Die Prüfung von Inkubus ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Feilan stapfte durch den Schnee. Es war Mittwinter, die längste Nacht des Jahres. Er wusste wie kalt es sein musste, aber er konnte nichts davon spüren. Seine Glieder fühlten sich warm an und trotz der Dunkelheit glitzerte der Schnee um ihn herum, wie er es noch nie gesehen hatte. War er etwa schon in der Geisterwelt? Oder waren das nur die Nachwirkungen des Trankes, den ihm der Druide am Höhepunkt der Zeremonie eingeflößt hatte? Feilan fühlte sich benommen und das Denken fiel ihm merklich schwer. Ein paar vage Erinnerungsfetzen an die Zeremonie geisterten durch seinen Kopf—die kehligen Schreie der Krieger, die Besessenheit in den Augen des Druiden, als er das Opfertier ausweidete, sein Vater, der ihm kurz die Hand auf die Schulter legte, bevor Feilan hinaus in die Dunkelheit und den Schnee gestoßen worden war, Eldrulfs hastiger Abschiedskuss. Ganz kurz wurde ihm bewusst, dass er sie alle vielleicht nicht mehr wiedersehen würde, genauso wenig wie seine Mutter und seine Schwestern, die der Zeremonie wie alle Frauen und ungeprüften Kinder natürlich nicht hatten beiwohnen dürfen. Aber der Gedanke war flüchtig, kaum zu fassen und das Denken fiel Feilan nicht nur immer schwerer, es kam ihm auch immer unwichtiger vor. Was waren schon Gedanken gegen all seine anderen Sinne, die plötzlich so scharf schienen, wie noch nie zuvor? Was bedeuteten sie schon gegen das Glitzern des Schnees, gegen das harte Knirschen unter seinen Stiefeln, gegen den Geruch der Kälte und nach dem frischen Tierblut, mit dem sein Gesicht und sein Gewand über und über in komplizierten Mustern und Symbolen bemalt worden war? Er war einfach nur in die Wälder hinausgezogen, die er seit frühster Kindheit kannte, wie es alle jungen Männer taten, um zum Wolf, zum wahren Krieger zu werden. Aber obwohl es dieselben Wälder waren, war alles anders—alles verschwamm ineinander und doch waren einzelne Dinge, so unwichtig wie die Nadeln an einem Baum, mit einem Mal so unglaublich klar und scharf. Feilan wusste, dass er die Geisterwelt betreten hatte. Wenn er nicht würdig war, würde er nicht mehr zurückkehren, wenn er die Prüfung bestand, würde er endlich seinen wahren Namen erhalten, den Namen eines Kriegers. In jedem Fall würde Feilan, das Wolfsjunge, aufhören zu existieren. Ein lang gezogenes, schauriges Heulen ertönte und die letzten unzusammenhängenden Gedankenfetzen verließen Feilan endgültig. Er packte den Griff seines Dolches fester und hastete weiter voran in den Wald, der vor seinen Augen immer mehr verschwamm, während die geisterhafte Wärme seinen Körper mittlerweile voll und ganz ausfüllte und ihn weiter antrieb. Ein weiteres Heulen—näher diesmal. Er hob den Kopf und sog die kalte Luft in seine Nase. Feilan roch ihn bevor er ihn sah, es überraschte ihn nicht, als der Wolf zwischen den Bäumen hervortrat. Er wirkte gewaltig und majestätisch, es musste der größte Wolf sein, den der Junge jemals gesehen hatte, aber er konnte es nicht genau sagen, denn da war nichts mehr, mit dem er ihn hätte vergleichen können. Sein ganzes Wesen konzentrierte sich auf das Tier—das ja gar kein Tier war, sondern ein Geist, woran ihn sein kurz aufflackerndes Denken erinnerte—und er konnte den Blick nicht abwenden. Nichts war mehr von Bedeutung, das leise Knurren füllte die gesamte Welt aus. Die Schnauze des Geisterwolfes bebte, als er Witterung aufnahm und Blut roch. Feilan hatte nun jedes Denken endgültig hinter sich gelassen. Als er auf den Wolf zusprang, war es keine bewusste Entscheidung mehr; es war einfach unvermeidlich. Und genauso war der Kampf selbst. Es war nicht mehr als einzelne aneinander gereihte Eindrücke: gelbe Reißzähne, gewaltige Kiefer, die sich in den Körper des Gegners gruben—mal folgte ein dumpfer Schmerz, der nicht zu den warmen, kräftigen Gliedern passen wollte, mal der betäubende Geschmack von Wolfsfell und metallischem Blut. Es war unmöglich die Schreie zu trennen, das schaurige Aufjaulen, das tiefe Knurren—nichts davon menschlich. Und dann—ein stechender Schmerz in der Seite, gleichzeitig ein gewaltiger Hieb gegen die Schnauze des Gegners und auf einmal lag der gewaltige Geisterwolf hilflos auf dem Rücken und Feilan stieß seinem Bruder den Dolch mitten ins Herz. Der Kampf, der Gegner, der Bruder, der Geisterwolf war die gesamte Welt gewesen und nun war sie entsetzlich leer. Der Junge presste hilflos den toten Wolf in seine Arme und versuchte wieder zu denken, aber es war zwecklos—um ihn herum war immer noch die Geisterwelt, alles war verschwommen und die Wärme, die ihn aufrecht gehalten hatte, war zu der entsetzlichen Hitze eines Fiebertraums geworden. Hilflos klammerte er sich an den Kadaver, vergrub Hände und Gesicht im grauen Pelz, berührte mit seinen bebenden Lippen die Schnauze, schmeckte dort sein eigenes Blut. Langsam, ganz langsam färbte das Blut, das aus ihren Wunden sickerte den Schnee rot und ebenso langsam ebbte die geisterhafte Hitze ab und zaghaft kehrten erste zusammenhängende Gedanken in seinen Geist zurück. Die Hände immer noch in den zottigen Pelz vergraben, sah er sich immer noch leicht betäubt um und erkannte die Wälder seines Stammes, erkannte, dass er zurückgekehrt war. Er ignorierte das dumpfe Pulsieren seiner Wunden und wandte sich noch einmal dem Geisterwolf zu, um den letzten Teil der Prüfung abzuschließen. Er betrachtete den Kadaver, der mit ihm in die Wirklichkeit zurückgekehrt war, ein Geschenk aus der Geisterwelt für den neugeborenen Krieger. Ehrfurchtsvoll zwang er die starren Kiefer auseinander und strich bewundert über die riesigen gelben Reiszähne, die über und über von seinem eigenen Blut bedeckt waren, bevor er sich an den Arbeit machte. Kurz darauf erhob er sich. Sein Geist war nun wieder völlig klar, aber auch wenn sein menschliches Denken zurückgekehrt war, würde er nie wieder ganz Mensch sein. Die linke Hand fest um seinen Triumph, um die Wolfszähne, geklammert wandte sich der namenlose Krieger ab, um zu seinem Stamm zurückzukehren und seinen Namen zu empfangen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)