Almost lost von shot_coloured ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Aber es würde noch einige Stunden dauern, ehe es regnete. Markus setzte sich mit verschränkten Armen auf den Sims eines Fensters und blickte überallhin, vermied es aber Sebastian anzusehen. „… Ich hab es niemals lange an einem Ort ausgehalten… ich brauchte die Veränderungen, ich…“ Markus schüttelte leicht den Kopf. „Für mich gab es nie Sicherheit. Ich wollte sie auch gar nicht…“, er flüsterte nun fast. „… sie ist sowieso nur eine Illusion. Es gibt nichts, an dem wir wirklich festhalten können. Gar nichts. Alles was du besitzt, jeden, den du liebst, kann dir in Sekunden wieder genommen werden…“ Er löste sich aus seiner Starre und schaute in Sebastians verschleierte Augen. „Ich war ja schon damals nicht wie die anderen, aber jetzt bin ich völlig verkorkst.“, Markus lächelte schief. „Das ist Unsinn.“, erklärte sein Gegenüber leise, musste sich aber eingestehen, dass er selbst nicht so recht daran glaubte. Ihm was schwindlig und nichts von dem, was sein alter Freund sagte ergab für ihn im Augenblick wirklich einen Sinn. „Sag mal… du wohnst doch nicht hier in der Gegend, oder?“, fragte Markus schließlich, um von sich abzulenken. „Nein, ich… wollte mit dem Bus nach Hause fahren…“, antwortete Sebastian schnell. Er biss sich nervös auf die Zunge, denn eigentlich wollte er mit seinem Auto fahren. Es war spät und kaum noch jemand auf der Straße, es wäre schon irgendwie gegangen. „Um die Uhrzeit fahren keine Busse mehr.“, erinnerte ihn sein Freund skeptisch und musterte ihn kühl und abschätzend. Er erhielt jedoch keine Antwort. Dass er ein Taxi in dieser Gegend nur bekommen würde, wenn er Beziehungen hatte, darauf brauchte er ihn gar nicht erst aufmerksam zu machen. „Lass mich aufstehen.“, befahl er schließlich sanft. Sein Freund ging einen Schritt zur Seite, sodass Markus vom Sims absteigen konnte, ohne ihm zu nahe zu kommen. „Du kannst deinen Rausch auf meiner Couch ausschlafen, wenn du willst, und morgen Heim fahren.“, schlug er freundschaftlich vor. „Aber Autofahren wirst du heute bestimmt nicht mehr… Sieh dich an, du kannst ja kaum noch grade stehen!“ Sebastian atmete tief durch und kämpfte gegen sein Schwindelgefühl an. Aber schließlich nickte er nur einsehend. Markus ging noch einmal in die Bar und wollte Alesandro Bescheid geben, doch dieser war bereits nach Hause gefahren. Sicher hatte er sich ein Taxi genommen (denn er hatte besagte Beziehungen…) doch eigentlich interessierte es ihn nicht. Die hübsche Bardame gab ihm einen Zettel von ihm mit, auf dem unter anderem stand: tu nichts Unvernünftiges. Und um noch einen drauf zu setzten: ich liebe dich. Er zerknüllte den Zettel und warf ihn kopfschüttelnd in den Papierkorb. Dann ging er mit Sebastian einige Blocks weit zu sich nach Hause. Als sie bei ihm waren, plauderten sie eine Weile über alte Zeiten. Markus war es unangenehm, als Sebastian ihm gestand, wie wahnsinnig verliebt er damals in ihn war. Dieser harmlose Satz, so einfach dahingesprochen löste in Maruks eine leichte Übelkeit aus und zog einen Schwall Erinnerungen mit sich. Es war so lange her… und er konnte selbst kaum glauben, dass er nun, nach 12 Jahren, mit ihm in seinem Wohnzimmer saß und eine Tonic trank. Damals, ja es ist unglaublich lange her, aber manche Dinge vergisst man niemals. Oft sind es Dinge, die nicht nur Erinnerungen, sondern auch Gefühle hinterlassen haben und solange man sich nicht von ihnen trennen, oder sie überwinden konnte, wird man sich an jedes Detail erinnern können. *** Vergangenheit (vor 12 Jahren) *** Sebastian saß auf dem Boden, so viel bekam er noch mit. Aber so recht zuordnen, wo er war, konnte er nicht. Nur, dass er definitiv zu viel getrunken hatte, daran erinnerte er sich. Aber warum eigentlich? Er war noch nie betrunken gewesen, auch wenn er gelegentlich heimlich etwas von Mutters Wein getrunken hatte. Aber an den Schnaps in der Minibar hatte er sich nie getraut. Er war deprimiert gewesen, konnte sich aber nun nicht mehr ins Gedächtnis rufen, warum. Was spielte es auch für eine Rolle? Alles drehte sich und schwankte. Der Raum war groß, aber dunkel und die Möbelstücke um ihn wirkten bedrohlich. Er lachte kindlich, fast irr, auf. Immer wieder biss er sich auf die Unterlippe und freute sich darüber wie taub sie sich anfühlte. Er merkte gar nicht, dass sie bereits blutete. „Du meine Güte, Sebastian...“, flüsterte Markus, der ihn gerade noch auffing. Seine Berührungen waren heiß, zumindest kam es Sebastian so vor. Wie Feuer, nur dass es nicht schmerzte. Markus versuchte ihn auf den Beinen zu halten, hatte aber Mühe, da sein Gegenüber ihm nicht so recht dabei helfen wollte. Schließlich zerrte er ihn ins Bad und setzte ihn auf dem Klodeckel ab, da es ziemlich eng war und keine anderen Sitzmöglichkeiten bot. Erst jetzt bei Licht fiel ihm dessen blutige Unterlippe auf. In einem unbedachten Reflex fuhr er mit seinem Daumen darüber. Sebastian sah ihn mit verschleiertem Blick an. Für einen Moment bohrten sich ihre Blicke ineinander fest. Als plötzlich der betrunkene kleine Streber Anstalten machte sich zu übergeben. Markus drehte ihn zum Waschbecken und hielt zur Sicherheit seinen Kopf, weil er nicht wusste, ob dieser nicht an seinem Erbrochenen ersticken würde. „Bist es wohl nicht gewohnt, zu trinken, was?“, murmelte Markus und versuchte seinen Blick nicht unbedingt auf das grünlich gefärbte, undefinierbare Etwas zu legen, das sein Freund da gerade auskotzte. „Ach was... andauernd.“, erwiderte Sebastian herablassend und unter Würgen. Er hustete hart und fühlte sich inzwischen ganz und gar nicht mehr so umwerfend. Markus streichelte beruhigen über seinen Rücken. „Keine Sorge, das geht vorbei. Morgen geht´s dir wieder besser.“ Der Blondschopf hörte kaum auf seine Worte. Obwohl er sich so elend fühlte, hätte er am liebsten die Zeit angehalten. Er genoss die Nähe und Berührungen des Rebellen, sehr viel intensiver, als es ihm lieb war. Die Schmetterlinge in seinem Bauch halfen gegen seine Übelkeit nicht unbedingt. Er versuchte sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, als Markus seine Hand wieder sinken ließ und den Wasserhahn aufdrehte. Er ließ selten eine solche Nähe zu, oftmals war er nur abweisend, manchmal sogar richtig verletzend. Ja, das war auch der Grund, warum er sich betrunken hatte. Er wusste, dass Markus gar nicht bewusst war, wie sehr ihn seine harten Worte oder seine Ablehnung treffen konnten. Aber das machte es für ihn nicht leichter. Was genau vorgefallen war, daran erinnerte er sich nicht mehr, zumindest nicht in diesem Moment. ... Als Sebastian am nächsten Morgen erwachte hatte er Mühe sich zurechtzufinden. Erst nach einigen Sekunden wurde ihm klar, dass er in einem fremden Bett lag. In Markus´ Bett. Sein Puls beschleunigte sich Augenblicklich, als ihm das klar wurde. Trotzdem war ihm immer noch schlecht. Er entdeckte einen Eimer neben dem Bett, in den er sich offensichtlich noch einige Male erbrochen hatte. Angewidert drehte er sich weg. Er wunderte sich, wo sein Freund steckte und warum er ihn in sein Bett gelassen hatte, auch wenn er hier vermutlich allein gelegen hatte... Als Markus das Zimmer betrat, brachte er tatsächlich so etwas wie ein Lächeln zustande. Dabei war der brünette Knabe am Morgen normalerweise unausstehlich. Zudem roch es in dem Zimmer fürchterlich nach Erbrochenem. Markus rümpfte die Nase und ging zu einem Fenster, das nur etwa einen Meter vom Bett entfernt war, und öffnete es. „Wie geht´s dir?“, fragte er wie nebenbei. „Wie soll´s mir schon gehen?“, hauchte Sebastian müde. „Tut mir leid, dass ich dir zur Last falle.“, fügte er kleinlaut hinzu. Ehe Markus darauf etwas erwidern konnte, stellte er jedoch die nächste Frage: „Sag mal, warum liege ich in deinem Bett?“ „Na hör mal, meine Eltern sind heute Morgen, gegen Sechs, nach Hause gekommen, glaubst du ich wollte, dass sie einen fremden, alkoholisierten Jungen auf ihrer Couch finden?“ Er sah ihn scharf vom Fenster aus an. „Und außerdem: du fällst mir nicht zur Last. Ich bin ja selber Schuld, dass es dir so schlecht geht.“ Sebastian glaubte sich verhört zu haben, sein Mund wurde plötzlich trocken und er schluckte hart. „Wieso... wieso das?“, bekam er gerade noch raus. „Na ja, ich hab nicht auf dich aufgepasst, dabei hätte ich wissen müssen, wenn du schon mal die Gelegenheit hast was Verbotenes zu tun, wirst du es garantiert übertreiben...“, er lächelte. Seine Ausführungen waren so unbedacht, er hatte absolut keine Ahnung von Sebastians Gefühlen, und würde vermutlich niemals auf die Idee kommen, dass ein Kerl überhaupt so etwas denken könnte. Sebastian ließ sich resigniert auf sein Kissen sinken. Die Bettwäsche roch nach ihm, stellte er erfreut fest. Erst nach einer Sekunde fiel ihm plötzlich ein, dass Markus woanders geschlafen haben musste. „Wo hast du eigentlich die Nacht verbracht?“, fragte er schließlich leise. Auf einmal kam ihm sein Freund sehr müde vor, er hatte tiefe Augenringe und Rot unterlaufene Augen. Dieser wischte sich mit den Handballen darüber. „Ich hab eigentlich gar nicht geschlafen.“, erwiderte er erschöpft. „Aber wenn irgendjemand fragt: ich hab mit Sandy rum gemacht, ja?“, er grinste und kam direkt auf das Bett zu. Sebastian erschrak so heftig darüber, dass er für einen Moment wie erstarrt war. Aber sein Freund schnappte sich nur den Eimer, um ihn auszuleeren. „Hast mich ganz schön auf Trapp gehalten, Kleiner.“, er lächelte sachte. Der Blondschopf war nicht einmal in der Lage sich über das „Kleiner“ zu ärgern. Geschweige denn, es zu kommentieren. Als er dann doch mal gegangen war, fühlte sich Markus gleich doppelt so erschöpft, wie zuvor. Er brauchte dringend Schlaf. Obwohl er sehr leise war, als er Sebastian mehr oder weniger rausgeschmissen hatte, stand seine Mutter im Türrahmen zwischen Wohnzimmer und Flur gelehnt. Eine unangenehme Hitze durchlief ihn plötzlich. „Du meine Güte, Mutter! Hast du mich erschreckt!“, fluchte er gedämpft. Sie lächelte unter ihrem vom Kissen gezeichneten Gesicht hervor. Sie hatte sicherlich nur zwei, drei Stunden geschlafen. Ihr Haar war noch nie so durcheinander gewesen. „Ich wollte nur sichergehen, dass du dich an unsere Abmachung gehalten hast...“, erwiderte sie, bei weitem nicht so erzürnt, wie Markus befürchtet hatte. „Ich...ähm...“, stotterte er. Verdammt, was sollte er schon sagen? „Schon gut, dein Vater hat wie immer nichts gemerkt. Aber eine Mutter kennt die Schuhe ihres Sohnes! Und diese gehörten ganz eindeutig nicht dir. Ich bin aber trotzdem froh, dass es kein Mädchen war... du bist 14, du solltest noch keinen...“ „Stopp! Jetzt halt mal die Luft an, ich weiß, was du sagen willst! Ich hab Sebastian hier nur schlafen lassen, weil ich ihn in seinem Zustand nicht nach Hause schicken wollte. Mutter, es tut mir leid, dass das so ausgeartet ist, ich wollte nur ein paar Freunde einladen und ein bisschen feiern... ich hab alles so gut wieder aufgeräumt, dass hättest du doch gar nicht merken dürfen!“ „Junger Mann, ich verbitte mir, das du in einem solchen Ton mit mir sprichst!“, ihre Stimme hob sich nur leicht, weil sie – um alles in der Welt – ihren Mann nicht wecken wollte. „Markus... warum machst du es mir so schwer? Du hörst einfach nicht auf das, was ich – oder sonst wer – dir sagt! Was soll ich denn bloß mit dir machen?“ „Jetzt fang bitte nicht wieder damit an!“, er rollte genervt die Augen und wandte sich zur Küche. Seine Mutter kam ihm natürlich nach. „Was?“, zischte er und drehte sich zu ihr, nachdem sie eine Hand auf seine Schulter gelegt hatte. „Jetzt sei nicht so gereizt, ich möchte nur, dass du mir einige Fragen beantwortest: woher hattest du den Alkohol her, der hier ja offenbar reichlich geflossen ist...“ „Von ein paar Freunden.“, erwiderte er gezwungen geduldig. „Toll. Was hast du denn für Freunde, die einem 14 Jährigen Schnaps besorgen? Waren die etwa auch hier?“ Markus musste ein Grinsen unterdrücken. Natürlich nicht. Glaubt sie wirklich das über 18 Jährige auf eine solche „Kinderparty“ gehen würden? Die hätten ihm bestenfalls für eine solche Einladung verprügelt! Aber jeder ist käuflich, dachte er vergnügt. „Nein. Es waren nur Eugen, Jens und eben Sebastian hier.“, log er gekonnt. Bedacht vermied er es Spitznamen zu verwenden, er brachte ein solches Verhör immer sehr geschickt zu einem schnellen Ende. „Keine Mädchen?“, hakte seine Mutter nach. „Nein, Mutter, die Mädchen, die uns gefallen, finden uns eh alle blöd.“, es war herrlich, dass sie diese Geschichte immer noch glaubte. Natürlich hatten sie auch einige weibliche Wesen eingeladen! (Was wäre denn das für eine Looser-Party geworden!) Es war erstaunlich, dass einige wirklich hübsche Mädels auf seinen Charme ansprachen (er hatte also noch nicht alles verlernt!). An diesem Abend gefiel ihm aber nur eine wirklich gut, und das war Sandy. Sie schien zwar nicht die Schlauste zu sein, aber sie sah geil aus! Sie war 15, hatte Strohblond gefärbte Haare und trug einen Minirock, den er fast für einen breiten Gürtel hätte halten können. Leider hatte sie aber ein Auge auf Sebastian geworfen. Noch ziemlich am Anfang des Abends hatte sie ihn angesprochen, nur um ihm zu sagen, dass sie seinen blonden Kumpel „süß findet“ und ob er eine Freundin hätte, weil er nicht so gierig auf die Mädchen losging, wie die anderen Jungs. Markus war ziemlich genervt darüber und sagte ihr nur, sie sollte die Finger von ihm lassen. Er war wohl etwas unfreundlich, denn sie sprach am Abend kein Wort mehr mit ihm. Er wiederum ließ Sebastian links liegen, dabei konnte der ja nun wirklich nichts dafür. „Dieser Sebastian. Scheint, als würdest du ihn wirklich mögen.“, warf sie plötzlich ein. Markus sah ihr verärgert entgegen. „Wie kommst du denn jetzt bitte darauf?“ „Du hast noch nie einen Freund bei dir schlafen lassen, nicht mal Jens oder Eugen - die übrigens die einzigen sind, die ich wenigstens schon mal zu Gesicht bekommen habe...“ „Du weißt warum.“, unterbrach er sie. Sie sah schuldbewusst zu Boden. „Ich gehe wieder schlafen. Lüfte gut durch, damit dein Vater nichts riecht, ja? Wir unterhalten uns morgen noch mal. Gute Nacht.“ Sie drehte sich weg und ging Richtig Schlafzimmer. „Ja.“, sagte er plötzlich. Sie wandte sich mit fragendem Blick noch einmal ihrem Sohn zu. „Ja, ich mag ihn irgendwie, er ist in Ordnung.“, ergänzte er seinen Ausspruch. Sie nickte und lächelte. „Vielleicht stellst du ihn ja mal vor.“ „Hey, er ist nicht meine Freundin!“, erwiderte er darauf. „Als ob du deine Freundin vorstellen würdest!“, konterte sie. „Was meinst du damit?“ „Gar nichts.“, entgegnete sie gespielt. „Aber du verhältst dich anders, als sonst. ich könnte schwören, du bist verliebt. Ich wüsste gerne, wie sie so ist, die dir den Kopf verdreht hat...“ „Ja... das wüsste ich auch gerne, weil da niemand ist!“, formulierte er scharf. „Wenn du es sagst. Schlaf schön, Schatz.“ Er antwortete nicht mehr, verdrehte wieder nur die Augen und ging in sein Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)