Zum Inhalt der Seite

TALE I - Vampire de Princesse

~Princess Vampire~
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ma Chérie Part I

>>Kapitel 1: Ma Chérie«

Kapitel 2: Ma Chérie

Kapitel 3: Je t’aime

Kapitel 4: ♥ ~ Princess Vampire
 

Genre: Horror; Vampire; Romantik; Shonen- ai

Hintergrund: Evanescence; An Cafe; Within Temptation; Tanz der Vampire; Lacrimosa, Rammstein; Dir en grey
 

~
 

„Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.“

Und ficken. Warum schreibt man das nicht mit in die Märchen? Es gehört doch schließlich dazu. Wie kriegen die denn sonst ihre ganzen Kinder, um ihr perfektes Leben zu ergänzen? Aber wenn man dieses Zeug den kleinen Kindern vorliest lässt man’s natürlich weg. Naja, ich hab ja genug Fantasie.

Das Buch wird zugeklappt, ein professionelles Lächeln aufgelegt und dann Gute Nacht gesagt. So wie immer. Das Kind, welches bis zum Kinn zugedeckt in dem Bett lag, schaut ängstlich zu der Frau hoch, eine Aufseherin, oder wie sie sich nennen. Sie erinnert mehr an eine der weiblichen Knastaufpassern. Ich lehne mich gemütlich an den Stamm hinter mir, streiche den schwarzen Rock den ich trage glatt. Denn da ich die Zwei nicht stören will, sitze ich auf der großen Eiche, deren einer Ast so perfekt vor ihrem Fenster endet, das es ein guter Beobachtungsplatz für mich ist.

Und dann sagt das Kind den Satz, der mich leise lachen lässt.

„Gehen sie bitte nicht... der schwarze Mann kommt wieder. Ich habe Angst...“, flüstert es. Schwarzer Mann, ja damit bin ich gemeint. Denn ich besuche das Mädchen dort im Zimmer oft. Ich bin nicht einer der komischen Perversen, die kleine Kinder entführen. Ich hasse solche Menschen. Doch es gibt einen Grund, weshalb ich immer ein Auge auf sie habe.

Wie immer, lächelt die Frau noch professioneller und falscher, streicht ihr abwertend über den Kopf und sagt einfach „Es gibt keinen schwarzen Mann.“ Dann geht sie. Es ist nur komisch, dass das Mädchen nicht mehr wirklich ängstlich, sondern eher so schaut, als würden alle sie missverstehen. Die Tür wird geschlossen. Stille und Dunkelheit erfüllen jetzt den Raum.

Für mich ist es einfach das Fenster, auch wenn es verschlossen ist, zu öffnen und das Zimmer lautlos zu betreten. Ich habe es vielleicht noch nicht erwähnt... ich bin ein Vampir. Mein Blick gleitet über das Bett, bis ich direkt in die Augen der Kleinen sehe. Schniefend sieht sie mich an.

„Magst du mich nicht mehr?“ Langsam gehe ich zu dem Bett, setze mich auf den Rand und streiche ein paar Falten auf der Decke glatt. „Das ist aber gar nicht nett, ich tue dir doch gar nichts.“

„Die Anderen sagen es gibt dich nicht...“, gibt es leise als Antwort. Verschüchtert sieht sie meine Hand an. Sie mochte die langen Nägel noch nie.

„Seit wann schenken wir denen Gehör?“, sage ich locker, meine Finger gleiten bis zu ihrem Kinn, dann streichle ich über ihre blasse Wange, „Isst du auch genug?“

Schnell nickt sie, aber ich weiß das sie lügt.

„Du willst doch nicht, dass der `schwarze Mann` böse wird, oder?“ Ich lächle, wohl einen Tick zu fies, ihrer Meinung nach, denn sie zieht den Kopf ein. Mit einem knallen wird die Tür aufgerissen.

„Wer bist du??“, werde ich plötzlich angebrüllt. Nicht das ich ihn nicht bemerkt vorher bemerkt hätte. Aber ich habe momentan anderes zu tun.

Ich stehe langsam auf, sehe zur Tür. Ein fremder Junge starrt mich an, ein Besen in den Händen und diesen drohend erhoben. Warum muss gerade heute das Heim einen neuen Angestellten bekommen?? Eigentlich wäre das kein Problem. Aber ich kann nicht gerade behaupten, dass es mir gefällt mit einem Besen verprügelt zu werden. Und bevor die Kleine sieht, was ich wirklich mit Menschen machen kann (und mich tatsächlich für den schwarzen Mann hält) verschwinde ich lieber. Ich komme noch nicht einmal dazu, ihn genauer zu betrachten, aber eins bemerke ich schnell, er gefällt mir. Jedenfalls sein Aussehen, nicht aber sein benehmen. Ich bewege mich möglichst schnell zu dem Fenster, spüre noch wie der Stiel auf meinen Rücken knallt und drehe mich knurrend um.

„Hör auf du-!!!“ Das nächste was ich fühle ist die Fensterbank in meinem Rücken, kippe blöderweise nach hinten, da er nochmals nach mir schlägt und fliege kurz darauf direkt aus dem Fenster, bis ich unten auf der Wurzel des hohen Baumes lande. Ich bringe nur noch ein ersticktes Keuchen hervor. Die Nacht fängt ja gut an.
 

Keine fünf Minuten später sitze ich grummelnd auf einem in Stein geschlagenen Engel, in dem Friedhof der Stadt. Mein Rücken schmerzt schon nicht mehr, in mir ist nur noch diese Wut auf den Jungen, der es wagt mich mit einem Besen (?!) aus dem Zimmer zu jagen. Ich hoffe nur, dass das Mädchen nicht zu viel redet...

Mein Blick schweift in den Himmel, ich seufze leise. Wenn ich Pech habe, schiebt der jetzt jede Nach wache bei ihr.

„Na, nicht gut gelaufen, was?“ Zarte Finger fahren über meinen Bauch.

„Bonsoir, Rayne.“, murmle ich nur, schiebe ihre Hände zur Seite, die gerade Versuchen unter das Corsage zu gleiten, „Und ja. Sie hat einen neuen Aufpasser.“

„Warum quälst du dich noch immer mit diesem Mädchen ab?“ Elegant setzt Rayne ein Bein über den Arm der Statue, lässt sich auf diesen Sinken, verschränkt die Arme auf deren Kopf und bettet ihren darauf.

„Das weißt du ganz genau.“ Ich sehe zu ihr hoch. Wie unschuldig sie aussieht, wenn sie mit ihren hellen Augen zu mir runter schaut. Dabei verspielt lächelt.

„Ach ja~, nur weil er dieser eine war, musst du dich doch nicht mit seiner Nichte herumschlagen.“ Ihr Fuß baumelt hin und her, ihre Finger spielen mit ihren langen lilaschimmernden Haaren.

„Ray~yne...“

„Ah, ja es ist ja nicht mal seine Nichte, sonder seine Urururururnichte.“ Sie kichert. „Gibt es das denn?“

„Ich hab jetzt keine Lust, es dir zu erklären.“, murmle ich, verschränke beleidigt die Arme. Warum muss sie immer Witze über ihn machen?

„Wollen wir etwas trinken gehen?“, fragt sie nach einer Pause.

„Ja... und danach sehe ich noch mal nach ihr.“ Ich springe von dem Engel, gehe voraus.

„Jaja...“ Sie verdreht die Augen, folgt mir dann leise.
 

Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Ihr wisst ja bereits, dass ich ein Vampir bin. Genau wie Rayne, sie ist eine Art Gefährtin, auch wenn wir nur befreundet sind. Ich wurde mit 24 zu einem Wesen der Nacht gemacht, und müsste jetzt 265 Jahre alt sein. Zu meiner Zeit war ich der Sohn eines großen Grafen, dessen Geschlecht jedoch nach und nach verschwand und schließlich blieb das Land als unbekanntes Gebiet zurück. Ich habe es damals miterlebt, aber was soll ich schon allein mit so viel Geld und Sklaven um die ich mich kümmern sollte? Wobei ich zugeben muss, dass Geld trotzdem gebunkert und mitgenommen zu haben.

Ich reiste lieber durch die Länder, so kam ich bis nach London. Dort lernte ich auch >ihn< kennen. Er war Vampir, doch das, dass mich so an ihm faszinierte war, das sein Bruder menschlich war, und er ihn trotz allem liebte. Die Kleine, die übrigens Sarah heißt, ist die Tochter von dem Sohn des Sohnes... Ach, er ist ihr Urururururgroßvater, um es kurz zu machen. Als er starb, bat er mich auf sie aufzupassen. Das ist der Grund, weshalb ich jede Nacht vor ihrem Fenster hänge und in ein Heim einbreche. Und auch wenn ich Kinder eigentlich überhaupt nicht mag, ich bin es ihm schuldig.

Jedenfalls lernte ich noch lange vor ihrer Geburt besagte Rayne kennen. Und nun bin ich hier, in London, 2008.
 

„Ach, ich liebe Dracula!“, schwärmt Rayne neben wir, gerade als wir das Kino verlassen. Es lief Bram Stoker’s Dracula. Und wie man hört, ist sie ganz vernarrt in den Film. Was wohl ein wenig daran liegt, das sie den Herrn Vlad Tempes (oder eher Vlad III. Drăculea) noch persönlich kannte. Er war ja auch wirklich kein schlechter Kerl. Ich kannte ihn ja auch...

„Hm, jaaa... er ist ganz nett.“, gebe ich zurück. Eigentlich mag ich den Film sehr. Mir gefällt die Darstellung Draculas, als großen Kriegsherrn, der durch den Tod seiner Frau zu einem, also dem `ersten` Vampir wird. Eine schöne romantische Vorstellung. Wobei es damals tatsächlich so gewesen war...

„Wolltest du nicht zu Sarah?“, fragt sie plötzlich.

„Ach ja...“ Ich nicke langsam.

„Na dann hau schon ab! Du nervst nämlich, wenn du so nachdenklich neben mir her dackelst!“ Sie lächelt mich süß an. „Und außerdem will ich jetzt allein jagen. Bye.“ Und schon ist sie weg. Sie ist wirklich der perfekte Vampir. Immer hungrig und verspielt.

Es dauert nicht besonders lang, bis ich wieder bei dem alten Gebäude ankomme. Es ist nun vollkommen finster, kein Wunder, schließlich ist es auch schon nach 2 Uhr Nachts. Ich gehe den gewohnten Weg, klettere mit Leichtigkeit den Baum hoch und setzte mich auf den Ast, auf welchem ich immer Platz nehme, um sie ein wenig zu beobachten. Was mich allerdings stark wundert ist, dass dieser Junge neben ihr sitzt und mit ihr redet. Schlagartig verfinstert sich meine Mine. Was hat der noch bei ihr zu suchen?

„Es gibt keinen schwarzen Mann. Nur böse Männer. Und ich verjage jeden, der dir was tun will. Und der kommt bestimmt nie wieder.“ Ha, das glaubst auch nur du.

„Eigentlich ist er ja nett...“, flüstert sie, was mich aufhorchen lässt, „Aber keiner hört mir zu... Sie sagen alle es gibt ihn nicht, aber du glaubst mir doch, nicht?“

„Er und nett?“ Er zieht eine Braue hoch. „Hm... aber wenn er nett ist, warum sahst du dann so verängstigt aus?“

„Ich weiß nicht... ein bisschen fürchte ich mich ja schon...Aber er hat mir ja bis jetzt nie was getan.“ Mit ihren großen, braunen Augen schaut sie zu dem, für mich Fremden, hoch. Na wenigstens stellt sie keine falschen Behauptungen auf...

„Was macht er denn überhaupt immer hier?“

„Er kommt mich immer besuchen.“, ist ihre kurze Antwort. Stimmt ja auch, denn sonst, außer sie anstarren und mit ihr über dummes Zeug reden, mache ich ja gar nichts.

„Und warum?“ Wie er sie ausfragt... ich sag ja, ist eher wie im Knast, hier.

„Vielleicht hat er mich ja lieb.“

„Warum nimmt er dich dann nicht mit sich?“

„Er kann vielleicht nicht.“

„Warum kann er nicht?“

Sie sieht ihn fragend an und überlegt.

„Vielleicht weil er Angst hat.“

„Wovor denn?“

„Warum fragst du ihn nicht selbst?“

Er zuckt zusammen, sieht sie ungläubig an.

„Er kommt morgen bestimmt wieder. Er kommt ja immer. Dann kannst du ihn fragen. Außer er mag dich nicht, und kommt wegen dir nicht mehr.“ Breit grinsend betrachtete ich seinen Gesichtsaudruck. Er sieht wirklich bleich aus. Wobei... woher weiß sie, das mir nichts passiert ist?

„Willst du denn das er wiederkommt?“, fragt er dann unsicher.

„Ja... er erinnert mich an Großpapa.“ Ach, ich liebe dieses Kind...

„Aha...“, kann er nur noch leise zurückgeben, als die Tür plötzlich aufgerissen wird. Die Aufseherin stürmte hinein, riss den Jungen von dem Bett und scheuchte ihn nach draußen. Mit einem „Und du schläfst!“ verschwindet sie wieder Türeknallend. Was für eine Furie... Aber was soll’s. Der Junge kann sich drauf verlassen, dass ich ihn morgen Nacht wieder beehre.

Auf dem Weg zum Friedhof bin ich am überlegen, ob ich die Kleine nicht vielleicht mitnehme sollte. Bei mir hätte sie es doch sicher besser, als bei diesen komischen Weibern. Aber was sollte sie Tagsüber machen? Da konnte ich schließlich nicht auf sie aufpassen... Und trotzdem war es überall besser, als bei den Hexen. Wobei ich Hexen ganz gerne hab, jedenfalls die echten...
 

„Wach auf~. Das Prinzeschen wartet sicher.“, säuselt mir ein gewisser jemand ins Ohr. Diese Person hat gleich meinen Sargdeckel mit entwendet und mir die weiche Decke weggezogen. „Mensch, bist du verweichlicht. Mit ner Decke im Sarg zu pennen.“ Sie kichert. Momentan regt mich Rayne wirklich tierisch auf.

„Nerv nicht...“, grummle ich nur zur Antwort, drehe mich zur Seite, taste dabei nach meiner geliebten Decke. Die sie natürlich vorsichtshalber aus weggeräumt hatte. Warum verdammt, gehöre ich noch zur alten (okay, sehr alten) Generation??? Sonst hätte ich ihr jetzt einfach eine reingehauen. Aber da ich netter Mensch, äh Vampir, bin, erhebe mich gezwungenermaßen, klettere genervt aus meinem Sarg. Das Magenknurren meinerseits lässt sie in Gelächter ausbrechen. Warum habe ich gestern Nacht nichts gegessen? Nebenbei sehe ich nachdem aufstehen auch etwas wüst aus, verschmiertes Make up, die langen Haare völlig durcheinander und teils verknotet und zusätzlich sieht man mir die Müdigkeit auf 30 Meter Entfernung an. Kurz gesagt: Ich sehe scheiße aus.

Mein erster Weg, wie jeden Morgen, führt mich in den kleinen Raum, in dem meine Klamotten verstaut sind. Wie so oft fällt mir auf, das wir endlich umziehen müssen. Wir wohnen nämlich unter dem Leichenaufbewahrungshäuschen auf dem Friedhof. Wobei der unterirdische Bereich natürlich ausgebaut ist. Und trotzdem zu klein. Aber findet heutzutage erst mal ein verlassenes großes Haus, in dem man ungestört leben kann...

Es dauert, wie immer, eine Weile bis ich mit ankleiden fertig bin, tapse dann müde zurück in die Gruft.

„Wie spät ist es überhaupt?“, frage ich Rayne, die es sich auf ihrem geschlossenen Sarg bequem gemacht hat und ein Buch las. Die Chronik der Vampire.

„Ahm, 10 Uhr.“, gibt sie gelassen zurück.

„Erst???“ Ich hasse sie.

„Dann hast du mehr Zeit für das Prinzeschen.“

„Lass sie da raus.“, knurre ich mies gelaunt und stapfe entnervt aus dem Haus. Manchmal treibt mich dieses Weib zur Weißglut...

Es ist kalt, fällt mir auf, als ich einen Fuß nach draußen setze. Und das obwohl Vampire Temperaturen nicht unterscheiden können. Bei mir ist eben noch viel vom Mensch hängen geblieben... Ziemlich schnell komme ich an dem Haus an, sehe an der von Moos bewachsenen Wand nach oben. In ihrem Zimmer brennt Licht. Neugierig, ob das die Alte oder der Junge von Gestern ist, klettere ich an dem Baum leichtfüßig hoch, hocke mich auf den dicken Ast und schaue durch das Fenster. Sehr gut. Er ist es. Und natürlich Sarah, die ihn mit großen Augen ansieht. Endlich habe ich Zeit ihn mir genauer anzusehen... Seine Haare sind etwa Schulterlang und pechschwarz, die Augen ebenso dunkel, die Haut bleich und der Körper zierlich. Er ist auffällig gekleidet, Nieten, Ketten und verschiedene Bänder schmücken seine größtenteils schwarzen und ansonsten roten Sachen. Ich muss sagen... mir gefällt sein Geschmack.

Nachdem ich die Musterung beendete, klopfe ich erst höflich an die Scheibe, öffne diese und hüpfe in das Zimmer. Der Junge springt sofort auf, sucht etwas mit dem er sich bewaffnen konnte. Ich lächle nur mild, setze mich wie gewohnt auf den Bettrand.

„Guten Abend, ma Chère. Hattest du einen schönen Tag?“ Ich streiche ihr ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht, worauf sie dank meiner kalten Finger zusammenzuckt.

„Geh weg von ihr!“, werde ich plötzlich angekeift. Was will der denn jetzt?

Eigentlich hatte ich vor etwas zu erwidern, stoppe aber. Schaue genau in seine Augen, die mich mit einer Mischung aus Angst und dem Willen die Kleine zu beschützen anstarren. Eine nette Mischung, die mir sehr bekannt vor kommt...

„Warum sollte ich? Weil du das sagst?“, gebe ich unbeeindruckt zurück.

„Du sollst von ihr weggehen!!“ Meine Güte, versteht der gar nichts?

„Was willst du denn dann machen? Schreien, oder holst du dir wieder einen Besen?“ Ich grinse ihn hochmütig an. Elegant erhebe ich mich von dem Bettrand gehe auf ihn zu. Sarah scheint das alles sehr interessant zu finden, denn sie sieht uns die ganze Zeit schweigend an.

„Ich kann dich auch so loswerden!!“, beharrt er, worauf ich nur eine Braue hebe.

„Soso. Da bin ich aber gespannt, mein Freund.“

„Nenn mich nicht mein Freund, Monster!“ Also wirklich, Unhöflichkeit hat keine Grenzen, he?

„Soll ich mich jetzt fürchten?“ Ich grinse wieder überheblich. Er denkt wohl, nur weil ich Gestern dank ihm aus dem Fenster gefallen bin, heißt dass das er ach so stark ist? Er ist nur ein Mensch.

Ohne zu Antworten stürmt er auf mich zu, stoppt gerade noch ab, da er sonst gegen die Wand gerannt wäre. Ich bin schließlich nicht so blöd und bleibe einfach stehen, wenn der auf mich zurennt wir ein Irrer.

„Du bist unhöflich. Möchtest du dich nicht erst mal vorstellen?“ Damit verbeuge ich mich, werfe meinen Umhang dabei zurück. „Der Vampir Alexej de Lioncourt. Ich grüße euch. Und wer seid ihr?“

„Was geht dich das an??“ Oh, er weigert sich. Jetzt kommt der schöne Teil. Er kann nicht mal mehr erschrocken aufkeuchen, als ich plötzlich hinter ihm auftauche, drücke ihm meine kalte Hand auf den Mund. Den noch freien Arm schlinge ich um seine Hüfte.

„Aber, aber. Wer wird denn gleich so laut werden?“ Ich senke meinen Kopf, stütze das Kinn leicht auf seine Schulter. „Das ist doch nicht nett, nicht wahr Sarah, Liebes?“ Zu meiner Überraschung nickt sie zustimmend, sieht den Jungen böse an.

„Das ist wirklich unhöflich.“, fügt sie noch hinzu. Ich muss grinsen.

„Seht ihr?“ Ich merke das er ruhiger wird, also ziehe ich langsam meine Hand von seinem Mund zurück. Er starrt mich wütend an.

„Lass mich los!“, keift er.

„Wie heißt das?“, säusle ich nur lächelnd in sein Ohr.

„Lasst mich los.“, sagt er dann leiser. Es geht doch. Auch den anderen Arm nehme ich von ihm, worauf er schnell ein paar Schritte nach vorne aus meiner Reichweite macht. Als ob das was nützen würde...

„Seit ihr nun gewillt mir euren Namen zu verraten?“, versuche ich es erneut, gehe gemächlich an ihm vorbei, setze mich wieder auf das Bett und schlage elegant die Beine übereinander.

„Jay.“

„Bitte?“

„Ich heiße Jay.“

„Ah.“ Zum ersten Mal seit ich ihn kenne lächle ich ihn ehrlich an. „Also, wie geht es dir jetzt?“, frage ich an Sarah gewandt.

„Es ist doof hier. Alle sagen ich bin verrückt.“, gibt sie mit einem schmollenden Blick zurück.

„Oh, wirklich? Sie sind eben dumm.“ Ich streiche ihr über den dunklen Schopf.

„Ja. Egal was ich sage, sie glauben mir nicht.“

„Aw, da kannst du mal sehen, du hast einen imaginären Freund.“ Ich lache, sie sieht mich nur fragend an. „Das erkläre ich dir später...“ Sie nickt daraufhin freudig.

Mein Blick schweift wieder zu Jay, er steht noch immer stumm im Raum.

„Was ist?“ Ich ziehe eine Braue hoch, mustere ihn fragend.

„Nichts.“

Ich wollte etwas erwidern, aber ich konnte schon den nächsten ungebetenen Gast hören. Schnell glitt ich von dem Bett, sah suchend durch das Zimmer. Und verschwand schließlich wieder aus dem Fenster, wo ich mich auf dem Ast niederließ und das Geschehen beobachtete.

„Was machst du schon wieder hier??“ Es ist die Alte von Gestern... „Geh nach Hause, sofort!“, befiehlt sie dem Jungen, der sie nur wütend anstarrt, Sarah noch eine Gute Nacht wünscht und dann aus dem Zimmer rauscht.

„So, ist das dieser schwarze Mann? Hör endlich auf so einen Blödsinn zu erzählen!“ Ich gebe ei n dumpfes Grollen von mir. Wie kann sie es wagen, die kleine Sarah so anzuschreien? Am liebsten hätte ich sei erledigt, oder einfach getötet. Gerne auch ausgesaugt. Wobei bei allem ja so ziemlich das gleiche rauskommt. Aber ich kann nicht, ich will ihr nicht ihr Unwissen über manche Dinge nehmen... Also sehe ich stumm zu, wie sie die Tür schließlich zuknallt.

Wieder diese Dunkelheit und Stille...

Leise schleiche ich mich zurück in das Zimmer, zu dem Bett.

„Sarah?“, flüstere ich.

„Sie ist gemein...“ Ich höre wie sie leise schnieft.

„Keine Angst, irgendwann wird sie sehen, was sie davon hat.“ Zum ersten Mal seit ich sie kenne, beuge ich mich zu ihr und gebe ihr einen sanften Kuss. „Und jetzt schlaf, okay?“

„Ja... gute Nacht.“
 

Warum... Wer ist dieser Junge? Es hat sich etwas geändert, seit ich ihn kenne. Ich weiß das Sarah sich nicht vor mir fürchtet. Und ich habe dieses furchtbare Gefühl wieder, welches die Ewigkeit mit sich bringt...

Der Park in dem ich wandle ist dunkel, nur ein paar Laternen flackern träge. Es ist eine schöne Nacht, der Mond strahlt hell auf den Boden, einzelne Sterne leuchten am Himmel. Warum nur mögen die meisten Menschen diesen Anblick nicht? Vielleicht, weil sie den Tag genießen dürfen...

Ein Aufschrei reißt mich aus meinen Gedanken. Diese Stimme... Jay. Ohne noch weiter nachzudenken renne ich los, brauche auch nicht lange um den Besagten zu finden. Er schreit nicht mehr, nein, er kann gar nicht mehr schreien, denn ein Mann drückt ihm den Mund zu. Zwingt sich zwischen die dünnen Beine des am Boden Liegenden. Unglaubliche Wut lodert in mir auf. Wie kann er es wagen?? Ich weiß nicht, warum mich das so zornig macht, doch ich rede mir ein, dass ich es sein will, der den Jungen bekommt. Ich will ihn nicht beschmutzt, sondern so wie er jetzt ist.

Meine langen, scharfen Nägel bohren sich in den Nacken dieses fetten Menschen, reißen ihn schwungvoll von dem Kleineren runter. Er kreischt schmerzerfüllt auf, aber was interessiert es mich? Ich hasse dieses Wesen. Weil er mir ihn wegnehmen wollte. Ich höre wie hinter mir etwas knackt. Er hat sich wohl was gebrochen als er gelandet ist. Noch immer wütend drehe ich mich um, bemerke den geschockten Blick Jays gar nicht. ich beuge mich über den Mann, der nur keuchend am Boden liegt, mich mit Angstgeweiteten Augen anstarrt, hebe meine Hand und halte inne.

„Hör auf!“, wiederholt sich der Junge. Ich sehe nach hinten, wo er wackelig aufsteht.

„Warum? Weißt du nicht was er tun wollte?“, frage ich, erhebe mich aber trotzdem von diesem widerwärtigen Etwas am Boden.

„Er... ist es nicht wert...“, flüstert er mit brüchiger Stimme. So ein dummer Spruch. „Und... du hast ihm das Rückrat gebrochen... es wäre doch nur eine Erlösung für ihn, wenn du ihn tötest.“

Überrascht sehe ich zu ihm. Direkt in diese dunklen Augen. Sie fesseln mich... auf eine seltsame fremde Weise, die mich meinen Zorn vergessen lässt.

„Wenn du... es möchtest, lasse ich ihm sein Leben.“ Ich gehe ein Stück auf ihn zu. „Aber... wenn er ihnen sagt, dass du es warst?“

„Dann kannst du ihn immer noch umbringen...“ Jay zwingt sich zu einem lieben Lächeln. Und ich nicke einfach nur. Warum kann ich ihm bloß nicht widerstehen?

„Es tut mir Leid...“, sagt er plötzlich nach einer Weile der Stille.

„Was?“ Verwirrt sehe ich ihn an. Er nimmt meine Hand, zuckt aufgrund der Kälte zusammen, hält sie aber weiterhin fest und zieht mich von dem noch immer leidend keuchenden Mann weg.

„Das ich dich geschlagen habe, und du aus dem Fenster gefallen bist...“, gibt er leise von sich.

„Ist schon gut, mir ist ja nichts geschehen.“ Ich lächle nun auch, versuchte freundlich auszusehen, doch meine spitzen Eckzähne blitzen dummerweise hervor.

„Bist du... wirklich einer?“, fragt er noch leiser als zuvor.

„Wie sonst hätte ich das alles bis jetzt überstehen können?“ Diese süße Unschuld macht mich schier Wahnsinnig...

Wir schlendern schweigend durch den Park, er starrt den Boden vor seinen Füßen an, während ich den Kopf gehoben habe um weiter die Schönheit des Nachthimmels betrachten zu können.

„Wie alt seit ihr?“, fragt er plötzlich, sieht zu mir. Ich senke den Kopf, erwidere seinen Blick. „Entschuldigt, das war sicher unhöflich...“

„Ihr könnt mich ruhig weiter mit Du anreden. Und ich denke es sind mittlerweile 265 Jahre. Wenn man die Ewigkeit durchlebt interessiert man sich schnell nicht mehr für diese Zahlen...“ Ein lauer Wind erhebt sich, spielt mit seinen schwarzen Haaren und lässt einige Strähnen immer wieder in sein Gesicht fallen.

„Dann kannst du mich aber auch einfach duzen.“ Ich lächle wieder, er scheint sich an meine Zähne zu gewöhnen, der er erwidert es. Nun ja, bald sind die Spitzen ohnehin verschwunden, sie erscheinen ja nur wenn ich mich aufrege oder trinken will.

„Es ist eine schöne Nacht.“ Langsam nickt er.

„Magst du Nächte?“, will ich darauf wissen, sehe ihn an.

„Ja sehr. Es sei denn so etwas wie eben passiert.“ Sein Lächeln nimmt einen gequälten Ton an.

„Ich verstehe... Das freut mich. Dass du die Nacht würdigst.“

„Was soll so schlimm an ihr sein?“

„Frag das die Menschen.“, murmle ich. Ein Kribbeln zieht sich plötzlich durch meinen Magen. Ach ja... Ich habe ja immer noch nichts gegessen... bzw. getrunken. „Schaffst du den Rest des Weges allein?“ Ich bleibe stehen, warte bis er es mir gleichtut, sich zu mir umdreht.

„Natürlich.“, sagt er knapp. Er scheint zu wissen, warum ich so plötzlich weg möchte.

„Wir sehen uns sicher morgen. Wünsche noch eine angenehme Nacht.“ Damit verbeuge ich mich, verschwinde ohne ein weiteres Wort in der Dunkelheit. Wie sehr ich hoffe, das wir uns wiedersehen...
 

Dunkles Blut rinnt über mein Kinn, Rayne reicht mir ein schwarzes Taschentuch, mit dem ich mein Gesicht säubere.

„Nett, dass wir mal wieder gemeinsam essen.“, sagt sie, lächelt dabei auf ihre verspielte, aber böse Weise.

„Nett, dass du auf mich gewartet hast.“, gebe ich höflich zurück, deute eine Verbeugung an. Was ihm sitzen relativ schlecht geht.

„Hach ja. Das sollten wir schnellstmöglich wiederholen.“ Sie kichert, schiebt zwei Weingläser in die Tischmitte, nimmt die Blutkaraffe in die sie vorher Blut gefüllt hatte und schüttet in beide etwas hinein. „Bitte, der Herr.“

„Ich danke euch, ma Chère.“ Es ist wirklich angenehm, mit ihr hier in der Gruft zu sitzen und gesittet Blut zu trinken...

„Und, was brachte euch die heutige Nacht?“, fragt sie, nachdem sie etwas getrunken hatte, stützt ihre Ellbogen auf dem Tisch ab und platziert dann ihr Kinn auf den gefalteten Händen.

„Hm, interessante Bekanntschaften. Und euch?“ War meine knappe, und meiner Meinung nach vollkommen ausreichende Antwort.

„Oh, Bekanntschaften?“ Natürlich ist sie jetzt neugierig. Doch ich lächle nur beschwichtigend.

„Niemand, der von Interesse für dich wäre.“ Schmollend sieht sie mich an, sie weiß dass das eine Art letztes Wort bei mir ist.

„Und die Prinzessin?“, fragt sie in einem beleidigten Tonfall.

„Ihr geht es der Situation entsprechend.“ Das ich darüber nachdenke sie zu mir zu nehmen, lasse ich geflissentlich weg.

„Ah. Nun denn. Ich habe das Abendessen beschafft, also dürft ihr es entsorgen.“ Damit steht sie auf, dreht sich schwungvoll um und verlässt das Zimmer. Oh ja und wie eingeschnappt sie ist. Aber das hätte mir ja klar sein müssen.

Ich erwidere nichts, erhebe mich ebenfalls und räume, wie mir geheißen, die Leichen weg. Danach betrete ich leise das Schlafzimmer. Ihr Sarg ist bereits fest verschlossen, ein Zeichen dass ich es nicht wagen sollte sie jetzt zu stören. Also tapse ich nur zu meinem Sarg, schiebe den Deckel beiseite Ah, wie gut, sie hat meine Decke vorhin wieder zurückgelegt. Ich steige in ihn, hebe den Deckel wieder richtig auf ihn und ziehe den weichen Stoff über mich. Wenig später versank ich auch schon in den totenähnlichen Schlaf, der mich nichts mehr spüren lässt.
 

Gähnend strecke ich mich, stoße dabei mit meinen Händen an die Sargwände. Wie lang konnte ich schon nicht mehr ausschlafen? Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, welches kurz darauf wieder erstirbt. Moment, ich habe ausgeschlafen? Dann ist sie wohl noch immer wütend auf mich... Wie nachtragend kann man sein? Kopfschüttelnd schiebe ich den schweren Deckel zur Seite.

„Und schon liegt das Geheimnis offen vor uns. Der junge Herr ist verliebt, ihm klopft und pocht das Herzchen bis zum Hals, wie eine Ratte in einem Käfig.“ Rayne grinst zu mir runter, ich lasse darauf meinen Kopf nur wieder zurück auf die Polsterung fallen. Seufze etwas genervt auf.

„Woher?“ Sie wusste bereits zu viel. Erstens das ich jemanden mochte, zweitens das es ein Junge war. Denn immer wenn ich Interesse an einem männlichen Wesen hatte, sagte sie diesen 41 Jahre alten Satz.

„Hm, schon vergessen, dass du im Totenschlaf redest?“, fragt sie, breiter grinsend.

Verdammt. Warum heißt es dann Totenschlaf, wenn ich es selbst bei selbigem schaffe zu reden?

„Also, wer ist es?“, hakt sie weiter nach, schaut mich mit ihren großen, blauen Augen an, „Etwa dieser junge Aufpasser deiner Sarah?“

Und woher wusste sie das nun wieder?? Manchmal ist sie mir direkt unheimlich...

„Du kannst wirklich gut raten...“, gebe ich leise zurück, schiebe sie zur Seite und steige aus meinem Sarg. Streiche durch meine langen schwarzen Haare, versuche sie etwas in Ordnung zu bringen. Was eher misslang, da sie zurückbebunden waren.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass du dich heute besonders schick machen wirst?“ Super, jetzt dackelt sie mir schon in meinen Kleiderschrank nach. Ich ziehe ohne zu Antworten einen langen schwarzen Rock heraus, ein gleichfarbiges Rüschenhemd, hohe Stiefel, sowie einen Mantel. Legte dann noch ein gerüschtes Lilafarbenes Band auf die Sachen.

„Ja, und?“, gebe ich murrend zurück. Sie weiß das meiste sowieso schon. Also weshalb wiedersprechen? Das sie mir zusieht wie ich mich umziehe ist mir auch egal. Sie weiß, dass ich kein Interesse an ihr hege, und ich, das sie nichts an mir findet. Ich öffne meine Haare, worauf ein Teil mir über die Schulter fällt, ich kämme sie kurz durch, binde die Strähnen zum Schluss mit dem Seidenband zusammen.

„Hm~, das sieht hübsch aus. Dann hoffe ich für dich, dass er ein Gleichgesinnter ist.“ Und sie meint damit sicher nicht, dass er ein Vampir sein sollte. Wieder gebe ich nichts zurück, trug noch etwas Make up auf.

„Okay. Dann redest du eben nicht mehr mit mir.“ Schwungvoll dreht sie sich weg, verlässt die Gruft.

Ich hoffe doch sie erwartet jetzt nicht, das ich ihr folge und sie um Verzeihung bitte. Dafür war ich irgendwie zu gut drauf. Und das weil mir gerade bewusst geworden war, wen ich heute wiedersehen würde. Und auf den freute ich mich schon.
 

Man konnte von unten bereits sehen, dass die Beiden heute nur Kerzen angezündet hatten. Kein Wunder, durch das helle Deckenlicht wurden sie ja schon öfters zusammengestaucht. Flink wie immer, klettere ich den hohen, dicken Baum hoch, warte diesmal gar nicht erst, sondern steige gleich durch das Fenster in das Zimmer ein. Ich grinse, als mich die Zwei trotzdem überrascht ansehen.

„Einen wunderschönen Abend.“ Mein Blick glitt erst über Sarah, weiter zu ihm und blieb abrupt an Jay hängen. Er war wohl beim Friseur gewesen, denn leuchtend rote Strähnen zieren die ansonsten pechschwarzen Haare. Er trägt einen langärmligen Pulli, der ihm scheinbar viel zu groß war, darunter eine schwarze Hose die seine Beine zu sehr betonte. Er rutscht verlegen zur Seite, da er auf meinem Platz am Bettrand hockt, wobei die vielen Ketten leise klirrten. Und ich muss zugeben, mir gefiel dieser Anblick definitiv...

„Guten Abend.“, erwidert Sarah, sie schiebt sich nach hinten, bis sie stoppt und sich an der Wand anlehnen konnte. Als Jay nichts sagt stößt sie ihm in die Seite, worauf auch von ihm ein „Hallo.“ kommt.

Hm, gestern war er aber nicht so verkrampft gewesen, stelle ich grinsend fest, setze mich auf die freigewordene Stelle, streichle liebevoll über die Wange der Kleinen.

„Na, wie geht es dir?“, frage ich dabei, untersuche ihr blasses Gesicht.

„Onkel, kannst du mich mitnehmen?“ Verwirrt ziehe ich die Hand zurück, sehe sie fragend an.

„Was?“

„Ich möchte hier nicht mehr bleiben...“, gibt sie überzeugt zurück. Dabei schaut sie mich mit ihren dunklen Augen fast flehend an.

„Ich... kann dich nicht mitnehmen... verzeih...“, sage ich leise, obwohl ich ihr wirklich gern den Gefallen getan hätte...

„Aber warum nicht?“ Sie redet weiter in einem leisen Ton, sicher weil sie Angst hat, das die Erzieherin mich entdecken könnte.

„Ich kann nicht.“ Damit sehe ich zu Jay, der bis jetzt nur schweigend neben uns saß. Er erwidert stumm meinen Blick. „Könntest du...?“, frage ich an ihn gerichtet.

„Ich... wohne in einem Studentenheim...“, gibt er leise zurück.

„Dann zahle ich dir eine Wohnung! Alles was du brauchst, ich sorge auch dafür das du einen besseren Job bekommst...“ Hätte ich das bloß nie gesagt. Denn Sarah sieht mich geschockt an. Verständlich, da ich das Geld für sie habe, sie aber nicht mit mir nehme. Es wird wirklich Zeit, das ich ihr erkläre weshalb sie nicht mit zu mir kommen kann...

„Das hat nichts mit dir zu tun, ma Chère. Es ist nur... du kannst nicht zu mir, das könnte ich nicht verantworten...“, versuche ich sie zu beruhigen. Ich hoffe sie versteht es... sonst ist sie doch auch so erwachsen...

„Sarah, er kann sich wirklich nicht um dich kümmern. Weißt du denn nicht, warum er nur Nachts kommt, um dich zu Besuchen?“ Jay wartet bis sie langsam den Kopf schüttelt, ich sehe ihn fragend von der Seite an. „Weil er krank ist. Er kann nicht in die Sonne, das tut ihm weh... Deswegen kann er nur so spät zu dir kommen. Aber wenn du bei ihm lebst, bist du Tagsüber immer allein. Das willst du doch nicht oder?“ Sarah überlegt, bevor sie verneint, mich dann tröstend anschaut.

„Das wusste ich nicht...“, sagt sie leise, krabbelt auf mich zu und tätschelt meine kalte Hand, „Bist du deswegen immer so blass? Weil du dich nicht sonnst?“

Ich muss lächeln. „Ja, deswegen...“ Werfe Jay einen unauffälligen, dankbaren Blick zu.

„Und... also ich versuche mir eine Wohnung zu suchen. Wenn alles klappt, nehme ich sie...“ Jay schaut etwas unsicher zu mir.

„Wie gesagt, Geld habe ich...“ Doch er schüttelt den Kopf.

„Ist schon gut, irgendwie kriegen wir das hin. Nicht?“ Damit streicht er ihr über den Kopf.

„Ja!“ Quietscht Sarah, legt sich in meine Arme und zieht einen eng um sich, strahlt mich dabei an. Und genau zu diesem Zeitpunkt höre ich Schritte auf dem Gang hallen.

„Ich muss gehen... Gute Nacht, Liebes. Auch dir eine Gute Nacht.“ Damit erhebe ich mich von dem Bett, gehe leise zum Fenster und bleibe stehen. Jay hat nach meiner Hand gegriffen, hält mich zurück.

„Warte bitte unten, ich komme gleich.“ Dann lässt er los, wartet bis ich das Zimmer verlassen habe. Ich merke noch wie kurz darauf die Erzieherin den Raum betritt, sich misstrauisch umsieht. Aber darauf war ich auch schon unten, schreite ein Stück von dem Haus weg, bis zu dem großen Tor, das es umzäunt, lehne mich an die mächtigen Eisenstangen und warte. Die Zeit vergeht viel zu langsam... noch langsamer als sonst. Ich merke wie ich sogar anfange nervös zu werden. Aber warum? Er ist nur ein Mensch, an dessen Blut ich, bis jetzt jedenfalls, nicht mal interessiert bin... Da ist etwas anderes... Nur weiß ich es entweder noch nicht, oder will es nicht wissen.

Als Jay endlich aus dem Grundstück tritt, atme ich erleichtert auf. Er sieht schüchtern lächelnd zu mir.

„Du hast ja echt gewartet...“, ist das einzige was er dazu sagt. Danke.

„Natürlich, wieso sollte ich auch gehen, wenn du mich schon bittest?“ Ich lege ein verführerisches Lächeln auf, stoße mich von den Stangen ab und gehe zu ihm. „Also, wegen was möchtest du mich denn bei dir haben? Hast du Angst?“

„Ach, quatsch... Ich hab keine Angst.“, gibt er nur zurück, sieht sofort von mir weg, auf den Boden, „Und ich hatte ganz vergessen mich zu bedanken...“

„Bedanken? Aber das war selbstverständlich.“ Ich mache einen Schritt, warte darauf das er mir folgt und gehe langsam. Schnell holt er auf, läuft schweigend neben mir her.

„Würde es dich stören sie zu dir zu nehmen?“, frage ich, schließlich will ich ihm Sarah nicht aufzwingen.

„Das bin ich dir schuldig. Außerdem ist sie doch ganz lieb.“

„Nur weil du in dem Irrglauben bist, mir einen Gefallen tun zu müssen, musst du sie doch nicht bei dir aufnehmen...“ Langsam schweift mein Blick zur Seite, er ist stehen geblieben, sieht mich an. Ich bin froh, dass er nichts sagt, da ich längst wieder in diesen unglaublich tiefen Augen versunken bin.

„Und... weil ich dir gerne einen Gefallen tue.“, fügt er leise hinzu. Ich verstand das nur, da ich sehe wie sich sein Lippen bewegten. Warme rote Lippen...

„Danke.“, gebe ich knapp zurück. Lächle dankend.

„Ich hätte auch nicht gedacht, das ihr nett sein könnt...“ Ei n leichter Wind durchfährt sein Haar. Langsam hebt er seine Hand, um die störenden Strähnen aus seinem Gesicht zu streichen, doch sie suchen sich hartnäckig immer wieder den Weg vor seine Augen.

„Ihr? Vampire?“

Er nickt schwach, schaut entschuldigend zu mir.

„Wir können eben auch überraschen.“ Ich drehe meinen Körper ganz zu ihm, gehe langsam auf ihn zu. „Hast du keine Angst mehr?“ Nicht einmal wendet er den Kopf ab, schüttelt diesen langsam. „Das freut mich... ich möchte nicht das du Angst vor mir hast.“

„Warum... warum beißt du mich nicht?“, fragt er nach einer kurzen Stille. Legt dabei ganz leicht den Kopf zur Seite. Ich weiß nicht, ob er merkte, dass er mir so seine Halsschlagader präsentierte, ich das Blut in seinen Adern pochen sehen konnte.

„Ich möchte es nicht.“ Natürlich gibt er sich damit nicht zufrieden. Die starren Augen bohren sich immer tiefer in mich. Bis jetzt dachte ich, so etwas können nur Vampire...

„Warum? Weil du einen Menschen brauchst, der auf Sarah aufpasst?“

„Nein. Weil ich den Menschen für mich brauche...“, gebe ich leise zurück. So ein dummer Satz. Dabei ist in ihm so viel Wahrheit... „Ich möchte dir nicht die Qualen bereiten, die ich seit Jahrhunderten erleide.“ Das scheint ihn tatsächlich zufrieden zustellen. Denn er lächelt plötzlich, beugt sich ein Stück nach oben und haucht mir einen Kuss auf die kalten Lippen. Ich reiße mich zusammen, damit ich ihn nicht packe und fest umklammere. Also mache ich nichts, stehe nur da, genieße den Augenblick.

„Das hat sich schön angehört.“ Jay geht ein paar Schritte zurück, legt den Kopf wieder leicht schief, nur lächelt er dabei lieb.

„Ich hatte auch viel Zeit um richtiges Reden zu lernen.“ Er lacht kurz (was mir übrigens sehr gefällt), dreht sich dann zur Seite und läuft ein Stück voraus.

„Heute ist die Nacht besonders schön, nicht?“, fragt er, sieht dabei unentwegt in den Himmel.

„Ja.“ Ich hole ihn wieder ein, gehe gemütlich neben ihm her, den Blick ebenfalls nach oben gerichtet.

„Darf ich dich was fragen?“ Ich reiße mich von der Dunkelheit über mir los, schaue zu ihm, der mich fragend ansieht.

„Natürlich.“

„Wo wohnst du eigentlich? Doch sicher nicht in einem Apartment.“

Ich lache kurz. „Wäre schön wenn. Nein, ich lebe auf dem Friedhof hier in der Nähe... Da ich auf Sarah aufpassen muss, muss ich in der Nähe bleiben. Und hier gibt es leider keine großen, leeren Herrenhäuser.“

„Und... wenn ich dann auf Sarah aufpasse, könntest du dann nicht etwas größeres suchen?“

„Aber nein, ich bleibe immer in Sarahs Nähe.“

„Warum eigentlich?“ Sehr neugierig...

„Ich wurde von einem alten Freund darum gebeten.“

„Ihr Großvater?“

„Um genau zu sein ein ihr Urururururgroßvater. Ja, und wir sind heute sehr neugierig, hm?“ Ich muss lächeln, denn er sieht errötend zur Seite.

„Entschuldigung...“, fügt er leise hinzu.

„Ach, ist schon gut.“

Wieder kam eine Stille zwischen uns auf, die allerdings nicht gebrochen wurde. Ich merke nicht das wir bereits am Friedhofstor angelangt waren, doch er hielt mich plötzlich am Arm zurück.

„Oh.“, gab ich nur von mir.

„Ich möchte ja nicht weiter stören.“ Jay lächelt mich lieb an.

„Aber das tust du doch gar nicht.“ Unschlüssig sah ich zu ihm, er erwiderte den Blick, blieb starr auf der Stelle stehen, als würde er auf etwas warten. Langsam beuge ich mich nach unten, er weicht nicht aus.

„Eyyyyy!!!!“ Sofort reiße ich den Kopf wieder hoch, Jay weicht verängstigt ein paar Schritte zurück. Ich sehe wie Rayne verärgert auf mich zugestapft kommt. „Du weißt schon, dass du heute dran bist??“, meckert sie beim laufen. Ihr Blick fällt auf Jay. Und schon lächelt sie wieder. „Oh, du hast ja doch was mitgebracht...“ Sie kichert böse, schleicht um mich herum, in Richtung Jay. Wütend faucht sie auf, als ich ihren Nacken packe und sie zurück ziehe. „Was soll das denn??“

„Rayne, lass ihn in Ruhe, er ist nicht zum Essen da.“, knurre ich. Der Junge gehört mir!

„Essen tu ich ihn doch eh nicht!“, keift sie zurück, reißt sich dabei los.

„Du weißt was ich meine!!!“ Wir stehen uns gegenüber, achten nicht auf Jay, der verängstigt von Rayne zu mir und zurück sieht.

„Ich gehe besser...“, flüstert er, geht wieder ein Stück nach hinten.

„Ach, ist ja gut! Bloß weil du in ihn verknallt bist, musst du nicht gleich so ausflippen!“, knurrt sie, wendet sich Mantelwehend um und stapft zurück in das Häuschen. Spätestens jetz weiß ich wieder wer da hinter mir steht. Bzw. hinter mir stand. Denn als ich mich umdrehe, ist Jay weg. Oh nein... warum muss sie auch immer so eine große Klappe haben??

Ich renne wieder aus den Toren, sehe ich mich suchend nach dem Jungen um. Bitte, er darf jetzt nicht sauer auf mich sein... Es dauert meiner Meinung nach mal wieder viel zu lange, bis ich Jay wieder finde. Doch ich bin froh, das ich ihn überhaupt entdeckt habe.

„Jay...“, beginne ich leise. Gehe langsam auf ihn zu.

Er dreht sich zu mir um, schaut mich mit einem undefinierbaren Blick an.

„Stimmt das?“, fragt er knapp, legt den Kopf wieder auf diese niedliche Weise schief.

„Ich fürchte ja.“ Stocksteif stand ich vor ihm, hatte keine Ahnung wie ich mich benehmen sollte und starrte ihn nur an.

„Es ist spät... ich muss langsam zurück, sonst drehen die im Wohnheim noch am Rad.“, sagt er, lächelt süß, „Gute Nacht.“ Jay beugt sich zu mir, haucht einen sanften Kuss auf meine Lippen.

„Bonsoir...“ Lächelnd drehte er sich weg, lief über den leicht vermoderten Weg.

„Jay?“ ich folge ihm nur langsam, in gehörigem Abstand, auch wenn ich innerlich teils vor Ungewissheit sterbe und andererseits Luftsprünge mache. Schließlich hat er mit keinem Wort gesagt, dass er keine Gefühle für mich hat...

„Ja?“ Fragend wendet er sich wieder zu mir um.

„Ah, jetzt da Rayne dich kennt, könntest du mich doch mal besuchen... oder so...“ Erwartungsvoll sehe ich ihn an, er scheint zu überlegen, da er den Kopf leicht senkt, den Boden mustert.

„Gerne.“, gibt er schließlich zurück, „Aber heute nicht... Ich bin müde.“ Er geht daraufhin weiter, bis er irgendwann aus meinem Blickfeld verschwindet.

„Da hast du dir aber einen Süßen ausgesucht.“, ertönt es anerkennend hinter mir.

„Gut erfasst ICH habe ihn MIR ausgesucht.“, setze ich hinzu, drehe mich misstrauisch zu ihr um.

„Ach, komm. Wie viele Typen hab ich dir bis jetzt ausgespannt, he?“ Sie grinst, klopft mir freundschaftlich auf die Schulter.

„Hm....“

„Hey~.“ Damit zieht sie mich in ihre Arme, zerrt mich zurück in Richtung unserer Gruft. „Ich bin ganz lieb, ich versprech’s!“ Kalte Lippen drücken sich auf meine Wange, bringen mich wohl oder übel zum Lächeln.

„Weiß ich doch. Da fällt mir ein... Ich muss doch noch Abendessen besorgen...“ Sofort lässt sie mich wieder los. Natürlich, beim Essen versteht sie keinen Spaß.

„Na dann weißt du ja, was du zu tun hast!“ Schwungvoll wie immer dreht sie sich weg, geht zurück in die Gruft.

So ist sie eben. Ein wenig wie eine Gräfin. Wobei ich von uns beiden eigentlich der Graf bin...

Schulterzuckend wende ich mich dem Friedhofstor, welches noch in einiger Entfernung liegt zu, schreite langsam, die Hände auf dem Rücken verschränkt, au dieses zu. Ich versinke beim gehen immer mehr in meine Gedanken, den Blick dabei starr auf den Boden vor meinen Füßen gerichtet. Kalter Wind umspielt mein Haar, weht es beharrlich nach vorne, worauf die langen Strähnen vor meinem Gesicht tanzen. Jetzt wäre ich gerne für wenigstens einen Tag ein Mensch. Am liebsten für immer. So konnte ich Sarah zu mir nehmen und ihn... Aber es sollte eben nicht sein.

Mein mehr oder weniger selbst erwählter Weg führt mich tiefer in London. Sie war obwohl der späten Zeit noch hell erleuchtet, von Reklametafeln, Licht fiel aus den Schaufenstern auf den Boden, drang von überall her auf die Straßen. Nicht mal die schönen alten Laternen des vorigen Jahrhunderts hatten sie gelassen. Ich vermisse diese Zeit. Erst als mich irgendetwas, oder eher irgendwer am Arm nimmt, mich leicht mit sich zieht, schiebe ich meine Gedanken beiseite, schaue zu dem Unbekannten. Der sich als ein leichtes Mädchen, wenn ich es so ausdrücken darf, herausstellt. Sie schenkt mir ein bezauberndes Lächeln.

„Guten Abend, der Herr.“ Sie macht einen höflichen Knicks. Scheinbar denkt sie ich bevorzuge die alte Sprechweise von damals.

„Guten Abend.“, erwidere ich, verbeuge mich leicht, hebe dabei meinen Arm in ihre Richtung, damit sie sich einhaken kann. Sie kommt mir nicht mehr so `leicht` vor wie gerade. Denn eigentlich ist sie nur etwas aufreizend gekleidet, enges Corsage, gekürzter, an den Seiten aufgeschnittener Rock, Stiefel und sonst unbekleidet. Mir gefällt es, dann die dominierende Farbe ist schwarz. Zwar lenkt sie nicht wirklich erfolgreich von einem, gewissen Jungen ab, aber zum, Abendmahl würde sie allemal reichen.

„So spät noch unterwegs?“, frage ich, als sie ihren schmalen Arm zwischen meinen und meiner Brust hindurch schiebt.

„Ja. Ich bin ein Nachtvogel, des Tags nicht zu gebrauchen.“, gibt sie lächelnd zurück. Das lässt mich stutzen.

„Roman Polanski, soso.“ Ich nicke leicht, sehe wieder zu ihr. Ein seltsames Glimmen erscheint in ihren Augen. Meine Ahnung bestärkt sich. „Ich schätze, du wirst mir nicht viel als Abendmahl bringen. Eher als Gast, wenn ich richtig sehe?“, füge ich hinzu.

Plötzlich strahlt sie mich noch mehr an. Nickt und zeigt mir mit einem lieben Lächeln ihre spitzen Eckzähne. Es überrascht mich, einfach so eines Nachts auf einen Vampir zu treffen.

„Ja, mein Herr. Das denke ich auch.“

„So. Meine `Gastgeberin` hat sicher nichts dagegen, wenn ich einen weiteren Gast mitnehme.“

„Das wäre aber nett von ihnen.“ Ich weiß nicht warum, aber ich mag sie. Sie ist, was ich bis jetzt sagen kann, nicht so vorlaut wie Rayne, auch nicht so herrisch.

„Solch jungen Damen wie euch tue ich doch gerne einen Gefallen. Darf ich den Jahrgang der Dame erfahren? Und den Namen?“

„Aber gern. 13.05.1898, Eleonore Drăculea.“ Sie kicherte auf meinen überraschten Blick. „Tochter von Mina und Vlad Drăculea.“, fügte sie hinzu.

„Ach?“ Die Beiden hatten also eine Tochter... Aber wie kam sie, noch dazu allein, hierher? Eine gewisse Person würde sich sicher nicht darüber freuen. Ein vorwurfsvoller Blick ihrerseits riss mich aus den Gedanken. „Verzeiht, 28.10. 1743, Alexej de Lioncourt.“

„Oh, alter Adel.“, stellt sie fest, „Und viel älter als ich.“

„Nun ja. Sind eure Eltern denn auch hier in London?“ Wir setzen unseren Weg fort, noch immer eingehakt.

„Aber nein. Sie reisen, aber ich war es Leid, so setzte ich mich in der nächstbesten Stadt ab. Und nun bin ich hier.“

„So ist das.“

„Wollten sie nicht etwas für den Abend besorgen?“, fragt sie plötzlich.

„Oh, aber natürlich.“

Es dauerte nicht einmal mehr sonderlich lang, bis ich etwas passendes fand. Zwei hübsche Mädchen, die wohl auch bei Rayne anklang finden würden. Die Vorstellung der Beiden verlief auch besser als erwartet. Zwar zuckte Rayne merklich zusammen, als Eleonore erwähnte, dass sie die Tochter Vlads war, schien sie aber ansonsten lieb zu gewinnen. Die Jüngere begeisterte sich ebenfalls schnell für ihre neue Freundin. Ich hoffe nur, dass sie nicht denselben herrischen Ton bekommt... Denn zwei solcher Frauen in einer Gruft, da wäre ich geliefert.
 

„Vlad und Mina heirateten und lebten glücklich bis das ihre Ewigkeiten ein Ende findet. Und wie ich aus verlässlicher Quelle weiß haben sie eine Tochter.“ Damit hören meine Finger auf über den Einband des Buches Dracula herumzutippeln, lächelnd sehe ich Sarah an.

„Das ist ein schönes Märchen.“, stimmt sie mir zustimmend nickend hinzu, „Aber du hast es erfunden.“

„Was? Wie kommst du darauf, ma Chère? Es ist zugegeben kein Märchen, aber es ist wahr.“, gebe ich gespielt beleidigt zurück.

„Oh, wirklich?“, hakt sie weiter nach.

„Ja, ich kann dir ihre liebliche Tochter gerne mal vorstellen.“

„Wirklich?“, fragt sie erneut, nur begeisterter.

„Aber ja.“ Ich lache, streichle über ihre dunklen Haare. Ein unterdrücktes Grummeln ließ mich den Kopf drehen. Jay liegt in einiger Entfernung auf dem Sessel, kuschelt sich in eine Decke und schläft tief und fest. Ein einfach niedlicher Anblick. Er ist zu süß... Unmengen schwarzer bzw. roter Strähnen hängen in seinem Gesicht, bedecken es an manchen Stellen vollkommen. Und er trägt wieder diesen gestreiften, ihm viel zu großen Pulli.

„Warum schaust du ihn so an?“ Ich zucke zusammen, sehe schnell von ihm weg.

„Naja... ich... mag ihn.“, gebe ich zögernd zurück.

„Wie sehr?“, bohrt sie weiter.

„Sehr.“

„Hast du ihn so sehr lieb, wie Mummies die Daddys lieb haben?“ Ich kann nicht verhindern, dass meine Wangen ungewohnt heiß werden.

„Ahm, ja...“ Errötend senke ich den Kopf.

„Dann werdet ihr auch heiraten?“ Okay, jetzt schießt mir wirklich extrem das restliche Blut aus meinen Adern in meinen Kopf.

„Das denke ich eher nicht.“, gebe ich nach einer langen Pause leise zu.

„Wieso nicht?“

„Könntest du bitte aufhören so viel zu fragen? Das ist mir... also das ist privat.“ Möglichst streng sehe ich auf, sie nickt brav, krabbelt aus dem Bett und legt sich auf meine Beine, da ich dieses Mal ganz auf der etwas harten Matratze sitze.

„Er hat gesagt, das er dich auch sehr doll lieb hat.“, fügt sie noch hinzu, bevor sie ihre Augen schließt und scheinbar versucht einzuschlafen. Abwesend streichle ich weiter durch ihre langen Haare. Sie ist ihm so unglaublich ähnlich... Und das obwohl Jahrhunderte zwischen ihnen liegen.

„Hast sie echt gern, hm?“ Ich zucke leicht zusammen, als ich diese vertraute (und geliebte) Stimme höre. In letzter Zeit sind meine vampirischen Fähigkeiten wirklich nicht zu gebrauchen...

„Ja...“ Ich schaue unauffällig zu ihm, hoffe das er sich ebenfalls neben mich setzt, oder gar auf meinem Schoß platz nimmt. Aber wie erwartet bleibt mir dieser Wunsch versagt.

„Übrigens kannst du gut Märchen erzählen.“, fügt er noch hinzu, grinst dabei.

„Woher weißt du das, du hast doch geschlafen?“

„Tja, den Anfang habe ich ja noch mitbekommen... woher weißt du das denn? Beobachtest du mich etwa?“ Er rutschte näher zu mir, grinste breiter.

„Nein, sie hat es mir gesagt.“

„Soso.“, sagt er, wobei er fast perfekt meinen Tonfall nachahmt, wenn ich dieses Wort in den Mund nehmen.

„Hast du dich schon um eine Wohnung gekümmert?“, frage ich um abzulenken. Denn wieder nähert er sich mir.

„Oh, nein... ich wusste nicht ob du es wirklich ernst meinst.“ Er stoppt, als er bei mir ankommt, setzt sich in den Schneidersitz.

„Natürlich meine ich es ernst. Hast du eine Zeitung hier?“ Er nickt schnell, schiebt sich wieder aus dem Bett und verschwindet kurz darauf aus dem Zimmer. Etwas verwirrt sehe ich ihm nach. Doch keine Fünf Minuten taucht er wieder auf, in den Händen die Tageszeitung, wie ich feststelle, nachdem er sie mir übergeben hat.

„Willst du nicht selbst nach einer suchen?“ Ich schlage sie auf, suche die Anzeigen und überfliege ein paar.

„Na ja... ich will mit meiner Wahl nicht unverschämt sein.“

„Mein lieber Jay, ich bin, oder eher war, ein Graf. Es mag sein, dass die Grafschaft nicht mehr existiert, aber Geld habe ich dennoch, mach dir da mal keine Sorgen.“ Damit reiche ich sie ihm wieder.

„Danke...“, gibt er kleinlaut zurück, nimmt sie und blättert ebenfalls in ihr herum. Eine Weile liest er schweigend, bis er den Kopf hebt, mir eine bestimmte Anzeige zeigt. „Das hört sich gut an.“ Wieder überfliege ich sie nur. Es ist eine kleine Zweizimmerwohnung, ganz in der Nähe des Stadtrandes, also kann ich weiterhin Sarah besuchen. Und sie ist nicht teuer. Ich nicke bestätigend.

„Ja, klingt gut.“

„Ein Problem wäre da aber noch...“ Fragend sehe ich ihn an. Bis es mir selbst einfällt. Sarah...

„Ich bin minderjährig... ich denke sie werden mir Sarah nicht einfach so geben.“

„Darum kümmere ich mich.“ Ich lege meine Hand auf seine. Er zuckt kurz wegen der Kälte, sieht zu mir mit seinen wunderbaren braunen Augen.

„Und wie?“ Ich weiß nicht ob er merkt, dass er sich langsam zu mir beugt.

„Lass das meine Sorge sein, bestell bitte einen Termin von dem mit der Anzeige. Aber erst gegen Abend damit ich die Wohnung bezahlen kann.“ Unbeirrt nähert er sich weiter. Solang bis er nur noch schwach nickt, die Augen schließt und mich sanft küsst. Oder war ich es, der sich plötzlich an seine Lippen gehängt hatte? Es war egal, jetzt gab es wichtigeres. Immer darauf bedacht Sarah nicht aufzuwecken legte ich mich nach hinten, zog Jay dabei mit mir. Mein Arm strich nach unten, zu seinem Becken, streichelte leicht über dieses. Auf meinem Schoß regte sich etwas, was mich fast unhörbar aufseufzen ließ. Doch auch wenn ich es nicht wollte, schob ich Jay vorsichtig von mir herunter. Mit müden Augen schaut Sarah erst den Jungen, dann mich an.

„Was macht ihr?“, fragt sie leise, gähnt dabei.

„Nichts, mein Herz.“, murmle ich, lächle aber gezwungenermaßen, „Schlaf jetzt.“ Damit strich ich ihr noch mal über den Kopf. Rutsche dann aus dem Bett, wobei ich Jay mit mir ziehe. Wieder stehend decke ich die Kleine zu. „Bis morgen.“ Wie in der letzten Nacht gab ich ihr einen sanften Kuss, vielleicht wird das ja doch zur Gewohnheit. „Und wenn du ganz lieb bist, nehmen wir dich bald mit.“

„Das ist schön...“, murmelt sie noch, bevor sie auch schon wieder einschlief.

„Wenn ich fragen darf... wie willst du das machen, mit der Adoption?“, flüstert Jay leise, wartet bis ich zu ihm gehe, da er wieder in dem Sessel Platz genommen hatte.

„Ganz einfach, ich werde sie adoptieren.“ Ich setze mich auf die Lehne des Sessels.

„Wie?“

„Ich mache nachher einen Termin aus. Sie werden, denke ich, nichts finden, dass sie daran hindern sollte mir Sarah nicht zu überlassen. Ich könnte Rayne als meine Frau ausgeben.“ Jay nickt zustimmend.

„Und dann bekomme ich sie?“

„Sie und eine Wohnung. Kann ich mich dann auch auf dich verlassen?“, füge ich hinzu, sehe ihn ernst an.

„Ja, kannst du.“ Wieder ein Nicken.

„Gut. Ich gehe jetzt und komme dann wieder. Einen Termin ausmachen.“ Damit stehe ich wieder auf, streiche meine Sachen glatt. Sofort springt er auf, läuft mir ein Stück bis zum Fenster nach. Ich öffne es, lehne mich gegen das Fensterbrett. Warte auf etwas bestimmtes. Das auch kurz darauf eintrifft, denn er küsst mich zum Abschied. Ich erwidere, lächele ihn freundlich an, als er sich wieder von mir löst.

„Bis morgen.“, flüstert er. Sieht mir zum ersten Mal dabei zu, wie ich aus dem Fenster steige, mich nach unten gleiten lasse und unten schließlich zum stehen komme. Noch einen Blick werfe ich nach oben, bevor ich mich mit einer Verbeugung abwende, nach vorne zum regulären Eingang gehe. Mein Klopfen hallt laut in der Eingangshalle wieder. Es dauert etwas bis die Tür geöffnet wird, eine Frau sieht mich misstrauisch an. Nun ja, kurz vor Zehn ist schon etwas spät...

„Was wünschen sie?“, fragt sie mit einer ungewöhnlich hohen Stimme. Am liebsten hätte ich mir stöhnend die Hände auf die Ohren gepresst.

„Bitte entschuldigen sie diese Störung zu so später Stunde.“ Ich verbeuge mich tief, greife nach der Hand der Frau und hauche, so wie es damals zur guten Erziehung gehört hatte, einen Kuss auf den Rücken. Sie erschrickt, da meine Lippen, sowie Finger kalt sind. „Doch meine liebe Frau bat mich sie aufzusuchen.“

„Oh, kommen sie doch erst mal rein...“, flüstert sie leise, zieht sofort die Tür weiter auf und lässt mich eintreten. Das ist zwar leichtsinnig ihrerseits, aber warum sonst haben wir Vampire diese gewisse fesselnde Ausstrahlung?

„Ich danke ihnen.“, füge ich freundlich hinzu. Als ich eintrete sehe ich Jay schon auf der Treppe stehen. Er lächelt zaghaft. Schweigend folge ich der Dame vor mir zu einer Sitzecke. Sie bedeutet mir mich zu setzen, doch ich bleibe stehen, bitte erst sie mit einer höflichen Geste dazu sich niederzulassen. Es zeigt Wirkung, sie legt ein freundliches Lächeln auf, bevor sie der Aufforderung nachkommt. Dann setze auch ich mich.

„Also, was führt sie hierher?“, beginnt sie schließlich, faltet die Hände auf dem Schoß.

„Ich, also eher meine Frau und ich möchten ein Kind. Aber leider können wir aus bestimmten Gründen keine eigenen Erwarten... ich wollte jetzt auch erst mal einen Termin vereinbaren. Wir sind gerade erst hergezogen, sie wird froh sein, wenn ich wieder bei ihr bin.“ Die ganze Zeit über Lächle ich professionell.

„Ah, wenn das so ist... machen wir es natürlich anders. Wann wünschen sie denn einen Termin?“ Ob sie es bemerkt, dass ich nur aus dem Willen, Sarah zu bekommen so höflich bin? Denn sie verhält sich, als hätte sie selbst ihre Gestik und Mimik auswendig gelernt.

„Morgen Abend, Neun Uhr?“ Sie überlegt kurz, wieder wie gelernt, dann nickt sie.

„Das ginge selbstverständlich.“

„Sehr gut.“ Wieder ein Lächeln. Ich stehe wieder auf, reiche ihr die Hand. Denn langsam bekomme ich zusätzlich auch noch Hunger... Ich nehme ihre Hand, verabschiede mich, wie ich sie begrüßt hatte. „Einen wunderschönen Abend noch.“ Damit drehe ich mich weg, werfe Jay noch ein liebevolles Lächeln zu.

Kaum habe ich das Gebäude verlassen taucht Jay auch schon hinter mir auf.

„Alexej?“ Seine dunklen Augen suchen meine, finden sie und fangen sie sofort ein.

„Ah, ma Chérie. Möchtest du mir Folgen?“ Meine Mundwinkel ziehen sich nach oben, während ich die Hand ausstrecke, sie ihm anbiete.

„Wenn ich darf...“

„Sicher. Ich denke nicht, dass wir die Beiden stören.“ Er nimmt meine Hand, gemeinsam gehen wir in Richtung der Tore.

„Die Beiden?“ Ah, er kannte ja Len noch gar nicht.

„Ja, Rayne und Eleonore, welche neuerdings bei uns lebt.“ Er wirft mir einen verunsicherten Blick zu. „Keine Sorge, an Eleonore darf ich nicht mal in meinen Träumen Hand anlegen.“

„Wieso das?“

„Ah... da musst du Vlad fragen, sollte er vorbeikommen.“ Ich lächle ihn aufmunternd an. Merke dass er den Satz nicht verstanden hat, schüttle den Kopf. „Ist nicht so wichtig.“

„Okay...“

Der Rest des Weges verläuft schweigend. Als wir die Gruft betreten finden wir nichts vor. Rayne und Len sind scheinbar gar nicht da... Worüber ich mich wirklich freue. Dann haben wir mehr Ruhe...

„Es ist staubig und verdreckt, ich weiß. Verzeih...“ Ich hätte daran denken müssen, ein wenig aufzuräumen...

„Ist okay. Ich find das... schön.“ Schön? Nicht einmal ich finde es hier unten besonders berauschend. „Darf ich deinen Sarg sehen?“ Interessiert schaut er zu mir hoch.

„Natürlich.“ Ich nicke. Wieso denn auch nicht? Schlafen wird er bei mir so oder so nicht können...

„Das ist er?“ Wir stehen vor meinem schwarzgestrichenen Eichensarg. Der Deckel ist fest verschlossen, nur die Spitze meiner geliebten Decke lugte aus einem Spalt hervor.

„Ja... das ist er.“

„Kannst du ihn mal aufmachen?“ Ich nicke schweigend. Schiebe langsam den Deckel zur Seite. Neugierig mustert er die weiche dunkelrote Polsterung, zupft fragend an der Decke. „Ist das deine?“

„Ja... die ist... noch von meiner Mutter.“ Ich erschrecke ein wenig über mich selbst. Nicht mal Rayne weiß, weshalb ich diese Decke so liebe...

„Deiner Mutter? Ist sie dann nicht schon sehr alt?“ Er strich mit der Decke über sein Gesicht.

„Sie ist alt, aber wenn man... sie liebt achtet man eben mehr auf so was. So wie ich jetzt darauf achte, dass du nicht kaputt gehst.“ Überrascht über diese Wendung dreht er sich zu mir um, die Spitze der Decke noch in der Hand.

„Das... klingt schön.“, sagt er leise.

Ich nicke nur schweigend, gehe auf ihn zu. Es geschah irgendwie ganz automatisch, dass er seine Arme um meinen Hals legte, ich meine um seine Hüfte, bevor wir uns küssten.

„Ich liebe dich...“, flüstere ich leise in sein Ohr, nachdem wir uns wieder getrennt hatten. Es verunsichert mich, dass er sich versteift und schweigt. Doch ich sage nichts.

„Bringst du mich nach Hause?“, fragt er leise, sieht mich bittend an.

„Natürlich, wenn du mich hinbringst.“ Ich nicke langsam, führe ihn stumm aus der Gruft, sowie aus dem Friedhof. So sehr wie er mich vorhin verletzte, umso glücklicher stimmte mich diese indirekte Entschuldigung von ihm. Denn er wusste, ich konnte problemlos in jedes Haus eindringen. Auch in seines, versteht sich, es sei denn ein Knoblauchverrückter Vampirjäger wohnt in diesem.

Wir laufen schweigend nebeneinander her. Wieder wünsche ich mir Mensch zu sein. Wie sehr schwärmen sie doch von diesen wunderschönen Sonnenaufgängen. Ich möchte einen mit ihm ansehen...Aber es geht nicht.

„Wir sind da.“ Aus meinen Gedanken gerissen sehe ich auf, erblicke das riesige Gebäude vor mir.

„Welches ist dein Zimmer?“

„Ein Rätsel.“ Er lächelt mich auffordernd an.

„Ich finde dich, egal wo.“, gebe ich gespielt ernst zurück. Er lacht darauf.

„Ich wohne drüben im Neubau. Zweiter Stock, das Zimmer mit den dunkelroten Vorhängen.“ Damit gibt er mir noch einen letzten Kuss, bevor er sich abwendet. „Gute Nacht.“ Noch ein Lächeln, dann lief er die Treppe hoch, in die Eingangshalle.

„Ich hätte dich auch so gefunden...“, flüstere ich noch, warte bis er aus meiner Sicht verschwindet, bevor ich mich umdrehe und zurück gehe. Was für komische Wendungen das Leben doch für einen bereit hält. Doch jetzt ist mir nicht danach, mehr darüber nachzudenken. Momentan ist es an der Zeit über ihn nachzudenken. Und wann ich Zeit finde ihn mal zu besuchen.
 

Als ich wieder dir Gruft betrete bemerke ich das Rayne und Len wieder da sind. Sie sitzen an unserem veralteten Holztisch, auf diesem stehen Blutkaraffen verteilt, sowie Weingläser. Zwei der Drei sind bereits gefüllt.

„Guten Abend die Damen.“ Damit gehe ich auf sie zu, setze mich elegant auf den letzten leeren Stuhl und lasse mir von Rayne ein Glas füllen.

„Guten Abend der Herr.“, erwidern beide fast wie aus einem Mund.

„Ach, meine Schöne, morgen haben wir einen Termin.“ Ich nehme einen großzügigen Schluck.

„Termin?“, fragt Rayne, die sich sofort angesprochen fühlt.

„Ja, denn morgen bekommen wir eine Tochter.“
 

»Ma Chérie – End<<

Ma Chérie Part II

Kapitel 1: Ma Chérie

»Kapitel 2: Ma Chérie «

Kapitel 3: Je t’aime

Kapitel 4: ♥ ~ Princess Vampire
 

Genre: Horror, Vampire, Romantik, Shonen- ai

Hintergrund: Dir en grey, Tanz der Vampire; Schandmaul; Kagerou
 

~
 

„Liebling!“ Ein Schmerz aus Richtung Rippengegend durchzuckt mich, worauf ich den Kopf von einem gewissen Jungen wegreiße und zu meiner Frau sehe. Also Rayne, um es kurz zu machen. „Schatz, würdest du mir bitte Antworten wenn ich dir eine Frage stelle?“ Sie unterdrückt gezwungen den Knurrenden Ton in ihrer Stimme. Ich bin überrascht, wie sehr sie sich zusammenreißt um mir zu helfen. Ich schulde ihr definitiv noch einen Gefallen.

„Oh, bitte entschuldige, mein Herz. Du weißt, heute geht es mir nicht besonders.“ Ich huste gespielt. Mein Blick huscht langsam wieder zu Jay. Er sitzt in einem Sessel an der gegenüberliegenden Wand, ein Bein über das andere geschlagen, sieht mich freundlich lächelnd an. Und wie er mich ansieht... Ich könnte vergehen bei diesem Blick.

„Schatz!“ Oh, jetzt wird sie langsam sauer... Ich huste noch mal, schaue entschuldigend die Erzieherin, oder Leiterin, wie auch immer, an. Und so wie die mich mustert, weiß ich schon, dass mir zugesagt wird. Scheinbar gefalle ich ihr...

„Um ehrlich zu sein sehe ich keinen Grund, weshalb man ihnen kein Kind anvertrauen könnte. Ich denke wir sollten das aussuchen auf später verlegen, sicher werden sie gerne eine kleine Pause nehmen.“, sagt die Frau, lächelt mich die ganze Zeit über freundlich (oder lüstern?) an.

„Das wäre perfekt.“, antworte ich dieses mal, „ich habe nämlich noch einen Termin...“

Keine Fünf Minuten später ist alles schriftliche erledigt, wir haben uns verabschiedet und stehen vor dem Tor.

„Ich danke dir, Liebes.“ Rayne wirft mir nur einen genervten Blick zu.

„Dafür krieg ich noch was von dir.“, murrt sie, „Ach und was für einen Termin eigentlich?“

„Ich kaufe heute die Wohnung für Jay.“ Ich drehe mich noch mal zu dem Haus um, besagter Junge ist noch drinnen. Natürlich, er hat mir ja versprochen Sarah aufzuklären, und ihr zu sagen, dass, wenn ich heute überhaupt komme, ich dies erst spät tun werde. Und es ist ausgemacht, das er zu seinem neuem Haus kommt, dort auf mich wartet. Ich hoffe nur, er bekommt die Kündigung seiner Studentenwohnung allein hin. Ich mache mir dadurch, dass ich nur Nachts hier verkehren kann sowieso Unmengen an Stress. Aber was muss das muss eben. Und außerdem habe ich ihn dann noch näher bei mir...

„Du kaufst ihm eine Wohnung? Wo denn?“

„Das wüsstest du wohl gerne.“ Ich schlendere langsam den Weg entlang, brauch gar nicht auf Rayne zu warten, denn neugierig wie sie ist, steht sie auch schon wieder neben mir.

„Sag schon!“, bohrt sie weiter.

„Na, Sarah kann ja wohl nicht bei uns leben, oder? Deshalb zieht er um, und nimmt sie mit.“ Wie gesagt, einen Gefallen schulde ich ihr sowieso... auch wenn sie es mit einer Antwort was das angeht nicht belassen wird.

„Ah ja.“, gibt sie nickend zurück. Stille. Ich bin wirklich überrascht. Sie diskutiert nicht darüber, wie rüpelhaft ich mich doch benehme.

„Ich bin müde.“, sage ich eher zu mir, als zu Rayne.

„Musst du da noch hin?“ Zarte Finger legen sich um meine Hand, drücken diese leicht.

„Ja...“

Sie sieht bedauernd zu mir hoch. Zu diesem Zeitpunkt verstehe ich ihr benehmen noch nicht. Wobei, ich wollte ihn gar nicht richtig verstehen, lieber war ich in Gedanken bei ihm.

„Okay. Wir sehen uns dann, ja?“ Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange, schenkt mir ein liebes Lächeln.

„Ja.“ Ich nicke langsam. „Bis nachher...“
 

Ich fröstele etwas. Obwohl ich die Kälte nicht fühle. Seit knapp einer halben Stunde warte ich bereits auf den Jungen, dass ich viel zu früh dran bin, ist mir vollkommen klar, trotzdem bin ich ungeduldig. Scharre mit dem Stiefel auf dem Boden herum, male verschiedene Bildchen in die Erde des angrenzenden Gartens. Er ist hübsch, nur leider kümmert sich niemand darum. Mein Blick fällt auf die kleine, fast verblühte Rose, welche einsam in dem dunklen Boden vor sich hinwelkte.

„Alexej?“, ertönt eine leise, helle Stimme in meiner Nähe. Ich wende den Blick von der Pflanze, um etwas noch schöneres zu betrachten.

„Ah, da bist du ja.“ Sofort legt sich ein zufriedenes Lächeln auf meine Lippen.

„Guten Abend. Wann kommt der Vermieter?“ Er erwidert den Blick ebenfalls lächelnd.

„In... knapp 15 Minuten.“, gebe ich enttäuscht zurück, schaue ihn mit bettelndem Blick an. Ich wollte einen Kuss, seine Lippen spüren, aber er scheint das Talent zu haben, mein flehen zu übersehen. Oder zu ignorieren.

„Ah, schau mal, ist er das?“, fragt er plötzlich, sieht dabei zur Seite.

Ein leises grummeln meinerseits ist wohl ein Ja für ihn, denn er nickt nur zustimmend.

„Guten Abend, die Herren.“, sagt der Vermieter, mustert mich erst mal, wenigstens einer bemerkt meinen schmollenden Blick, dann den Jungen.

„Nein, ich bin kein Kinderschänder oder sonst was!“, keife ich mies gelaunt, als er wieder zu mir sieht, mit einem vielsagenden Blick. Beide erschrecken, zucken zurück. Aber natürlich kommt es schlimmer. Ich weiß nicht warum, aber als wir die Wohnung besichtigten fing der Kerl doch tatsächlich an mit Jay zu flirten. Auch wenn der es nicht wirklich mitbekommt. Trotzdem bin ich rasend vor Eifersucht, hätte den Typ am liebsten rausgeschmissen. Doch stattdessen tapse ich ihnen schweigend hinterher, sehne das baldige Ende dieser Tour herbei und grummele öfters leise. Nach einer weiteren Ewigkeit trifft es endliche ein. Das letzte Gespräch wird geführt, dann drücke ich dem Kerl einen Scheck in die Hand, warte bis er endlich geht.

„Kann es sein, das du heute schlecht gelaunt bist?“, fragt Jay, sobald der Typ verschwunden ist, ihm den Schlüssel in die Hand gedrückt hatte. Seine dunklen Augen fingen mich ein, hielten mich unbarmherzig fest, bis er eine Antwort bekam, die ihm genügte.

„Und wenn?“ Wie sie sich immer wieder in mich bohrten... Als wäre er der Vampir, nicht ich.

„Danke. Für alles. Sarah kommt dann morgen oder? Ich habe den Umzug selbst geplant und alles. Damit du dir nicht so viel Mühe machen musst.“ Ach red nicht. Ich will keine Entschuldigung, ich will das er sich wieder zu mir beugt, sowie gestern. Warum tat er es nicht? Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, er hat doch nicht etwa einen, oder gar eine Andere?

Und plötzlich legt sich ein Grinsen auf seine Lippen.

„Bist du etwa eifersüchtig auf einen Wildfremden, nur weil er mich angegraben hat?“ Er kichert leise. „Entschuldige, aber du hast doch wohl gemerkt, dass ich nicht darauf reagiert habe. Also warum?“

„Stört es dich, das ich dir gestern persönlich sagte, dass ich dich liebe?“ Er erschrickt leicht auf die Frage hin, denn sein Bann verfällt, unsicher sieht er mich an. Aber das ist das plausibelste, dass mir dazu einfällt.

„Es... war seltsam, das zu hören.“, gibt er leise zurück. Also doch...

„Dann vergiss es! Hauptsache Sarah ist in guten Händen.“ Ich wende mich ab. Verletzt, wie ich mir eingestehen muss. Ich weiß, vielleicht rede ich mir auch nur ein ihn so zu mögen, weil ich so lange keinen richtigen Gefährten mehr hatte... Während ich mir das einredete stapfe ich die Treppe nach unten. Er folgt mir eilig. Er kann froh sein, dass ich ihn machen lasse, denn sonst würde er mich keinesfalls einholen können.

„Das war nicht so gemeint!“, ruft er mir hinterher, holt mich keuchend ein.

„Ist schon gut.“, gebe ich ruhig zurück. Ich bekam Hunger. Und das in Verbindung mit meiner gedrückten Stimmung... Mein heutiges Opfer musste sich sicher noch etwas anhören. Oder eher, was durchmachen.

„Bitte, jetzt bleib doch mal stehen!“, drängelt er, greift nach meiner Hand, welche ich geschmeidig aus diesem ziehe.

„Lass mich!“, knurre ich, selbst für meine Verhältnisse sehr böse. Er zuckt erschrocken zusammen. „Ich will jetzt jagen! Es ist alles geklärt!“ Damit wende ich mich endgültig von ihm ab. Er kann mir keine Antwort geben, also will ich nicht weiter reden, da ich sonst nur diskutieren müsste. Dazu habe ich jetzt erst recht keine Lust.

Ich kann selbst jetzt noch spüren, wie er stehen blieb, mich fragend ansah, oder besser gesagt meinen Rücken. Aber ich drehte mich nicht mehr um. Schritt einfach weiter, tiefer hinein in die Nacht. Und das blind, wenn ich das so sagen darf. Denn es dauert nicht lang, da stolpere ich auch schon über etwas, das über dem steinigen Fußgängerweg huschte. Ich konnte mich gerade noch abfangen, bevor ich genau auf dem Pflaster gelandet wäre. Eine kleine Ratte tippelt über meine Finger hinweg, bevor ich meine Hand zurückziehe, um mich wieder zur vollen Größe aufzurichten. Der Nager bleibt zu meiner Überraschung stehen, setzt sich auf seine Hinterpfoten und schaut mit schiefgelegtem Kopf zu mir hoch.

„Was ist?“ Ah, ich rede mit einer Ratte? Ihre Öhrchen zucken nach oben, sie gibt ein leises Piepsen von sich. „Ihr habt wohl auch niemanden, richtig?“ Ich hocke mich vor das Tier, worauf es auf mich zukrabbelt. „Schau an, jetzt haben Vampire nicht nur eine engere Bindung zu Wölfen und Fledermäusen. Nein, nun auch Ratten.“ Ich muss meine Hand gar nicht ganz ausstrecken, da hüpft das Tierchen schon auf deren Rücken, krabbelt über meinen Arm hoch, bis auf meine Schulter. „Nun gut. Dann jagen wir heut Nacht zusammen.“ Meine Finger kraulen über den Nacken der Ratte. „So, und wie ist euer Name?“ Ja, ich sieze Ratten. Wieso auch nicht? Manche sind weit klüger als Menschen. Erneut bekomme ich ein helles Fiepen zur Antwort. „Wie wär’s mit Bram?“ Ich glaube sie nickt, worauf ich es bei diesem Namen belasse.

Etwas ziellos lief ich nun durch die Straßen Londons, mit einer jungen Ratte auf meiner Schulter, welche mit mir zu reden schien, denn wenn ich mit mir selbst rede, also gar nicht an sie gewandt etwas sage, reagiert sie, fiept oder zwickt leicht in mein Ohr. So kommen wir auf das Thema, das mich zur Zeit am meisten interessiert. Jay.

„Glaubst er erwidert im geringsten meine Gefühle?“ Übrigens waren wir mittlerweile beim du angelangt. Aber im ernst, wie paranoid bin ich eigentlich?

Wieder ein fiepen, dann ein sanfter Biss.

„Wirklich?“ Mir wurde die selbe Antwort gegeben. Ein Lächeln schleicht sich zurück auf meine Lippen, ich strich sanft über den Rücken des Tieres.

„Hast du Hunger? Ich schon. Wir finden bestimmt auch was für dich.“ Damit mache ich mich auf den Weg in etwas belebtere Teile der Stadt. Finde auch schnell ein Opfer, ein Junge mit dunklen, lockigen Haaren und braunen Augen.
 

„Schön das du endlich mal auftauchst. Du wirst schon erwartet, mein Freund.“ Ist die vorwurfsvolle Begrüßung, die mir entgegengerufen wird, kaum das ich den Friedhof betrete. Neugierig schlich ich in unsere Gruft, gefolgt von Rayne, die ein viel sagendes Grinsen aufgelegt hatte. Und da, auf unserem Esstisch und neben Eleonore hockt doch tatsächlich mein kleiner Liebling, mit einem sehnsüchtigen Blick, welcher auf mich gerichtet ist. Voll Interesse wurde mir auch gerade Bram von der Schulter gehoben und gestreichelt. Jay rutscht langsam von dem Tisch, geht zögernd auf mich zu.

„Ich wollte nicht das du böse bist...“, sagt er dann leise. Aber da zog ich ihn auch schon in meine Arme, drückte ihn eng an mich.

„Aber ich war doch gar nicht böse!“, antwortete ich ehrlich, klammere mich glücklich an den kleinen Körper in meinen Armen.

„Das ist gut... ich wollte das echt nicht.“ Er drückt mich ein Stück von sich, gibt mir einen Kuss auf die Lippen. Hinter uns ertönte ein lautes „Awwww.“, welches eindeutig von Rayne kommt. Ich überhöre es einfach, kümmere mich lieber um meinen Schatz.

„Du... darf ich... vielleicht diese Nacht hier verbringen? Ich will nicht allein in der neuen Wohnung schlafen...“ Mit seinen fesselnden dunklen Augen sah er mich an, legte den Kopf leicht schief. „Morgen ist ja sowieso Wochenende...“, fügt er noch bittend hinzu.

„Wenn das geht.“, gebe ich nickend zurück. Denn scheinbar haben weder Rayne noch Len ein Problem mit ihm, also warum sollte er nicht bleiben? „Aber es ist sehr dunkel.“

„Ist egal. Ich hab ja keine Angst im Dunkeln, und außerdem bist du ja da.“ Ah, für dieses Lächeln würde ich glatt sterben... Wenn ich das könnte. Er kichert, da er wohl meine Gedanken erkennt. Dann folgt ein weiterer lieber Kuss. „Hast du schon gegessen? Ich würde gerne etwas schlafen. Und vielleicht ein wenig reden...“ Ich nicke nur, lasse mich in die Gruft zu den Särgen ziehen. Werfe Rayne noch einen warnenden Blick zu. Len konnte ich schlecht drohen, wer weiß ob sie es Vlad erzählt und mit dem wollte ich nun wirklich keinen Streit. Denn pfählen tat er noch immer gerne, wenn man den Gerüchten und seiner Tochter glauben durfte.

Schweigend hebe ich den Jungen in meine Schlafstätte, sofort zog er die Decke zu sich, wartet bis ich mich zu ihm lege. Ich bin wirklich froh, einen der alten übergroßen Särge zu besitzen. Denn die kleinen waren wirklich verdammt eng. Als ich neben ihm liege, kuschelt er sich an mich, während ich den Deckel zu ziehe. Er zuckt zusammen, denn scheinbar hätte er nicht damit gerechnet, dass es so finster sein würde. Schließlich konnte nur ich etwas sehen, und davon auch nur Umrisse.

„Hast du Angst?“ Beruhigend streiche ich über seine Wange, die ich selbst in der Dunkelheit finde.

„Nein.“, sagt er nach längerer Pause, wahrscheinlich weil er vorher nur den Kopf geschüttelt hatte, dann aber wieder merkte, das es zu Dunkel war.

Ein Klopfen ertönte, ließ mich aufseufzen, leider zu laut, denn Jay kicherte wieder.

„Ja?“

„Deine Ratte will zu dir.“, gibt Rayne mit einem beleidigten Ton zurück, schiebt grob den Deckel zur Seite, und lässt Bram in den Sarg schlüpfen, „Gute Nacht, der Herr.“ Damit knallt sie den Deckel wieder zu.

„Die Damen gehen heute wahrscheinlich später zu Bett.“, sage ich unbeeindruckt, das Tier krabbelt zutraulich zu mir, zwickt in meinen Finger.

„Die Ratte heißt Bram?“ Ich fühle wie Jays zarte Finger auf der Suche nach dem Kleinen über meinen Körper gleiten. Ein kurzes Fiepen ertönt, dann ein entzückter Laut von Jay. „Die ist ja ganz weich.“, fügt er hinzu, „Wo hast du sie denn her?“

„Gefunden.“

„Aha.“

Meine Finger fuhren durch sein schwarzes Haar, spielten mit einigen der kurzen Strähnen. Wirklich schade, dass ich jetzt seine Augen nicht sehen konnte, wie gerne wäre ich jetzt in ihnen versunken. So tief, das er mich hätte erretten müssen.

„Erzählst du mir was von dir?“, fragt er plötzlich leise, schmiegt sich enger an mich, „Als gute Nacht Geschichte.“ Seine warme Hand fährt langsam über meinen Arm.

„Hm, nach der Hälfte schläfst du ohnehin ein.“, antworte ich ausweichend.

„Bitte...“, flüstert er in mein Ohr, mit einem halb bittenden halb verführerischen Ton.

„Ach, na gut...“, gebe ich geschlagen zurück, streiche weiter über die Wange meines Kleinen. Dann schweige ich.

„Von Anfang an bitte.“, drängelt er, bricht das letzte Stück, welches uns trennt und setzt Bram auf meine Brust, welche halb von meinem angewinkelten Arm verdeckt wird. Noch ein kurzes Seufzen meinerseits, bevor ich mich geschlagen gebe.

„1743 wurde ich in einer Stadt, nahe Paris geboren, als zweiter Sohn der Lioncourt Grafschaft. Mein Vater starb ein paar Jahre nach meiner Geburt, mein Bruder wurde gerade rechtzeitig 18 und übernahm den Namen der Familie. Meine Mutter kümmerte sich während der Zeiten in denen er nicht da war um mich, sie sagte immer, dass sie mich nicht den Dienstmädchen überlassen wolle, ich weiß nicht warum, doch ich mochte es ihr Liebling zu sein. Natürlich bekam er das mit und war alles andere als begeistert. Später erst erfuhr ich, dass meine Mutter nach meiner Geburt keine Kinder mehr bekommen konnte. Sie wurde krank, nachdem ich knapp 13 Jahre alt war. Weitere 2 Jahre vergingen bevor sie starb. Mein Bruder war alles andere als erfreut darüber, als sie mir kurz vor ihrem Tod ihre geliebte Decke schenkte.“ Ich stoppe, betrachte Jay dabei, wie er überrascht die Decke zu sich zieht, dann zu mir hochschaut, auch wenn er gerade mal meine Umrisse erkennen kann. Ein leichter Druck seiner Hand, der mir zeigt, dass ich fortfahren soll.

„Ich war etwas über 22, mein Bruder verabscheute mich, um das, was ich geworden war. Nämlich kein Stammhalter, wie man es gerne gesehen hätte, er besaß eine Frau, hübsch und jung. Allerdings konnte sie keine Kinder gebären. Weshalb ich, oder meine Nachfahren, die Grafschaft übernehmen sollten. Doch er erkannte früh, dass ich mich nicht zu Frauen hingezogen fühlte, er wollte seitdem nichts mehr von mir wissen. Eines Nachts kam der Herr dann, machte mich zu einem dunklen Wesen. Ich weiß noch genau, dass ich ihn abgöttisch liebte, als Lehrer, als Vater und Geliebter.“ Zarte Finger krampfen leicht, als er versteht was mir der Mann bedeutet. Vielleicht fürchtet er das ich ihn jederzeit für ihn verlassen würde. Beruhigend taste ich über die zarte Haut, beküsse seine Wange, bevor ich leise weiter rede. „Mein Bruder versuchte mich zu töten, er behauptete ich wäre vom Teufel besessen. Er verstarb ihm Wahn. Seine Frau leitete die Grafschaft weiter, ich verließ Frankreich, ging mit meinem Erschaffer nach Rumänien. Die junge Dame verstarb einige Jahre später übrigens, ich weiß nicht woher sie wusste, das ich noch lebte, doch sie überschrieb mir das Land und das Vermögen. Und lernte seine Familie kennen. Oder besser gesagt, seinen Bruder. Du kannst mir glauben, wie überrascht und gleichzeitig begeistert ich von der Beziehung der Beiden war. Der eine ein Mensch, der andere ein Monster, wie es die meisten Leute sagten. Und beide liebten sich noch immer wie Brüder. Ich hätte mir gewünscht, dass auch mein Bruder so zu mir gewesen wäre. Lange lebte ich bei ihnen und schließlich...“ Ich stocke, starre schweigend an die schwarze Decke des Deckels über mir. Draußen konnte ich schwache Geräusche vernehmen, Rayne und Eleonore gehen zu Bett. Man hört das klacken, als die Särge geschlossen werden. Er scheint es nicht mitzubekommen, denn er krabbelt auf mich, legt sein Kinn auf meine Brust und flüstert: „Und dann?“

„Und dann verließ er mich. Er war alt, ich weiß nicht warum er mich verließ, vielleicht war er es Leid immer auf mich achten zu müssen, auch wenn ich erwachsen war. Kurz bevor er ging, versprach ich ihm, wobei ich es zu der Zeit noch nicht verstand, den letzten überlebenden seiner Familie zu beschützen. Auf den Letzten zu achten, ihn zu erziehen. Dann verschwand er, ohne jemals wieder zu kommen.“

„Sarah?“, fragte Jay leise, rutschte enger an mich und gähnte verhalten.

„Ja, Sarah. Die letzte lebende Verwandte meines Herrn. Und wie du ja weißt, habe ich mein Versprechen gehalten.“, gebe ich zurück, schweige dann wieder.

„Ist er tot?“

„Ich weiß nicht. Ich hoffe nicht, doch denke ich das es so ist.“

„Hm.“ Ich höre genau den etwas gemurrten Unterton. Ich ziehe ihn näher an mich, drücke ihm mehrere Küsse auf die Wange und den Hals.

„Keine Sorge, ich werde bei dir bleiben.“ Wieder ein paar Küsse. „Erzählst du mir von deinem Leben?“

Der Kleinere schwieg, als überlege er genau, was er sagen sollte.

„Es ist eigentlich nichts passiert.“, gibt er schließlich Schulterzuckend (ich konnte es an meiner Brust spüren) zurück.

„Ach, dann bist du plötzlich da gewesen?“ Ich lache auf, spiele mit ein paar Strähnen des Jungen.

„Ich wurde schon in London geboren, hatte ein langweiliges Leben, meine Eltern sind verstoben und jetzt bin ich eben auf dem Internat, weil ich den Abschluss machen will.“ Er stoppt so abrupt, das es so klingt, als würde er jeden Moment etwas hinzufügen. Doch er schweigt.

„Und was machst du danach?“

„Keine Ahnung, was sollte ich denn machen?“

„Hm. Das solltest du doch wissen. Und insgesamt ist deine Erzählung sehr kurz.“

„Ich bin doch ein Mensch, mein Leben ist eben nicht interessant.“, wird mir wieder als ausweichende Antwort gegeben.

„Du glaubst gar nicht wie interessant es für einen Vampir ist...“, sage ich leise, den Blick auf ihn gerichtet, seine leichte Blässe strahlt förmlich.

„Warum?“ Seine Hand findet auch mein Haar, zupft vorsichtig daran, als fürchte er mich zu verletzen.

„Ich möchte die Sonne wieder sehen, ihre Wärme spüren. Und als Kind mochte ich die Regenbögen, in ihren zahlreichen Farben. Als Vampir kann ich das nicht mehr erleben, nur noch durch das Fernsehen oder ähnlichem.“ Nach und nach wird meine Stimme traurig, bis ich schließlich aufseufze.

„Oh...“ Ich merke, dass er nicht weiß, was er tröstendes sagen soll. Aber was kann man darauf schon erwidern? Das wird schon wieder? Gib die Hoffnung nicht auf? All diese Versprechungen, dieser Trost den die Menschen aussprechen. Etwas das für Vampire noch weniger als ein dummer Spruch ist.

„Ich bin müde.“, flüstert er leise, kuschelt sich enger an mich. Die Decke fest um sich geschlungen, da er wahrscheinlich fror. Kurz darauf vernehme ich nur noch sein leises, regelmäßiges Atmen. Ich selbst konnte nicht schlafen. Ich liege hier, mit einem Menschen an meiner Seite, er in meinem Arm. Jeden Anderen hätte ich spätestens jetzt getötet, denn es kam schon mal vor, das ich ihnen diesen endlosen Schlaf geben wollte, das Gefühl, wie es war einfach einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Nur ihn nicht... Liebte ich ihn denn wirklich? Mehr als ich meinen Meister geliebt hatte? Warum nur muss er wieder meine Gedanken erobern, wo er mich doch alleingelassen hatte. Mittlerweile bin ich mir sogar sicher, dass ich gestorben wäre, würde Rayne nicht bei mir sein. Die Gedanken an ihn schmerzten, wieder entrinnt meinen Lippen ein leises Seufzen, das doch soviel Trauer in sich birgt. Es dauert lang, bis mir endlich vor Erschöpfung die Augen zu vielen und ich in einen nicht sehr tiefen Schlaf viel.
 

Ein leises Poltern ließ mich aufschrecken. Meine Hand tastet sofort nach der geliebten Person, solle sie es tatsächlich sein, neben mir. Doch meine Finger streifen nur den Stoff der Polster. Ich setze mich auf, schiebe den Deckel des Sarges hastig zur Seite und schlüpfe aus diesem. Schlagartig bleibe ich stehen. Die anderen Särge sind noch immer verschlossen, ich fühle mich seltsam ausgezehrt, müde. Es ist noch Tag. Ich kann nicht nach draußen treten und sehen ob der Junge noch hier ist, oder ob er mich wie er verlassen hat. Ich kann nur untätig dastehen, in der Hoffnung er würde gleich wiederkehren. Aber es geschah nichts. Auch das Gepolter ist längst verstummt.

„Jay?“, rufe ich schließlich zur Tür, gehe langsam zu dieser, auch wenn mir bewusst ist, das wenn sie jemand öffnet und die Tore draußen nicht verschlossen sind, ich unweigerlich mit dem grellen Licht in Berührung komme. Trotzdem bleibe ich erst unmittelbar vor der Holztür stehen. Lausche angestrengt nach Schritten, die wie seine Klingen.

„Jay?“ Erneut rufe ich hoffnungsvoll seinen Namen, lauter als zuvor. Und diesmal ertönt etwas auf der anderen Seite der Tür. Die heiß ersehnten Schritte. Schnell weiche ich von der Tür zurück, als diese aufgezogen wird, doch nur blasser Schein von abgehaltener Sonne dringt schwach auf den Boden der Gruft.

„Alexej?“, flüstert der Junge in knapper Entfernung in die Dunkelheit.

„Guten Morgen.“ Ich muss lachen, denn er springt erschrocken zur Seite. „Hast du gut geschlafen? Wie ich sehe, bist du allein aus meinem Gemach entwischt.“ Ich schließe schnell die Tür, drehe mich dann ihm zu und lege sofort einen Arm um dessen schmale Hüfte.

„Oh, ja habe ich danke. Es tut mir Leid, falls ich dich geweckt habe...“ Schüchtern senkt er den Kopf, schaut wieder auf, als ich ihn loslasse.

„Das macht nichts. Aber was hast du da draußen getan?“ Ich entflamme ein Streichholz, zünde nach und nach alle Kerzen in der Gruft an, bis es so hell ist, dass er mich Problemlos erkennen kann.

Ein schwaches Grinsen zeichnet sich plötzlich auf seinem hübschen Gesicht ab. Ah, muss ich wieder wüst aussehen...

„Du schläfst sehr unruhig. Und du redest.“, stellt er ruhig fest, geht mit leisen Schritten zu mir, er hat wohl Angst, das er Rayne und Len aufwecken könnte. Doch Raynes Schlaf war schon immer sehr fest.

„Ich weiß.“, gebe ich knapp zurück. Er wirft mir einen halb fragenden halb ironischen Blick zu.

„Aber du solltest schlafen wie tot.“, fügt er hinzu.

„Ich weiß.“ Er kichert, geht zu mir und schmiegt sich an mich.

„Hast du denn gut geschlafen?“, murmelt er gegen meine Brust.

„Ich habe geträumt.“ Spielerisch fahren meine Finger durch sein Haar. Zupfe an den langen, roten Strähnen.

„Ah, und was?“ Er beugt sich kurz zu mir nach oben, um mir einen Guten Morgen Kuss zu geben.

„Hm, nichts besonderes.“ Ich weiß nicht ob ich es ihm erzählen sollte, aber ich denke nie über meine Träume nach, demnach vergesse ich sie schnell. Wie jetzt. Keine paar Minuten nach meinem Erwachen fühlte ich mich, als hätte ich seit etlichen Jahren keine Träume mehr gehabt.

„Na gut.“ Er nickt schwach.

„Wie spät ist es?“ Ich ziehe ihn mit mir, zu dem großen Sessel, den Rayne vor langer Zeit begeistert angeschleppt hatte. Ich setzte mich auf das weiche Polster, hebe ihn auf meinen Schoß.

„Gegen Vier Uhr.“ Sein Kopf legt sich an meine Halsbeuge, ich spüre seinen Atem an meiner Haut. Kurz darauf fahren seine Fingerkuppen sacht über die nicht von Stoff bedeckten Stellen meines Körpers.

„Das ist viel zu früh...“, grummle ich, lasse meinen Kopf nach hinten sinken, genieße das sanfte Gefühl, dessen Grund seine Finger sind.

„Gehst du heute Nacht zu Sarah?“, fragt er leise, ich zucke zusammen, als seine Lippen zart meine nackte Haut berühren. Was für ein Gefühl, diese weiche Wärme direkt an mir zu spüren...

„Ja... kommst du mit?“ Ich schließe die Augen, lasse mich von seinen sanften und so ungewohnten Küssen verwöhnen.

„Ja. Ich bin doch so was wie sein Vater, oder?“

„Nein, eher ihr Bruder.“ Ich wollte Lachen, doch ich vergesse es, lieber konzentriere ich mich auf das Gefühl, welches er mir gibt. Diese hauchzarten Berührungen...

„Gut, dann ihr Bruder.“ Und plötzlich senkt er seine Zähne in meine Haut. Tief kam er zwar nicht, doch ich erschrecke mich zu Tode. Wenn das möglich wäre. „Entschuldige. Aber ich wollte wissen wie es ist...“, entschuldigt er sich sofort.

„Und... wie ist es?“, frage ich, atme tief durch. Ein noch seltsameres Gefühl...

„Ich weiß nicht. Wie Eis.“ Er setzt sich auf, schaut mir in die Augen.

„Eis? Bin ich so kalt?“ Er nickt sehr langsam. Schmiegt sich dann wieder an mich.

„Es ist komisch.“

„Hm.“

Stille breitet sich aus.

„Wirst du mich irgendwann zu einem Vampir machen?“, fragt er so unerwartet, dass ich ihn nur überrascht ansehen kann, ohne das ich mir überhaupt Gedanken über eine Antwort mache.

„Nein.“, antworte ich dann. Wie nennen die Menschen das? Aus dem Bauch heraus entscheiden.

„Warum nicht?“

„Ich will es eben nicht machen.“

Wieder breitet sich eine bedrückende Stille zwischen uns aus. Ich bin über 200 Jahre alt, und doch nagt die Menschlichkeit in mir weiter an meiner Seele, verhindert, dass ich vollkommen zu diesem Wesen der Nacht werde. Oder bin es doch ich und nicht meine menschliche Seite, die mich davon abhält ihm dieses Leid zuzuführen? Schließlich beende ich nach einer Weile meine Gedanken, da ich auf keine andere, bessere Antwort kam, wenig später schlafe ich erneut ein. Der Tag ist nicht vorbei, die Müdigkeit schlagartig zurückgekommen.

Als ich meine Augen wieder öffnete brannten nur noch wenige der Kerzen, Raynes Sarg ist geöffnet, doch sie befindet sich nicht hier. Nur Len sitzt an dem schwarzen Tisch, auf der anderen Seite der Gruft, in der Hand eine Feder, wahrscheinlich aus irgendeinem Geschäft, das sich noch mit diesem Altertum beschäftigt, und schreibt auf ein strahlend weißes Blatt. Jay saß nicht mehr auf meinem Schoß, noch befand er sich in der Gruft.

„Guten Abend.“, sagt Eleonore, als sie den Kopf hebt und mich bemerkt, „Der junge Herr ist vor einer Weile gegangen. Zu einer Sarah, wenn ich ihn Recht verstanden habe.“ Sie lächelt auf eine bezaubernde Weise.

„Ah.“ Ich nicke, erhebe mich von der Couch und streiche meine Sachen glatt. „Was schreibt ihr da?“

„Einen Brief an Vater. Sicher sorgt er sich. Und Mutter tut dies ohnehin. Allein wenn ich ein paar Stunden nicht bei ihr bin.“ Sie lacht, wendet sich wieder dem halbbeschriebenen Blatt zu. „Ich sage ihm, dass ein sehr netter junger Mann mich aufgenommen hat und das ich seine liebe Rayne endlich kennen lernen konnte.“

Ich beuge mich über ihre Schulter, kann aber nur `Liebster Vater, Liebste Mutter` lesen, da sie gleich darauf das Blatt aus meinem Blick zieht.

„Ihr seid neugierig.“, stellt sie kichernd fest, „Wollt ich nicht zu der jungen Madame gehen?“ Sie schaut auf, sieht mich mit diesem Blick auf, der etwas befehlendes an sich hat. Sie hatte diesen Eindeutigkeit von ihrem Vater.

„Ja. Nun denn, ich hoffe ich kann euch hier allein lassen.“ Damit verbeuge ich mich überschwänglich, wende mich zu der Tür, die mich aus der Gruft führen würde.

„Sagt, liebt ihr den jungen Herrn wirklich?“

Ich bleibe kurz stehen. Wieder ohne zu überlegen und gebe eine knappe Antwort, bevor ich das Gebäude endgültig verlasse und in den kalten Nachtwind trete. „Ja.“

Aus einem unerfindlichen Grund schweift mein Blick nach unten. Bleibt an einer hübschen Puppe, die vor mir auf dem Boden liegt hängen. Ich betrachte sie näher, nachdem ich sie aufhebe. Gekleidet in ein schwarzes aus Satingefertigtes Kleid, das Haar und die Augen dunkel wie die Nacht selbst, das Gesicht weiß wie heller Marmor. Ich weiß nicht woher sie kommt, oder warum keiner der Anderen sie entdeckt hatte. Doch es war egal. Sie würde sich sicher über ein Geschenk freuen..., denke ich mir, während ich den Weg zum Heim ging.
 

„Guten Abend, Chérie.“ Langsam schreite ich in das Zimmer, folge der Aufseherin und tue so, als würde ich die kleine, meine, kleine Sarah nicht kennen. Auf dem Bett sitzt Jay, schenkt mir ein warmes Lächeln, das ich nur zu gern erwidere.

„Sie ist wirklich ein liebes und gutes Kind. Aber verschlossen. Doch sicher können sie sie etwas offener werden lassen, mein Herr.“ Damit bleibt die Frau neben dem Bett stehen, strich unnützerweise über den Kopf Sarahs.

„Natürlich wird sie das. Da bin ich mir sicher.“ Ich bin ohne Rayne gekommen, da diese noch immer unauffindbar war. Es störte mich nicht, sie mochte es ohnehin nicht, wie ich mit dem Kind umging. „Sieh mal. Das ist ein Geschenk für dich.“ Ich ziehe langsam die Puppe hinter meinem Rücken hervor, überreiche sie dem kleinen Mädchen, welches mich sofort dankbar anstrahlt. Jay schaut mich fragend an, als könne er sich nicht erklären wo ich eine solche Puppe her bekommen hatte.

„Vielen Dank!“, quietscht sie freudig, drückt mich sanft.

„Bitte.“ Ich setze mich neben sie auf den Bettrand. Streiche über ihre blassen Wangen. Sie ist krank, schießt es mir durch den Kopf, während ich genau ihr Gesicht mustere.

„Nun denn, mein Herr. Sie können Sarah noch heute mitnehmen, wenn sie möchten. Sie wird es sicher gut bei ihnen haben. Guten Abend.“

„Vielen Dank, Madame.“ Dann verlässt sie den Raum, lässt mich allein mit Sarah und dem Jungen.

„Dann zeigen wir dir mal dein neues Zuhause, was hältst du davon?“ Ich lächle sie an. Wahrscheinlich wie ein Vater, denn sie erwidert den Blick auf eine Weise, wie sie es zuvor nie getan hatte. Auf eine Weise, wie ich glaube dass meine Tochter lächeln würde.

„Ja!“ Sie nickt schnell, wendet sich ab und schiebt sich aus dem Bett. Das weiße Nachthemd rutscht ihr ein Stück nach oben. „Aber erst müssen wir packen!“, fügt sie kichernd hinzu, läuft zu ihrem Schrank und beginnt ihre Kleider hervorzuziehen und laienhaft zusammenzulegen.

„Aber natürlich.“, sage ich, gehe zu ihr, „Hast du einen Koffer?“ Ich nehme ein paar der Kleidungsstücke an mich, lege sie vernünftig zusammen, um diese dann auf dem Bett zu stapeln. Jay währenddessen findet den Koffer und bringt uns diesen gleich. Sie besitzt nicht viele eigene Sachen, denn es vergeht wenig Zeit da sind wir bereits fertig damit alles in dem Koffer zu verstauen. Trotz des bisschen Arbeit schlief sie kurz darauf in meinen Armen ein. Ich setze mich mit ihr zurück auf den Bettrand, überschlage die Beine und betrachte Jay, wie er den Koffer endgültig verschließt.

„Heute Nacht wirst du wohl oder übel in der Wohnung übernachten müssen.“, gebe ich leise von mir, den Blick starr auf sein junges, hübsches Gesicht gerichtet.

„Hatte ich ohnehin vor.“, ist die Antwort, worauf ich zusammenzucke, „Ich muss nachdenken.“ Er nickt schwach, mehr zu sich, als zu mir.

„Worüber willst du nachdenken?“, frage ich, obwohl ein Gefühl mir sagt, dass ich es nicht wissen will.

„Über alles. Und einen neuen Job brauch ich auch. Am besten noch einen Babysitter für Sarah, wenn ich in der Schule und beim Arbeiten bin.“

„Du musst nicht arbeiten. Ich gebe dir alles was du brauchst und wünscht.“ Darauf sieht er zu mir. Den Kopf leicht schiefgelegt.

„Warum? Wer bin ich, dass du mich so verwöhnst?“

„Der Günstling des Teufels.“ Ist meine unüberlegte Antwort. „Oder eher der Günstling des Vampirs, der vor Einsamkeit droht einzugehen.“ Das bringt ihn wiederum zum lachen.

„Du bist wirklich komisch...“, sagt er leise, geht zu mir und setzt sich neben mich, „Irgendwie verrückt.“

„Wenn du das sagst, wird es wohl so sein.“

Er beugt sich nach vorn, soweit, dass er Sarah nicht wecken würde, nachdem er seine Lippen auf meine legte. Lange hielt es nicht an, denn kurz darauf schiebe ich ihn zur Seite, den Blick auf die Tür gerichtet. Die Frau betrat wieder das Zimmer, sieht mich fragend an.

„Die Madame ist hier.“, sagt sie dann , geht beiseite und lässt Rayne in den Raum treten. Dabei fällt mir auch auf, wo diese gewesen war. Sie trug ein neues, schimmernd weinrotes Kleid, dessen Corsage sich um ihre schmalen Hüften schmiegte, sie wie eine mittelalterliche Dame aussehen lässt. Die Haare waren hochgesteckt, nur einzelne Strähnen ruhen auf ihre Schultern.

„Danke, dass du sie schon geholt hast, ich wusste ich würde zu spät kommen.“ Sie legte ihre weiße Hand auf den Kopf Sarahs. „Aber können wir jetzt nach Hause? Ich friere und Sarah sollte sich ausruhen.“ Ich nicke und erhebe mich.

„Vielen Dank für ihre Mühen.“, sage ich an die Dame gewandt, welche nur lächelnd abwinkt.
 

Zu Viert verlassen wir das große Gebäude, gehen langsam den steinigen Weg entlang. In meinem Armen halte ich noch immer das Kind, welches die Puppe eng an sich drückt, Jay trägt den Koffer.

„Das ist also Sarah.“, sagt Rayne plötzlich, „Sie sieht ihm wirklich ähnlich.“

„Wem?“, kommt es sofort von Jay, der jetzt neugierig die Ältere ansieht.

„Sie sieht ihrem Vampirverwandten sehr ähnlich.“, fügt sie hinzu, betrachtet das weiße Gesicht des schlafenden Kindes in meinem Arm. „Gehen wir jetzt zu dem Apartment?“

Ich nicke. „Weißt du von wem die Puppe ist?“, frage ich, wobei es mich noch immer nicht wirklich interessiert.

„Keine Ahnung.“ Sie zuckt mir den schultern, denn auch sie schert sich wenig darum.

„Wo hast du die überhaupt her?“, will der Junge neben mir wissen.

„Sie lag vor der Gruft.“

„So eine Puppe?“ Prüfend strichen seine Finger über das weiße Porzellan. „Aber die sind unglaublich teuer.“

Keiner antwortet darauf, schließlich wissen wir es selbst.

Rayne folgt uns noch bis zu einer Kreuzung, wobei die eine Straße zu der Gruft führt, die andere zu der Wohnung. Es ist still um uns, ein leichter Wind durchwehte die Bäume und ließ die Blätter leise rascheln. Jay zog den Schlüssel aus der Tasche, als wir ankommen, schließt gleich die Tür auf und wenig später stehen wir wieder in dem kahlen Wohnzimmer der kleinen Wohnung. Noch ist nicht viel Einrichtung angeschafft worden, lediglich in dem einen Zimmer ein Bett, der Schreibtisch und ein Schrank, alles Dinge, die Jay aus seinem Studentenzimmer mitgebracht hatte. In der Wohnstube befand sich noch sein Fernseher, der Laptop und eine ärmliche Couch. Ich lege Sarah sanft auf das rote Polster, er holt eine Decke, mit der wir sie zudecken.

„Kommst du morgen Nacht?“, fragt Jay, bricht so die Stille zwischen uns.

„Ja. Bestimmt.“ Ich lächle, wende mich ihm zu.

„Das ist gut.“, stimmt er nickend zu, lehnt sich leicht an die Wand hinter sich. Sieht mich mit einem etwas traurigen Blick an.

„Stimmt was nicht?“ Ich gehe zu ihm, lege meine Arme um seine Hüfte und ziehe ihn an mich, worauf er sich an meine Brust legt, als bräuchte er gerade dringend etwas, das ihm Halt gibt.

„Alles in Ordnung.“

„Sicher?“ Meine Finger gleiten unter sein Kinn, zwingen seinen Kopf so sanft nach oben. Braune glänzende Iriden nehmen mich gefangen, ich kann mich nicht abwenden solang er mich mit diesem melancholischen Blick ansieht.

„Liebst du mich noch?“

Fragend sehe ich ihn an. „Aber selbstverständlich.“, sage ich ehrlich und ein wenig verwirrt.

„Das ist schön.“ Die Schwermütigkeit scheint Schritt für Schritt zu verschwinden, bis er wieder lächelt. Er lässt den Kopf wieder sinken, drückt ihn gegen meine Brust, seine Hände krallen sich in meinen Mantel.

„Wie könnte ich dich nicht lieben? Den Menschen, der es vermag mich endlich aus der Einsamkeit zu befreien.“ Ein zarter Kuss auf seine Stirn, dann führe ich ihn zu dem Sofa, setze ihn auf dieses. Er sieht erschöpft aus, er wird wohl auch bald krank... Noch einmal sieht er müde zu mir auf, bevor seine Augen zu fallen, er leicht in wegrutscht und in einen tiefen Schlaf fällt.
 

„Da bist du ja wieder.“ Rayne sieht mich an, als ich etwas geschafft in die Gruft zurück schlurfe. Len sitzt neben ihr, wirft mir ein fröhliches Lächeln zu. Genau in diesem Moment schießt mir ein Gedanke durch den Kopf, der meiner Meinung nach nicht von mir stammen kann.

„Vlad kommt???“ Geschockt starre ich die Beiden an, Len nickt, während Rayne fast vom Stuhl fällt vor lachen.

„Ich schrieb noch bis vorhin einen Brief, doch Vater war schneller. Er weiß natürlich immer wo ich mich aufhalte und da Mutter scheinbar vor Sorge umkommt, besuchen sie uns in London.“, erklärt sie weiterhin freundlich lächelnd. „Das stört euch doch nicht?“, fügt sie höflich hinzu.

Ha. Selbst wenn es mich stören würde, er ist einer der Ältesten, wir `Jungen` hatten da zu kuschen, wenn er kam, oder kommen wollte.

„Aber nein.“, gebe ich deshalb brav zurück, „Es würde mich freuen...“

„Gut. Ich dachte schon, ihr würdet euch erzürnen, da ihr ein paar Tage nicht mehr mit eurem Jungen verkehren könnt.“ Geschockt schau ich sie an. Wie bitte?? „Nun ja, Vater erinnert sich selbstredend an euch. Er würde gerne mit euch einige tiefgründigeren Gespräche führen.“

„Männerzeug.“, setzt Rayne, die sich wieder beruhigt hat, abschätzend hinzu.

„Aha.“, murmle ich nur. Warum immer ich? Und warum gerade jetzt? „Wie lange gedenkt euer Herr Vater zu bleiben?“

„Eine Woche. Er möchte gerne mehr von London sehen. Mutter natürlich auch.“

Eine Woche??? Innerlich sterbe ich gerade zum zweiten Mal. Eine Woche getrennt von meinem Liebling... Meinem Schatz mit den Augen, die mich immer aufs Neue gefangen nehmen...

„Du siehst schlecht aus, geht’s dir nicht gut?“ Fragend legt Rayne den Kopf schief. Ich bin mir ziemlich sicher sie weiß genau was los ist.

Dabei fällt mir auch Sarah ein. Ich kann Sarah doch nicht allein lassen... In einer Wohnung! Wer weiß was ihnen passiert, vielleicht werden sie angegriffen oder jemand bricht ein?? Oder wenn sie draußen spielt wird sie entführt! Wehleidig sehe ich zu Eleonore, sie schaut tröstend zurück.

„Tut mir Leid...“, fügt sie hinzu, „Aber eine Woche ist doch machbar, oder?“

„Wann wird der Herr hier eintreffen?“ Die Entschuldigung ignoriere ich, nützt mir ja ohnehin nichts.

„Ich denke in zwei Tagen.“ Zaghaft nickt sie.

„Okay.“ Dann habe ich noch mindestens eine Nacht um Bescheid zu geben. Das ist gut, denn erstens will ich die Beiden nicht wecken, schließlich ist die Nacht schon fortgeschritten und ich selbst bin seltsamerweise auch schon müde. Was auch der Grund dafür ist, dass ich mich kurz darauf zurück ziehe, ich fühle mich sterbensmüde, fast schon kränklich. Weil die beiden krank wurden? Aber ich konnte deren Leiden doch nicht teilen... Fast sofort fiel ich in einen tiefen Schlaf, aus dem ich entgegen meiner Gewohnheit immer wieder aufschrecke.
 

Als ich aufwache ist die Nacht schon fortgeschritten, vielleicht Ein oder Zwei Uhr. Nur ein wenig Müdigkeit kriecht durch meine Glieder, träge stieg ich aus meinem Sarg, Feuer loderte in einiger Entfernung in dem Kamin, den ich vor Jahren hatte in die Wand schlagen müssen, da solch Arbeiten einer Frau ja nicht geziemen. Die Gruft ist angenehm warm. Eleonore sitzt wie gestern Nacht an dem Eichentisch, erneut schreibt sie irgendetwas auf, diesmal aber in ein in Leder gebundenes Buch. Rayne ist nicht im Raum.

„Guten Abend.“, kommt es höflich von Len, welche aufsieht und mir ein warmes Lächeln schenkt, „Wünsche wohl geruht zu haben.“ Man merkt wirklich, dass sie zu oft bei ihrem Vater war, der ihr immer wieder diese alte Sprache einbläute. Schließlich ist sie noch jünger als ich.

Ah, Vlad. Ich muss Jay und Sarah noch besuchen, bevor ich es in den nächsten Tagen wohl oder über nicht mehr tun kann.

„Guten Abend.“, gebe ich müde zurück, gehe langsam zur Tür.

„Ihr klingt schon wieder so müde. Dabei habt ihr so lang geschlafen. Wenn ihr von eurer kleinen Reise zurückkehrt mache ich euch einen schönen Glühwein, wie man ihn bei uns zubereitet, was haltet ihr davon?“ Sie hat die Feder beiseite gelegt, sieht mich forschend und etwas besorgt an.

Alkohol, vielleicht würde es tatsächlich helfen. Vampire konnten zwar nicht krank werden, aber ich habe ja bereits erwähnt, dass ich noch sehr menschliche Gefühle habe. Und eine rege Fantasie. Zwar frage ich mich wo sie es zubereiten will, und woher sie die Zutaten bekommt, aber wenn sie sich schon anbietet.

„Das wäre wirklich zu gütig...“, sage ich dankbar nickend, „Dann sehen wir uns nachher, Prinzessin.“

Sie wartet bis ich das Zimmer verlasse, bevor sie sich wieder ihrem Buch widmet.

Der große Raum, welcher Gruft und den Friedhof draußen voneinander trennt ist merklich kühler, ich kann das rauschen des Windes hören, wie er an den festverschlossen Fenstern rüttelt, als wolle er mit aller Macht in diese Räumlichkeiten eindringen. Ich werfe einen Blick in den Wandspiegel (ebenfalls von Rayne herbeordert). Nichts umrandet meine Augen, kein frisches Make up dunkelt mein weißes Gesicht auf, lässt es wenigstens irgendwie menschlicher wirken. Stattdessen blicken mich müde Augen an, die Haut weiß wie der neugefallene und unbeschmutzte Schnee des Winters. Ich wende mich wieder von meinem Spiegelbild ab, nehme den langen Mantel von einem der Haken und trete nach draußen, wo mir sofort eisiger Wind ins Gesicht schlägt. Schnell ziehe ich mir das Kleidungsstück über, verschließe es und gehe einige Schritte. Es ist wahrhaft kalt geworden und windig. Ein leichter Sturm hat eingesetzt und kalter Regen tropft auf meine Wangen, läuft über meine Haut nach unten und fällt auf den Stoff. Ungeachtet davon schreite ich weiter, atme die kühle Luft ein, während ich mein durch den Wind zerzaustes Haar bändige und es nur zusammenknote. Kleine Bäche haben sich auf dem unebenen Boden gebildet, das Wasser fließt immer wieder um Kurven, trifft in andere Rinnsäle und bahnt sich weiter den Weg irgendwohin, bis es in einer großen Pfütze endet.

Ich beeile mich zu der kleinen Wohnung zu gelangen, betätige die Klingel drängelnder als ich es vorhatte und warte bis das leise Summen ertönt und die Tür sich öffnen lässt. Oben an der Treppe steht Jay bereits, heißt mich fröhlich lächelnd willkommen. Kaum das ich die Wohnung betrete fällt er mir bereits um den Hals und drückt mir einen warmen Kuss auf die Lippen.

„Stell dir vor, ich hab das Stipendium bekommen!“, sagt er ganz unvermittelt, worauf ich ihn nur verwirrt ansehe, „Ach, du weißt es ja gar nicht... Entschuldige.“ Er zieht mich in den ersten Raum, in dem ein langer schwarzer Mantel, wahrscheinlich seiner, und die kleinen Jacken Sarahs hingen. Diese kommt kurz darauf auch angelaufen, gekleidet in ein weißes Nachthemd und streckt die Arme nach mir aus.

„Sarah!“, sagt Jay kopfschüttelnd, ganz wie der Vater, der seiner Tochter beibringt, das sie etwas falsch gemacht hatte. Aber sie interessiert sich nicht für ihn, sondern lässt sich von meinen Händen aufhalten und hochheben.

„Guten Abend, chérie.“ Lächelnd halte ich sie fest, sie schaudert, kichert daraufhin.

„Du bist ganz nass!“, stellt sie fest, zieht leicht an meinem verklebten und zusammengeknoteten Haar.

„Ja, es regnet draußen ganz schlimm. Aber das ist nicht nett von dir, nur in einem Hemd hier herum zulaufen, Chérie. Du wirst noch krank. Außerdem solltest du im Bett sein, hm?“ Bestürzt schaut sie mich mit ihren dunklen Augen an.

„Aber dann hätte ich dich nicht sehen können...“, murmelt sie in ihrem kindlichen Tonfall.

„Oh. Das tut mir Leid, aber ich hab lange geschlafen.“ Sie kichert wieder, sieht ungläubig zu mir hoch. „Und jetzt hast du mich ja gesehen, also kannst du wieder in dein warmes Bett gehen und schlafen.“ Sofort legt sie einen bettelnden Blick auf, schiebt die Unterlippe schmollend vor.

„Das denke ich aber auch.“, ergreift Jay das Wort, zieht sie aus meinem Arm und geht mit ihr aus dem Raum in das Zimmer, welches sie sich teilen, legt sie in das Bett am Fenster. Nur wiederwillig lässt sie sich zudecken, ich beobachte das, stehe dabei an den Türrahmen gelehnt da.

„Gute Nacht.“, sagt der Junge bestimmt, streicht die Decke noch einmal glatt.

„Gute Nacht, mein Herz.“, füge ich hinzu, werfe ihr einen Handkuss zu, der sie wieder kichern lässt. Dann schiebt mich Jay aus dem Zimmer, schließt die Tür hinter sich.

„Weißt du das sie ganz hingerissen von deinen Schmeicheleien ist?“, kommt es gespielt eifersüchtig von ihm, als er sich auf die Couch fallen lässt, wartet bis ich mich zu ihm setze.

„Ach?“ Ich lache kurz, mache es mir ebenfalls auf dem Sofa gemütlich. „Und was war das jetzt mit deinem Stipendium?“ Mein Blick heftet sich an sein Gesicht, welches wieder etwas Farbe bekommen hat.

„Oh... Am Anfang dieses Schuljahres, weißt du, hab ich mich an einer Uni eingeschrieben. Aber die war viel zu teuer, deswegen bat ich um ein Stipendium. Und sie haben zugesagt. Ich kann zwar erst in zwei Jahren hin, aber sicher ist sicher...“ Er wendet sich mir zu, seine Augen strahlen mich glücklich an.

„Ich hoffe du kannst dich trotzdem weiter um Sarah kümmern...“ Er sieht mich beleidigt an. „Oh, und das freut mich natürlich für dich.“

„Hm, keine Sorge, ich kümmer’ mich schon um sie.“ Er nickt leicht, lehnt sich dann an mich und schließt die Augen. „Du bist ganz kalt und nass. Hättest ruhig den Mantel ausziehen können.“, murmelt er leise, gegen den schwarzen Stoff.

„Naja, ich kann nicht allzu lang bleiben. Deswegen behielt ich ihn gleich an.“ Er hebt den Kopf wieder, mustert mich fragend. „Nun ja, ich bin wirklich zu spät aufgewacht... Der Hunger quält mich jetzt schon.“ Wieder nickt er schwach, legt den Kopf zurück an meine Brust.

„Ich habe nachgedacht.“, beginnt er leise, „Über meine Gefühle zu dir.“

Mein Herz macht einen ungeahnt hohen Hüpfer. Auch wenn ich gleichzeitig Angst, da er das in einem seltsam tiefen Ton sagt. Er redet nicht weiter, was mich ungeduldig werden lässt, bis ich sogar leicht an seinem Pulliärmel zupfe. Sein Kopf hebt sich wieder, die dunklen Augen suchen nach meinen, halten sie gefangen, sorgen dafür, dass ich, egal was nun kommt, nicht wegsehen kann.

„Ich liebe dich.“, sagt, nein er haucht es mehr, beugt sich zu mir und küsst mich. Ich kann nicht reagieren, sitze nur steif da, lasse ihn machen mit mir, was er will. Ohne mein zutun legen sich meine Arme um seine Hüfte, ziehen ihn enger an mich. Fast schon besitzergreifend presse ich seinen schlanken Körper an meinen, genieße dieses sanfte, warme Gefühl seiner Lippen auf meinen. Ohne es wirklich zu merken verschließen sich meine Augen und kurz darauf habe ich mich ganz in diesem Augenblick verloren. In diesem Moment hasse ich Vlad. Ich will ihn nicht bei mir haben, nicht mit ihm über längst vergangene Kriege und solch belangloses Zeug reden, egal wie sehr er mich schätzt. Viel lieber möchte ich hier verweilen, solang bis mich die aufgehende Sonne zum gehen zwingt. Wäre der Junge nur einer von uns...

Plötzlich lässt er von mir ab, er atmet schwerer als vorher, schaut mich fragend an.

„Was ist?“ Zärtlich berührt er meine kalte Wange, spielt mit dem nassen Haar.

„Ich... werde dich eine Weile nicht mehr besuchen können...“, gebe ich nach einer längeren Pause schließlich zu, sinke geschlagen gegen das Polster in meinem Rücken.

„Warum?“, fragt er bestürzt, streichelt weiterhin meine Haut.

„Vlad kommt zu seiner Tochter. Er möchte mit mir reden und Zeit verbringen... eine Woche lang.“

„Aber warum so lang? Er wird dich doch nicht so lang in beschlag nehmen... und er kommt doch nicht etwa schon morgen?“ Er lehnt sich wieder gegen mich, krault meinen verspannten Nacken.

„Ich muss Vorbereitungen treffen... Die Räume in denen wir leben und welche wir nicht oft benutzen säubern. Ansonsten hätten wir nicht genügend Platz für ihn und seine Frau.“ Ich seufze gequält, drücke ihn enger an mich. „Sei bitte nicht böse...“

„Warum sollte ich böse auf dich sein?“ Er haucht einen zarten Kuss auf meine Lippen, lächelt mich aufmunternd an. „Meinst du ich schaff es nicht allein eine Woche lang?“ Ich lächele schwach, streiche leicht über seine Wange. „Und danach gehörst du mir.“ Im nächsten Moment fühle ich seine warmen Lippen, dann seine Zähne an meinem Hals. Er versenkt sie in mein Fleisch, so tief wie es einem Menschen mit den eher stumpfen Zähnen möglich ist. Ich kann nicht anders als leise aufzukeuchen, ihm über den Kopf zu streicheln.

„Gut...“, sage ich noch, auch wenn es das nicht gebraucht hätte.

„Versprochen?“ Jay zieht sich zurück, schaut mir tief in die Augen.

„Selbstverständlich. Wie könnte ich dir wiederstehen?“ Wieder lächle ich nur schwach. Der Hunger kommt schleichend, macht sich durch ein ziehen in meinem Magen bemerkbar.

„Du bist blass.“, stellt er fest, streicht eine Strähnen aus meinem Gesicht.

„Ach?“, gebe ich zurück, grinse schief, „Ist mal was neues bei mir...“

„Du weißt was ich meine. Solltest du nicht langsam etwas essen gehen?“ Er versucht das Schlucken zu unterdrücken. Natürlich gibt s ihm trotz allem ein komisches Gefühl, da er durchaus weiß, wovon ich mich ernähre.

„Du hast Recht... Rayne wartet sicher wieder ungeduldig...“ Ich nicke kaum merklich. Er rutscht von mir, zieht mich auf die Beine, was ich nur widerwillig geschehen lasse.

„Ich will dich in einer Woche Punkt 10 hier sehen, verstanden?“, sagt er in einem befehlenden Ton, grinst dabei und küsst mich.

„Jawohl. Ihr wisst ja, es macht mich glücklich euch zu dienen.“ Ich trenne mich von ihm, denn langsam spüre ich seine Müdigkeit, die langsam Oberhand gewinnt. „Gute Nacht...“ Ein letzter Kuss, bevor ich mich wegdrehe, in den Eingangsraum zurückkehre. Er folgt mir wie ein kleiner Hund, bleibt genau neben mir stehen.

„Gute Nacht... Vergiss mich nicht.“

„Wie könnte ich?“ Ich lächle noch mal, schließe die Tür und verlasse schließlich langsam das Gebäude. Am liebsten hätte ich jetzt geweint. Denn neben diesem unglaublichen Glücksgefühl, dass er mir gibt, zerfrisst mich gleichzeitig diese Angst vor allem was passieren könnte. Ich bin trotz allem allein, nicht einsam, nur habe ich ihn trotzdem nicht für mich. Er gehört noch den Menschen um ihn herum. Nicht mir...
 

Vlad kommt wie Len sagte zwei Tage später in unsere kleinen Gruft an. Mitsamt der Herrin Mutter versteht sich. Er selbst ist nicht allzu begeistert von der etwas ärmlichen Behausung , doch Mina schien sie tatsächlich zu gefallen. Weshalb sie sich auch doch für unsere Gruft als Schlafplatz entschieden.

Gleich am ersten Tag beschlagnahmte mich Vlad. Ihm ist wohl das Reisen mit seiner Frau doch zu anstrengend. Kann ich auch verstehen, wenn ich daran denke, wie ich manchmal an Rayne verzweifle...

Die Nacht war frisch, doch wenigstens regnete es heute nicht, lediglich ein kalter Wind durchfuhr unser Beider Haar. Sein Blick ist vor sich auf den Boden gerichtet, die Hände hinterm Rücken verschränkt.

„Nun. Wie geht es dir, mein Junge?“, beginnt er schließlich mit einem Ton, der eher an einen Vater erinnert, „Wir haben lange nicht mehr reden können, seit ihr Rumänien verlassen habt.“

„Ja... es ist wahrlich eine Ewigkeit her.“ Bestätigend (wenn auch gelangweilt) nicke ich.

„Wärest du kein Vampir würde ich mich wirklich um dein Gewicht sorgen.“ Bitte?? „Du bist dürr wie ein Mädchen.“ Danke auch... Gequält lächele ich. Kann ich was dafür, das man mich nicht in den Krieg geschickt hat? Und deswegen auch nicht trainiert hatte?

„Hm, ist dir das peinlich?“ Er sah zu mir, legte ein breites Lächeln auf. „Ach, du benimmst dich wie ein Mädchen. Und lieben tust du auch wie ein Mädchen.“ ?!??!

Geschockt bleibe ich stehen, habe Mühe ihm wieder nachzukommen, sein angenehmes, männliches Lachen kann ich trotz des plötzlichen Hupens in der Nähe deutlich hören.

„Oder liege ich da falsch?“ Ich widerspreche nicht, starre nur demütig auf den Boden. „Entschuldige, aber du benimmst dich schon wieder so herzlich, wie damals. Ich dachte, du wärest vielleicht verliebt und siehe da. Ich behielt Recht. Nur dachte ich nicht das es ein junger Prinz ist, der dich so lieblich werden lässt. Und zugegeben bin ich nicht gerade begeistert, dass es ein Mensch ist. Aber ich weiß selbst wie es mit der lieben Mina war.“ Er stoppt um Zeit zu haben meine Gedanken darauf zu prüfen. Gezwungenermaßen verschließe ich meinen Geist. Ob es was nützt weiß ich nicht, denn er sagt nie etwas, er nickt nicht einmal.

„Aber das geht mich auch wirklich nichts an.“, fährt er schließlich fort, richtet den Blick wieder auf den Weg vor sich, reckt den Kopf dabei so hoch, wie es nur ein alter Ritter konnte. Ich schaue zu ihm rüber, betrachte sein Profil. Er hatte sich kein bisschen verändert, noch immer ist er der stolze, junge Graf mit dem langen, lockigen und schwarzem Haar, der als Ritter gefallen war. Der Bart ließ ihn nur noch männlicher wirken. Irgendwie ist er genau das Gegenteil von mir...

„Nun, ich habe eine Bitte an dich.“ Er sieht mich prüfend an, seine dunklen Augen tasten förmlich mein Gesicht ab.

„Eine Bitte?“

„Ja, eine Bitte. Hör zu, Junge...“ Wieder stoppt er, als denke er in Gedanken nach, wie er beginnen soll. „Also, um es kurz zu machen. Dir gehört doch noch das Land der Lioncourts?“

„Soweit ich weiß ist es nicht verkauft... Ich lasse alles von meinem alten Anwalt regeln, ich weiß wirklich nicht wie es zur Zeit auf der Plantage läuft...“ Ach, das habe ich doch noch gar nicht erwähnt oder? Also, die meisten Grafen, oder Reicheren zur alten Zeit besaßen Plantagen. Angekaufte oder geerbte, doch damals ließ sich damit eine Menge Geld verdienen. Da ich der letzte der Lioncourts bin übergab ich mein Land irgendwann einem Anwalt. Mit Pseudonymen und anderen Anwälten ging es so weiter. Aber eigentlich hatte ich schon vor Jahrhunderten keine Lust mehr auf das Land... Geld verdiene ich auch nicht mehr wirklich deswegen.

„Möchtet ihr es? Gut, dann könnt ihr es haben.“ Ich nicke schnell. „Ich schenke es euch.“

„Mein lieber Alexej. Wann kommst du endlich zum Du?“ Er lachte wieder, legte seine Hand auf meine Schulter.

„Möchtest du es?“, wiederholte ich demnach.

„Nun ja, aber doch nicht geschenkt. Die Plantagen würden mir noch etwas nützen, wenn sich wieder jemand darum kümmern würde.“

Fragend musterte ich ihn. Ich habe gar nicht bemerkt das wir stehen geblieben sind...

„Aber bitte... ich habe genug Geld, nehmt ... nimm dir, was du möchtest.“ Er schüttelt den Kopf.

„Ich möchte es nicht einfach so. Ich möchte es auf die Altmodische Weise.“ Das lässt mich stutzen. Altmodische Weise? Er meint doch nicht...

„Eine Verlobung wäre doch wirklich etwas schönes. Eleonore mag dich wirklich. Sie ist kein Mädchen mehr und braucht einen Gefährten. Ich kenne dich nun schon so lange. Deshalb ist es eine frage an dich. Denn du weißt ja, dass ein Mensch dir nicht geben kann, was sie dir geben kann. Und durch eine Hochzeit würde sie dein Land bekommen. Und da sie noch weniger Gebrauch davon machen wird, sie möchte sicher nur das Haus in Frankreich, fällt es mir zu.“ Er endet, dreht sich weg und läuft weiter. Natürlich wartet er dabei, bis ich endlich nachkomme.

„Aber...“ Ich konnte nur minutenlang den Kopf schütteln. „Herr Vlad... ich... kann sie nicht heiraten, oder mich verloben...“, sage ich kleinlaut.

„Mein Junge. Sollte dein Freund kein Vampir werden, ist es doch besser, dass du meine liebste Tochter zur Gefährtin nimmst.“, beharrt er.

Verunsichert starre ich auf den Boden.

„Es tut mir Leid... Aber es geht nicht.“

„Liebst du ihn so sehr?“

„Ja.“ Ich bin selbst überrascht über meine knappe Antwort, die sogar einen ununterdrückten Tonfall hatte. Er sah mich auch dementsprechend an. „Entschuldige...“, sagte ich schnell und unterwürfig.

„Ach. Was bist du nur für ein Romantiker.“ Er lachte tatsächlich. Beruhigt atmete ich auf. Kurz darauf spürte ich sogar wieder seine Hand auf meiner Schulter. „Ich möchte dich natürlich nicht drängen. Doch überleg es dir einfach. Du weißt, wir Vampire und die Liebe, das ist so eine Sache. Ich hab ja Glück mit meiner Mina. Naja, ich musste mich auch sehr um sie bemühen, wenn du weißt was ich meine.“

Ich nicke knapp. „Aber...“

„Es ist schon gut. Überleg es dir. Wir bleiben doch in Kontakt?“

„Selbstverständlich.“ Wieder ein Nicken.

„Möchtest du zurück? Oder noch etwas jagen?“ Jagen... so nannte es seltsamerweise jeder Vampir. Nur ich nicht.

„Hunger habe ich schon...“

„Sehr gut. Ich wollte ohnehin schon immer mal sehen, wie du pflegst zu jagen.“ Damit ist das auch beschlossen...
 

Wie langsam sieben Tage vergehen können, wenn man getrennt von seinen Lieben ist. Den letzten Tag liege ich einfach nur im Sarg, tue als ob ich schlafe, ich weiß, dass mindestens Vlad es genau mitbekam. Aber er weckt mich nicht, oder kommt auch nur in die Gruft. Was mir ganz recht ist. Ich will jetzt einfach nicht bei ihnen sein... Lieber träume ich jetzt von ihm, meinem kleinen Schatz, den ich morgen endlich wiedersehen kann.

Plötzlich rieche ich etwas. Etwas bekanntes... Keine Sekunde später stehe ich vor der Grufttür, meine Ahnung bestätigt sich, denn da draußen, neben der breitgrinsenden Rayne steht Jay, der sich eindeutig fehl am Platz fühlt.

„Jay!“, rief ich, renne überstürzt auf ihn zu, „Was tust du denn hier??“ Eigentlich will ich böse, bestrafend klingen, aber stattdessen ziehe ich ihn nur in meine Arme, presse ihn dabei dicht an meine Brust.

Rayne fällt vor Lachen fast um. Vlad legt einen väterlichen Blick auf, während er uns mustert, Mina schaut uns an, als sind wir das süßeste von Welt. Eleonore sieht uns nur mit schiefgelegtem Kopf an.

„Du... zerquetscht mich...“, kichert Jay plötzlich, schiebt mich sachte von sich weg, „Ich hab dich vermisst...“ Er haucht mir einen verführerischen Kuss auf. Am liebsten wäre ich mit ihm zurück in die Gruft gestolpert. Natürlich mit einem klaren Ziel vor Augen. Doch das lasse ich lieber...

„Ahm... Sarah ist allein in der Wohnung, ich hoffe das macht nichts...“, sagt er leise, schaut mich bittend an. Naja, selbst wenn ich jetzt sauer gewesen wäre, wie könnte ich ihn anschreien?

„Ist schon gut, sie ist ja schon ein großes Mädchen.“ Haha, sie ist acht... Aber Hauptsache mein kleiner Schatz ist hier... Doch die Unsicherheit kommt gleich darauf wieder zurück. Denn Vlad steht noch immer da, betrachtet uns.

„Ich hörte du überlegst ob du dich verlobst?“, fragt er unsicher, schaut mit diesen wunderschönen, dunklen Augen zu mir hoch. Legt dabei den Kopf noch auf eine entzückende Weise schief.

„Ahm...“ Mein Blick gleitet zu Vlad, der entschuldigend den Blick erwidert. „Ja, vielleicht, ich weiß es noch nicht...“

„Es ist süß von dir, dass du abgelehnt hast. Wegen mir.“ Er strahlt mich mit einem bezaubernden Lächeln an.

„Aber das ist doch nur die Wahrheit...“, gebe ich leise zurück, bekomme dafür, wie als Belohnung, einen Kuss auf die Lippen gehaucht. Seine Hände wandern über meinen Rücken, bleiben auf diesem ruhen.

Ich bin ganz vertieft darin, meinen Liebling zu mustern, weswegen ich auch mächtig erschrecke, als sich eine schwere Hand auf meine Schulter legt. Als ich den Kopf drehe, sehe ich Vlad neben mir.

„Wir wollen jetzt fahren. Verabschiedest du dich noch? Dann kannst du auch wieder zu deinem Jungen.“ Ich schaue leicht an ihm vorbei, bemerke wie Mina ihre Tochter heftig drückt. Wenig später kann ich die Motorengeräusche in der Nähe hören.

„Aber natürlich.“ Ich nicke, gebe dem Jungen einen sanften Kuss, bevor ich Vlad zu seiner Frau folge. Der Fahrer der Beiden kommt auch schon angehastet.

„Ach, auf wiedersehen, mein Liebes... mein kleines Mädchen...“ Mina ist noch immer dabei ihre Tochter zu umarmen, während Vlad sich gesittet von Rayne verabschiedet, dann wieder zu mir kommt.

„Wir werden uns sicher wiedersehen. Auf bald, mein Freund.“ Er legt mir, wie er es so oft tut, seine Hand auf meine Schulter, drückt sie leicht. „Und wehe mir kommt etwas zu hören, dass du den Jungen nicht ordnungsgemäß behandelst.“ Wieder ein sanfter Druck, bevor er die Hand zurückzieht. Kurz darauf läuft Mina zu mir, nimmt meine Hand und streichelt sie fürsorglich.

„Sei ein lieber Junge, ja? Und benimm dich bei den Mädchen.“ Sie lacht, lässt meine Hand los, und wendet sich Rayne zu. Ich nicke die ganze Zeit nur. Auf einmal habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich in meinem Sarg verkrochen hatte, es mir egal war, wenn sie mich ohne Verabschiedung verließen. Das war wirklich dumm gewesen...

„Also, tschüss.“ Damit schritten die Beiden gemächlich hinter ihrem Chauffeur her, der wieder, mit einigen Koffern beladen (den Rest trägt Vlad) zu dem großen Wagen zurück läuft.

Eine Hand tastet vorsichtig nach meiner, als ich meinen Kopf wende entdecke ich den Jungen neben mir, er mustert mich mit einem fröhlichen Lächeln. Jay beugt sich zu mir hoch, küsst mich liebevoll, bevor er mich mit einem verträumten Blick ansieht. Und endlich diese Worte sagt, die ich so ersehne...

„Ich liebe dich.“
 

»Ma Chérie – End<<

Je T'aime

Kapitel 1: Ma Chérie Part I

Kapitel 2: Ma Chérie Part II

»Kapitel 3: Je t’aime«

Kapitel 4: ♥ ~ Princess Vampire
 

Genre: Horror, Vampire, Romantik, Shonen- ai

Hintergrund: Dir en grey, Subway to Sally, Eve of Destiny, Malice Mizer, Mylene Farmer, Samsas Traum, The Allman Brothers Band (wegen einem wunderschönen Lestat Musical Cover *_*)
 

„Du bist eisig, weißt du das?“

Er flüsterte mir das ins Ohr, so zart mit einem lieblichen Unterton.

„Ich weiß, und doch kann ich nichts dagegen unternehmen, ma Chérie.“, gebe ich leise zurück, ach wie wunderschön er ist... Voller Reinheit.

„Ich liebe dich...“ Damit wälzt er sich auf mich, fängt an meine Haut zu liebkosen, an ihr zu saugen und lauscht dabei meinem leisen stöhnen. Gott ja...

„Au...“ Ich kichere. „Es schmerzt...Chérie...“ Er zwickt mich unbarmherzig, bis er schließlich zubeißt, direkt in mein Ohr.

Erschrocken reiße ich die Augen auf, schnelle hoch, knalle mit dem Kopf an den Deckel des Sarges und falle gleich wieder zurück in die Polster, stöhne dabei wehleidig. Bram rollt fiepend von meiner Brust.

„Ach... Mein Herr... wie könnt ihr mich beißen?“, murre ich beleidigt, erhalte als Antwort nur ein müdes quieken. Immer wenn ich einen so schönen Traum habe... Ich atme tief durch, schiebe den kleinen Bram von meiner Brust und hebe den Deckel ab. Es ist kurz vor Sonnenaufgang, das kann ich fühlen, deshalb schlafe ich auch nicht weiter. Ich wollte sowieso so schnell wie möglich zu Sarah und meinem Liebling. Mein Schatz, mein Herz, mein-

„Hör auf so viel zu denken!“, keift Rayne genervt, reißt den Deckel runter und starrt mich böse an, „Himmle ihn doch bitte so an, das ich davon nichts merke!“ Sie schlüpft elegant aus dem Sarg. Blöd wenn man die Fähigkeit des Gedankenlesens hat... Deswegen kotzt sie neuerdings bei meinen Gedankengängen regelmäßig ab.

„Entschuldige...“, gebe ich leise zurück, doch da rauscht sie schon aus der Tür, knallt diese gleich wieder zu und wartet im Vorraum, bis die Sonne untergeht. Mich interessiert das gar nicht mehr. Ich warte nur gespannt darauf, endlich rausgehen zu können. Nebenbei gesagt, habe ich auch mächtigen Hunger. Wo hat sich eigentlich Rayne verkrochen? War wohl auch besser so, so sauer wie die Gute war... Da war Len mit ihrem wahrhaftigen Totenschlaf richtig gut dabei, die bekam nie etwas mit, bevor nicht die Sonne untergegangen war.

Ich strecke mich, kurz darauf reagiert mein Körper auch schon auf die draußen aufkommende Nacht. Schlagartig werde ich hellwach, worauf ich auch gleich die Tür aufreiße und etwas überstürzt nach draußen laufe. Es war warm, die Sonne scheint noch schwach über den Horizont, aber das bekomme ich gar nicht richtig mit. Bereits fünf Minuten später stehe ich vor einer gewissen Haustür und klingle anscheinend den Hausherren aus dem Bett, denn diesmal braucht er definitiv länger um mich reinzulassen. Natürlich könnte ich auch einfach durch das Fenster eindringen, aber ich will ja niemanden erschrecken.

Mir klappt allerdings der Mund auf, als endlich geöffnet wird. Da steht doch tatsächlich ein fremder Junge, der mich noch dazu fragend mit großen Augen anschaut. Warum möchte ich dem jetzt nur eine Knallen? Ja, ich weiß, ich bin ein sehr eifersüchtiger. Egal, jedenfalls kenne ich ihn nicht. Er besitzt langes schwarzes Haar, mit vielen pink, lilanen und sogar violetten Strähnen durchzogen. Eigentlich sieht er aus wie ein Mädchen.

„Ja?“ Okay, die Stimme ist verdammt männlich.

Ich grinse gequält. Er kennt mich also auch nicht.

„Ich möchte zu Jay.“, gebe ich betont freundlich zurück.

Er legt darauf den Kopf etwas schief.

„Und wer sind sie?“

Was denn? Sprach nicht einmal Sarah von mir?? Das ist nicht fair... Nebenbei schwingt ein leichter ausländischer Akzent in seinem Ton mit.

„Alexej de Lioncourt.“ Ich verbeuge mich höflich, auch wenn ich es nicht will.

„Aha...“

„Darf ich jetzt zu Jay?!“

Er erschrickt richtig, als ich das etwas lauter von mir gebe.

„Ahm, klar...“ Damit schleicht er förmlich die Treppe wieder hoch. Ich bin, nebenbei bemerkt, immer noch mächtig sauer. Also stapfe ich ihm auch entsprechend grummelnd nach. Ich hoffe für dich, Liebster, dass du dafür eine vernünftige Erklärung hast...

Oben angekommen betrete ich die Wohnung, die sich seit meinem letzten Besuchen verändert hat, schließe die Tür und lehne mich im Wohnzimmer gegen die Wand. Natürlich verschränke ich demonstrativ die Arme. Jays Blick spricht Bände. Ich schweige, grinse nur vielsagend.

„Hi... bist ja früh da heute...“, nuschelt er schließlich. Ein ertappter Unterton. Soll ich mich freuen oder gleich heulen?

„Ja, nicht war. Ist Sarah schon im Bett?“, frage ich ruhig. Er nickt. Plötzlich steht er auf, die Wangen hatten eine sanfte rote Färbung angenommen, vorsichtig trat er zu mir. Und küsste mich. Ich stand da, wie versteinert, konnte mich vor Verwirrung einfach nicht rühren.

„Entschuldige, ich weiß, ich hätte Bescheid sagen sollen... das ist mein Kumpel...“, murmelte er mit bittendem Blick, „Das ist Jonne.“

Oh, ein Franzose? Stimmt, daher der Akzent. Nun ja, ich mag ihn trotzdem nicht. Aber so wie er uns anschaut wusste er doch von mir.

„Aha.“, gebe ich demnach völlig desinteressiert zurück. Jetzt sieht er nur noch mich an. Mit was für einem Blick... Eifersucht?

„Kann ich kurz mit dir reden?“ Ich ließ mich einfach von ihm mitziehen, der Junge blickt uns stumm nach. „Also, er ist mein Ex... der einzige mit dem ich mich noch vertrage, sei bitte nicht gemein zu ihm, ja?“ Ich zucke mit den Schultern. Dann bin ich eben ganz brav. „Und... er wohnt gerade bei mir...“

„Dir ist klar, das ich da was dagegen haben könnte.“ Eine Feststellung, wenn ich das anmerken darf. Denn sich mit dem Ex vertragen ist eine Sache, ihn aber bei sich wohnen zu lassen eine völlig andere. Das war schon vor Jahrhunderten so.

„Mach bitte keinen Aufstand, ja?“ Damit küsst er mich erneut, nur liebevoller und sanfter als vorhin. Meine Arme schlingen sich ungewollt stark um seinen schlanken Körper, die Finger streicheln über seine warme Haut.

„Okay...“, flüstere ich, beküsse (zugegeben verdammt gierig) seine Wange. Denn irgendwie habe ich gerade Lust, wie würden sie heute sagen, mit ihm rumzumachen. Vor den Augen dieses Jonne. Wäre da nicht Sarah. Ich glaube, dass wäre nicht wirklich DIE Idee wenn die arme Kleine mit anschaut wie ich ihn... Egal, ich werde ohnehin gerade weggeschoben.

„Du brauchst nicht eifersüchtig zu sein. Er ist verlobt.“ Das macht ihn natürlich zum treuesten Menschen, klar...

„Aha... warum wohnt er dann nicht bei...“

„Ihr.“

„Ihr?“

„Ihre Eltern wissen davon noch nichts... und seine haben ihn rausgeschmissen. Wenn du Nachts kommst, kriegst von ihm nichts mit, er arbeitet dann. Night scout, nicht das was du dir jetzt wahrscheinlich denkst.“

„Ist ja schon gut.“ Damit küsse ich ihn möglichst liebevoll. „Weißt doch wie gerne ich eifersüchtig bin... Darf ich zu Sarah?“

Er schaut mich lächelnd an, nickt dabei. Dann zieht er mich durch das Wohnzimmer zu seinem Zimmer, dieser Jonne liegt auf dem Boden, liest in einem Buch der mittelchinesischen Geschichte. Er sieht nur kurz auf, wendet sich wieder ab.

„Sarah, Schatz, sieh mal wer da ist.“ Ich schließe die Tür, während Jay auf das Bett zu schleicht, sich neben es kniet. „Ach komm, ich weiß das du nicht schläfst.“

„Mou...“, ertönt es von unter der Decke, diese wird angehoben und ein dunkler Schopf kommt zum Vorschein. „Hi, Daddy.“, sagt sie süß lächelnd.

„Ma Chère.“ Ich hocke mich ebenfalls neben sie, sofort krabbelt sie auf mich zu und schlingt ihre dünnen Ärmchen um meinen Hals. Sie ist noch angenehm warm, dank der Decke. „Und wie geht es meiner Prinzessin?“ Sie kichert, drückt sich enger an mich.

„Gut~. Und dir?“

„Ebenfalls. Danke.“

Wie süß sie mich anlächelt. Meine Finger kraulen durch ihr langes, dunkles Haar, während sie sich nach einer Weile dösend an mich lehnt.

„Sie ist müde, hm?“, frage ich leise, um sie nicht wieder aufzuwecken. Jay nickt langsam.

„Sie waren heute in der Schule schwimmen...“

„Ah... ich wäre da gerne dabei gewesen...“, murmle ich. Unbewusst verfalle ich gerade in Melancholie, streichle weiter durch den Schopf vor mir. Auch er schweigt, hockt sich neben mich und lehnt seinen Kopf gegen meine Schulter.

„Wann machst du mich zu einem der deinen?“, flüstert er dann so leise, dass es ein Mensch sicher nicht verstanden hätte.

„Nicht jetzt...“, gebe ich zurück.

„Liebst du mich?“

„Ja.“

„Wie sehr?“

„So sehr... ich will nicht, dass du Vampir wirst.“ Ich flüstere nur noch vor mich hin, als würde ich ein Selbstgespräch führen.

„Warum liebst du mich dann, wenn du mich nie ganz haben kannst? Ich könnte dich mit Jonne betrügen. Mit jedem, der nur will.“

Dieses Gespräch verläuft nicht so, wie ich es möchte. Um ehrlich zu sein, ist mir zum weinen zumute.

„Ich liebe dich, das heißt nicht, dass ich dich besitze oder besitzen will. Ich weiß, dass dein Leben mir nicht gehört.“ Er scheint zu spüren, dass mir Elend ist, denn er legt seinen Arm um mich, beginnt mich sanft zu streicheln.

„Aber wenn Menschen lieben sind sie immer Besitzergreifend.“

„Ich bin aber kein Mensch...“ Was will er mit diesen Sätzen und Fragen bezwecken? Es stört mich, ich fühle mich trotz seiner liebevollen Finger unwohl.

„Ich weiß. Aber es ist komisch...“

„Bitte... es ist eben so...“

Beruhigt atme ich durch, denn endlich schweigt er.

„Ich liebe dich auch.“, sagt er dann irgendwann. Und plötzlich erkenne ich, was er die ganze Zeit von mir wissen will, weshalb er mir diese Dinge sagt und dumme Fragen stellt.

„Glaubst du, wenn du ein Vampir bist, können wir es tun?“

Er schluckt, streicht zart über die Haut meines Handgelenks.

„Mensch Vampir geht nicht oder?“, gibt er dann leise zurück.

„Vampir und Vampir ist ebenfalls nicht möglich.“

Er zuckt zusammen. Kein Wunder, er als Mensch ist an seine Gewohnheiten gefesselt, für ihn ist diese Art von Liebe einfach normal. Während Vampire wissen, dass die einstigen Geliebten irgendwann auseinandergehen, nicht selten in Hass zueinander.

„Und Eleonore?“

„Eleonore ist nicht ihre richtige Tochter. Manchmal beten Vampire ihre menschlichen Verbündeten ob sie ihnen ein Kind schenken, welches während es aufwächst unter der ständigen Obhut von Vampiren und den Verbündeten ist. Nachdem die Grafentochter 20 wurde und alles über Vampire erlernt hatte, veranstaltete man ein Blutfest. Und so wurde sie auch zu der Tochter Vlads und Minas.“ Ich schwieg wieder. „Das weiß ich von Vlad, vorher war mir das auch nicht bewusst.“, füge ich noch hinzu.

„Dann... geht es mit Vampiren... gar nicht?“

„Ja. Deswegen sind die meisten auch Voyeure.“ Ich lache, er kichert sogar. Auch wenn es eigentlich gar nicht lustig ist.

„Und du?“ Sein Kopf schmiegt sich an meinen, ich spüre seine zarten Lippen an meinem Ohr.

„Ich? Ich weiß es nicht... Bis jetzt bin ich wahrscheinlich zu eifersüchtig dafür.“

„Stimmt.“

Kurze Stille.

„Aber Küssen kannst du?“

„Ja~. Wie du schon bemerkt haben solltest.“

„Und...“

„Verwöhnen kann ich dich auch noch. Es wäre lediglich sehr kalt für dich.“

Er scheint genau zu überlegen, was mich zum grinsen bringt. „Du bist sehr süß.“ Damit drücke ich ihm einen (wie erwähnt kalten) Kuss auf die Wange. „Komm, wir sollten sie in Ruhe schlafen lassen.“

„Ja.“ Nickend trennt er den engen Kontakt, steht auf und wartet auf mich. Ich lasse mir relativ viel Zeit mit meinen Bewegungen, schreite ihm gemächlich nach, als er wieder ins Wohnzimmer geht.

„Du bist ja immer noch da. Heute frei oder was? Oder haben die dich schon wieder gefeuert?“

Mein Blick fällt sofort auf diesen Jungen, der noch immer am Boden liegt, ein Buch vor sich aufgeschlagen und scheinbar in es vertieft ist. Doch er schaut nach einer Weile auf und grinst plötzlich.

„Schon fertig?“

„Verpiss dich endlich.“, knurrt Jay verdammt unfreundlich, was mich innerlich auflachen lässt.

„Sei nicht so gemein... Da hab ich eine Nacht frei und schon werde ich aus der Wohnung geschmissen.“ Er dreht sich auf den Rücken, verschränkt die Arme unter dem Kopf, und schaut zu uns hoch. Sein Blick bleibt an mir hängen.

„Dann machen wir eben einen Spaziergang.“ Ich greife nach seiner Hand, ziehe ihn von dem Anderen weg.

„Okay. Wenn ich wieder komme, bist du entweder weg oder schläfst!“, ruft er noch mal unterdrückt in die Wohnung, um Sarah nicht zu wecken.

„Zu Befehl.“, bekommen wir noch zu hören, dann schließe ich die Tür.
 

Es ist gerade nach 1 Uhr Nachts, als er eng an mich gepresst einschläft. Eine gute Leistung für einen Menschen, erstens bin ich kalt, zweitens ist die Marmorplatte auf der wir sitzen noch kälter und drittens kann es jeden Moment anfangen zu regnen. Aber trotzdem möchte ich diesen kleinen schwarzen Engel nicht aufwecken, wie er da so friedlich an meiner Brust döst... Stattdessen gebe ich ihm einen Kuss auf die Wange, drücke ihn näher an mich und fange an mit den Händen über seine Schulter zu reiben, um ihn wenigstens ein bisschen zu wärmen. Es funktioniert auch, er bibbert nämlich nicht mehr. Ich denke ich sollte ihn vielleicht doch wecken, bevor er hier erfriert... Das nimmt mir allerdings jemand ganz anderes ab, ein Friedhofswächter um genau zu sein (erwähnte ich schon, dass ich ihn mal wieder auf einen Friedhof geschleift habe? Nun ich finde den neuen eben hübsch...).

„Was machen sie so spät noch hier?“, schreit der uns entgegen, als hätte er bereits einen Hörsturz und würde verzweifelt versuchen wieder seine eigene Stimme hören zu können.

Ich lächle ihn matt an, während der Engel sich regt und schließlich müde den Kopf hebt.

„Und es regnet gleich! Sie sollten nach Hause!“

Ich konnte es nicht verhindern mir seufzend über die Ohren zu reiben. Sogar Klein Jay stöhnt genervt auf.

„Lass uns gehen... Ich bin müde...“ Er streckt sich, gähnt dabei herzhaft.

„Okay.“, gebe ich flüsternd zurück. Der Typ schaut uns an als würden wir irgendeine ihm nicht geläufige Sprache sprechen. Also doch Hörsturz... Leicht grinsend stehen wir auf, wobei ich ihn eher halbwegs trage, als dass er selbstständig geht. Nicht, dass es mich stört... In meinem Rücken kann ich noch den Blick dieses Mannes spüren, wie er uns nachglotzt. Ein wirklich unangenehmes Gefühl.

„Duuu?“, fragt der Kleine plötzlich, nachdem wir wieder halbwegs zu Hause sind. Also er jedenfalls, nicht ich.

„Ja?“

„Bald sind Ferien... Wie wär’s wenn wir mal in den Urlaub fliegen oder so? Ich will dir jetzt nicht irgendwie auf der Tasche liegen oder so... Aber du sagtest doch mal, dass...“

„Ja~. Ich hab genug Geld, das ist kein Problem. Wir müssen nur sehen, dass wir Nachts fliegen. Und ob Rayne vielleicht mitmöchte. Und Len...“, gebe ich zurück. Er will Urlaub mit mir machen? Unbewusst fange ich an zu grinsen. Wie süß...

„Wenn du so viel Geld hast, wieso wohnst du dann in einem Grab? Also auf so einem alten Friedhof?“

„Uhm... Wenn ich wieder anfange in Prunk zu leben schmeiße ich nur alles Geld für Nichtigkeiten heraus... Da warte ich lieber auf solche Geschehnisse, wie dich und Sarah. Denn hätte ich nichts gehabt, würdest noch in dieser Studentenbude leben und Sarah wäre im Heim.“ Er scheint zu verstehen, was ich damit eigentlich sagen will, nämlich dass ich einfach verschwenderisch bin, und dass das der einzige Weg für mich ist zu sparen.

„Wohin willst du überhaupt?“

Auf die Frage hin zuckt er mit den Schultern, wenig später schaut er mit lieben, großen Augen zu mir hoch.

„Japan?“

„Japan?“ Okay, das hatte ich nicht erwartet... Eher Amerika oder so etwas großes, aber nicht Asien... „Das ist weit, findest du nicht?“

„Bitte~.“

Damit wäre das wohl auch beschlossen... Denn bis jetzt ist mir nichts bekannt, wie ich diesem niedlichen Blick widerstehen könnte. Er ist einfach zu süß.

„Und wann?“ Bitte sag nicht...

„Morgen?“

Verdammt.

„Das ist wirklich etwas früh.“

„War auch nur ein Scherz.“ Er kichert los, sein Arm klammerte sich enger um meinen Hals.

„Ah...“ ...Gott sei Dank.

„Und Jonne kann ja auf die Wohnung aufpassen. Der weiß eh nicht wohin mit sich seit seine Gekündigt wurde...“

„Hmh...“ Mal sehen wen wir nach dem Urlaub in seiner, nein, meiner Wohnung auffinden.

„Nehmen wir Sarah mit?“, fragt er nach einer langen Pause, wir sind bereits in der Straße in der die Beiden (oder die Drei...) wohnen.

„Natürlich. Ich lasse sie doch nicht allein bei diesem... Jonne.“ Beleidigt schaut er zu mir auf, liegt wohl daran, dass ich diesen Typ nicht leiden kann. Ich zucke nur mit den Schultern.

„Dann buche ich mal... Du hast doch einen Laptop?“

„Du kannst online buchen?“

„Ich bin vielleicht 200 Jahre alt, das heißt nicht, dass ich nichts von diesem Zeug verstehe.“

„Stimmt, hattest ja genug Zeit zu lernen.“

„Unverschämtheit.“

Er lacht, drückt sich eng an mich, gibt mir dabei einen sanften Kuss.

Vor der Haustür des hohen Gebäudes bleiben wir noch mal stehen. Sein Arm liegt immer noch um meinem Hals, die Stirn lehnt an meiner Halsbeuge und sein warmer Atem dringt durch den Stoff bis auf meine Haut. Ein angenehmes Gefühl.

„Ich liebe dich...“, haucht er mir noch zärtlich ins Ohr.
 

„Geht’s dir gut?“

Die Stimme meines Jungen klingt stumpf und leise durch das dicke Holz, welches mich umschließt. Es ist vielleicht 14 Uhr, Kälte herrscht in dem Bauch der Maschine in der wir nach Kyoto fliegen. Auf meinem Bauch liegt ein umgebautes Handy, welches nur noch Walky- Talky Funktionen besitzt. Was heißt, dass mir ab und zu solche Nachrichten zugeflüstert werden. Ich muss immer wieder lächeln, wenn ich versehentliche Geräusche von ihm höre, zum Beispiel als er schlief und dabei stark einatmete, oder wenn er isst. Es klingt niedlich. Nebenbei fühle ich mich hier sehr allein gelassen. Das einzige das hier unten ist, ist der große Hund, der in einen Käfig eingesperrt wurde und öfters laut aufbellt. Bevor die Sonne aufging unterhielt ich mich noch mit ihm, so gut das eben ging.

„Alex?“ Hm, seit neuestem nennt er mich sogar Alex. Es stört mich nicht besonders, auch wenn ich Anfangs nicht darauf reagiert hatte.

„Alles in Ordnung, my Dear. Mir ist nur langweilig.“, flüstere ich in das kleine, Stoffüberzogene Mirko, das an meinem Hals befestigt ist.

„Kannst immer noch nicht schlafen, oder?“

„Nein...“, gebe ich leise zurück. Seit der letzten Woche hat sich irgendetwas verändert. Ich fühle mich verfolgt und kaum dass ich in den tiefen Schlaf falle träume ich Dinge, die längst vergangen sind. Verhindern kann ich es nicht, was genau mit mir los ist, weiß auch niemand. Aber dass ich die Tage nicht mehr mit schlafen verbringe haben sie schon bemerkt.

„Tut mir Leid...“

„Macht nichts. Schläft Sarah?“

„Ja, tief und fest.“

„Wenigstens eine...“

Neben mir ertönt ein leises Winseln. Er ist also wieder aufgewacht... Das Geräusch deprimiert mich, Jay scheint mit irgendwas beschäftigt zu sein, denn er sagt nichts mehr. Ich will endlich wieder raus hier... Nebenbei bemerkt, seit ca. Zwei Stunden weiß ich, dass auch Vampiren die Glieder einschlafen können. Was wahrscheinlich auch bei jedem Totenschlaf passiert, nur merken wir davon nichts. Aber wach so dazuliegen... Eklig.

Ein tiefes Einatmen ertönte, dann ruhigeres. Mein Lieber Jay war also eingeschlafen. Wann kommen wir denn endlich an...?
 

Jemand klopft auf das Holz meines Sarges, worauf ich überrascht und unausgeschlafen die Augen öffne.

„Du, es ist Nacht...“, wird leise geflüstert.

Ich fühle mich plötzlich besser, als auf dem gesamten Flug, keine negative Aura mehr in meiner Nähe, einfach nur Ruhe und irgendwo in der Ferne der Geruch von warmen, sanften Blutes. Nichts Jays heißes Blut, es war unschuldiger. Vielleicht befand sich in der Nähe irgendwo ein Kloster. Oder Kinder.

„Geh von dem Sarg weg, ich öffne ihn jetzt.“ Ich höre wie er brav wegrutscht, dann erst tue ich wie ich sagte.

„Oh, du siehst erholt aus.“, werde ich begrüßt, gleich nachdem ich mich aufsetze.

„Danke, Liebling.“ Ich lächle etwas ironisch. „Ist dies das Hotel?“ Ich schaue mich fragend um. Es ist typisch Japanisch eingerichtet. Holzfußboden, dunkle Wände, Schiebetür und niedrige Tische, um welche kleine Sitzkissen verteilt sind. Er scheint sich hier Pudelwohl zu fühlen.

„Ein Stück von hier gibt es einen Onsen... und ein Tempel.“ Jay legt einen bittenden Blick auf. Ich nicke nur träge. „Ich wollte schon immer einen Mönch als Speise nehmen. Keine Sorge, ich töte ihn nicht. Ich möchte nur wissen wie es ist...“

„Nach so vielen Jahren bist du noch so ein Spielkind?“

„Hey, an meiner Stelle wärst du genauso.“ Er lacht nur, lehnt sich an mich. Schon ganz automatisch hebt sich mein Arm, legt sich um seinen schmalen Körper und kraule seine rechte Seite, ein Stück unter der Brust. Jay gibt ein leises, wohliges Schnurren von sich.

„Wie wär’s wenn wir die erste Nacht hier verbringen?“

Langsam nickt er, beugt sich zu mir hoch und gibt mir einen sanften Kuss.

„Ich liebe dich...“, fügt er hauchend hinzu, öffnet dabei seine dunklen, tiefen Augen und betrachtet mich. Wie immer schaffe ich es nicht, meinen Blick dann wieder von ihm abzuwenden, solang er mich dermaßen gefangen hält.

Erst als er leicht errötend zur Seite sieht fange ich mich wieder. Bedecke seinen Hals daraufhin stumm mit liebevollen Küssen, knabbere leicht an der noch leicht geröteten Stelle auf seiner Haut.

„Willst du trinken?“, fragt er leise, mit einem so süßen, unschuldigen Tonfall, dass ich nicht anders kann, als ehrlich zu sein.

„Ja...“, gebe ich dementsprechend lüstern zurück. Zarte Finger gleiten in meine Haare, kraulen über meinen Kopf. Kaum spüre ich sein Nicken, senke ich auch schon meine Zähne in diese zarte haut, die fast sofort nachgibt. Ein wunderbar warmer Schwall seines Blutes strömt in meinen Mund, ich schließe genießend die Augen. Mir wird heiß, es fließt durch meine Adern, belebt mich auf eine wunderbare Weise. Jay sinkt mir entgegen, ich kann fühlen, wie er schwächer wird. Irgendwann sinke ich auf den Boden, worauf er auf mich rutscht, streiche sanft durch sein Haar, bis er gleichmäßig atmend einschläft.

Natürlich wecke ich ihn nicht, als ich losziehe, um einen jungen, einsamen Priester zu suchen. Zu stark ist die Neugier und der Hunger. Ich streife noch stundenlang durch die schwarze Nacht, trinke hier und da von Fremden, größtenteils Japanern, manchmal Menschen aus anderen Ländern. Tokyo an sich ist selbst zu dieser Zeit hellerleuchtet und, zugegeben, relativ laut. Aber es gefällt mir. Obwohl ich mich vor einiger Zeit mal vor diesen Sachen, dieser Helligkeit, gefürchtet habe. Für einen Vampir ist es sehr gewöhnungsbedürftig, dass die Nächte manchmal heller als die Tage sind. Kurz gesagt: Jetzt, da ich daran gewöhnt bin, finde ich es einfach nur wundervoll.
 

„Wo warst du? Wolltest du nicht hier bleiben? Mit mir...“ Jay stand mir direkt gegenüber. Ich schluckte nur, neigte den Kopf zur Seite und schaute knapp an ihm vorbei.

„Ich habe nur gejagt.“, gebe ich ehrlich zurück.

„Du hast vorhin nicht geantwortet.“ Seine Stimme klingt vorwurfsvoller noch als gerade, seine Augen funkeln mich an. Als ich nicht antworte, beginnt er wieder. „Warum sagst du nichts?“

„Was würde ich jetzt ändern können, an deinem Zorn?“, sage ich leise.

„Was ist mit dir los? Stimmt irgendetwas nicht?“

„Es... ist nichts. Ich bin nur aufgeregt.“

„Warum wolltest du mit nach Japan? Nein, warum bist du mitgekommen, wenn du gar nicht wolltest? Es stimmt also. Irgendwann wird jedem Vampir seine Gesellschaft lästig.“

Ich sage darauf nichts, mir fiel einfach nichts ein, dass es beschwichtigt hätte. Traurig mustert er mich, dreht sich dann um und verschwindet in dem Raum nebenan. Warum tue ich nichts? Unbewegt stehe ich mitten in dem Zimmer, draußen kann ich ein leises Klacken hören. Holz das auf Stein schlägt. Wieder etwas typisch japanisches. Mein Inneres schmerzt plötzlich. Mir wird klar, dass es stimmt. Und das ich es nicht will. So wie ich mit Rayne Jahrhunderte durchlebt habe, kann ich das nicht auch mit ihm? Ich wünsche es mir, und doch scheint gerade alles zu zerbrechen. Denn... war er anfangs nicht doch einfach nur jemand, der mir nützlich war? Menschen konnte man schon immer ganz leicht mit schönen Worten verführen. Jetzt bereue ich es.

Es ist bereits morgen, als ich mich vorsichtig in das Zimmer schleiche und mich still in meinen Sarg verziehe. Ich will ihn jetzt nicht belästigen, lasse ihn einfach weiterschlafen.
 

Jemand klopft auf das Holz. Mit einem glücklichen Ausdruck in den Augen öffne ich sie, denke schon, dass alles nur ein schlimmer Traum war. Doch gleich darauf spüre ich seine verletzte Aura. Es war keiner, wird mir schlagartig bewusst. Ich muss nichts sagen, er scheint von sich von selbst wegzubewegen. Ich öffne langsam den Deckel und erschrecke. Eine neue Aura, direkt in diesem Raum. Kaum, dass ich richtig wach bin und nach diesem anderen Mensch suche, springt dieses Etwas aus einer Ecke auf mich zu. Auf den ersten Blick ein Mädchen, doch es ist ein Mann, wie ich kurz darauf feststelle. Ein junger Japaner, mit langem schwarzen Haar und herausstechend hellen Kontaktlinsen. Er ist nicht wirklich groß, jedenfalls nicht im Vergleich zu mir, dafür aber dürrer als ich. Hinten an der Wand sitzt Jay, wirft mir einen undefinierbaren Blick zu. Er sieht zum fürchten aus, denn seine Augen verengen sich.

„Hi! Ich bin Kira.“, quietscht der fremde Junge fröhlich.

Jay hebt die Hand, weißt auf das Ding vor mir, dann zu mir. Er nickt bestimmend.

„Er ist nur für dich.“, fügt er hinzu, worauf der etwas irritiert den Kopf nach zu ihm wendet.

Ich zögere nicht lange, packe den Arm, mit dem sich dieser Kira auf meinem Sarg abstützt und schwingt ihn mit einer schnellen Bewegung in meinen Bett. Es war ein Geschenk. Ich fühlte die Reinheit des erschrockenen Jungen, er war unschuldig, jungfreudig, einfach alles. Normalerweise verging ich mich nicht an solchen Menschen, es gibt schließlich viel zu wenige von diesen. Doch allein Jays Blick befiehlt es mir. Mit einem geflüsterten „Ich liebe dich.“ senke ich meine Zähne in dieses weiche Fleisch. Ich glaube, er hat absichtlich diesen Test gewählt. Es ist wie eine Sucht, dieses reine Blut, selbst Jay fühlte sich beim trinken verdorbener an, als dieser Junge. Man will es immer wieder.

Irgendwann höre ich kein Dröhnen mehr in den Ohren, das Herz ist stehen geblieben. Er rutscht ein Stück von mir herunter, bleibt regungslos auf meinen Beinen liegen.

„Liebst du mich wirklich?“, flüstert Jay mit sanfter Stimme, kommt langsam auf mich zu.

„Ja.“

„So sehr, dass du den unschuldigsten Menschen tötest, den ich auftreiben konnte?“

„Ja.“

„Ich liebe dich.“ Unachtsam zerrte er die Leiche aus dem Sarg, warf ihn auf den Boden. Dann hockte er sich in ihn, auf meinen Bauch. „Bitte, verlass mich nicht, wie ihr Vampire das macht...“, sagt er leise, neigt den Kopf und küsst mich. Meine Arme legen sich um seinen Nacken.

Eine ganze Weile verharren wir so, bis ich sein Kinn anstupse und er mich anschaut.

„Ich schaffe sie weg.“, sage ich leise.

„Du machst ihn zu einem Vampir, nicht?“

Ich bin wirklich überrascht, dass er mich durchschaut hat. Kira lebt noch, ich erwartete nicht, dass ich ihn wirklich umbringen sollte. Ihn scheint das nicht zu stören.

„Du wolltest ihn gar nicht töten.“, stelle ich fest.

„Natürlich nicht. Ich wollte nur sehen was du tust, um mir es zu beweisen und wie du ihn am Leben erhältst.“ Wieder herrschte Stille.

„Die `Leiche`. Machst du ihn hier zum Vampir? Ich möchte zusehen.“
 

„Hast du verstanden? Das hier ist deine Stadt, dein Gebiet. Noch gibt es hier keine Vampire, das heißt du musst dich durchsetze. Hörst du mir zu?“, knurre ich lauter. Kira hockt vor mir und hibbelt grinsend auf dem Boden herum.

„Okay~. Also bin ich jetzt der Macker von Kyoto?“

„... So war das nicht gemeint... Bemüh dich einfach, ein vernünftiger Vampir zu werden.“

„Okay~!“ Wieder kichert er blöd. Irgendwie war er ja niedlich. Aber auch nur irgendwie...

„Jay, ich mag nicht mehr mit ihm reden...“, rufe ich genervt durch das Zimmer, erhalte aber keine Antwort, „Jay~?“

Er taucht aus dem Nebenzimmer auf, klappt gerade sein Handy zu.

„Was?“, frage ich sofort misstrauisch, da er mich etwas wehleidig anschaut.

„Ahm...“, stottert er dann los, ohne groß zu erklären was los ist.

„Mit wem hast du telefoniert?“

„Jonne~“, flötet Kira, Jay zuckt ertappt zusammen. Na toll, noch ein Hellseher...

„Und was wollte er?“

Jay schweigt, wirft dem Japaner einen flehenden Blick zu. Doch der quasselt, die Augen direkt auf ihn gerichtet und konzentriert schauend, gleich drauf los.

„Also da ist so eine Sarah, und die ist weg, entführt oder so, kann ich-“

„WIE BITTE??!“ Ja~, ich muss jetzt einfach brüllen. Wobei ich mich natürlich an Kira wende, ich will Jay ja nicht erschrecken... Der Junge zuckte sofort zusammen und hüpfte auf die Beine, um sich ein Stück in Sicherheit zu bringen.

Jay senkt nur den Kopf und schaut mich wie ein kleiner Hund an. Innerlich schließe ich gerade einen festen Entschluss: Jonne stirbt.

„Und wie ist das passiert?!“, knurre ich gedämpft (schaue dabei erneut zu Kira, der aus dem Zimmer verschwindet).

„Er... war arbeiten und sie war weg, als er wieder kam...“, gibt er schüchtern zurück.

„Hat er denn nicht abgeschlossen?“ Ich gehe langsam auf meinen Liebsten zu, lächle ihn sogar gezwungen an.

„Ja schon... deswegen denkt er ja, dass sie irgendwie entführt wurde oder so... Er hat die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt...“

„Können wir zurückfahren? Kira kann ja weiter hier leben, wenigstens solange, wie bezahlt worden ist.“ Jay nickte langsam, sieht mich entschuldigend an.

„Klar... tut mir Leid...“

„Ist schon in Ordnung, ich finde sie schon.“ Wieder lächle ich, nur diesmal ehrlich.
 

Zu dem Flug gibt es nicht viel zu sagen... Ich war nervös ohne Ende, die Angst, dass Sarah etwas passiert sein könnte, machte mich wahnsinnig. Jay war sehr bestürzt, es rührte mich, wie gut er verstanden hat, dass ich Sarah liebe. Stock sauer bin ich trotzdem. Und es tut mir Leid, den Urlaub vorzeitig abgebrochen zu haben.

Als wir wieder in London ankommen, ist es bereits Nacht. Wir beeilen uns zu der Wohnung zu kommen (Jay stolperte öfters).

Und... was soll ich sagen? Ein kleiner, scheinbar zu Tode verängstigter Jonne kommt uns entgegen gekrochen, kaum dass wir die Tür geöffnet haben. Den Kopf eingezogen, blinzelt er unruhig zu uns hoch.

„Es tut mir Leid... Ich weiß nicht wie das passieren konnte...“, nuschelt er, duckt sich gleich wieder.

„Wirklich schade dass du Franzose bist.“

Fragend schauen mich zwei Augenpaare an.

„Naja, dann hätte ich jetzt über deine Abstammung lästern können. Aber so kann ich das nicht. Scha~de.“

„Und... jetzt?“ Noch bevor Jay fertig reden konnte, tappste ich zurück zur Tür.

„Ich geh sie suchen. Da ich ja der erste bin, die sie finden wird, nicht?” Irgendwie habe ich ohnehin so ein Gefühl wo sie sein könnte. Gut, dann konnte Jonne ja tatsächlich nichts dafür. Auch wenn ich es lieber hätte, ihn weiter herumkriechen sehen zu dürfen. Geschlagene Franzosen sind... amüsant.

„Soll ich mitkommen?“, fragt Jay sofort mit bittendem Tonfall.

„Nein, du passt schön auf den da auf. Und die Wohnung... Ich will dich bei der Suche nicht auch noch verlieren.“ Ich drücke ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. „Und jetzt hör auf dir Sorgen zu machen und lächle mal wieder.“ Er schenkt mir noch das gewünschte Lächeln, dann erst verschwinde ich (stilvoll aus dem Fenster, was Jonne noch nervöser macht).

Das Gefühl ständig beobachtet zu werden ist wieder aufgetaucht. Es macht mich schier wahnsinnig... Und es stört bei der Suche, ich werde also endlich paranoid... Andere Vampire haben das längst schon hinter sich. Je näher ich meinem Zuhause, dem Friedhof komme, desto schlechter wird dieses Gefühl, ich bekomme langsam aber sicher doch Angst um Sarah. Es ist als wäre dieser dunkle Schatten bei ihr, als hätte er sie entführt. Ich bewege mich, die Sterblichen um mich herum ignorierend immer schneller, bis ich endlich an dem hohen, wie immer unverschlossenen, Eisentor ankomme. Ich schaue nervös um mich, wie ein Verrückter der unter starkem Verfolgungswahn leidet. Sarah... Wo ist sie nur?

„Du bist wieder da?“

Ich knurre unabsichtlich laut auf, während ich mich umdrehe. Auch wenn es nur Rayne ist, die da hinter mir steht und mich daraufhin erschrocken ansieht. In der Aufregung habe ich sie gar nicht wahrgenommen.

„Wo ist Sarah?“, frage ich aufgeregt.

Sie zuckt mit den Schultern.

„Bei Len. Hier rennt ja neuerdings ein Fremder rum. Und du weißt ja, das in diesem Moment kein Vampir aus London vertrieben werden darf. Sie nerven wirklich...“

Eigentlich hätte ich aufatmen sollen. Ich tue es nicht, denn plötzlich werde ich mir der bestehenden Gefahr, was Sarah UND meinen Liebsten angeht bewusst. In London findet zur Zeit ein altes Fest statt, in der die Vampirältesten geehrt werden. London wird heutzutage als Hauptstadt unserer Art angesehen, und ich muss zugeben, es stört Fremde durchzufüttern während diesem Monat.

„Ah, gut... Aber... ihr hättet Jonne Bescheid geben können, der hat uns aus dem Urlaub geholt.“

„Jonne? Der Typ, der da immer rumhing? Der war doch eh nicht da... Da haben wir sie uns einfach geschnappt. Du hättest uns schließlich nachher vorgeworfen, wir hätten sie nicht beschützt, wenn ihr was passiert wäre, also reg dich nicht auf.“ Sie verschränkt die Arme und macht sich etwas größer (sie bleibt kleiner als ich...). „Das nächste Mal kannst du dich allein um alles kümmern, mein Freund!“, fügt sie gespielt beleidigt hinzu.

„Ist ja schon gut... Kann ich sie jetzt wieder mitnehmen?“

„Klar. Ich weiß eh nicht, was du an der findest... das du das für ihn tust überrascht mich ja schon.“ Damit dreht sie sich um, lässt mich an den Toren stehen. Ich mag es nicht, wenn sie so abschätzig über meinen Meister spricht.

„Naja.“, sagt sie dann plötzlich, wendet sich aber nicht zu mir, „Wenigstens wolltest du dieses Jahr nicht wieder hier rumsitzen und auf >ihn< warten.“

Ich erwidere nichts darauf, starre ihr nur missmutig nach. Wobei sie recht hat, Jay hat mich es, na ja eher Ihn, einfach vergessen lassen.

„Kommst du jetzt?“, ruft sie mir zu, worauf ich aufschrecke. Ach, musste sie mich denn daran erinnern? Das war ja furchtbar... Kopfschüttelnd laufe ich ihr nach. Frauen...

„Daddy!!!“, quietschend rennt mir die kleine Sarah entgegen, ich gehe in die Knie, um sie im Sprung aufzufangen. Mittlerweile stört mich ihr Daddy gar nicht mehr, auch wenn es für mich eine Art Verrat an der richtigen, eigenen Familie ist. Aber sie besaß schließlich keinen, außer mir.

„Ich hab dich vermisst! Du warst so~ lange weg... Und wo ist Jay? Er ist doch nicht etwa da geblieben??“, redet sie darauf los, lässt mich erst mal gar nicht zum antworten kommen. Ich muss lächeln. Ignoriere Rayne einfach, als sie die Augen verdreht, Len lächelt nur zu uns herunter. Sie scheint Sarah sehr ins Herz geschlossen zu haben.

„Ich dich auch, mein Herz... Keine Sorge, er wartet zu Hause schon ganz ungeduldig auf unsere kleine Prinzessin.“, sage ich ruhig, streiche durch ihr dunkelbraunes Haar, welches seit kurzem leichte Locken erhalten hat.

„Ich möchte wieder nach Hause~!“, fügt sie dann hinzu, schaut zickig zu Rayne hoch, die den Blick missbilligend erwidert. Fragend blicke ich zu Len, die ich gerade zum ersten Mal grinsen sehe. In den Tagen herrschte hier wohl mächtig Zickenterror. Schade, dass ich nicht dabei war...

„Ja, wir gehen jetzt auch. Und sobald wir da sind, wird geschlafen.“

„Nein! Dann bleibe ich hier!“, widerspricht sie laut, rennt zu Len und klammert sich an deren Rock.

„Ach, mein Herz, sei nicht so kindisch. Ich weiß du bist noch eines, aber schlaf ist wichtig.“

„Aber ihr schlaft Nachts auch nicht!!“ Len muss lachen, während ich nur grinse. (Ryane wird weitestgehend ignoriert).

„Wir schlafen Tagsüber. Ga~nz lang. Wir müssen viel länger schlafen als du.“

Das scheint sie wenigstens ein bisschen zu befriedigen, denn sie nickt leicht.

„Und morgen kannst du ganz viel mit Jay spielen, weil er noch Ferien hat.“ Und schon strahlt sie mich wieder an, hüpft auf mich zu und lässt sich von mir hochheben.

„Ich komme dann wieder.“, ist meine Art von kurzweiligem Abschied.

Die Nacht ist kälter geworden, Sarah beginnt schon auf dem Friedhof zu zittern, klammert sich an mich. Es macht mich traurig, dass ich ihr nicht die körperliche Wärme geben kann, die sie braucht. Ich habe dass Gefühl, dass ich Schuld an ihrem Zittern bin.

„Du?“, flüstert sie irgendwann in die Stille, abgesehen von dem rauschen des Windes.

„Ja?“

„Rayne hat gesagt, du würdest Jay irgendwann einfach allein lassen, stimmt das?“

Ich zwinge mich, nicht nach unten zu sehen, denn ich weiß, dass mich jetzt zwei braune, fragende Augen anschauen würden, worauf ich keine ehrliche Antwort mehr geben könnte. Also starre ich einfach geradeaus, mustere jede einzelne Laterne, die ich entdecken kann.

„Ich werde ihn nicht allein lassen.“, gebe ich schließlich zurück, da mir klar wird, dass ich selbst die wahre Antwort nicht weiß.

„Und mich auch nicht?“

„Dich auch nicht.“

Es ist seltsam, ich spüre nicht mehr diesen Verfolgungswahn, diese Anderen in meinem Nacken. Ich fühle nur noch ein Kind in meinem Arm, welches sich an mich drückt. Und ich spüre, dass sie glücklich ist. Sie ist so viel wärmer und gefühlvoller, als ich es je sein kann... Und jetzt bin ich es, der sich an das kleine Kind klammert.

„Daddy?“

„Ja?“

„Ich hab dich und Jay ganz doll lieb. Und Len. Und Rayne eigentlich auch... Aber euch beide am dollsten.“

„Ich dich auch...“, flüstere ich noch, spüre dabei, wie sie langsam in den Schlaf überdämmert.
 

Es ist verblüffend wie manche Menschen mit ihren Eltern reden. Ich liebte (und liebe) meine Mutter, Vater kannte ich ja leider nicht lang genug, aber wie Jay mit seiner Mutter umging. Ich habe gerade das Glück sie kennen zulernen. Und was passiert? Die Beiden fetzen sich schon seit geraumer Zeit. Ich hocke unschuldig vor mich hinwippend auf dem Sofa, Jay steht in der Küche, mit seiner werten Mutter, die mich für einen Pädophilen hält (Dankeschön!!). Es ist niedlich ihn mal so in Rage zu erleben. Und wie er mich verteidigt, auch wenn ihm eine gewisse Zahl rausgerutscht ist, welche die Frau mächtig verwirrt hat. Nun ja, er klärte es auf, und jetzt bin ich 25. Übrigens sitzt Jonne neben mir. Er ist auch der Grund, aus dem sie ihren Sohn jetzt für eine Schlampe hält. Wo ist sein Vater eigentlich?

Plötzlich beugt sich der junge Franzose zu mir herüber.

„Du solltest es sehen, wenn sein Dad dabei ist, da geht’s erst richtig ab...“ Nebenbei erwähnt vertragen wir uns mittlerweile richtig gut.

„Wieso?“ Ich muss die Frage wiederholen, da Jay gerade lautstark seine Männlichkeit verteidigt.

„Der ist immer voll auf seiner Seite... hatte auch gerne mal nen Mann, nach der Trennung. War aber nur der zweite. Wo sein richtiger ist, weiß keiner... Aber irgendwie hat er mit Männern immer Glück...“

„Ah, dann ist das, der geliebte Elternteil?“

„So ungefähr.“

„Wie oft warst du denn dabei? Und warum überhaupt?“

„Och... hatte öfters keine Wohnung...“ Er zuckt nur mit den Schulter, als wäre das egal.

„Aha...“ Langsam werde ich nervös. Sarah ist jetzt schon seit zwei Stunden bei einer Nachbarin. Kaum zu glauben, dass sie das Gespräch nicht mitbekommt. Wahrscheinlich muss ich ihr nachher erklären, dass sie nur eine kleine Meinungsverschiedenheit hatten. Wie jedes Kind würde sie es nicht glauben. So wie ich es nicht geglaubt hatte, wenn Bruder sich mit Mutter stritt. Mit einem Kopfschütteln verdränge ich diesen Gedanken, höre das geknurrte französische Schimpfwort neben mir, als diese Alte wieder auf uns zu sprechen kommt. Hach, sie ist so eine nette, begehrenswerte Frau...

Sie geht zu weit, fällt mir auf, als sie ihn wieder verbal dermaßen erniedrigt, dass er gar nichts mehr erwidern kann. Zeitgleich haben wir auf dem Sofa den selben Gedanken, aufspringen und auf sie loszugehen, nur bin ich schneller. Mit einer gezielten Bewegung sackt sie bewusstlos zur Seite. Jay starrt ihr nur erschrocken nach.

„Keine Sorge, sie lebt noch. Ich will nicht, dass du wegen der im Knast landest.“, sage ich, würde jetzt am liebsten in sie hinein treten, was ich aber lieber unterlasse.

„Danke.“, sagt er dann leise, geht an mir vorbei und haut sich auf das Sofa, „Ich hätte ihr fast eine gescheuert... Wie redet die eigentlich über euch?“

„Und dich.“, fügt Jonne mit erbostem Unterton hinzu.

„Um mich geht’s da nicht...“ Jay schaut mir nach, als ich zu seiner bewusstlosen Mutter schleiche, sie von oben herab betrachte. „Und du, lass sie ja leben, sonst landen wir noch im Knast.“

„Jaja... Ich tu deiner geliebten Mutter schon nichts.“ Damit streiche ich ihr ein paar leichte Locken zurück. Ob Sarah auch so ein dummes Weib wird? Ich bete dafür, dass es nicht sie ist. Bzw. sein wird.

„Was machen wir jetzt mit ihr?“

„Liegenlassen.“

„Jonne.“, kommt es mahnend von Jay.

„... Oder wir setzen sie im Wald aus.“

„Jonne!“

„Schon gut... Bin ja still...“

„Ich bringe sie nach Hause. Wo wohnt sie?“, frage ich ruhig, auch wenn ich darauf keine Lust habe. Zu meiner Zeit hätte der wütende Sohn seine Mutter einfach getötet. Oder als Hexe verraten...

„Wie willst du das machen?“ Jay legt leicht den Kopf schief (was unheimlich niedlich aussieht).

„Ich komme überall rein, das weißt du doch.“, gebe ich nur zurück.

„Ach ja... Hier.“ Damit kritzelt er mir die Adresse auf einen kleinen Zettel, drückt ihn mir in die Hand. Man sieht ihm die Niedergeschlagenheit wirklich an. Er sieht so traurig aus, auch wenn er so tut, als würden ihre Beschimpfungen ihn nicht interessieren.

„Danke. Ich lege schön viel Alkohol um sie, dann denkt sie, sie wäre nur besoffen gewesen.“, sage ich lächelnd, in liebevollem Ton, „Ich will sowieso mal ausprobieren, wie viel ich mittlerweile vertrage.“ Ich grinse, gebe ihm einen Kuss, bevor ich die Hexe hochhebe. „Ich liebe dich. Bis morgen, ma Dear.“

Er nickt, schenkt mir ein warmes Lächeln, bevor er freundlicher Weise die Tür öffnet, was eigentlich nicht nötig gewesen wäre. „Und hol Sarah ab.“

Er nickt noch, dann verschwinde ich auch schon aus der Wohnung und kurz darauf aus dem Haus. In meinen Armen hängt diese bewusstlose Frau, die schlafend und ruhig tatsächlich schön aussieht. Nur charakterlich ist sie wirklich nichts wert. Schade.

Ihre Wohnung ist ein ganzes Stück von Jays entfernt. Zum Glück, kann man da wohl sagen. Das Haus ist schlicht, sie wohnt scheinbar ganz oben. Die Wohnung ist leer. Sie kam wohl eigentlich wegen finanziellen Problemen zu ihrem Sohn, um Geld zu erbetteln, oder zu erstreiten. Nun ja, die Wege der Frauen sind unergründlich... (jedenfalls für uns Männer). Ich lege sie auf dem Boden ab, verteile wie besprochen ein paar Flaschen um sie herum, schütte das Bier und was sonst noch da ist in den Ausguss. Schließlich will ich ja zurück nach Hause finden. Ich kann nicht anders, als ein wenig herumzustöbern. Nach einer Weile finde ich ein zerrissenes Foto, verstaubt auf einem Schrank liegend. Für mich ist es kein Problem es wieder zusammen zusetzen. Das Bild erstaunt mich irgendwie nicht. Aber jetzt weiß ich, von wem Jay seine dunklen, fesselnden Augen geerbt hat. Ein hochgewachsener, schwarzhaariger Mann schaut mir von dem Foto entgegen, er lächelt zaghaft. Gekleidet ist er in schwarzem Samt, soweit ich es erkennen kann. Und im Arm hält er einen kleinen Jungen, der glücklich in die Kamera sieht. Wie alt dieses Foto wohl ist? Mit einer eiligen Bewegung wische ich Schnipsel in meine Handfläche, stecke sie dann in meine Tasche. Die Sonne geht bald auf, das sagt mir ein aufwallendes Gefühl in mir.
 

„Was tust du da?“ Neugierig schaut mir Rayne über Schultern, während ich angestrengt versuche die Schnipsel zusammenzukleben.

„Sieht man doch.“, gebe ich genervt zurück. Es ist noch zu früh, um zu Jay zu gehen, denn schon seit Stunden bin ich wach, lange bevor die Sonne untergeht. Wieder plagt mich der Wahn, das Gefühl ständig verfolgt zu werden. Doch ich glaube mich langsam daran zu gewöhnen.

„Ja, toll. Und wer sind die?“

„Jay und sein Vater.“

„Wow. Der alte Herr hat was.“

„Hm. Fällt dir nichts auf?“ Ich ziehe meine Finger von dem Bild, damit Rayne es ganz sehen kann. Und plötzlich hebt sie den Kopf etwas, schaut es fragend an.

„Er kommt mir bekannt vor.“

„Ja, er war es damals...“ Langsam hebe ich den Kopf, sehe sie neben mir an. „Er hat uns damals das Leben gerettet.“

Sie sinkt neben mir auf der Stuhllehne nieder, starrt gebannt auf das Foto. Nickt dabei.

Es ist eine seltsame Geschichte, sie begann vor ca. 15 Jahren, als Rayne und ich nach London kamen, weil wir einen möglichen Nachkommen meines Meisters gefunden hatten. Es stellte sich als Lüge heraus, aber sieben Jahre später tauchte Sarah auf, auch wenn der Nachfahr direkt danach gestorben war. Aber darum geht es jetzt nicht. In dieser Zeit irrten wir etwas verloren durch diese unbekannte große Stadt, stritten mit einem Vampir, der dieses Territorium für sich beanspruchte. Wir siegten zwar, wurden aber verletzt. Und fast wären wir in der Sonne gestorben, doch ein Fremder, ein Mensch wohlgemerkt, rettete uns. Ohne besonderen Grund, einfach so, nur weil Rayne ihm die Wahrheit sagte und ihn bat uns zu helfen. Seit der folgenden Nacht war er verschwunden und uns gehörte London. Ich bezweifle, dass er noch am Leben ist. Wie heißt es doch, die Guten sterben jung.

„Hey, dann hat er ja nen richtig tollen Dad.“

Ich nicke schwach. Vielleicht ein Vater wie ich ihn hatte. Einer, der nicht lange genug am Leben war, um den Sohn aufwachsen sehen zu können.

„Ach, wann geht die Sonne denn endlich unter?“, grummle ich leise vor mich, klebe das letzte Stück an die richtige Stelle. Wie gestern lächelt mich dieser junge Mann mit seinem Kind bei sich an. Ich fange wirklich an dieses Bild zu lieben...

Kaum das die störende Sonne untergegangen ist, laufe ich hinaus in die aufbrechende Dunkelheit. Keine fünf Minuten später befinde ich mich auch schon vor einer gewissen Haustür, schleiche hoch in die Wohnung und in das verdunkelte Wohnzimmer. Jonne ist nicht da, Sarah schläft, ich kann ihren ruhigen Atem hören. Und Jay sitzt auf der Couch, springt sehnsüchtig auf und läuft mir in die Arme.

„Ah~, ich hab dich vermisst!“, presst er gegen meine Brust.

„Ich dich auch, ma Chère. Du glaubst gar nicht, wie ich heute gelitten habe...“, gebe ich wehleidig zurück. Mit seinen dunklen Augen schaut er zu mir hoch.

„Warum? Du bist doch erst seit einem Weilchen wach.“

„Ach, wäre schön wenn es so wäre... Ich konnte nicht schlafen.“ Ich leide weiter.

„Mein Armer...“ Er küsst mich liebevoll, zieht mich mit sich auf die Couch.

„Geht es dir besser?“, lenke ich grinsend ab, schubse ihn auf das Sofa und lehne mich über ihn.

„Jetzt ja.“, gibt er, den Blick erwidernd zurück.

„Das freut mich...“ Erschrocken zucke ich zusammen, als seine warmen Finger unter mein Hemd gleiten, nachdem er die Weste aufbekommen und sie zwischen den Knopfabständen hindurch geschoben hatte. Es fühlt sich gut an, wie er meine kalte Haut streichelt, eine seit langem vermisste Wärme durchströmt mich. Ohne etwas zu tun, lehne ich über ihm, den Kopf gesenkt, drücke mich ihm entgegen und bete, dass alles weitere für Vampire möglich ist. Denn um ehrlich zu sein, weiß ich das tatsächlich nicht mehr (erfolgreich verdrängt...?).

„Ich liebe dich...“, haucht er sanft gegen meine Lippen, bevor er seine auf sie presst, anfängt an ihnen zu knabbern. Seine Nägel kratzen über meinen Rücken, den ich kurz darauf nach oben drücke, denn er drückt sein Knie an eine empfindliche Stelle. Lässt mich durch ein zaghaftes Reiben aufkeuchen. Dann werde ich ja gleich mitbekommen, wie weit Vampire es können. Denn Anne Rice’s Vorstellung von Sex und Vampiren ist ja nicht gerade positiv. Gut, wenn man ewig Jungfrau bleiben will, ist das was anderes, aber egal.

Spätestens als die Samthose zu eng wird, stelle ich beruhigend fest. Ich kann es nicht verhindern, ramme plötzlich meine Zähne in seine helle, Haut, stoße durch das weiche Fleisch. Er drückt sich mir entgegen, während ich sein heißes Blut in mich sauge. Meine Hände krallen sich seitwärts von seinem Kopf in den Stoff des Sofas. Im Nachhinein denke ich, habe ich noch nie so lange nicht an Sarah oder irgendetwas anderes als Jay gedacht. Wie könnte ich in diesem Moment auch? Langsam schiebe ich eine Hand unter seinen Rücken, drücke ihn enger an mich, unterbreche das Saugen, da er bereits scharf Luft holt.

Er lässt sich zurücksinken, so dass er mich ansehen kann, mich dazu bringen kann still in seine Augen zu starren.

„Liebst du mich?“, flüstert er, krault sanft über meinen Nacken.

„Ja.“, gebe ich ehrlich zurück.

„Wie sehr?“

„Wenn ich sterbe, werde ich dich mit mir nehmen. Nur um dich für immer zu haben.“

Er lächelt, küsst mich erst sanft, dann verlangender. Als bräuchte er eine kleine Weile, um diesen Satz richtig zu verstehen.

Etwas stürmisch fängt er an mir den Mantel von den Schultern zu ziehen, wirft ihn sofort auf den Boden und lässt die schwarze Weste folgen. Daraufhin auch das dunkelrote Hemd. Das zusammengeklebte Foto fällt zu Boden, ohne das er Notiz davon nimmt. Er hat gar keine Zeit sich darum zu kümmern, da ich mich nun daran mache, ihn seiner Sachen zu entledigen. Mein Meister hatte gelogen.
 

Mir ist heiß unter der Decke, neben Jay. Es ist angenehm, auch wenn das Gefühl `danach` leer ist. Warum fühlt man sich nach einer Vereinigung nicht weiterhin vereinigt? Stattdessen lebt jeder wieder allein für sich. Da war nur noch sein Bauch, worauf mein Kopf ruht und seine Hand, die langsam über meinen Rücken streicht.

Ich frage mich weshalb mein Meister gelogen hatte. Er hatte mir beigebracht, dass Liebe, also diese fleischliche Liebe nichts sei, dass sie einfach nicht bei uns funktionierte. Aber sie tut es... Alles ist wie zu meiner Zeit als Mensch, nur kälter. Um so vieles Kälter, als damals... Und es schmerzt zum Schluss. Ein verwirrender Mix aus Schmerz und dieser endlosen Liebe zu Jay, die mich regelmäßig ersteres Vergessen lässt.

Doch das gibt mir keine Antwort. Vielleicht wollte er einfach nur auf diese Weise mir die Liebe zu ihm verbieten, schließlich hatte er sie nie erwidert. Jedenfalls nicht in der Form, in der ich ihn am liebsten überschüttet hätte. Es ist vergangen, ich weiß jetzt wie es ist. Und doch werde ich es niemandem sagen, auch wenn mindestens Rayne es bald von alleine merken wird. Es kann auch sein, dass wir es nicht wissen sollen. Er reißt mich aus meinen Gedanken, als seine Hand verschwindet und scheinbar auf den Boden greift, um etwas aufzuheben, denn sein Körper rutscht ein Stück zur Seite.

Plötzlich verschwindet diese, greift scheinbar auf den Boden und hebt etwas auf, da er leicht zur Seite rutscht.

„Woher hast du das?“, fragt er dann leise.

Das Foto. Schießt es mir durch den Kopf, ich ziehe die Decke von meinem Körper, schaue auf seine Hand, in der er das erwartete Bild hält.

„Das habe ich von deiner Mutter.“ Sein Gesichtsausdruck ist versteinert, er starrt diesen Mann an.

„Du hattest einen wunderbaren Vater.“

„Ha!“ Er grinst hämisch, schaut wütend zu mir herunter. „Ein toller Vater, lässt seine Frau und ein zweijähriges Kind allein zurück.“ Verletzt sieht er mich an.

„Dein Vater hat dich nicht verlassen. Er ist tot, seit 15 Jahren, deswegen ist er nicht mehr bei dir. Und... er hat mir einmal das Leben gerettet.“

Ungläubig schüttelt er den Kopf.

„Wirklich?“

Ich nicke ehrlich, schaue ihn mit einem Blick an, den er wohl für diesen gewissen Dackelblick hält, denn sofort lächelt er wieder lieb.

„Er hat dich wirklich gerettet?“, will er dann erneut wissen.

„Ja, du kannst gerne Rayne fragen.“

Er nickt schwach, schaut wieder auf das Bild, nur irgendwie nicht mehr so wütend wie vorher.

„Darf ich es behalten?“

„Selbstverständlich.“ Damit gebe ich ihm einen lieben Kuss. Die Verbindung zwischen uns ist wieder vorhanden, die Leere in mir schwindet.

„Willst du heute hier schlafen?“, fragt er irgendwann ganz leise.

„Wenn du einen Sarg hast.“

„Reicht dir der Dachboden?“

„Da staube ich ja ein...“, nörgle ich.

„Ach, du bist doof.“, kichert er, knufft mir liebevoll in die Seite.

„Wie wär’s, wenn ich heute noch zu Hause schlafe, und demnächst meinen Sarg hierher bringe. Oder ich kaufe einen Neuen. Ich möchte eh einen zweiten...“

Er nickt grinsend. „Tolle Idee. Aber sind die nicht teuer?“

„Ma Dear... ich habe Geld, weißt du doch.“

Er ist längst wieder eingeschlafen, als ein übermüdeter Jonne sich in die Wohnung schleppte, auf dem Teppich zusammenbrach und sofort einschlief. Kurz nach fünf Uhr morgens hastete ich eilig aus der Wohnung, um nicht von der Sonne überrascht zu werden, während ich nach Hause lief. Meine Sachen sehen dementsprechend schlampig aus, so eilig, wie ich sie mir angezogen hatte. Noch gerade rechtzeitig komme ich an, Rayne und Len schlafen längst, denn sogar das Feuer im Kamin ist bereits verloschen. Sobald ich in meinen Sarg sinke, dämmerte ich auch schon weg, eingelullt von Vorstellungen, Träumen von ihm. Auf meiner Haut brennen noch immer seine Brührungen.
 

Auch nach zwei Wochen ist seine Mutter nicht mehr aufgetaucht. Als ich später nachsehe, stelle ich freudig fest, dass diese Person weggezogen ist. Wohin kann ich dabei leider nicht in Erfahrung bringen. Jonne ist begeistert wie ich, nur Jay schweigt sich fleißig darüber aus. Er scheint viel zu sehr mit dem Foto und der gestrigen Nacht zu sein. Und damit, Jonne davon abzuhalten ihn über alles mögliche auszufragen. Sogar Sarah tappst heute durch die Wohnung, zieht mich in ihr Zimmer und zeigt mir die Puppe, die ich damals gefunden hatte. Nur trägt sie jetzt ein schwarzrotes Lolitakleid mit unheimlich vielen Rüschchen und Schleifchen.

„Das hat Jay gemacht!“, fügt sie fröhlich lächelnd hinzu.

„Er ist gut.“ Ich nicke zustimmend.

„Er hat mir versprochen auch so eins nur für mich zu machen!“ Kichernd hüpft sie mit der Puppe im Arm nach draußen zu den Beiden.

„Da bin ich ja gespannt...“, sage ich noch grinsend, laufe ihr nach und hebe sie hoch, nachdem ich sie endlich eingeholt habe. Sie kichert glücklich weiter.

„Wir sind eine ganz tolle, gro~ße Familie!“ Damit kuschelt sie sich eng an mich, schaut mich mit ihren dunklen Augen an, während ich sie in das Wohnzimmer zu den Beiden trage, die auf der Couch sitzen und aufsehen, als wir das Zimmer betreten. Jay drückt schnell die Stopptaste auf der kleinen DVD- Playerfernbedienung.

„Naja, so groß sind wir nicht...“ Ich setze mich mit ihr auf den Boden, vor die Zwei.

„Aber ich hab ja jetzt auch eine Tante.“ Während ich sie nur verwirrt ansehe, höre ich Jays unterdrücktes Lachen, sowie Jonnes lautes „Tse!“. Erst dann grinse verstehend.

„Sarah. Weißt du wie spät es ist.“ Keiner der Beiden Sätze seitens des älteren Menschen klang wie eine Frage, eher wie eine Aufforderung mal an die Uhr zu sehen. Sie tat es auch, zuckt dann mit den Schultern.

„Es ist Wochenende.“, widerspricht sie mit beleidigtem Ton, wirft ihm auch den passenden Blick zu. Den Jonne zickig erwidert.

„Du bist erst acht, meine Liebe.“

„Und du nicht ihre Mutter. Musst du nicht langsam zur Arbeit?“

Erst schaut er mich überrascht, dann wütend und schließlich resignierend an. Murrend steht er auf, schlurfte in das Schlafzimmer, in dem er seine Sachen bunkerte, auch wenn er auf der Couch schlief.

„Er hat Recht, mein Schatz. Du solltest langsam schlafen. Du bist ja noch so ein kleines Ding.“ Ich drücke ihr einen Kuss auf den Kopf, der sie aufquietschen lässt.

Kurz darauf stapft Jonne auch schon wieder durch die Wohnung, verabschiedet sich, knallt hörbar die Tür zu und verschwindet für den Rest der Nacht. Sarah kuschelt sich in meine Arme, ich frage mich immer wieder, warum sie meine Kälte einfach nicht stört. Gut, Jay hat es auch nicht gestört, aber sie ist ein Kind.

„Heute darfst du bis Zehn aufbleiben.“, sage ich leise, streiche über ihre nackten, kleinen Arme. Sie zuckt nicht einmal zurück.

„Okay...“, murmelt sie.

Ich hebe meinen Kopf, bemerke Jays Lächeln und wie er langsam auf mich zurutscht um mir einen Kuss zu geben. Als er sich wieder von mit löst höre ich Sarah leise kichern.

„Wer von euch ist eigentlich meine Mommy?“, fragt sie mit typisch kindlichen Ton. Jay läuft rot an, denn mein Blick ruht, für ihn scheinbar mit eindeutiger Weise, auf ihm.

„Also bist du mein Daddy.“ Sie kicherte wieder, blickte dabei zu mir hoch. „Dann hatte ich ja immer recht.“, stellt sie noch stolz fest.

„Ja, das hattest du.“ Ich schenkte ihr ein väterliches Lächeln (so gut ich es hinbekam, schließlich hatte ich nie Kinder gehabt).

Es dauerte nicht lange, vielleicht Zwanzig Minuten, da schlief sie auch schon in meinen Armen ein. Was auch relativ voraussehbar war, denn wir Drei hatten geschwiegen, ich musterte Jay, strich dabei immer wieder über ihre dunklen Haare.

Ohne etwas zu sagen, stehe ich auf, trage sie in das Schlafzimmer, das mittlerweile zwei richtige Betten und mehr Möbel, sowie eine kleine Puppensammlung beinhaltet. Ich muss mich nicht einmal bemühen, um besonders leise zu sein, so fest schlief sie. Ich lege sie auf das Bett, decke sie zu und schleiche gleich wieder zu Jay, der noch immer auf der Couch sitzt. Er sieht mich mit leicht zur Seite geneigtem Kopf an, lächelt dann.

„Baden Vampire eigentlich?“, fragt er plötzlich, noch bevor ich ihn erreiche.

„Schon, auch wenn es nicht zwingend notwendig ist. Warum?“

„Ich wollte heute baden, bin aber noch nicht dazu gekommen. Und wir haben ne hübsch große Badewanne. Seltsam, wenn man den Rest der Wohnung bedenkt.“ Er erhebt sich, nimmt meine Hand und zieht mich so mit sich.

„Ach? Dann kannst du doch umziehen. In eine größere Wohnung mit mehr Zimmern.“ Natürlich gehe ich ihm brav nach, warum auch nicht, denn das Gefühl der Hitze auf eisiger Haut ist einfach nur angenehm.

„Mir reicht die hier... Und langsam fühle ich mich, als würde ich dich mit meinem Körper bezahlen. Nun ja, wenigstens zahle ich eine kleinen Teil...“ Er lacht, öffnet die Badezimmertür auf und schiebt mich mit sich hinein.

„Hm, dann sollte ich deine Überweisung sperren lassen. Dann müsstest du mir mehr zahlen.“

Wieder lacht er, wendet grinsend den Kopf.

Hitze umrahmt mich, bis zu meiner Brust, sanfter Rosenduft steigt mir in die Nase, ein Mittelchen, welches Jay vorhin noch in die Wanne gekippt hatte. Das Wasser schwappt leicht, als er mit hinein steigt, sich an mich lehnt. Sein Gesicht nimmt aufgrund der Wärme eine leichte Rötung an.

„Wie fühlt es sich an?“, flüstert er gegen meine nackte Haut.

„Was?“

„Das Wasser...“

„Ach, das Wasser? Es ist schön. Aber du allein würdest mir reichen.“

Er errötet ein wenig mehr, streichelt meine Schulter.

„Du darfst mich auf keinen Fall verlassen...“, flüstert er.

„Das werde ich nicht.“

Wir schweigen darauf, liegen in dem heißen Wasser, das seine pechschwarzen Haare auf der Oberfläche treiben lässt.
 

Es regnete, als ich allein durch die Stadt laufe, in Richtung des Friedhofs, auch wenn ich einen großzügigen Umweg mache. Jay ist schließlich vor einer Stunde eingeschlafen und seitdem irre ich auf den Straßen Londons herum, ohne ein wirkliches Ziel, denn jetzt schon nach Hause zu gehen will ich eigentlich nicht. Kalte Tropfen prallen von meiner weißen Haut ab, tröpfeln auf den schwarzen Mantel, der langsam die Nässe in sich aufsaugt und unmerklich schwerer wird. Die Nächte werden dunkler und, was ich persönlich am meisten am Herbst mag, dass schneller als im Sommer. Ich kann viel früher zu Jay und der kleinen Lady. Mein Herz klopft schneller als sonst, aber erst seit kurzem in dieser Weise. Das ich ihn wirklich Liebe weiß ich nun. Doch gleichzeitig wächst eine Angst in mir, davor was andere Vampire tun könnten, wenn sie meine Gedanken aufschnappen. Wenn ich ihn verlieren würde... Und für mich ist es nicht das schlimmste von dem geliebten Menschen getrennt zu sein, sondern ihn tot zu wissen. Solange er in Sicherheit ist, könnte ich weit von ihm entfernt leben.

Aber warum nur, muss ich mir zu genau der selben Zeit bewusst werden, dass mich tatsächlich ein Fremder verfolgt? Ich kenne diese Aura, die mir nachschleicht wo immer ich auch bin, und doch kann ich ihn nicht entdecken, weiß nicht wo ich suchen soll. Oder wen.

Ich bin erschöpft als ich endlich zu Hause ankomme. Len und Rayne schlafen bereits, wie immer in der letzten Zeit. Träge schleppe ich mich in meinen Sarg, lasse mich, nass wie ich bin, in diesen fallen. Mich quält die Müdigkeit, doch ich schaffe es nicht einzuschlafen. Auch nicht, als ich fühle, wie die brennende Sonne langsam aufgeht. Es war wie bei dem Flug und den Tagen davor. Als würde etwas mich zwingen wach zu bleiben.
 

Es ist mitten am Tag, als ich plötzlich aus dem Schlaf erwache, nicht weil etwas bekanntes hier bei mir ist, sondern weil der Verfolgungswahn auf schmerzhafte weise zunimmt. Ich weiß nicht, wie Jay so einfach in die Gruft eindringen konnte, es beunruhigte mich nur noch mehr. Denn es bedeutete genau genommen, dass etwas anderes ihm den Weg geebnet hat. Ich drehe den Kopf zu Seite, wieder klopft mein Herz viel zu schnell, aus Angst, ihn verlieren zu können. Langsam schließe ich die Augen, lege meinen Arm um ihn, drücke ihn an mich, um mich selbst wieder zur Ruhe zu bringen. Ich versuche mich zum einschlafen zu zwingen, denke sogar an Sarah, in der Hoffnung so von meinem Wahn abgelenkt zu werden.

Doch es raubt mir den Schlaf, obwohl dieser warme Körper neben mir liegt, mir sanft ins Ohr hauch. Ich weiß er liebt mich, so wie ich ihn liebe. Doch ein Impuls zwingt mich fort von hier... Weg von ihm. Irgendetwas befiehlt es mir, drängt mich dazu, ihn einfach hier liegen zu lassen. Rayne allein zu lassen, Len und... Sarah. Ja, ich muss fort. Auch wenn es mich quält und sie es nicht verstehen werden. In diesem Moment, während ich draußen das Rauschen der Blätter durch den starken Wind hören konnte, fasste ich einen Entschluss.

„Ich liebe dich.“ War das letzte, dass ich zu ihm sagte.
 

»Je T’aime – End<<

Princess Vampire

Kapitel 1: Ma Chérie Part I

Kapitel 2: Ma Chérie Part II

Kapitel 3: Je t’aime

»Kapitel 4: ♥ ~ Princess Vampire«
 

Genre: Horror, Vampire, Romantik, Shonen- ai

Hintergrund: Klaha (Solo), Lacrimosa, Malice Mizer, Die Ärzte, Nightwish, Schandmaul
 

~
 

Kalt und unbarmherzig wehte der feuchte Herbstwind in sein ungeschütztes Gesicht. Den Kopf hatte er bereits zwischen die Schultern gezogen, jedenfalls so weit es ihm möglich war, um sich so ein bisschen vor der Kälte, die um ihn streifte, zu schützen. Die Hände saßen tief in seinen Manteltaschen, der schwarzrote Schal flatterte hinter ihm im Wind. Ein Teil der Ohren waren durch diesen verdeckt, der Rest wurde großteils von dem langen pechschwarzen Haar verhüllt, welches sich fest durch den Stoff an seinen Kopf schmiegte. Die schweren Stiefel gruben sich mit jedem Schritt in eine Schicht dichten neu gefallenen Schnee. Und er fror. Er mochte den Frühling sowieso lieber, der Herbst war ihm eindeutig zu kalt. Und um genau zu sein, war es der brutale Herbst des Jahres 2019. Und es war 21: 37 Uhr (und 27 Sekunden), am 13. Oktober.

Er zog den Mantel noch enger um sich, als ihn eine starke Böe gewaltsam ein Stück zurückdrückte und er wünschte sich, dass es wenigstens nicht noch regnen sollte. Fast wäre er ausgerutscht wegen diesem gemeinen Angriff. Warum musste es auch immer Anfang November so stark schneien, das London selbst in der Nacht unter den Laternen weiß strahlte? Er hasste diesen Frühwinter.

Erleichtert atmete er auf, als er endlich vor dem großen Schlosstor ankam, welches aus blank geputzten Stahlstangen bestand, die jetzt feucht schimmerten. Hinter dem Tor ragte die hohe Villa auf, welche sich am Rand von London befand und schon mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel hatte. Doch vor 10 Jahren war sie vollkommen renoviert worden. Jetzt konnte er mit Recht behaupten in einem Anwesen zu leben, wie die Grafen. Das Schloss knirschte eisig, als er den Schlüssel hinein schob und es aufzwang. Quietschend schwang das Tor auf, er ging hinein und verschloss es hinter sich sofort wieder. Jetzt nur noch den Aufstieg bis zu der großen steinernen (und zu seiner `Freude` auch zugefrorenen) Treppe und dann konnte er sich endlich in seinen Sessel sinken lassen, die Füße auf einen kleinen Schemel gelegt, in den Händen eine dampfende Tasse Tee und vor sich das knisternde Feuer, welches freundlich vor ihm im Kamin flammte. Allein bei diesem Gedanken beeilte er sich nach oben zu kommen, wäre jedoch fast gestürzt, fing sich aber wieder, und blieb vor der schwarz gestrichenen Eichentür stehen. Wieder das Klacken des Schlosses in seinen Ohren, dann sprang auch diese Tür auf und sofort rauschte ihm eine angenehme Hitze entgegen, die ihn einschloss und förmlich bettelte, dass er endlich eintrat, damit sie ihn ganz gefangen nehmen konnte. Er ließ nicht lange auf sich warten, schlüpfte in die geheizte Eingangshalle und verschloss die Tür hinter sich. Dann schüttelte er den Schnee von seinen schwarzen Sachen, sowie aus seinen Haaren, wobei der Großteil bereits geschmolzen war und nun seine Haare nass, wie frisch gewaschen, aussehen ließ. Es kümmerte ihn nicht, denn auch seine dunkle Schminke im Gesicht hatte unter dem Sturm draußen gelitten. Schnell zog er den nassen Mantel aus, hing ihn an einen der Haken, unter denen eine kleine Heizung angebracht worden war, um die Kleidung möglichst schnell trocknen zu lassen. Noch einmal schüttelte er sich, bevor er durch die riesige Eingangshalle schritt und erst wieder in der Küche halt machte um nach den Teebeuteln zu suchen. Als er endlich welche fand, schüttete er Wasser in eine Tasse, erwärmte dieser einfach in der Mikrowelle und tunkte dann den kleinen Beutel hinein, immer mit einem Löffel darin rührend.

„Ein furchtbares Wetter, was? Die Beiden tun mir richtig Leid.“, ertönte eine angenehme Stimme hinter ihm. Die verführerische und erhabene Stimme einer Frau.

„Ach, und ich tue dir gar nicht Leid, Sarah?“, fragte der Mann gespielt schmollend, sah sie auch mit dem entsprechenden Blick an.

„Oh. Du tust mir doch am meisten Leid, das weißt du doch!“ Sie lachte ein warmes Lachen, während sie auf ihn zuging und sich neben ihn stellte. „Machst du mir auch einen?“, fügte sie mit einem lieben Lächeln hinzu.

„Für euch doch immer, Prinzeschen.“, gab er in dem korrekten Ton eines Butlers zurück, holte eine zweite Tasse aus dem Schrank und wiederholte die Prozedur.

„Ich danke euch, James.“ Wieder lachte sie.

„Ach, ich vermisse meine kleine Sarah…“, murmelte er, stellte ihr die Tasse auf den Tisch.

„Warum? Sie hat dich doch auch um alles gebeten und dich umher gescheucht wie einen Pagen.“ Sofort griff die junge Frau nach dem Getränk, pustete ein wenig hinein.

„Aber diese Sarah hatte einen Grund, weshalb ich ihr den Tee machte. Sie kam ja nicht an den Schrank mit den Tassen.“ Dieses mal lachten Beide, wobei sie sich an ihn lehnte.

„Ach, wo sind die Zwei eigentlich?“, fragte er nach einer kurzen Pause, sah fragend auf das Mädchen an seiner Schulter, die, worüber er sehr froh war, trotz des Wachstumsschubs der letzten Jahre noch immer kleiner war als er.

„Draußen natürlich. Du weißt doch, dass sie sich nicht über die Bediensteten hermachen.“, gab sie nachdenklich zurück, schaute auf in seine dunklen, braunen Augen, die mehr ins schwarze gingen, „Ach mein Liebster Jay. Du siehst müde aus… Musst du immer so spät noch arbeiten? Bei diesem Wetter?“ Sie legte einen besorgten Blick auf, bei dem man einfach nur ehrlich sein konnte.

„Ich will nicht, dass mich Lens Vater die ganze Zeit durchfüttert.“ Er stellte seine Tasse auf den Tisch zurück, lehnte sich an dessen Kante und strich abwesend durch das lange, dunkelbraune Haar des Mädchens neben ihm. Einzelne schwarze Strähnen schmückten es, darunter auch ein paar kleine rote.

„Ich lass mich doch auch durchfüttern.“, widersprach sie, obgleich sie wusste, dass ihn ihre Einwände nicht interessierten. Das wäre ja etwas ganz anderes, wie er immer sagte.

„Du bist ja auch die Prinzessin und Tochter des Hauses.“ Er lächelte, drückte ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn. „Außerdem gehst du auf die Uni. Da hast du andere Probleme.“

Um kurz die Situation einleuchtender zu machen: Len ist Eleonore, Tochter des Vlad Tepes oder Draculea und Mina. Da dieser noch immer über seine alten Besitztümer (wenn auch im Hintergrund und durch menschliche Hilfe) verfügte überschüttete er seine liebste Tochter mit Geld. Er schenkte ihr die Villa, Bedienstete die keine dummen Fragen stellten und ließ auch ihre Freunde bei sich wohnen. Natürlich ließ er es sich nicht nehmen ihr immer wieder Geld zu schicken, denn wenn sie schon in London bleiben wollte, dann sollte sie auch in einem vernünftigen Haus wohnen. Dass dabei noch genügend für die anderen Bewohner abfiel verstand sich von selbst. Jay ist allerdings der Einzige der nebenher noch einem eigenen Job nachgingt. Er hatte vor fünf Jahren die Universität abgeschlossen und jobbte nun ab und zu als Dolmetscher in verschiedenen Hotels, während er fest in einer Tierklinik arbeitete. Nebenbei bemerkt auch der Grund weshalb des Öfteren die verschiedensten kleinen bis verdammt großen Lebewesen ein kurzzeitiges Zuhause in der großen Villa fanden.

Die drei Mädchen des Hauses, Len, Rayne und Sarah hielten sich mit dem arbeiten heroisch zurück. Wobei Letztere das erste Semester der Uni fast hinter sich hatte.

„Und du arbeitest zu viel.“, gab sie zurück, wieder schwang Besorgnis in ihrer Stimme. „Ach, mein Liebling… gib mir doch keinen Grund mich um dich so zu Sorgen.“ Sie drehte jetzt ihren ganzen Körper zu ihm, den Blick gesenkt und drückte das Gesicht in seine Halsbeuge.

„Ich geb’ dir doch gar keinen Grund, Liebes.“ Vorsichtig strich er über ihren Rücken. Ja, er wünschte sich wirklich das kleine Mädchen von 8 Jahren zurück, das keine Fragen stellte, das einfach zu jung war um zu wissen, wie ihn die Arbeit auszehrte. Doch jetzt war sie erwachsen, 19 Jahre alt und eine reife Frau, die vieles spürte, was anderen Menschen nie auffallen würde. Sie hatte zu lange unter Vampiren gelebt, wobei sie das immer noch tat, und zu viel von deren Verhalten gelernt. Sie war ein bisschen der Vampir unter den Menschen. Genau genommen, waren Rayne und Eleonore die einzigen Vampire Londons. Vor langer Zeit allerdings, gab es noch einen in England…

Er seufzte, denn sie schwieg bedrückt. „Ach… kleine Sarah. Lass mich nur machen. Ich werde dich nicht verlassen, dass versprech’ ich dir.“ Wieder gab er ihr einen zarten Kuss auf ihre Stirn. Sie nickte schwach und traurig.

„Mein Brüderchen darf mich auch nicht verlassen… meine Eltern haben mich verlassen, mein alter Vater hat mich verlassen… wenn du es auch tust, was soll ich denn dann machen?“ Er antwortete nicht. Sie brauchte auch gar keine, das wusste er.

„Ach… ich liebe dich doch…kleine Sarah.“ Jay schob sie ein Stück nach vorn, damit sie sein aufmunterndes Lächeln sehen konnte. „Weißt du was? Morgen nehme ich mir frei. Und dann machen wir etwas zusammen, ja? Der Wetterbericht sagte ja, dass es morgen ein schöner, wenn auch kalter, Tag werden soll.“

„Das ist eine tolle Idee! Dann schwänze ich die Uni!“ Sie lachte, als sie sein erschrockenes Gesicht bemerkte. „Ach komm, der eine Tag!“

„Na gut…weil du es bist, mein Schwesterchen!“ Sie nickte schnell, fröhlich lächelnd. Und nicht einmal, wenn sie sich wie ein Kind benahm, machte sie den Eindruck von keinem. Sie war eine erwachsene Frau.

„Guten Abend, der Herr, die Dame!“, ertönte eine laute, freudige Stimme einer weiteren Frau durch die Küche. Die Stimme des Kindes im Haus. Denn Rayne benahm sich öfters wie eines, hatte sogar noch das unschuldige Lachen eines jungen Mädchens, welches sie aber definitiv nicht war. „Oh, Tee?“ Sie schwebte förmlich zu den Beiden, zog leicht eine Braue nach oben.

Auch Eleonore betrat die Küche, ihr Blick richtete sich sofort besorgt auf Jay, der den Kopf abwandte. Die Gesichter beider Frauen waren nicht mehr so schimmernd weiß wie am frühen Abend, nur waren jetzt ihre Wangen gerötet, die Augen leuchteten nicht mehr so finster wie einst. Sie sahen wieder wie Menschen aus, nicht wie die überirdischen Wesen, die sie waren.

„Geh schlafen.“ Es klang wie ein Befehl, als Len das sagte. Jay fühlte sich natürlich angesprochen, wen hätte sie auch sonst meinen können? „Ich kann sehen wie du unter Müdigkeit leidest, wie gequält du bist. Widersprich nicht, geh ins Bett bis morgen Mittag, die Arbeit kann warten. Meinetwegen kannst du dann gerne etwas mit der lieben Sarah machen, aber jetzt gehst du.“ Seltsam wie sie es schaffte, das zu sagen, ohne einmal Luft zu holen und dazu noch in ein und demselben Tonfall.

„Gute Nacht.“ Jay lächelte, etwas gezwungen, aber er tat es. Dann drückte er noch einen Kuss auf Sarahs Wange, bevor er sich langsam, mit dem halbvollem Tee in der Hand aus der Küche ging. Er schleppte sich die Treppe hoch, den Gang entlang über den weinroten Teppich, bis zu der schwarzen Tür. Er zog sie auf, schlüpfte hinein, verschloss sie wieder und tappte zu seinem Bett, um sich erschöpft darauf fallen zu lassen. Wie gut, dass sein Mantel so dick war, denn seine Sachen, abgesehen von den Hosenbeinen, waren trocken. Aber die Beine interessierten nicht weiter. Sie hatte Recht, mal wieder, er wollte nichts als schlafen. Und tatsächlich, kaum dachte er das zu Ende, fiel er auch schon in einen tiefen, doch unruhigen Schlaf.
 

„Wir sperren ihn die nächste Woche lang ein.“ Eleonore nickte. Die Sache stand somit fest.

„Aber nicht morgen!“, warf Sarah eilig dazwischen, sie hockte auf dem Küchentisch, ihre Beine wippten hin und her.

„Natürlich außer morgen.“ Len lachte auf, warf der Jüngeren ein freundliches Lächeln zu. „Morgen gehört er dir, das weiß ich doch, Liebes.“

„Sehr gut!“ Sarah strahlte. Sie hörte auf, mit den Beinen zu schaukeln, legte ein leichtes Lächeln auf. „Aber ihr habt Recht. Er ist viel zu erschöpft. Wenn du schon mit ihm schimpfst muss es wirklich ernst sein.“ Plötzlich wurde sie wieder traurig, nickte müde.

„Ich rufe nachher in der Klinik an. Die Herren dort denken ohnehin, dass ich seine liebe Frau wäre.“

Stille breitete sich zwischen den Frauen aus. Jede dachte an dasselbe. An den Vampir, der einst hier lebte, der Lens Verlobter gewesen war. Auch wenn es nur eine gestellte Hochzeit war, da keiner der Beiden den Anderen liebte. Die Verlobung stand, bis er einfach das Land welches Vlad durch die Hochzeit mit seinem vereinen wollte, diesem schenkte und verschwand.

„Ah, es ist schon spät.“ Sarah schaute auf die große Wanduhr, stellte überrascht fest, dass es fast Mitternacht war. „Ich werde jetzt auch schlafen gehen… Morgen geh ich erst mal zur Uni. Er wird ja sicher bis nach Mittag schlafen.“ Damit rutschte sie von dem Tisch, schritt langsam über den Küchenboden zur Tür. „Gute Nacht, die Damen.“ Sie lächelte, bevor sie verschwand und ebenfalls ihr Zimmer aufsuchte.

Len und Rayne blieb noch lange in der Küche sitzen, schwiegen und dachten über die Dinge nach. Dinge die geschehen waren, die momentan in dieser Zeit geschahen und die vielleicht noch geschehen könnten. Eine traurige Stimmung entstand.

„Er wird bald zurückkommen.“, murmelte Rayne plötzlich, während Len nur schwach nickte, „Ich möchte wissen, was passiert ist...“
 

Er erwachte am frühen Nachmittag. Und das auch nur durch Sarah, als sie erst leise ins Zimmer geschlichen war, bevor sie ihn solange geschüttelt hatte, bis er endlich müde die Augen öffnete.

„Ach, Liebling… wie spät ist es? Ich komme sicher zu spät, es ist schon so hell…“ Gähnend erhob er sich und schob sich aus dem Bett, der schlabberige, alte Pulli rutschte beim Gähnen über seine Hüfte. Es war der rotschwarzgestreifte Pulli, den er bei ihrem zweiten Treffen getragen hatte. Er seufzte.

„Es ist schon drei Uhr. Jetzt komm schon, wir wollten doch etwas zusammen machen…“, drängelte sie, setzte sich neugierig auf das Bett, schaute dem Mann nach, der gerade auf seinen Schrank zutrottete, nachdem er einmal so stark zusammengezuckt war, dass sie schon dachte er würde gleich umfallen.

„Schon? Und weshalb weckst du mich erst jetzt?“, fragte er gespielt gequält. Denn eigentlich war er froh einmal frei zu haben, auch wenn er das nicht zugeben wollte.

„Dein schnarchen hat mich abgehalten.“, kicherte sie, warf dabei ihr langes, dunkles Haar zurück.

„Ich schnarche nicht… und jetzt raus, ich will mich umziehen.“, murrte er, schaute sie missbilligend an.

„Ja ja, als ob ich das nicht schon gesehen hätte…“, war ihre schnippische Antwort, Sarah erhob sich würde voll und stolzierte aus dem Zimmer.

„Dann sag mir mal bei wem du das schon gesehen hast!“, rief er ihr nach, zog einen dicken schwarzen Pulli mit Slipknot- Aufdruck aus dem Schrank, sowie eine warme gleichfarbige Baumwollhose.

Schon kurze Zeit später verließ auch er sein Zimmer, allerdings nur um kurzzeitig ins Badezimmer umzusiedeln. Seine Schminke musste noch aufgetragen werden.

„Darf ich jetzt bleiben, oh großer Herr?“, wurde er begrüßt, was ihn, mal wieder, aufseufzen ließ.

„Ich kann’s eh nicht verhindern, meine Liebe.“ Damit stellte er alles an Make- up hin, was er brauchte und fing an sich im Gesicht mit den verschiedensten Utensilien herumzupinseln.

„Weißt du, eigentlich bist du zu alt dafür.“, bemerkte Sarah, die ihn genau beobachtete.

„Zu Alt? Achtundzwanzig ist bei dir also alt?“ Er drehte sich leicht, zog eine Braue hoch.

„Na ja, im Gegensatz zu mir.“

„Und was ist dann Rayne?“

„Das ist was anderes.“

„Selbstverständlich. Wie konnte ich das nur vergessen?“ Jay verdrehte die Augen, wandte sich wieder seinem halbfertig geschminkten Spiegelbild zu.

„Hast du’s?“

Wieder ein Seufzen. Diesmal länger und wesentlich entnervter.

„Ja, darf ich mir noch die Haare machen?“

„Nein. Du magst sie lieben, aber erstens dauert das zu lang und zweitens macht der Wind sie eh wieder kaputt. Du brauchst länger im Bad als ich.“

Er lachte laut los, ungewollt, aber was sollte er auf diese Behauptung hin auch sagen? Denn es stimmte nicht. Aus der kleinen Sarah war durch das dauernde Einwirken von Rayne und Eleonore zu einer Vampiristen-Dame geworden. Und sie verbrachte tatsächlich mehrere Stunden am Tag vor dem Spiegel, um einen möglichst Vampirmäßigen Look zu bekommen.

„Gott, du bist so ein Rüpel!“, maulte sie schließlich, verschränkte die Arme und legte einen schmollenden Blick auf. Und selbst damit sah sie wie eine Frau aus, wobei es ihr sogar irgendwie stand, wenn sie so beleidigt dreinschaute.
 

Zum Schluss, und einige Streitigkeiten später, waren die Beiden um Halb Fünf endlich fertig. Die Sonne war bereits dabei unterzugehen, als sie zusammen durch die Boulevards Londons schlenderten, beschienen von dem steten Schein, der bereits leuchtenden Laternen. Die Cafes waren noch immer geöffnet, was auch noch bis in die tiefen Abendstunden so bleiben würde. Und tatsächlich stürmte es nicht allzu sehr, nur ein paar Flöckchen fielen ab und an auf den Boden.

Jay war in Gedanken versunken, den Blick starr auf den Steinboden vor sich gerichtet. Er schaute erst irritiert auf, als sich eine fremde Hand um die seine schloss. Sarah blickte ihn an, lächelte dabei aufmunternd. Und schon waren alle Streitigkeiten wieder vergessen, sie fühlten sich wieder wie Bruder und Schwester, wie damals, als Sarah noch klein gewesen war.

„Ist doch schön heute, nicht?“, fragte sie leise, lehnte ihren Kopf an die Schulter des Älteren.

„Ja… sogar richtig warm. Für diese Jahreszeit jedenfalls.“ Er nickte leicht.

„Und für London.“

„Willst du was essen?“ Er wartete nicht auf ihre Antwort, sondern blieb stehen und wies auf ein kleines Cafe in ihrer Nähe.

„Gerne, wenn Ihr mich ausführt.“ Er sah sie kurz an, grinste dann.

„Selbstredend.“

Kichernd deutete sie einen Knicks an, hakte sich bei Jay unter und ließ sich von ihm in das Cafe führen.

„Ganz der Gentleman, he?“ Sie wartete bis er ihr den Stuhl zurückzog, bevor sie sich setzte. Dann legte sie die Ellbogen auf den Tisch, verhakte ihre Finger ineinander und stützte das Kinn darauf.

Jay nahm den Stuhl gegenüber, lächelte und verschränkte nur die Arme auf dem Tisch.

„Aber wie immer.“, antwortete er, deutete eine Verbeugung mit dem Kopf an.
 

Vollkommene Finsternis hatte sich über die Stadt gelegt, alles war in ein dunkles Schwarz gehüllt. Jay und Sarah saßen noch immer zusammen in dem kleinen Cafe, er blickte dabei sehnsüchtig aus dem Fenster, sah dem fallenden Schnee zu, während sie mit dem Finger über den Rand der Tasse strich.

„Wir sollten langsam gehen.“, kam es von Jay, mit leiser Stimme. Seine Augen glitten langsam wieder zu der jungen Dame ihm gegenüber.

„Okay...“ Sie hob den Kopf, wartete bis Jay bezahlt hatte (wie es sich für einen Gentleman gehörte) und stand dann auf. Er folgte ihr, nahm ihren Mantel vom Haken und half ihr diesen anzuziehen.

„Wir sollten öfter zusammen was unternehmen, oder?“ Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln, das er höflich erwiderte.

„Wenn es sich einrichten lässt.“

Sie verließen das kleine Cafe, schlenderten den selben Weg zurück, den sie gekommen waren, mit dem Unterschied, dass dieser nun in fast vollkommener Dunkelheit lag, sah man von dem fahlen Licht der Laternen ab.

„Darf ich dich mal was fragen?“ Sarah schaute zu dem Anderen, und zog den Mantel bei dem stärker gewordenen Wind enger um sich.

„Natürlich.“ Er hatte sich angewöhnt mit jeder Frau auf diese höfliche, immer freundliche Art zu reden. Was wohl größtenteils, an den Besuchen Vlads lag, der großen Wert auf das Verhalten legte. Nebenbei nervte ihn das, aber es war eben ein Tick des alten Vampirs (er war eben zu alt...).

„Wenn er zurückkommt, hörst du dann wieder auf zu arbeiten, wie damals als er für dich bezahlt hat?“

Jay blieb stehen, starrte die junge Frau an.

„Das geht dich überhaupt nichts an...“ Er senkte seine Stimme, sein Blick bohrte sich förmlich in die der Anderen.

„Warum sagst du das? Glaubst du denn wirklich das er dich einfach verlassen hat?“, sprach sie in geduldigen Ton weiter, wandte sich ganz dem Mann zu.

„Er hat sich 11 Jahre nicht sehen lassen, da glaubst du er kommt zurück?“ Er musste sich zwingen, damit er sie nicht anschrie, doch es verletzte ihn, der ihn verlassen, zurückgelassen hatte mit einem kleinen Kind.

„Er wird wieder kommen!“, erwiderte sie ebenfalls lauter werdend.

„Dann warte eben auf ihn! Ich hab das nicht nötig!“ Damit drehte er sich einfach um, lief in die Dunkelheit hinein. Sarah blieb auf dem Fleck stehen, starrte ihm traurig nach. War sie eigentlich die einzige, die an seine Rückkehr glaubte?
 

Die Nacht war eisig, während sie allein auf dem Friedhof, den sie noch aus ihrer Kindheit in Erinnerung hatte, spazierte, die neu angelegten Gräber musterte und bei den bemäntelten Engelsstatuen stehen blieb. Eigentlich hatte sich nicht sonderlich viel verändert, er wurde nur noch ab und zu gepflegt und für Bestattungen wurde der neue Friedhof, am anderen Ende der Stadt benutzt. Das kleine Grabhäuschen stand seit Jahren leer, niemand besaß mehr ein Schlüssel für das verrostete Schloss. Sie selbst hatte nie einen besessen. Warum auch? Damals war sie gerade acht Jahre alt gewesen und machte sich nichts aus verschlossenen Türen, abgesehen davon, wurde sie ohnehin immer eingelassen, solange es nur Nacht war.

„Ach, wo bist du nur?“ Ihre leise Stimme schwang fast unhörbar durch die Nacht, es sollte ja eh niemand mitbekommen, dass eine junge Frau allein auf einem Friedhof umherlief, um in der herrschenden Finsternis die Gräber zu begutachten. Wobei sie allein wegen ihrem Styling wahrscheinlich für eine Grabschänderin gehalten wurde. Was sie natürlich nicht war. Vielleicht sollte sie mal zu dem anderen Friedhof gehen, wer weiß ob er jetzt dort lebte? Wer sagte überhaupt, dass er keinen Grund hatte zu gehen? Aber warum meldete er sich dann nicht einfach? Für einen über 250 Jahre alten Vampir müsste das doch einfach möglich sein.

Ihr wurde kälter, worauf die schlanken Finger sich um ihre dünnen Arme schlossen, begannen über diese zu reiben, um sich selbst etwas Wärme zu geben. Hinter ihr knirschte es leise. Angst hatte sie nicht davor, sie drehte sich um, spähte in der Dunkelheit nach dem etwas, das dieses Geräusch verursacht haben könnte. Es war eine Ratte. Sie schaute sie mit großen, glühenden Augen an, legte den Kopf leicht zur Seite. Sie lächelte, zuckte dabei mit den Schultern. Nur eine Ratte, also wirklich kein Grund irgendwie in Panik zu geraten. Als sie sich wieder umdrehte schien ein luftiger Hauch direkt gegen ihren Rücken zu drücken, der den Saum ihres Mantel nach vorne blies. Das nächste was sie spürte, war der kalte Atem eines nichtmenschlichen Wesens, der ihren Nacken streifte. Hastig drehte sie sich um, öffnete den Mund um diesen Vampir zu warnen, dass dieser kein leichtes Leben mehr hätte, wenn er sie nehmen würde. Doch sie stoppte. Ihr gegenüber stand ein großer, schlanker Mann, Vampir, wie man deutlich an der leuchtend weißen Haut sehen konnte. Langes schwarzes Haar wand sich um dessen Rücken, wurde vom Wind in der Luft getragen. Dunkle Augen musterten sie mit unendlicher Ruhe und Gelassenheit, die weißen Hände verschränkten sich langsam auf dem Rücken des Mannes. Doch was sie am meisten fesselte waren die dunkel umrandeten Augen.

„Du bist wieder da!“, rief sie nur noch, rannte auf ihn zu und umarmte ihn, auch wenn er es gar nicht sein sollte. Trotz des Schwungs machte der Größere nicht einmal einen Schritt zurück, steif blieb er an Ort und Stelle stehen. „Aber warum erst jetzt? Wir vermissen dich alle so sehr! Jay ist völlig am Boden! Auch wenn er es nicht zugeben will...“ Sie schmiegte ihr Gesicht an den weichen Mantelstoff, der die Brust bedeckte. Ein kurzer ruck ging durch den Körper, bevor er die Arme um die Frau schloss und sie an diesen drückten.

„Du bist groß geworden...“ Die Stimme war leise und ruhig, und trotzdem erkannte sie die Ähnlichkeit.

„Ja, und du warst nicht da, um mich aufwachsen zu sehen!“, grummelte sie beleidigt, atmete tief durch, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Wo warst du 11 Jahre lang??“, fügte sie hinzu, als er weiter schwieg.

„Nicht hier... weit weg von euch... verzeih mir, mein Herz...“ Sanft drückte er ihren Körper von sich, schob sie direkt in das warme Licht des Mondes, um ihr Gesicht genauer ansehen zu könne. Mit den Fingern strich er andächtig über die Wange, die Stirn, einfach jede freie Stelle. „Wie schön du geworden bist...“, flüsterte er, kämmte eine verirrte Strähne aus ihrem Gesicht. „Bitte weine nicht...“

„Warum nicht? Ein Vater verlässt sein Kind doch nicht einfach... wo warst du nur?“ Sie unterdrückte ein schniefen, auch wenn sie liebend gern in Tränen ausgebrochen wäre, nur um zu sehen wie er reagieren würde, ob er sie wie damals mit den hübschesten Worten getröstet hätte.

„Verzeih mir doch bitte... auch wenn es das nicht wert ist. Aber ich musste fort, verstehst du?“ Seine Hände strichen durch das lange, schwarz gefärbte Haar.

„Nein, ich verstehe das nicht... Aber ist auch egal. Hast du eigentlich ein Mal an Jay gedacht?“ Sie fühlte wie er zusammen zuckte, sein Gesichtsausdruck nahm etwas leidendes, trauriges an.

„Natürlich habe ich an Jay gedacht... genau deswegen bin ich gegangen. Wegen meinem geliebten Jay...“

„Das verstehe ich nicht! Rede doch bitte so, dass ich weiß, worum es geht!“

„Ich werde es noch erklären... wenn nicht ich, dann wird es Rayne sein, die es euch erzählt.“ Er ließ seine Hände wieder sinken, bekümmert schaute er zur Seite.

„Du wirst mitkommen!“, befahl sie laut, packte die eisige Hand, die eben noch so sanft war, und wollte ihn mit sich zerren, doch er blieb ungerührt stehen, sah sie nur schweigend an. „Los!!! Warum machst du das? Warum quälst du ihn so?“ Sie schluchzte, ließ ihn schließlich los. „Du bist gemein! Und ungehobelt!“ Der Blick, mit dem er sie musterte, brachte sie zum schweigen. Er machte den Eindruck als würde er jeden Moment anfangen zu weinen. Sie konnte sich nicht erinnern ihn je so stumm und verletzt gesehen zu haben.

„Bitte... wenn du mich noch immer liebst, dann komm mit. Nur diesen Abend. Gib ihm die Chance, dir zu verzeihen. Er bringt sich noch um wegen dir.“

Er wandte den Kopf leicht zur Seite, musterte nachdenklich das alte, kleine Häuschen in dem er einmal gelebt hatte. Wenn er ehrlich war, vermisste er diese kahlen Mauern, mit dem Kamin, den er in die Wand geschlagen, der alte Mittelalterliche Tisch, den er angeschafft und mit schwarz bestrichenen Stühlen komplettiert hatte. Selbst von außen sah er die beiden großen Räumen, die ihm und Rayne für so lange Zeit als Wohnort gedient hatten. Rayne... wie er sie vermisste, wie er alle vermisste. Eleonore, die sicher enttäuscht über ihn war. Und Jay... er hasste ihn sicher. Was ihn auch nicht wunderte.

„Bitte!“, riss Sarah ihn aus den Gedanken, worauf er den Blick wieder auf dieses hübsche Kind richtete. Ihre Tochter, wie sie selbst sagte. Ja, vor vielen Jahren, war sie einmal seine Tochter gewesen, aber jetzt? War sie eine Frau, die ihn nicht mehr brauchte, die jetzt sicher andere hatte, die auf sie acht gaben. Und trotzdem konnte er es nicht ertragen sie weinen zu sehen, sie anschauen zu müssen, während sie ihn mit diesen großen, tränenverschleierten Augen musterte.

„Bis bald, meine Schönheit, mein Kind...“ Er wusste nicht, ob er sagen sollte, grüße Jay, sage ihm, dass ich ihn noch immer liebe. Aber letztendlich tat er es nicht, er drehte sich einfach um, verschwand in sekundenschnelle in der tiefen, schweren Dunkelheit der Nacht. Noch von weitem hörte er wie sie nach ihm schrie, wie sie weinte und irgendwann aufgab. Was war er nur für ein dummes Wesen, weder Mensch noch Vampir... Jetzt hatte er auch noch sein Kind verloren.
 

Ihr Gesicht war gerötet vom Wind und den Tränen, welche sie vergossen hatte, nachdem sie bei der Villa angekommen war. Sie schluchzte immer noch unkontrolliert, wischte sich mit dem Handrücken über die schmerzenden Augen. Rayne riss sofort die Tür auf, zerrte das Mädchen in die Halle und schlug sie wieder hinter ihr zu. Jay war der erste, der sie schnell in den Arm nahm.

„Oh Gott, es tut mir Leid...“, liebevoll strich er über das verschneite, dunkle Haar Sarahs, während sie sich an seine Brust drückte. Rayne und Len schwiegen, was ihr bewies dass sie es wussten. Sie konnten in ihren Gedanken, die so durcheinander waren, lesen was geschehen war.

Sie brauchte eine Weile um sich zu beruhigen, doch schließlich atmete sie durch, trennte sich von dem Anderen und wischte ein letztes Mal über ihre feuchten Augen. Langsam hob sie den Kopf, schaute Jay durchdringend an.

„Liebst du ihn immer noch? Lauf nicht weg, tu es nicht, sonst bist du nicht besser als er.“

Er nickte schwach, sah sie wehleidig an. Nickte erneut.

„Dann vergib ihm, wie ich es tue. Dann wird er wiederkommen.“ Damit schmiegte sie sich an ihm vorbei, stieg die Treppe nach oben.

Jay blieb unten stehen. Er fühlte sich plötzlich so schwach und allein, obwohl Rayne und Len noch immer bei ihm standen.

„Sie hat Recht.“, das war das letzte, das er hörte, dann verschwanden die Beiden. Er schleppte sich gerade noch bis zu der großen Couch, welche in der Eingangshalle, weit hinten an der Wand stand, ließ sich auf diese fallen und schloss müde die Augen.

Verzeihen? Er hatte ihm längst verziehen, er liebte ihn schließlich noch immer, verzehrte sich nach dem warmen, trostspendenden Körper, den er verehrte. Allein wenn er daran dachte, wie schön es klang, wenn der Andere immer in seiner Gentleman- Art mit ihm sprach. Wie er ihn umgarnt hatte, wie eifersüchtig er immer gewesen war, besonders bei Jonne. Der Jonne, den er nicht mehr oft sehen konnte, weil er sich zu Tode arbeitete. Er vermisste diese Zeit sosehr, als sie noch diese kleine, glückliche Familie gewesen waren. Salzige Tränen glitten über seine Wangen, er konnte sie auf der Lippe schmecken.

Wo... wo bist du nur?
 

Die strahlend helle Sonne weckte ihn, müde öffnete er die Augen, wurde geblendet und schloss sie gleich wieder. Er fühlte sich ausgelaugt, drehte sich träge auf die andere Seite und schloss erneut die Lider, um weiterzuschlafen. Es gelang ihm nicht. Seine Gedanken waren in sekundenschnelle von ihm befallen worden. Erinnerungen kamen hoch, wie er ihn kennen gelernt, ihn damals noch mit einem Besen zu erschlagen versucht hatte, später, wie er Sarah als Tochter bekommen hatte, wie er ihn umarmt und gestreichelt hatte...

Warme Arme schlangen sich um ihn, drückten ihn liebevoll. Er seufzte leise auf, murmelte ein leises „Guten Morgen.“

„Guten Morgen, Vater.“, gab sie leise zurück, strich über die Arme des Älteren. Den Kopf drückte sie eng an seinen Nacken, schloss dabei die Augen. „Bitte, sei nicht mehr böse auf mich...“, bat sie leise, küsste den Hals Jays. Eigentlich mochte er es nicht, wenn sie ihn Vater nannte, doch er ging nicht darauf ein. Denn er war immer ihr Vater gewesen.

„Bin ich nicht... wie kommst du darauf?“, fragte er ruhig.

„Ich wollte alte Wunden nicht aufreißen. Obwohl sie noch längst nicht verheilt waren.“

Sie schwiegen, bis Sarah die Stille wieder brach.

„Er sagt, er liebt dich. Und er hasst sich dafür, was er dir angetan hat. Bitte gib ihm keinen Grund, der den Hass rechtfertigen würde...“

„Warum wollte er mich nicht sehen? Oder hat er dich nur anfangs nicht erkannt?“ Wieder spürte er die Tränen aufwallen. Er verstand ihn nicht... aber... wollte er ihn überhaupt verstehen? Er wollte wissen, warum er gegangen war, aber wollte er das alles auch glauben?

„Er hat Angst. Vor deinem Hass.“ Sie presste ihren Kopf eng an den Nacken des Anderen, drückte ihn an sich.

„Sag ihm, dass ich ihn nicht hasse, wenn du ihn wieder siehst.“, flüsterte er, schloss dabei erneut die Augen, während er mit den Fingern sanft über die Hände des Mädchens glitt.

„Ja, versprochen...“
 

Die Nacht war hereingebrochen, als er endlich wieder erwachte, die Arme, welche ihn so fest gehalten hatten waren verschwunden, hinter sich konnte er das prasseln und knacken des Feuers im Kamin hören. Langsam wandte er den Kopf nach hinten, betrachtete die junge Frau, die dort vor den Flammen saß und sie musterte. Die Haare waren hochgesteckt und nur ein paar Strähnen fielen über ihren Nacken und Rücken. Sie wandte sich nicht um, hatte wahrscheinlich nicht mal bemerkt, dass er wach war, sie starrte nur schweigend in den Kamin. Träge setzte er sich auf, sein Rücken schmerzte von der langen Nacht und dem Tag, den er hier verbracht hatte. Er war nicht zur Arbeit gegangen, fiel ihm dabei auf, aber einen Tag konnten die ja wohl ohne ihn...

„Guten Abend.“ Ihre dunklen Augen glänzten ihn freundlich an, nachdem sie ihn bemerkte. „Schön geschlafen?“

Er nickte schwach, plötzlich kam ihm alles wie im Traum vor, das Gespräch an dem tag, das er wieder da war, das alles war für ihn auf einmal nichts weiter, als ein langer Traum, der ihn quälte. Denn wie schön wäre es, zu wissen, dass er wenigstens in der Stadt war, nach an ihn dachte und ihn sogar noch liebte.

„Naja, mein Rücken schmerzt.“ Damit ging er zu ihr, hockte sich neben sie und starrte seinerseits ins Feuer. Es erinnerte ihn an den alten Kamin, in der kleinen Grabkammer, vor dem er einmal gesessen hatte, als die Vampire noch tief schliefen. Den Kopf bettete er wie damals auf die überkreuzten Arme, welche auf seinen angezogenen Knien lagen, und sah stumm die tanzenden Flammen an.

„Du solltest zu dem Friedhof gehen.“, flüsterte Sarah, was ihn von dem Anblick vor sich losriss und ihn sie ansehen ließ, „Wenn du dir Mühe gibst Sehnsüchtig aufzutreten, wird er kommen. Ich glaube er lebt wieder in diesem Friedhof.“ Ihre dunklen Augen blickten zu ihm, sie lächelte sanft.

„Okay.“ Er nickte schwach, bezweifelte, dass sie es überhaupt wahrnahm und sah wieder von ihr weg.

Noch eine Weile hockten sie einfach da, bevor Sarah aufstand und ihn allein in der großen Halle sitzen ließ. Es dauerte bis er sich endlich erhob und langsam die Treppen nach oben stieg und in sein Zimmer verschwand. Träge wühlte er neue Klamotten für sich heraus, zog sich um und blieb vor dem hohen Wandspiegel erst wieder stehen. Müde Augen betrachteten ihn, das Gesicht blass und ungeschminkt. Sein Stil war die Jahre lang gleich geblieben, doch trotzdem legte er nur noch selten Make- up auf. Warum wusste er nicht, aber er ging ganz automatisch in sein eigenes Bad, stellte sich vor den Spiegel dieses Raums und strich mit dem Kajal dunkle Striche unter die Augen (oder eher über die Augenringe). Es war das erste Mal seit Jahren, das er über eine halbe Stunde für sein Styling brauchte, aber danach sah er genauso aus wie damals. Nur noch wenig an ihm, erinnerte daran, dass er ein erwachsener Mann war, und nicht ein Junge, der sich gerne schminkte. Selbst seine Haare waren momentan lediglich schwarz. Im selben Moment, in dem er sein Werk im Spiegel betrachtete entschied er sich sie wieder blond zu färben.

Langsam tappte er wieder die Treppe nach unten, nahm den langen schwarzen Mantel vom Haken und wickelte sich in diesen ein.

„Oh, du siehst toll aus.“ Sarah schlenderte auf ihn zu, ein freundliches Lächeln auf den hübschen Lippen. „Es freut mich, dass du gehst.“ Sie legte anmutig den Kopf schief.

„Hm... vielleicht geh ich doch nicht. Wer weiß?“ Er lächelte, wandte sich dann ab. „Ich komme sicher nicht allzu spät wieder.“ Damit verließ er die Villa, stapfte hinaus durch den verschneiten Weg, zog dabei den warmen Stoff enger um sich. Wenigstens schneite oder regnete es momentan nicht. Es war nur verdammt kalt.
 

Er fand den Friedhof ganz automatisch, ohne sich einmal zu verlaufen. Und das obwohl sich alles in der Zeit verändert hatte, die Straßen waren jetzt breiter und verzweigter, der Friedhof an sich machte einen alten, verlassenen Eindruck. Abgesehen von manchen auffallend gut gepflegte Gräbern, die mit hübschen blutroten Rosen und Grabkerzen verziert waren. Das war für ihn der Beweis, dass er tatsächlich wieder in London lebte. Wie lange konnte er nicht sagen, aber scheinbar hatte er es sich zur Aufgabe gemacht den Friedhof wieder auf Vordermann zu bringen und sich um alles das zu kümmern, dass von den Menschen vernachlässigt wurde.

Wie Sarah es ihm geraten hatte, stopfte er sein Hirn mit allein schönen Erinnerungen voll, die er an ihn besaß, wünschte sich, dass er wiederkommen und ihm alles erklären würde. Angestrengt lief er über die steinigen und schneebedeckten Wege, bis zu dem kleinen Haus, in dem damals drei große, dunkle Särge standen. Es sah nicht allzu gepflegt wie der Rest aus, solange war er also doch noch nicht hier, sonst hätte er sicherlich auch das Haus ordentlich aufgeräumt. Zaghaft klopfte er, rüttelte dann an der Tür, nachdem kein Lebenszeichen von drinnen vernehmbar war. Eigentlich logisch, er musste ja jagen, da konnte er sich ja nicht in seinem kleinen, schmutzigen Häuschen verkriechen.

„Alexej?“, rief er in die Dunkelheit, als er sich umdrehte, schaute sich dabei suchend um. Nichts. Nicht einmal ein Tier schlüpfte aus einem Gebüsch und huschte über den Weg. „Alexej... bitte... ich weiß das du da bist!“ Er ging ein Stück voraus, drehte sich um die eigene Achse, und schrie nochmals den Namen des Vermissten.

„Sei nicht so feige! Mach es nicht schlimmer als es ist!!“

Schließlich ließ er sich gegen die Hauswand sinken, rutschte an dieser herunter und blieb in dem Schnee sitzen, auch wenn seine Hose und der Mantel in sekundenschnelle durchweicht waren. Fast hätte er geheult, wenn er das nicht so kindisch finden würde. Er zuckte zusammen, als eine sanfte, aber eiskalte Hand über seine Wange strich. Als er nach oben schaute, blickte er direkt in das Gesicht eines alten Bekannten. Der sagte nichts, schweigend betastete er die Wangen des Mannes, der da im Schnee hockte, fuhr mit den Händen durch das dichte, schwarze Haar. Und er hätte schwören können, dass der Ältere weinte. Er wusste es spätestens nachdem kalte Tropfen auf sein Gesicht fielen. Sofort griff er nach diesen Händen, zerrte den Vampir zu sich runter und schloss ihn in die Arme.

„Wie konntest du nur weggehen??“ Er wusste nicht mehr genau, wann er eigentlich angefangen hatte zu weinen. Aber er tat es, froh diese Finger in seinem Rücken zu spüren, die ihn ebenfalls festhielten, und gegen den anderen Körper pressten.

„Warum sagst du nichts?“, flüsterte er irgendwann, drehte den Kopf von der Brust weg und schaute nach oben.

„Es tut mir Leid...“, gab der leise zurück.

Diese vertraute warme Stimme... Jay drückte sich wieder eng an den Anderen, strich durch das immer noch so lange pechschwarze Haar, welches sich offen über Rücken und Schultern wand. Wie er ihn vermisst hatte, diese 200 Jahre alte Schönheit, die ihn damals mal so umgarnt, ihm die Liebe geschworen hatte. Mit einer schnellen Bewegung öffnete Alexej die Tür die ins innere des kleinen Hauses führte, zog den Jüngeren mit sich hinein, warf sie wieder ins Schloss. Er führte Jay zu einer großen, aber alten Couch setzte ihn auf diese und ging zur Seite, zu dem Kamin, um die Scheite in diesem anzuzünden. Dann schritt er wieder zu dem Sofa, kniete sich vor dieses und strich ehrerbietig über die Beine des Menschen. Er beküsste die Hände, die langsam zu ihm rutschten.

„Wo warst du?“, fragte er erneut, um einiges gefasster als vorher.

„Ich war weit weg von hier...“, flüsterte der, strich zart über die weiche Haut.

„Aber warum??“ Er wurde lauter, schaute den Älteren verletzt an. „Was hat dich daran gehindert dich elf Jahre lang nicht zu melden? Was hat dich daran gehindert einmal anzurufen und zu sagen, dass alles in Ordnung ist.“ Jay schniefte, wischte sich mit den Handrücken über die Augen, bevor Alexej es tun konnte. Der stand nur bekümmert da, die Hände an den Mantel des Mannes geklammert, als würde er jeden Moment einfach umfallen.

„Ich...“

„Beweis mir dass ich keinen Grund habe dich zu hassen.“, flüsterte er ruhig, drängte sich gegen den kalten und doch angenehmen Körper, schloss die Augen, „Sag es doch einfach...“

„Ich musste weg von euch... ich hatte mich geirrt was manche Dinge betrifft und plötzlich musste ich fliehen um euch zu schützen...“, gab er stockend zurück.

„Ich will es glauben können.“

„Mein Bruder, er lebte noch. Er war nicht im Wahn gestorben, wie ich gedacht hatte, und jetzt weiß ich auch wo er plötzlich gewesen war. Man hatte ihn nicht in eine Anstalt gebracht, lange bevor das geschehen war, war er verschleppt worden. Damit die Männer, die ihn überführt hatten keinen Ärger - und glaub mir, sie wären nicht glimpflich davon gekommen - bekommen hätten sagten sie er hätte sich selbst getötet. Ich glaubte ihnen, wie jeder, der ihn in dieser schlimmen Zeit gesehen hatte. Doch das stimmte nicht, er wurde zu einem Vampir gemacht. Scheinbar wurde er ein Waise, noch bevor er alles wichtige lernen konnte, sonst hätte er mich definitiv schneller gefunden. Und doch kam er zum richtigen Zeitpunkt, denn gerade vor elf Jahren war ich zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder verletzbar. Denn egal wie schwach der Vampir ist, er kann einen Menschen töten. Und ich hatte dich und Sarah, also gleich zwei Wunde Punkte. Doch an der kleinen schien er sich nicht vergreifen zu wollen, wahrscheinlich weil er sich vor etwas fürchtete... Aber da ist nebensächlich. Wichtiger war, dass du da warst. Ein leichtes, gefahrloses Opfer für ihn. Ich erkannte es vielleicht gerade rechtzeitig und verschwand aus London. Ich blieb nirgends sonderlich lang, denn ich fühlte tatsächlich seine Energie, die mir unerbittlich folgte. Ich denke er hasste mich, weil er mir die Schuld an seinem Zustand gibt. Und obwohl ich für ihn nichts familiäres empfinde wollte ich ihn nicht töten... oder ich konnte es nicht.“ Er stoppte, nur um zu sehen, ob Jay ihm wenigstens glaubte. Dieser nickte langsam, schaute in die dunklen Augen des Anderen. „Doch ich musste feststellen, dass er gar nicht mein wahres Problem war. Bald schon merkte ich, dass mich nicht mehr nur er verfolgte, sondern auch dessen Meister. Die ganzen Jahre darauf verbrachte ich weit weg von euch, größtenteils in Asien.“

„Was ist jetzt mit ihnen?“, fragte Jay leise.

„Sie sind tot. Beide.“ Er senkte den Kopf, an die Schulter des Kleineren. „Ich habe sie irgendwann getötet...“

Der Andere legte den Kopf leicht zur Seite. „Warum klingst du so traurig? Du hattest keine Wahl.“

„Ich habe meinen Bruder getötet... Er war kein fremder Vampir, der mir mein Gebiet streitig machen wollte, er war mein nächster Verwandter... mein Bruder...“ Er seufzte. Ja, er hatte ihn gehasst. Und trotzdem hatte er nicht töten wollen.

„Wenn er dich so hasste, warum hat er nicht einfach mich getötet? Oder Rayne?“

„Ich denke er wusste gar nicht, dass Rayne und Eleonore hier leben. Er hat seine ganze Kraft daran verschwendet mich immer wieder aufzuspüren.“

„Seit wann...“

„Vor einem Jahr war es... vor einem Jahr tötete ich meinen Bruder und seinen Meister. Der allerdings hat mich damals schwer verletzt..., vor vier Monaten hatte ich es wenigstens zurück hierher geschafft und seit ein paar Wochen bin ich vollständig genesen.“

„Und hast dich Sarah gezeigt, damit sie wenigstens weiß, dass du lebst.“

Alexej lachte kurz und ohne Gefühl. „Nein, eigentlich wollte ich gar nicht mehr auftauchen, wie feige das auch klingen mag. Ich wollte aber wenigstens eure Aura spüren, so nah bei mir.“

Jay schmiegte sich an den Anderen, dieser strich stumpf über dessen Arm.

„Bleibst du jetzt da?“, flüsterte der Jüngere in einem ruhigen Ton, „Alex... Lex. Ich liebe dich. Du darfst mich nicht mehr verlassen. Nie mehr. Schau mich an, ich habe nicht mehr diese Gestalt von damals. Ich bin erwachsen geworden... und du warst nicht dabei. Du hast nicht gesehen wie ich die Uni abgeschlossen habe, du hast nicht gesehen wie ich mich an gering bezahlten Jobs fast totgearbeitet habe. Du warst einfach nicht da... Du hast sogar Sarah allein gelassen...“ Er schluchzte kaum hörbar, für einen Vampir aber nur zu deutlich. „Du darfst jetzt nicht mehr gehen... Ich-“ Sein Mund öffnete sich, während er tief einatmete. Spitze Zähne bohrten sich in den Hals des Mannes, ein Gefühl folgte, als würde ihm die Lebensenergie ausgesaugt werden. Aber es war nicht schlecht. Vielleicht war es die Liebe, die ihn so fühlen ließ. Er drängte sich näher an diese Zähne, die sich wortwörtlich in ihn verbissen, ihm alles Blut heraussaugten, bis er seufzend und schlaff an dem Körper hinab zurutschen drohte. Der Vampir hielt ihn eng umklammert, zog sich aus ihm zurück. Er atmete deutlich schwerer, als es ein Vampir tat, schmiegte den Kopf an die blutende Halsbeuge, leckte alles säuberlich auf.

„Warum...?“

„Ich möchte das du mein Gefährte wirst... ich möchte das wir gemeinsam in die Ewigkeit gehen...“ Er beküsste die wunde Stelle, streichelte sanft mit den Händen über den Rücken des Jüngeren. „Ich habe schon zu lange gewartet...“

Die Antwort war ein einfaches Ja. Trotzdem rührte sich keiner der Beiden. Sie blieben still auf dem Boden sitzen, der Größere wiegte ihn sanft in den Armen, während dieser langsam eindöste.
 

„Wo bleibt er nur?“ Nervös lief Sarah in dem riesigen Wohnzimmer herum, von Rayne zu Len, zum Fenster, und noch zu anderen verschiedenen Stellen. „Wo ist er denn nur... vielleicht hatte er einen Unfall...“

Rayne schaute viel sagend zu Eleonore, die nur schwach nickte.

„Prinzeschen, beruhige dich. Sie kommen gleich.“, murmelte die Ältere schließlich, lehnte sich in ihren Sessel zurück und hob das Kinn, um den Hinterkopf auf die Lehne platzieren zu können. Sie seufzte, als das Getrappel von Sarahs Füßen einfach nicht abbrach. „Setz dich endlich hin, ma Dear.“, fügte sie rau hinzu.

„Aber!“, widersprach sie hastig, lief zu dem Sessel und kniete sich hin, nur um mit den Fingern immer wieder über die Stütze zu kratzen, bis Rayne sie festhielt.

„Sie kommen gleich, glaub mir doch, Prinzessin.“

„Ach, jetzt hör doch mit deinem Prinzessin Gerede auf!“ Sie fuhr sich mit der Hand durch das lange, dunkle Haar, strich es zurück, worauf es wieder geschmeidig in ihr Gesicht fiel.

„Aber du bist unsere Prinzessin. Du weißt es nur noch nicht...“ Rayne lachte und sogar Len musste plötzlich Lächeln.

„Hä?“, kam es von ihr. Sie legte den Kopf schief.

„Wirst du schon noch sehen.“ Beide kicherten, ließen die Frau mit ihren Gedanken allein stehen. „Oh, sie kommen.“

Kurz darauf öffnete sich die Doppeltür, Jay schritt gemächlich in das Zimmer, gefolgt von einem geduckt laufenden Vampir, der sich nicht einmal traute den Blick zu heben.

„Ach, weilst du auch wieder unter uns?“, fragte Rayne in einem demonstrativ gleichgültigen Ton, den der Andere weitestgehend ignorierte. Er hob nur den Kopf und blickt sie unterwürfig an. Sarah stand nur da, starrte diesen Vampir an, der vorher so stolz gewesen war. Noch dazu machte er nicht gerade den Eindruck eines gut genährten Vampirs.

„Lass ihn.“ Jay stolzierte weiter, griff irgendwann nah der kalten Hand des Hinteren und zog ihn zu dem hohen Kamin. Nur die Jüngste von ihnen bemerkte nicht die zwei kleinen roten Punkte an seinem Hals.

„Was war denn jetzt?“ Rayne folgte ihnen neugierig, sauer war sie längst nicht mehr. Eleonore schritt ihr gemächlich hinterher.

„Nichts.“ Das erste Wort des geschlagenen Vampirs, und nicht mal ein sonderlich überzeugendes. Kurz bevor er es Jay nachmachen konnte, und sich setzte wurde er am Arm gepackt und wieder hochgezogen.

„Wir gehen jetzt jagen. Kein Aber.“ Damit zerrte Rayne ihn von dem murrenden Anderen weg, Len lachte kurz, blieb aber beim Kamin stehen und blickte ihnen nur nach.

„Jetzt machen wir aus dir erst mal wieder den Vampir, der du bis vor Elf Jahren warst!“

Er konnte darauf nichts erwidern, war viel zu konzentriert darauf, Jay einen entschuldigen Blick zuzuwerfen.

„Bald hast du ihn wieder.“ Elegant ließ sich die Vampirin neben den Mann auf die Couch sinken, überschlug dann die Beine.

„Warum seid ihr nicht sauer auf ihn?“, fragte er leise, starrte sie dabei mit hochgezogener Braue an.

„Ach, wir wissen schon seit du hier bist wo er war. Du verschließt deinen Geist einfach nicht bei so etwas emotionalem, Vampire können dann in deinen Gedanken lesen.“ Sie lächelte freundlich. „Deshalb sind wir nicht böse. Er wollte nur seine Gefährten schützen. Trotzdem war es dumm einfach wegzulaufen. Er ist eben treudumm.“

„Oh...“, kam es leise von Sarah, die nur fragend hin und her schaute.

„Ja, von dir wussten wir es auch schon. Zwar nicht was passiert ist, aber das er traurig war.“ Eleonore lächelte. Jetzt muss er nur wieder aufgepeppt werden.“

„Ich freu mich schon, Dad wieder zu haben!“ Kichernd lehnte sich Sarah an den Anderen, der nur schweigend ins Feuer starrte. Er wollte ihn jetzt sofort wieder für sich haben. „Und du hast deinen Mann wieder.“

Wie konnte Rayne nur? Gerade jetzt, wo er sein Gefährte werden sollte... Sein richtiger Gefährte, nicht nur sein menschlicher Freund.

„Habe Geduld.“, war das letzte, dass Len zu ihm sagte.
 

20. Oktober 2019

Jay war ungeduldig. Seit Alexej wieder unter ihnen weilte hatte Rayne diesen für sich beschlagnahmt. Egal wie lange er wach blieb, nie schaffte er es seinen Liebsten wieder zutreffen, nur ein paar Mal erwachte er, weil Rayne laut über etwas lachte. Doch da waren die Beiden auch schon wieder verschwunden und nicht mehr auffindbar. Nebenbei bemerkt war Jay eifersüchtig.

Er zuckte zusammen als überraschen eine kalte Hand über seine Wange glitt.

„Idiot.“, knurrte Jay missbilligend, drehte den Kopf zur Seite.

„Es tut mir Leid.“, sagte der Vampir mit seiner zurück gewonnenen tiefen und erhabenen Stimme. So wie früher. Elegant glitt er neben den Anderen auf die Couch.

„Was denn?“ Jay verschränkte die Arme.

„Das ich wieder so lange von dir getrennt war.“

Der Jüngere spürte den kalten Atem auf seinem Hals, die spitzen Zähne, die wie zufällig über ihn streiften.

„Ich finde es ist Zeit...“, flüsterte er, küsste liebevoll die Stelle, die er erwählt hatte.

„Für was?“ Seine Arme öffneten sich wieder, die Hand tastete nach dem Bein des Anderen, krallte sich in den Stoff der schwarzen Baumwollhose.

„Mein Blut ist wieder stark... Sei bitte mein.“ Er wartete kurz, auf den geringsten Funken des Bejahens, dann bohrte er sie in das weiße Fleisch. Die Finger krallten sich stärker in das Bein, er keuchte leise, als er das sanfte Ziehen an seiner Schlagader fühlte. Sein Körper drückte sich enger an den des Vampirs, während der das Blut aus dem fremden Körper saugte. Um Jay wurde es dunkel, er bemerkte gar nicht, wie er langsam die Augen schloss, sich dem Anderen entgegendrückte, den Hals enger an diese sanften Zähne presste, die ihm dieses neue Gefühl von Eindringen gaben. Ein anderes Gefühl von Lust.

Gequält keuchte er auf, als das Gefühl abrupt stoppte und nur Schmerz zurückblieb. Die kalte Hand strich tröstend über seine Wange.

„Willst du ein Mensch bleiben?“, wollte Alexej leise wissen, streifte mit den Lippen über das Ohr des Anderen.

„Kommt... ein bisschen spät die Frage... Ja...“ Etwas feuchtes presste sich an seinen geöffneten Mund, er musste nicht wirklich nachdenken, biss einfach aus einem plötzlich erwachten Instinkt in das ihm dargebotene Fleisch, tat was der Vampir gerade noch mit ihm getan hatte. Neben sich hörte er ein unterdrücktes Keuchen, das Handgelenk an seinem Mund zuckte. Seine Finger wechselten den Standort, er krallte sie in den angebotenen Arm, hielt ihn fest, um dieses Gefühl nicht gleich wieder zu verlieren.

„Stopp...“ Der Arm zuckte zum ersten Mal stark, der Vampir wollte ihn wegreißen, schaffte es aber erst, nachdem er etwas locker gelassen hatte. „Du bist aber gierig...“ Alexej lachte leise, schmiegte sich gleich wieder an den anderen Körper. Schlang seine Arme um ihn, hielt ihn fest, als dieser anfing gequält zu stöhnen und immer wieder wie unter Schlägen zusammenzuckte.

„Alles in Ordnung? Fürchte dich nicht, das passiert uns allen.“

Kurz darauf herrschte Stille. Nur ein leises Atmen war zu hören, nach und nach folgte ein zweites.

„Es ist so hell.“, stellte Jay fest, als er die Augen wieder geöffnet hatte und sich in dem dunklen Zimmer umschaute. Er drehte den Kopf und blickte seinen Freund an. „Und du bist nicht mehr so... unheimlich schön.“

„Harte Worte.“ Der Ältere lachte leise. „Aber ein wenig hübsch bin ich doch noch?“

„Doch, schon. Nur nicht mehr so... wie damals.“

„Dann ist ja gut.“

„Ist das normal?“ Jay schmiegte sich enger an den Anderen, strich über dessen freiliegende Haut, testete deren Temperatur. Sie war nicht mehr so kalt, wie er es gewohnt war.

„Natürlich.“

„Dann sind wir jetzt Gefährten?“

„Hm. Liebende gefällt mir besser.“

„Ich mag mir die Stadt ansehen.“ Damit rutschte Jay aus der Umarmung, lief ein paar Mal im Zimmer umher, betrachtete jedes Bild, jedes Möbelstück mit diesen neuen Augen, die alles sofort entdeckten, was auch immer er gerade suchen wollte. Alexej blieb liegen, schaute dem Anderen traurig nach, wie dieser schließlich ans Fenster ging und den Regen betrachtete, der gegen die Scheibe schlug.

„Darf ich?“, wollte er wissen.

„Ja.“

Schon war er vor gelaufen, raus aus dem Zimmer, in den Gang. Er konnte nicht mehr hören, wie der Andere die Treppen hinunter hastete. Schweigend blieb er liegen, seufzte leise. Jetzt erst wurde ihm richtig bewusst, dass er ihn verlieren würde. Es lag eben in der Natur des Vampirs, irgendwann der Gesellschaft anderer Leid zu sein. Besonders, was die Gesellschaft des Erschaffers anging. So wie er vor über 250 Jahren von seinem Herrn verlassen wurde. An Raune hielt ihn nur die Einsamkeit, vor der er sich fürchtete. Bald würde es wieder so sein wie vor Hundert Jahren. Denn auch Len würde jetzt, wo er wieder da war gehen. Vielleicht würde sogar Rayne jetzt weggehen. Um zu Vlad zu ziehen und bei ihm zu bleiben. Wo er gerade bei Vlad war, warum lebte Mina noch immer bei ihm? Schließlich war sie seine Geliebte.

Seufzend schloss er die Augen. Wie dumm er doch war...

Erst das aufklappen der Tür ließ ihn sich aufsetzen. Vor ihm stand plötzlich Jay, Die Hände in die Seiten gestützt und mit einem ungeduldigen Blick.

„Willst du nicht mit?“, fragte er dann mit schmollendem Unterton, „Wehe du versinkst jetzt in Depressionen.“ Er legte sich auf den Anderen, der ihn die ganze Zeit nur stumm musterte. „Ich liebe dich. Also lass mich nicht allein, ja?“ Er gab ihm einen sanften Kuss. „Beweg dich, alter Mann!“

„Hetz nicht so..., wie du sagtest bin ich nicht mehr der Jüngste.“ Damit packte er den Anderen knapp unter dem Hintern, stand auf und hob ihn hoch. „Nun denn, jetzt zeigen wir dir mal die Stadt der Vampire.“ Alexej trug ihn lächelnd durch das Zimmer, wieder zurück auf den Flur.

„Stadt der Vampire?“ Fragend schaute er den Anderen an.

„Naja, nicht wirklich. Aber ich zeige dir wie wir Vampire die Stadt sehen.“

„Okay~.“
 

„Prinzessin!“ Höflich klopfte Alexej an die Tür des Zimmers von Sarah. Von ihr kam nur ein leises Murren, dann schlurfte sie zur Tür und öffnete. Überrascht musterte sie den Vampir, der sich ordentlich herausgeputzt hatte und in feinster schwarzer Seide vor ihr stand. Sie trug hingegen nur ein schwarzrot gestreiftes langes Nachthemd.

„Ihr müsst euch umziehen.“, bemerkte er, schob sie in ihr Zimmer zurück und holte ein langes, reichverziertes Kleid hinter dem Rücken hervor. Er legte es vorsichtig auf das Bett.

„Spinnst du? Was soll das eigentlich?“

„Ihr seid die Prinzessin.“ Alexej lief aufgeregt in dem Raum umher.

„Was ist denn los?“ Grob packte sie seinen Arm, zerrte ihn ein Stück zurück und starrte ihn warnend an.

„Er ist da!“ Und schon hatte er sich losgerissen, tief verbeugt und war dann aus dem Zimmer gewuselt.

Sarah stand irritiert da, fuhr sich durch das dunkle, lange Haar. Langsam ging sie zu dem Kleid, das ihr soeben gebracht worden war und betrachtete es. Es war eines der teuren, schönen Vampirkleider, welche Len immer trug. Irgendwie glaubte sie, dass er sich nur geirrt hatte, so aufgeregt wie er herumgelaufen war, aber wenn sie es einmal anzog störte es doch niemanden oder? Und überhaupt war es dann seine Schuld, nicht ihre. Sie zuckte mit den Schultern, schlüpfte aus dem langen Nachthemd und versuchte allein das Kleid anzuziehen, was sich dank des Korsage aber als schwieriger herausstellte als angenommen.

„Soll ich dir helfen, Prinzeschen?“

„Kannst du nicht anklopfen??“, murrte sie, drehte sich zu Rayne, die unbeeindruckt auf sie zukam.

„Reg dich nicht auf.“, gab diese zurück, stellte sich hinter die Andere und verschloss mit geübten Fingern das Korsage, „Aber schminken kannst du dich selbst, oder?“

Mehr als verwirrt schaute sie wieder zu der Vampirin, die gerade die Hände auf dem Rücken verschränkte. Raynes Blick war so anders, als die Tage, Jahre zuvor. Er besaß einen Hauch Unterwürfigkeit.

„Komm einfach runter wenn du fertig bist.“ Damit wandte sie sich um, verließ das Zimmer ebenso leise, wie sie es betreten hatte. Die noch immer verwirrte Sarah brauchte eine Weile bis sie sich fertig gemacht hatte, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was das alles sollte. Denn plötzlich schienen alle ziemlich komisch drauf zu sein. Na solang das nicht schlimmer wurde...

Auf der Treppe kam ihr ein nicht sehr glücklich aussehender Jay entgegen. Um genau zu sein schmollte er.

„Was denn?“, fragte sie höflich, bekam aber nur ein grollen zur Antwort. Jay war seit er Vampir war blasser geworden, die Haare voller und er strahlte beinahe. Irgendwie war es ein großer Unterschied zu dem Mensch von damals. Seine ganzen Jobs hatte er auch von einen auf den anderen Tag einfach über Bord geworfen.

„Ich sollte dich holen.“, sagte er schließlich, starrte dabei schlechtgelaunt an ihr vorbei.

„Okay...“

Nur zögernd folgte sie ihm, als er schwungvoll kehrt machte, und die Treppe wieder nach unten ging. Kaum dass sie unten angekommen waren schnaubte Jay verächtlich, jetzt konnte Sarah wenigstens sehen warum. Hinten, neben dem Kamin stand ein großer, hagerer Mann, für sie unbekannt, bei diesem war auch Alexej, der den Kopf zu Boden gerichtete hatte und selig vor sich hin lächelte. Kein Wunder das Jay eifersüchtig war...

„Ah, Liebes.“, wurde sie von dem Fremden begrüßt, der auf sie zuschritt und die Arme ausbreitete. Sarah sah ihn lange an, und erst als er sie in den Arm nahm erinnerte sie sich, an dieses warme und doch kalte Gefühl, dass sie das letzte Mal in der Art gespürt hatte, als sie noch ein kleines Mädchen war.

„Großvater...“, murmelte sie, worauf der nur lachte.

„Es wird Zeit, dass du mit uns kommst.“

Sie wurde festgehalten. Kein Geräusch war mehr zu hören. Und ganz allmählich wurde ihr bewusst, wohin sie jetzt gehen würde.
 

»Princess Vampire – End«
 

>Fin définitive<
 

Postface
 

Das war der letzte Teil meiner Vampirfanfic. ^^

Mit einem offenem Schluss, der Anfangs gar nicht offen bleiben sollte... Egal, der gefällt mir besser xD

Ich hoffe es kam gut rüber, wer dieser gewisse Herr am Schluss war.

Es sollte auch euch überlassen werden, was aus Alexej und Jay wird, nachdem der junge Herr ein Vampir geworden ist. Ist also euch überlassen, ob es ein Happy oder Unhappy End gibt...

Zugegeben ich habe eher den Hang zu schlechten Enden, aber dann hätte ich Ärger gekriegt, wenn ich das geschrieben hätte, das ich eigentlich wollte xD

Ich denke Mal, das wäre ohnehin nicht so gut angekommen. Deswegen bleibt’s auch so wie es jetzt ist. ^-^ Im Nachhinein mag ich dieses sogar lieber.
 

Oh, wie ja sicherlich auffiel, war das dritte Kapitel an einer bestimmten Stelle geschnitten... Nun ja, momentan ist dieser Teil noch nicht ausgeschrieben worden, aber wenn ihr lieb fragt xD. Mir persönlich ist dieser Teil nicht so wichtig...

Es kam in diesem Kapitel ohnehin größtenteils auf Jays Vergangenheit und der Einführung für das vierte Kapitel an.
 

Übrigens konnten beide sich nur so gut mit Kira unterhalten, weil der die ganze Zeit English gesprochen hat (er wurde zweisprachig erzogen ^^).
 

Ich danke allen Lesern und meiner durch die FF gefundenen Betaleserin!

Thanx für Mühe!!!<3
 

Ich hoffe mal sehr man konnte es lesen xD
 

Schaut auch mal bei meinen anderen FFs rein v.v

*Werbung mach*
 

Noch mal danke und Au revoir~
 

Kyo
 

PS : Nach einer Weile sollte das letzte Chap eine Songfic werden, was ich dann aber doch gelassen hab... Ich hatte die Story nämlich schon ziemlich fertig (12 Word Seiten ^^°), als mir auffiel wie gut `Kalte Spuren` von Schandmaul dazu passt... Jedenfalls zu dem Anfang der Story. Deswegen, wenn ihr die Chance habt, hört euch das Lied mal an! ^^
 

>Morgendämmerung vertreibt die Nacht,

Glocken schlagen Vögel singen

Aus Bösen Träumen ich erwacht

Lieg ich nur da und warte

Eben noch lachst du mich an,

strahlst noch wie das hellste Licht

Plötzlich Dunkelheit und Kälte

Der Schmerz zerfrisst mich innerlich

Wann sich deine Augen von den meinen abgewandt?

Wie konntest du vergessen was uns so gut verband?

Wohin ist sie verschwunden, die Liebe, die ewig wärt?
 

In der kalten Asche suche ich nach deinen Spuren

Habe dich verloren

In der kalten Asche suche ich nach deinen Spuren

Habe dich verloren
 

Langsam erheb ich mich

Versuche nicht an dich zu denken,

mich mit der Arbeit abzulenken

Doch ich seh immer nur dich

Ich finde einen Brief von dir,

du schriebst ihn mir vor vielen Jahren

Bilder der Erinnerung

Mich kann nicht davor bewahr’n
 

Wann sich deine Augen von den meinen abgewandt?

Wie konntest du vergessen was uns so gut verband?

Wohin ist sie verschwunden, die Liebe, die ewig wärt?
 

In der kalten Asche suche ich nach deinen Spuren

Habe dich verloren

In der kalten Asche suche ich nach deinen Spuren

Habe dich verloren
 

Schon wieder wird es dunkel

Der Mond scheint bleiches Licht

Ich hör deine Stimme,

ich spür wie was zerbricht

Morgendämmerung vertreibt die Nacht,

Glocken schlagen Vögel singen

Zarte Knospen blühen auf,

die Dunkelheit wird Licht
 

In der kalten Asche suche ich nach deinen Spuren

Habe dich verloren

In der kalten Asche suche ich nach deinen Spuren

Habe dich verloren

In der kalten Asche suche ich nach deinen Spuren

Habe dich verloren<

Last Part

Princesse de Vampire

Bonus: Wie am Anfang...
 

Er hockte allein in seinem dunklen Zimmer, der Mond leuchtete durch das Fenster, beschien sein blasses Gesicht. Im Jahre 1743 war er geboren worden und seit er sich erinnern konnte war er allein. Seine Geschwister starben früh, entweder durch die Aufstände, andere Mörder, die sinnlos töteten oder bei der Geburt. Er besaß nur noch den Stammhalter, sein Bruder, da sein Vater früh dahingegangen war, seine ältere Schwester, Marienné und die geliebte Mutter. Wie sie ihn zu verehren schien, nun ja, er war das einzige ihrer letzten Kinder gewesen, welches die Geburt überlebt hatte. Der Arzt hatte sich Anfangs sogar geweigert bei der Geburt behilflich zu sein, denn sie war krank. Er wollte ihr das Kind noch im Bauche nehmen, so sehr war er überzeugt, dass weder sie noch das Kleine es überleben würden. Er hatte überlebt. Seine Mutter lag, wie der Arzt es vorausgesehen hatte im sterben, seit nun schon Acht Jahren. Er weinte viel um sie, bis sich ihr Zustand endlich wieder besserte. Sie überhäufte ihn mit Liebe, so wie ihn sein Bruder dafür hasste. Denn nicht einmal Marienné war damals so gut behandelt worden. Nur er, als ihr letztes Kind, dass sie zur Welt gebracht hatte.

Er blickte auf, als die Tür langsam und sacht aufgezogen wurde. Sie schlich in das Zimmer, als wollte sie nicht, dass sein Bruder sie hörte. Sie lächelte, als sie sich neben ihn setzte. Er blickte sie nur traurig an.

„Warum mag er mich nicht?“, wollte er flüsternd wissen. Nein, eigentlich wollte er es nicht, wollte nicht die Wahrheit hören, die ihn wahrscheinlich verletzen könnte. Deshalb schwieg sie. Lächelte ihn nur weiter stumm an.

„Marie wird morgen in die Stadt ausreiten. Sie lässt fragen, ob du mitmöchtest. Du bist viel zu wenig draußen.“, sagte sie stattdessen ruhig mit ihrer wundervoll weichen Stimme.

„Ach, Marie... Sie verhält sich, als wäre sie der Stammhalter unseres Hauses...“

Die Frau kicherte.

„Ja, sie ist der wahre Mann des Hauses. Dein Bruder kann sie nur nicht leiden, weil sie besser im Stande ist zu kämpfen, als er.“

Wie hell ihr Lachen erklingt. Wie wunderschön sie ist. Immer wieder errötete er, wenn man ihm sagte, er hätte ihr Aussehen geerbt. Denn jeder fand sie bildhübsch, wie ein Engel auf einem Gemälde, wie die Maria, die so berühmt für ihre Schönheit war.

Im selben Moment tritt eben dieses Mädchen ein. Jung an Jahren, mit ihren Sechzehn. Gekleidet in einen dunkelbraunen Gehrock, darunter das weiße gerüschte Hemd des Bruders, ihre schlanken Beine steckten in einer schwarzen, engen Leinenhose. Der Gürtel um ihrer Hüfte schnürte die Kleidung so zusammen, sodass man den Ansatz von kleinen Brüsten erkennen konnte. Das lange, braune Haar wurde von einem Stirnband zurückgebunden. Sie sah aus wie einer der jungen Knaben aus dem Dorf, die sich fest vorgenommen hatten eines Tages Abenteurer zu werden. Sie wollte es natürlich nicht, sie wollte nur weg aus diesem kleinen Dorf. Nach Paris. Und dort einen reichen Herren heiraten, auch wenn sie nicht arm war.

„Kommst du nun mit, oder nicht? Lass Mutter mal etwas Zeit für sich.“ Der Degen an ihrer Hüfte schwang hin und her, während sie auf ihn zutrat.

„Ja... Aber warum so spät?“

„Weil man nur des Nachts die Reisenden in den Pubs antrifft, die einen mit nach Paris nehmen würden.“ Sie lachte, nicht wie ein Mädchen, oder wie es sich für eines ziemte, sondern wie ein Junge.

„Nun geh schon. Tu ihr den Gefallen.“

„Ja, Mutter.“ Er erhob sich, aber nur langsam. Er wollte lieber für sich sein, eigentlich hatte er sogar Angst vor diesen Pubs, den dunklen Restaurants mit den zwielichtigen Gestalten. Aber sie war ja bei ihm, die Kriegerin, die Aussah wie ein zu hübsch und mädchenhaft geratener Knabe.

Das überall auf den Straßen Dunkelheit herrschte machte ihm Angst. Auch wenn Marie so eilig neben ihm herging. Ihr schlanker Arm legte sich um seine Schultern, sie drückte ihn an sich.

„Er kommt heute wieder.“, flüstert sie leise.

„Ich weiß... Wolltest du deswegen mit mir weggehen?“

„Ja.“, gab sie kurz zurück. Ihre zarten Finger, welche in Handschuhen steckten, strichen sanft über seine Wange.

In dieser Nacht lief er das erste Mal weg. Marie war betrunken, doch da sie jeder für einen Jungen hielt wurde sie nicht belästigt. Allein deswegen konnte er sie auch allein lassen. Und so rannte er durch den Wald, durch die Finsternis die ihn verschluckte. Er liebte seine Mutter, doch die Angst hinderte ihn daran wieder umzukehren und zurückzugehen. Wie sehr er doch seinen Bruder verabscheute. Dieser Mann, der Macht über sie hatte, über das ganze Dorf. Er wusste, dass er feige war. Doch er hastete weiter durch die Nacht. Einfach weiter, fort von hier... Erst das laute Jaulen der Wölfe ließ ihn anhalten. Er schaute sich um, auch wenn er nichts erkennen konnte. Es überraschte ihn selbst, dass er sich mehr vor seinem Bruder als vor den Bestien des Waldes fürchtete. Vielleicht lag es daran, dass die Ältesten immer sagten, sie würden keine Menschen fressen. Es sei denn sie litten großen Hunger, der sie um den Verstand brachte. Stumm stand er mitten in der Lichtung, hörte wie Äste knackten, wie leichte Pfoten auf sie traten und über den Waldboden schlichen. Und was wenn sie Hunger litten?

Die Wölfe blieben einfach stehen, nachdem auch er sie endlich erkennen konnte. Kein einziges Geräusch ging mehr von ihnen aus, sie schauten ihn einfach an.

„Ihr leidet keinen Hunger?“, fragte er leise, keines der Tiere rührte sich. Die schwarzen Augen glommen in der Dunkelheit, „Dann lasst mich bei euch...“
 

Mit Acht hatte er zum ersten Mal versucht wegzulaufen. Einen Tag später fanden sie ihn im Wald liegen, brachten ihn zurück nach Hause, wo er dem Zorn des Ältesten ausgeliefert war. Er schlug ihn, seine Mutter sah geschockt zu. Erst Marienné begann einen Streit mit dem Mann und hinderte ihn schließlich daran weiter auf den Jungen einzuschreien.

Er verkroch sich in sein Zimmer, heulte, bis seine Mutter kam und ihn wie immer tröstete, ihn überhäufte mit wunderschönen Worten. Er konnte ihren vorwurfsvollen Ton heraus hören, was ihn nur noch trauriger machte. Und noch an diesem Tag beschloss er, zu bleiben. Hier, bei seiner Mutter.
 

Zwei Jahre verbrachte er in einer Klosterschule, lernte Lesen und Schreiben, doch er flüchtete mehrere Male, lief zurück zu seiner Mutter, die plötzlich wieder schwer krank geworden war. Immer wieder holten sie ihn zurück, erst nach diesen Jahren ließen sie ihn laufen, nahmen ihn gar nicht mehr auf in der Schule. Sein Bruder steigerte sich immer mehr in seinen Hass hinein, er verstand auch endlich weshalb er ihn so verabscheute. Er war das letzte Kind seiner Mutter, das Nestheckchen, der Jüngste. Das geliebte Kind, während sie seinem Bruder kaum noch Beachtung schenkte. Er fand sich einfach damit ab, hoffend, dass der Ältere ihn irgendwann einfach ignorieren würde. Liebevoll kümmerte er sich um sie, Marie half ihm, auch wenn sie wusste, dass auch sie nicht dieselbe Liebe bekam. Doch es störte sie nicht, längst war sie nicht mehr der Familienmensch, sie war eine Reisende. Und schon mit Neunzehn verließ sie die letzten Drei der Familie sowie alle Sklaven. Sie heirate, wie sie es immer vorgehabt hatte, einen reichen Pariser Gentleman.

Es vergingen vier Jahre, dann lief er zum zweiten Mal von Zu Hause weg. Seine liebste Mutter verstarb, schenkte ihm ihre Decke und gerade als er zutiefst erschüttert ihren regungslos Leib betrachtete, das wunderschöne Gesicht, welches voller Ruhe da auf dem Kissen ruhte. Voller Hass brüllte ihn sein Bruder an. Sofort nach der Beerdigung lief er weg. Er war jung, zu jung, um allein durch das Leben zu kommen. Deswegen wurde er auch lediglich ein paar Tage später zurückgebracht. Er verstand einfach nicht, weshalb ihn sein Bruder nicht wegjagte, warum er ihn weiterquälte. Oder gefiel es ihm vielleicht seine Macht so brutal zu nutzen?

Nach dieser Wendung veränderte er sich. Lud sich andere Knaben in das Haus ein, fing Affären mit ihnen an, und wusste, dass die Sklaven es dem Herrn der Grafschaft erzählten. Der jagte seine Liebhaber immer wieder aus dem Haus, während der Jüngere nur lachend hinter ihm herschritt. Ja, gib ihm einen Grund dich zu hassen, wenn er es schon tut, redete er sich ein. Grinste ihn höhnisch an, immer wenn er ihn so voller Hass anstarrte.
 

1763, er empfand sich als Mann. Nein, er war ein Mann. Sein Lächeln hatte etwas boshaftes angenommen, allerdings nur wenn er seinen Bruder ansah. In dem Dorf hatte er bereits Ruhm erlangt, als jemand der Fremde Störendfriede verjagte, denn irgendwann war er eben doch Ritter geworden. Und er kümmerte sich um die Jünglinge, wie er auch gerne mit den hübschen Mädchen zusammen war. Außer seinem Bruder störte es niemanden, denn zu der Zeit ließ man viel durchgehen. Außerdem war er Grafensohn, selbst die Sklaven liebten ihn. Und für die Dörfler war längst er der wahre Stammhalter.

Es war gegen Einbruch der Nacht, als er an dem Tisch saß, lässig zurückgelehnt, den Ellbogen auf der Platte abgestützt. Vor sich Essen über Essen und links von ihm, ganz am Rand, saß er, sein Bruder und musterte ihn wütend. Der junge, dunkelhäutige Sklave stellte wieder etwas auf den Tisch, Rosé.

Alexej lachte. Zog den Jungen zu sich.

„Bleib noch.“, fügte er grinsend hinzu. Lange Strähnen schwarzen Haares glitten ihm ins Gesicht, die der Sklave sofort wieder von der weißen Haut strich. Dieser schöne Dunkle, wie er ihn nannte war sein neuester Fang. Er wehrte sich nicht gegen die Berührungen, schenkte seinem Herrn ein weiches Lächeln.

Mit einem Grollen erhob sich der Mann, der Graf, schlug mit der Hand auf den Tisch, drehte sich weg von seinem sündigen Bruder. „Du wirst deine Strafe noch bekommen!“, brüllte er, bevor die Tür zugeschlagen wurde. Wieder lachte er nur.

„Was glaubst du? Hätte Mutter mich auch verabscheut?“ Seine Stimme wurde leiser. Mutter. Wie abgöttisch er sie doch liebte, diese Frau, die ihm alles gegeben hatte. Nur sie selbst hatte sich ihm verwehrt. Sie war das einzige, dass er nie bekommen konnte.

„Niemals. Ihr seid der stumme Herr aller.“ Die Finger strich zart durch das Haar des Grafen.

„Wie töricht von dir, so etwas über jemanden zu sagen, den du nicht kennst. Doch ich glaube dir, mein schöner Dunkler. Sicher hast du recht, mein kluger Liebling.“

Ach, wie sehr er sich vor Einsamkeit fürchtete. Wie sehr er unter ihrem Tod gelitten hatte, es war so ein Schlag gewesen. Und jetzt? Wurde alles besser. Ja, jetzt hatte er sie alle. Und wenn er es befehlen würde, sie würden seinen Bruder stürzen, um ihn auf den Thron zu lassen. Aber mit welchem Recht nahm er ihn? Oder dachte er auch nur an die Chance ihn für sich zu beanspruchen?

„Ich vermisse sie so sehr... Wie es wohl Marie geht?“ Er konnte nicht sagen wie sehr ihm familiäre Liebe fehlte. Und noch konnte er nicht ahnen welches Schicksal ihn in nur zwei Jahren ereilen würde. Noch hatte er nicht einmal Ahnung von den Wesen der Nacht, wie sie zu Hauf um sie herum lebten, verteilt in alle möglichen Länder.

„Weshalb schreibt ihr der Herrin nicht einen Brief um nachzufragen?“, wollte er mit sanfter und zurückhaltender Stimme wissen.

„Ich wage es nicht sie zu stören. Seit fünf Jahren erhält sie keine Briefe mehr von uns, wahrscheinlich weiß sie noch gar nichts von Mutters tot. Mir wäre lieber ich wüsste auch nichts davon.“ Er musste den Kopf abwenden, damit der Junge nicht die aufkommenden Tränen sehen konnte. Warum nur weinte er nach all den Jahren noch um sie? Dabei hatte er hier genügend andere Probleme, Revolution, welche langsam dabei war auszubrechen, der Krieg, der um sie herum wütete und immer näher kam. Eigentlich war er bereits vorbei, Frankreich hatte verloren, aber es schien die Siegermacht nicht daran zu hindern weiter zu wüten.

„Dann fahrt nach Paris. Seit zu euch und ihr ehrlich. Sagt was geschehen ist, sie hat ein Recht es zu erfahren.“
 

Ein paar Tage später fielen die Briten in das Dorf ein. Wie er später herausfand war es das letzte auf ihrer Kriegstour durch Frankreich. Er floh, ohne seinen jungen Sklaven. Er sah ihn nie wieder. Ohne zu wissen wohin er lief, rannte er einfach weiter. Nachdem er in einem Dorf angekommen war ritt er mit auf dem Rücken eines gestohlenen Pferdes. Niemand kannte ihn in der Welt, keiner wusste von dem Grafensohn, dessen Dorf zerstört worden war. Und niemand half ihm. Nur manche sahen in ihm einen aus dem Bordell geflohenen Jungen. Bis dahin hatte er nicht bemerkt wie jungenhaft er eigentlich aussah.

Weit kam er allerdings nicht. Diebe überfielen ihn, allein wegen dem Tier, denn sonst besaß er nichts. Sie rissen ihn herunter, warfen ihn auf den schmutzigen, kalten Boden. Er schmeckte Blut in seinem Mund. Spürte Tritte ihm Rücken. Hörte wie sie sich über ihn lustig machten, den geflohenen Straßenjungen. Stumm blieb er liegen, nur sein Körper verkrampfte sich, und er wollte nun nicht mehr fliehen wie die Tage zuvor. Vielleicht wäre es ja besser einfach hier im Wald zu sterben...

Wie viel Zeit vergangen war, wusste er nicht mehr, nur dass es immer kälter wurde, bis er sich leicht zusammenrollte. Die Arme, die ihn hochhoben registrierte er gar nicht. Vielleicht war er auch einfach ohnmächtig. Denn als er erwachte konnte er sich nicht einmal mehr an die letzte Woche erinnern. Ihm taten die Glieder weh, selbst der seidige Stoff der Decke fühlte sich rau auf seiner Haut an. Nur träge öffnete er die Augen, außer einem flackernden Schein irgendwo neben sich konnte er nichts erkennen. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis sich seine Augen an die herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Er befand sich in einem Zimmer, wie es für diese Zeit üblich war, Kronleuchter, vergoldete Kerzenständer, Eichenschränke, deren Kanten mit hübschen Blumen verziert worden waren. Das Himmelbett auf dem er lag knarrte leise, als er sich ein paar Zentimeter zur Seite drehte. Durchsichtige, schwarzschimmernde Seidenvorhänge hingen rund um das Bett. Und auch wenn ihn das Liegen schmerzte. So war es doch wunderbar weich... Er hustete und erst jetzt fiel ihm auf, wie hitzig sich sein Körper anfühlte, als würde er in Flammen stehen. Das Atmen fiel ihm schwer und er begann zu glauben noch immer in dem Wald zu liegen, er hatte einen Fiebertraum, während er dem Tode entgegen schritt. Er schloss die schweren Lider wieder.

„Du bist wach, junger Freund?“

Er sah nicht auf, öffnete nicht einmal die Augen. Vielleicht lag es an der Angst, die er vor dem Tod hatte, er wollte nicht dieses Knochengerüst sehen, welches in seinem schwarzen Umhang nach Opfern suchte und die Sense bei sich trug. Aber diese Stimme... wie konnte der Todbringer eine so wundervolle, vollendete Stimme besitzen?

„Ach, sag doch nur ein Wort, um mir zu versichern, dass du noch lebst.“

Er musste stöhnen, so angenehm und berauschend war der Klang dieses Mannes, wie er sprach, so gehoben, so wundervoll. Eine Pause entstand.

„Ich lebe noch...“, flüsterte er, nur um ihn wieder reden zu hören.

„Du ahnst nicht, wie sehr mich das freut.“

Kurz darauf konnte er das helle Lachen des Todes hören, wie sanft und beruhigend es doch auf ihn wirkte. Eine eisige Hand glitt über seine Wange, er zuckte heftig zusammen.

„Öffne doch deine Augen, noch einmal möchte ich deine wundervollen Augen sehen.“

Selbst wenn er nicht gewollt hätte, egal wie viel Angst er bei dem Gedanken empfand, nun in die leeren Höhlen eines weißen Schädels zu blicken, so tat er es trotzdem. Zuerst sah er tatsächlich die weißen Knochen des Kopfes, bis sie sich als Haut herausstellten, so bleiche Haut... Blondes, fein gewelltes Haar fiel über die schmalen Schultern des Mannes, der ihn aus leuchtend blauen Augen anblickte. Und er lächelte, entblößte dabei zwei Reihen weißer Zähne, wobei die Eckzähne fein spitz geschleift worden waren. Für ihn, wie er da im sterben lag, sah er aus wie Gott selbst. Als ihn die Finger erneut berührten zuckte er nicht mehr.

„Bist du mein Richter? Bist du Gott?“, wollte er mit schwacher Stimme wissen. Wieder ertönte das helle Lachen.

„Ich bin ein Gott, nicht der Gott. Aber für dich, mein gutes Kind, bin ich nur ein Schutzengel, Meister, Lehrer.“ Der spitze Nagel strich über die gerötete Wange Alexejs. Ein blasser roter Strich blieb zurück.

„Ein Gott?“

„Ich werde dir alles erklären, wenn die Zeit dafür reif ist. Du bist sehr krank. Konzentriere dich auf deine Genesung, mein Freund. Alles andere ist unwichtig.“ Er erhob sich geräuschlos, er konnte seine Schritte nicht hören, als er durch das Zimmer ging. Der lange weinrote Gehrock wallte sich leicht. „Schlaf noch ein wenig.“

Gehorsam schloss er wieder die Augen. Er wusste nicht, ob diese Erscheinung das Zimmer verlassen hatte, denn das schließen der Tür hatte er nicht gehört. Und schon zu bald viel er wieder in einen tiefen Schlaf, er erwachte nicht durch die eisigen Finger, welche manchmal sein Gesicht betasteten. Vielmehr beruhigten sie ihn.

Und schließlich weckte ihn der Schmerz, der in seinem Magen wütete. Ihm war schlecht, doch wollte er nichts zu sich nehmen. Er fühlte sich so ausgedörrt und seine Glieder brannten nur noch mehr. Heißer Schweiß befeuchtete sein rotes Gesicht. Es schmerzte, als er den Kopf drehte. Seine Hoffnung bestätigte sich, da saß er, der Gott, mit seiner weißen Haut, die Augen traurig auf seinen schmalen Körper gerichtet.

„Sie frisst dich auf...“, hauchte er, wiegte den Kopf dabei fast unmerklich hin und her, „Ich wollte dir eine Wahl geben, dich fragen... was du möchtest.“

Er konnte nicht fragen, was er wissen wollte, seine Kehle war so trocken, als würde er jeden Moment ersticken.

„Gut... Möchtest du sterben? Oder werden, was ich bin? Ein Gott?“

Er sagte es so ernst, mit so fester Stimme, dass sich der Jüngere dazu zwang ein Ja, Herr herauszupressen. Der Mann erhob sich ebenso leise, wie beim letzten Mal, beugte sich über den verschwitzten, kranken Körper.

„Dann musst du jetzt ruhig bleiben.“ Er senkte seinen Kopf, berührte mit den kalten Lippen den heißen Hals. „Ach... liebst du mich?“ Der Mann fühlte wie der Andere schwer schluckte, als hätte er Probleme damit.

„Ja...“ Er wollte aufstöhnen, konnte es aber nicht, denn die zwei abgeschliffenen Zähne, wie er eigentlich gedacht hatte, bohrten sich in seine Ader, ein Ziehen durchfuhr ihn, als versuchte man ihm die Schlagader aus dem Hals zu reißen. Und doch war es kein Schmerz, es ähnelte dem alten Gefühl der Lust, welche er bei seinem kleinen Sklaven empfunden hatte.

Es dauerte ewig, bis er ihn wieder losließ. Doch er verharrte weiterhin über ihm, als wäre er in Gedanken versunken. Mit einer plötzlichen Bewegung, die den kranken erschreckte, drehte er ihm den Kopf zu, die Augen wirkten klarer als zuvor, die Haut nahm einen sanften Rotton an. Und so schnell, wie er sich gerade bewegt hatte, desto langsamer hob er nun seine Hand, schnitt tief in die Pulsader, betrachtete kurz das rote Blut, welches träge herauströpfelte und hielt es ihm an den Mund. Alexej fühlte das Nass an seinen Lippen, doch wagte er nicht die Flüssigkeit wegzulecken, die jetzt so seltsam verführerisch roch.

„Trink... Wenn du leben willst, trink.“

Er zögerte wenige Sekunden, dann schnappte er gierig nach dem Handgelenk, saugte wie ein Wahnsinniger das Blut aus den Adern, es strömte in seinen Mund, schoss bis in seinen Magen, verschluckte den Schmerz, der noch bis vorhin in ihm gewütet hatte. Eine kalte Hand klammerte sich an seinem Nacken fest, drückte zu, als wollte sie ihm das Genick brechen.

„Es reicht...“, wurde ihm zugezischt, der Druck verstärkte sich und er ließ gehorchend von ihm ab, fiel geschwächt zurück in das federnde Kissen. Gleichzeitig durchzuckte ihn ein so gewaltiger Schmerz, sodass er aufschrie. Sein Körper verbrannte, er konnte nichts mehr sehen, hörte irgendwann seine eigenen Schreie nicht mehr. Die Hand ruhte noch immer in seinem Genick, auch wenn sie ihm nur Qual brachte, so beruhigte sie ihn doch.

Er atmete tief durch. Kein Schmerz mehr, kein Feuer. Er rührte sich nicht, steif lag er auf dem weichen, seidigen Bett. Es fühlte sich so viel besser als vorher an, seine Finger glitten sanft über den Stoff. Es schien keine Unebenheiten mehr zu geben, nur noch Perfektion. Langsam blickte er zur Seite. Der Mann stand mit dem Rücken zu ihm, der Kopf hing schlaff nach unten, als hätte auch ihm der Akt so unendlich viel Kraft gekostet. Sein Haar glänzte nicht mehr so wundervoll wie vorhin noch, und doch war es für ihn wie sanftes Gold, das ihm so leicht über die Schultern wallte.

„Seid ihr traurig, Meister?“, fragte er leise, setzte sich auf. Doch als ihm seine eigenes schwarzes Haar vor das Gesicht viel, widmete er sich sofort dessen dunklen Glanz, der noch etwas braunes an sich hatte. Wie lang es mittlerweile geworden war... Er fuhr mit den Fingern hindurch, nicht einmal stoppte ihn ein Knötchen, oder sonst irgendwas, wie es sonst nach dem Aufstehen bei ihm gewesen war. Seine Haut schimmerte weiß, er betastete sie mit der einen Hand, drehte die Andere dabei. Selbst seine Nägel kamen ihm silbern vor.

„Bitte verzeih mir...“

Er drehte den Kopf zur Seite, blickte wieder den Rücken des Mannes an.

„Aber warum? Ihr habt mich geheilt von dieser Krankheit! Ihr habt mein Leben gerettet!“ Er rutschte auf ihn zu, beugte sich nach vorne, um in dessen steinernes Gesicht sehen zu können.

„Ich habe dir keinesfalls das Leben gerettet. Ich habe dir nur eines genommen und dir dafür ein anderes gegeben.“

„Aber Meister... Wie könnt ihr nach diesem Wunder so unglücklich sein?“

Erst jetzt hob der Angesprochene den Kopf, schaute träge zu dem Anderen. Alexej erkannte dessen müden Ausdruck, als hätte er Tage nicht mehr geruht. Und trotzdem strahlte er noch diese Schönheit aus.

„Ach, es ist wie die Liebe. Erst ist sie wunderbar und dann wird sie verblühen und Trauer bringen.“ Er schlang seine Arme um den Körper, nahm die Kälte nicht mehr wirklich war.

„Aber ich werde euch nicht allein lassen.“

Er lachte trocken, strich mit den Fingern um den Unterarm, welcher um seinen Hals lag.

„Ja...“

Eine Weile verharrten sie so, bis Alexej sich wieder rührte.

„Meister. Ich bin so hungrig...“

Schweigend erhoben sie sich. Der Mann nickte, führte ihn durch sein Schloss, wie er feststellte. Es war riesig, auch wenn sie nur durch einen Gang und die Halle zu den Flügeltüren schritten. Draußen war es Nacht, der Wind strich um sie herum, ohne sie in irgendeiner Weise zu behindern, wie es bei Menschen der Fall gewesen wäre.

„Meister? Was bin ich?“, fragte er überrascht darüber, dass er nicht einmal die Kälte der Winde spürte.

„Ein Kind der Ewigkeit, der Finsternis. Ein Vampir.“

„Vampir??“, stieß er erschrocken hervor. Er hatte schon von diesen Wesen gehört, nur hatte man ihm sie nicht so beschrieben, wie sie waren. So wunderschön und gottesgleich mit ihrer weißen Haut und der reinen Stimme. Er achtete gar nicht wirklich auf den steinigen Weg, den sie nahmen, ganz automatisch wich er ihnen aus.

„Ja, Vampir. Verstehst du mich nun?“

Natürlich tat er es nicht. Er war noch viel zu aufgewühlt, es war alles so neu, so wunderbar, allein die Fähigkeit wie er nun sehen konnte. Alles strahlte eine unbekannte Schönheit aus, wie er sie vorher nie gesehen hatte. In der Stadt verliebte er sich gleich dreimal, sogar in eine Frau. Es verwirrte ihn, denn nicht einmal sein Sklave, hatte ihm damals solche Gefühle entlockt. Die Menschen hier waren so bezaubernd, auch wenn er nicht mal wusste in welcher Stadt sie sich befanden. Auf Geheiß seines Meisters tötete er den ersten, ein hübscher Jüngling mit blondem Haar. Das verlockende Mädchen umgarnte er, sprach zu ihr mit den schönsten Worten, die er kannte. Er fühlte die Augen seines Meisters im Rücken, wie er ihn beim Lernen beobachtete.

„Du bist noch viel zu... schlüpfrig.“, murmelte er, während er die Leiche des schönen Mädchens betrachtete. Alexej schaute fragend auf.

„Wie meint ihr das?“

„Noch mag deine Liebe ungereift sein, du glaubst nur an sie, bildest dir Gefühle ein, doch bald, wenn du lange genug lebst, wirst du daran zerbrechen, dieses Gefühl überhaupt zu kennen. Du solltest wissen, Liebe gibt es für uns nicht. Nie mehr wird es sie für uns geben.“ Damit wandte er sich ab, schritt weiter durch die schwarzen Gassen. „Komm. Hol dir deinen letzten Geliebten für diese Nacht.“

Gehorsam folgte er ihm, wollte nicht widersprechen, so gerne er es auch getan hätte. Er glaubte ihm nicht, wie konnte es sein, dass er sich diese Gefühle nur einbildete? Aber andrerseits, wie konnte es sein, dass er jemanden lieben und gleichzeitig töten konnte?

„Meister. Wie heißt ihr eigentlich?“

Sie saßen sich gegenüber, Alexejs Blick war auf den schimmernd schwarzen Sarg in dem feuchten Keller gerichtet. Ihm war unwohl bei dem Gedanken darin schlafen zu müssen.

„Nenn mich wie du willst.“ Er erhob sich, schritt zu dem Sarg und zog den Deckel zur Seite.

Er schluckte, stand langsam auf. „Die Sonne geht bald auf. Leg dich schlafen, bis zur morgigen Nacht, dann wirst du weiterlernen.“ Alexej legte sich unsicher in die weichen Polster, schaute seinen Meister solange an, bis dieser den Deckel wieder verschloss. Eigentlich war er nicht müde. Er dachte über sein Leben nach, warum wusste er nicht. Doch er erinnerte sich an so viele Dinge aus seiner Kindheit. Und an seine Mutter. Seine Mutter! Die Decke... er hatte sie verloren... Er war am Boden zerstört, weinte sogar, bis er plötzlich einschlief. So abrupt, dass er die Müdigkeit gar nicht erst gespürt hatte.
 

Kaum, dass sein Meister den Deckel öffnete erwachte er. Starrte in eisblaue Augen. Und er lächelte ihn an, dieses wundervolle Lächeln, mit welchem er ihn bei seiner ersten Nacht begrüßt hatte. Er erwiderte es.

„Guten Abend, mein junger Freund.“ Er half ihm aus dem Sarg, hielt seinen Arm weiterhin fest, auch wenn es völlig grundlos war. „Warum hast du geweint?“, wollte er dann mit der süßesten Stimme wissen.

„Ach... ich war so schusselig... Und habe das Geschenk meiner Mutter verloren...“ Er senkte schuldig den Kopf.

„Du wirst sie wieder finden. Glaub mir. Doch nun komm, deine Lehre sind noch nicht beendet.“

Seine zweite Nacht in dieser neuen Welt war um vieles besser als die letzte. Seine Fähigkeit zu sehen, was Menschen nicht sehen konnten, zu hören, zu fühlen, hatte sich noch verstärkt. Er fühlte sich wie neugeboren, kein Schmerz mehr in seinem Leib, kein Anflug von Krankheit.

Sein Meister erklärte es ihm mit einfachen Worten. Es sei schon immer so gewesen, man zahlte dafür mit Blut, das man nun den Menschen stehlen musste, um zu überleben. Wieder wurde er zornig, als er sich verliebte, bläute es ihm erneut ein, dass es keine Liebe mehr gäbe, dass die Lust nur noch durch das Nehmen des Blutes entfacht wurde. Er verstand es zwar wieder nicht, doch glaubte er es. Sein Meister musste es wissen, er war, wie er später erzählte, um Jahre älter als er selbst.

Er lehrte ihn auch noch über die nächsten Tage was es hieß, Vampir zu sein, was er brauchte und wie er zu Leben hatte. Fleißig lernte er alles, was ihm beigebracht wurde. Als dieses Studium beendet war, begann er zu lesen. Er durchwühlte die Bibliothek seines Meisters, lehrte sich selbst die Geschichte Frankreichs, dann Italiens, Britanniens.

Nach vier Monaten reiste er mit ihm zurück in sein Heimatdorf. Selbstverständlich Nachts, es deprimierte ihn, als er feststellte, dass er nicht mal besonders weit gekommen war. Das Dorf sah nicht mehr wie nach einem Krieg aus, die Menschen bauten die Häuser wieder auf, führten weiter ihr Leben wie immer. Das freute ihn, wenn er ehrlich war. Natürlich zog es ihn zu seinem alten Anwesen, sein Meister ließ ihn wortlos machen, während er an das Tor klopfte. Ein Mann öffnete, er starrte ihn an, als wäre er der Teufel persönlich und gleichzeitig erstarb sein fröhliches Lächeln.

„Liebling, wer ist da?“ Die Stimme ließ ihn aufsehen, neben seinem Bruder tauchte ein bildhübsches Wesen auf, sie sah ihn fragend an, schenkte ihm dann ein warmes Lächeln.

„Mein... Bruder. Ich dachte du wärst tot.“, gab er zurück. Alexej hasste ihn dafür, wie er mit diesem schönen Wesen sprach.

„Oh? Ich bin eure Schwägerin, Herr. Estelle.“ Sie machte einen Knicks, den er mit einer Verbeugung erwiderte.

Er hatte also bereits geheiratet. Und wenn ihn nicht alle Sinne täuschten, so konnte er sehen, wie sich ein Bäuchlein gebildet hatte.

„Wie ich sehe lebst du noch. Du mieser Feigling!“ Der Ältere stieß sie zur Seite, schrie ihn an, voller Hass. „Du bist einfach weggelaufen!!“ Er wich nach hinten aus. Und noch kurz bevor er die Hand heben wollte, ihn niederschlagen wollte, packte ihn der Andere und zog ihn weiter nach hinten. „Lass uns gehen.“, flüsterte der so leise, dass er Probleme hatte ihn zu verstehen. Wie immer gehorchte er, auch wenn er seinen Bruder weiter voller Hass ansah.
 

„Er hat sie nicht verdient!“ Er schlug auf den Tisch, ein leises Kracken ertönte und unter seiner Faust bildete sich ein Riss in dem Holz.

„Aber du?“, gab der Andere nur wenig berührt zurück, entschuldigend sah er zu dem jungen Kellner, der die Beiden unsicher beobachtete.

„Nein, das sage ich doch gar nicht...“

„Aber wer hat sie denn verdient? Und wenn sie ihn liebt, so wie er ist, welches Recht hast du dann, sie auseinander zureißen?“

Alexej starrte ihn an. „Du willst mich gar nicht verstehen, oder?“, brachte er schließlich hervor.

„Ich verstehe dich, doch lasse ich mich nicht von meinem Zorn leiten.“

„Ach, du kennst ihn nicht!“ Wieder hieb er auf den Tisch, doch diesmal hielten ihn die Hände des Meisters auf, sodass nicht die ganze Platte zu Bruch ging. Dann wandte er sich um, schritt aus der Bar und knallte deren Holztür hinter sich zu. Wie konnte der nur so etwas behaupten?? Wütend durchstreifte er das Dorf, es beruhigte ihn ein wenig, dass ihn jeder grüßte. Alle die, die er damals gekannt und die überlebt hatten waren freundlich zu ihm. Sie wollten wissen wo er gewesen war, und sagten dass sie sich Sorgen gemacht hatten. Immer wieder gab er dieselben kurzen Antworten.

Zuletzt stand er vor dieser Villa, die teilweise noch zerstört war. Warum... war er eigentlich weggelaufen? Hatte er wirklich vor den Engländern eine solche Angst gehabt? Er wusste es nicht mehr, wollte nicht mehr daran denken.

„Oh. Sie, mein Herr.“

Er drehte sich langsam um, blickte in das junge, schöne Gesicht seiner Schwägerin. Wie bezaubernd sie doch war, in ihrem einfachen Kleid.

„Es tut mir sehr Leid, was vorgefallen ist... Er ist... in letzter Zeit so seltsam.“ Sie neigte den Kopf zur Seite, entblößte ihre sanft rote Schlagader. Er konnte das Blut hindurchpulsieren sehen, Wärme durchströmte ihn bei diesem Anblick.

„Es ist schon gut. Es ist meine Schuld.“

Sie lächelte ihn darauf aufmunternd an.

„Aber nein.“

„Estelle? Mit wem redest du?“ Sie zuckte zusammen, als sie seine Stimme so laut vernahm. Alexej wurde nur wieder zornig. „Wer sind-“ Er stoppte, denn er erkannte seinen jüngeren Bruder, wie er bei seiner Frau stand, ihn wütend musterte. Voller Hass erwiderte er den Blick. „Was willst du hier?“ Er hob den Arm, zeigte dem Vampir den Degen an seinem Gürtel, aber auch die hässliche, breite Narbe, welche über den Unterarm verlief. Aus irgendeinem Grund wusste er, dass diese Verletzung nicht aus einem Kampf hervorgegangen war.

„Ich rede nur mit meiner Schwägerin.“, gab er möglichst ruhig zurück.

„Dann hör auf und verschwinde!“

„Nein.“

Schweigend standen sich die Männer gegenüber, bis der Ältere plötzlich losstürmte, den Degen aus der Scheide riss und blind auf ihn einhieb. Schmerz durchfuhr seinen Arm, die Schulter, der Bauch. Er schrie auf, stieß den rasenden Mann so kräftig von sich, dass dieser ein Stück nach hinten flog. Das Mädchen kreischte erschrocken auf, wich mehrere Schritte zurück. Alexej stürzte erst gegen die Mauer, rutschte an ihr herunter, bevor er wieder aufstand, das blutigverschmierte Mauerwerk betrachtete. Wieder hörte er den Kampfschrei seines Bruders, wenige Sekunden verharrte er regungslos, dann drehte er sich weg und rannte über den Weg in das Dorf davon. Für den Anderen war es unmöglich ihn jetzt noch einzuholen, er war schneller als er, bei weitem. Und kaum eine Minute verging, da stand er keuchend in dem gemieteten Zimmer. Blut tropfte an seiner rechten Körperhälfte herab, jedenfalls, dieses, welches sich noch nicht wieder in die Haut eingefügt hatte.

„Ach... was hast du nur gemacht?“, flüsterte sein Meister, der in einer Ecke stand und ihn traurig betrachtete, „Jetzt müssen wir fort von hier... Leg dich schlafen. Schon morgen Abend werden wir abreisen. Ich glaube ein Aufenthalt in Paris, bei deiner lieblichen Marie ist besser für dich.“

Zitternd gehorchte Alexej. Er wusste nicht, warum er nicht in Tränen ausbrach, schließlich hatte sein eigener Bruder gerade versucht ihn zu töten...

„Und mach dir keine Sorgen, morgen schon wird alles verheilt sein.“

Er legte sich auf die weichen Polster, hörte, wie der Andere die Vorhänge zuzog, bevor er wieder zu ihm schritt. „So Ruhe wohl, mein junger Krieger.“ Mit einem Lächeln schloss er den Deckel.
 

Jetzt...
 

Als er erwachte spürte er nicht mehr den Hauch von Schmerz oder Unwohlsein. Mit den Fingern strich er über die Narben, die sich an seinem Arm befinden müssten, doch er fand nichts. Nur seine glatte, seidige Haut, unverletzt wie immer. Er schob den Deckel beiseite, blickte sich in dem dunklen Raum um, der nur von wenigen Kerzen erhellt wurde. Das Gepäck war gepackt, wie ihm auffiel, denn die wenigen Koffer standen nebeneinander auf dem Bett. Er erhob sich, suchte in dem Raum nach seinem Meister, sah auch in der Gaststätte unten nach, doch er fand ihn nirgends.

„Ah, geht es euch wieder besser, Herr?“, wollte der junge Kellner wissen, der ihn mit einer Mischung aus Angst und Erleichterung ansah.

„Ja, vielen Dank... Wo ist... der Meister?“

„Er ist nach draußen gegangen, Herr.“

„Ich danke dir.“ Damit verließ er das Wirtshaus, lief zurück zu seinem Anwesen, doch seinen Meister fand er nicht. Nur das junge Ding, dass seinem Bruder gehörte. Sie rannte ihm entgegen, griff nach seinem Rock und wollte ihn fortziehen, doch er blieb unbeweglich stehen.

„Bitte, Herr! Ihr müsst gehen! Er wird euch töten!“ In ihrer Stimme klang Überraschung mit, sie hatte nicht damit gerechnet, ihn so bald wieder zusehen.

„Wo ist... Keren?“, fragte er leise, es war als hätte er ganz plötzlich eine Art Geistesblitz gehabt, „Wo ist mein alter Sklave?“ Er wandte ihr sein Gesicht zu, starrte sie auffordernd an.

„Er...“

Jetzt konnte er auch ihre Angst spüren. Ihre Angst vor ihm. Unsicher ließ sie ihn wieder los, als wolle sie ihn jetzt durch ihre ängstlichen Blicke zum gehen überreden. Doch er blieb steif stehen.

„Warum hat er ihn umgebracht?“, schrie er sie an, sie zuckte zurück.

„Bitte... bitte gehen sie jetzt...“ Sie sprach leise, voller Furcht.

Er drückte sie zur Seite, ging auf die Eisentore zu, mit einer schnellen Bewegung riss er diese auf.

„Edler Graf! Kommt heraus und stellt euch zu einem ehrenhaften Duell!“, rief er in das Anwesen, während er dem Haupthaus immer näher kam.

Es dauerte nicht sonderlich lang, da stürmte auch schon ein bewaffneter Mann nach draußen. Von weitem sah er den Wahnsinn in den Augen, er sah nicht mehr menschlich aus. Noch bevor er bei dem Vampir angelangt war hob er die Waffe, an deren Ende noch dunkles Blut schimmerte. Einen Moment lang wollte er ihn einfach niederschlagen, ihn einfach umbringen und blutend auf dem steinigen Weg zurücklassen. Doch letztendlich breitete er nur die Arme aus, mit einem feinen Lächeln, was seinen Bruder so irritierte, dass er abrupt stehen blieb.

„Du... Monster!“, presste der hervor, bevor er ausholte. Der Vampir blieb einfach stehen, ohne sich zu rühren. Er hätte damals sterben sollen, dann würde er es jetzt nachholen. Doch das einzige, dass er noch von dem Älteren spürte, war dessen Blut, dass ihm ins Gesicht spritzte. Er öffnete die Augen, betrachtete wie der Mann zu Boden sackte und dort liegen blieb. Der Degen steckte ins einem Bauch, seine Hände hielten das Ende umklammert. Die wahnsinnigen Augen quollen aus den Höhlen, Blut sprudelte aus dem aufgerissenen Mund. Estelle schrie, Tränen liefen über ihre hübschen Wangen, sie rannte zu ihrem Mann, kniete sich neben diesen und strich über dessen Rücken. Er verstarb noch bevor der beorderte Arzt ihn erreichte. Übelkeit stieg in Alexej hoch, zwang ihn sich schnell wegzubewegen, von diesem grässlichen Platz. Kaum dass er ein Stück gelaufen war kam ihm eine Kutschte entgegen, noch während der Fahrt öffnete sein Meister die Tür von innen.

„Steigt ihr mit ein, junger Herr?“ Er lächelte wieder, streckte die Hand nach draußen, als der Kutscher anhielt. Er ergriff sie, ließ sich in das Innere ziehen.

„Warum?“, fragte er leise, den Blick auf den Älteren geheftet, der die Wagentür wieder schloss. Kurz darauf ratterte die Kutsche weiter, so begann ihre kurze Reise nach Paris. Eine Antwort hatte er nie erhalten und irgendwann hielt er es nur für die Tat eines Wahnsinnigen. Sein Bruder hatte sich selbst den Degen in den Magen gerammt.
 

Das Treffen Alexejs und seiner Schwester verlief tränenreich. Sie umarmten sich, überhäuften sich gegenseitig mit Liebe, redeten bis spät in die Nacht über die vergangenen Tage. Ihr Mann war ein wohlhabender Herr, dem ein paar Theater in ganz Paris gehörten. Sie luden ihn zu Vorstellungen ein, die er förmlich in sich aufsog. Sein Meister durchforschte jede einzelne Bibliothek nach neuen Büchern.

In den nächsten Tagen erfuhr Alexej, dass seine Schwägerin die neue anerkannte Gräfin des Anwesens war. Sie leitete diese sogar besser als erwartet, auch wenn man nicht viel dazu können musste. Die Schwierigkeit war eher, von den Dorfleuten als alleinige Gräfin angesehen zu werden. Und auch das schaffte sie. In dem Monat, in dem sie in Paris verweilten, erreichten ihn zwei Briefe von ihr, in denen sie alles erklärte. Sie teilte ihm auch das Datum mit, an dem sein Bruder beerdigt werden sollte. Natürlich kam er nicht, denn erstens war sie tagsüber und zweitens konnte er es nicht ertragen, den leblosen Körper von diesem Mann zu sehen.

Für ihn kam der Tag viel zu schnell, als sein Meister verlangte, dass er weiterreisen wollte. Doch eine andere Wahl als zu gehorchen blieb ihm nicht, so reisten sie schon zwei Tage später ab. Es dauerte ein wenig mehr als zwei Wochen, als sie endlich Rumänien erreichten. Dort lernte er den Bruder seines Meisters kennen. Ein gealterter Mann, Ende siebzig, wie er ihm erzählte. Es überraschte ihn schon nicht mehr, dass der alte Herr der jüngere Bruder des Meisters war. Aber er mochte ihn. Sie liebten sich, so wie sich Brüder lieben sollten, und es war eindeutig, dass er von dem Vampirdasein seines Bruders wusste. Er begann den Meister immer mehr zu verehren, immer deutlicher wurde ihm, dass er ein Gott war.

Nach zwei Jahren erhielt er einen weiteren Brief von Estelle, eigentlich war er an Paris adressiert worden, doch sicher hatte seine Schwester ihn weitergeleitet. Denn nur sie wusste, wo er sich gerade befand. In ihm stand das sie verstorben war, einer Krankheit erlegen, die schließlich ihr junges Leben gefordert hatte. Er war geschockt, was auch daran lag, dass sie ihm kurz vor ihrem Tod das gesamte Anwesen vermacht hatte. Nach Fünfundzwanzig Jahren war er also endlich der Graf des Dorfes geworden. Und gerade jetzt konnte er nichts mit seinem Land anfangen. Eines Abends riet ihm sein Meister es nur als Geldanlage zu nutzen. Was er auch tat, auch wenn er anfangs noch nicht wusste, wie genau.

Im Herbst des Jahres 1769 verstarb der Bruder des Meisters. Was diesen in tiefe Depressionen stürzte.

„Meister... wie kann ich euch trösten?“, fragte er immer wieder, doch bekam er keine Antwort, nur das paar traurige, blaue Augen blickten zu ihm auf.

Und schließlich sprach er doch seinen Wunsch aus. Den letzten, wie Alexej schon bald erfahren musste.

„Junge... Mein kleiner Krieger, du musst mir einen Gefallen tun, hörst du?“ Natürlich gehorchte er, setzte sich neben den Sessel des Meisters und hörte dessen Worten zu. „Ich habe herausgefunden, dass er einen Sohn gehabt hatte. Einen gut entwickelten Knaben, der bereits eine kleine Tochter sein eigen nennt. Ich will, dass du auf sie acht gibst, mein Stammbaum soll nie enden, ich brauche sie. Verstehst du? Ich weiß nicht wo sie sind, also finde sie. Beschütze sie, vor allem Bösen dieser Welt, aber mache sie keinesfalls zu einen der unseren. Verstehst du? Merk dir es gut, es ist sehr wichtig.“ Dann stoppte er. Und nie mehr hörte Alexej diese zarte Stimme, die er so vergötterte hatte. Schon einen Tag später hatte ihn sein Meister verlassen, von da an war er allein in dem Schloss, in dem sie doch so glücklich gelebt hatten. Gequält von dieser Einsamkeit und weil er seine Aufgabe erfüllen wollte, verließ er es, streunte zu Fuß durch Rumänien und durchsuchte jedes Dorf nach diesem Mann mit seiner Tochter. Aber als der junge Vampir, der er war, wurde er gefunden. Von Artgenossen, besser gesagt, dem ersten weiblichen Vampir, den er zu Gesicht bekam. Ihr Haar war lang und pechschwarz, die Kleidung ebenfalls dunkel und ein Mantel hing um ihre Schultern. Misstrauisch betrachtete sie ihn.

„Wer bist du? Ein Fremder, wehe dir, solltest du versuchen dem Herrn des Landes dieses streitig zu machen.“ Trotz der lieblichen Frauenstimme schwang Grobheit mit, als wäre sie zu einer Kriegerin erzogen worden.

„Ich will niemandem das Land wegnehmen... Ich suche nur einen Mann mit junger Tochter...“ Er war sichtbar verunsichert, denn außer seinem Meister war er nie auf einen anderen seiner Art getroffen.

„So.“ Sie grinste, neigte den Kopf. „Und trotzdem muss ich dich bitten mir zu Folgen. Denn er entscheidet darüber ob du bleiben darfst oder nicht.“

Er lernte Vlad kennen. Den mit Abstand ältesten Vampir, den er je zu Gesicht bekommen hatte. An seiner Seite die junge Mina, eine Vampirfrau, die sogar noch weniger Jahre zählte, als Rayne, die Schwarzhaarige. Vlad war der reinste Herrscher, charismatisch und schön saß er in seinem Sessel, sah den Jungen an, als hätte er bereits Jahre auf ihn gewartet. Die zweite große Lehrstunde seines neuen Lebens begann, dauerte aber nur eine Woche an.

Eines Abends saßen er und Rayne zusammen in deren Zimmer vor dem Kamin. Sie liebte Kamine, dessen heißes Feuer, dass sie so wärmte. Er schaute sich um, und stockte. Sie erschrak, als er plötzlich aufsprang und zu ihrem Bett rannte, welches sie unter Garantie nie zum Schlafen benutzte. Und dort, auf den Seidenkissen lag sie, die Decke, die er verloren geglaubt hatte. Sie musste es sein, also griff er nach ihr, untersuchte sie genau und fand schließlich die Initialen seiner Familie, samt Wappen. Verwirrt musterte sie ihn, ging auf ihn zu.

„Sie gehört dir?“, wollte sie dann wissen, machte aber keine Anstalten sie ihm wieder wegzunehmen.

„Ja! Woher hast du sie?“ Er zwang sich, um nicht weinen zu müssen. Sein Herz schlug so schnell, sie fühlte sich so seidig an zwischen seinen Fingern.

„Ein Verehrer hat sie gefunden, als er durch Frankreich reiste und schenkte sie mir.“ Sie sagte das ohne jegliches Interessen, lächelte aber dann. „Behalt sie. Sie ist dein. Aber dafür musst du mir einen Gefallen tun, ja?“

„Ja! Welchen?“, brachte er stürmisch hervor.

„Ich will dass du mit mir durch die Welt reist, ich will die großen Städte sehen, Kiew, London, Rom, Alexandrien! Ich möchte jetzt endlich meine Reise beginnen. Aber allein würde ich es nicht schaffen. Herr Vlad und Lady Mina würden nie mit mir kommen. Also komm du mit mir.“

Er sagte zu, wobei er den Stoff eng an sich presste. Die Liebe zu seiner Verstorbenen Mutter ließ ihn sogar seinen Auftrag vergessen. Und so begann er mit seiner neuen Gefährten die große Reise nach Italien, Griechenland, England, bis sie ganz Europa bereist hatten und sich nun Asien widmeten, bevor sie nach Ägypten gingen. Er lernte noch mehr als die Jahre zuvor und immer öfter sprach sie davon, dass er aufblühte. Etwa ein Jahrhundert verbrachten sie damit die Welt und ihre Geschichte zu erforschen, manchmal blieben sie Jahre in einem Land, um mit anzusehen, wie es sich entwickelte. Doch am Ende des 19. Jahrhunderts zog es sie nach London, vorher waren sie in Deutschland gewesen, bis sie von einem Mann in White Chapel hörten, der Huren tötete und sie ausweidete. In den Jahren, in denen sie zusammen waren hatten sie sich einmakaberes Hobby zugelegt. Das suchen und ausspionieren von Mördern. Denn wen interessierte es nicht, was ihn deren Köpfen vorging? Und so gingen sie nach London, auf der Suche nach dem berüchtigten Jack. Rayne lies es sich nicht nehmen, sich als Straßenmädchen zu verkleiden und des Nachts auf den Mörder zu warten. Sie bedauerte es, als sie rausfanden, dass er keinesfalls willkürlich Mädchen tötete. Jedes einzelne schien etwas bestimmtes zu bedeuten, nur wussten sie nicht was. Und noch bevor sie der Spur näher zukommen glaubten endeten die Morde. Die Mädchen waren verbraucht, die Taten gerächt. Und trotzdem blieben die Beiden von da an in der Stadt, das aufblühende London. Er wusste zwar nicht woher sie das Geld dafür hatte, doch als sie sich entschlossen hier zubleiben, kaufte sie ein großes Anwesen, viele junge Dienstmädchen und legte auch sein Geld in einer bekannten Bank an. Wobei er seines gestohlen hatte. Sie verkaufte Teile seines Landes, es verwunderte ihn, wie viel er dafür bekommen hatte. Seit diesem Tag lebten sie das angenehme Leben eines Grafenpärchens, welches aus Frankreich stammte.

Eines Nachts wanderte er durch die dunklen Straßen der Stadt, allein, denn Rayne widmete sich einem reichen Aristokraten. Er dachte zurück, an die alten Tage, an seine Mutter, den Tod seiner Schwester, des Bruders und an seinen Meister. Erst jetzt viel ihm sein Auftrag wieder ein. Es schockierte ihn, worauf er fast zusammengebrochen wäre. Wie konnte er das nur vergessen? Wie konnte er ihn nur vergessen? Sofort machte er sich auf die Suche, auch wenn er glaubte dass es längst zu spät war. Tagelang meldete er sich nicht bei Rayne, bis er einen Mensch traf, der alle Hoffnung wieder auferstehen ließ.

Es war Nacht, 1905 und er starrte quer durch das Restaurant zu einem Tisch, an dem ein junger Edelmann saß, neben sich eine bezaubernde Frau. Doch sein Interesse galt allein dem Mann, blondes, welliges Haar war zu einem vornehmen Zopf nach hinten gebunden, eisblaue Augen glitten ab und an durch die Menge, prüften die anderen Menschen. Und die Stimme. Diese sanfte, reine Stimme.

Fast mechanisch stand er auf, schritt zu dem Tisch und blieb neben dem Mann stehen. Dieser blickte überrascht auf, lächelte aber.

„Darf ich?“, fragte Alexej höflich, wies dabei auf den freien Stuhl an dem Tisch.

„Gerne.“

Er setzte sich, warf sein schwarzes Haar über die Schulter und blickte ihn weiter an.

„Bitte entschuldigen sie meine Dreistigkeit... Aber... mir brennt eine Frage auf der Zunge, ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber dürfte ich diese wohl stellen?“

Der fremde lachte, als hätte er das Sinnloseste überhaupt gehört. Es verwunderte den Vampir nicht, dass er dieses Lachen bereits kannte.

„Aber bitte doch.“

„Stammt ihr Vorfahr vielleicht aus Rumänien?“

Das Lachen verstummte, überrascht sah er ihn an.

„Ja, meine Großmutter stammte aus Rumänien.“

Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Er war sich so sicher, dass er neben dem Nachfahr seines Meisters saß, und doch glaubte er nicht daran. Aber er musste es sein! Sie waren sich so ähnlich, wie Zwillinge, oder wenigstens Brüder.

„Kennen sie etwa jemanden aus meinem Stammbaum, Herr?“

„Es... könnte sein.“

„Wie wäre es...“ Er lächelte wieder, wie sein Meister immer gelächelt hatte. „Wenn ich sie einladen würde? Wir besitzen ein vererbtes Gemälde, das noch die alten Verwandten aus Rumänien zeigt.“

Er willigte sofort ein und auf sein Drängen hin durfte er es noch in der selben Nacht sehen. Die Frau des Mannes war bereits im Schlafgemach, als der Herr ihn durch die Wohnung führte, in die große Bibliothek, an deren Wand das riesige Gemälde hing. Welches seinen Meister und den werten Bruder, sowie dessen Sohn und die Eltern der Beiden zeigte. Zu der Zeit sahen sich die beiden Männer noch zum verwechseln ähnlich.

Er verabschiedete sich gegen drei Uhr Nachts.

„Wir sehen uns sicher nicht mehr wieder. Aber sie glauben gar nicht, was sie für mich getan haben, junger Freund.“ Und mit einer Verbeugung verließ er den verwirrten Mann und auch das Anwesen.
 

„Ah, da bist du ja wieder.“ Rayne saß in ihrem Lehnstuhl, die Beine überschlagen, und neben sich auf dem Tisch eine Flasche guten Weines. Sie lächelte.

„Wie geht es deinem Aristokraten?“ Er verbeugte sich spöttisch.

„Ach, ganz gut.“

„Das freut mich aber.“ Er setzte sich neben sie, überschlug elegant die Beine und grinste. Und nach all dieser Zeit waren sie zu festen Gefährten geworden. „Wir sollten mal wieder zusammen Essen gehen.“ Er griff nach der Flasche, goss Beiden etwas in das Glas, nahm dann seines und trank einen Schluck.

„Ja. Wäre mal wieder was. Ein wenig Geselligkeit.“ Sie erwiderte sein Grinsen, tat ihm auch die Geste gleich.

„Weißt du was? Wir sollten umziehen. In eine hübsche Gruft, so wie es die Vampire in den alten Märchen tun.“ Er sah sie auffordernd an.

„Hm~. Ja, find ich gut. Dann ziehen wir demnächst um.“

Alexej übernahm selbst die Suche nach einem Friedhof, er fand einen kleinen, umzäunt von hohen Gittern, am Rande Londons. Mehrere uralte Gruften zierten die Wege, bis hin zu normalen Grabsteinen. Doch am liebsten hatte er das verrottete Häuschen, am Ende des Friedhofs. Es war ewig nicht benutzt worden, vegetierte nur noch vor sich hin. Mit Leichtigkeit konnte er in es eindringen, Staub stieg ihm entgegen, der erste Raum war vollgestellt mit Särgen. Eine Tür war ihm gegenüber, sie ließ sich schwerer öffnen, stellte für einen Vampir andererseits trotzdem kein Hindernis da. Nach einer Treppe folgte das kleine Zimmer, welches in vollkommener Dunkelheit lag, Spinnweben hingen überall, er sah sie schwach glitzern. Im Dunkeln erkannte er die Aushöhlung in der Wand, die etwas näher in die Erde hineinführte. Ein alter Brennofen wahrscheinlich, für die, die in einer Urne bestattet werden wollten. Die Wände bröckelten, sobald er leicht mit den Fingern darüber glitt. Doch das Mauerwerk war dermaßen dick, dass nicht einmal die Sonne es durchdringen konnte. Platz genug für ihre schweren Eichenholzsärge gab es allemal. Damit war für ihn die Entscheidung gefallen.

Schon in der nächsten Nacht zeigte er Rayne das Haus, auch sie stimmte zu. Wie erwartet passten die Särge nahezu perfekt in die untererliegende Kammer.

„Liebling~.“ Rayne griff nach seiner Hand, fragend sah er sie an. Wusste ja schon, dass wenn sie ihn so nannte, er ihr einen Gefallen tun sollte.

„Ja? Was möchtest du?“

„Wir sollten das hier wohnlicher machen. Also brauchen wir einen Tisch, Stühle natürlich auch und vielleicht ein Sofa oder so etwas. Und...“

„Und?“ Er grinste, konnte sich schon denken was sie wollte.

„Einen Kamin. Dort wo der alte Brennofen war, das würde doch sicher gut passen.“

„Aber für dich baue ich doch gerne einen Kamin, Liebes.“

Nach zwei Monaten schon, wusste niemand mehr wer das ehemalig in London wohnhafte, junge Ehepaar war. Das Grundstück war verkauft worden, sowie alle Dienstmädchen, Köche und alles was ihnen sonst noch gehört hatte. Auch ein Kamin zierte die Stelle an der der alte Ofen gewesen war, zwei schwarzbestrichene Särge standen in der Mitte der Kammer. Die beiden Türen waren mit Eisen beschlagen worden, um jedes Eindringen von Sterblichen zu verhindern, es sei denn sie ließen sie offen (was öfters geschah, denn sie machten sich einen Spaß daraus junge Menschen zu erschrecken die sich des Nachts auf ihren Friedhof und in ihre Bleibe wagten). Wie von Rayne gewünscht befanden sich nun auch ein schwarzer Tisch samt passender teurer Stühle im Zimmer. Sie hatte es sich auch nicht nehmen lassen, alles einmal richtig sauber zu machen. Und zu testen, ob das Mauerwerk tatsächlich kein Licht hindurch ließ. Und so verbrachten sie auch den ersten Tag seit einem Jahrhundert im wachen Zustand. Doch das einzige, was sie feststellten war, dass sie lediglich die nächsten Nächte an furchtbarer Müdigkeit litten, egal wie viel sie schliefen.

Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts verfielen beide einer hübschen Erfindung der Menschen. Farbfernsehen. Und zum ersten Mal seit Jahrzehnten konnten sie den Sonnenaufgang wieder miterleben. Was der Grund dafür war, dass sie als einzige in dem Ding, dass man Kino nannte, in Tränen ausbrachen. Noch nie hatten sie sich so danach gesehnt, wieder Tagsüber unter Menschen zu wandeln, wieder selber Menschen zu sein. Umso niederdrückender war die Wahrheit. Dass sie es schlicht, nie mehr konnten. Die Sterblichen konnten sich nicht vorstellen, wie es war, einen Wunsch zu haben, der definitiv nie erfüllt werden konnte. Für ein paar Jahren waren die Beiden grausame Mörder, rächten sich für das, dass ihnen eigentlich ihre Erschaffer angetan hatten, doch sowenig Alexej seinen Meister hassen wollte und konnte, so tat es auch Rayne nicht.

Schon nach zwei Jahren verloren sie wieder die Lust an ihrem Rachefeldzug gegen die Menschen.

„Ich bin müde...“ Raynes leise Stimme hallte durch das Gemäuer, sie lag ausgestreckt auf dem Eichentisch, ein Corsage schnürte ihre Taille zusammen, der wallende Rock bedeckte die gesamte untere Tischplatte, ihre Arme hingen schlaff an den Seiten herunter. „Herr Vlad hat mir einmal erzählt, dass wenn Vampire nicht mehr weiterkönnen legen sie sich schlafen, um Jahrhunderte später wieder neu zu erwachen.“ Sie schwieg, als wolle sie seine Meinung dazu hören. Sie spürte dass er zustimmend nickte, Ja, sein Meister hatte ihm das auch einmal erzählt.

„Du weißt, das ich nicht schlafen darf... ich muss auf sie Aufpassen.“ Er saß vor dem Kamin, in dem ein heißes Feuer loderte. Auf seinen Knien ruhte die Decke seiner Mutter, mit den Fingerspitzen strich er immer wieder über dessen zarten Stoff.

„Hättest du etwas dagegen, wenn ich es tue?“ Sie flüsterte die Worte nur noch, wagte nicht den Anderen anzusehen, aus Angst sie könnte seinen Zorn sehen. Schließlich würde sie ihn dann allein mit dieser Bürde zurücklassen. „Es tut mir Leid...“

„Schlafe, wenn du möchtest. Es steht mir nicht zu darüber zu bestimmen.“ Natürlich war er enttäuscht, doch er war auch ein Gentleman, der immer höflich zu den Frauen war. „Und während du ruhst... werde ich nach Frankreich gehen. Ich möchte jetzt meinen Stammbaum wieder finden. Ich möchte... eine kleine Marie sehen.“

„Aber... die Menschen auf die du aufpasst... In der Zeit, die für uns so kurz ist, kann für Menschen viel passieren.“

„Ach, jetzt red es mir doch nicht aus... Was soll ich denn sonst tun? Zusehen wie du ruhst und dich entspannst, während ich wach bleiben muss? Dann lass mich wenigstens ein halbes Jahr gehen, wenn du schon Jahrzehnte schlafen willst. Denn wir beide wissen, dass wir dann nicht mehr allzu schnell erwachen.“ Absichtlich sagte er das in einem betont melancholischen Ton. Jetzt quälte sie ihn auch noch...

„Verzeih mir, meine schlimmen Worte...“ Sie setzte sich auf, rutschte vom Tisch und ging auf den Sitzenden zu, schlang dann die schmalen Arme um dessen Hals. „Ich wollte nicht so gemein zu dir sein.“ Sie drückte ihm einen kalten Kuss auf die Wange.

„Es ist in Ordnung. Sag mir ob du schlafen wirst oder nicht. Früh genug, ich will nicht plötzlich allein aufwachen.“ Seine Hand hob sich von der Decke, fuhr über die nackte Haut Raynes.

„Wecke mich... in Zehn Jahren. Versprichst du mir das?“

„Ma Chérie... Natürlich. Wie könnte ich dir diesen Gefallen verwehren?“

In der nächsten Nacht erwachte er bereits allein. Sofort reiste er nach Frankreich, suchte nach seinen Nachfahren, Menschen, die seiner Familie glichen. Er fand niemanden, wie er, wenn er ehrlich war, bereits erwartet hatte. Er fand lediglich heraus, dass die letzten seiner Nachfahren vor Hundertfünfzig Jahren verstorben war. Das einzige, dass noch übrig geblieben war, war das Geld auf ihrem gemeinsamen Bankkonto. Längst konnte er es schon nicht mehr zählen, er wusste lediglich, dass er reich war, überall hin fliegen konnte, tun konnte, was er wollte. Allerdings half ihm das nicht über seine Trauer der Einsamkeit hinweg. Die Zeit allein in London machte ihn schier fertig, um nicht vollends durchzudrehen spionierte er denen, die mit dem Meister verwandt waren, nach.
 

„Liebes. Erwache endlich wieder aus deinem Schlaf... ich habe ein Geschenk für dich.“, hauchte er 1966 gegen das schwere Holz des Sarges. Ein wenig Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit, denn er wusste nicht, ob Vampire tatsächlich wieder erwachten, oder wie Leichen verrotteten. Doch er hatte es nicht gewagt nachzusehen. Doch zu seiner Beruhigung ertönte gleich darauf ein leises Kratzen an den Wänden. Der Deckel wurde träge zur Seite geschoben, sie erhob sich gemächlich, blickte den Anderen fragend an. Als sie sein Lächeln entdeckte, erwiderte sie es sofort.

„Womit habe ich eines verdient?“, fragte sie, musterte ihn leicht überrascht, da seine langen Haare gestylt waren, lilane Strähnen waren hineingeflochten worden, sein Augen waren von schwarzem Kajal umrandet.

„Hm, sagen wir, für dein Erwachen. Und jetz komm, es eilt. Ich habe dir extra neue Sachen machen lassen.“

Sie nickte brav, stand auf und kleidete sich schnell wie sie es immer tat an.

Er führte sie zum Kino, wo in leuchtenden Lettern „The Fearless Vampire Killers“ über den Türen prangte.

„Oh.“, machte sie, ließ sich dann in das Kino ziehen, Alexej kaufte die Karten, schob sie weiter bin in den Vorstellungsraum. Sie amüsierten sich über diese Version von Vampiren, besonders Herbert tat es ihnen an. Was bei Alexej irgendwie selbstverständlich war.

Sie machten noch einen Spaziergang, als sie nach Hause schlenderten.

„Weißt du... ich machte mir ein wenig Gedanken über meine Zukunft. Und endlich weiß ich, was mich vor dem Wahnsinn bewahrt.“, begann er schließlich und stoppte gleich wieder.

„Ach, was denn?“

„Das erforschen der Menschen. Sie haben sich so verändert! Ich möchte wissen, wie sie nun leben, sie studieren. Und außerdem, sind diese Filme einfach unterhaltsam. Es wäre doch eine Schande, sie zu verpassen, nicht?“

Sie lachte nur als Antwort.

„Das ist ja wunderbar! Wir sollten das zusammen machen. Nie mehr möchte ich dich verlassen. Ja? Sei nicht mehr böse auf mich.“

„Das bin ich doch längst nicht mehr, meine Liebste.“ Er legte einen Arm um sie, wie Verliebte schlenderten sie über die Straßen, an Restaurants vorbei und zogen die Blicke Neugieriger auf sich.

Wie sie vereinbart hatten verfolgten sie heimlich Sterbliche, manchmal zeigten sie sich auch, nur um zu sehen wie sie reagierten. Immer öfter verbrachten sie ihre Nächte in Kinos oder Opern, Restaurants und Pubs. Sie jagten zusammen, suchten gemeinsam ihre Opfer. Und auch wenn sie in einer alten Gruft schliefen, lebten sie ansonsten wie ein Grafenpärchen. Rayne schlief nicht mehr über mehrere Jahre, Alexej tat es nicht einmal.

Sie schufen Vampire, wenn sie wollten, etwas, dass sie damals nie gewagt hätte. Doch jetzt siegte die Neugier was sie tatsächlich alles bewirken konnten. Doch schon nach wenigen Monaten verjagten sie ihre Schützlinge wieder, um London erneut für sich zu haben.

Er verheimlichte ihr, dass seine einstige Liebe zu seinem Meister wieder entfacht war, erwähnte nicht ein Wort von dessen hübschen Verwandten, den er entdeckt hatte. Der schöne Mae, wie sie ihn nannten, der Junge, der das Aussehen einer Frau besaß. Mit braunem Haar und dunkeln Augen, sah er seinem Meister zwar nicht ähnlich, aber die Gesichtszüge waren nahezu dieselben. Er verliebte sich in ihn, in diese Person, die wie er war, so unwissend er auch scheinen mochte. Er hatte keine Ahnung vom Leben, und von wem er abstammte. Doch genau der verstarb, ohne das Rayne die Depression Alexejs danach mitbekam. Er musste sich zwingen ihn nicht zu retten, indem er ihn in ihre Welt einführte. Einzig eine junge Tochter blieb von der alten Familie, langsam glaubte er sogar an einen Fluch, da es eigentlich immer nur zwei lebende Mitglieder des Stammbaumes gab, diese bekamen ein Kind, zogen es ein Weilchen auf und verstarben.

So überlebten sie gemeinsam die Jahre, als Gefährten.
 

Im Jahr 2001 rettete er die letzte Überlebende des Stammbaums, ein kleines, gerade einjähriges Mädchen. Im Gegensatz zu ihrem männlichen Verwandten besaß sie dunkles Haar und Augen. Und doch sah sie ihm überraschend ähnlich, sie sah aus wie Mae. Ihre Eltern verstarben, ein Unfall bei dem nur sie gerettet werden konnte, auch wenn er den beiden Erwachsenen helfen wollte, doch es war zu spät. Und damals hatte sein Meister ihm doch eingeredet, dass er sie nicht zu Vampiren machen durfte. Und so schritt er durch die Nacht, in den Armen, das Letzte, das von seinem Meister übrig geblieben war. Er brachte sie zu einem Heim, legte das Kind, eingewickelt in warme Decken vor die Tür und klingelte, so wie man es von so vielen Filmen beigebracht bekommt. Seitdem besuchte er sie, machte ihr ab und zu absichtlich Angst, damit sie ihn niemals bat, dass er sie zu dem machte, was er war.

So vergingen acht Jahre... und schließlich traf der Vampir auf einen siebzehnjährigen Jungen. Und er verliebte sich wieder in einen Menschen.

Jay.
 

Und immerdar...



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (7)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2008-11-21T14:45:16+00:00 21.11.2008 15:45
sop *alles gelesen hab*
hat mir echt gut gefallen und es hat mich dazu verleitet mich für vampiere zu interessieren (auf wikipeda rumles)lol... das die geschichte über jahunderte hinaus ging hat mir sehr gefallen, auch die charaktere waren klasse... hnn wenn es eine fortsetzung geben sollte werd ichs gerne lesen^^
LG da monsta
Von: abgemeldet
2008-04-04T20:54:36+00:00 04.04.2008 22:54
Klasse ff !Ich habe es gerne gelesen ,verstehe aber immoment noch nicht so ganz den Schluss,aber das wird folgen.
IHc lass einfach das ganze auf mich wirken.
Da ich happy-ends liebe müssen Jay und Alex glücklich bleiben.

lg
h2o
Von: abgemeldet
2008-02-06T09:41:34+00:00 06.02.2008 10:41
Ich finde das Chapter wie immer ga~nz toll und wunderschön geschrieben. ^.~ Ich find´s ehrlich gesagt auch klustig, dass sich Jonne und Alex jetzt so gut verstehen, richtig amüsant in Szene gesetzt. *kicher*

Ich hoffe nur, dass er sie alle nicht wirklich verlassen wird, das wäre furchtbar blöd. .___. Bin schon gespannt auf´s letzte Chap!

Grüße und so~~
Von: abgemeldet
2008-02-01T21:59:19+00:00 01.02.2008 22:59
Dieses Kapi hat alles was man braucht.
Spannung
Romantik
Liebe
Dies findet man selten vereint.Ich versteh nur nciht was Alex vohat.
Ich bin auf jeden Fall gespannt wie es weiter geht.
lg
h2o
Von: abgemeldet
2007-12-07T15:39:00+00:00 07.12.2007 16:39
Woah, echt toll- so wie imma.
Unsere Beiden sind so´n süßes Paar. <3
*anherz*

Und Vlad ist total nett. 0.o
*überrascht ist*
Ich dachte er macht´nen Aufstand wegen Jay.
Weil er ja´n Mensch is´und sou~.

Gefällt mir aber echt gut.
Bin schon gespannt wie´s weiter geht. <3

Von:  Loloko
2007-11-26T13:06:03+00:00 26.11.2007 14:06
*freuz* neues kapi!!!!!
ich find die geschichte wirklich toll
und die paar satzfehler sind auch nich schlimm xD

obwohl das kapi so lang war hab ich imma noch nicht genug
meeeeeeeeeeeeehr!!!!!!! ..... bitte >.< *vielfrass binz*

wäre schön wenn du weiter schreibst auch wenn du nich soviele komis bekommst *sich umschaut*
wird bestimmt noch
und teu teu teu fürs weiter schreiben

glg Serenes

Von:  Loloko
2007-11-09T19:44:01+00:00 09.11.2007 20:44
woooooooow
is mal ein langes und sehr schönes kapi
hoffe zum einstieg und das die geschichte weiterhin so toll läuft^^

lg Serenes


Zurück