Trinkgeld von Vampire-Hero ================================================================================ Kapitel 22: Rohrbruch und andere Katastrophen --------------------------------------------- William zog den jüngeren Mann mitfühlend in seine Arme und gab ihm Zeit sich wieder zu sammeln. Der Anruf eben, hatte seinen Engel ganz schön erschreckt und wie es aussah, auch völlig aus der Bahn geworfen. Die weiße Haut seines Gegenübers, war durch das kurze Telefongespräch noch blasser geworden und die goldenen Augen blickten starr geradeaus. „Möchtest du mir erzählen, wer das war? Und warum er dir soviel Angst macht?“ wollte William leise wissen. Dabei begann er vorsichtig über den Rücken seines aufgelösten Engels zu streicheln und ihn wieder zu beruhigen. Nur langsam begann Morgan auf seine Berührungen zu reagieren, als er sich etwas unsicher, aber schutzsuchend, an sein T-Shirt klammerte. Wie ein verschrecktes Kind, fand William und hätte im Moment alles getan, um seinem Engel zu helfen. Und bekanntlich war Reden ein Weg, um sich mit seinen Problemen auseinander zu setzen. Erst einmal sollte es nämlich dem jungen Mann besser gehen, dann konnte sich William selbst auch noch seine Gedanken dazu machen. „Das war… er war es…“, setzte Samuel an und biss sich voller Unsicherheit auf seine Unterlippe. Er wollte Roger nicht verlieren und musste ihm Wohl oder Übel die Wahrheit erzählen. Auch auf die Gefahr hin, dass der andere Mann nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, hoffte er dennoch, dass der Braunschopf ihm gegenüber mit seinen Gefühlen ehrlich war. Jetzt hing alles davon ab, ob Roger ihm glauben würde und zu ihm stand. „Das war Jack“, brachte Samuel schließlich heraus. „Dein Bruder“, vermutete William, da sein Engel ihm nur flüchtig etwas über diesen Mann gesagt hatte. Kein Wunder, so wie es aussah, sprach Morgan nicht gerne über ihn. „Ja“, bestätigte Samuel. „Hör zu Roger, bevor er angerufen hat, da wollte ich mit dir sprechen. Jetzt, mehr denn je. Es ist nämlich so das… also…“ William ahnte, worauf sein Engel hinauswollte. Dieser Jack versetzte… aus einem für ihn noch unbekannten Grund… den jungen Mann in Panik und es schien Morgan wichtig zu sein, ihm zu erzählen, wieso. Deshalb unterbrach er seinen Engel nicht und hörte ihm stattdessen ruhig zu. „… er ist auf dem Weg hierher. Ja, er ist mein Bruder und ich liebe ihn, zumindest war das damals so gewesen, bevor unsere Mutter starb. Doch seither hat er sich verändert und macht mir nur noch Angst. Seit dem Tag ihrer Beerdigung fing alles an …“, fuhr Samuel fort zu erklären. Jedes Wort war eine Hürde für ihn, weshalb er nur stockend sprach. Darüber wie Jack ihm seine Liebe aufgedrängt hatte und davon, dass er selbst nicht von dem anderen loskam. Immer wenn er von ihm davonlief, hatte ihn der ältere Mann wieder gefunden und zurück gebracht. Für seinen Ungehorsam, wie Jack es immer nannte, hatte er ihn dann für mehrere Tage eingeschlossen. Kontakt zu anderen durfte er nicht halten und wenn er mal die Wohnung verlassen wollte, begleitete ihn stets sein Bruder. So wie er jeden seiner Schritte verfolgte: Sei es der kurze Gang zur Küche, um sich etwas zu Trinken zu holen oder wenn er ins Bad verschwand, um sich auf der Toilette zu erleichtern. Dabei wurde er immer von seinem Schatten verfolgt… seinem eigenen Bruder. Und abends, wenn die Dunkelheit sich sowohl in der Wohnung ausbreitete, als auch im Herzen des kleinen Jungen, betete er innerlich, dass sich diese Nacht nicht die Tür öffnen würde. Dass er nicht wieder diese schmeichelnden Worte von der rauen und leicht belegten Stimme hören müsste, während die Hände des stärkeren Mannes über seinen Körper glitten und… Ein Zittern überfiel den schmalen Körper des jungen Mannes, als er darüber sprach und dadurch alte Wunden aufriss. Seine Tränen konnte er seit etlichen Minuten nicht mehr aufhalten und ließ sie ungehindert über seine Wangen laufen, während er leicht hicksend Luft holte. Doch gleichzeitig überkam ihn ein befreiendes Gefühl, mit jemanden darüber sprechen zu können tat gut. Auch wenn in Samuel die Angst aufstieg, dass William hinterher nichts mehr mit ihm zu tun haben möchte… wer könnte es ihm verdenken, hatte er ihn doch am Anfang des Einzuges nicht die Wahrheit gesagt… wollte er ehrlich zu ihm sein. Die Zeit verging, während William ruhig seinem Engel zuhörte. Dem Braunschopf stiegen einige Fragen auf, die er dennoch zurückhielt. Er wollte jetzt seinen süßen Engel nicht unterbrechen, da es diesem eh schon schwer fiel, darüber zu reden. Dafür verfestigte er die beschützende Umarmung um den zerbrechlichen Körper in seinen Armen, während er milde in das verheulte Gesicht vor sich blickte. „Aber so wie es aussieht, weiß er jetzt, dass ich hier bin“, endete Samuel die Erzählung und versuchte gleichzeitig seine Tränen zu beenden, die sich immer noch ihren Weg über sein Gesicht bahnten. Leicht schniefte er und zog immer wieder seine Nase hoch, während er darauf wartete, was Roger nun dazu sagen würde. Das erste was Samuel bemerkte war, wie sein Kinn angehoben wurde und er unweigerlich in das mitfühlende Gesicht des älteren Mannes blickte. Aus Gewohnheit wollte er seinen Kopf senken, was der Braunschopf geschickt verhinderte. Dafür holte Roger aus seiner Tasche ein Taschentuch, mit dem er begann, vorsichtig das Gesicht vor sich, abzutupfen. Es war eigentlich viel zu schade, wie William fand, als er die einzelnen Perlen sah, welche unaufhaltsam aus den Augenwinkeln seines geliebten Engels rannen. Wenn es nach ihm ginge, würde er nun die einzelnen Tränen mit seinen Mund aufnehmen, bis diese versiegen würden. Doch ermahnte sich William zur Zurückhaltung, da er Morgan nicht unbewusst noch mit dieser Geste verschrecken wollte. „Danke, dass du mir alles erzählst hast“, meinte William ehrlich… da er sein Gegenüber und dessen Verhalten nun besser verstand… und zog seinen Engel nah zu sich. Der zierliche Körper wirkte erschöpft und zerbrechlicher denn je. Und genau diesen unschuldigen Engel, wollte der Braunschopf beschützen, mit allem was er hatte. „Hier“, bot William dem anderen sein Taschentuch an. So wie es aussah, würde Morgan es gebrauchen können. „Danke, Roger“, erwiderte Samuel leise und nahm zaghaft den feinen Stoff entgegen, um sich die Nase zu putzen. „Ach was, nicht dafür“, winkte William lächelnd ab. Allerdings wusste er nicht, woran er derzeit bei seinem Engel war, weshalb er vorsichtig nachfragte: „Ich nehme mal an, du möchtest ihn nicht wieder sehen?“ Immerhin war Jack die einzige Familie, die der junge Mann noch hatte, da war es nur verständlich, wenn er den Wunsch verspürte, zu ihm zurück zu wollen. Es gab viele Menschen, die sich an ihre letzten Familienmitglieder banden, selbst wenn dies Schmerz und Leid bedeutete. Von daher wollte William sicher gehen, ob sein Engel freiwillig bei ihm bleiben wollte oder ob er darum kämpfen müsste. Denn eins war sicher, er würde den Jüngeren begleiten, sollte dieser sich mit Jack treffen. Und er würde ihn vor diesem Beschützen. Vor dem Wahnsinn, der in seinem Bruder lauerte und einzig auf Morgan fixiert war. Mit großen Augen sah Samuel hoch und blickte in die geduldigen Augen seines Gegenübers. „Ob ich Jack…?“ setzte Samuel an, brach dann aber Kopfschüttelnd ab. Mit seinem Bruder hatte er abgeschlossen, schon lange. „Oder möchtest du lieber hier bleiben?“ bot William an und konnte nicht widerstehen, sanft den Nackenbereich des Jüngeren zu kraulen. „Hier bei mir?“ Tief atmete Samuel durch, um die nächsten Worte sicherer auszusprechen: „Wenn du mich weiterhin bei dir haben möchtest, dann… dann würde ich gerne hier bleiben, Roger.“ „Natürlich kannst du hier bleiben, ich würde mich sehr über deine Anwesenheit freuen“, erwiderte der Braunschopf sanft. „Übrigens, du kannst mich ruhig William nennen. Ist das okay für dich, Samuel?“ Ein warmer Schauer lief dem jungen Mann über den Rücken, während seine Wangen rot anliefen. Es hatte eine eigenartige Wirkung auf ihn gehabt, als der Braunschopf ihn beim Vornamen ansprach. So nickte ihm Samuel zu, ehe er antwortete: „Natürlich, William.“ „Gott, sag es noch einmal, mein Engel“, verlanget William bittend, während sich sein Gesicht aufhellte. „William“, wiederholte Samuel noch einmal und blickte diesmal mit einem scheuen Lächeln auf. Während sich bei seinem Gegenüber das Blut in dessen Gesicht sammelte, staute es sich gerade bei ihm in seiner Lendengegend an. Noch nie hatte sich sein Name so schön angehört, wie aus dem lieblichen Mund seines süßen Engels. „Danke, Samuel“, erwiderte William mit einem glücklichen Lachen. Allein deshalb liebte er den jungen Mann, wie er ihn so verunsichert ansah und seinen Namen sprach. Es hatte gleich einen ganz anderen Klang für seine Ohren und gab ihm ein stolzes Gefühl. Stolz in dem Sinne, dass er Samuel wieder einen Schritt näher gekommen war. „Ich liebe dich, mein Engel“, flüsterte ihm William rau zu und beugte sich zu den zarten Lippen des anderen hinunter. Er hätte diese sicherlich geküsst, hätte ihn nicht ein dumpfes Geräusch aus seiner Trance geweckt. Genau genommen war es ein Türklopfen, wonach ein gedämpftes Zimmerservice von draußen zu hören war. William zog sich nur widerwillig von seinem Engel zurück, welcher langsam aufstand, um nachsehen zu gehen. Seufzend sah er von der Couch aus zu, wie sein begehrtes Objekt zum Flur ging… dabei wippte sein Engel leicht mit seiner Hüfte und reizte damit unbewusst den Braunschopf damit… bevor er die Tür öffnete. Als er sein Gegenüber erkannte, begrüßte er ihn überrascht: „Benny, schön dich zusehen. Bist du wegen Will… ähm, ich meine, möchtest du Roger sehen?“ „Es freut mich auch dich wiederzusehen“, erwiderte Benny lächelnd „Zumal ich dich gesucht habe, denn ich bin nicht wegen deinem Gast hier. Leider habe ich von Ines eine schlechte Nachricht für dich: Sobald es dir möglich ist Pause zu machen, solltest du mal bei dir zu Hause vorbeischauen.“ „Warum denn das?“ wunderte sich Samuel. „So weit ich gehört habe, soll es bei einer Wohnung über dir, einen Wasserschaden gegeben haben. Anscheinend ist es nun in die unteren Wohnungen gelaufen und der Vermieter möchte sich nur absichern, dass bei dir alles in Ordnung ist.“ „Was?“ fragte Samuel geschockt und riss seine Augen auf. Er wollte nur ungern wahrhaben, dass sein Heim… sein kleiner Ort der Ruhe… nun bedroht sein könnte. Der Schwarzhaarige wollte sich nicht ausmalen, wie weit das Wasser vorgedrungen war und ob dabei etwas Schaden genommen hatte. Benny hatte die leicht geröteten Augen des Schwarzhaarigen bemerkt… ihn aber nicht weiter darauf angesprochen, da es ihm schon unangenehm war, die Nachricht vom Rohrbruch zu beichten… und es sah beinahe so aus, als wollte Samuel erneut in Tränen ausbrechen. Deshalb fügte der Rotschopf noch mit sanfter Stimme an: „Samuel, es ist nicht sicher, ob deine Wohnung betroffen ist. Deshalb sollst du ja nachsehen und dir selbst ein Bild davon machen.“ „Äh, ja klar“, meinte Samuel immer noch leicht verstört. Denn bisher war nie etwas in seiner Wohnung passiert. Und jetzt verbrachte er ein paar Tage auswärts und schon trat die erste Katastrophe ein. Oder malte er sich alles schlimmer aus, wie es eigentlich war? Der junge Mann wusste es nicht, nur dass er ein Unwohlsein hatte, je mehr er daran dachte, wie er seine Wohnung vorfinden würde. Da Benny immer noch vor ihm stand und ihn besorgt musterte, riss er sich zusammen und meinte: „Danke für die Info, Benny. Ich werde nachsehen, sobald es mir möglich ist.“ „Ist gut und hab trotzdem noch einen schönen Tag“, wünschte ihm der Rotschopf fröhlich. „Danke, den wünsche ich dir auch“, verabschiedete sich Samuel und erwiderte scheu das Lächeln. Samuel hatte noch nicht mal die Tür geschlossen, als er die tiefe Stimme des älteren Mannes hörte: „Willst du nicht nachsehen? Es sah sehr danach aus, als würdest du es gerne tun.“ „Ja, das schon…“, setzte Samuel an zu erklären. Hier ging es nicht um ihn, sondern um seinen Gastgeber, Roger… nein, William, wie er sich wieder erinnerte. Scheu fuhr er fort: „… aber…“ „Kein Aber“, unterbrach ihn William schmunzelnd. Immerhin kannte er seinen Engel mittlerweile so gut, dass dieser den restlichen Tag nur abwesend wäre, wenn er ihn nicht gehen ließ. So fügte er noch entschieden nach: „Geh schon Sam, ich werde hier auf dich warten. Es ist ja nicht so, als hätte ich keine Beschäftigung.“ So konnte er zum Beispiel sich im Geiste ausmalen, was er mit seinem unschuldigen Engel alles anstellen würde, sobald dieser wieder bei ihm war. Angefangen bei einer gründlichen und gemeinsamen Köperreinigung unter der Dusche, bevor sie sich in den Laken wälzen würden. Beschämt musste William zugeben, dass die Studie Recht hatte, wenn Männer hauptsächlich nur an das Eine dachten. Aber wie sollte er es auch abstellen, wenn solch ein begehrliches Objekt bei ihm verweilte? „Wenn du möchtest, kann ich dich begleiten“, bot William seinem süßen Engel noch an. Die Möglichkeit gefiel ihm, da er dann nicht die Nähe des anderen Mannes missen musste. „Das ist nett gemeint von dir William, danke, aber ich gehe alleine. Ich sehe nur kurz nach ja? Bis nachher“, verabschiedete sich Sam und gab William noch einen Kuss auf den Mund. Kurz und flüchtig, ehe er sich löste und ging. „Bleib nicht zu lange weg“, flüsterte ihm der Braunschopf sehnsuchtsvoll nach. --- Das hatte Samuel nicht vor. Daher nahm er sich ein Taxi, welches ihn bis vor seine Haustür fuhr. Nachdem er den Fahrer bezahlt hatte, stieg er aus und betrat denn Wohnblock vor sich. Bei der verschnörkelten Schrift… welche die Zahl 43 zeigte… betrat der Schwarzhaarige den Eingangsbereich. Mit seinem Schlüssel sperrte er die Haustür auf, ging in den spärlich beleuchteten Flur, direkt an den Briefkästen vorbeiging und steuerte die Treppe an. Wenn er schon hier war, konnte er auch nach der Post sehen und die Blumen gießen. Aber das hatte noch Zeit, anders als seine quälende Nervosität, wie schlimm der Wasserschaden wohl sein mochte. Um das zu überprüfen, ging Samuel ohne Umwege zu seiner Wohnung. Sein Herz klopfte ungewohnt wild, als er seine Hand ausstreckte, in der er die Schlüssel hielt, um die Tür aufzuschließen. Ein leicht stehender Geruch lag in der Luft, zudem lag noch ein fremder Duft in der Luft, den Samuel nicht zuordnen konnte. Wahrscheinlich da er seit einigen Tagen nicht mehr gelüftet hatte. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf betrat er seine Wohnung und schloss hinter sich die Tür. Nachdem er seine Schuhe ausgezogen und auch seine Jacke abgelegt hatte, ging er als erstes in die Küche. Er wollte jedes Zimmer einzeln durchgehen und sehen dass alles mit den Heizungsrohren in Ordnung war. Doch zuvor wollte er sich erst vergewissern, dass die Küche oder das Bad nicht unter Wasser standen. „Hoffentlich nicht“, betete Samuel innerlich und besah sich den ersten Raum. Erleichtert atmete er aus, als er einen trockenen Boden vorfand. Dennoch leicht angespannt ging er zur Spüle rüber, wo er unter dem Anbautisch nachsah und sich vergewisserte, dass nicht doch irgendwo eine feuchte Stelle zurückgeblieben war. Als das nicht der Fall war, entschied er sich ins Bad zu gehen. Auch hier war er aufgeregt und hoffte keine böse Überraschung erleben zu müssen und… hatte er die Badtür offen stehen gelassen, nachdem er gegangen war? „Wahrscheinlich“, vermutete Samuel, obwohl ihm dennoch etwas komisch zumute war. Ein beklemmendes Gefühl welches er nicht zuordnen konnte machte sich in ihm breit. Das lag bestimmt daran, weil er langsam paranoid wurde und jeden Moment damit rechnete, dass sein Telefon klingelte oder gar die Türglocke losging. Da das aber nicht passierte, nahm er sich die Zeit, um sich im Bad etwas umzusehen. Er überprüfte sowohl die Dusche, als auch das Waschbecken und die Toilette, dass diese nicht leckten. Auch die Kachelwände und der Fließboden waren trocken, worauf zu schließen war, dass seine Wohnung nicht betroffen war. „Noch mal Glück gehabt“, murmelte Samuel und ein beruhigendes Lächeln erschien in seinem Gesicht. Etwas ausgelassener verließ der Schwarzhaarige das Bad und ging in Gedanken durch, was er jetzt noch vorhatte: Zuerst wollte er in den Keller gehen, um den Haupthahn zuzudrehen. Auch wenn nichts passiert war, wäre es jetzt leichtsinnig, es nicht zu tun. Einfach zur Vorsicht, da er für die nächste Zeit nicht mehr nach Hause kommen würde. Lächelnd erinnerte sich Samuel, dass er noch mit William zusammenlebte und solange die Zeit mit diesem auskosten wollte, wie diese andauerte. Da er eh auf dem Weg wäre, könnte er noch gleich die Post mit hoch holen, dann einen kurzen Blick auf die Heizungsrohre werfen und anschließend die Pflanzen gießen. Vielleicht sollte er auch noch mal einen Blick in den Kühlschrank werfen. Wahrscheinlich konnte er die angefangene Milch und das Obst wegmachen. Derweil hatte er den Flur erreicht, wo er seine Hand zur Kommode ausstreckte, auf der er seine Hausschlüssel immer ablegte und... leer. Verwundert blieb Samuel stehen und besah sich den Platz, aber die Schlüssel waren weg. Ein Blick auf den Boden strich auch seinen nächsten Gedanken, dass sie ihm womöglich runtergefallen waren. Okay, überlegte Samuel langsam, das war ihm jetzt doch etwas unheimlich. Er mochte keine Dinge, die er nicht verstand. Und schon gar nicht, wenn Schlüssel aus einem verschlossenen Raum verschwanden. „Hah“, erschrocken zog Samuel die Luft ein, als er plötzlich nichts mehr sah. Dunkelheit umfing ihn, als sich zwei Hände über seine Augen legten. Kurz darauf presste sich ein anderer Körper nah an ihn und ließ ihn unwillkürlich anspannen. „Wer sind sie?“ fragte Samuel angespannt und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme leicht zitterte. Sein Herz beschleunigte sich rapide, während er vor Anspannung sein Blut in den Ohren rauschen hörte. Angst überwältigte ihn, da er sich an der Form der großen Hände und des muskulösen Körpers, welcher sich dicht an ihn presste, ausmalen konnte, wie seine Chancen gegenüber diesem Eindringling waren. Selbst wenn er den Versuch starten sollte, sich zu wehren, konnte er den Fremden nicht einschätzen. Was wollte er von ihm? Wie weit würde er gehen, um dies zu bekommen? Ein dunkles Lachen folgte, was unwillkürlich dafür sorgte, dass sich Samuels Nackenhaare aufstellten. Kurz darauf spürte er den Atem des anderen Mannes und wie dieser ihm leise ins Ohr sprach: „Endlich… so lange habe ich darauf gewartet, Häschen. Und endlich habe ich dich wieder gefunden.“ Dann verschwanden die Hände und legten sich stattdessen um seine Hüfte. Bestimmend wurde der junge Mann umgedreht, während er wie erstarrt auf seinen Gegenüber blickte. Seine Beine gehorchten ihm nicht, selbst wenn er weglaufen wollte, er konnte nicht. Ebenso wie seine Arme, die sich auf einmal schwer wie Blei anfühlten. Selbst wenn er die Berührung und die Nähe des anderen fürchtete, brachte er nicht die Kraft auf, ihn fortzustoßen. Er war wie gelähmt und konnte lediglich mit offenem Mund und zittrigen Atembewegungen dastehen und abwarten. Bitte, das kann nicht wahr sein, schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, lass es nicht wieder passieren. „Hey, Honey“, sprach Jack sanft zu seinem aufgelösten Häschen. „Shhh, du brauchst keine Angst zu haben. Nie mehr, denn jetzt bin ich ja da und werde auf dich aufpassen.“ Seine anfängliche Vorfreude, als er sein begehrtes Objekt vom Schlafzimmer aus beobachtet hatte, wandelte sich jetzt in Besorgnis. Wenn sich der jüngere nicht bald beruhigte, fürchtete Jack, dass dieser bald abklappen würde. Daher hob er den zierlichen Körper, welcher nicht in der Lage war sich ihm zu wiedersetzen, auf seine Arme hoch und brachte ihn ins Schlafzimmer. Dort bettete er seine leichte Last auf die weiche Matratze, ehe er sich zu ihm setzte. „Dein Leben ist an meiner Seite, Honey“, begann Jack verträumt zu erzählen. „Verstehst du, wir beide gehören zusammen.“ Es war so offensichtlich, zumindest für Jack. Dass er damals im Heim gelandet war, nur um von Babette aufgenommen zu werden. Sehr nobel, wie Jack mit trockenem Sarkasmus fand, allerdings konnte er ihr gegenüber keine Dankbarkeit empfinden. Besonders nicht, als sie ihm Samuel gezeigt hatte, das wohl niedlichste Geschöpf auf Erden. Das musste wahre Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, wie sich Jack mit einem verschmitzten Lächeln zurückerinnerte. Auch wie er sich schwor, immer auf den Jüngeren aufzupassen und niemals zuzulassen, dass sich jemand zwischen sie stellte. So wie Babette, die für ihren Fehler bestraft wurde. „Du weißt doch Honey, ich wollte stets dein Bestes“, entgegnete ihm Jack zärtlich. Langsam beugte er sich zu dem zitternden Leib hinunter, welcher steif auf dem Bett lag und ihn mit panisch geweiteten Augen ansah. „Ich habe dich die letzten Jahre vermisst, Samuel. Der Gedanke wieder bei dir sein zu können, hat mich durchhalten lassen. Es war die einzige Hoffnung, an die ich mich geklammert habe, wenn ich tagsüber stumm die Zellenwand angestarrt habe.“ Ein liebevolles Lächeln lag auf seinen Lippen. „Dabei habe ich oft an früher gedacht. An jeden einzelnen Augenblick den du bei mir warst. Ich kann sie genau aufzählen. Sei es wo du mich das erste Mal mit deinem unschuldigen Blick angesehen hast, wie auch, als du deinen ersten Zahn verloren hast und dich an meiner Schulter ausgeweint hast. Oder wie wir oft abends uns ein Bett geteilt haben. Weißt du noch, Honey? Du bist sogar freiwillig zu mir unter die Decke gekommen und hast dich eng an mich gekuschelt.“ Hilflos hörte Samuel die Worte des anderen Mannes, während sich seine Augen mit Tränen füllten. Jack erzählte von jener Zeit, wo sie noch Kinder waren und wo er seinen Bruder noch verehrt und vertraut hatte. Um nicht länger dem Blick seines Gegenübers ausgesetzt zu sein, schloss Samuel seine Augen und versuchte an etwas anderes zu denken. Er schaffte es nicht, sich gegen den älteren Mann zu wehren, geschweige denn zu fliehen. Dann blieb ihm nur die Möglichkeit des Ausweichens in die Dunkelheit. Ruhig beobachtete Jack, wie sein Häschen die Augen schloss. Wahrscheinlich war es noch so überrascht ihn zu sehen. Er hatte ein Aufflackern von Angst gesehen, was sich jetzt in Unsicherheit verwandelt hatte. Zumindest interpretierte der Blondschopf so Samuels Verhalten und wollte diesem zeigen, dass er seinem begehrten Objekt nie böse sein könnte. Dafür liebte er ihn zu sehr. „Ich liebe dich, Samuel“, sprach Jack mit rauer und leicht belegter Stimme. Er merkte wie seine Erregung wieder auflebte und sein Verlangen nach diesem zarten Körper wuchs. So beugte er sich zu diesem herunter und nahm die bebenden Lippen unter sich in Besitz. Diese Berührung reichte aus, um die angesammelten Tränen, frei laufen zu lassen. Wimmernd ließ Samuel es zu, dass Jack ihn küsste. Dass sich dessen Finger an seinem Shirt zu schaffen machten und es langsam hoch schoben. Als sein Bruder kurz von ihm abließ, um sich besser auf seiner Hüfte zu positionieren, flehte Samuel seinen Gegenüber an: „Nein, mach das nicht Jack… bitte, nicht…“ „Honey“, setzte Jack an, hielt aber inne, als er zum ersten Mal den schmerzverzerrten Gesichtsausdruck seines Häschens wahrnahm. Ein ungewohnter Schmerz breitete sich in ihm aus, welcher ihm Übelkeit bereitete. „Nicht“, formten Samuels Lippen stumm die Worte, während seine Tränen unaufhaltsam weiterliefen. Nein, sieh mich nicht so an!, schrien plötzlich Jacks Gedanken. Verwirrt erhob er sich, ohne den anderen Mann aus den Augen zu lassen. Dabei legte sich seine Stirn in Falten. Seit wann hatten die unschuldigen Augen seines Häschens, solch eine Wirkung auf ihn? Seit wann ließ er sich von ihnen beeinflussen? Und wieso hatte er plötzlich so einen fahlen Nachgeschmack im Mund? „Rostfraß und Asche!“ fluchte der Blondschopf und wandte letztendlich doch seinen Blick ab. Abrupt verließ er das Zimmer und knallte hinter sich die Tür zu. Unruhig tigerte er im Wohnzimmer auf und ab, wobei einige Engelsfiguren dran glauben mussten. Jack fischte sie ruppig aus den Regalen und warf sie wütend auf die Erde. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Wirklich nicht, wieso gab er plötzlich dem Flehen seines begehrten Objekts nach? Früher hatte er das mit einem heißhungrigen Kuss beendet. Seit wann ließ er sich erweichen, statt über sein heiß begehrtes Objekt herzufallen? So lange hatte er auf ihn verzichten müssen und jetzt reichte ein Blick in das flehende Gesicht, seines ängstlichen Häschens und er… er… er zerbrach kurz darauf eine weitere Porzellanfigur. „Ich bin nicht schwach und werde es auch nie sein“, erinnerte sich Jack dunkel und sah zur Schlafzimmertür. Er wollte stets stark sein, um den Menschen zu beschützen und bei sich halten zu können, der ihm am wichtigsten war. Samuel müsste nur verstehen lernen, dass er es gut mit diesem meinte. Schon etwas ruhiger, überquerte Jack vorsichtig den scherbenübersäten Fußboden, direkt auf die Tür zu, wohinter sich sein süßes Häschen befand… …und ihn sicherlich bereits vermisste. TBC Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)