Das Erwachen
Ich hatte geschlafen. Ich hatte.
Doch in dem Moment, als mein Unterbewusstsein registrierte, dass ich auf meiner rechten Schulter, welche diejenige war, auf der ich nicht lag, etwas verhältnismäßig schweres und untypisch WARMES fühlte, war es auch mit meiner inneren Ruhe schlagartig vorbei. Ruckartig wachte ich auf, schreckte jedoch instinktiv nicht hoch, sondern starrte ersteinmal ein paar Sekunden lang starr vor (müder) Verwirrung in die nächtliche Schwärze meines Zimmers. Hätte ich ein Herz gehabt, hätte es wohl recht schnell geschlagen, da ich nicht wusste, von was diese unnatürliche Last auf meinem Arm herrührte...
Oder besser, von WEM. Denn als ich ein wenig auf sah, erkannte ich, dass es sich bei dem Gebilde um einen Arm handelte. Einen MENSCHLICHEN Arm.
Das war mir nun doch ein wenig arg suspekt. Die Aufregung wuchs und wuchs mit jeder Sekunde, die verstrich. Endlich drehte ich meinen Kopf so weit es ging nach hinten, um das Gesicht zu dem Arm erkennen zu können, ohne diesen so stark zu bewegen, dass die Person womöglich aufwachen könnte.
Hätte ich es doch gelassen.
Denn als ich erkannte, WER mich da als übergroßes Kuscheltier benutzte, waren meine Aufregung und Verwirrung nahezu auf ihrem jeweiligen Höhepunkt angelangt...
Das dachte ich zu diesem Zeitpunkt jedenfalls.
Ich wusste nun, wer es war. Der Schreck sorgte dafür, dass ich mich hastig zurückdrehte und abermals eine Weile nur ins Leere starrte, ohne auch nur einen klaren Gedanken fassen zu können. Im Gegenteil: In meinem Kopf drehte sich alles.
Trotzdem schaffte ich es irgendwie, mich einigermaßen zu beruhigen - was in Anbetracht der Umstände nicht sehr viel bedeutete, aber noch immer besser war, als gar keine Beruhigung.
Gerade wie um es mir selbst glaubhafter zu machen, flüsterte ich leise, nahezu unhörbar, meine zwei momentanen Erkenntnisse, die aus einer Feststellung und einer bloßen Frage bestanden, vor mich hin: "A-Axel? Aber... Wie... W-Warum...?"
Ohne es mir selbst erklären zu können, wusste ich, dass es FALSCH sein sollte, was hier geschah. Das Merkwürdige war, dass ich es dennoch als richtig empfand, denn... es fühlte sich GUT an. Ja, regelrecht genoss ich die Nähe zu meinem sonst auch so guten Freund. Es war grotesk. Plötzlich wusste mein Verstand, warum es nicht sein DURFTE.
Wir waren bereits Freunde. Allein das war eigentlich Grund genug, um "STOP!" zu sagen.
Doch da war etwas in mir, etwas nie gekanntes, das mir mit leiser Stimme zusäuselte: "Bleib. Es ist gut, was hier geschieht."
Also blieb ich.
Das half mir aber nicht, die berühmte Frage nach dem "Was nun?" zu beantworten.
Nun lag ich da, in Axels Umarmung, die Hände und Unterarme übereinander neben meinem Kopf auf das Kissen gelegt, und grübelte, was ich tun sollte.
Irgendetwas in mir schrie förmlich danach mich umzudrehen, um ihn anschauen und seine Umarmung erwiedern zu können, doch da war auch noch dieser Rest Vernunft in mir, der mich verstehen ließ, dass das Risiko, er könne aufwachen, so viel zu hoch wäre.
Also beließ ich es in den ersten paar Minuten dabei. Dann jedoch spürte ich noch etwas anderes, was meinem Verstand noch mehr zuwider war als der Arm, der dort nicht hatte sein sollen. In geradezu zeitlupenhaft anmutender Langsamkeit drehte ich unglaublich vorsichtig erst meinen Kopf und dann meinen Oberkörper in die Waagerechte und stemmte mich mühselig, da ich Axel ja nicht wecken wollte, ebenso langsam, auf den Schulterblättern in die Höhe, um mehr schlecht als recht über seinen Arm in Richtung meiner Beine blicken zu können.
Ich hatte mich nicht getäuscht. Die Umarmung war nicht alles gewesen. Im Gegenteil: Der rothaarige hatte nun auch (noch) sein rechtes Bein auf meine Hüfte und Oberschenkel gelegt, was dazu führte, dass sich ein sonderbares, neues Gefühl, welches für mich schwer zu definieren war, in mir breit zu machen begann...
Ich ließ meinen Oberkörper in gleicher Position, drehte jedoch den Kopf langsam wieder zur Seite und schloss kurz die Augen, um erneut meine wild kreisenden Gedanken zu ordnen.
Als ich mich wieder etwas gefasst hatte, wagte ich den Blick zur anderen Seite und errötete sogleich, als ich feststellte, dass Axels Gesicht auf einmal nur noch ein paar Millimeter von meinem eigenen entfernt war.
Es war ungewöhnlich, aber anstatt mich sofort aus Scham umzudrehen, blieb mein Blick minutenlang auf seinem Gesicht haften. Mir war bewusst, dass wir BEIDE kein Herz besaßen, dennoch hatte ich in dieser Zeit das Gefühl, meines immer schneller schlagen zu fühlen.
Und noch etwas "Falsches" geschah: Je länger ich ihn so ansah, desto größer wurde das deutliche Verlangen in mir, meine Lippen auf die seinen zu legen...
,Nein!', dachte ich und wandt nun doch noch einmal meinen Kopf ab. Dieser war warm, nahezu heiß und meine Kehle fühlte sich trocken an, obgleich ich in meinem Mund die Feuchtigkeit spürte.
Eine weitere Minute verstrich, dann drehte ich mich doch wieder seinem Gesicht gegenüber. Jetzt erst bemerkte ich auch, dass ich deutlich seinen warmen Atem spüren konnte. Und ab hier ging nichts mehr, was auch nur annähernd von dem Bisschen meines Verstandes, welches noch übrig gewesen war, hätte hervorgerufen werden können. Keine natürliche Abwehrhaltung mehr gegen etwas, was nicht sein durfte. Etwas in mir war geborsten und mit ihm auch der letzte kleine Rest Vernunft...
So kam es, dass ich meine Lippen nun doch langsam und vorsichtig ganz sanft auf die Axel's legte. So ließ ich meinen Kopf mehrere Sekunden lang regungslos verweilen, bis letztendlich doch wieder die Vernunft obsiegte und ich ebenso sanft wieder von ihm abließ, um mich, zugleich geschockt und verstört über mein eigenes Handeln, erneut auf die andere Seite zu werfen.
Die Erkenntnis
Dieser Ruck musste wohl doch zu stark gewesen sein, denn plötzlich erschrak ich, da ich hinter mir im nächsten Moment Axel ein wenig unwillig grummeln hörte. Und dann flüsterte er im Halbschlaf meinen Namen, den er mir einst selbst gegeben hatte: "R... Ro... xas..."
Ich schielte ein wenig verängstigt nach hinten. Hatte er es etwa gemerkt?! Unsicher fragte ich: "A-Axel?" Ich drehte mich erneut um und sah den rothaarigen an. Dieser blinzelte ein wenig verschlafen, öffnete dann aber doch die Augen ein wenig mehr und erwiderte meinen Blick. "Roxas!", lallte er, da er noch immer nicht richtig bei sich war. Da trafen sich unsere Blicke und während er, scheinbar recht gut gelaunt, "Guten Morgen!" sagte - was zu so nächtlicher Stunde schon reichlich unpassend erschien -, drehte ich meinen abermals erröteten Kopf hastig weg und stammelte: "A-Axel, es... es... tut mir Leid, ich... Ich weiß auch nicht, was..." Auf einmal wurde ich von Axel unterbrochen: "Was weißt du nicht?" Er griff meine Schulter und drehte mich wieder so, dass ich ihm ins Gesicht schauen musste.
Mir war das trotz all den positiven Gefühlen, die daraus resultierten, recht unangenehm, aber mehr als ein "N-Nein, ich..." bekam ich nicht heraus, da Axel mich wieder unterbrach. Er befand sich scheinbar in einer übermüdungsähnlichen Phase, in der sein Zustand einer Mischung aus Schlaftrunkenheit und übermäßigem Wachzustand zu gleichen schien.
"Heyy, Roxas", sagte er langgezogen. "Warum so schüchtern?" Er grinste ein wenig. Ich wich seinen Blicken aus.
"Hast du... es bemerkt?", fragte ich leise.
"Was bemerkt?", fragte er zurück und sah mich einen kurzen Moment lang mit ehrlicher Verständnislosigkeit in den Augen an. Doch als ich innerlich gerade aufatmen wollte, fiel ihm doch noch der Groschen.
"Ach, DAS! Doch, hab ich." - "Es... tut mir Le-" - "Wieso sollte es dir Leid tun?"
Diese Antwort verwirrte mich. Ich hatte von ihm alle möglichen Reaktionen erwartet, aber DIESE war beinah zu schön um wahr zu sein.
"Du... bist mir nicht böse?", fragte ich vorsichtig noch einmal nach. "Wieso sollte ich? Ich habe keinen guten Grund, kannst du dir das merken?" - "Aber..." "Sag mir mal, wie du auf die Idee kommst, dass ich dir böse bin", fragte er ruhig. "Na... Also...", fing ich unsicher an. Wie sollte ich es ihm auch erklären? "Ich meine...", begann ich erneut, "Ist... ist das nicht v-" Ich wurde abermals von Axel unterbrochen. "...verboten? Meinst du das?" Ich nickte nur verlegen. Und wieder reagierte er anders als ich dachte: Er lächelte sanft und in seinen Augen flammte fast unmerklich etwas auf, was ich noch nicht zu deuten vermochte. Vielleicht konnte man es entfernt mit "Verständnis" vergleichen...
Nun lächelte mich dieser Mann, dieser FREUND, so sanft an, sah mir tief in die Augen und meinte: "Verboten. Seit wann sind Gefühle verboten?" Ich sah ihn nur schweigend mit großen Augen an. Er musste meine Verstörtheit, meine Verwirrung und Verständnislosigkeit aus meinem Blick lesen können, denn er schlang plötzlich abermals den Arm um mich, zog mein Gesicht ganz nah vor das seine und flüsterte leise: "Es stimmt schon, dass wir kein Herz besitzen... Aber wir... besitzen doch trotzdem noch eine Seele, kannst du mir folgen...?"
Wie er mich so festhielt, Mund an Mund, überkam mich schon wieder dieses unbändige Verlangen, ihn zu küssen. Als hätte er auch diesen Wunsch in meinen Augen gelesen, fuhr er nun fort: "...und darum..."
Da drückte er plötzlich seinen Mund auf meine Lippen. Hätte ich ein Herz gehab, hätte es gerast. Eisige Schauer liefen über meinen Rücken, meine Arme gehorchten mir nicht mehr und mussten nun ihrerseits Axel umschlingen. Widerstandslos gab ich mich seiner Geste hin. Unsere Körper schmiegten sich so eng aneinander wie nie zuvor, wie ich es mir nie erträumt hätte und heißer Schweiß lief sowohl über seine als auch meine Stirn und meinen Nacken hinab. Seine freihe Hand, welche nicht fest meinen Hinterkopf hielt, schob das Oberteil meines Schlafanzuges ein Stück höher und fuhr dann darunter, um meinen Rücken zu streicheln, ich umarmte ihn mir einer Hand, während ich mit der anderen langsam über seine Brust strich. Unsere Körper waren gleichermaßen heiß, die Temperaturen hatten sich vereint, beide glühten vor Erregung bei diesem unglaublichen, neuen Gefühl...
Und obwohl das Ganze, der Kuss, die Berührungen, alles, nicht mehr als 2 Minuten lang war, kam es mir wie eine (halbe) Ewigkeit vor.
Doch wie alles Schöne nahm es ein Ende.
Unsere Lippen berührten sich ein letztes Mal, dann trennten sie sich erneut.
Nun führte Axel erschöpft hauchend seinen begonnen Satz zu ende: "...darum dürfen wir auch fühlen... Kannst du dir das merken?" Er zwinkerte mir zu und ich erwiderte: "Ja, kann ich. Sogar sehr", ein erschöpftes Gähnen mischte sich in meine Worte, "...gut..."
Obwohl die Bewegungen mir so leicht vorgekommen waren, hatten sie offenbar doch recht stark an meinen Kräften gezehrt und so drehte ich mich müde auf die andere Seite zurück und schloss die Augen.
Es mussten ein paar wenige Minuten verstrichen sein, dann küsste mich Axel noch einmal auf die Stirn und flüsterte leise: "Wir sollten jetzt besser schlafen... (Es ist viel passiert.)" Damit drehte auch er sich um und nach einer Weile waren wir beide friedlich eingeschlafen.
Nun konnte ich mit neuer Gewissheit aufwachen und der Organisation XIII gemeinsam mit Axel selbstsicherer denn je gegenüber treten.
Denn wir wussten, dass wir ihnen etwas gewaltig mächtiges voraus hatten: Das Wissen über die Bedeutung einer Seele. Das sichere Wissen, was Gefühle sind. Was sie bedeuten.
Und natürlich...
Das Wissen, was LIEBE heißt.
~ENDE~