Minuel von june-flower (Wenn eines Tages... Weihnachtsgeschenk für Minuel^^) ================================================================================ Kapitel 1: Dein Lachen ist Wärme und Licht und Einsamkeit zugleich... --------------------------------------------------------------------- Widmung: Für Minuel Minuel Der Zettel – oder war es ein Brief? – fiel aus dem dicken Buch der Chroniken der Dämonenwelt, als Yuri Schauer es zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder aufschlug. Wie lange war er hier nicht mehr gewesen? Warum war er überhaupt wiedergekommen? Die große Bibliothek des Klosters war noch der Ort, an dem er sich am wohlsten gefühlt hatte, all die Jahre lang. Groß und düster, aber voll mit einem unbestimmten Zauber, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig zu verhüllen und offenzulegen schien. Wie schon so oft legte sich die Stille auf seine Ohren wie Watte, umhüllte ihn vollständig und versetzte ihn zurück in die Zeit, als er noch 7 Jahre alt gewesen und diese alten, kostbaren Chroniken seine einzige Gesellschaft gewesen waren. Vorsichtig fuhr er mit seinen Fingern über den uralten, ledergebundenen Einband, spürte das brüchige Leder und die vergoldeten Lettern, roch den Staub, welcher trotz der Abgeschlossenheit des Raumes noch ab und zu an die unbezahlbaren Seiten kam. Der dicke Umschlag fiel mit einem flachen Klatschen auf den spiegelnden, blinden Marmorboden, und das Geräusch schien in den großen Räumen widerzuhallen wie ein Kanonenschuß. Unwillig verzog er das Gesicht, herausgerissen aus einer Welt der Erinnerungen, die er nicht einmal gerne betrat. Altes Pergament knisterte unter seinen Fingern, als er den Umschlag aufhob, und sandte ein Duftgemisch von Papyrus und Zigarettenrauch aus. So tief es ging, atmete der Kleriker der Königin des Lichtes diesen Geruch ein und schloss die Augen. So viele Erinnerungen, verbunden mit diesem Geruch... Vorsichtig liess er den Brief in seine Tasche gleiten und verliess das Archiv. Die große Flügeltür fiel mit einem dunklen Schlag der Endgültigkeit hinter ihm zu, als spüre sie, dass ein alter Abschnitt hier endete und eine neue Zeit begann. Ob du jemals aufgehört hast, mich zu hassen, Yuri? Ob du mir jemals verziehen hast? Ich konnte es nie so genau sagen. Selbst jetzt bin ich nicht in der Lage zu erkennen, was du genau über mich denkst, und ich wage zu behaupten, dass wir mittlerweile eine Art Waffenstillstand haben. Du bist ein rätselhafter Junge, Yuri Schauer, mit einer Familie, die du dir nicht aussuchen konntest, einer Vergangenheit, an die du dich nicht erinnerst, mit Menschen, die dir nichts bedeuten und mit einer Gabe, die du niemals besitzen wolltest. Um die du niemals gebeten hast, die dich nicht schlafen lässt ohne dir Alpträume zu bringen. Ich höre dich oft des Nachts schreien. Wenn ich im dunklen Flur vor deiner Tür stehe und niemand sonst kommt, um dich zu trösten und bei dir zu sein. Niemand, nicht einmal ich, ist zu dir hineingegangen. Versuche ich gerade, mich zu rechtfertigen? Das ist nicht meine Absicht. Im Nachhinein bereue ich es. Im Nachhinein habe ich weder bei dir noch bei Illian noch bei ihrer Tochter sein können. Ich habe euch nicht beschützen können. Das tut mir leid. Ich wollte es nicht, aber es kommt alles im Leben wieder, Yuri. Erinnerungen, die du vergessen hast, Begegnungen, die du verdrängt hast... Alles holt dich eines Tages, wenn du es am wenigsten erwartest, wieder ein. Das selbe passiert auch mit deinem Leben. Wenn du denkst, du hast es überwunden, hast die Fehler deiner Vergangenheit vergessen und aus ihnen gelernt und hast die Menschen, die du kanntest, in deinem Herzen begraben, passiert etwas so Unbedeutendes wie zum Beispiel das Schreien eines kleinen Kindes und schnapp! Ist alles plötzlich wieder da, als wäre es erst gestern geschehen. Darf ich dir davon erzählen, Yuri? Von meinem Leben. Vielleicht wirst du diesen Brief deshalb sofort wegwerfen. Vielleicht liest du dir auch alles durch und verachtest mich dafür. Dennoch habe ich das Gefühl, dass ich es dir erzählen muss, weil du der Einzige bist, der mich vielleicht verstehen kann. Wer weiß schon besser, was Leid ist, als der Sohn des Lichtgottes? Yuri. Du, mit der Gabe, in die Zukunft zu blicken – schaust du auch manchmal hinter dich? Ist es das? Hasst du mich deshalb so sehr? Lass mich dir eine Geschichte erzählen. Meine Geschichte. Ich war nicht mein Leben lang Kleriker, und ich bin auch nicht als ein solcher geboren worden. Ich wuchs weit entfernt von der Hauptstadt, dem Lichtgott und der Königin auf, so weit entfernt, dass ihre Namen mir weder etwas bedeuteten noch ein Gefühl in mir auslösten. Mein Vater war ein armer, ehrbarer Bauer und meine Mutter hatte ihm lange im Haushalt geholfen, für einen verarmten Witwer gekocht und gebacken, bevor er sie um ihre Hand bat. Ich weiß nicht, ob sie wirklich glücklich war, denn sie lächelte immer. Ob Sommer oder Winter, Sonne oder Regen, Missernten oder gute Zeiten – sie hatte immer ein Lächeln auf dem Gesicht und ein freundliches Wort für die Menschen und eine gute, warme Mahlzeit auf dem Tisch, wenn mein Vater nach Hause kam. Ich glaube, das war der Grund, warum mein Vater sie erwählt hatte. Bevor ich geboren wurde, trug meine Mutter zwei Töchter aus, die beide im Kindbett starben. Was sollte man auch tun? In abgelegenen Bauernprovinzen sind Heiler nicht bezahlbar. Wenn man sie dort überhaupt findet. Ich war ihr erster Sohn, ihr erstes Kind, ihr Stolz und ihr Ein und Alles. Auch mein Vater war sehr gut zu mir. Ich glaube, ich habe eine sehr schöne Kindheit verbracht, mit Spielen auf den Feldern meines Vaters, den liebevollen Händen meiner Mutter, den strengen Lehren meines Vaters und der Sonne und dem Wind. Leider hielt sie nicht lange an. Jetzt lächelst du wahrscheinlich ironisch und sagst, dass du immer wusstest, dass wir uns überhaupt nicht ähneln, nicht wahr? Wer weiß das schon? Vielleicht hättest du ja an meiner Stelle aufwachsen können und ich an der deinigen. Wer weiß das schon... Die Unterschiede liegen nicht darin, dass du eine Waise bist und ich nicht, Yuri, oder dass du die Gabe des Lichtgottes besitzt und ich nicht. Die Unterschiede liegen in den Wegen, die wir gewählt haben, du und ich. Als ich 12 Winter alt wurde, entdeckte ein wandernder Kleriker, der in unserem Dorf vorbeikam, die heilige Kraft in mir. Mein Vater war so stolz auf mich, genauso wie meine Mutter... Aber Berufung bedeutet, dass man diejenigen Verlässt, die einem am Wichtigsten sind, um den Lichtgott zur Wichtigsten Sache in deinem Leben zu machen. Meine Eltern unterstützten mich in nur jeder erdenklichen Hinsicht... Und ich war zu dumm, um zu erkennen, dass sie sich nur selbst aufopferten, um mir meinen kindischen Traum zu erfüllen. Heilige Kraft – welch wunderbares Wort! Hätte ich es nicht dafür nutzen können, der Ernte meines Vaters beim Wachsen zu sehen? Hätte ich es nicht nutzen können, um den Gemüsegarten und die Webarbeiten meiner Mutter zu bereichern? Um ihr einen Ort zu geben, an dem sie nicht stark sein musste, an dem sie auch weinen konnte? Ich war 12 und dachte, mir sei Großes beschieden. Ich würde mit der Heiligen Kraft die Welt verändern. Aber es liegt auch Wert in den kleinen Dingen, Yuri. Glaub mir. Es sind die kleinen Dinge im Leben, die zählen. Welcher Mensch kann schon das Schicksal des Universums auf den Schultern tragen? Er würde doch darunter zusammenbrechen. Wäre es nicht so viel genügsamer, sich um den Menschen zu deiner Rechten und Linken zu kümmern... So lange ich dich kannte, Yuri, hast du immer versucht, die Welt zu tragen. Hast du es mittlerweile aufgegeben? Bist du unter der Last zusammengebrochen oder hast du jemanden gefunden, der dir gezeigt hat, dass die kleinen Dinge die Dinge sind, die im Leben von Wert sind? Meine Eltern starben, als ich 14 Winter alt wurde, bei einem Überfall durch Dämonen. Ich war dort. Ich habe die Trümmer der Scheune gesehen, die mein Vater in zwei Jahren harter Arbeit mit seinen eigenen Händen errichtet hat. Der Kräutergarten meiner Mutter, in den ich Zitronenmelisse und Lavendel und Rosmarin gepflanzt habe, weil die deren Duft so liebte, war niedergetrampelt und nicht wiederzuerkennen... Eine Klerikerin, meine Lehrerin, zog mich weg, bevor ich die zertrümmerten Leichen meiner Eltern sehen konnte. Meine Mutter hatte sich vor meinen Vater geworfen, hatte versucht, ihn mit ihrem eigenen Leben zu schützen – sie muss ihn doch auf ihre eigene Art sehr geliebt haben. Sie waren nicht älter als ich jetzt, Yuri. Und doch – sie waren tot. Ausgelöscht. Und trotzdem ging das Leben weiter, als wäre nichts geschehen. Trotzdem fanden Prüfungen statt, trotzdem drehte sich die Erde. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie die Menschen weitermachten, einfach weiter lebten, als sei nichts geschehen. Ungefähr zu dieser Zeit lernte ich Illian kennen. Kennst du diesen Namen, Yuri? Wahrscheinlich. Sicherlich. Illian Sihena. Die Tochter der damaligen hohen Klerikerin, die Freundin der baldige Anführerin der Elitetruppe der Ritter der Königin, der Weißen Ritter, und der heutigen Königin des Lichtes. Die drei Unzertrennlichen, die schönsten Mädchen der Rohini-Akademie – klug, intelligent, stark. Ihre gemeinsame Geschichte ist irgendwo im Strudel der Zeit verloren gegangen, zwischen den Seiten der Geschichte hängengeblieben wie ein loses Blatt, welches im Wind davon weht. Nur noch eine Erinnerung in den Herzen derjenigen, die sie kannten... Illian war genauso alt wie ich. Es ist nicht so, dass sie alle meine Wunden auf einen Schlag heilen konnte. Niemand hätte das tun können. Aber sie war so, wie sie war. Sie war immer da, wenn ich dachte, es gibt keinen Ausweg mehr, immer da, um mich abzulenken, mit mir kleine Dinge zu unternehmen, und einfach, weil sie da war, erholte ich mich langsam wieder. Lachst du? Wer weiß schon, was Liebe auf den ersten Blick bedeutet... Eine Nichtigkeit. Ein Traumgespinst. Eine Erfindung der kleinen, unwissenden Mädchen, die sich etwas herbeisehnen, was es nicht wirklich gibt... Wer kann sagen, was zwischen mir und Illian war, wenn nicht einmal wir beide das konnten. Aber wir wurden erwachsen, und Gibrilte Hindera wurde Königin des Lichts und Hekate Dirantra wurde die Anführerin der Weißen Ritter und Illian Sihena – sie wurde weder Königin noch Ritter. Aber sie war, wie ihre Freundinnen, eine Königin-Anwärterin gewesen. Nach den Regeln der Rohini, der Generation von Schulleitern der Akademie, hätte sie in ein Kloster gehen und dort für den Rest ihres Lebens bleiben müssen – aber Illian überraschte all diese Menschen, in dem sie verkündete, sie würde Klerikerin werden. Wusstest du das? Die dritte der drei wohl berühmtesten Frauen unserer Zeit – meiner Zeit – wurde eine Priesterin, so wie ich einer war und wie du einer sein wirst. Aus den Unzertrennlichen wurde eine Königin, ein Ritter und eine Klerikerin. Wie passend. Jetzt, da sie auch am Schrein des Lichtgottes lebte, sahen wir uns sogar noch öfter als zuvor, und unsere Freundschaft vertiefte sich. Wann es das wurde, dass die Menschen in ihrer Unwissenheit „Liebe“ nennen? Ich weiß es nicht. War es das jemals? Kann man etwas so Tiefes, Unergründliches und Unwirkliches überhaupt in einen einzelnen Begriff einordnen? Ich weiß es nicht. Aber Klerikern ist die Liebe verboten... Ihre Aufgabe ist es, sich ganz dem Gott des Lichtes zuzuwenden. Und der Gott ist ein eifersüchtiger Gott. Ist man nicht ganz für ihn da, straft er mit Blitz und Donner, Yuri. Deshalb beschlossen wir, die Berufung aufzugeben. Da ist es wieder, dieses Wort. Berufung. Hast du je eine Berufung gespürt? Wie werden die Menschen zum Gott gerufen, wenn nicht durch Berufung? Aber du bist nicht freiwillig hier, sondern unfreiwillig. Und wenn es manchmal unfreiwillig ist – wie kann man von freiwilliger Berufung sprechen? Menschen haben so viele Wörter und Begriffe, um die einfachsten Tatsachen zu umschreiben. Deshalb sind sie auch meistens einfach zu schwer zu verstehen. Aber Illian und Ich beschlossen, unsere Berufung aufzugeben, und ihre Mutter, eine weise und gütige Frau, sprach sich vor dem Rat der Königin ausdrücklich für uns aus. Unser Wunsch wurde uns verwehrt. Ob es nun die Tatsache war, dass man Kleriker nicht einfach so wieder gehen liess, oder dass der Rat es nicht gutheißen wollte, dass wir uns liebten, ob sie Illian als Klerikerin nicht verlieren wollten... Das alles haben sie uns niemals gesagt. Es gab nur ein klares und eindeutiges Nein. Damit war das Thema für sie beendet, denn wer stellt sich schon gegen den Rat der Königin. Niemand. Außer Illian. Sie war ausser sich, dass ihre beste Freundin sie nicht gehen lassen wollte – da beschlossen wir, uns dem Rat nicht zu fügen. Wir gingen trotz des Verbotes. Wir liefen davon. Wir brachen sämtliche Regeln, mit denen wir bisher gelebt hatten und die ein Teil unseres Lebens geworden waren und wurden zu Gejagten, zu Verfolgten von unseren einstigen Freunden. Wir liefen davon und versteckten uns in einem kleinen Bauernhaus auf einem Hügel, umgeben von Birken, weit entfernt von Königin und Hauptstadt. Und wir waren glücklich. Neben meiner Kindheit war dies vermutlich die glücklichste Zeit meines Lebens. Sogar mehr als meine Kindheit, weißt du, denn ich konnte alles bewusst wahrnehmen, was um mich herum geschah. Ich konnte die Spitzen der Birken sehen, die sich im Winde wogen... Den Rauch aus dem Kamin, nachdem ich ihn angeheizt hatte... Illians Haare, die nach Sommer rochen, wenn sie sie frisch gewaschen hatte und den Duft des Abendbrots, welches sie zubereitet hatte... Und ich war glücklich. Gehetzt, gejagt, aber immer zusammen mit ihr. Illian wurde schwanger, und wir waren glücklich, und nichts und niemand störte uns in unserer kleinen Welt. Was ist das Reich des Lichtgottes und die Macht der Königin des Lichtes gegen das vollkommene Glück zweier glücklicher Menschen? Wir waren glücklich. Das war etwas, was nicht einmal der Königin des Lichtes gelungen war: Die Menschen wunschlos glücklich zu machen. Bist du glücklich, Yuri? Hast du dein Glück gefunden? Ich wünsche es dir. Du warst der Junge, den ich aus dem Waisenhaus geholt habe, weil sich deine heilige Kraft so abrupt und so gewaltig entfesselte, dass du beinahe alle Menschen in deiner Umgebung mit in den Tod gerissen hättest, einschließlich dich. Das „Auge Gottes“, der Sohn des Lichtgottes, der weinte, weil er aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen wurde, der seine Freunde und Familie zurücklassen musste, der Junge, der den Mensch, der ihm dies antat, mehr hasste als alles andere auf der Welt... Wer war es wohl? Ich. Ach Yuri. Es tat mir wirklich von Herzen leid und auch heute noch tut es mir furchtbar leid. Ich wünschte, ich hätte es dir ersparen können. Ich war zu feige... Aber auch, wenn ich es nicht getan hätte, wäre jemand anderes gekommen und hätte dich mitgenommen. Niemand, der die Heilige Kraft besitzt, kann vor seinem Schicksal fliehen. Ich muss es wissen. Du auch. Als Illian eine Tochter gebar, dachten wir nicht, dass noch einmal jemals ein Schatten über uns fallen könnte. Das Mädchen war wunderschön, es hatte die blauen Augen und das blonde Haar seiner Mutter und vielleicht auch ein wenig von mir. Augen, so tief wie das Meer... Sie war eine Schönheit, eine Quelle der Freude und des Friedens für uns Beide. Auch Eriana Sihena, Illians Mutter und meine Schwiegermutter, die vom Amt der hohen Klerikerin zurücktrat, nachdem wir für abtrünnig erklärt wurden, besuchte und oft und liebte sie sehr. Die Erinnerung an Illian und ihre alte Mutter, der man trotzdem die Schönheit, die sie an ihre Tochter weitergegeben hatte, noch ansah, auf der Terrasse sitzend, das Kind auf dem Schoß und den Sonnenuntergang hinter ihnen... Sie gehört zu den letzten schönen Erinnerungen meines Lebens. Viel mag geschehen. Viel Zeit mag seit dem vergangen sein. Aber ich werde niemals vergessen. Dann kamen die schlechten Nachrichten. Die Ritter, die auf Befehl der Königin des Lichtes nach uns suchten, hatten unseren Aufenthaltsort, unser geheimes Versteck, unser kleines Paradies gefunden. Eriana flehte uns an, ihr unsere Tochter zu übergeben und zu fliehen, sie würde das Kind an einem Ort verstecken, an dem selbst die heilige Kraft es nicht würde finden können. Tränen liefen ihr über das Gesicht, als sie das kleine Kind von Illian entgegennahm. Illians Gesicht war leichenblass und steinern, erst hatte sie unsere Tochter freiwillig übergeben wollen, aber dann mussten wir sie zwingen, sie loszulassen. Eriana verschwand so schnell wie es nur Magier können, irgendwo hin, und ich habe zum ersten Mal seit langem an den Lichtgott gebetet, dass unser kleines Mädchen in Sicherheit war. Sie solle, egal, was es kostete, in Sicherheit sein, in Sicherheit aufwachsen und aufblühen... Ich habe nie wieder etwas von meiner Tochter gehört. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt. Hast du sie getroffen, Yuri? Blaue Augen, blonde Haare, ein Lächeln, glücklich und gleichzeitig tieftraurig. Vielleicht hat sie gewusst, dass unser Frieden nicht ewig andauern würde. Vielleicht hat sie es geahnt, tief in ihrem Herzen, das Kleine, 2-jährige Mädchen, das ihrer Mutter so ähnelt. Wir haben sie mehr geliebt als unser eigenes Leben... Wir gaben sie weg, wir verliessen sie, damit sie in Sicherheit gebracht werden konnte. „Ihr wollt euch vor der Berufung verstecken?“, höhnte einer der Ritter, die uns kurze Zeit später fanden. Illian weinte immer noch. Wir waren umzingelt – wir konnten nicht mehr fliehen. Wir wollten es auch nicht. Jeder weiß, was mit denen geschieht, die sich gegen den Willen des Lichtgottes und gegen die Berufung auflehnen. Es gibt keine andere Möglichkeit mehr. Warum kann ein so großer Gott seinen Willen nicht anders durchsetzen als in dem er töten lässt? „Berufung?“ Plötzlich war Illians Stimme klar und kalt. Plötzlich waren ihre Tränen versiegt. Stolz sah sie dem Anführer der Ritter entgegen. „Diese „Berufung“ bedeutet mir nichts.“ Kaltes, trotziges Schweigen von uns, schockiertes Schweigen von den Rittern. Ich war stolz auf sie und bin es noch heute. Sie war so stark, im Gegensatz zu mir. Unbeugsam. „Das sagst du, nachdem du der Berufung vor einem kalten, trostlosen Leben im Kloster den Vorrang gegeben hast?“ „Das sage ich.“ Kalt warf sie den Kopf in den Nacken. „Ich habe mit meiner Kraft ausserhalb der Mauern des Schreins gelebt. Ich habe gelebt und geliebt und Erfahrungen gemacht, wie ihr, in eurer Traumwelt aus Macht und Turnieren und Gebeten, Vergleichbare nicht gemacht haben könnt. Ich weiß, ich habe Recht, wenn ich sage, dass es dies nicht sein kann, was der Gott des Lichtes für uns bestimmt hat. Es kann nicht sein, dass wir unsere Kraft nur dazu benutzen um ihn anzubeten und Dämonen zu jagen. Ich habe in der Wirklichkeit gelebt. Ich habe die Heilige Kraft für alltägliche Dinge benutzt – um Wunden zu heilen, um Schmerzen zu lindern, um Freude zu schenken und zu teilen und um die Ernte gedeihen zu lassen. Ich denke, dafür hat der Gott sie uns gegeben.“ Ihre Worte haben sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt. Hatte sie Recht? Und was, wenn ja? Was, wenn all die Regeln und Traditionen, nach denen die Menschen mit der Heiligen Kraft lebten, nur eine Erfindung waren, um sie unter Kontrolle zu halten? Was, wenn der Gott des Lichtes viel größer ist, viel unglaublicher, gütiger und gerechter, als wir ihn uns vorstellen? „Und deshalb“, sagte Illian, und ihre Augen blitzten kalt. „Deshalb werde ich mich eher töten lassen, als zu euch zurückzukehren. Ich habe meine Entscheidung getroffen.“ Ich glaube, es dauerte eine Weile, bis ich verstand, was sie sagte, und es so weit zu mir vordrang, dass ich reagieren konnte. „Illian, du---‘‘ Ich konnte mich nicht schnell genug bewegen. Ich reagierte nicht schnell genug, und sowieso hat die Geschwindigkeit der Ritter schon immer die Geschwindigkeit der Kleriker übertroffen, zwar nicht ihre Kraft, aber ihre Geschwindigkeit. Die Anführerin der Weißen Ritter trat vor und tötete ihre ehemalige beste Freundin mit einem einzigen Stoß ihres kristallenen Schwertes. Wann soll ich beten, Yuri? Erreichen deine Gebete den Himmel? Wenn sie es nämlich nicht tun, wenn die Gebete des Sohnes des Lichtgottes nicht erhört werden – wie kann dann ein normaler Mensch wie ich darauf hoffen, dass ein Gebet in Erfüllung geht. Ich kann es nicht mehr. Wofür soll ich schon beten? Und für wen? Die Heilige Kraft hat Illian nicht am Leben erhalten. Sie holt sie weder zurück noch schenkt sie Erlösung, denn wenn sie es täte, dann säße ich nicht mehr hier sondern wäre schon längst bei Ihr. Was nützt es mir zu wissen, dass ich, nach Illians Tod, die Ritter ohne eine einzige Waffe angriff und sie mich schwer verwunden mussten bis ich endlich zusammenbrach? Was nützt es mir zu wissen, dass ich drei Monate gesund gepflegt werden musste und die Heiler die Hoffnung beinahe schon aufgegeben hatten, dass ich je wieder leben würde? Was nützt es mir – ich wollte doch sterben. Ich wollte nicht ohne sie zurück bleiben müssen. Was nützt es mir, dass mir eine Heilerin erzählte, die Anführerin der weißen Ritter habe, nachdem sie Illian getötet hatte, zu Füßen der Toten gekniet und geweint als möge ihr Herz brechen? Wollte ich wissen, dass sie es nur tat, damit Illian in der nächsten Welt frei sein würde? Wollte ich es? Was nützte es mir? Ich kann niemandem helfen, Yuri, ich kann nicht einmal sterben, weil es mir versagt worden ist und nun wird auch Illian mich hassen. Ich kann mit dem wenigen an Kraft, die ich besitze, niemanden zurückholen, niemanden heilen, niemanden glücklich machen. Sie ist fort und hat alles Gute von mir mit sich genommen. Ich blieb nur noch hier, in der Nähe des Schreins des Lichtgottes, der, jedes Mal, wenn ich ihn ansehe, mich zu verspotten scheint, obwohl alle sagen, er schaue gütig und tröstend. Die Königin hat nicht viele Kleriker, die so stark sind wie ich, sagen die Leute und weisen mir Aufgaben zu, und ich gehe ihnen nach, automatisch, weil es nichts anderes gibt was ich noch tun kann als warten. Ich denke, du bist der Einzige, der es versteht, mein Schüler. Habe ich dir genug beigebracht, damit du im Leben weiterkommst? Habe ich dir vermitteln können, dass du leben musst? Dass Leben etwas Heiliges ist, auch, wenn man es sich nicht für sich selbst wünscht? Man wirft es nicht einfach weg. Selbstmord zu begehen ist eine Sache, so feige, dass nicht einmal ich sie begehen kann. Und obwohl ich sterben möchte, obwohl ich Illian wiedersehen möchte, ich werde nicht die Sünde der Sünden dafür begehen. Denn dann würde sie mich wahrscheinlich noch mehr hassen als sie es bereits tut - weil ich ihr nicht gefolgt bin. Deshalb warte ich ab. Ich habe mir trotzdem Mühe gegeben. All das, was ich gelernt habe und was Illian mich gelehrt hat, habe ich an dich weitergegeben. Nicht, dass man behaupten kann, dass ich viel weiß, aber... Du bist der Sohn des Lichtgottes, auch wenn du es vielleicht nicht wahrhaben willst und vor deiner Berufung am liebsten davonlaufen möchtest. Nun, nachdem ich dir meine Geschichte erzählt habe – kannst du noch sagen, dass du weglaufen willst? Eines Tages wirst du wieder gefunden. Und nicht jeder Ritter wird so gnädig sein dich lieber zu töten als dich wieder mitzunehmen. Dich nicht, Yuri. Wer könnte den Sohn Gottes töten. Aber ich wünschte, du wärst es nicht. Ich kann auf deine Heilige Kraft ebenso gut verzichten wie auf deine Gabe, denn sie bringt dich um den Schlaf, verursacht dir Alpträume und ist der Grund, warum du hier bist und nicht dort, wo du glücklich sein kannst. Und du sollst doch glücklich sein, Yuri. Ob meine wunderschöne Tochter noch lebt? Ich weiß es nicht. Ich hoffe nur, dass es ihr gut geht. Dass sie friedlich aufwachsen konnte, dass sie erkannt hat, was es mit der Berufung auf sich hat. Das sie glücklich ist. Ich hätte nach ihr suchen sollen und sie zu mir nehmen sollen, aber wieder war ich zu feige. Ich wollte, dass sie dort, wo sie aufwächst, ein glückliches Leben führt... Mit mir hier im Schrein wäre sie es nie geworden. Glücklich, meine ich. Ich habe sie im Stich gelassen und rede mir ein, dass es zu ihrem Besten war- und oh, wie sehr bete ich, dass ich vielleicht ein einziges Mal in meinem Leben Recht hatte und es ihr dort, wo immer sie auch sein mag, gut geht. Du kannst mich ruhig hasse, Yuri. Ich verstehe dich. Wahrscheinlich war ich nie das, was sich ein Kind unter einem „liebevollen“ Lehrer vorstellt. Aber wie hätte ich das auch sein können? Das ist nun einmal nicht mehr meine Persönlichkeit. Ich kann nur noch weitergeben, was ich weiß, bemängeln, was falsch ist, zu dem, was richtig ist, nicken. Ich kann nicht mehr lachen. Ich kann nicht mehr loben. Ich kann dich nicht herumwirbeln, wie ich es mit meiner Tochter getan habe, denn wenn ich dich zu lieb gewinne, wenn ich dich in mein Herz lasse, dann wird das selbe mit dir geschehen wie mit all den anderen Menschen, die ich lieb gewonnen habe. Ich habe in meinem Leben viele Fehler gemacht. Meine Eltern zu verlassen war einer, die Heilige Kraft falsch zu verstehen ein anderer, Illian und unsere Tochter in Gefahr zu bringen mein wahrscheinlich Schwerwiegendster. Mein Verhalten dir gegenüber als dein Lehrer wiederum ein anderer Fehler. Trotzdem sitze ich hier und schreibe, und noch immer höre ich die hasserfüllte Stimme des kleinen Kindes, welches mich anschreit: „Ich hasse dich! Ein Jahr noch, mehr wirst du nicht mehr erleben, bevor du stirbst – was kümmerst du dich nicht um deinen eigenen Kram!“ Und dann vermischt sich deine Stimme mit der eines kleinen Mädchens, welches anklagend fragt: „Warum suchst du mich nicht? Warum lässt du Großmutter und mich in der Annahme, dass du tot bist? Warum versteckst du dich vor uns?“ Weil ich feige bin, nehme ich an. Ich kann nicht mehr. Wenn ich also, wie du prophezeit hast, Yuri, in einem Jahr sterbe, dann hat sowieso alles keinen Sinn mehr. Ob Reue, Trauer, Angst oder Einsamkeit, ob Hass... Ich brauche es nicht mehr. Vielleicht wird Illian da sein, wenn ich sterbe, und deshalb habe ich keine Angst. Selbst wenn sie mich hasst. Vielleicht wird auch unsere Tochter da sein...Vielleicht ist ein Feigling dort auch willkommen, wenn er sein Leben lang gelaufen ist, ohne das Ziel zu finden. Ich sehe keinen Zusammenhang mehr. Habe ich im Leben wirklich alles falsch gemacht? Wirst du diesen Brief je lesen, Yuri? Kannst du mir je vergeben? Ich schätze, ich werde wie immer den einfachen Weg nehmen, werde weglaufen wie immer. Wie denkst du über mich, jetzt, wo du mein Leben kennst? Wir sind uns ähnlich, ob wir wollen oder nicht. Du bist Yuri. Ich bin ich. Wir sind anders – deshalb ergänzen wir uns. Wir sind uns ähnlich – deshalb hasst du mich. Du hast Angst, dass du genauso wirst wie ich. Aber du wirst es nicht werden, Yuri, denn du bist Anders. Konnte ich dir zeigen, dass ich dich nicht hasse? Ich habe dich niemals gehasst und werde dich niemals hassen. Und wenn nicht das geschieht, was du gesehen hast, sondern etwas völlig Unvorhergesehenes – dann sei froh. Denn nicht du wirst meinen Tod herbeigeführt haben, sondern allein ich ihn und die Heilige Kraft, die vielleicht irgendwann, irgendwann endlich entscheidet, dass ich zu Illian gehen darf. Nach einer Zeit von 8 Jahren... Lange genug, denkst du nicht auch? Ich habe ewig gewartet und gewartet und nie ist etwas geschehen. Ich war feige und habe nichts getan... Ich habe es satt. Das Warten, das Dasein als Feigling, die Anklagen... Ich werde einmal in meinem Leben etwas tun, was ich selbst will. Mach dir keine Vorwürfe, mein Schüler. Ich habe dich niemals gehasst. Wie hätte ich das gekonnt? Du warst wie ein Sohn für mich. Ich wünschte, ich hätte es dir früher - und deutlicher - zeigen können. Ich weiß, dass du eine Maske trägst, eiskalt und emotionslos. Ich habe immer bedauert, nicht derjenige sein zu können, bei dem du sie ablegen kannst, bei dem du deinen Schutz ablegen und dich ausruhen kannst. Ich bete für dich, Yuri, dass du diese Person für dich findest. Lebe Wohl. Die Seiten fielen zu Boden, Eine nach der Anderen, schweres, brüchiges Pergament. Eine enge, aufrechte, so altbekannte Schrift, die Erinnerungen weckte, Erinnerungen an ein Lächeln, das nur selten durch die Wolken brach, an eine Hand, die durch blonde Haare fuhr, ein Geruch nach Zigaretten und Pergament und Weihrauch und eine Stimme, liebevoll und spöttisch zugleich... Schwarze Tinte der Erinnerung, mit einer Geschichte, lange verschollen, Menschen, lange verstorben, und voll von Erinnerungen, guten wie schlechten. Schwarze Tinte der Geschichte, heller Mond einer mondlosen Nacht, der dunkle Himmel, der mehr versprach als er je würde halten können und die Lichter, die aufblitzten und an ein Paar Augen erinnerten, hell und glänzend wie zwei Sterne... Eine Sternschnuppe, gefallen vom Himmel, aufleuchtend nur für Sekunden und vielleicht noch etwas mehr. Ein Licht im Herzen, für Sekunden, wie es schien, nicht länger, eine Wärme, die nicht ihm galt, sondern einem kleinen, schwarzhaarigen Jungen, geheimnisvoll und verschlossen, geschenkt von einem kleinen, blonden Mädchen, lachend und zugleich so traurig... Eine Wärme, ein Licht, eine endlose Liebe, die er niemals verspüren konnte, die er jedoch beobachtet hatte und ebenfalls wahrgenommen hatte... Illian Sihena war tot. Hekate Dirantra war tot. Gibrilte Hindera war tot. Minuel war tot. Der Dämonenkönig war versiegelt. Die Königin des Lichtes war tot... Nur er allein war noch übrig. „Geh schon“, sagte die helle, klare Stimme des Mädchens in seinem dunklen Zimmer. Ihre blonden Haare leuchteten um ihren Kopf wie ein Heiligenschein, ihre blauen Augen, so hell wie ein Sommertag, musterten ihn spöttisch und gleichzeitig liebevoll. Einem anderen Paar Augen so ähnlich. „Worauf willst du sonst noch warten? Worauf hoffst du? Darauf, dass er zurückkommt? Niemand kehrt vom Wald des Todes zurück und das weißt du.“ „Und dennoch bist du hier.“ Yuri presste die Augen fest zusammen, um die Gestalt nicht sehen zu müssen, die sich jetzt schwerelos auf seiner Bettkante niederließ. Leicht dellte sich die Bettdecke, auf der er lag, ein, als hätte die Gestalt Gewicht. „Du vergisst immer wieder das Wichtigste, Yuri Schauer. Ich bin stark.“ Wie gut er diesen Satz kannte... „Und du bist nicht weggelaufen.“ Ihr Lachen hallte an den Wänden wider. „Nein. Na und? Es muss Solche geben und Solche. Und jetzt steh auf und geh.“ Er weigerte sich, die Augen zu öffnen. Sie war nur ein Traum, eine Illusion. Ein Trugbild, das verschwinden würde in dem Moment, in dem er sich der Realität stellte. „Was ist, wenn ich sterben will?“ Kurz schwieg sie. „Was erhoffst du dir damit?“ „Ich könnte all die Menschen, die gestorben sind, wiedersehen.“ „Willst du dich entschuldigen?“ „Wer weiß... Ich bin feige, nicht wahr?“ Er öffnete doch die Augen. Die Gestalt der jungen Frau, die langen Haare und ihr Gesicht waren noch immer da, er bildete sich die Stimme nicht nur ein. Sie hatte die Hände hinter sich auf der Matratze aufgestützt, lehnte sich nach hinten und sah aus dem kleinen Fenster seines Zimmers in den Nachthimmel hinauf. Sie schien durchscheinend und unwirklich, und dennoch wusste er, sie war da... „Hast du ihn...“ Er musste schlucken. „Hast du Minuel getroffen?“ Sie sah ihn nicht an. „Was, wenn ja?“ „Und die Königin des Lichtes? Und die Anführerin der Weißen Ritter? Und ... Illian Sihena?“ Es war so schwer, die Namen ihrer Familie in den Mund zu nehmen. Tat es ihr weh? Wusste sie, wessen Tochter sie war? Hatte sie ihren Vater je getroffen? Was war es für ein Gefühl, als Waise aufzuwachsen? Hatte sie sich je gewünscht, ihren Vater kennenzulernen und ihre Mutter wiederzusehen? Hatte sie wissen wollen, wohin sie gegangen waren? Warum sie sie allein hatten aufwachsen lassen? Wusste sie es? Das Mädchen wandte ihm den Kopf zu und sah ihn ernst an. Hatte sie diese Ernsthaftigkeit auch schon im Leben gezeigt? Er wusste es nicht. Er hatte sie nie anders gesehen als lachend und fröhlich... Hatte auch sie eine Maske getragen? Hatte irgendjemand es bemerkt? Wie musste sie sich fühlen... Sie hatte ihren eigenen Wunsch, ihr Lebensziel, ihren Lebenszweck, für die Menschen dieser Welt geopfert. Niemals hatte sie ihm sagen können, dass sie ihn liebte, obwohl alle ihre Taten darauf ausgerichtet waren, ihn zu schützen. Sezru... Er war es nicht gewesen. Nicht ihm hatte ihr Licht gegolten, ihre Liebe war niemals an ihn gerichtet gewesen... Es war immer nur Sezru gewesen. Hatte sie ihn wiedergesehen, dort, wo sie jetzt war? Ihre Augen, klar wie ein Bergsee, musterten ihn. „Was interessiert dich die andere Welt, Yuri? Du bist am Leben. Die anderen sind tot. Mehr zählt nicht und dessen solltest du dir bewusst sein.“ „Und du?“ „Ich?“ Sie lächelte endlich wieder, ein Lächeln, welches ihm den Atem raubte, jedes Mal erneut wenn er es sah. „Das ist nicht wichtig. Geh jetzt. Steh auf und geh und lass die Lebenden nicht länger warten.“ „Warum?“ „Weil sie dich brauchen, Yuri Schauer, Kleriker der Königin des Lichtes, Sohn des Lichtgottes. Es gibt jetzt keine Zeit für Trauer und Erinnerungen. Behalte sie im Herzen – das ist alles, was zählt.“ „Und dich auch?“ Sie erhob sich mit dem Lächeln, welches er so gut kannte – Einsamkeit und Trauer spiegelten sich in ihm wider, eine Trauer so tief, dass er darin zu ertrinken drohte, wenn er sie zu lange ansah. „Erinnere dich an mich. Vergiss mich.“ Tief atmete Yuri aus und stand auf. Die Gestalt verblaßte mit einem magischen Lächeln. „Was erwartet Einen nach dem Tod?“, fragte er, ein letzter, verzweifelter Versuch, sie aufzuhalten bevor sie endgültig verschwand. Ein letztes, geliebtes helles Lachen. „Mut und Zufriedenheit. Und Vergebung für diejenigen, denen man nie verzeihen konnte. Vergebung derjenigen, die nie verzeihen konnten, so wie du einst.“ „Und wenn es nichts mehr zu Vergeben gibt?“ Sie war nicht mehr da. Nur die Erinnerung an ihre Präsenz blieb zurück, sanft und leise, ein weicher Duft nach Sommer und frisch gewaschenen Haaren. Ein letztes Echo ihres Lachens... Hatte sich gerade eine Hand ausgestreckt, die sie ergriffen hatte, bevor sie verschwand? Wer wusste das schon. Ich bete für dich, Yuri, dass du diese eine Person für dich findest... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)