Drachenherz von Xanderle (Ein kleiner Zujin Roman) ================================================================================ Kapitel 3: Sonnenaufgang ------------------------ Es war noch dunkel. Die Sonne würde erst in zwei Stunden aufgehen.  Ming schrak aus dem Schlaf, als der warme, harte Körper neben ihr sich aufrichtete und ihre Hand achtlos abstreifte.  So abrupt stand er immer auf! Kein müdes Wachblinzeln, kein Stecken und Dehnen, kein Hinauszögern des ersten Kontakts mit der kalten Morgenluft. Er schlug die Augen auf, erhob sich und ging. Und ebenso schnell, wie er die Wärme des Bettes hinter sich ließ, ließ er auch diejenige seiner Konkubinen hinter sich, die in der Nacht ebendieses Bett gewärmt hatte. Ming konnte schon von Glück sagen, dass sie nicht dafür gerügt worden war, wieder einmal hier geblieben zu sein, obwohl sie genau wusste, dass er dies nicht wünschte. Seine Lordschaft schlief allein!  Selbst dann, wenn es ihn nach einer Frau verlangte hatte, was nach Meinung seiner drei Konkubinen viel zu selten geschah.  Hätte in seinem Wesen nicht das Feuer die Vorherrschaft gehabt, hätte er seine Triebe vermutlich eisern im Zaum gehalten. Körperliches Verlangen schien für ihn eher eine Art ärgerliche Notwendigkeit darzustellen. Nun, Ming hatte was das anging, eine ganz eigene Theorie. Es lag nicht etwa daran, dass er einen Mangel an Lust verspürte.  Oh nein, ganz bestimmt nicht! Sie hatte niemals einen Liebhaber gehabt, der es auch nur im entferntesten mit ihm hätte aufnehmen können. Doch trotzt seiner Leidenschaftlichkeit blieb ein Teil von ihm unberührt von der Intimität. Je mehr sein Körper entflammte, desto weiter entfernte sich sein Geist.  Und Ming wusste auch wohin.  `Jin!´ Das war der Name, den er auch diesmal wieder unwillentlich durch seine Zähne gepresst hatte. Jin! Pah! Nur zu gerne hätte sie dieser dummen Jin-Pute die Augen ausgekratzt. Es war nicht gerade schmeichelhaft, wenn ein Mann mitten im schönsten, hitzigsten Moment einer Weltklasse-Rangelei den Namen einer anderen ausstieß.  Ming schmollte kurz und streckte sich dann wohlig in dem riesigen Bett.  Himmel! Ihr ganzer Körper schmerzte, wie nach einem Sonnwend-Tanz. Sie schauderte lustvoll, als sie daran dachte, wie sie diesen Grad der Erschöpfung erreicht hatte. Dieser Mann war unglaublich. Niang, die Schwarzhaarige unter ihnen, fand ihn sogar schön, trotz der Narbe.  Ming drehte sich auf die Seite, in die warme Kuhle, die sein großer Körper hinterlassen hatte und betrachtete ihn im Licht der Kerzen. Nun ... hässlich war Seine Lordschaft ganz gewiss nicht. Er stand von ihr abgewandt und schlang sich die Bänder einer dünnen, weiten Hose um die Hüften.  Da sie momentan nicht Gefahr liefen, auf die Brandnarbe zu stossen, gingen die Augen der jungen Frau auf frechen Beutezug. Sie plünderten die Herrlichkeit seiner Muskulatur an Armen, Rücken und Flanken; brandschatzten, was sie von Brust und Bauch zu sehen bekamen, nahmen die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen in Besitz und verfluchten die Existenz dieser Hose. „Ah!“ Ming biss sich auf die Lippen. Bis auf diese Narbe war er zweifelsohne makellos. Atemberaubend makellos! Abgesehen von diesen Kratzern... Sie erschrak. Du Meine Güte, sollte Fon, der Kammerdiener, die dünnen, hellroten Male auf dem Rücken seines Herrn bemerken, würde sie eine tüchtige Abreibung bekommen! Ohne ein Wort zu verlieren, ging Mylord durch die Doppelflügeltür nach draussen, auf die große, halbrunde Terrasse.  Zuko hatte das dringende Bedürfnis, sich die Gerüche der Nacht vom Leib zu waschen. Besonders den Geruch dieses viel zu süßen Parfüms, das Meng oder Mel, oder wie auch immer sie hieß, benutzte. Für ihn zählte nur das kaffebraune, lange Haar, in das er sein Gesicht vergraben konnte um Zeit und Ort zu wechseln. Nur der zarte Duft nach Orangenblüten, der sich lockend durch seine Erinnerungen zog, fehlte. Fehlte schmerzhaft. Er ging die wenigen Stufen zum Bassin hinab und sprang, samt seiner Hosen, mit einem Hechtsprung hinein. Das marmorne, in den Boden eingelassene Becken war von enormen Ausmassen. Gespeist wurde es von einer natürlichen Quelle warmen Wassers. Aus einem mit Moos bewachsenen, steinernen Drachenkopf ergoss es sich über einige große Steine in das tiefe Becken.  Rund herum verteilten sich irdene Töpfe, in verschiedenen Grössen, mit immergrünen Pflanzen. Der Bewuchs war so dicht, dass beinahe die Illusion eines natürlichen Teiches erschaffen wurde. Zuko überwand die Strecke mit fünf langen, kraftvollen Schwimmzügen, und stemmte sich am anderen Ende wieder hinaus. Er blieb in der Hocke, wrang das Wasser aus seinen langen Haaren und schüttelte sich kurz. Da die Luft noch recht kühl war, konzentrierte er sich, um seine Körpertemperatur zu erhöhen und innerhalb weniger Sekunden war er wieder trocken. Es wurde Zeit, den Tag zu beginnen!  Er ging eine weitere Treppe hinunter, wobei er die Fackeln, die den Weg säumten, mit einem stummen Befehl entzündete.  Als er schließlich auf einer großen, kreisrunden Plattform anlangte, verfuhr er ebenso. In die Mitte dieser Plattform, war das prächtige Mosaik einer flammenden Sonne eingelassen. Es war aus dem gleichen goldgeäderten, elfenbeinfarbenen Marmor gefertigt, wie er überall im Palast zu finden war. Sonnenmarmor. Zuko blickte in den Himmel. Bis zur Dämmerung würde es noch dauern. Gut! Er lächelte leicht. Genug Zeit, ein bisschen zu spielen. Er griff zu zwei Doppelschwertern, die an einen Waffenständer gelehnt waren, und begann mit dem Training. Iroh ließ sich nur ungern aus dem Schlaf reissen, vor allem jetzt. Er hatte sich gerade in einem überaus angenehmen Traum befunden, in dem eine füllige Wäscherin die Hauptrolle spielte.  Aber der Klang von Schwertern konnte von einem alten Kriegsveteranen wie ihm schwerlich ignoriert werden. Was zum ... welcher Idiot hatte die Stirn um diese Zeit Radau zu machen? Es war stockdunkel! Er schnipste einige Kerzen an, krabbelte aus dem Bett, angelte nach den Pantoffeln, zog sich den Morgenmantel über und schlurfte Richtung Terrasse. Die leisen Geräusche schienen von draussen zu kommen. Auf seinem Weg nahm er eine Vase an sich. Vasen waren extrem nützliche Gegenstände, fand Iroh. Gut für Blumen, gut zum Werfen!  Er ging nach draussen. Jemand hatte tatsächlich die Fackeln des Sonnenrings entzündet!  Jemand war tatsächlich um diese Zeit da unten und übte sich im Schwertkampf. Jemand war tatsächlich ziemlich gut, in der Handhabung dieser Schwerter! ... ZIEMLICH gut!  Der General ging noch einige Stufen hinunter, um besser sehen zu können. Dieser Jemand da unten beherrschte die Zwillingsschwerter sogar besser als sein Neffe. Er wischte sich den Schlaf aus den Augen, um klarer sehen zu können. Dieser Jemand da unten WAR sein Neffe!  Iroh seufzte. Er konnte offenbar kein halbes Jahr fortbleiben, ohne dass "jemand" neue Verhaltensweisen an den Tag legte. Jetzt wurde also schon vor dem Anrufungsritual aufgestanden, ja? Der Drache des Westens ließ sich ächzend auf den Stufen nieder und stellte vorsichtig die Vase ab. Er war schon immer der Meinung, dass man ein Spektakel auch genießen sollte, wenn es einem geboten wurde. Himmel, der Junge war gut! Es war wirklich eine Freude zuzusehen.  Es sah eher aus, wie ein meditativer Tanz, als ein Kampftraining. Körper und Geist schienen völlig eins zu sein. Geschmeidig, kraftvoll und unglaublich schnell.  Iroh hatte schon Katzen gesehen, durchtrainierte fiese Strassenkatzen wohlgemerkt, die hiergegen unbeholfen und lahmarschig wirkten. Aber andererseits, was wusste ER schon von Katzen? Schritte näherten sich und als er einen Blick über die Schulter warf, sah er Fon, in den Händen zwei große Tassen mit Tee. „Fon! Setzt Dich!" Iroh sprach leise, um nicht von Zuko gehört zu werden. „Ist dieser Tee für mich?" Wortlos wurde ihm die Tasse in die Hand gedrückt. Fon war schon immer so gewesen. Wortkarg, bis zur Unhöflichkeit, jedoch Loyal wie eine Klette. Man sah es den beiden Männern nicht an, aber sie hatten in vielen Schlachten Seite an Seite gekämpft. So war auch Irohs Plan entstanden, Fon zum Kämmerer des neuen Lords zu machen. Seine Hauptaufgabe war es nicht, den fürstlichen Hintern zu pudern, sondern diesen Hintern zu beschützen. Hätte Zuko dies allerdings geahnt, hätte er Gift und Galle gespuckt! „Er ist gut!" Es war Fon, der die Stille durchbrach. „Ja, das ist er" „Er ist auch für das Land gut ... für die Menschen!" Iroh nickte und nippte an seinem Tee. „Steht er neuerdings immer um diese Zeit auf?", wollte er nach einer Pause wissen. „Aber nein! Wenn er nicht mit diesen Dingern durch die Gegend fuchtelt gönnt sich der Faulpelz eine halbe Stunde mehr Schlaf!" „Eine ganze halbe Stunde?" „Ja!" Iroh brummte. Unten legte Zuko die Klingen beiseite.  Es war Zeit für den Tento, das Anrufungsritual. Er begab sich in die Mitte des Platzes und stellte sich auf das Sonnenmosaik. Drei tiefe Atemzüge, dann begann er.  Es war eine Ehrerbietung an die Sonne, basierend auf den drei grundlegenden Säulen des Feuerbändigens. Oder passender wäre es wohl, zu sagen, dass die Techniken des Feuerbändigens aus diesem uralten Ritus entstanden waren. Die Bewegungen des Tento waren urtümlich. Schlichter, getragener, weniger elegant und ausgefeilt, als das Bändigen. Und doch waren sie schöner! Ein archaischer Sonnentanz. Auf den Stufen besahen sich zwei Männer das Schauspiel. Vor drei Jahren hatte der Junge die brüchige Schriftrolle mit der ausführlichen Beschreibung des Rituals, aus einer zugemauerten Bibliothek des Palastes angeschleppt, und wissen wollen, was sie bedeutete. Es hatte Monate gedauert, ihrem wahren Wesen auf den Grund zu kommen. Gerüchte hatten sich um dieses Ritual gerankt. Geschichten, dass ihm, noch fünfhundert Jahre zuvor, alle Herrscher grösste Bedeutung beigemessen hatten. Aber niemand konnte sagen, warum es aufgegeben worden war. Wahrscheinlich waren die Drachenfürsten hochmütig geworden, hatten sich über der Sonne stehend gewähnt und sich schließlich geweigert, ihr Tribut zu zollen. Nun, Iroh hatte die meisten seiner Vorfahren schon immer für ein Pack von Dummköpfen gehalten. Seit Zuko dieses Ritual entschlüsselt hatte, verging kein Tag, an dem er es nicht vollzog. Eine Weile sahen die beiden alten Veteranen schweigend zu. Dann kniff der General plötzlich die Augen zusammen. Es war beileibe nicht das erste Mal, dass er hierbei zuschaute, aber heute stimmte etwas nicht! Diese seltsamen Reflexionen ... Er starrte seinen Neffen an, der mit geschlossenen Augen, hochkonzentriert, die fließenden Bewegungen vollführte. Was war da an den Fingerspitzen? Es wirkte wie feinster Staub. Oder Nebel. Mattes Gold. Und es wurde mehr.  Irohs Unterkiefer beschloss, dass es eine Etage tiefer doch um einiges bequemer war. Die Hände seines Neffen sonderten ein weiches, pulsierendes Licht von der Farbe alten Goldes ab. Licht, kein Feuer! Fon nahm laut schlürfend einen Schluck Tee. „Interessant, nicht?" Der Unterkiefer wurde zurück beordert! „Seit.... seit wann ist das so?" Irohs Stimme schwankte. „Hm. Ungefähr zwei Monate."  „Und Du hast mich nicht unterrichtet?" „Was hätte ich denn sagen sollen?" „Was du...? Nun, vielleicht: Hör mal, altes Kartoffelgesicht, Dein Neffe fängt an ein komisch leuchtendes Licht zu produzieren, wenn er sein Sonnentrallala veranstaltet. Vielleicht kommst Du mal, und siehst es dir an?" „Ich würde Dich doch aber nie duzen, Hoheit!" Iroh wurde lauter. „Fon! Bei allen Feuern dieser Welt! Du hast das nicht für wichtig gehalten?"  In diesem Moment presste Zuko die Knöchel seiner rechten Faust gegen die senkrecht gehaltene Handfläche der Linken, hob sie vor die Brust und verneigte sich tief gen Osten. Der Tento war beendet. Noch eine starke Stunde bis Sonnenaufgang. Fon sprang auf. „Wichtig ist jetzt, Deinem Neffen die Haare zu machen, Hoheit" Er konnte ganz schön rennen für sein Alter, das musste Iroh ihm lassen. „Feigling!" knurrte er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)