Wednesday´s Children von Tsutsumi ================================================================================ Prolog: Wednesday´s Child is full of Woe ---------------------------------------- Autor: Tsutsumi Disclaimer: NGE gehört nicht mir, sondern dem werten Herrn Anno und Gainax. Warnung:/ Pairing:/ Prolog: Wednesday´s Child is full of Woe “Wie seid ihr eigentlich Freunde geworden?” Es war eine Frage, die Shinji aus reiner Neugier stellte, und doch wirkte sie protzig, aufgeblasen und viel zu bedeutend. Sie hätte am Anfang eines rührseligen Romans, einem Abenteurerfilmes stehen können. Oder vielleicht am Ende. Je nachdem. Touji stand am Geländer des Schuldaches und fummelte an einem schwarzen Feuerzeug herum. In seiner Hand hielt er die Zigarette, die ihm zuvor von Kisanagi in die Hand gedrückt worden war. Einfach so, weil es so langsam an der Zeit war. Touji fand, dass er James Dean irgendwie ähnlich sah- bis auf die Haarfarbe. Touji fand, dass er cool werden musste. „Das frage ich mich heute auch.“, sagte Kensuke mit einem strengen Seitenblick auf Suzuhara und strich sich ratlos durch das Haar. Der Wind warf es durcheinander wie die Locken eines Teddyfells. „Lass doch den Blödsinn, Touji! Du hast keinen Schimmer davon, was du dir damit antust!“ Shinji war etwas versunken in der Trägheit der Mittagspause eines üblichen, überhitzten Schultages. „Ach komm schon, als ob unsere Lungen nicht schon sowieso schwermetallverseucht sind und so!“, hörte er Touji zetern. „Und deswegen musst du dem ganzen noch eins draufgeben, ja?“ Zigaretten erinnerten Shinji an Kaji und Ritsuko. Der ewige kalte Rauch schien die beiden dauernd zu umgeben, wie eine schlierenhafte Wand. Sehr seltsam, dass Touji sich ebenso verhüllen wollte. Vielleicht waren Schlieren ja wirklich cool. „In dieser Welt sind Hopfen und Malz eh verloren!“ Touji hatte sich die Zigaretten in den Mundwinkel geschoben und klackerte betont lässig am Feuerzeug herum. Der Wind blies die kleine Flamme sofort wieder aus. „Sagt mein Alter jedenfalls immer wieder. Und bei mir sowieso schon!“ Jetzt sah er auf. Shinjis und seine Blicke trafen sich unbewusst, streiften einander ohne lange beieinander zu verharren. Und dann erschien ein zynisches Lächeln auf dem Gesicht des Jungen. „Bin ja ein Mittwochskind.“ Kensuke ließ sich langsam in den Schneidersitz sinken und biss an einem Sandwich herum, welches wie Gummi aussah. Der blaue, mit Wolken betupfte Himmel spiegelte sich in seinen Brillengläsern. „Ich auch, na und?“ „Was heißt das denn?“, fragte Shinji dazwischen, hellhörig geworden. „Ihr kennt das doch mit den Mittwochskindern.“, nuschelte Touji und endlich hielt die Flamme der überwarmen Brise stand. Shinji sah zu wie das Feuer die Zigarettenspitze benetzte, anleckte und schließlich die Glut entzündete. Der kühle, schwere Geruch von Tabakrauch wehte zu ihm herüber. „Sagt mein Alter zumindest immer.“ „Ich wurde auch an einem Mittwoch geboren.“, entgegnete Shinji zaghaft. Leider war er zu selten zugegen, wenn Herr Suzuhara, den er immerhin noch nie gesehen hatte, überhaupt irgendetwas sagte. Er musste seine Hand an die Stirn legen und so die harten Sonnenstrahlen abschirmen, nur um mitzubekommen, wie Touji sich am ersten Zigarettenzug seines Lebens verschluckte und wie ein Asthmatiker zu keuchen begann. „Ist ja krass.“, kaute Kensuke an seinem Brot herum. Mayonnaise klebte an seiner Wange und ließ sie fettig glänzen. „Ob das Zufall ist? Oder doch Kalkül?“ „Blödsinn!“, keuchte Suzuhara und schnippte den glimmenden Stengel über das Geländer des Daches. „Nicht alles ist immer irgendeine beschissene Verschwörung. Auch wenn du es gerne so hättest.“ Shinji zog sich langsam und träge an den weiß getünchten Gitterstäben hoch. Die Sonne schien ein Loch in seinen Kopf zu brennen. Da schwebte etwas Unausgesprochenes in der Luft, süßlich und bitter zugleich. Er dachte daran, dass Toujis Finger noch lange Zeit übel riechen würden. Er dachte daran, dass Kensuke stumm in sein Brot hineinlächelte. Das war ein bisschen wie ein Ende aller Gedankenlosigkeit. Es wirkte protzig, aufgeblasen und viel zu bedeutend. To be continued... Auf ein Nachwort: Birthdays Monday´s child is fair of face, Tuedsday´s child is full of grace, Wednesday´s child is full of woe, Thursday´s child has far to go, Friday´s child is loving and giving, Saturday´s child works hard for a living, But the child that is born on the Sabbath day Is bonny and blithe, and good and gay. An diesem Kinderreim entstand die Idee an einem schönen Tag, an dem ich sicherlich extrem viel zu tun hatte und meine Zeit lieber im Internet verplempert habe. Dass die drei Jungs alle an einem Mittwoch geboren wurden, stimmt tatächlich, ich hab´s dreimal überprüft. Das gab mir damit eigentlich Anlass genug, eine Character-FanFic-Reihe über sie ins Leben zu rufen. ~Tsutsumi Kapitel 1: Stage 1: Aida- Kensuke´s Kingdom ------------------------------------------- Er hatte vergessen, seinem Vater eine Nachricht zu hinterlassen. Für gewöhnlich legte er ihm einen Zettel hin. Das hatte Tradition. Seine ersten Schriftzeichen waren die gewesen, mit denen er sich auf einem Stück Papier mit „Ich bin Spielen gegangen.“ abmeldete. Mit der Zeit waren seine kalligraphischen Fähigkeiten besser geworden, geschwungener, ohne Zitterlinien, wo die Hände noch unsicher gewesen waren. Viel verändert hatte sich trotz allem nicht. Kensuke hatte seit jeher Zettelchen geschrieben. Inzwischen könnte man Bücher mit ihnen füllen, sie aufeinanderstapeln bis zur Decke, hätte man sie alle aufgehoben. Er meldete sich stets ab, wenn er etwas einkaufen ging, bummeln, zu Touji. Oder hierher. Wenn er hierher ging, pflegte er noch immer zu schreiben; „Ich bin Spielen gegangen.“ Diese Zettelwirtschaft hatte sein Vater eingeführt. Damals, als Kensukes Mutter gestorben war- an den Folgen der Langzeitnachwirkungen des Second Impact- hatte monatelang das pure Chaos geherrscht. Kensuke war damals erst fünf Jahre alt gewesen und hatte sich beigebracht, wenigstens das Geschirr selbst abzuwaschen. Sein Vater hatte damals nicht gewusst, ob er sich zuerst im Wein oder in der Arbeit ersäufen sollte. Irgendwann hatte er sich aufgerafft und sich schließlich klugerweise für die letztere Variante entschieden. „Damit wir uns umeinander keine Sorgen machen brauchen, schreiben wir uns immer Zettel, okay?“ Kaum dass er seinen Sohn in die Schule geschickt hatte, war Herr Aida mit der Idee angekommen. Eine Idee, die zur ersten und letzten festen Stütze für den Jungen geworden war. Diese Welt war das reine Chaos- und Kensuke fühlte sich als ein Teilchen des Gesamten. Er hatte die heimische Küche noch nie wirklich aufgeräumt gesehen. Sein Vater scherte sich nicht darum, ob auf den Tellern Fliegen saßen oder die Essensreste vom Vortag in der Morgensonne vergammelten. Er konnte sich meistens gar nicht darum kümmern, weil er im Akkord arbeitete. Oft kam er nicht einmal nach Hause. Kensuke stand auf dem dicken Querast der Kiefer, hielt sich mit der rechten Hand fest und schirmte mit der linken die Sonne ab um über den Waldrand und das Feld zu blicken, welches sich bei der blendenden Sonne bis in die Ewigkeit ziehen zu wollen schien. Wildes, hohes Gras, welches ihm fast bis zu den Schultern reichte und an den Spitzen puschelige Blüten trug, die wie Federn anmuteten, überwucherte die Szenerie. Manchmal standen Hirsche darin, nahe dem Wald und er konnte sie erst sehen, wenn er herangerannt kam und sie vor Schreck hinfortsprangen oder er auf einem Baum hockte und der Wind die Grashalme zu fest auseinanderblies, dass sich die Tarnung der Tiere aufhob. Kensuke griff nach seinem Feldstecher und suchte das Feld ab. Hinter ihm in den Zweigen saßen Zikaden und zirpten ihre Sinfonien so laut, dass es ihm in den Ohren klingelte. Die Klimakatastrophe hatte dafür gesorgt, dass sich die Insekten explosionsartig vermehrt hatten, während ihre Fressfeinde die Veränderungen weniger flexibel überstanden hatten. Der Junge zog den Riemen des Soldatenhelmes am Kinn fest, überprüfte seine Tarnuniform, die Schnürsenkel der Stiefel, die so gerne aufgingen. Alles saß beinahe perfekt. Er wartete auf sie. Irgendwann hatte sein Vater begonnen, kaum noch nach Hause zu kommen. Meistens übernachtete er im Geosektor in einer der tausend Einzelzimmer, die sonst nie genutzt wurden. Kensuke hatte nie die Erlaubnis bekommen, den Arbeitsplatz seines alten Herren mal besichtigen zu dürfen. In seiner Vorstellung war es eine kleine, graue Kammer mit einem Bett und einer altmodischen Kerze. In seiner Vorstellung schaute sein Vater sich vielleicht vor dem Schlafengehen ein Foto an, auf dem er, seine Frau und sein Kind abgebildet waren- ein Foto aus glücklichen Tagen- und schob es dann unter sein Kopfkissen wie es die Typen in den Kriegsfilmen immer taten. Natürlich konnte das alles nicht stimmen, aber Kensuke war, auch wenn er kaum jemandem gegenüber zugeben würde, ein Mensch mit einer sehr dramatischen Vorstellungskraft. Manchmal hatte er das Gefühl, inkompatibel zum Rest seiner Mitmenschen zu sein. Wie ein Stecker aus einem anderen Land, der hier nicht in die Steckdose passte. Und Adapter gab es für Menschen eben nicht. Die Sonne schien so warm herab, dass Kensuke das Gefühl hatte, in seinen Stiefeln würde es kochen. Ungeduldig überblickte er das Feld erneut. Sie waren spät heute, verdammt spät. Vielleicht hatte es etwas mit der Verstärkung zu tun. Vielleicht hatte es einen Anschlag gegeben? Er griff noch einmal in seine Hosentasche, zog sein Handy hervor und vergewisserte sich, es ausgeschaltet zu haben. Oben im Wipfel der alten Kiefer setzte sich ein schwarzer Singvogel, dessen Namen er nicht kannte und trällerte gegen das Zirpen der Zikaden an. Der Junge schaute hoch, betrachtete das Tier und legte den Kopf leicht schief. Die anderen wussten nichts davon. Doch. Shinji wusste es. Shinji war es einmal gelungen, hier einzudringen. Er hatte es damals unabsichtlich getan- wusste der Teufel, wie er es geschafft hatte, in diese Wildnis hier draußen zu gelangen, aber Ziellosigkeit leitete einen wahrscheinlich manchmal weiter als wenn man einen Ort hatte, wo man hingehen wollte. Shinji wusste also von diesem Ort. Doch was er und alle anderen nicht wussten, war, dass dies hier Kensukes Herrschaftsgebiet war. Eine sanfte Brise schaukelte die Grashalme der weitläufigen Wiese zu seinen Füßen. Bald würde es dämmern. Dann knackte irgendwo ein Zweig und er wandte alarmiert den Blick vom Vogel über sich ab. Da waren sie. Jetzt durfte er keine einzige Sekunde verschwenden. Blitzschnell ließ er sich von der Kiefer sacken- vielleicht hatten sie ihn schon entdeckt- er musste zusehen, dass er den Standort wechselte. Bloß weg vom Lager! Sein Herz begann zu rasen. Es war mindestens ein Dutzend Mann gewesen, vielleicht sogar fünfzehn oder sechzehn. Und er alleine gegen all diese wendigen, trainierten Typen- er musste wahnsinnig sein! Einen kurzen Augenblick verbarg er sich am Stamm der Kiefer, pirschte sich dann langsam vorwärts, wagte es nur sich zu bewegen, wenn der Wind sanft wehte und die Halme des hohen Grases aneinanderrascheln ließ. Sie würden versuchen, ihn einzukesseln. Nun, zugegeben, sie würden es nicht versuchen müssen, wenn er nicht schnell genug handelte. Warum war er auch allein hier draußen? Er hatte die Verantwortlichen so oft vorgewarnt, dass ihnen seine verzweifelten Meldungen zu den Ohren wieder herausgekommen sein mussten. Und wieder einmal hatte niemand auf ihn gehört. Klagen half jetzt nichts. Kensuke zog sein auf den Rücken geschnalltes Gewehr am Kolben hervor und pirschte sich geduckt weiter vor. Wenn es den Bastarden bereits gelungen war, ihre Späher bis hierhin zu entsenden, war Neo Tokyo 3 bald schutzlos ausgeliefert. Er musste diese Leute also erledigen, bevor die zu ihren Stützpunkten zurückkehren und Meldung machen würden können. Sein Herz hämmerte ihm bis zum Hals. Er hatte keinerlei Erfahrung. Er war ein Blättchen im Wind gegen diese bis an die Zähne bewaffneten Alliierten dort vorne. Und doch, es gab keinen anderen Ausweg. Kensuke wagte den Vorstoß. In ca. zwanzig Metern Entfernung hatte er die feindlichen Männer durch das Gras schimmern sehen, ihre dunkelgrünen Uniformen hoben sich von gelblich gefärbten Halmen deutlich ab. Er begann, stoßend zu atmen, entsicherte seine Waffe und schob sich ein letztes Mal die Brille so hoch, dass seine Wimpern beinahe gegen die Gläser schlugen. Obwohl er nicht wusste, ob diese Taktik hier nützen würde, begann er im Zickzack zu laufen. Es kam auf Geschwindigkeit an, pure Geschwindigkeit gepaart mit dem Überraschungseffekt. Er stürmte so nahe am Feind vorbei, dass er ihre Stimmen klar und deutlich hören konnte, ihre geknautschte Sprache, die er nicht verstand. Er riss das Gewehr hoch und feuerte zwei-dreimal, schlug sich sogleich in die nächste Deckung. In seinen Ohren rauschte das Blut, pochte der Nachhall der Schüsse- Zwei der Männer waren wie Marionetten, denen man die Fäden durchschnitten, gefallen. Jetzt wussten sie, worum es ging. Fünf der Typen beugten sich über die beiden Soldaten, die jetzt am Boden lagen, die anderen begannen, mit entsicherten Waffen die Umgebung abzusuchen. Kensuke kauerte am Boden und atmete so schnell dass ihm kurzzeitig schwarz vor Augen wurde. Es waren jetzt noch dreizehn, er hatte sie blitzschnell zählen können. Verstärkung wäre jetzt nicht schlecht, dachte er sich. Seine Kehle war schon jetzt eingetrocknet, seine Hände zitterten. Wenn sie ihn bekämen... sie würden ihn nicht schonen nur weil er noch ein halbes Kind war. Mit rasselndem Atem zwang er sich, bezwang seine Todesangst und stieß erneut vor. Diesmal war er nicht geschickt genug. Zwei feindliche Soldaten entdeckten ihn, rissen die Waffen hoch, begannen zu schreien. Er konnte nichts mehr tun als sich einer Schießerei auszusetzen, feuerte so gut es ging und warf sich sogleich hinter einen Baum. Ein dritter Mann war in sich zusammengesunken. Jetzt beugten sich zwei über ihn, der Rest nahm den Jungen unter Beschuss. Kensuke gestattete sich ein Zucken der Mundwinkel, ein Lächeln. Er hatte drei von diesen Bastarden ganz alleine erledigt. Er hatte es alleine geschafft! Dies war seine Herrschaftsgebiet, sein Grund und Boden. Niemand hatte es zu betreten, wenn er es nicht wollte. Geschickt verbarg er sich hinter dem Baumstamm, der glücklicherweise dick genug war, schoss zwei-dreimal auf den Trupp vor sich, der sich wegen der Verletzten nur langsam bewegen und selbst Deckung aufsuchen konnte. Sechs dieser Leute beschossen ihn unablässig, links und rechts stoben Stücke von Baumrinde und Holzsplitter vom Baum, als würde er langsam aber sicher durchgehackt werden. Ob sie einen Sanitäter dabei hatten? Ob sie Verstärkung rufen würden? Je länger er hinter dem Stamm kauerte und angesichts des Kugelhagels auf sich den Kopf einzog, desto unsicherer wurde ihm die Aktion. Vielleicht hätte er sich dem Feind doch nicht stellen sollen. Vielleicht hätte er einfach nur die Klappe halten und zur richtigen Zeit einen Bunker aufsuchen sollen. Gerade als er begann, ernsthaft Angst zu empfinden, vernahm er das Knacken von Zweigen und ein Grunzen direkt hinter sich, bei dem ihm das Blut in allen Adern gefror. Es war still geworden. Er wandte sich langsam herum und starrte einem der Soldaten in die Augen. Der älteste Trick der Welt. Ablenkung von vorne und schließlich ein Hinterhalt, offensichtlich einfach anzuwenden bei nur einem Gegner. Der Junge spürte wie seine Hände schweißnass wurden, sein Gewehr Millimeter um Millimeter nach unten rutschte. Dann hörte er das Knallen, welches alle Zikaden zum Verstummen brachte, alle Vögel in der Umgebung erneut aufscheuchte, spürte eine überwarme Energie in seinem Bauch, wie das Entzünden eines inneren Feuers. „Was machst du hier? Übst du für einen Guerilla-Krieg?“ Shinjis ahnungslose Stimme hallte in seinem blutleeren Kopf. Ikari hatte dabei beinahe spöttisch gelächelt- und nun, in Kensukes Erinnerung, tat er das auch. Shinji hatte keine Ahnung, keinen blassen Schimmer. Verzogene Eva-Piloten wie er hatten von nichts eine Ahnung, sie lebten in einer ganz anderen Welt, wussten die Bewunderung, die man ihnen entgegenbrachte, kaum zu schätzen, verkannten sie und behaupteten, dass sie das Steuern von Eva als Belastung empfanden. Wusste Shinji denn nicht, dass der Krieg schon längst ausgebrochen war? Hatte er nicht erkannt, dass man hier schon seit Ewigkeiten um das nackte Überleben kämpfte? Kensukes Beine gaben nach, er sackte zusammen, seine Knie schmerzten, als er mit voller Wucht auf ihnen zusammenfiel, sich mit den Armen atemlos am Waldboden, der mit Nadeln übersät war, abstützte. Das Brennen in seinem Bauch wurde von Sekunde zu Sekunde heißer, ging in einen spitzen Schmerz über. Das Atmen... er musste atmen! Der Mann, der auf ihn geschossen hatte, trat neben ihn, nahm wortlos sein Gewehr und stapfte davon. Kieselchen, Sand und Zweige knirschten unter seinen Stiefeln, laut und sterbend. Kensuke schaffte es, ganz langsam und ganz flach zu atmen, er presste seine Rechte auf seinen Bauch, auf die Stelle, aus der das Brennen kam und sich ausbreitete. Sie wurde dunkelrot. Unter schwerster Anstrengung schleppte er sich vom Baum weg, weiter auf das offene Feld. Der Boden unter seinen Füßen begann zu beben, laut, grollend und so irritierend, dass der Junge es nicht schaffte, sich länger auf den Beinen zu halten. Erneut sackte er auf die Knie, konnte sich so gut wie gar nicht aufrecht halten. Dann sah er die Evas. Aus der Ferne kamen sie angesprintet, blitzschnell, tollkühn hechteten sie über Strommasten und über Felsvorsprünge des Gebirgsrandes. Blau, rot und pupur glänzten ihre Panzer in der Sonne. Kensuke spürte, dass er nun nicht mehr atmen konnte. Aus seinem Mund quoll dickflüssiges Blut. Er versuchte, es schnellstmöglich auszuspucken um wieder nach Luft schöpfen zu können, doch es hörte einfach nicht auf. Verzweifelt keuchend brach er zusammen, als Eva 01 an ihm vorbeidonnerte. Der Trupp der feindlichen Soldaten krächzte erschrocken auf, versuchte, in den Wald zu fliehen. Das war das letzte, was Kensuke sah. Er sank nieder, auf die Seite, dann auf den Rücken. Ganz in seiner Nähe erfolgte der Kampf, Maschinengewehre knatterten ohrenbetäubend , das Stampfen der Evas wirkte wie ein Ersatz für seinen immer mehr verblassenden Herzschlag. Ein Stampfen, welches sein Mark bis ins Innerste erschütterte. Die Seite der Allmächtigen siegte und er gehörte nicht dazu. Vielleicht hatte sein Vater inzwischen auch eine neue Freundin. Das konnte ja gut möglich sein. Vielleicht schlief er lieber in einem Bett einer neuen Frau als zu seinem Sohn nach Hause zu gehen, dessen Aussehen ihn tagtäglich an den Tod seiner geliebten Ehefrau erinnerte. Vielleicht war das des Rätsels Lösung. Vielleicht auch nicht. Kensuke wusste es nicht- sein Vater schrieb ja keine Zettel. Lange, beinahe viel zu lange lag der Junge da und starrte gedankenversunken in den sich allmählich dunkel verfärbenden Himmel. Die Zikaden zirpten laut in der Kiefer, in der er eben gehockt hatte, der Vogel mit dem schwarzen Gefieder saß noch immer im Wipfel und sang leise sein Liedchen. In seinen Szenarien pflegte Kensuke immer, am Ende zu sterben. Es gehörte dazu wie die Uniform und der Helm. Es galt, möglichst echt zu sein. Im wirklichen Leben hatte man ihm keine Chance gegeben, also warum sollte er in seinen Theaterstücken eine haben? Minutenlang lag er dann im hohen Gras, hielt den Atem an solange er konnte. Starrte den Himmel an, zählte die vorbeiziehenden Wolken. Vorsichtig legte er die Hand an den Bauch, genau auf die Stelle, an der er eben noch verletzt gewesen war, zog das Hemd hoch und fühlte auf der intakten Haut nach. Es kitzelte nur ein bisschen. Heute hatte er zum ersten Mal keine Nachricht auf dem Küchentisch hinterlassen. Wenn sein Vater nach Hause kommen sollte, wusste er diesmal nicht, wo sein Sohn war. Zum ersten Mal. Kensuke hatte die einzige Tradition seiner Familie gebrochen. Jetzt gab es beinahe nichts mehr, was ihn hielt. „Ich bin Spielen gegangen.“, murmelte er leise ins hohe Gras hinein. Nein, Blödsinn. Er spielte nicht. Er übte für den Ernstfall. Er war der Späher, der Reservist, einer dieser unbegabten Versager, die niemals Eva-Pilot werden würden. Wenn er irgendwann nicht mehr da wäre, würde das sein Vater wahrscheinlich ohnehin nur am Fehlen der Zettel merken. So einen Taugenichts brauchte man nicht weiter. Deshalb musste Kensuke üben. Wenn der Krieg kam, musste er bereit sein, mehr als nur vier Soldaten niederzuschießen. Dann würde er hier auf den Feldern vor Neo Tokyo 3 warten, mit einem richtigen Gewehr im Anschlag. Genau hier. In seinem Hoheitsgebiet. To be continued... Kapitel 2: Stage 2: Ikari- Shinji´s Sheepskin --------------------------------------------- Autor: Tsutsumi Disclaimer: NGE gehört nicht mir, sondern dem werten Herrn Anno und Gainax. Warnung:/ Pairing:/ Orientierung: Weitesgehend an der Serie, ich hoffe, ich verrutsche im weiteren Verlauf nicht. Stage 2: Ikari- Shinji´s Sheepskin Eine furchtbare CD war es gewesen. Die konnte dem Dieb doch selbst nicht gefallen haben. Shinji saß unbequem auf dem harten Holzstuhl und starrte die Hülle an. Es hätte eigentlich nur noch gefehlt, dass ihn dieser schmierige Polizist drangekettet hätte. Sie hatten ihn vorhin hierhergeschleift, mit vorwurfsvollen Blicken und diesem Schatten in den Augen, den er seit jeher bei den Leuten wiedererkannte, wenn sie ihn zum ersten Mal sahen. Sein Lehrer hatte, seit er bei ihm gewohnt hatte, immer wieder vor fremden Leuten angefangen, sein Leid zu klagen. Davon war dieser Blick gekommen, ganz gleich, wie er sich daraufhin verhalten hatte. Es war, als hätte man die Menschen vor ihm verblendet. Gelangweilt lehnte der Junge sich im harten Stuhl zurück. Vor geschätzten fünf Minuten hatte der Polizist den Raum verlassen, hatte ihn angeblafft, sich ja nicht zu regen. Er war ganz sicher gegangen, um Shinjis Vater anzurufen. Der würde hierher kommen müssen um seinen Sohn abzuholen, weil dieser eine hässliche Heavy Metal- CD gestohlen haben sollte. Shinji lächelte selbstspöttisch. So etwas war noch nie vorher geschehen. Dabei hatte er vorhin nur durch die Musikabteilung gehen wollen, sich die eine oder andere CD probeweise anhören wollen. Dann war er von einem Gleichaltrigen angerempelt worden, der ihn einfach nur angesehen und dann geblökt hatte. Geblökt wie ein Schaf. Shinji verstand Spott nur langsam. In aller Regel war er zu langsam darin, rechtzeitig zu schalten, dass ihm gerade ein Streich gespielt wurde oder ihn jemand indirekt auslachte. Vielleicht sah er ja wirklich so unschuldig und lächerlich aus. Asuka behauptete das ja regelmäßig. Wie ein Schaf angeblökt hatte ihn zuvor niemand und das hatte ihn irritiert. Er hatte ratlos vor dem Jungen gestanden, mit einer Pop-CD in der Hand und verwirrt geblinzelt. Mit offenen Anfeindungen konnte er immerhin etwas anfangen. Touji hatte ihm damals klipp und klar gesagt, was er gegen ihn gehabt hatte und er hatte ihm genauso klipp und klar das Gesicht eingeschlagen. Was aber sollte man mit einem Schafsblöken anfangen? Kurz darauf hatte ihn der Junge angerempelt, eine dieser schwarzen Metal-CDs gegriffen und sie ihm in den Rucksack gestopft. Wie ein harter, kalter Windstoß hatte sich das Ganze angefühlt und Shinji hatte kaum gewusst wie ihm geschah als ihn der andere vor sich herschob, lange schob bis sie beide plötzlich außerhalb des Elektrogeschäftes gestanden hatten und die Alarmbeeper angesprungen waren. Shinji hatte damit auf dem theoretischen Wege eine CD gestohlen. Er erwartete nicht, dass man ihn verstehen würde. Als er die Geschichte um den anderen Jungen versucht hatte zu erzählen, hatten der Polizist und der Kaufhausdetektiv ihn angeschaut, als sei er übergeschnappt. Auch wenn das nicht sehr schmeichelhaft gewesen war, es war immerhin nicht dieser schattige Blick gewesen. Der schattige Blick war erst gekommen als ihn der Polizist in seinem Kabuff zu seiner Identität befragt hatte. „Name?“ „Ikari. Shinji.“ „Wie schreibt man das? Schreib mal auf, ich suche hier nicht ewig nach Schriftzeichen für einen kleinen Kaufhausdieb!“ Shinji hatte es sich verkniffen, dass es seinen Namen so oft gab wie neue Popsternchen am Teeniehimmel. Sein Vater hatte ihm den gegeben, einen langweiligen, gewöhnlichen, nichtssagenden Namen. „Geburtsdatum?“ „Sechster Juni Zweitausendundeins.“ „Mit vierzehn Jahren schon klauen, ja? Du bist ziemlich dreist, Kleiner!“ „Wenn ich es mit zwanzig tun würde, wäre das dann in Ordnung?“ Für Zynismus hatte der Kerl leider nichts übrig gehabt. „Eltern!“, hatte er gedonnert und Shinji hatte ihm zerknirscht die Daten gegeben. „Dann werde ich jetzt mal deine Mutter anrufen. Du solltest Mitgefühl für sie empfinden, bedenk mal, in welche Schande du die arme Frau stürzt!“ All diese Sätze hatten wie auswendig gelernt geklungen, Worte aus der Gehirnschablone von vielen, kleinen, räudigen CD-Dieben, die schon zuvor da gewesen waren. Und Shinji hatte sich beinahe darüber gefreut, aus diesem Schema, dieser Schablone ganz einfach ausbrechen zu können. „Ich glaube, das wird ihr egal sein.“, hatte er gemurmelt und den Polizisten mit wachen Augen angeschaut. „Sie ist nämlich tot.“ Jetzt wusste Shinji, woher dieser Schattenblick jedes Mal kam. Als kleines Kind hatte er es nie begriffen, er hatte auch noch nicht gewusst, dass man das Mitleid nannte, ein scheußliches und klebriges Gefühl, welches ihm die Erwachsenen zuwarfen und in dem er sich verstrickte und das Gefühl bekam, noch mehr Haltung anzunehmen um den Leuten nicht zur Last zu fallen. Sein Lehrer hatte damals jedoch Mitleid durchaus zu schätzen gewusst und darum jedem sein Leid geklagt, sich nun um den armen mutterlosen Jungen kümmern zu müssen, der doch so schwierig zu erziehen war. Vieles vom Leben bei seinem Lehrer hatte Shinji aus den ersten Jahren nicht in Erinnerung behalten. Nur die Farbe seines Futons, welcher fast jeden Tag gewaschen und auf die Leine zum Trocknen aufgehängt werden musste, weil er komischerweise morgens dauernd völlig durchnässt gewesen war. Shinji konnte sich daran erinnern, dass er seinen Lehrer gefragt hatte, ob das Dach ein Loch habe, durch das es nachts regnete und dieser hatte ihn nur einen dummen Jungen gescholten. Er konnte sich an den Garten erinnern, in dessen hinterster Ecke er sich so gerne versteckt und Schnecken gezählt hatte, an sein erstes Cellospiel, an das Windspiel an der Veranda. Er dachte daran zurück, wie verwirrt er sich damals gefühlt hatte, als seine Mutter plötzlich verschwunden gewesen war und sein Vater ihn fortgeschickt hatte. Der Polizist jedenfalls hatte plötzlich ebenfalls diesen mitleidigen Blick gehabt und Shinji hatte ihn angesehen und im Kopf des Mannes beinahe mitansehen können, wie sich die gewohnte Assoziationskette zu bilden schien; verwaist und vernachlässigt, ein wilder Bengel, der nicht erzogen worden war und deshalb jetzt CDs klaute. Es gab Shinji erneut ein Gefühl der Schuld, Schuld an seiner bloßen Existenz, weil er eigentlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort war und das Leben der anderen behinderte. Und Asuka hatte Nerven, ihn dauernd anzublaffen, wenn er sich am laufenden Band zu entschuldigen pflegte. Shinji setzte sich wieder etwas gerader hin, weil ihm die Pobacken auf dem harten Stuhl langsam einschliefen. Er betrachtete den unordentlichen Schreibtisch des Polizisten, drehte ein Familienfoto des Mannes um und begutachtete die Frau und das kleine Kind im geblümten Kleidchen. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals etwas gestohlen zu haben. Im Gegenteil. Er hatte stets darauf geachtet, gut in der Schule und im Cellospiel zu sein, den anderen Menschen um sich herum zu helfen. Ihnen zu helfen, ohne ihnen je zu nahe zu kommen. Er war ein Herdentier gewesen, jemand ohne eigene Bedürfnisse, jemand ohne zu feste Bindungen. Wie ein Schaf. Der Junge schreckte ein wenig in seinem Gedankengang auf. Woher hatte dieser Typ das vorhin gewusst? Gab es irgendetwas, das an Shinjis Äußerem darauf hinwies, dass er sich wie ein dummes, blökendes Schaf verhielt? Er hatte eigentlich immer das getan, was man von ihm verlangt hatte. Lernen, saubermachen, still sein. Er hatte mit Misato damals mittels Schere-Stein-Papier den Haushaltsplan festgemacht, obwohl er das innerlich für völlig absurd gehalten hatte, nicht zuletzt weil er in diesem blöden Spiel immer verlor. Als man ihm befohlen hatte, in den Eva zu steigen, hatte es nur einer Ayanami bedurft, ihn umzustimmen. Genau genommen hatte es im Leben nur ein einziges Mal gegeben, bei dem er sich bis zum Letzten widersetzt hatte. Ikari kippelte ein wenig mit dem Stuhl und atmete tief aus. Vielleicht hatte ihm dieser Kerl vorhin sogar einen Gefallen getan. Jetzt musste der große Gendou Ikari, Kommandant von Nerv, hier antanzen und sich offiziell dafür entschuldigen, dass sein Sohn eine CD der Gruppe...Shinji musste noch einmal nachsehen... Smashed Guts entwendet hatte. Neugierig griff der Junge nach der CD-Hülle und blätterte das Booklet durch. Diese Gruppen hatten doch immer alle mindestens ein Lied, in dem sie davon sangen, entweder alle niederzumetzeln oder Blut zu trinken oder sich selbst langsam und qualvoll umzubringen. Das würde den Effekt der Demütigung vielleicht noch etwas verstärken. Shinji hatte sich neulich geweigert, auf Eva 03 loszugehen. Er hatte sich so sehr geweigert, dass diese ganze Aktion nach hinten losgegangen war und sein Vater ihm beinahe seinen besten Freund ins Jenseits gerissen hatte. Das wirklich Demütigende daran aber war gewesen, dass Gendou Ikari keine Angst vor ihm gehabt hatte, als er mit der Zerstörung des Geosektors gedroht hatte. Obwohl die Waffe Eva 01 nur ihm, Shinji, gehorchte, hatte er keine Gewalt gehabt. Nicht ein kleines Bisschen. „Willst du wirklich weglaufen?“, hatte Kensuke ihm mit vor Wut bebender Stimme auf den Anrufbeantworter gesprochen, als Shinji vorgehabt hatte, abzuhauen, diesmal entgültig. Der Kerl hatte doch nicht die geringste Ahnung. Weglaufen war vielleicht die einzige Lösung für die Belastung, die seine Existenz in dieser Welt ausmachte. Wenn er fortgehen und in einem luftleeren Raum weiterexistieren würde, wären die Menschen vielleicht erleichtert. Man hatte ihn doch damals verschwinden lassen als seine Mutter gegangen war. Warum sollte verschwinden jetzt etwas Schlechtes sein? Draußen vor der Tür murmelten Stimmen. Nein, sie murmelten nicht, doch bis hierher drang nur leises Raunen. Vielleicht war Vater jetzt da. Vielleicht erklärte er ja gerade, dass dieses Kind nicht ihm gehörte. Vielleicht wollte er ihn ja wieder verschwinden lassen. So wie er es damals mit Mutter gemacht hatte. Nachdem sie den halbtoten Touji aus seiner geschrotteten Kapsel gezogen hatten, hatte Shinji seinen Vater wahrhaftig umbringen wollen. Es hatte plötzlich nichts mehr mit Herdenverhalten zu tun gehabt. Da war blinde Wut gewesen, ein explodierender Hass, der sich nur noch vergrößert hatte, als man ihn in Handschellen vorgeführt hatte. Kensuke konnte natürlich nicht verstehen, dass man vor so einem übermächtigen Vater automatisch weglaufen wollte. Daran lag es eigentlich. Shinji hatte seit jeder das Gefühl gehabt, er sei eines der kleinen Geißlein, die sich vor dem Wolf verstecken wollten. Sein Vater war der Wolf, dunkel und groß und so fordernd und abstoßend zugleich, dass man nicht wusste, wie man ihm begegnen sollte. Der Junge vorhin hatte das gewusst und er hatte Shinji damit nur verspottet. „Vielleicht ist es Kensuke gewesen?“, murmelte Ikari gedankenverloren. Dann schüttelte er den Kopf. Unmöglich. Misato marschierte in üblich überlegener Manier in das Kabuff des Polizisten und ließ ihre unechte Arroganz ein wenig verströmen. „Ich bin der Vormund des Jungen!“, sagte sie hart und warf dem Mann ihren Ausweis vor. „Ist es wirklich nötig, dass er hier stundenlang rumsitzen muss?“ Ihre Empörung war nicht gespielt und das hätte Shinji im Normalfall wirklich gerührt, wenn er sich nicht so völlig vor den Kopf gestoßen gefühlt hätte. Ihm war, als hätte ihm jemand gehörig auf den Hinterkopf geschlagen. „Das wäre gar nicht nötig gewesen, wenn Ihr Junge nicht gestohlen hätte, gnä´ Frau!“, blaffte der Polizist zurück. Dann las er ungeduldig ihre Karte. „Katsuragi? Wie? Wer sind Sie eigentlich? Der Junge hat gesagt, seine Mutter sei tot!“ „Das stimmt auch.“ Die Frau rückte sich einen Stuhl heran, der ebenso unbequem aussah wie Shinjis und setzte sich neben ihn. „Sein Vater ist aus geschäftlichen Gründen verhindert und ich bin, wie ich bereits erwähnte, sein Vormund. Also können wir das hier schnell hinter uns bringen, ich denke, wir haben alle drei nicht den gesamten Tag Zeit!“ Sie hatte die CD bereits gesehen. Mit flüchtigem Blick streifte sie über das aufgeschlagene Booklet, wahrscheinlich gerade über die Textstelle mit den gebrochenen Knochen und den blutunterlaufenen Augen der Engel. Shinji begann, das folgende Gespräch der Erwachsenen auszublenden. Er wusste nur, dass er seinen Vater heute morgen noch gesehen hatte. Gendou Ikari war nicht im Ausland, er war nicht einmal außerhalb der Stadt. Nein, er betrachtete es einfach nur nicht als nötig, hierher zu kommen um seinen Sohn aus einem verräucherten Polizistenkabuff zu holen. Sein Vater ließ sich weder mit einem Diebstahl noch mit Eva bedrohen. Er konnte sein Kind am langen Arm verhungern lassen. „Ich weiß ja, dass dich die Sache mit Suzuhara so mitgenommen hat.“, sagte Misato im Auto als der Papierkram endlich erledigt war. Sie wirkte nicht wütend, nur erschöpft. Und, was Shinji ihr hoch anrechnete, war, dass sie ihn nicht mit dem Mitleidsblick bedachte. „Aber...Mann, Shinji, warum Heavy Metal?“ Vielleicht meinte sie das als Witz, vielleicht aber auch entsetzt. Vielleicht hatte sie der Text wirklich erschreckt. Shinji fühlte sich unendlich müde und betrachtete die in der Sonne glitzernde See. Die Straße säumte die Küste, die Route hier gefiel ihm immer ganz gut. Möwen glitten als schwarze Umrisse über den Lichtstrahlen. „Was würdest du tun, wenn dich einer wie ein Schaf anblöken würde?“, fragte er unvermittelt. Der Versuch, diese ganze Diebstahlsgeschichte richtig zu stellen war sinnlos, das wusste er genau. Auch wenn er keinen Zweifel daran hatte, dass Misato ihm glaubte, alle anderen hatten ihn bereits als abgestürzten, entwurzelten Teenager abgestempelt. „Wie bitte, ein Schaf?“ Misato lachte ungewollt, aber das wirkte befreiend. „Ich würde ihm eine reinhauen, ganz einfach.“ Shinji wusste genau, der Impuls vor seinem Vater davonzulaufen so weit bis dieser ihn nicht mehr würde erreichen können, würde wahrscheinlich nie so ganz weggehen. Er war das Schaf, das versuchte, sich im Uhrenkasten zu verstecken. Das war er schon immer gewesen, daran änderte auch Eva nichts. „Okay.“, murmelte er leise und lächelte Misato an. „Ich merk mir das für´s nächste Mal.“ Schafe aber drohten nicht. Das war der springende Punkt. Der Junge schaute aus dem Fenster und nichts als ein Lächeln lag ihm ferner. Das Meer rauschte so laut, dass es das Geräusch des Motors beinahe übertönte. „Ich spendiere dir ein Eis.“, schlug Misato vor, versöhnlich, müde. Shinji nickte langsam ohne sie anzusehen. Der springende Punkt war, dass Wölfe nur Wölfe als Kinder haben konnten. To be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)