Akuroku ~ Memories for Life von OceanSoul (Erinnerungen verschwinden nicht - sie verstecken sich nur) ================================================================================ Prolog: Memories ---------------- "Axel! Axel!!", hatte ich verzweifelt gerufen. Fragt man mich heute, was der Grund dafür gewesen war, verblasst die Erinnerung und, vermischt mit einem leicht traurig anmutenden Blick, kommen nur die Worte "Weiß ich nicht mehr" über meine Lippen... Traurig... Es ist wieder dieser Fluch. Der Fluch... der Zeit... Jener, welcher uns nach und nach dem mitunter wichtigsten Inhalt unseres Herzens beraubt. Ätzend. Wie eine, in unsere Seele eindringende, giftige Säure, die alle Erinnerungen, seien sie gut oder schlecht, dazu zwingt, mit sich zu verschmelzen, um sich dann mit ihnen im Nichts zu verlieren... Schon viel zu oft hat uns dieses Schicksal ereilt. Aber wieso geschieht es mir ausgerechnet jetzt erneut? Wieso ausgerechnet in der einzigen Zeit meines Lebens, von der ich mir je geschworen hatte, sie NIE zu vergessen, egal was geschieht...? Es ist doch so ungerecht. Und wenn man sich darüber beschwert, wird sich seitens anderer darüber lustig gemacht, dass man so schwach sei. Aber... ist es denn ein Zeichen von Schwäche, wenn man auf etwas sehr Wichtiges Acht geben möchte? Wenn für die Anderen ein Herz und die damit verbundenen Gefühle einem materiellen Vermögen, meinetwegen einem Haus, einem Auto oder sonst was, entsprechen... So kann man sagen, entsprechen meine, der Öffnung und zugleich dem Schutze des Herzens wichtigen, Erinnerungen dann deren Wohnungs- oder Zündschlüssel? Ich weiß es nicht. Das einzige, dessen ich mir sicher bin, ist, dass ich dich wiedersehen möchte. In der Erinnerung. Im Traum. Und im Leben... Kapitel 1: Vertrauen -------------------- Jetzt saß ich schon wieder hier. Und wieder wusste ich nicht, wie lange ich schon in dieser düsteren Gasse die Zeit totschlug. Wieso musste in letzter Zeit einfach jeder Tag dem vorangegangen in seiner Handlung so vollkommen gleichen? Es war einfach deprimierend. Aber irgendwie kam ich dann doch darauf, ja selbst für eine Änderung meines bekannten Tagesablaufes sorgen zu können. Also machte ich mich auf, verließ dieses dreckige, dunkle Loch und begann, ziellos durch die Gegend zu schlendern. Und ab diesem Moment veränderte sich etwas... Ich vermochte nicht zu sagen, was es war, ja, genau genommen bemerkte ich es nicht einmal sofort und dennoch spürte ich den Grund: Zum ersten Mal seit langer, unglaublich langer Zeit erkannte ich, wie schön dieser Ort, an dem ich lebte, eigentlich war. Zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit - so kam es mir zumindest vor - glaubte ich zu bemerken, dass dieser Ort mehr Facetten ausstrahlte, als nur diese eine düstere, depressive Gräue der Einsamkeit, die wohl auch nur von einem Verstoßenen, wie ich ohne Zweifel einer war, erkannt werden konnte; ohne zu wissen warum, erkannte ich nun auch endlich die schönen, hellen Seiten dieser Stadt. Die alten Häuser, die mit ihrer ruhigen, sicheren Ausstrahlung die Straßen säumten und auf angenehme Weise gemütlich wirken ließen. Die Blumen, welche die liebevoll angelegten Beete am Straßenrand und die Blumenkästen auf den Fensterbrettern und Balkonen füllten. Aus irgendeinem Grund, der sich mir später eröffnen sollte, erkannte ich nun die Schönheit all dieser Dinge, an denen ich zuvor immer nur so gleichgültig vorübergegangen war, wie die Tage selbst es bei mir zu tun pflegten. So ging ich langsam und endlich einmal von innerer Ruhe erfüllt die relativ schmalen Straßen hinunter; jedoch noch immer ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Als ich um eine weitere Ecke bog, fand ich mich plötzlich in einer kleinen Seitenstraße wieder, welche mich unangenehm an eine dieser Gassen erinnerte, mir aufgrund dessen einen kalten Schauer über den Rücken jagte und, wie ich nach verhältnismäßig wenigen Schritten feststellen musste, zu allem Überfluss in einer Sackgasse endete. Resignierend ließ ich mich an einer der Seitenwände hinabsinken, saß schließlich ganz und zog die Beine angewinkelt an den Oberkörper heran, um meinen vor Müdigkeit schwirrenden Kopf auf den Knien ablegen zu können. Ich war sogar schon ein wenig eingedöst, als plötzlich ein leises Zischen die Luft erfüllte und das darauf folgende Klirren und Scheppern ankündigte, welches mich sofort aufschrecken ließ. Ruckartig drehte ich den Kopf zu der Seite, von der aus ich das Geräusch vernommen hatte. Ein wenig Erleichterung machte sich in mir breit, als ich erkannte, dass mich die Blechwanne mitsamt Inhalt in Form einer gläsernen Abdeckscheibe nur um wenige Zentimeter verfehlt hatte. Während ich also ungeschoren davongekommen war, hatte die Wanne selbst einige Dellen abbekommen und die Scheibe war in viele kleine Teile zerborsten... "Hey, du da unten! Alles in Ordnung?", erklang plötzlich eine Stimme von irgendwo über mir. Ich drehte den Kopf nach oben und entdeckte ein offenes Fenster in der grauen Wand, in einem vergilbten, schon lang nicht mehr überstrichenen Holzrahmen hängend. Aus diesem Fenster streckte mir ein junger Mann, vielleicht knapp um die 20, seinen Kopf entgegen und sah mich besorgt, fragend an. Seine Haare waren feuerrot und standen, wilde Spitzen bildend, in alle Richtungen ab. Im ersten Moment schaute ich den Unbekannten nur ein wenig verwirrt an und vergaß darüber beinah, dass er mir ja gerade eine Frage gestellt hatte. Erst, als er mit einem "Na? Hat's dir die Sprache verschlagen?" nachhakte, stammelte ich hastig: "Ääh ja, alles okay." Der rothaarige atmete hörbar auf. "Na, ein Glück!" Ein Lächeln erschien auf seinen schmalen Gesichtszügen. Dann kratzte er sich nachdenklich am Hinterkopf, den Zustand seiner abgestürzten Sachen begutachtend, und seufzte dann merklich. "...Aber diesen Kram dort kann ich jetzt wohl wegschmeißen..." Und mit diesen Worten tat er etwas, was mir im ersten Moment einen kleinen Schrecken einjagte: Er kletterte flink aufs Fensterbrett... und in der nächsten Sekunde sprang er auch schon hinunter und landete gekonnt direkt neben mir. Ich starrte ihn nun erst einmal nur erstaunt an. Seine Wohnung lag doch bestimmt mindestens im zweiten Stock... Das hatte er sicherlich nicht zum ersten Mal getan. Als er meinen verwunderten Blick bemerkte, bildete sich auf dem Gesicht meines Gegenübers -welches er mittlerweile war, denn ich war der Höflichkeit halber aufgestanden- ein amüsiertes Grinsen. “Was ist so lustig?”, fragte ich und schob, ein wenig gespielt beleidigt, die Unterlippe vor. “Och, nichts”, erwiderte der andere, jedoch nahm sein noch immer sichtbares Grinsen seiner eigenen Antwort einiges an Glaubwürdigkeit ab. Es mochte genau daran gelegen haben, dass er es plötzlich vorzog, das Thema zu wechseln. “Aber sag mal, wer bist du eigentlich? Ich hab dich hier noch nie gesehen.” Ich mochte solche notdürftigen Themenwechsel nicht sonderlich; zumal diese Frage mir auch ein wenig dreist vorkam... Schließlich war es meine Sache, wem ich mich zeigte und vor allem, wem ich mich vorstellte. Jedoch riss die Serie unnatürlicher Reaktionen meinerseits, die sich schon durch den ganzen Vormittag geschlängelt hatte, auch jetzt nicht ab. Aus irgendeinem Grund fasste ich merkwürdig schnell Vertrauen zu diesem fremden Mann, der mir noch nie zuvor begegnet war. Also beantwortete ich, fast ohne zu zögern, seine Frage. “Also... Ich bin Roxas. Ich lebe noch nicht lange hier... Wahrscheinlich liegt’s daran. Und wer sind Sie?” Höflichkeit ist alles. Das sah der andere wohl nicht so. Er sah mich ein wenig schief an. “Bitte... Bleiben wir beim DU. Ich hasse Siezen... Da fühlt man sich doch gleich 10 Jahre älter.” Er grinste wieder. “Mein Name ist Axel, kannst du dir das merken? Freut mich, dich kennen zu lernen.” Mit diesen Worten streckte er mir seine Hand entgegen, die ich auch wieder erstaunlich schnell ergriff. “Ja, mich auch.” Nachdem wir uns erst einmal einige Sekunden lang nur angeschwiegen hatten, da keiner etwas zu sagen wusste, hatte ich Axel geholfen, die Sachen zu entsorgen, woraufhin er mich in seine Wohnung einlud und ich diese Einladung ohne zu zögern annahm. Wieder so merkwürdig. Ohne zu zögern... Ich kannte diesen Mann doch gar nicht wirklich! Also... Wieso um alles in der Welt fasste ich nun so schnell Vertrauen zu ihm? Wieso vertraute ich ihm nun quasi blind?! Ich wusste nichts über ihn; genauso wenig, wie er etwas über mich wusste. Und dennoch war dieses Vertrauen irgendwie von Anfang an da gewesen. Teilweise ließen Axel’s Handlungen und Reaktionen durchblicken, dass er scheinbar genauso verwundert darüber war, wie ich selbst. Das hieß also, wir waren beide ein wenig verwirrt. Wunderbar. Immerhin waren die unangenehm vielen Minuten des Schweigens nun vorbei. Axel war schließlich damit beschäftigt, mir seine Wohnung zu zeigen... Und wortlos funktioniert eine solche Tätigkeiten nun einmal nicht besonders gut. Als ich seine Wohnung betreten hatte, war ich sehr positiv überrascht gewesen, denn das Innere war weitaus größer und vor allem schöner, als die grauen Wände draußen vermuten ließen. Die Farbgebung der Wände wirkte teils ein wenig eigen auf mich... Aber etwas anderes hatte ich bei diesem Mann, warum auch immer, auch nicht erwartet. Allerdings kam diese Erkenntnis auch nicht gleich, denn der Flur, auf dem wir uns zuerst befanden, war sauber in einem angenehm warm wirkenden Rotorange gestrichen, das Badezimmer, welches ich durch die erste offen stehende Tür erkennen konnte, hatte kühle, aber irgendwie passende Blautöne. “Hey! Willst du dort Wurzeln schlagen?”, riss mich Axel dann plötzlich aus meinen schon ein wenig prüfenden Gedanken. Als ich ihn ansah, machte er lächelnd eine Kopfbewegung in Richtung der Tür, vor der er gerade stand und auf deren Klinke er bereits seine Hand gelegt hatte. “Ah, okay”, sagte ich schnell und beeilte mich, zu ihm zu kommen. Ich war schon ein wenig gespannt, welcher Raum mich nun erwartete. “Darf ich vorstellen? Mein...”, damit öffnete schwungvoll die Tür, “...Wohnzimmer!” Neugierig betrat ich das Zimmer und staunte nicht schlecht, als ich mich umsah. Dieser Raum war irgendwie... BUNT! Aber kein Bunt, wie man es vielleicht interpretieren würde, wenn man es erzählt bekommt. Es war einfach... anders bunt. Wie um eine optische Vereinigung von Bad und Flur zu schaffen, waren hier sowohl Rot- als auch Blautöne und deren Mischungen vorzufinden. Und erstaunlicher Weise passte dennoch alles zusammen. “Wow! Das sieht ja richtig toll aus!”, konnte ich mir einfach so spontan nicht verkneifen. “Ja, nicht?” Axel grinste mal wieder. Er war sichtlich stolz auf sein Werk. “Freut mich, dass es dir gefällt.” Sein Blick, den er direkt nach diesen Worten aufsetzte, zeigte mir, dass er selbst nicht ganz nachvollziehen konnte, wieso er das gerade gesagt hatte. Aber vielleicht war es auch besser so... Kapitel 2: Träume ----------------- In dieser Nacht war ich erst spät nach Hause gekommen. Axel und ich hatten uns so viel zu erzählen gehabt. Aufgrund dessen fiel es mir auch schwer, einzuschlafen; ich musste die ganzen Informationen erst einmal verarbeiten. So lag ich also noch eine ganze Weile wach; meiner Schätzung nach noch mindestens eine Stunde lang. Meine Gedanken kreisten fast ununterbrochen um diesen Mann... Es war so banal. Und je mehr ich mir über mögliche Gründe den Kopf zerbrach, desto mehr verwirrte ich mich damit selbst. Denn jede mögliche Antwort schien tausend neue Fragen aufzuwerfen... Irgendwann wurde ich meines eigenen Gegrübels müde, waren meine grauen Zellen zu erschöpft, und dank dem Zusammenspiel dieser beiden Aspekte schlief ich schließlich doch ein. Mein Schlaf verlief kaum weniger unruhig als meine Gedankengänge zuvor. Selbst in meine Träume verfolgte mich dieser innere Konflikt. Das führte dazu, dass ich schon nach -fast ZU- wenigen Stunden wieder aus dem Schlaf aufschreckte. Ich blinzelte verschlafen; irgendwann schweifte mein Blick fast automatisch zu dem Funkwecker, der schräg gegenüber auf meinem Schreibtisch stand. 6 Uhr. Für einen Nicht-Kirchengänger am Sonntagmorgen definitiv zu früh. So drehte ich mich unwillig grummelnd um und zog mir die Decke über den Kopf, in der Hoffnung, in dieser neu gewonnenen Dunkelheit noch ein wenig Schlaf zu finden. Schon bald musste ich einsehen, dass meine Versuche vergebens blieben und bleiben würden und so entschloss ich mich, aufzustehen und mir auf andere Weise die Zeit zu vertreiben. Selbstverständlich begann dies mit all den alltäglichen Dingen, die man nun einmal morgens nach dem Aufstehen zu tun pflegte: Waschen, Anziehen, Frühstücken, Zähneputzen. Irgendetwas sagte mir da schon, dass dieser Tag nicht besonders erstrebenswert verlaufen würde... Es konnte doch nur ein Omen sein, dass mir im Badezimmer der Duschkopf schmerzhaft auf den kleinen Zeh fiel, ich mich gleich beim Frühstück an meinem Tee verbrannte und dann zu allem Überfluss auch noch mein Lieblings-T-Shirt mit Zahnpasta bekleckerte... Aber wie auch immer... Es gab weitaus Schlimmeres im Leben. Das, was hier geschah, bestand aus alltäglichen, kleineren Missgeschicken. Es war eben einer dieser unliebsamen Tage, an denen schon prinzipiell alles zusammenkam, was nur irgendwie schiefgehen konnte. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnte -ahnen konnte-, war der weitere Verlauf dieses verflixten Tages... Irgendwann im Laufe des Vormittags fiel mir etwas ein, was ich eigentlich schon seit Tagen vorhatte: Ich sollte mal wieder einkaufen gehen. Das, was mich nun erneut zu diesem Rückschluss verleitete, war nichts weiter als die gähnende Leere, die mir aus meinem Kühl- und Küchenschrank entgegen starrte, als ich jene beiden öffnete, in der Hoffnung, meinem Appetit auf einen kleinen Snack zwischendurch nachkommen zu können. Ich war heute zwar alles andere als von größerem Elan zum Einkaufen -ausgerechnet Einkaufen!- beseelt, aber mein Elan zum Verhungern hielt sich doch in weitaus engeren Grenzen, weswegen ich mich alsbald auf den Weg zur Kaufhalle in der Nähe machte; allerdings doch recht lustlos. Kein Wunder... Es gab kaum etwas Langweiligeres, als das, was ich nun wohl oder übel tun musste... Aber es half nichts. Langsam und ein wenig müde trugen mich meine Füße in Richtung meines Zieles. Wenigstens wirkte diese Stadt auf mich mittlerweile nicht mehr so öde und grau... Irgendwo, ganz tief in mir versteckt und noch nicht wirklich erkenntlich, spürte ich, dass die Antwort auf dieses eine, mein Rätsel in Wahrheit schon zum Greifen nah war. Das einzige Problem lag darin, den richtigen Zeitpunkt, die ideale Chance, nicht zu verpassen... Schon bald erreichte ich mein Ziel. Ich hatte Zeit. Ich konnte es mir leisten, mir Zeit zu lassen. Dementsprechend langsam ließ ich mich von meinen Beinen durch die, mit unzähligen Regalen und den logischerweise darin enthaltenen Waren jeder nur erdenklichen Art, zugestellten Gänge tragen. Als ich um eine weitere Ecke bog, um mich auf den Weg zur Kasse zu machen... ...blieb ich plötzlich abrupt mitten im Schritt stehen. Dort auf dem Gang der Getränkeabteilung... stand kein anderer als Axel. Was für ein Zufall! Diesen Mann, dem ich gestern zum ersten Mal und nie zuvor begegnet war, traf ich heute schon wieder. ‘Da könnte man fast schon an Schicksal glauben’, meinte ich scherzhaft in Gedanken zu mir selbst. Nur... Vielleicht würde sich ja noch herausstellen, dass diese Theorie gar nicht so abwegig war, wie ich es mir momentan selbst einredete. Erst einmal stand ich einfach nur da, sah ihn fast ununterbrochen an und überlegte, ob ich ihn ansprechen sollte oder nicht. Er selbst bemerkte mich nicht, war zu beschäftigt mit seinem eigenen Einkauf. Schließlich ging ich dann doch auf ihn zu. “Axel! Das ist ja eine Überraschung!”, begrüßte ich den Rothaarigen lächelnd. Ich lächelte eigentlich selten. Also schon wieder eine solche Merkwürdigkeit. Aber diesmal nahm ich sie nicht gleich bewusst wahr. Der Mann drehte den Kopf in meine Richtung und sah mich ebenso erstaunt an. “Roxas? Na sowas, Zufälle gibt’s!” Auch er schien eher positiv überrascht zu sein; zumindest meinte ich, dies in seinem Blick lesen zu können. “Ja, nicht?” Na toll... Ich war mal wieder so ein Trottel. Was brachte es mir denn auch, ihn anzusprechen, wenn ich danach sowieso nichts zu sagen wusste...? Ein wenig Verlegenheit breitete sich in mir aus. So sollte das eigentlich nicht laufen. Scheinbar hatte er mein leicht unwohles Gefühl durch meinen Blick erahnen können, denn Axel kam mir in meiner misslichen Lage zu Hilfe. “Und, was machst du so Schönes?” Es war nicht gerade die spannendste und noch weniger war es die sinnvollste Frage, die man jemandem in einem Supermarkt stellen konnte, aber es war immerhin ein gut gemeinter Versuch seinerseits, ein Gespräch aufzubauen. Dennoch konnte ich mir eine entsprechende Antwort nicht verkneifen. “Wir sind in einem Supermarkt. Und was glaubst du, werde ich wohl hier machen?”, stellte ich ihm die Gegenfrage. Aber... Ich schien mich wohl ein wenig im Ton vergriffen zu haben, denn für einen winzigen Augenblick huschte ein Funke Verletztheit über das Gesicht meines Gegenübers. Dennoch ließ er nicht zu, dass das Lächeln auf seinen Lippen verflog und erwiderte nur knapp: “Ach so. Natürlich... Wie dumm von mir.” Ich konnte trotz seiner Mühe, sie zu verbergen, Axel’s Gefühle ohne Probleme in seinen Augen erkennen und infolge dessen machten sich schon ein paar wenige Schulgefühle in mir breit. Ich sollte mich entschuldigen. So senkte ich nun fast ein wenig verlegen den Kopf. “Tut mir Leid.” Mehr nicht. Was auch? Axel sah mich einen Moment lang prüfend an. Es wirkte auf mich beinah so, als könne er mit meiner neuen Reaktion nichts anfangen. Letztendlich tat er es mit einem netten Lächeln ab, nickte kurz verzeihend und meinte dann: “Wie auch immer.” Er griff eine Flasche aus dem Regal. “Ich hab jetzt alles. Und du?” Ich nickte und bejahte einfach. -“Sehr schön. Dann können wir uns ja auf den Weg machen.” Wir? Eigentlich war es eine ganz normale, vollkommen harmlose Aussage, die wahrscheinlich schlicht und einfach dazu diente, diesem Kaufhallen-Aufenthalt ein Ende zu bereiten. Aber... Obwohl mir das völlig klar war, errötete ich ein wenig. “Wir”... Und vor allem... “Auf den Weg machen”... Auf den Weg WOHIN? Ich verwarf den Gedanken so schnell es mir nur möglich war; es war schließlich Schwachsinn. Dennoch konnte ich Axel nun nur mit einem schüchternen “Okay” antworten. Nachdem wir uns also in der Schlange an der Kasse die Füße platt gestanden und schließlich bezahlt und das Kaufhaus verlassen hatten, gingen wir gemeinsam ein Stück die Straße hinunter. Dabei lief Axel jedoch immer ein Stückweit vor mir. Wir sprachen über dieses und jenes, bis wir an dem Brunnen auf einem der größten Plätze der Stadt Halt machten. Auf meinen fragenden Blick hin erklärte Axel: “Ich hab’n bisschen Hunger. Willst du auch ein Eis?” Er zeigte mit der Hand, in der er nun sein Portmonee hielt, auf einen kleinen Laden auf der anderen Seite. “Ähm, ja, gerne. Wenn das kein Problem ist...”, erwiderte ich lächelnd. Was sollte das?! Jetzt ließ ich mich sogar schon von ihm einladen. Beim zweiten Treffen! “Ist es nicht. Also schön. Du wartest hier; ich bin gleich wieder da.” Bei den letzten Worten war er bereits (schon) auf dem Weg zu dem Stand. Ich tat, was er mir gesagt hatte; setzte mich auf den Brunnenrand und stütze den Kopf auf meine Handflächen, schloss die Augen und versuchte, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Es gelang mir nicht. Schon wieder blieb der Faden meiner Gedanken an Axel hängen und wand sich um ihn wie um eine Spindel. Ich konnte machen, was ich wollte. Es gelang mir einfach nicht, ihn abzuschütteln. So öffnete ich meine Augen wieder einen winzigen Spaltbreit und ließ meinen Blick langsam zu dem Rothaarigen schweifen, der etwa hundert Meter entfernt stand und für unser beider leibliches Wohl sein Geld los wurde. Und dabei empfand und dachte ich etwas, dessen ich mich ein paar Tage zuvor kaum selbst fähig gefunden hätte: Da war dieser tiefe Wunsch in mir, dass diese Freundschaft -sofern man nach zwei Begegnungen schon von einer solchen sprechen konnte, aber dem schien ja offenbar tatsächlich bereits so zu sein- für immer und ewig halten solle... Ich bemerkte selbst nicht, dass ich Axel tatsächlich minutenlang ununterbrochen so gedankenverloren und verträumt anstarrte... Bis er selbst mich aus meinen Gedanken riss. “Hey, Roxas! Nimmst du mir heut noch dein Eis ab oder willst du warten, bis du es vom Boden trinken kannst?”, fragte er scherzhaft. “Ah, n-nein! Sorry!”, schrak ich hoch und beeilte mich, ihm nun das für mich gedachte Eis aus der Hand zu nehmen. “Vielen Dank.” Ich sah ihn mit einem breiten Lächeln auf den Lippen an. ...das war SO untypisch für mich! Aber in diesem Moment war mir jener Aspekt irgendwie auch einfach egal. “Nichts zu danken!”, grinste mein Gegenüber fröhlich und ließ sich lässig neben mir nieder. Ich versuchte bereits seit einigen Minuten die Müdigkeit zu verdrängen, welche sich scheinbar unbedingt in mir breitmachen wollte, aber je länger wir hier saßen und uns die Zeit mit unserem Eis und mehr oder minder interessanten Gesprächsthemen vertrieben, desto schwächer wurde meine diesbezügliche Selbstbeherrschung. Allmählich musste ich regelrecht aufpassen, nicht einfach nach links wegzusacken. Das würde schließlich zwangsläufig dazu führen, dass ich Axel regelrecht in die Arme fiele... “Roxas?”, warf er meine Gedanken erneut durcheinander. Etwas verstört sah ich ihn an. “Hm?” - “Ist alles in Ordnung mit dir?” Ich war ein wenig verwirrt. War das, was ich ihm da gerade vom Gesichtsausdruck abzulesen glaubte, etwas tatsächlich... Sorge? Oder zumindest etwas Ähnliches? Was es auch war, ich verspürte plötzlich das Bedürfnis, ihn bezüglich meines Zustandes zu beruhigen. Also antwortete ich: “Ja, alles okay. Ich bin nur ein wenig müde.” Dabei rang ich mir ein entsprechendes Lächeln ab. Axel sah mich allerdings reichlich zweifelnd und alles andere als überzeugt an. “Ein wenig?”, fragte er, während er eine Augenbraue hochzog. “Du siehst eher aus, als würde es dir momentan absolut keine Schwierigkeiten bereiten, von jetzt auf gleich ins Land der Träume abzudriften.” Er deutete ein Grinsen an. “N-Nein, ich...” Was sollte ich sagen? Ihn anlügen wollte ich nicht. Aber... Würde ich ehrlich sein, die Wahrheit sagen... Es würde automatisch dazu führen, dass ich zugeben müsste, seinetwegen die halbe Nacht wachgelegen zu haben. Nein... Das konnte ich unmöglich tun! Also ging ich auf Nummer Sicher und flüchtete mich in ein -wahrscheinlich einfach schüchtern wirkendes- Schweigen. Ein Schweigen, welches Axel allerdings absolut nicht zufriedenstellte. Verständlicher Weise. Wie ich insgeheim bereits geahnt hatte, dauerte es nicht lange, bis er durch ein weiteres Nachhaken die Stille brach. “Bist du sicher?” Langsam sah ich auf und blickte mein Gegenüber ein wenig verklärt an. “Sicher? ...Worin?” - “Dass du nicht schlafen musst. Dass du wach genug bist, um es auch zu bleiben”, erklärte er mit einem leicht amüsiert anmutenden Grinsen. Dieser Blick verunsicherte mich eher noch mehr, als mir auf die Sprünge zu helfen. Ich verspürte plötzlich den Drang, der Bedeutung dieses Blickes auf den Grund zu gehen, die Ursache zu erkennen, den Grund zu verstehen... Stopp! Was war nur los mit mir?! Wieso machte ich mir nur so viele Gedanken? Anscheinend hatte Axel gemerkt, dass mit mir im Augenblick kein ordentliches Gespräch anzufangen beziehungsweise weiterzuführen war... Denn obwohl ich gedankenverloren erneut keine Antwort gab, sagte er nichts mehr, sondern wartete geduldig, bis mein Kopf nun doch auf seine Schulter sank und meine Augen vor Erschöpfung zufielen. Und mein Unterbewusstsein säuselte mir erneut die altbekannten Wünsche ins Ohr... Kapitel 3: Falle ---------------- Als ich aufwachte, wusste ich nicht mehr, wie lang ich geschlafen hatte. Allerdings musste es wirklich sehr lange gewesen sein, denn es war bereits stockfinster und aus der Stille auf den Straßen und den zum größten Teil bereits abgedunkelten Fenstern schloss ich, dass es wohl scheinbar auch mitten in der Nacht war. Die Realisierung all dieser Aspekte hatte nur einige wenige Sekunden gedauert... Bis ich mit meinem bisher schweifenden Blick abrupt innehielt. Unterbewusst hatte ich dieses Gewicht, welches meine linke Schulter im Moment ein wenig belastete, schon die ganze Zeit gespürt, aber ich bekam es jetzt erst richtig mit. Ich sah in die entsprechende Richtung und stellte fest, dass es sich beim Urheber dieser Belastung um... Axels Kopf handelte. Sofort errötete ich ein wenig; zu ungewohnt war mir eine derartige Berührung. Jetzt hatte ich ein Problem. Ihn aufwecken wollte ich nicht; er musste schließlich wirklich sehr erschöpft sein, wenn er sogar in einer solchen Haltung so ruhig schlafen konnte und diese Erholung wollte ich ihm einfach nicht nehmen. Auf der anderen Seite hätte ich es allerdings selbst nötig gehabt, meinen abgebrochenen Schlaf weiterzuführen, was mir angesichts der momentan vorherrschenden Umstände wohl eher schwer fallen würde. Ich versuchte es dennoch, indem ich meinen Kopf vorsichtig auf den Axel’s bettete; natürlich wohlbedacht darauf, ihn nicht aufzuwecken. Obgleich es ja irgendwie schon der Wahrheit entsprach, war ich nicht besonders erpicht darauf, dass er mitbekam, dass ich mich in seiner Nähe -in dieser Nähe- so sicher und vielleicht sogar schon fast geborgen fühlte, wie schon seit viel zu langer Zeit nicht mehr... Als ich nun also meinen Kopf auf den seinen legte, war ich sogleich ein wenig erstaunt, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich diese optisch so hart und spitz wirkende Frisur Axel’s tatsächlich so weich, ja beinah samtig, anfühlen könnte. Ein wahrlich... angenehmes Gefühl. So schloss ich alsbald meine Augen und versuchte, einzuschlafen. Nach einiger Zeit gelang es mir auch - wobei ich allerdings anfangs recht lange lediglich in einer Art Dämmerzustand trieb, weil meine Seele sich partout nicht zwischen Aufregung und Ruhe entscheiden wollte. Ich wusste nicht, wie, aber schließlich schaffte ich es doch, einfach abzuschalten und mich gänzlich im Land der Träume einzurichten. Am nächsten Morgen wachte ich mit einem unangenehm ziehenden Schmerz im Nacken auf. ‘Nicht schon wieder...’, dachte ich nur müde. Ich war es ja eigentlich schon gewöhnt, mir im Schlaf den Hals zu verrenken - wenn ich keine etwas erhöhte Unterlage für meinen Kopf zur Verfügung... hatte...? Moment... War ich nicht eigentlich angelehnt an Axel eingeschlafen?! Wieso lag ich jetzt einsam und verlassen mit verrenktem Hals hier, mitten in der Stadt, keine Menschenseele weit und breit? Ich setzte mich langsam auf und drehte meinen Kopf unter zusammengebissenen Zähnen erst zur einen, dann zur anderen Seite, um die Schmerzen, die mein Gedächtnis ein klein wenig vernebeln wollten, womöglich zumindest teilweise loszuwerden und, falls das schon nicht gelang, mir wenigstens einen Überblick über die momentanen Gegebenheiten zu verschaffen. Diese bestanden unter anderem in der, auch nach näherer Betrachtung unverändert bleibenden, Tatsache, dass ich Axel nirgends entdecken konnte; er war also wie vom Erdboden verschluckt und hatte anscheinend auch kein Interesse daran, diesen Zustand in nächster Zeit zu ändern. Schließlich erhob ich mich mit einem leisen Seufzer und begann, mir meinen Weg durch die schmalen Straßen dieser Stadt zu bahnen. Als ich schon auf halbem Wege zu mir nach Hause war, begann ich allmählich, meine Schritte etwas zu beschleunigen. Das lag mitunter an dem leisen Grummeln, mit dem mich mein Magen auf jene gewisse Leere aufmerksam zu machen versuchte, die ja immer zwangsläufig von mangelnder Nahrungsaufnahme herzurühren pflegte. Angetrieben von diesem Hungergefühl erhöhte ich mein Tempo noch ein wenig und setzte meinen Weg nun unter Ausnutzung diverser Abkürzungen fort. Verhältnismäßig wenige Minuten später kam ich zu Hause an. Ich beeilte mich, die relativ kleine Wohnung zu betreten, legte schnell meine Straßenkleidung ab und ging in die Küche. Aus dem dort befindlichen Schrank griff ich mir eines der darin gestapelten Fertiggerichte, welches direkt im Anschluss seinen Weg in die Mikrowelle fand. Es sollte nur fünf Minuten dauern... Diese Zeit wollte ich nutzen, um einmal kurz ins Wohnzimmer zu gehen. Dort wollte ich nachsehen, ob mich vielleicht jemand zu erreichen versucht hatte... Wobei ich allerdings gar nicht erst die Naivität aufbrachte, diese Möglichkeit wirklich ernsthaft in Betracht zu ziehen. Denn die Leitung meines Telefons vegetierte schon lange ebenso einsam vor sich hin, wie es auch diese gesamte Wohngegend draußen tat. Nun betrat ich also den größten Raum dieses meines Heims und ließ meinen Blick erst einmal stehen bleibend ein wenig schweifen. So leer... Obwohl dieses Zimmer recht spärlich und trist eingerichtet und gestaltet war -die einzigen Möbel waren ein gleichermaßen zu klein und zu groß wirkender Tisch in der Mitte, drei Stühle drumherum, eine winzige Sitzecke und gegenüber des etwas kleinen Fensters eine alte Schrankwand, welche den Fernseher enthielt-, war es mir bisher doch immer gemütlich genug erschienen. Jedoch war dem momentan aus einem scheinbar unerfindlichen Grunde nicht mehr so... Aufgrund der wirklich wenigen Möbel wirkte dieser Raum generell fast doppelt so groß wie er wirklich war - doch verdoppelte sich durch jenen Schein auch gleichzeitig die vorherrschende Leere, die nun auf einmal mit ihren kalten Händen nach meiner Seele zu greifen suchte, um mich in ein gnadenloses Einsamkeitsgefühl zu ziehen... HALT! Ruckartig schüttelte ich den Kopf, um diese düsteren Gedanken loszuwerden. Was war nur schon wieder los mit mir?! Wieso konnte ich denn nicht einfach das erledigen, was ich vorhatte und dann zur nächsten Tätigkeit schreiten? Immer machte ich mir alles ganz automatisch viel schwerer, als es eigentlich war... Mit einem Seufzer verwarf ich auch diesen Gedanken und machte mich auf in eine andere Ecke des Raumes; genau genommen logischerweise in jene, in der sich mein Ziel -das Telefon- befand. Als ebenjenes in meine Sichtweite kam, staunte ich nicht schlecht. Da blinkte doch tatsächlich das kleine Lämpchen des Anrufbeantworters fröhlich vor sich hin! Gleichermaßen freudig und aufgeregt vollendete ich meinen Weg und drückte in gespannter Erwartung auf den Knopf, welcher zur Zeit das einzige war, was dieses ekelhafte Abgeschiedenheitsgefühl in meinem Körper zu zerschlagen vermochte. Wer sollte sich wohl die Mühe machen, mich -ausgerechnet MICH!- anzurufen? Als nun die Stimme eines erwachsenen Mannes ertönte, wusste ich im ersten Moment nichts damit anzufangen, da ich sie schlichtweg nicht zuordnen konnte. Doch nachdem ich der Nachricht eine Weile gelauscht hatte - die Stimmt fragte mich, ob ich Lust und Zeit hätte, in einer Stunde zu dem beliebtesten Treffpunkt der Stadt, einem kleinen Berg, der schon eher nur einem Hügel glich, zu kommen - erkannte ich den Sprecher allein an der Art, wie er sich ausdrückte. Zum Glück wurde mir auf dem Display seine Nummer angezeigt, sodass ich ihn sofort zurückrufen könnte. Diesen Drang verspürte ich durchaus, da mir die Nachricht doch ein paar Fragen aufgeworfen hatte. Wieso kannte er meine Nummer? Was war der Grund für seine Frage nach einem Treffen? Und vor allem: Hatte dieser Wunsch eine tiefliegendere Bedeutung? Die beiden ersten Fragen stellte ich wenige Minuten später in den Telefonhörer. Die letztere hatte ich so schnell verworfen, wie sie mir aufgekommen war: SO durfte ich gar nicht erst zu denken beginnen! Also lieber kein Wort darüber verlieren. “Also gut, Axel”, beendete ich kurz darauf das Gespräch. “Dann sehen wir uns also später. Bis dann.” Nachdem ich noch ein paar Sekunden dem trostlosen “Aufgelegt”-Tuten am anderen Ende der Leitung gelauscht hatte, nahm ich den Hörer vom Ohr und blickte ihn noch eine winzige weitere zeitlang beinah schon sehnsüchtig an...; nur, um ihn im nächsten Moment reichlich unsanft auf das festgekabelte Gegenstück zu schlagen. Es sollte aufhören! Nein... ICH sollte aufhören. Aufhören, meiner Seele die Überhand zu lassen. Aufhören, mit meinen Gedanken langsam, verschwommen, aber dennoch von meinem Verstand bemerkt in derartige Richtungen zu driften... Es war doch ohnehin Quatsch. Trotz allem stand ich rund eine Stunde später am von uns (bzw. eigentlich eher nur von Axel) vereinbarten Treffpunkt und wartete auf den Rothaarigen. Dieser verspätete sich tatsächlich um einige Minuten. Toll... “Dabei war es doch sogar seine Idee...”, murmelte ich ein wenig genervt. Ich hätte zu Hause wirklich genug andere Dinge zu erledigen gehabt - stattdessen vergeudete ich hier nun meine kostbare Zeit mit Warten... Ich hatte vorangegangene Worte kaum zu Ende gedacht, als mich plötzlich ein unerwarteter Schreck zusammenfahren ließ. Dieser rührte von den zwei schwarz behandschuhten Händen her, welche auf einmal von hinten nach meinen Schultern gegriffen hatten. Blitzschnell drehte ich mich um. Das Ergebnis dieser Aktion war, dass mir ein schmales, grinsendes Gesicht mit grünen Augen entgegen schaute. “Axel! Da bist du ja endlich!”, stellte ich mit ein wenig verhaltener Begeisterung fest und fügte dann leise, mit fast schon beiläufig klingender Betonung hinzu: “Ich hatte nicht vor, den Rest des Tages hier rumzustehen.” Axel’s Grinsen verlor bei diesen Worten zwar ein Minimum seiner Breite, dachte aber gar nicht daran, von seinem Gesicht zu verschwinden. Er erwiderte, als hätte er meine letzte Bemerkung gar nicht mitbekommen: “Klar bin ich hier. Wo sollte ich auch sonst sein?” Bei der Art, wie er gerade mit mir redete, hätte mich ein unterstreichendes Augenzwinkern seinerseits absolut nicht gewundert. Aber dieses blieb logischerweise aus. Stattdessen wandelte sich sein freches Grinsen in ein rücksichtsvolles Lächeln. “Wartest du schon lange?”, erkundigte sich mein Gegenüber nun. Seine Stimmlage verriet mir, dass er sich ehrlich darum sorgte, also schenkte nun auch ich ihm ein -wenn auch zurückhaltendes- Lächeln und erwiderte: ”Nein, es geht schon.” Dann kam ich auch schon auf meine Frage zu sprechen. “Und nun? Hattest du... was bestimmtes vor?” Es war nichts Schlimmes. Nein, es war ganz bestimmt nichts Schlimmes. Dennoch war ich ein wenig angespannt, was meinem Gesprächspartner trotz jeglicher Mühe leider nicht so verborgen blieb, wie es vielleicht gut war. “Hey, was hast du denn auf einmal? Alles in Ordnung?” Keine Ahnung, ob für mich eine gewisse Anspannung einfach schon zu natürlich geworden war... Auf jeden Fall wusste ich irgendwie gar nichts mit seinem Nachfragen anzufangen. “Hm? Klar!”, erwiderte ich deshalb nur knapp. Aber irgendwie wollte ich es dann doch ein wenig genauer wissen. Also hakte ich einfach nochmal nach. “Warum fragst du?” Er zog für einen winzigen, unauffälligen Moment die Augenbrauen hoch, meinte dann aber nur: “Ach, nicht so wichtig. Hab mir wohl nur was eingebildet. Vergiss es einfach.” Sein letzter Satz wurde von einer wegwerfenden Handbewegung begleitet, die mir deutlich machte, dass ein weiteres Nachhaken eh keinen Sinn haben würde. Also beließ ich es eben dabei. “Okay”, begann ich schließlich, um uns aus dieser einigermaßen bedrückten Stimmung herauszubringen. “Was jetzt? Du hast mich doch wohl kaum ohne Grund hierher bestellt, oder?”, wollte ich jetzt wirklich allmählich seinen Hintergedanken wissen. “Das nicht”, erwiderte Axel. “Aber es ist keine allzu große Sache. Ich dachte mir nur, dass du dich vielleicht freuen würdest, wenn ich dir einen Auslöser liefern würde, einmal einen abwechslungsreicheren Tag zu erleben.” Als er meinen zweifelnden, erstaunten Blick bemerkte, erklärte er seine Worte näher: “Wenn du nicht den ganzen Tag allein zu Hause hocken musst. Das wird doch auf Dauer sicher langweilig.” - “Na ja, eigentlich nicht wirklich”, meinte ich, hätte mich aber sogleich aufgrund meiner eigenen Aussage selbst ohrfeigen können, da sie natürlich einfach nur Blödsinn war. Nun war Axel daran, mir zweifelnde Blicke zuzuwerfen. “Findest du?” - “Zweifelst du?”, konterte ich, rang mir sogar einmal ein angedeutetes Lächeln ab, was mein Gegenüber sogleich mit unverhohlen erfreutem Blick erwiderte. “Nö, ich kann mir nur nicht so richtig vorstellen, was an einem einsamen Tagesablauf so besonders aufregend sein soll... Besonders, wenn er sich ständig wiederholt.” An der Art, wie er das eben sagte, meinte ich erkennen zu können, dass er mit derartigen Lebensabschnitten bereits selbst Erfahrungen gemacht haben musste. Dennoch... Wie kam er darauf, so einfach von sich auf andere zu schließen? Ich stieß einen kurzen, womöglich etwas angenervt wirkenden Seufzer aus und meinte schließlich zu dem Rothaarigen: “Axel... Komm doch einfach mal zum Punkt. Wieso dieses Treffen? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass es einfach so eine aus-Spaß-an-der-Freude-Aktion war!” Zu diesen Worten sah ich ihn eindringlich an; wobei ich mir allerdings meine eigene Skepsis momentan nicht zu erklären vermochte. ...mögliche Hintergedanken dieses Mannes waren doch wohl nicht etwa irgendwelche verborgenen Wunschträume von mir... oder etwa doch?! Wahrscheinlich hätte ich noch viel länger darüber gegrübelt, doch ich hatte einem Gesprächspartner eine Frage gestellt und so riss mich ebenjener nun sofort durch Beantwortung dieser aus meinen Gedanken. Er legte -mal wieder- einen grinsenden Blick auf, in dem so eine gewisse... ja, beinah Verdächtigung lag. “Und wenn?” - “Wie jetzt?” - “Wenn es nur aus ‘Spaß an der Freude’ wäre...” - “...was es nach der Art der Reaktion schon mal nicht ist...” - “...würde das irgendetwas Besonderes zur Folge haben?”, beendete Axel, unbeirrt meines Reinredens, seine Frage. Ich kam zu dem Schluss, dass der Rothaarige eindeutig zu neugierig war. Zudem ließ ich erst ein paar Sekunden der Überlegung verstreichen, bevor ich ihm schulterzuckend, aber mit einem neckischen Grinsen versehen, meine Antwort gab; welche für ihn so wenig aufschlussreich wie möglich sein sollte: “Tja - Wer weiß?” - “War das ein ‘Ja’?”, wollte Axel sofort wissen. “Such’s dir aus”, erwiderte ich trocken. Letzteres gelang mir aber wohl nur, weil ich während diesem fast verhörähnlichen Gespräch seinen Blicken geradezu meisterhaft auswich. Es war Axel anzusehen, dass er diese Tatsache nicht so einfach auf sich sitzen lassen wollte. In diesen Momenten wirkten seine so klaren, grünen Augen beinahe durchbohrend und es fiel mir trotz allen Mühen schwer, diesem Blick länger standzuhalten. Ein kurzes Schweigen verging zwischen uns, dann meinte Axel in beschwörendem Ton: “Bist du dir da sicher?” - “Wieso sollte ich mir da nicht sicher sein?” Mir ging diese ewige Fragerei allmählich wirklich auf die Nerven. Was sollte das?! ...Hatte er vielleicht etwas bemerkt, was selbst ich in diesem Moment noch nicht einmal (oder bestenfalls unterbewusst) auch nur ahnte? Wollte er mich mit diesem fastr schon anstrengenden Gespräch etwa auf die Probe stellen? All diese Gedanken liefen in mir wie das Band eines Filmes in Sekundenschnelle ab und riefen in mir nun doch eine vage Vorahnung wach... Diese wirkte jedoch auf meinen Verstand so grotesk, dass ich sie gar nicht erst weit genug vordringen ließ, um meine nächste Antwort zu beeinflussen. “Klar bin ich mir sicher.” Trocken. Trocken wie die Winde der Sahara wollte ich diese Antwort klingen lassen. Ich fand eigentlich, dass mir das auch recht gut gelungen war. Wahrscheinlich war mein Fehler einfach der gewesen, dass ich nun doch auf seine provokanten Blicke eingegangen war und ihm direkt in die Augen gesehen hatte. Wie war das noch? - “Die Augen sind der Spiegel der Seele”? Das schien ja nun doch der Wahrheit zu entsprechen, denn das scheinbar immer währende Grinsen Axel’s verbreiterte sich noch einmal mehr und schließlich antwortete er: “Okay... Dann entscheide ich mich einfach für die Variante...” Er sah mich durchdringend an. Wie ich diese Spannungspausen mittlerweile hasste! Mein rothaariges Gegenüber ließ mich zappeln wie einen Fisch am Haken und hatte ganz offensichtlich auch noch Spaß dabei! “...dass es nichts zur Sache täte, völlig egal wäre und nichts Besonderes zur Folge hätte”, schloss Axel nun endlich die Ausführungen, die er so in die Länge gezogen hatte. Ein sanftes, erleichtertes Lächeln bildete sich nun auf meinen Lippen. Dies lag allerdings deutlich weniger daran, dass ich auf diese seine Antwort gehofft hatte als an der Tatsache, dass ein verräterisches Funkeln seinen Augen seine soeben ausgesprochenen Worte Lügen strafte. So erwiderte ich nun lediglich lächelnd: “Na, dann ist es ja gut.” Jetzt drehte ich ihm den Rücken zu und fragte -unübersehbar ein winziges Bisschen verträumt-: “Wie wär’s...? Wollen wir ein wenig Spazieren gehen? Es soll doch schließlich ein ‘abwechslungsreicher Tag’ werden, nicht wahr?” - “Ja... Das soll es”, meinte Axel. Seine Stimme hatte in diesem Moment, ähnlich einer seltsamen Verbindung, einen meiner beinah identisch klingenden Tonfall inne. Aber ich redete mir lieber schnell ein, dass auch dessen besondere Bedeutung wohl nichts anderes als Einbildung sein musste; wie sollte es auch anders sein? Schließlich machten wir uns auf den Weg- selbstverständlich, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Wir plauderten, sahen uns hier und da einige Schaufenster an und machten einmal eine kleine Pause, um etwas zu trinken. Als die Sonne bereits ein gutes Stück tiefer stand, als zu Beginn unseres Ausfluges, kamen wir an der alten, gotischen Kirche vorbei. Ich wusste nicht, woran es lag, aber ich fühlte mich schon lange von diesem imposanten Bauwerk angezogen. Die Ursache dessen musste wohl in meiner vergessenen Vergangenheit liegen... Jetzt jedenfalls fiel der Blick meiner Begleitung auf die große Turmuhr. “Meinst du, das alte Ding geht richtig?”, fragte er nun etwas unsicher. “Klar”, erwiderte ich wie aus der Pistole geschossen, “Kirchturmuhren gehen immer richtig!” - “Das is’n Problem...”, murmelte der Rotschopf nun leise. Auf meinen verständnislosen Blick hin erklärte er seine Reaktion: “Ich hab’ völlig vergessen, dass ich dir noch was zeigen wollte... Wie lange brauchen wir ‘runter’?” Mit ‘runter’ meinte jeder in dieser höher gelegenen Stadt den Weg zum Strand, welcher sich im Nordwesten erstreckte und an sonnigen Tagen eine strahlend weiße Grenze zwischen Land und Meer bildete. Ich antwortete: “Keine Ahnung. Aber ich denke, wenn wir gut sind, schaffen wir’s vielleicht in zwanzig Minuten...” Axel grinste nun zufrieden. “Sehr schön, das reicht.” Mich noch im Unklaren lassend, packte er nun prompt meine Hand und zog mich mit sich in Richtung Nordwesten. Er hatte es offenbar wirklich eilig, sodass ich anfangs Mühe hatte, in den schnellen Rhythmus seiner Schritte einzusetzen. Erschwerend nutzte er nun auch noch einige Abkürzungen und Schleichwege, von denen ich nicht einmal im Traum gedacht hätte, dass sie je als solche geeignet wären. “Axel? Wieso hetzt du denn so? Was willst du mir dort ‘unten’ denn so Wichtiges zeigen?”, fragte ich ihn ungeduldig, als wir schon circa die Hälfte der Strecke hinter uns hatten. Ich war doch tatsächlich etwas außer Atem. Hatte der Rothaarige etwa vergessen, dass meine Beine ein gutes Stück kürzer als seine eigenen waren?! Er erwiderte jedoch nur wieder auf seine typisch geheimnisvolle Art: “Das wirst du dann schon sehen.” Nach einer kurzen Pause des Sprechens -den Weg setzten wir unermüdlich fort- fragte er mich unvermittelt: “Kennst du eigentlich das Café ‘unten’?” Fragend sah ich auf. “Café? Nein, keine Ahnung... Du musst wissen, ich war schon ziemlich lange nicht mehr dort.” - “Hff...”, machte Axel nur. Für ihn stellte diese meine Antwort wahrscheinlich einzig ein weiteres Indiz für meinen langweiligen Alltag dar; schließlich galt der Strand als eines der beliebtesten Ausflugsziele der Gegend und jeder typische Städter war, so hieß es zumindest, mindestens dreimal im Jahr dort ‘unten’. Dass dies nicht auf mich zutraf, bewies nur einmal mehr, dass ich mich in einiger Hinsicht eben recht deutlich von den anderen Bürgern unterschied - worüber ich im Übrigen alles andere als traurig war. Axel konnte es sich nun jedenfalls doch nicht verkneifen, ein “Merkt man” an seine sonst reichlich wortkarge Antwort anzuhängen. Außerdem erklärte er: “Das Café gibt es schon mindestens ein halbes Jahr lang. Der Bau begann natürlich noch viel früher... Jetzt sag bloß noch, dass du nicht mal davon was mitbekommen hast!” - “Ehrlich gesagt... Nein!”, musste ich etwas verlegen gestehen. Diese zugegebene Weltfremdheit meinerseits musste Axel wohl wahrlich ungewöhnlich vorkommen. “Nicht mal das...”, wiederholte er grübelnd. “Na ja, was soll’s! Dann wurd’s ja echt Zeit, dass du mich getroffen hast!” Er zeigte triumphierend auf sich selbst und grinste dabei über beide Ohren. “Ja”, lächelte ich nur, da ich einfach nicht wusste, wie ich mit anderen Menschen -und dann auch noch ausgerechnet mit derart heiteren- umgehen sollte. Mein Begleiter, der bisher immer einige Schritte vor mir gelaufen war, kam nun zu mir, legte mir einen Arm um die Schulter und zeigte mit dem anderen in Richtung Strand, welcher nun wenigstens schon mal in Sichtweite gekommen war. “Jetzt werd ich dir gleich beweisen, dass du in all der Zeit echt was verpasst hast!” Diese Euphorie, die er ausstrahlte, faszinierte mich regelrecht. Es entsprach der blanken Wahrheit, dass ich seit mehr als einem Jahr nicht mehr ‘unten’ gewesen war... Das war jedoch auch mehr als logisch: Ich hatte einfach nie einen Grund gesehen, diesen Weg zurückzulegen, nur, um die paar Minuten dort mit Nichtstun zu verbringen (was ich zu Hause schließlich genauso gut konnte und auch tat) und schließlich den ganzen Weg, der einem obendrein rückzu viel länger vorzukommen pflegte, wieder zurückzugehen. Schlicht und ergreifend hätte man auch sagen können: Ich war einfach zu faul gewesen. JETZT hatte ich einen Grund: Ein Mann, der Axel hieß, mindestens einen anderthalben Kopf größer war als ich, gerade neben mir lief und sich zur Zeit allergrößte Mühe zu geben schien, dieser tristen Einöde, die sich mein ”Leben” schimpfte, wieder einen Sinn und Freude einzuhauchen; ein Angebot, welches meine Seele durchaus dankend annehmen wollte. Den Rest des Weges brachten wir schweigend hinter uns, was mich trotz meiner immer größer werdenden Neugierde auf Axels Vorhaben kaum störte; denn auf diese Weise konnte ich mich voll auf die halbe Umarmung konzentrieren und jene einfach ungestört genießen - ganz egal, wie viele Alarmglocken mein Verstand in diesem Moment klingeln ließ. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es erst der Anfang eines vielleicht kurzem, aber sehr schönen Abends sein sollte... Als wir an unserem Ziel ankamen, richtete Axel seinen Blick kurz prüfend zum Himmel, an dem noch immer die mittlerweile in hellem Orange leuchtende Sonne stand, bevor er zufrieden nickte. “Wunderbar. Wir sind also noch rechtzeitig”, atmete er merklich erleichtert auf - diesmal, ohne meinem fragenden Blick auch nur Beachtung zu schenken. Stattdessen fügte er hinzu: “So gut, wie wir in der Zeit liegen, schaffen wir es sogar noch, uns ein Eis zu holen. Was hälst du davon?” - “Klingt gut.” So betraten wir also das mir vorher unbekannte Gebäude. Es war ein wirklich beeindruckendes Café, dem man seinen guten Ruf bereits an der Fassade lückenlos ansehen konnte. Terrasse und Haus waren auf im Sand und Wasser stehenden, massiven Holzpfeilern errichtet worden. Überhaupt war nahezu alles aus edlem Holz gefertigt, von den Grundmauern bis hin zu diversen exotisch anmutenden Verzierungen der Dach- und Fensterrahmen. “Wow”, entfuhr es mir staunend, “da hat sich jemand echt ‘ne ganze Menge Arbeit gemacht.” - “Mit Sicherheit”, pflichtete mir Axel bei, “aber es hat sich eindeutig gelohnt.” Darauf konnte ich nur ein knappes Nicken erwidern, denn seine Worte hatten mir alles abgenommen, was ich ursprünglich noch dazu hatte sagen wollen. Der Rothaarige begab sich nun zum Eisstand des Cafés. Ich wartete in geringer Entfernung, um schon mal einen freien Tisch auszusuchen. Ich war mir sicher, dass er vorhaben musste, sich mit mir hier niederzulassen... Umso erstaunter und verwirrter war ich, als er mit 2x Meersalzeis am Stiel zurückkam, was für mich zwangsläufig bedeutete, dass er eben nicht hier bleiben wollte. Er überreichte mir mein Eis, woraufhin ich ihn etwas enttäuscht ansah und fragte: “Willst du etwa schon wieder gehen?” Wie immer sah er mir meine Gefühlslage treffsicher an. “Keine Sorge”, sagte er und strich mir beschwichtigend über den Kopf. “Wir gehen noch nicht zurück in die Stadt. Wir verlassen nur diesen Ort. Hier im Café ist es mir einfach zu laut für diese Uhrzeit und vor allem für diese ursprüngliche Umgebung...” Bei diesen Worten schaute er aus den großen Panoramafenstern und wurde sogleich wieder etwas eiliger. “Was hast du denn auf einmal wieder?”, wollte ich wissen. “Komm mit, dann verstehst du’s!”, meinte Axel kurz angebunden und wollte sich sofort wieder auf den Weg machen und mir bedeuten, ihm zu folgen. Nach wenigen Metern überlegte er sich die Sache mit dem spontanen Aufbruch jedoch noch einmal anders, machte auf dem Absatz kehrt und bat mich um etwas, was mich endgültig verwirrte. “Würde es dir was ausmachen, die Augen zu schließen und sie am Besten noch mit den Händen zuzudecken?” Er lächelte wieder so geheimnisvoll. “Wieso das denn jetzt?”, fragte ich skeptisch nach. “Weil du mir vertrauen kannst...”, erwiderte Axel leise und gab mir zu verstehen, dass er keine weitere Widerrede dulden würde. Also tat ich einfach, was er verlangte, und ließ mich von ihm aus dem Café führen. ‘Das Café war also nicht sein eigentliches Ziel...’, dachte ich, während ich diesmal wirklich aufpassen musste, nicht zu stolpern; ich konnte ja nun den Weg, der vor mir lag, nicht mehr sehen. Nun hatte der Mann mit den grünen Augen endgültig meine Neugierde für sich gewonnen. Als ich irgendwann viel später erfuhr, um was für einen Weg es sich gehandelt hatte, konnte ich mir beim besten Willen nicht mehr erklären, wie Axel es geschafft hatte, mich heil und unversehrt zum eigentlichen Ausflugsziel zu lotsen... Der neue Weg führte uns von der Terrasse hinunter und ein ganzes Stück den Strand auf der rechten Seite entlang, wobei wir uns immer mehr von dem Bauwerk entfernten. Mein Laufen wurde dadurch erschwert, dass wir offenbar einige von großen Steinen gespickte Abschnitte des Strandes passierten. Als wäre es nicht so schon schwierig genug, auch nur auf SAND voranzukommen! Besonders, da sich an Axels Geschwindigkeit nur sehr wenig geändert hatte. “Wo gehen wir denn nun eigentlich hin?”, drängelte ich. Aus Axels weiterem Schweigen schloss ich, dass wir wohl fast da sein mussten. Eine richtige Vermutung, wie sich kurz darauf herausstellte. Etwas stutzig wurde ich nur noch ein letztes Mal, als Axel mich fragte, ob ich mit geschlossenen Augen klettern könne... “Klettern?!”, fragte ich ein wenig schockiert. “Wie soll...” Axel ließ mich meine Zweifel gar nicht erst zu Ende aussprechen. “Hab schon verstanden”, erklärte er noch und kletterte voraus, was ich an den Geräuschen seiner Schuhe ausmachen konnte. Dann packte er mich fest unter den Armen, die noch immer meinem Blickfeld zur Unkenntlichkeit verhalfen und zog mich neben sich auf den Felsen. “Huch!”, machte ich erschrocken, doch ehe ich mich versah, saß ich auch schon neben Axel auf dem harten Untergrund. “Perfekt!”, stellte der Mann mit der feurigen Frisur mehr als zufrieden fest. Und mit seinen nächsten Worten erlöste er mich endlich aus meiner Ungewissheit. “JETZT kannst du die Augen öffnen! ... Sieh dir an, was ich dir zeigen wollte.” Sein Lächeln bei dieser Aufforderung konnte man nahezu hören. Ich tat nun also, was er von mir verlangte... und wusste bei dem Anblick, welcher sich mir bot, zuerst gar nichts zu sagen. Viele Sekunden ließ ich schweigend, aber mit vor Erstaunen geöffnetem Mund, verstreichen, bevor Axel mich durch die Stille, welche bisher nur vom Rauschen des Meeres ansatzweise verdrängt worden war, hindurch ansprach. “Na? Was sagst du? ... Oder hat es dir endgültig die Sprache verschlagen?” Weiterhin grinste er zufrieden. Wobei... Jetzt war es doch eher einem verträumten Lächeln gewichen. Noch ein paar wenige Sekunden vergingen, bis ich endlich überhaupt einen Ton herausbrachte. “Wahnsinn... Das... Das ist wunderschön”, sagte ich leise und andächtig und war dabei gar nicht imstande, meinen Blick abzuwenden. “Freut mich”, erwiderte Axel. “Dacht’ ich mir doch, dass dir das gefallen würde.” Ich nickte. “Damit hattest du absolut Recht.” Dann musste ich ein wenig kichern. “Ich muss ja wirklich reichlich durchschaubar sein.” - “Na ja, ein Bisschen schon”, erklärte Axel. Es hörte sich bei ihm fast wie ein kleines Geständnis an. Er fügte hinzu: “Aber keine Sorge: Es hält sich durchaus noch in gesunden Grenzen.” ‘Ja... Noch...’, dachte ich, denn mich beschlich schon wieder dieses seltsame Gefühl. Doch erneut schüttelte ich es ab, weil es mich auf irgendeine unerklärliche Art und Weise bedrückte und damit die angenehme Stimmung zu zerstören drohte. Ich sah nun noch einmal den neben mir sitzenden an und lächelte. “Vielen Dank, dass du mir das gezeigt hast. Allein hätte ich es niemals...” Axel entging nicht, dass sich in diesem Moment eine gewisse Traurigkeit in mein Lächeln und meine Stimme schlich. Also unterbrach er mich sanft, um mir ein weiteres Stimmungstief, zumindest für diesen Abend, zu ersparen. Als ich meinen Satz gerade beenden wollte, lächelte er mich an, legte mir vorsichtig, aber entschlossen, einen Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete mir dadurch ebenso wie durch das kaum hörbare “Ssshhht”, dass ich diese Gedanken ruhen lassen, einfach still sein und mich auf den jetzigen Moment konzentrieren solle. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und richtete meinen Blick wieder auf die sanften Bewegungen des Meeres, welche das schwächer werdende Licht schimmernd reflektierten und hier und da von einer Böe verstärkt wurden. In diesen Momenten peitschten höhere Wellen wild gegen die Brandungsfelsen, als würden sie versuchen, ein rüdes Spiel mit diesen zu spielen und dabei ihre Kräfte noch gewaltig überschätzen. Einer dieser großen Felsen war es auch, auf dem Axel und ich uns niedergelassen hatten. Ein Fels in der Brandung, standhaft und fest. Genau so, wie ich Axels Charakter einschätzte. Meine Menschenkenntnis war jedoch noch lange nicht gut genug, um alle Facetten seiner Person zu erkennen. Das sollte ich noch früh genug feststellen... Das, was Axel mir in diesen Augenblicken zeigte, war wirklich das Schönste, was ich je in meinem Leben gesehen hatte: Ein rosaroter Sonnenuntergang, im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Meer; schließlich befand sich unser Logenplatz zwar noch in sicherer Nähe zum Strand, aber dennoch ebenso weit im Wasser. Es war ein durch und durch traumhafter Anblick in dieser wundervollen, grundnatürlichen Kulisse: Axel und ich allein auf diesem mächtigen Felsen direkt über dem kristallklaren Wasser des Meeres, hinter uns erstreckte sich viele Meter breit der nun in blassem Orange das restliche Sonnenlicht reflektierende Sandstrand, gefolgt von einer Anreihung verschiedener naturbelassener Oasen und Wäldchen, um uns herum die aufgrund des stärker gewordenen Windes nun gleichmäßig peitschenden Wogen mit den glänzenden Schaumkronen und vor uns die inzwischen angenehm dunkelrot gefärbte Sonne, welche sich langsam und bedächtig ihren sinkenden Weg in ihr Meeresbett bahnte, um in viel zu wenigen Minuten gänzlich hinter diesem zu verschwinden. Auch, als die Sonne bereits weg und das letzte Licht beinah vollständig erloschen war, blieben wir noch eine Weile so stumm sitzen. Nun lag unser Augenmerk auf den Sternen. Fasziniert brach ich schließlich die Stille. “Ich wusste gar nicht, dass die so hell sein können...”, bemerkte ich leise und deutete auf das regelrecht leuchtende Firmament. “Ja”, antwortete Axel. “In der Stadt wird ihr Leuchten von all den von Menschenhand geschaffenen Lichtern erstickt. Hier kann man noch ihre wahre Schönheit bewundern...”, erklärte er, genauso leise wie ich selbst. Ich nickte. “Es ist wirklich beeindruckend.” Erneut legte sich ein Schweigen wie eine schützende Glocke über uns. Erst nach relativ langer Zeit, die weiterhin verstrichen war, bemerkte ich, dass ich mich unbewusst schon vor einer ganzen Weile an den Rothaarigen angelehnt hatte, um besser den Himmel beobachten zu können. Oder hatte es einen anderen Grund? Zudem kam in mir nun die Frage auf, wieso Axel dazu noch nichts gesagt hatte. Als könne er meine Gedanken lesen, fragte er mich plötzlich: “Bist du müde?” Leicht errötend nickte ich nach kurzem Zögern. “Hmhm... Bin es halt nicht gewöhnt, so lange an der frischen Luft zu sein.” Ich lächelte ihn etwas unbeholfen an, was in ein ununterdrückbares Gähnen mündete. Mein Begleiter kicherte leise. “Na, dann sollten wir uns wohl besser auf den Heimweg machen.” Er erhob sich, kletterte vorsichtig hinunter und streckte mir seine Arme entgegen. “Los, spring, ich fang dich auf!”, grinste er fröhlich. “Quatsch!”, erwiderte ich und kletterte ebenfalls los. Axel ließ meine plötzliche Ignoranz jedoch nicht auf sich sitzen und packte nun meine Taille, um mich das letzte Stück des ohnehin kurzen Weges nach unten zu ziehen. “Hey!”, beschwerte ich mich scherzhaft, woraufhin wir beide herzhaft lachen mussten. Wie lange hatte ich das nicht mehr getan...? “Ich bring dich nach Hause, okay?”, bot mir Axel nun an. “Tu, was du nicht lassen kannst”, meinte ich als Antwort. Ich wollte ihm nicht unbedingt auf die Nase binden, dass mich dieser Vorschlag doch enorm freute. “Alles klar”, erwiderte Axel noch, dann bahnten wir uns unseren Weg zurück an den Strand und machten uns auf den Heimweg. Als wir bei mir zu Hause ankamen, blieben wir noch kurz vor der Tür stehen, um uns voneinander zu verabschieden. In diesem Moment sah mich Axel irgendwie... sonderbar an. “Ist irgendwas?”, fragte ich ein wenig besorgt. Axel deutete ein Kopfschütteln an. “Nein, alles in Ordnung.” Eine kurze Pause entstand, dann ergriff er wieder das Wort. “Roxas...?” - “Ja?” - “Es gibt da etwas, was ich dir vorhin schon sagen wollte...” - “Hm?” Ich sah ihn etwas verständnislos an. Irgendwie begann mein Herz ein wenig schneller zu schlagen und eine seltsame Hoffnung stieg in mir auf. Ich fand den Moment aber alles andere als passend. Es war nämlich einfach eine zu späte Uhrzeit. Jene, zu der das rationale Denken sich eine Pause gönnte und den Gefühlen die Oberhand ließ... Wenigstens verkniff sich mein Gegenüber diesmal die Spannungspausen und rückte gleich mit der Sprache raus. “Weißt du... schon seit unserer ersten Begegnung... ...bist du wie ein Bruder für mich. Und ich bin wirklich froh, dich damals kennen gelernt zu haben.” Er lächelte sanft. “Wie ein... Bruder?”, wiederholte ich unsicher. Aus irgendeinem Grund zog sich dabei etwas in mir langsam zusammen. “Ja”, lächelte Axel. “Wie ein Bruder.” Wieder einmal gab es eine kurze Stille zwischen uns. Diesmal fühlte sie sich jedoch nicht mehr schützend an. Schließlich meinte der Rothaarige: “Na ja, wie auch immer. Das wollte ich nur noch gesagt haben, bevor ich mal wieder ‘ne Chance verpasse.” Er klopfte mir auf die Schulter und sagte noch: “Also dann, gute Nacht! Man sieht sich!” - “Gute Nacht...” Mit diesen Worten machte er sich auf den Weg und ließ mich allein vor meiner Haustür stehen. Einfach so. Freudenmomente konnten SO kurz sein... Ich seufzte kurz, drehte mich um und betrat meine kalte Wohnung. ‘Ich sollte die Heizung wieder aufdrehen’, dachte ich - bis ich bemerkte, dass sie bereits auf der höchsten Stufe stand. ‘Muss wohl die Müdigkeit sein...’ Als ich wenig später endlich im Bett lag und einzuschlafen versuchte, gingen mir Axels Abschiedsworte einfach nicht aus dem Kopf. ”Du bist wie ein Bruder... Ein Bruder... Bruder...” Jeder normale Mensch hätte sich gefreut, es als Kompliment empfunden. In mir zog sich hingegen beim bloßen Gedanken daran alles zusammen. ‘Es ist doch etwas Positives...’, dachte ich ein wenig verzweifelt. ‘Wieso tut es weh?!’ Anstatt weiter dem sinnlos scheinenden Versuch, zu Schlafen, nachzugehen, dachte ich noch lange darüber nach. Und je länger ich grübelte... Desto größer wurde die Angst... ...’Wenn es das ist, was ich befürchte... Dann bedroht es unsere Freundschaft. Nein. Ich WILL nichts mehr kaputtmachen!!!!’... ------------------------------------------------------ Sooooo~ Hier nun ENDLICH Kapitel 3! Hat ja echt sowas von abartig ewig gedauert diesmal >.<" Dafür muss ich mich echt entschuldigen. *verneig* Aber hey~ Es ist viel länger als die anderen Kapis! -^.^- Ich hoffe, es gefällt euch! mfg., Larxi Kapitel 4: Hilflos ------------------ »Endlich ist es geschafft! Kapitel 4 ist feeertig^^ *durchatme* Danke vielmals für eure Geduld *plüsch@all* *verbeug* Ich habe überlegt, ob ich die eine Sache am Ende noch in diesem Kapitel aufkläre, entschied mich aber aus mehreren Gründen dagegen. Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, dass ich wieder so viel Spannung erzeuge XD" lg. Larxi^^ « --------------------------------------------------------------------------- HILFLOS Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schwirrte mir der Kopf wie schon lange nicht mehr. Die Ereignisse des letzten Tages -und erst recht die des ABENDS- schienen mir doch stärker in den Knochen stecken geblieben zu sein, als ich zunächst angenommen hatte. Alles andere als ausgeschlafen quälte ich mich nun ins Bad, dort fertig dann in die Küche und in der vagen Hoffnung, ein heißer Kakao könne meinen Zustand vielleicht noch aufbessern, warf ich den Wasserkocher an, um wenig später das womöglich gewissermaßen erlösend wirkende braune Pulver hinzu zu fügen. Es half nichts. Resignierend leerte ich den Rest des nutzlosen Heißgetränks mit einem Zug, verbrühte mir dabei logischerweise fast den Rachen und begab mich, innerlich heftig fluchend, nach dieser Aktion ins Wohnzimmer. Dort ließ ich mich auf der Couch nieder, griff zur Fernbedienung und schaltete die Flimmerkiste ein. Trostlos. Irgendwie begann die Einsamkeit mich einmal mehr zu erfüllen und so versuchte ich ganz automatisch, ein wenig Gesellschaft auf dem Bildschirm des Fernsehers zu finden - natürlich im sicheren Wissen darum, dass es ja letztendlich doch nur eine vorgetäuschte, eine FALSCHE Gesellschaft sein würde. Nachdem ich dreimal in Folge durch das immer gleichbleibende Programm gezappt hatte, ohne einen zufriedenstellenden Erfolg zu verzeichnen, gab ich auch diese zugegeben kläglichen Versuche auf und drückte den allseits bekannten roten Knopf. Mit dieser Aktion erfüllte ich den Raum erneut mit dieser ekelhaften Stille. Mir entfuhr ein deutlicher Seufzer -nur, weil ich mir absolut sicher sein konnte, dass keiner ihn hören würde- und senkte nachdenklich den Blick. Allerdings kam ich kaum dazu, einen Gedanken zu fassen, denn noch bevor dies geschehen konnte, spielte mein Augenwinkel mir eine Idee zu, auf die ich eigentlich schon die ganze Zeit hätte kommen können... Denn der Anrufbeantworter blinkte bereits seit einer ganzen Weile fröhlich vor sich hin. Dadurch wurde ich wieder daran erinnert, wieso ich diesen Anblick so sehr mochte: er war in der Lage, selbst die schlechteste Laune immerhin für ein paar wenige Momente um einen relativ großen Anteil zu verbessern. Er vermochte sie zwar genauso schnell wieder in den Boden zu stampfen -das kam natürlich immer auf die hinterlassene Nachricht an-, aber so ein kleiner Glücksmoment konnte in einem Leben wie dem meinen schon eine große Wirkung hinterlassen. Einige Augenblicke lang war ich mir nicht schlüssig, ob ich den AB wirklich abhören sollte oder nicht. Denn wenn ich es tat, gab es schließlich kein Zurück mehr und unter Umständen hatte es sich mit meiner Laune dann auch endgültig erledigt. Aber wie es in so einem Fall nunmal immer war, siegte auch diesmal meine Neugierde und ich spielte das Band ab. »Sie haben EINE neue Nachricht«, erklang die mechanische, etwas abgehackt sprechende Frauenstimme aus dem Lautsprecher. »Nachricht - 1. Heute, ...« Die Uhrzeit war mir so egal... Hauptsache, ich erfuhr endlich, wer da etwas von mir wollte und WARUM. ... Stille. Dann das regelmäßige Tuten, welches dem Zuhörer zu verstehen gab, dass die Nachricht beendet war. ‘Was sollte das denn jetzt?’, fragte ich mich selbst, wobei ich nicht leugnen konnte, ein wenig gekränkt zu sein. Ich wäre wahrscheinlich mit ALLEM zufrieden gewesen, selbst mit einer schlechten Nachricht - aber DAS sah nach einem typischen Klingelstreich aus, der mir -außer mich zu nerven oder zu verärgern- letztlich gar nichtsbrachte... So schaltete ich den Anrufbeantworter aus, noch bevor jener dies aus eigener Kraft tun konnte und begab mich wieder zurück zu meinem Platz vor dem Fernseher. Zumindest wollte ich das ursprünglich. Ich entschied mich dann aber doch um und wählte als mein neues Ziel die Küche. Ich kam gar nicht erst bis zum Eingang dieser. Der Grund lag darin, dass es auf halbem Wege klingelte - diesmal an der Tür. Eigentlich hatte ich kein bisschen Lust, mir die Mühe des Öffnens zu machen; allerdings wog das Wissen darum, dass es auch nur etwas Positives für mich bedeuten konnte, zu viel, um mich bei dieser Meinung zu halten und so machte ich mich nun doch auf den Weg durch den Flur, um an dessen Ende schließlich prüfend durch den Türspion zu spähen. ...Hätte ich das bloß gelassen! Als ich die Person dahinter erkannte, durchfuhr mich ein Schreck, der mich beinah zurückprallen und meine Augen sich weiten ließ. Diese roten Haare... Sie waren ebenso wenig übersehbar, wie sie verwechselbar waren.. Axel! Der hatte mir gerade noch gefehlt. Ich war müde, erschöpft und hatte obendrein seine Worte vom Vorabend noch längst nicht verkraftet. Dementsprechend genervter wurde ich, als er erneut die Klingel betätigte. Dennoch entschloss ich mich resignierend, ihm zu öffnen, da ich mir denken konnte, dass er meine Anwesenheit sehr wohl bemerkt hatte und nun bestimmt nicht locker lassen würde. Mir anfangs noch unschlüssig, ob ich lieber starke Müdigkeit, welche meinem wahren Gemütszustand näher gekommen wäre, oder eine leichte Freude über sein Auftauchen, welche dann schon eher einer Lüge ähneln würde, vortäuschen sollte, entschied ich mich am Ende doch für letzteres und machte mit entsprechendem, geschauspielerten Lächeln auf den Lippen auf. “Hallo Axel. Was verschafft mir denn die unerwartete Ehre?” Aus der Reaktion meines Gegenübers war zu erkennen, dass mein Lächeln gar nicht so missglückt zu sein schien, wie ich zunächst befürchtet hatte - es schien sogar ziemlich überzeugend zu wirken... Es konnte aber natürlich auch sein, dass er es sich einfach nicht anmerken ließ, mich durchschaut zu haben. Axel grinste bei seiner Antwort selbst ein wenig unbeholfen. “Naja, erstmal wollt’ ich mich für die Sache mit dem Telefon entschuldigen. Kannst du mir folgen?” Und ob ich das konnte. ER war also der Urheber des vermeintlichen Klingelstreichs gewesen! Ich nickte also. “Klar. Hab schon gemerkt, dass du mich auf den Arm nehmen wolltest.” Diesen patzigen Ton konnte ich mir nicht verkneifen. Axel jedoch reagierte wider meines Erwartens nicht etwa beleidigt oder verletzt, sondern im Gegenteil mit einem lieben, verständnisvollen Lächeln, welches in mir ein Gefühl bewirkte, das mich den Schmerz, den er mir am Vortag unbewusst zugefügt hatte, beinah vergessen, das mich ihm beinah vergeben ließ. Und es sorgte auch für etwas anderes - nämlich dafür, dass sich einmal mehr jene gewissen Zweifel in mir breit machten. Einmal mehr war ich mir nicht mehr sicher, wie lange ich mir bestimmte Dinge noch selbst verleugnen können würde. Axel bemerkte von alledem nichts - zumindest schien es so. Wohl aber war ihm offensichtlich klar, dass ich alles andere als begeistert von seiner vorangegangenen Aktion war und er wirkte entschlossen, etwas gegen meinen offensichtlichen, wenn auch nicht SO großen Groll zu unternehmen. Erst einmal sah er sich kurz demonstrativ um, da unser Gespräch noch immer, wie schon die ganze Zeit zuvor, im Türrahmen stattfand. “Willst du mich nicht reinlassen? Oder bist du so sauer, dass du mir gleich die Tür vor der Nase zuknallen willst?”, fragte er scherzhaft. Mit einem inneren Seufzen schüttelte ich den Kopf. “Ist schon okay. Sorry.” Ich machte eine Geste, mit der ich ihn hereinbat. Nachdem ich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, begaben wir uns in mein Wohnzimmer. In diesem Moment hoffte ich, Axel werde bloß keinen Blick in meine Küche werfen, denn diese war nicht nur prinzipiell zu vollgestopft für ihre vorhandene Quadratmeterzahl, nein: HEUTE war sie obendrein auch noch dreckig und unaufgeräumt, da ich zum Ordnung machen bereits seit Tagen zu faul gewesen war. Nun stellte sich mein Unterbewusstsein die Frage, warum ich mir nicht schon früher Gedanken über die Möglichkeit von Axels Auftauchen gemacht und infolge dessen eben doch aufgeräumt hatte. Dieser Vorgang in meinem Inneren war eine weitere Merkwürdigkeit. Es machte mir schließlich auch sonst nichts aus: Sollten andere doch von mir denken, was sie wollten; wer mich mochte, mochte mich auch so. Nun kann es natürlich auch daran gelegen haben, dass ich im Laufe meines Lebens in dieser Stadt (und auch in den anderen, in denen ich bereits “zu Hause” gewesen war) so zum Außenseiter verkommen war - aber das tut jetzt nichts mehr zur Sache. Viel entscheidender war die Tatsache, dass ich mir nun, wider aller Gewohnheiten und Prinzipien, wirklich Sorgen machte, dass Axel in irgendeiner Art und Weise auch nur geringfügig schlecht von mir denken könnte. Ein weiteres, unabstreitbares Indiz...? Ich schüttelte einmal mehr diese Gedanken ab und wollte ihm gerade einen Platz am Wohnzimmertisch anbieten, als ich bemerkte, dass er sich einen solchen bereits eigenmächtig genommen hatte. Ich erschrak innerlich ein wenig und musste eine leichte, aber spürbar aufkommende Röte in meinem Gesicht unterdrücken: Hatte ich wirklich über so einen lang genug gewesenen und demnach ziemlich langen Zeitraum gezögert? War ich tatsächlich so lange in meinen Gedanken versunken gewesen? Wenn ja, würde dies unter Umständen in Zukunft ein Problem werden... Auch diese Gedanken hätte ich ewig weiterspinnen können, doch ich hinderte mich daran, um zu verhindern, dass mein Verhalten noch auffälliger werden würde. Obwohl ich eigentlich gern neben ihm Platz genommen hätte, hielt ich mich zurück und setzte mich stattdessen auf einen kleinen Stuhl ihm gegenüber auf der anderen Seite des kleinen Tisches. “Und nun?”, fragte ich nach ein paar kurzen, verschwiegenen Augenblicken. Ich hatte keine Ahnung, was nun geschehen sollte. Kein Gesprächsthema auf Lager, nichts. Also hoffte ich, dass Axel in dieser Hinsicht kreativer war. Wenn er schon mit in die Wohnung wollte, musste dies schließlich auch einen Grund haben. Normalerweise jedenfalls, denn die Antwort des rothaarigen Stachelkopfs war so enttäuschend, dass sie mich schon wieder an meiner Menschenkenntnis und meinem allgemeinen Verständnis zweifeln ließ: “Keine Ahnung.” Er grinste. Na toll. “Schlag’ du was vor!” Irgendwie sah er amüsiert aus. Vielleicht fand er es ja besonders ‘komisch’, mich so planlos zu sehen... “Ich... weiß nicht”, erwiderte ich zögerlich und versuchte meiner Stimme einen möglichst beiläufigen Tonfall beizumischen. Die Situation war unangenehm. Beinah mehr als das. Wir drehten und im Kreis. Keiner war fähig, ein Thema anzuschneiden, welches das Gespräch länger als nur ein paar wenige Minuten lang aufrecht erhalten gekonnt hätte und ICH wurde nicht nur immer müde, sondern obendrein auch noch mehr und mehr verunsichert, je unkoordinierter und ‘wirrer’ ebendieses Gespräch verlief. Irgendwann mussten wir beide einsehen, dass das Unterfangen an diesem Abend keinen Sinn mehr hatte. Axel brachte es als erster zur Sprache: “Also ich glaub’, ich geh’ dann mal langsam. Wir kommen hier wahrscheinlich heut eh zu keinem brauchbaren Ergebnis mehr.” Ich nickte mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. “Ich glaube auch.” Dann stand ich auf und brachte Axel zur Tür. Scheinbar mutierte es allmählich zu unserem Markenzeichen, dass wir zwischen Tür und Angel doch noch ein Gesprächsthema fanden - denn so geschah es auch diesmal. Als Axel bereits auf den Hausflur getreten und auf dem Weg zum Ausgang war, drehte er sich noch einmal um, kratzte sich in seiner typischen Bewegung am Hinterkopf und lächelte ein liebes, müdes Lächeln. “Ich hoffe, ich bin dir jetzt nicht noch wirklich zur Last gefallen.” Ich sah ihn an und mein Blick war in diesem Moment wahrscheinlich von einem bestimmten, wenn auch nicht allzu großen, Maß an Perplexität und Verwirrung gespeist. “Nein, keine Sorge. Das bist du nicht...” “Sicher?” Axel hob bei diesem Nachhaken prüfend die Augenbrauen an. Machte ich wirklich einen SO unsicheren Eindruck?! Ich zog es vor, diesmal nur zu nicken und ihm ein weiteres Lächeln zu schenken. “Naja. Ich geh’ jetzt lieber rein. Ein bisschen Schlaf kann mir bestimmt nicht schaden”, erklärte ich, während Axel’s Lächeln sich von “prüfend” in “verständnisvoll wandelte. “Gute Nacht.” Ohne zu Zögern, ja, sogar ohne seine Reaktion abzuwarten, wandte ich schnell meinen Blick, dann mich selbst ab und schloss mit mühevoll unterdrückter Hast die Tür hinter mir... und zwischen uns. Auch den Impuls, noch einmal einen kurzen Blick durch den Türspion zu werfen, hielt ich zurück. Nicht eine Sekunde. Nicht eine Sekunde länger hätte ich die Situation aushalten, ihr noch standhalten können; jedenfalls nicht, so lange ich noch jegliche Auffälligkeiten vermeiden wollte. Oder besser, so lange ich dies tun musste, weil ich selbst noch nicht sicher sagen konnte, was nun Wirklichkeit war und was Illusion... Nun verblieben mir für den Rest der Nacht nur noch zwei Dinge zu tun: Zu hoffen, dass er heil nach Hause kommen würde sowie Schlafen zu gehen. Selbstredend hatte ich vor, letzteres auch zu tun und mich nicht wieder stundenlang selbst mit irgendwelchen abwegigen Gedanken am Einschlafen zu hindern. Und endlich gelang mir dies auch einmal... ... Die nächsten Tage verliefen in einer ausgewogenen Mischung aus mehreren, von nicht vorhandener Kreativität gezeichneten Treffen mit Axel und einer Vielzahl verworrener Gedanken meinerseits. Das wurde zum Standart-Ablauf - bis diese Regelmäßigkeit an einem Donnerstag plötzlich einen unvorhergesehenen Abriss fand. Es war einer dieser Tage, an denen Axel und ich die Stadt unsicher machen wollten; selbstverständlich rein freundschaftlich -‘kumpelhaft’-, einfach ein bisschen abhängen und ähnliche Aktivitäten, die Jungs in unserem Alter nun einmal in einer solchen Stadt zu tun pflegten. Wie immer war ich pünktlich -sogar zu früh- am vereinbarten Treffpunkt. Ich hatte mittlerweile erkannt, dass Axel es mit Pünktlichkeit an sich nicht so genau nahm, wollte das Risiko, MEINERSEITS zu spät zu kommen, aber dennoch nicht eingehen. Das war wieder diese Frage des ‘Eindrucks’. Also wartete ich. Ich wartete... Und wartete... Und... Meine Geduld hielt lange, wirklich lange. Dennoch schaute ich nach einer Weile in immer kürzeren Abständen auf die Uhr unter meinem karierten Schweißband. Je stärker mein Gefühl wurde, dass die Zeit immer langsamer verstrich, desto unheimlicher wurde die Tatsache, dass Axel einfach nicht auftauchte. Da ich mir das Schwarzsehen abgewöhnt hatte, befürchtete ich zu allererst, dass er unser Treffen womöglich vergessen hatte. Da ich, entgegen des weit verbreiteten Trends, KEIN Handy besaß, konnte ich ihn nicht von unterwegs aus erreichen, um dieser Sache auf den Grund zu gehen. So entschloss ich mich schließlich nach zwei Stunden des Wartens, bei denen es an ein Wunder grenzte, dass ich sie überhaupt durchgehalten hatte, zurück nach Hause zu gehen und ihn von dort aus anzurufen. Als ich dies ca. zehn Minuten später versuchte, blieb die erste Möglichkeit, nämlich Festnetz, zunächst vergeblich - was mich im ersten Moment wunderte, nach genauerer Betrachtung jedoch gar nicht so abwegig war. Es konnte schließlich auch sein, dass er sich just in diesem Moment auf den Weg gemacht hatte. Das wäre dann nur leider zu spät für ihn gewesen. Da ich Warten an sich nicht mochte, nahm ich mir fest vor, kein Mitleid zu haben, wenn er tatsächlich gerade auf dem Weg zum Treffpunkt sein sollte. Da er mir auch seine Handynummer gegeben hatte -“für Notfälle”, wie der Rotschopf meinte-, wählte ich als Nächstes ebenjene. Es schien mir logisch, dass er an sein Handy gehen würde, da er ja augenscheinlich nicht zu Hause, sondern unterwegs war. Zu meiner Überraschung bewahrheitete sich jene Vermutung jedoch nicht. Vielleicht hörte er das Klingeln nicht, also versuchte ich es noch einmal, zweimal. Schließlich gab ich mein kläglich gescheitertes Unterfangen auf und legte den Hörer ab. ‘Seltsam...”, dachte ich und überlegte nun, was der Grund für Axels Unerreichbarkeit sein mpchte. Natürlich hoffte ich, dass sich diese Angelegenheit möglichst bald und möglichst harmlos von selbst aufklären würde. Dies sollte jedoch erst in etwas fernerer Zukunft geschehen... --- Was ich zu jenem, für mich durchaus nicht besonders angenehmen, Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte war das, was mit Axel geschehen war und ihn nun am Annehmen meines Anrufes hinderte... --- In den nächsten Tagen wurde ich nach und nach immer nachdenklicher. Der Grund dafür war der, dass ich Axel kein einziges Mal erreichen konnte, egal, wie oft ich es versuchte. Seine Verbindungen schienen nicht kaputt oder sonstwie gekappt, also konnte das nicht der Grund sein. Anfangs hatte ich mir noch Sorgen gemacht, doch je länger ich ausharrte, desto stärker machte sich ein anderer Gedanke in mir breit. Es war einer dieser Gedanken, die sich aus dem Unterbewusstsein heraus in Herz und Seele schlichen, um einem Angst zu machen. Einer dieser Gedanken, von denen man, wenn man es vom Verstand aus betrachtete, genau wusste, dass er nicht stimmte, der sich aber dennoch so erbarmungslos in einen hineinfressen konnte, dass man am Ende doch verdammt kurz davor war, ihm Glauben zu schenken. Und “Angst”... war genau das richtige Stichwort. Ich bekam Angst. Und die Angst beruhte darauf, dass mir mein Unterbewusstsein einzusäuseln versuchte, dass Axel vielleicht absichtlich den Kontakt zu mir abgebrochen hatte. Dass ich ihm aus irgendwelchen Gründen -die ich mir nicht erklären konnte- auf die Nerven gegangen war, sodass er nun einfach seine Ruhe und nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Diese Vorstellung schmerzte sehr -was mir nur ein weiteres Indiz war- und dieser Schmerz wurde mit der Stärke der Vorstellung von Tag zu Tag intensiver... ... Das alles ging so weit, dass ich irgendwann sogar regelmäßig mit Tränen in den Augen einschlief - Tränen, resultierend aus Schmerzen, Ungewissheit und Angst... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)