Jesus today... von Korou ================================================================================ Kapitel 1: Direktoren und merkwürdige Videocover... --------------------------------------------------- Jesus saß auf den Stufen des Ernestinums in der Bergallee. Es war ein kalter, grauer Novembertag im Jahr 2007. Durch seine auffällige Erscheinung, er trug nur ein weißes Leinenkleid und Sandalen, machte er Schüler auf sich aufmerksam, die den Direktor über den "merkwürdigen Mann am Eingang" informierten. Dieser eilte in Angst um den Ruf seiner Schule zum Eingang und überschüttete Jesus mit formlosen, aber eindringlichen Verweisen. Jener erwiderte herzlich und gefasst: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Herr Wagner betonte, dass es sich hierbei um ein humanistisches Gymnasium handele und wich weiteren Konversationsversuchen Jesu aus, indem er beharrlich rief: "Verlassen sie das Gelände!" Jesus, von derartiger Ablehnung schockiert, verlässt den Schauplatz mit der Vorgabe zu einem späteren Zeitpunkt besser vorbereitet zurückzukehren. Beharrlich geht er auf ein buntes Reklameschild am unteren Ende der Bergallee zu und läuft vor die Glastür des Video-Buster. Am Kopf schwer beschädigt tritt er durch eine andere, offene Tür in den Video-Buster. Der Verkäufer erkennt Jesus' Not, wundert sich aber über sein Outfit und fragt: "Sag mal, wo bist'n du ausgebrochen? Alles klar, man?" „Schalom Bruder, weißt du ein Kraut für mein Leid?", fragte Jesus irritiert. "Alter, nee, ich verticke keine Drogen", gab der Verkäufer irritiert zurück. „Welch wunderliches Wort. Doch ich sehe, viel gibt es zu entdecken, hier.“, bemerkt Jesus, während er sich die bunten Regale beschaut. „Na, schau dich halt um.“, äußert der Verkäufer beiläufig, da er gerade einen Blick auf die Warteliste eines Videos wirft. Jesus sieht sich um, betritt die FSK-18 Abteilung und gerät in Verwunderung um die sonderbaren Bilder auf den Hüllen der Videos. Er greift eines und begibt sich zurück zum Verkäufer. „Das soll’s sein. Wie lange?“, fragt der Verkäufer routiniert. „Wie wunderbar, wenn zwei sich finden. Doch arg offenherzig ist man hier, ist’s nicht zu viel davon? So sagt: wie lang ist’s her, dass die den Bund der Ehe schlossen?“, hinterfragt Jesus beklommen. „Lass mal seh’n. “, lacht er und sagt, das Cover beschauend: „Na, sieht doch knackig-frisch vermählt aus, oder nicht? Deine Sprüche sind echt sagenhaft. Ich feier’ heut Abend ’ne Party. Kannst kommen, wenn du willst, hier her, es kommen noch mehr so Typen. Also, die Wohnung oben drüber, so ab zehn. Alles klar?“. Jesus war entzückt von dieser ersten Gastfreundschaft, die er während seines bisherigen Aufenthaltes im Jahr 2007 erfahren hatte. „’S ist mir eine Freude. Darf ich ein Präsent bringen zum Zeichen meiner Dankbarkeit?“, fragte er freundlich. „Ne ne, lass gut sein. Ciao.“, sagte der Verkäufer und wies Jesus damit verbal nett aus dem Laden. Kapitel 2: Nächstenliebe und Abendmahl -------------------------------------- Jesus verließ also das Geschäft mit einem alten hebräischen Lied auf den Lippen. „Shalom…“, säuselte er zufrieden. Den weiteren Tag schlenderte Jesus durch Innenstadt und Stadtpark. Er reparierte das Fahrrad eines kleinen Jungen, ohne etwas von Fahrrädern zu verstehen und war entzückt über die Unveränderlichkeit reiner kindlicher Freude über die Jahrhunderte. Die Jugendlichen schienen schelmisch wie eh und je, nur etwas frecher, als Jesus es gewohnt war. „Penner!“, riefen manche von ihnen und er fragte sich, was das wohl bedeutete. Er setzte sich nahe eines Imbisstandes zur Ruhe wieder auf eine kleine Treppe. Da er durch Nahrungsmangel etwas kläglich gekrümmt hockte, kam auf einmal ein junger Mann zu ihm, der ihm ungefragt einen Döner vom Imbissstand gab. Verwundert blickte Jesus ihn an, sagte dann: „Wenn Gott sein Werk vollendet, ist es wie bei einem Senfkorn, das jemand auf seinen Acker gesät hat. Ich danke dir.“, und hatte dabei aus irgendeinem Grund ein Dejaveux. „Schon okay, sahst so hungrig aus“, sagt der junge Mann und ging. Jesus setzte sich nach der Malzeit auf eine Bank im Park und betrachtete lange die wundervolle Größe Gottes’ Wunder. Auch als es dunkel wurde, blieb er sitzen, bis eine Gestalt noch dunkler als die Dunkelheit eilig an ihm vorüber ging, die er nach der Zeit fragen konnte. „Zehn vor Zehn.“, sagte sie nachdem sie kurz stehen geblieben war und nachgeschaut hatte und ging dann eilig weiter, als einziger Schatten in der Dunkelheit. ‚Genau nimmt man es hier.’, dachte Jesus und begab sich auf den Weg zum Video-Buster. Er stellte sich vor die Eingangstür der beschriebenen Wohnung, klopfte erst vorsichtig, dann laut. Nichts geschah. Doch plötzlich entbrannte Licht im Flur, es ertönten Gelächter und Schritte. Jesus klopfte wieder und es öffnete der Verkäufer aus der Videothek die Tür. „Ich wusste doch, dass ich was gehört hatte. Bist ja echt gekommen.“, sagte er sichtlich erstaunt, „Komm rein, ist lustig heute.“, fuhr er fort, während er Jesus in den Flur schob und die Tür hinter ihm schloss. „Setz dich irgendwo hin, Getränke sind da drüben, bedien’ dich einfach. Die dort haben was zu rauchen.“, erwähnte er beiläufig, während sie die Wohnung im ersten Stock betraten. Jesus setzte sich zu jungen Männern, die ihm in gewissen Aspekten optisch ähnelten und sich um eine Shisha versammelt hatten. Die dicke, süßliche Luft in der Wohnung benebelte seine Sinne nur kurz. „Siehst aus wie Jesus höchst persönlich.“, sagte einer der jungen Männer im Kreis zu ihm. „Der bin ich auch: Jesus von Nazareth. Ich dachte mir schon, viele würden kommen und behaupten „Ich bin Christus!“ Damit haben sie sicherlich viele in die Irre geführt.“, sagte Jesus souverän. „Dann sag mir, warum gibt es Krieg in der Welt, Hass und Tod?“, rief ein anderer, halb belustigt von Jesus’ Anmaßung, halb im Ernst. „Erschreckt nicht, wenn nah und fern Kriege ausbrechen. Es muss so kommen, aber das ist noch nicht das Ende. Ein Volk wird gegen das andere kämpfen, ein Staat den anderen angreifen. Es wird überall Hungersnöte geben. Das alles ist erst der Anfang vom Ende – so wie der Beginn der Geburtswehen. Falsche Propheten führen die Menschen irre. Das Böse in den Menschen erstarkt, die Liebe erkaltet. Ihr aber, ich bitte euch, müsst fest bleiben in eurer Liebe. Ich sehe die Liebe in euch. Wer bis zum Ende fest bleibt, wird gerettet.“, sagte Jesus mit fester Stimme. ‚Wieder ein Dejaveux.’, dachte er. „Man, das klingt voll nach Apokalypse, Alter.“, sagte einer der Langhaarigen, halb im Rausch. „Wo Aas liegt, da sammeln sich die Geier.“, schoss es aus Jesus. Ihn beschlich das Gefühl, alles schon einmal gesagt zu haben. ‚Die Apokalypse ist nicht gekommen. Ich bin wieder auf der Erde, warum? Doch es ist anders. Vater, ich kenne diese Welt nicht mehr.’, sinnierte Jesus. „Dämliche Bonzen“, sagte einer im Kreis halblaut, der vorher unbeteiligt dabeigesessen hatte. „Es ist wie im Gleichnis vom anvertrauten Geld. Wer viel hat, kriegt noch mehr, bis er mehr als genug hat. Wer aber nix hat, dem wird auch noch das Letzte genommen.“, dann fuhr er mit mattem, niedergeschlagenem Ton fort: „Man müsste auch korrupt werden, denn dann geht’s einem gut in dieser Welt.“. „Nein, du bist ein guter Mensch. Es wird der Richter kommen am jüngsten Tag und er wird sagen: „Kommt her, euch hat mein Vater gesegnet. Nehmt Gottes neue Welt in Besitz, die er euch schon von Anfang an zugedacht hat. Denn ich war hungrig, und einer hat mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr bietet mir Getränke. Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen wie euren Freund. Und wenn ich im Gefängnis bin, werdet ihr es sein, die mich besuchen.“, sagte Jesus laut und bestimmt. Alle verstummten und ein Augenblick der Stille trat ein. „Man, du bist echt was besonderes, Jesus.“, sagte einer derer im Kreis und nannte ihn als erster bei seinem Namen. Der weitere Abend verlief ruhig. Viele gingen früh und auch Jesus antwortete nur noch spärlich, denn er hatte eine Vorahnung. Er schlief auf einem warmen Sofa ein und erwachte erst nach Sonnenaufgang. ‚Vater, das sind die Jünger, sie sind alle noch da. Es ist nichts verloren. Doch wann immer Teile der Menschheit die Geschichte vergessen, sind sie verdammt dazu, sie noch einmal zu erleben. Ich bin bereit für was auch immer nun folgt.’, dachte Jesus, der seinen Blick aus dem Fenster schweifen ließ. Wortlos und leise verließ er die Wohnung. Kapitel 3: Vater, es ist noch nicht verloren. --------------------------------------------- Eine große Menschenmenge lief an ihm vorbei und er vernahm enthusiastische Gespräche über ominöse „Grünen Gärten“. Interessiert fragte er eine Passantin: „Entschuldigen sie gute Frau, aber wobei handelt es sich bei den Grünen Gärten? Ist dies der Ort Eden dieses Jahrhunderts?“ „Aber natürlich, mein Herr. Dieses Jahr ist doch das Gartenjahr und heute ist der letzte Ausstellungstag. Sie sollten sich dieses grüne Wunder der Orangerie nicht entgehen lassen. Dabei haben wir November.“, antwortete sie begeistert. „Ist der Weg zur göttlichen Schöpfung weit?“ „Sie sind von außerhalb, nicht wahr?“ fragte sie Jesu kritisch, seine äußere Erscheinung betrachtend. „Ja, ich gepflege mich eher in den warmen südlichen Regionen der Welt aufzuhalten. Doch sagt mir, gute Frau, wie gelange ich zu den Gärten?“ „Ah, ich verstehe. Sie müssen einfach nur die Bergallee hinauf und halten sich links. Laufen sie einfach mit dem Storm der Menschen.“, beantwortete sie seine Frage und versuchte unauffällig, sich von jenem zu entfernen. Mit dem Strom der Masse mitschwimmend erreichte er bald den höchsten Aussichtspunkt über der Orangerie und lies, das Geländer mit beiden Händen fassend, seinen Blick über das herrlich grüne Kunstwerk und Menschenmassen gleiten. Völlig fasziniert und gerührt, verspürte er plötzlich das Gefühl die Menschen warnen zu müssen. „Weh der Welt der Verführungen wegen!“, donnerte er mit gewaltiger Stimme. Sich der Aufmerksamkeit der Leute bewusst erstieg er das Geländer und sprach mit erhobenen Armen: „Es müssen ja Verführungen kommen; doch weh dem Menschen, der zum Abfall verführt!“ Ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge und Jesus führte seine Rede fort: „Wenn aber deine Hand oder dein Fuß dich zum Abfall verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich!“ Entsetzte Bürger riefen sogleich die Polizei an und klagten über einen kurios aussehenden Verrückten, der die Ausstellungen der Orangerie störe und sich offenbar für Jesus halte. In kürzester Zeit trafen die Gesetzeshüter ein und nahmen Jesus fest. Dieser rief empört über die Störung seiner Predigt: „Ihr Heuchler, die ihr das Himmelsreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein, und die hinein wollen, lasst ihr nicht hineingehen.“ Unter heftigen Verteidigungsversuchen Jesu wurde dieser ihn Untersuchungshaft gesteckt. Später am Abend öffnete ein Wärter die Luke der Zelle und sagte:" Hier ist Besuch für dich..." Und Jesus erkannte bereits durch die Luke den ersten der jungen Männer des gestrigen Abends und er dachte: 'Vater, es ist noch nicht verloren.' Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)