutt knallendem Körper knapp an Remos vorbei und riss ihn durch den Sog mitsich. Er kam auf dem Kreuz auf und rutschte schmerzhaft einige Meter auf diesem weiter, ehe er zum Stillstand kam. Das ledrige Schwingen von Flügeln holte ihn zurück in die Wirklichkeit, die er nach diesem Aufprall kurz verlassen hatte. Verschwommen blickte er sich um, rappelte sich auf und erkannte Bragan, den Drachen Hagens. Den hatte er vollkommen vergessen. Das schwarze Echsenwesen brüllte ohrenbetäubend und weckte damit wahrscheinlich die halbe Stadt. Remos war vor Angst erstarrt, seine Füße vermochten sich nicht zu bewegen, obwohl er jede Sekunde einen tötlichen Pfeilschuss erwartete. Erst als Bragan im Flug kehrtmachte und eine wahrhaft riesige, flammende Feuerkugel auf ihn spieh, machte er kehrt und rannte. Remos rannte so schnell wie ihn seine Beine tragen konnten. Mit jedem Schritt sackte er nach vorn und riss sich mit Gewalt zurück, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der Feuerball knallte kurz hinter ihm auf das Gras und senkte ein glühendes, stinkendes Erdloch hinein - einen Krater von beachtlichem Durchmesser. Remos rannte weiter und wollte in die Dunkelheit der heruntergekommenen Kaiserstadt flüchten, aber der schwarze Drache überholte ihn mühelos, segelte kreischend an ihm vorbei und holte dann erneut Luft für einen gleißenden Feueratem. Remos blickte in den schwarzen Schlund des Tieres und sah keinen Ausweg mehr. Erinnerungen seiner Kindheit, seiner Schmiedezeit, seiner Akademiezeit und der Zeit mit Barbaroth schossen wie aneinander gereihte Bilder an seinem inneren Auge vorbei, Bilder von Haraska und Velia. Ja, Velia... Er besann sich. Das kollernde Knurren des Bragan in den Ohren, schwenkte er den Kopf zur Seite und rannte. Bereits jetzt spürte Remos, wie der Ärmel seines Oberteils in der Hitze versengt wurde, die Kurs auf ihn nahm. Doch rechtzeitig erreichte der Junge den Flussgraben, sprang kopfüber hinein und entging so der tödlichen Feuerwand. Das Wasser heitzte sich innerhalb von Sekunden auf und Remos' Haut rötete sich, während er bemerkte, wie das Wasser langsam über ihm verdunstete. Remos ballte beide Fäuste und kniff die Augen zusammen, um diesen Druck auszuhalten. Er hatte versagt. Jämmerlich würde er verrecken, ohne einen einzigen Wachen getötet, ja Hagen gar gesehen zu haben! Er dachte an Velia - an ihr Weinen, als der Kaiser gestorben war, an ihren Umgang mit ihrem Pferd, welches sie so maßlos liebte - und ihren würdevollen, stolzen Gesichtsausdruck, als man sie abführte. Ja, sie hatte Hagen gestrotzt und sich widersetzt. Remos zog sein Schwert aus der Scheide. Er würde sterben, dies war gewiss - doch wollte er mit Ehre untergehen. Mit dem Versuch, etwas gegen Bragan und Hagens unvergängliche Macht auszurichten. Langsam trat der Jüngling aus dem Wasser, spürte, wie die schwere der Flüssigkeit von seinem nassen Körper sank. In seinen Ohren schallte tiefes, bösartiges Lachen. Er wandte den Kopf hinauf und erblickte Hagen auf dem Balkon seines Schlosses. Er trug eine dunkle Rüstung und sein weißes Haar leuchtete stumpf im Licht des Vollmondes. Remos ballte die Hand fest zur Faust und sah, dass aus allen Ecken und Winkeln des Schlosses nun Wachen stürmten. Doch niemand von ihm griff in den Kampf ein, sie beobachteten nur Remos und Bragan, welcher jetzt wieder laut brüllend auf ihn zuflog. Sie sahen ihn als lächerliche Witzfigur und würden sich daran laben, wie der Drache seinen Körper zerriss. Er war es, den Remos angreifen musste, egal wie, doch konnte er seinen Körper nicht erreichen - auf ihn zuzurennen hätte ihn den Kopf und wahrscheinlich die Hälfte seines Körpers gekostet. Doch egal waren jetzt alle Überlegungen, Befürchtungen und Regeln. Er musste der Natur strotzen und das Wunder vollbringen, einen Drachen zu töten, um seine Geliebte Velia und das Leben, das er vermisste, zurückzugewinnen. Mit erhobenem Schwert und dem hallenden Lachen der vielen Männer im Hof zum Trotz rannte er auf Bragan zu, der so viel größer war und mit so viel höherer Geschwindigkeit auf ihn zugeschossen kam. Remos' Ziel war Bragans Kopf oder zumindest seine Flügel, um ihn wenigstens zu verletzen. Doch kein Gedanke hing Remos nun noch nach, es war einzig und allein der Überlebenswille und der Instinkt, der ihn jetzt noch lenkte. Dieser Zusammenstoß bedeutete seinen Tod und er war nur wenige Schritte von ihm entfernt, doch wollte er etwas hinterlassen - wenigstens eine Narbe über dem Auge des Kaisers. Remos rannte und sprang ab. Die Klinge auf Bragans Gesicht gerichtet, spähte er erneut in den Abrgund seines Rachens, der sein Grab und sein Tod war. Remos kniff die Augen zusammen, um mehr zu sehen und sprach in Gedanken ein Gedicht für Velia, als er plötzlich wie schon einmal an diesem Tag einen ohrenbetäubenden Knall hörte, von einem Sog erfasst und hinweggeschleudert wurde. Abermals prallte er auf den Rücken, aber jetzt grub er die scharfe Klinge seines Schwertes in die weiche Erde und zog sich an ihr hoch, um zu sehen, was soeben passiert war. Die schwarze Schattengestalt Bragans war mit Wucht in die Burgmauer geschleudert worden, die nun unter lautem Knacken zerbarst. Ein Schwall von Steinen und Schutt ergoss sich über Bragan, welcher erstickt schrie und daraufhin verstummte. Mit geweiteten Augen starrte Remos in seine Richtung und versuchte herauszufinden, was geschehen war - doch im selben Moment erbebte unter ihm die Erde. Deutlich fühlte er, wie zwei starke Beine hinter ihm den Erdboden berührten und ihn erschütterten. Das kehlige Keuchen direkt über ihm verursachte eine eiskalte Gänsehaut auf Remos' Rücken und als er langsam den Kopf nach oben wandte, erspähte er Drakkar. Nur kurz fixierten ihn die schwarzen Perlaugen des Drachen, ehe er den langen Hals zu einem schrillen Heulen streckte und vor Remos trat. Er hatte ihm geholfen... Und nun wollte er ihm helfen. Remos blickte das Tier an und empfand in diesem Moment eine Liebe für es, die er für den Rest seines Lebens nicht beschreiben können würde. Am liebsten hätte er geheult wie ein kleines Kind, aber jetzt war keine Zeit dafür. Er blickte zu dem Schutthaufen, aus dem sich jetzt mit einem Knall Bragan befreite. Sekundenlang stierten die beiden Drachen sich wie zwei Fressfeinde in die Augen, umtraten einander wie zur Taktik, schwiegen, keuchten mit rasselndem Atem - dann brachen sie los. Der nächste Knall beschrieb den Punkt ihres Aufpralls, in dem sich die beiden langen Hälse wie in Liebe umeinanderschlängelte und in des Gegners Haut verbissen. Genau sah Remos das Blut an den grünen und schwarzen Schuppen hinablaufen - und dies war auch seine Chance. Er griff sein Schwert erneut und stieß einen Schrei aus, der so laut war, dass sogar die Körper der Drachen zu vibrieren schienen. Er setzte sich in Bewegung und rannte so schnell wie es seinem menschlichen Körper möglich war auf Bragan zu, wich einem Aufstampfen des Wesens aus und schlug zu. Die messerscharfe Klinge bohrte sich in das Fleisch des Reptils und schnitt ihm schließlich einen der krallenbesetzten Zehen ab, woraufhin dieser schmerzvoll aufbrüllte und beinahe zu Boden gefallen wäre. Im gleichen Moment traf ihn ein rammender Kopfstoß von Drakkar, der Bragan zurückfallen und erneut gegen die Schlosswand knallen ließ. Hagen verlor nun das Gleichgewicht auf seinem Balkon, da dieser in sich zusammenstürzte. Er sprang von den herabfallenden Steinen herunter und landete auf Bragans Schulter. "Steh schon auf, du Schwächling!", brüllte er und schlug mit der Faust gegen den Kopf des Wesens, "Töte diese Eindringlinge! Sofort!" Während die Wachen noch immer stillstanden und zusahen, stieß Drakkar einen kehligen Atemzug auf Remos herab. Dieser blickte überrascht hinauf und verstand nicht, bis er Hagen sah, welcher selbstsicher auf Bragans Schulter verweilte, das lange, verzierte Schwert gezückt. Remos verstand in diesem Moment, dass er zu einem Drachenritter geworden war. Drakkar senkte sein Haupt nur leicht, damit Remos auf seinen Hals springen konnte. Der Jüngling stand unsicher auf der schmalen, knochigen Schulter des Tieres und hielt sich fest, mit der rechten Hand das Schwert gezückt und gehoben. Die Drachen setzten sich in Bewegung und schossen wie zwei klobige Pfeile aufeinander zu. Remos wäre durch die Wucht fast hinuntergefallen und krallte sich mit den Fingernägeln in Drakkars Schuppen fest, welcher dies nichteinmal zu spüren schien. Eine Zehntelsekunde, die sich wie eine Stunde zog, verging, ehe die beiden Drachen erneut gegeneinanderprallten. Die Knochenplatten in ihren Köpfen polterten und ein Wettdrücken unter den fliegenden Reptilien entstand, während Remos endlich Hagen gegenüberstand. Der erste Schwerschlag gehörte ihm, ging jedoch ins Leere. Aber wie er vermutet hatte war Hagen untalentiert und wenig trainiert. Seine Hiebe waren flach und ohne Kraft. Hagen schrie ihm etwas zu, was Remos aufgrund seiner Vertiefung ins Kampfgeschehen nicht mitbekam und zielte mit der Spitze des Schwertes auf seine Stirn. Remos ließ sich auf den Boden fallen und rollte sich mit dem Rücken über Drakkars Schulter, kam dort zum Stehen und drückte sich mit der anderen Hand wieder hoch. So rammte er Hagen mit seinem Körper, wie auch Drakkar es eben bei Bragan getan hatte. Die beiden Drachen erhoben sich inmitten ihres Kampfes in die Lüfte, noch immer verbissen ineinander und zum Teil qualvoll schreiend. Remos machte es unsagbar ungücklich, zwei Drachen so verletzt zu sehen, doch er konnte es nicht verhindern, nicht helfen - musste um sein eigenes Leben kämpfen. Er begann zu schwanken, da der Luftdruck zunahm. Remos presste sich erneut gegen Hagen und holte rücklings mit dem Schwert aus, um ihm den Kopf von den Schultern zu trennen, doch fast zeitgleich durchbohrte ihn ein reißender Schmerz. Flüchtig blickte er zurück - Hagens Schwert steckte tief in seinem linken Schulterblatt. Gelähmt vom Schmerz verlor er den Halt auf Drakkar, taumelte zurück und blickte Hagen an, welcher ihn mit verzerrtem Grinsen anstarrte. Remos rutschte ab und fiel von Drakkars Rücken. Im freien Fall begann die Ohnmacht an ihm zu Ziehen, seine Pupillen klappten nach oben und der Schmerz pulsierte nurnoch dumpf, aber Remos wehrte sich mit aller Macht dagegen. Nicht jetzt, nicht hier. Nicht in diesem Moment. Er durfte nicht versagen. Ein Knall erschütterte seinen Körper, als er aufprallte. Remos' Gewicht federte auf der verletzten Schulter ab - es knackte und sein linker Arm brach entzwei. Er schrie erneut so laut, wie es seine Stimmbänder ihm erlaubten, um diesen Schmerz zu überwinden und klar zu bleiben. Er öffnete die Augen und Tränen standen in ihnen, doch sah er das Gesicht und die treuen Augen Drakkars, der ihn mit den Pranken gefangen hatte. Eine schnelle Bewegung Bragans lenkte Remos für einen kurzen Moment ab. Er sammelte und sortierte die inzwischen rotierenden Gedanken, um etwas von dem Geschehen mitzubekommen. Hagen schien ebenfalls den Halt verloren zu haben. Er fiel in die Tiefe und Bragan war gerade dabei, ihn zu überholen, um den Kaiser fangen zu können. Remos war zu schwach und sank mit der Schulter schlaff gegen einen von Drakkars Krallen. "Warte!", schrie er aus Leibeskräften. Seine Stimme klang inzwischen ebenso kehlig wie die Bragans und Drakkars, "Bragan! Warte!" Remos sprach nur für drei Sekunden, doch kam es ihm vor, als hätte er ewig dabei überlebt. Hagen schrie und drohte, auf dem Boden aufzuschlagen - es würde ihn nicht töten, doch mit Sicherheit schwer verletzen - und Bragan streckte bereits die klobigen Arme nach ihm aus. "Warte!", schrie Remos schrill und keuchend, "Wofür?! Wofür Bragan? Er war niemals gut zu dir!" Der Atem in Remos' Lunge versiegte und er spürte wie er das Bewusstsein verlor. "WOFÜR, BRAGAN?!" Dumpf pulsierte der Schmerz noch immer in seinem Arm, als Remos langsam zu sich kam. Er lag weich und roch die trockene Haut Drakkars, dessen hohler, aber jetzt fast sanfter Atem über sein Gesicht strich. Langsam schaute er auf und blickte in die treuen, schwarzen Augen seines Drachenfreundes. "W-Was...", flüsterte er und rappelte sich langsam ins Sitzen auf. Dabei zuckte er zurück, als er versehentlich den linken Arm belastete - sein Schwert ruhte noch immer in Remos' vekrampfter, rechter Faust. Drakkar befand sich auf dem Boden und setzte Remos nun vorsichtig ab. Dieser hob sich auf die Knie und schließlich ins Stehen, fiel kurz darauf fast nach hinten und hielt sich wieder. Hagen lag vor ihm auf dem Boden. Sein Körper hatte sich in das Erdreich gebohrt, sodass er fast wie eingeschmolzen wirkte. Sein Körper war deformiert, sein Gesicht leichenblass und schmerzverzerrt - aber er atmete noch. Bragan war verschwunden. "E-Er...", keuchte Hagen jetzt mit dünner Stimme, "...E-Er... h-hat mich verraten... D-Dieser Mistkerl..." Remos sagte nichts. Bragan hatte gehört. Erneut realisierte und bestätigte Remos, wie intelligent die Drachenwesen waren. Bragan hatte Remos' Frage verstanden und Hagen fallen lassen. "E-r... Ist e-einfach... verschwunden..." "Du bist kein Ehrenmann...", antwortete Remos ihm. Es klang nicht so fest, wie er es sich gewünscht hätte. "Er hatte keinen Grund, dich zu schützen. Du hast ihn geschlagen und mit Gewalt in deine Ansprüche gedrückt. So wie uns alle." Er wartete kein weiteres Wort von Hagen ab und stach zu. Die Klinge bohrte sich in Hagens Stirn und barst dort, woraufhin ein leises, gurgelndes Geräusch ertönte - dann wurde es still. Schwach drehte sich Remos zu den Wachen, die mit offenen Mündern noch immer an ihrem Fleck standen und ihn beobachteten. "Der Kaiser ist tot...", flüsterte er und widerholte selbiges dann lauter, fügte dann hinzu: "...Befreit die Gefangenen." Keiner der gepanzerten Wachen wollte sich rühren, sie sahen nur ausdruckslos zurück. "W-Wirds bald?!", erhob Remos mit letzter Kraft seine Stimme. Drakkar trat zu ihm und knurrte bedrohlich, woraufhin die Männer sofort ins Innere des übrig gebliebenen Schlosses rannten. Remos indes sackte auf die Knie. Er war vollkommen fertig. Er vermochte nicht wahrzunehmen, wie lange der Vorgang dauerte. Er wusste nur, dass er irgendwann Velias zarte, leise Stimme hörte, ihre Arme an seinem Körper spürte und ihren Geruch wahrnahm. Wieder kam ihm der Gedanke mit dem Hund, der Gedanke vom Heiraten und eine einzelne Träne verließ seine Augen, bevor er einschlief. Epilog Der Kaiser war gefallen - einen Nachfolger der Familie gab es nicht. Jenes Blut war ausgelöscht worden - dieses, welches zugleich den Himmel und die Hölle über das Land gebracht hatte. Ein Fest fand statt, zu Ehren der neuen Freiheit und zu Ehren von Remos. Er brauchte einige Zeit, um sich zu erholen. Der Bruch war kompliziert und wahrscheinlich würde er auf ewig Probleme bei der korrekten Führung seines Schwertes haben, doch dies alles war jetzt nicht mehr wichtig. Remos heiratete Velia und schenkte ihr einen Hundewelpen - doch der wichtigste Drehpunkt ihres Lebens war, dass man Remos zum neuen Kaiser ernannte. Das Schloss war inzwischen neu erbaut worden und trug nun oben an seiner Spitze eine große Kuppel, in der die meiste Zeit des Tages Drakkar verweilte und auf das Land, das Schloss und seinen wertvollen Freund Remos achtete. - Ende - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)