Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie. von Deepdream ================================================================================ Kapitel 3: Eine Sache der Gewohnheit. ------------------------------------- „Verdammt, verdammt, verdammt!“ Mit dem Temperament eines flüchtigen Elefanten – und ebenbürtiger Grazie – stürmte Ryoga durch den oberen Flur und zog flatternde Seidenschleier hinterher. Sie könnte vor Scham sterben, dieser Frontalangriff auf Saotome ging ja wohl völlig in die Hose! Noch dazu ausgesprochen wörtlich. Irgendwie musste sie jetzt schleunigst an ihre Sachen herankommen und sich zurückverwandeln. So allmählich begann die Situation nämlich lächerliche Züge anzunehmen. Es war schon schlimm genug, dass Nabiki sie so gesehen hatte, aber dann auch noch Ranma? Was ihre Stimmung dabei nicht unbedingt hob war, dass beide unabhängig voneinander zum selben Schluss gelangt waren. Sicher, ihr Outfit war schon ein wenig extravagant, aber trotzdem! Sie deswegen als Saotomes Verlobte abzustempeln - waren hier denn alle verrückt? Nur an diese Möglichkeit zu denken, erregte ihr bereits Übelkeit. Wahrscheinlich würde sie sich erst besser fühlen, wenn Saotome die Zunge für solche Sprüche fehlte. Bevorzugterweise würde sie ihm diese auch herausreißen. Ein erneuter Schauder überfiel sie. Also wirklich, einen solchen Ekel hatte sie lange nicht mehr erlebt. Das letzte Mal hatte sie so empfunden, als sie auf einem Zwischenstopp in einem Restaurant gegessen und dabei einen Gast Schweinefleisch hatte essen sehen. Beinahe hätte sie den Typen selbst mit einem Shi Shi Hokodan gegrillt! Wie konnte man nur Schweinefleisch verzehren? Verspürten die Leute denn kein Mitleid mit diesen armen, kleinen Tieren? Es war eine Schweinerei! Auf diesen Gedanken hin musste sie seltsamerweise niesen, rieb sich die Nase und beendete alle weiteren Überlegungen in diese Richtung. … <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Kapitel 3 – Eine Sache der Gewohnheit. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> … Zurück zum Geschäftlichen; irgendwohin mussten ihre Klamotten doch gekommen sein! Wahrscheinlich würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als das gesamte Haus auf den Kopf zu stellen. Natürlich hätte das nicht viel Sinn, immerhin würde sie ihre Kleidungsstücke in den Trümmern des umgedrehten Hauses noch viel schwerer wieder finden. Außerdem konnte sie die Befürchtung nicht abschütteln, dass Akane darüber nicht sehr erfreut wäre. Also ging das Pseudomädchen alternativ den oberen Gang ab. Es verbleibt zu sagen, dass auch diese Verfahrensweise nicht sehr plausibel ist. Wer wirft schon fremde Klamotten in den Korridor? Jedoch für jemanden, der ¾ seines Lebens in der Wildnis und ¼ als Schwein zugebracht hatte, war der Gedanke seine Kleidung in der umliegenden Gegend vorzufinden nicht im Mindesten sonderbar. Es war viel eher eine Sache der Gewöhnung. Aus heiterem Himmel hielt Ryoga in ihrer Inspektion inne. „Warte mal!“ Ranma hatte sie – wenn sie sich recht besann – doch sehr eingehend unter die Lupe genommen. Viel zu eingehend für ihren Geschmack. Eindeutig zu eingehend. Dieser elende Feind aller Frauen… eh, Männer natürlich! Zornig schleuderte sie herum und machte sich schon auf zur Treppe zurück zu marschieren; stattdessen lief sie gegen die Wand am Ende des Flurs. Irritiert blinzelte sie, rieb sich die Stirn – nicht, dass es wehgetan hätte, aber manche Gewohnheiten wird man einfach nicht los – und seufzte. Danach berührte sie die Wand und bewegte sich schrittweise nach rechts. Dort, wo die Wand einen Knick machte, ertastete sie die anschließende Wand und ging von da aus weiter vor. Dieser Rettungsleinenstil wirkte zwar so erbärmlich wie er lächerlich war, half jemandem mit ihrem ausgeprägten Handikap aber trotzdem. Insbesondere, wenn man so eine gewisse Ahnung davon hatte, wo man hin, aber keinen rechten Schimmer besaß wie man dort ankommen sollte. Das Knarren einer Tür ließ sie ertappt aufblicken. Nabiki Tendo war ein Mensch mit Prinzipien. Prinzipiell tat sie nämlich alles fürs Geld. Was allerdings nur wenige wussten war, dass ihr manchmal – aber nur sehr selten wie ihre Schuldner wissen – die Mühe zu groß war. Sie lebte schließlich auch nach dem Prinzip: Gewinn über Aufwand. Als sie jetzt das merkwürdige Mädchen betrachtete, beschloss sie, dass der Aufwand eindeutig den Gewinn übersteigen würde. Außerdem lebte sie auch nach dem Prinzip sich nicht mit Leuten einzulassen, die sich an Wänden entlang hangelten. Deswegen tat Nabiki Tendo das, was sie neben Geldverdienen und Beeinflussen wohl am Besten konnte – sie ignorierte. Unsicher lächelte Ryoga der mittleren Tendo hinterher, die nach einem langen kritischen Blick umgedreht und aus dem Sichtfeld der Junggöttin verschwunden war. Ob sie wohl auf die Treppe gestoßen war? Die musste hier nämlich noch irgendwo sein. Na immerhin hatte die Verzögerung samt Herzinfarkt zu Gute, dass sie sich nun wieder völlig auf ihre eigentlichen Ziele besinnen konnte. Erstens: Kleidung finden. Zweitens: Mit warmem Wasser in Berührung kommen. Drittens: Ranma Saotome für alle seine Frevel büßen lassen. Optional: Kasumis gute Küche genießen. Das klang wie ein solider Plan. Nun galt es nur ihn in die Tat umzusetzen. Vorfreudig zog Ryoga ihre Mundwinkel hoch und offenbarte dabei zwei sehr niedliche Reißzähne. Was konnte schließlich jetzt noch schief gehen? „Ich schaff’ das“, konstatierte sie im Brustton der Überzeugung und sah von der Wand weg und in Kasumis lächelndes Gesicht. „Oh“, stellte die Junggöttin fest, hatte damit ihre Antwort und errötete. Kasumi ihrerseits stand mit einem Stapel Wäsche auf dem Arm vor der Göttin zweiter Klasse, lächelte weiterhin unbekümmert und neigte den Kopf in freundlicher Neugierde zur Seite. „Hallo. Bist du gekommen, um mit Ranma zu spielen? Du findest ihn unten.“ „Dankeschön?“ Manchmal fragte sich Ryoga was in Kasumi Tendos Kopf vorging. Manchmal wollte sie es überhaupt nicht wissen. Deswegen schenkte sie dem älteren Mädchen ein dankbares Nicken, trat betont einen Schritt von der Wand zurück und passierte Kasumi im Laufschritt. „Übrigens, solltest du deine Kleidung suchen. Die ist in der Abstellkammer.“ „Wirklich?“ – ihre Augen weiteten sich vor Freude – „Danke Kasumi!“ „Gern geschehen Ryoga.“ Was für ein göttlicher Service! Jetzt konnte sie Ranma Saotome zuguterletzt doch noch als Mann entgegen und ihm in den Hintern tret… Ihr Atem stockte und eine Wolke weißen Wasserdampfes quoll über ihre Lippen. Hey. Halt. Stopp. Woher WUSSTE Kasumi wer sie war und was sie suchte? Hastig blickte sich Ryoga nach der freiwilligen Haushälterin um und fand nur einen menschenleeren Gang vor. Keine Spur deutete auf das nette Mädchen hin, dass ihr gerade eben noch Auskunft gegeben hatte. „Ja wie zum Teu - “ Über ihr begann eine Lampe zu flackern und weiße Funken zu speien. Es handelte sich einmal mehr um eine gut gemeinte Warnung von oberster Stelle – sozusagen. „Hab’ schon verstanden. Hab’ schon verstanden. Ihr könnt ja schon aufhören.“ Kurz flackerte das Licht noch, dann erstarb die Glühbirne. Selbst Fluchen war verboten. Sicher, es war keine schöne Angewohnheit, aber Hibikis waren nun einmal Gewohnheitstiere. Es fiel ihnen von Natur aus schwer eine Gewohnheit abzulegen und scheinbar wurde dieses Charaktermerkmal von Generation zu Generation weitergegeben. Wie gut, dass sich das bei ihr nur aufs Fluchen begrenzte. Wenn sie dagegen einen ihrer entfernten Cousins nahm, fröstelte es ihr. Also ehrlich, jemanden über zwei Kontinente und drei Inseln zu verfolgen – und dass nur wegen einer gestohlenen Mahlzeit. Wären es mehrere Mahlzeiten gewesen, wäre dass natürlich etwas gänzlich anderes! „Sowas von kindisch.“ Aber wie hatte ihr Vater so schön gesagt? Jeder Hibiki verfolgt eine Lebensaufgabe. Verfolgt ein Hibiki keine Lebensaufgabe, so redete er sich einfach ein eine zu verfolgen. Das nannte sein Vater dann Entschlossenheit – und seine Mutter Dickköpfigkeit. Das Problem war nur, dass eben ein Löwenanteil der Hibiki-Dynastie diese Charaktereigenschaft geerbt hatte und immerzu mit dem Kopf durch die Wand wollte. Immerhin lohnte sich auf diese Weise die Führung des familiären Abrissunternehmens. Das war doch auch etwas wert. Eigentlich hatte auch sie diese Laufbahn einschlagen wollen. Schließlich war sie selbst darin geübt Dinge zum Einsturz zu bringen. Nun allerdings schien es, als wären ihre Karrieremöglichkeiten etwas spezieller ausgefallen als geplant. Kurz verharrte sie, kratze sich am Hinterkopf und starrte hoch zur Decke. Viel wichtiger jedoch war: Wo war nun diese Besenkammer? Automatisch drehte sich Ryoga zurück zur Ausgangswand – und bekam einen Eimer gegen die Stirn. Benebelt taumelte das Neomädchen zurück, schüttelte den Kopf um ihn wieder klar zu bekommen und drehte sich in die entgegengesetzte Richtung. Das Gute hieran war, dass diese Methode besser als jeder Navigator funktionierte. Das Dumme, dass selbst sie den Schmerz spürte. Wer hatte überhaupt den Eimer geworfen? Achselzuckend schlenderte sie den Gang hinunter. Vielleicht stolperte sie ja über kurz oder lang in den Raum? Abfällig lächelte sie über einen solchen Gedanken - und stolperte. Und zwar geradewegs durch die offene Tür in die Besenkammer. „Also DAS ist jetzt echt nicht witzig“, kommentierte sie mit einem abgezwungen Grinsen und gesenkten Lidern. Irgendwie wusste sie, dass das nur Saotomes Schuld sein konnte. Wie das sein konnte, würde sie schon noch rechtzeitig genug herausbekommen. Spätestens an seinem Grab. Aufmerksam ließ sie ihre Blicke kreisen. Linksseitig hingen mehrere Besen, zwei Kehrichtschippen und mehrere weitere Gerätschaften des täglichen Kleinkrieges gegen den Schmutz. An der rechten Wand waren mehrere Bretter angebracht, auf denen sorgfältig verschiedene Putzmittel gestapelt waren - und ganz unten befand sich tatsächlich ein weißes, ausgewaschenes Handtuch. DAS weiße, ausgewaschene Handtuch. Freudig ergriff sie es und fand darunter ihre Sachen. Sowohl Hose als auch Hemd waren sorgfältig gefaltet, gewaschen und gebügelt und obenauf schlummerte ein kleiner weißer Zettel. Nervös hob sie ihn auf und las die drei Zeilen. Hallo Ryoga, lasse doch bitte deine Kleidung nicht immer im Bad herumliegen. Wenn du möchtest, kannst du stattdessen unseren Abstellraum verwenden. Danke, Kasumi. Das war ihr jetzt irgendwie peinlich. Von der lieben und gutherzigen Kasumi getadelt zu werden, kam einer Rüge aus dem Himmel gleich. Eventuell traf das ja sogar mehr zu, als sie eingangs dachte. Misstrauisch warf sie einen Blick über die Schulter wie als erwarte sie, die älteste Tendo-Schwester aus dem Nichts auftauchen zu sehen. Der Korridor aber blieb verwaist. Natürlich könnte sie jetzt alle möglichen Spekulationen über Kasumi Tendo anstellen. Sie könnte versuchen an bestimmte Akten zu gelangen. Damit könnte sie theoretisch sogar erfahren, ob die älteste Tendo-Tochter morgens links- oder rechtsseitig aus dem Bett stieg. Allerdings könnte sie auch einfach in Kasumis Zimmer gehen und sich die Position des Bettes ansehen – das würde die Frage ebenso beantworten. Schlussendlich blieb Ryoga ein Mensch der Tat und nicht des Gedankens. Also zuckte sie aussagekräftig mit den Achseln und entschied, dass Kasumis Schlafgewohnheiten vergleichbar unwichtig waren. Danach warf sie sich Hose und Hemd über die Schulter und stürmte auf den Flur hinaus. Jetzt musste sie nur noch ins Bad, immer vorausgesetzt sie fand es in nächster Zeit. Zur Antwort knarrte eine Tür hinter ihr und schob sich gespenstisch auf. Zaghaft drehte sich Ryoga um, beäugte die Tür und schlich näher. Das Bad stand leer. Wer aber hatte die Tür geöffnet? Ehe sie dieser Frage nachhängen konnte, wurde sie auch schon von Stimmen aus der unteren Etage unterbrochen. „Kasumi, weißt du wer dieses Mädchen ist?“ „Wie wär's mit dem Mädchen, das oben den Charme von Tausend und einer Nacht versprüht?“ „Wo oben?“ „Also, oben im Flur…“ „Möchtest du ein Takoyaki?“ „Gerne, danke Kasumi.“ „Gern geschehen. Aber was möchtest du denn?“ „Hm, ich wollte was? Ich kann mich nicht mehr erinnern.“ „Dann wird’s nicht weiter wichtig gewesen sein, nicht wahr?“ „Ich denke…“ Für einen Augenblick erstarrte Ryoga hiernach. Hatte sie das jetzt wirklich mitgehört oder sich das lediglich eingebildet? Kurz wog sie ab, schüttelte dann aber den Kopf. Manchmal war es besser, wenn man bestimmte Dinge nicht weiterverfolgte. Man lief ansonsten Gefahr eine Antwort zu erhalten. Eilig betrat sie deshalb das Badezimmer und zog die Tür resolut hinter sich zu. Gewohnheitsgemäß brannte das Deckenlicht und erhellte den gefliesten Raum. Die Fliesen selbst waren kalt und feucht und spiegelten das Licht wider. Zielgerichtete Schritte brachten Ryoga zum Furo, wo sie ihre Kleidung beiseite legte und tief durchatmete. Nun hieß es alles oder nichts. Langsam tauchte sie die linke Hand in die siedenden Fluten und genoss die Wärme auf dem Handrücken. Die Verwandlung fand in einem Augenblick statt. Die Seidenkleidung verlor den letzten Rest an Jugendfreiheit, wurde durchsichtig und fiel als Schwall Wasser nieder, während zeitgleich ihre Brust einsank und ihr Körper wuchs. Keine zwei Sekunden später stand ein splitternackter Ryoga Hibiki - diesmal männlich - im Badezimmer der Tendos. Jetzt war er soweit. Die Rache war nun sein. Aufgeregt schlüpfte er in Hemd und Hose, richtete sein Stirnband, das unter dem Wuchs neuen Haars begraben worden war und ballte die Hand entschlusskräftig zur Faust. Er war bereit. Fehlte eigentlich nur noch Schirm und Rucksack. Aber ehe er beides wieder fand, würden wohl noch Tage wenn nicht Wochen vergehen. Zur Antwort schoss ihm eine Wasserfontäne aus dem Furo entgegen, durchnässte ihn völlig und erschlug ihn mit Rucksack samt Schirm. Ryoga probierte zu grinsen. Er bemühte sich inständig. Er scheiterte kläglich. „Ich sagte wiederFINDEN, nicht wiederTREFFEN!“ Unschuldig ruhte das Gepäck auf seiner Brust und schwieg – wie man es nicht anders von Gepäck erwartete. Aber zwischen Wasserreisen, Göttinnenlizenzen und Verlobtendebatten hatte Ryoga gelernt, dass er nichts mehr trauen konnte. Ehe er sich versah, würden seinem Eigentum noch Beine wachsen. Leise grunzend stieß er den Rucksack von sich und rappelte sich auf. Kläglich sah er auf seine feuchten Klamotten herab, zuckte in einer Geste der Hilflosigkeit mit den Schultern und warf sich die Trageriemen über. „Heute entgehst du meiner Rache nicht Saotome. Heute schicke ich dich in die Hölle - “ Manisches Gelächter drang aus dem Bad und verstummte. „ - oder in den Himmel?“, klang bedeutend unsicherer nach. Daraufhin verließ Ryoga das Bad, schloss die Tür gewissenhaft und lauschte. Von unten her drang das Geräusch fließenden Wassers zu ihm hoch. „Tief durchatmen, Augen schließen und dem Laut folgen.“ Dass war eine der ersten Lektionen gewesen, die ihm sein Vater an die Hand gegeben hatte. Warum er diesen guten Rat erst jetzt befolgte, verwirrte ihn selbst. Es schien ja fast so, als hätte er bis gestern kein zwei Schritte vorausgedacht. War da vielleicht etwas dran? „Völliger Blödsinn“, grinste er und folgte dem Plätschern. Dabei prallte er die Kleinigkeit von zwei Malen gegen eine Wand und fiel beinahe die Treppe hinunter. Ranma Saotome kam sich unbeschreiblich dämlich vor. Viele Leute hatten ihm zwar schon bestätigt, dass er es auch war, aber bis jetzt hielt er es für üble Nachrede oder Neid. Schließlich besaß nicht jeder seinen Charme, sein gutes Aussehen und seine unübertroffenen Kampfkunstfertigkeiten. Nachdem er aber für eine halbe Stunde am Treppenabsatz gewartet hatte und dass Mädchen noch immer nicht zurückgekehrt war, kam er nicht umhin ein Körnchen Wahrheit in den Behauptungen der Leute zu finden. Wie dämlich musste man schließlich sein, um eine halbe Stunde auf eine Unbekannte zu warten? Nein, wenn er sich das recht bedachte, wollte er darauf doch keine Antwort haben. „Saotome!“ Irgendwoher kam ihm die Stimme bekannt vor. Okay, viele riefen seinen Namen - entweder bevor sie ihn umbringen, heiraten oder beides wollten. Es gab aber nicht viele, die seinen Namen auf diese unnachahmliche Weise betonten. Fast so als wäre er ein Schimpfwort oder der flaue Geschmack im Mund nach einer durchgefeierten Nacht. „Hey Schnitzel!“ Ryogas Sicherungen brannten durch. In einer geübten Bewegung zog er seinen Schirm hervor und sprang auf Ranma zu. Dieser wich breit grinsend - die Hände in den Hosentaschen vergraben - aus und streckte fröhlich die Zunge heraus. „Wo bist du denn solange gewesen? Ich dachte ja fast jemand hätte deine bessere Hälfte entdeckt und Geschmack bewiesen. Süßsauer oder so.“ „Ranma!“ Genma und Soun saßen sich schweißgebadet gegenüber. Jeder Blick war scharf, jede Bewegung zielsicher und in jahrelangem Training perfektioniert. Sie beide waren Meister und hatten zusammen unsagbaren Widrigkeiten getrotzt. Als Freunde hatten sie unter einem schrecklichen Übel die Wege der Kampfkunst gelernt und waren zu neuen Höhen avanciert. Ihre Namen waren legendär – und wenn nicht, dann zumindest berüchtigt. Jetzt allerdings spielten sie Gô und rammten sich darüber die Köpfe ein. „Saotome, ich habe die weißen Steine verwendet. Da bin ich mir sicher.“ Gefährlich blitzen die Brillengläser des anderen Mannes auf. „Tendo, du musst dich irren. ICH habe die weißen verwendet.“ Unter dem Schnurrbart des Angesprochenen bildete sich ein beunruhigendes Lächeln. „Aber, aber Saotome. Es waren ganz bestimmt die schwarzen, die du benutzt hast.“ Der weiße Gi knitterte unter dem voluminösen Bauch Saotomes. „Aber warum sollte ich denn die schwarzen wählen, wenn die weißen doch soviel besser zu meinem Kopftuch passen Tendo?“ Der braune Gi des Kampfschulbesitzers spannte sich unter alten, aber zähen Muskeln. „Weil diebische Elstern für gewöhnlich schwarz sind Saotome.“ Diesen kritischen Moment suchten sich Ryoga und Ranma aus, um zwischen den beiden Männern hindurch zu hetzen. Dass sie dabei unvermeidlich das Spielbrett umstießen, wurde von den älteren Herren mit offenen Mündern beobachtet. Dann waren die Rivalen nach draußen verschwunden, die letzten Spielsteine zum Erliegen gekommen und die Münder wieder geschlossen. „Saotome?“ „Ja Tendo?“ „Ein neues Spiel?“ „Einverstanden.“ So begann eine weitere Schlacht. Eine Schlacht, der etwas anderen Art kündigte sich derweil im Garten der Tendos an. Die beiden jungen Männer musterten einander aufmerksam. Ranma Saotome war wie üblich entspannt und seine Gesichtszüge spiegelten sein sonniges Gemüt. Rhythmisch wippte er auf den Fersen auf und ab. Seine Hände hatte er noch immer lässig in der Hose vergraben. Ryoga Hibiki dagegen glühte – durchaus wörtlich. Die Luft um seinen Körper flimmerte rötlich und brachte die feuchten Kleider zum Flattern. In der rechten Hand zitterte sein roter Bambusschirm erwartungsvoll. „Koch’ mal nich' über. Is' schlecht fürs Fleisch.“ Der Stirnbandträger knirschte mit den Zähnen. Er konnte gar nicht sagen wie sehr er diese Bemerkungen leid war. Dank Jusenkyo und Ranma Saotome wandelte Ryoga Hibiki seit nunmehr zwei Jahren als Schwein durchs Leben. DAS war schlimm. Daraufhin hatte er ein wunderbares Mädchen kennen gelernt, die diesen Fluch liebte und als Resultat auch ihn – zumindest als Schwein. Dann erst hatte er auch begriffen, dass es sich dabei um Ranmas Verlobte handelte. DAS war sehr schlimm. Als wäre das nicht genug, behandelte Ranma seine Verlobte mies, zerschlug jeden Revancheversuch Ryogas und beleidigte ihn in einem fort. DAS war unerträglich. „Heute wirst du büßen Ranma! Ich werde dich für meinen ganzen Kummer, mein Leid, die Hölle meines Lebens und gestern und heute bezahlen lassen!“ „Gestern und heute? Lass’ mich raten – Kochtopf?“ „Du wagst es mich zu verspotten?“ „Was soll ich sagen Kotelett? Du hast einfach ein Talent dafür.“ Die Zeit für Worte war vorbei. Heute würde Ryoga Hibiki Rache nehmen. Seine Knöchel knackten um den Griff des Schirms, während er seinen Rucksack zu Boden gleiten ließ und dieser mit einem dumpfen Geräusch aufsetzte. Nichts würde sich seiner Rache in den Weg stellen. Nach dieser ganzen Zeit war endlich sein Moment gekommen. Er spürte es in jeder Faser seines Seins. Energie durchflutete seine Glieder, schärfte seine Reflexe und würde ihn heute zum Sieg führen. Er spannte seine Beinmuskeln an, zog seinen Schirmarm neben sich und sprang vorwärts. Sein Kampfschrei war wild, er war laut und er war ungewöhnlich. „TU DIR NICHT WEH!“ Beide Jungs erstarrten. Der eine im Flug, weswegen er reichlich ungeschickt mit dem Gesicht voran aufkam und der andere in einer Wippbewegung rückwärts, woraufhin er nicht weniger ansehnlich auf dem Hosenboden landete. Fassungslos rappelte sich Ryoga auf und schüttelte den Kopf. Hatte er nicht mehr alle Tassen im Schrank? Was war aus - Ranma Saotome, bereite dich vor zu sterben! – geworden? Ähnliches ging auch dem bezopften Hassobjekt durch den Kopf. Besorgt nahm er seinen alten Kamerad, Teilzeit-Feind und Teilzeit-Freund in Augenschein. Das Problem war nur, dass Ranma zwar Besorgnis empfinden, aber selbst unter Todesandrohung nicht artikulieren konnte. Deswegen sagte er das erstbeste, was ihm auf der Zunge landete. „Is' dir beim letzten Mal in der Pfanne 's Gehirn durchgebrannt?“ Ryoga war zu geschockt, um sich ordnungsgemäß aufzuregen. Zudem stellte er sich selbst die Frage – abzüglich der Pfanne. Doch ein Hibiki ließ sich von kleineren Rückschlägen nicht aufhalten. Also auf ein Neues! „MEIN NÄCHSTER SCHLAG KÖNNTE DIR SCHMERZEN BEREITEN!“ „Ich dachte, dass sollte er auch?“ „Halt die Klappe Ranma! Das ist nicht witzig!“ „Können vor lachen? Du quatscht doch den Unsinn und nich' ich!“ Verdammt, er hatte recht. Wie sehr er es hasste, wenn Ranma recht hatte. Er wollte diesen elenden Mistkerl zerschmettern, zermahlen und zertrampeln – aber es kam einfach nicht die richtige Stimmung auf. Nicht mit einem derartigen Repertoire an Kampfschreien. Was war nur mit ihm los? Hatte er etwas Falsches gegessen? War es das Fleisch von gestern Abend? Sollte er zum Vegetarier werden? Seine Verwirrung wurde von dem Tätscheln einer Hand unterbrochen. Es war Ranma, der ihm munter auf den Kopf hämmerte und selig lächelte. „'s wird schon wieder P-Schinken und selbst wenn nich', soviel durchgeknallter kannste gar nich' mehr werden.“ Zum Dank bekam Ranma eine verpasst, wurde über den Rasen geschleudert, fegte das Wasser im Teich auf und kollidierte mit der Gartenmauer. Mit der Ästhetik einer Fliege auf der Frontscheibe eines Autos, plumpste er reglos aufs Gras. Dort blieb er auch liegen. Ungläubig schwankte Ryogas Aufmerksamkeit von der eigenen Faust zum zusammengesackten Ranma. Das war’s? Er hatte es geschafft und noch dazu so beiläufig? Das war ein Schlag! Ein einziger Schlag – und Ranma Saotome war ohnmächtig? Hätte er hiermit gerechnet, so hätte er sich denkwürdige Worte notiert. Dann würde er jetzt mit Akane in seinen Armen und dem Fuß auf Ranmas Kopf zum Himmel hinauf lachen und diese Worte verkünden. So allerdings starrte er nur dümmlich. „Ich fasse es nicht. Du hast ihn ja tatsächlich mal besiegt.“ Ryoga war zu erstaunt, als dass er die implizierte Beleidigung wahrnahm. Wortlos sah er zur Seite und erblickte dort den geschlossenen Tendo-Haushalt, samt Untermieter. Unmittelbar neben ihm hatte sich Nabiki aufgestellt, die Augenbrauen erhoben und spekulierte bereits jetzt wie sie anhand dieser Entwicklung Gewinn schlagen konnte. Soun und Genma sahen von Ranma zurück zum Gô-Brett, zuckten letztendlich mit den Achseln und kehrten zu ihrem Spiel zurück. Kasumi seufzte, warf Ryoga einen pointierten Blick zu und wandte sich zum Gehen. Die letzte verbliebene Person außer ihm war Akane. „Ist er in Ordnung?“, fragte Ryoga unbehaglich. „Ich denke schon. Du kennst ihn ja, lange bleibt er nicht liegen.“ „Oh.“ Da fiel ihm ein Stein vom Herzen, er dachte schon fast er hätte seinen Rivalen umgebracht. Es verging eine Sekunde, dann erkannte Ryoga den Fehler in seiner Überlegung. Ranma Saotome sollte NICHT in Ordnung sein. Wenn man schwor das Glück eines Menschen zu zerstören, so setzte man für gewöhnlich alles daran dessen Leben zu zerstören. „Könntest du ihm bitte reinhelfen? Ich decke mit Kasumi noch schnell den Tisch. Der Geruch von Essen wird ihn gleich wieder beleben.“ Ryoga nickte stumm, kassierte ein freundliches Lächeln von Akane und hörte das Rascheln von Gras, als sie verschwand. Indes verweilte er noch ein paar Sekunden. Seit wann benahm sich Ranmas Umfeld eigentlich so teilnahmslos? Soweit er wusste, besaß sein Rivale doch das Leben, das er, Ryoga Hibiki, herbeisehnte. Wie kam es also, dass er mit einem Mal seinen Feind bemitleidete? Zögerlich blickte er zurück auf die Terrasse und sondierte wie Genma und Soun unbekümmert Gô spielten und Nabiki ihre Bilanzen durchging. Mit einer solchen Familie brauchst du keine Feinde. Zaghaft näherte sich Ryoga seinem Rivalen. Er hätte nie gedacht, dass er ihn eines Tages aus eigener Kraft mit einem Schlag besiegen würde. Aber das musste wohl die Kraft eines Gottes ein. Apropos Kraft eines Gottes – dass erinnerte ihn an das Zeichen der Götter. Diese merkwürdige Tätowierung, die ihm dieser irre Einsiedler damals aufgezeichnet hatte. Ein hässliches Ding; aber wirkungsvoll. In der Tat hatte ihn das Zeichen mächtig wie einen Gott gemacht und auch damals hatte er Saotome einhändig besiegt. Ob vielleicht nicht nur der Name der Technik göttlich war? Gedankenversunken trabte Ryoga auf seinen bewusstlosen Rivalen zu. Noch ein paar Schritte fehlten ihm zu seiner Nemesis, da geschah es. Eine Empfindung wie hunderte Ameisen krabbelte durch seinen Körper und ohne sein Dazutun driftete er unaufhaltsam zum Teich. Erde wurde von seinen Schuhen aufgeschaufelt, als er sich gegen den Sog stemmte und dabei unabsichtlich den Rasen pflügte. „H-Hey!“ Niemand hörte seinen Protest und niemand sah Ryoga Hibiki verschwinden. Wahrscheinlich hätte der Betrachter ohnehin nicht seinen Augen getraut. Schließlich lösten sich Menschen normalerweise – zumindest im gebräuchlichen Wortschatz – in Luft auf, nicht aber in Wasser. Das passierte allerdings dem Wanderer mit Orientierungsdefekt, der trotz rudernden Armen im Teich verschwand, durchschimmernd und flüssig wurde. Eine lächelnde Kasumi trat auf die Terrasse. „Herr Saotome, Vater, es gibt Essen.“ Die beiden Männer sahen von ihrem Spiel auf. „Danke Kasumi.“ Ohne ihr Lächeln zu verlieren, betrat sie den Garten. „Ranma, es gibt Essen.“ Verdattert rieb sich Ranma den Kopf. Irgendwie fühlte er sich komisch. So als hätte ihn eine Abrissbirne gestreift. „Komme!“ Freundlich lächelte Kasumi in Richtung des Teiches, drehte sich um und machte sich auf, die Teller und Schalen vor Akanes Eifer zu bewahren. Das Mädchen gab sich ja wirklich Mühe – aber Dr. Frankenstein war ja seinerzeit auch nicht faul gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)