Kartenhaus von Irrwisch (Jedes Leben hat einen Sinn. Du musst ihn nur finden. Es gibt den Sinn des Lebens, und sei er nur... BITTE KURZBESCHREIBUNG LESEN!) ================================================================================ Kapitel 4: ...und das letzte Blut getrocknet ist ------------------------------------------------ ...und das letzte Blut getrocknet ist Ich stehe vor der Tür. Es regnet. Meine Kleidung klebt auf meiner Haut, aber darum kümmere ich mich nicht. Es interessiert mich nicht. Ich hatte nicht zurück ins Krankenhaus gemusst. Am Flussufer hatten sie mir meinen Kopf und Rücken verbunden. Dann waren sie fort gefahren. Hatten mich allein gelassen. Und jetzt… Jetzt stehe ich vor meiner Haustür. Bewegen tue ich mich nicht. Ich weiß, dass Rin Einkaufen ist. Sesshoumaru ist Zuhause. Wenn ich hineingehe, tut er mir weh. Aber auch, wenn ich mit Rin reingehe, wird er mich schlagen. Er wird einfach in mein Zimmer kommen. Ich werde mich nicht wehern. Ich habe es noch nie getan. Habe es einfach akzeptiert. Ich mache noch einen Schritt. Taishou, steht auf der Klingel. Leicht streifen meine Finger darüber. Ich kann das Klingen gedämpft hören. Bald werden Schritte deutlich. Sesshoumaru reißt die Tür auf. Er beäugt mich. „Du lebst noch?“, fragt er in hasserfülltem Ton. Ich nicke nur. Wenn es sich umgehen lässt, rede ich nicht mit meinem Bruder. Er reißt mich in die Wohnung und wirft mich zu Boden. Sagen tut er nichts. Er starrt mich nur hasserfüllt an. Ich sehe zu ihm auf. Gleichgültig, ich weiß, was geschehen wird. Er packt meinen Hals und hebt mich hoch. Mein Nackenknochen knackt. Er tötet mich nur nicht, weil es Rin auffallen würde. Einen anderen Grund gibt es nicht. Sesshoumaru schleudert mich gegen die Wand. Der kleine Tisch fällt um und die Vase zerbricht. Das Wasser breitet sich auf dem Boden aus. „Sieh, was du angerichtet hast!“, keift mein Bruder. Meine Antwort besteht aus Schweigen. Sesshoumaru knurrt. Er hasst es, wenn ich nicht auf ihn reagiere. Das weiß ich. Und genau deshalb tue ich es. Langsam stehe ich auf. Sesshoumaru tritt ein paar Schritte auf mich zu. Er schlägt mich so ins Gesicht, dass ich mit dem Kopf auf die Treppen fliege. Meine Platzwunde reißt wieder auf. Der Verband tränkt sich mit Blut. Mich interessiert das nicht. Ich bleibe auf den Stufen liegen. Ich weiß, dass er kommen wird. Warum also soll ich aufstehen? Und dann steht er über mir. Seine Augen strahlen seinen unglaublichen Hass auf mich aus. Dann geht er weg. Ich weiß, wohin er geht. Er will in die Küche. Er will ein Messer holen. Das hat er schon oft gemacht. Reagiert habe ich nie. Ich habe es gesehen, mehr nicht. An meinem ganzen Körper habe ich kleine, fast unsichtbare Narben. Die Narben des Hasses. Ich drehe den Kopf zur Tür. Er kommt heraus. Das Messer hat er in der Hand. Ich mache die Augen einfach zu. Ich spüre ihn. Den Schmerz. Und das Blut. Das Blut, das aus meinem Körper fließt. Ich wehre mich nicht. Der Schmerz beweist mir, dass ich noch lebe. Sonst würde ich mich als „tot“ fühlen. Ich spüre, wie Sesshoumaru mein Hemd öffnet. Dann hebt er meinen rechten Arm. Ich kann sein Grinsen fühlen, als ich kurz zusammenzucke. Er nimmt das Messer. Ich öffne meine Augen. Ich sehe seine irr flackernden Augen. Er setzt das Messer an meiner Schulter an. Es schneidet leicht in meine Haut. Sesshoumaru stößt es in mein Fleisch und zieht meine Narbe nach. Er weiß, dass ich dort immer die größten Schmerzen habe. Wie auch jetzt. Ich ziehe scharf die Luft zwischen die Zähne ein. Schreien will ich nicht. „Na, tut das weh?“, fragt Sesshoumaru flüsternd. Seine Stimme strotzt nur so vor Böswilligkeit. Ich antworte nicht. Er kennt die Antwort. Obwohl ich es nicht will, rinnt mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Ich spüre ihre Nässe auf meiner Haut. „Oh, unser Kleiner weint! Das tut mir ja Leid!“ Er fängt an zu lachen. Er weiß, dass er gewonnen hat. Er hat immer gewonnen. Mit einem schnellen Ruck, der mir große Schmerzen bereitet, zieht er das Messer aus meinem Fleisch. Die Treppenstufe färbt sich rot. Sesshoumaru schlitzt mir noch die Wange auf. Das macht er immer. Dann geht er in die Küche. Ich bleibe einfach liegen. Später stehe ich auf. Die Treppen sind rot. Rot und feucht. Feucht von meinem Blut. Langsam gehe ich hoch. Meine Schritte sind leise. Man hört sie nicht. Dann bin ich bei der Tür, die in mein Zimmer führt. Ich öffne sie. Darin stehen nur ein Bett, ein Tisch und ein Schrank. Mehr nicht. Mehr brauche ich nicht. Ich lasse mich auf mein Bett fallen. Es riecht nach Waschmittel. Nach dem Waschmittel, das Rin immer benutzt. Dann kommt er. Der Schmerz. Der Schmerz der unzähligen kleinen Schnittwunden. So ist es immer. Der Schmerz kommt immer dann, wenn ich alleine bin. Wenn alles vorbei ist. Es tut weh. Die Bettdecke färbt sich rot. Rot von meinem Blut. „Versprich mir… dass du nicht aufgibst…“ Nicht aufgeben? Ich habe schon aufgegeben. Seit deinem Tod. Seitdem bin ich nicht mehr der, der ich einst war. Ich habe mich aufgegeben. Mehr kann ich nicht aufgegeben. Mehr habe ich nicht. Das andere hast du mit dir in den Tod genommen. „I’m dying again.“ Ja. Ich sterbe wieder. Ich sterbe jeden Tag. Bei jedem Lachen. Immer wenn ich sehe, dass andere „glücklich“ seien können… Ich bin aufgestanden. Der Blutfluss ist versiegt. Ich sehe hinaus auf den Sonnenuntergang. Ich sehe den roten Himmel. Rot wie Blut. Ich berühre leicht die Fensterscheibe. Vorsichtig stoße ich es auf. Ich spüre den Wind. Er ist angenehm auf meiner Haut. Und die Wärme der untergehenden Sonne. Ich höre ein Zwitschern. Es ist ganz in meiner Nähe. Auf der Fensterbank sitzt ein Vogel, der mich ansieht. Ich lächle. Er singt eine Melodie, fliegt auf meinen Finger. Leise flüstere ich: „Fly. Fly against your freedom.“ Der Vogel zwitschert noch einmal. Dann fliegt er fort. In seine Freiheit. Ich will auch ein Vogel sein. Fort fliegen von hier. Dann lächle ich noch mal. Ich würde fortgehen. Nicht fliegen, aber ich würde nicht für ewig hier sein. Irgendwann würde ich frei sein, auf eine ganz besondere Art und Weise… Irgendwann… Es ist Nacht. Ich stehe immer noch am Fenster. Rin hat angeklopft, aber ich hatte nicht geantwortet. Ich will niemanden sehen. Vor allem nicht sie. Rin würde fragen, woher das Blut kommt. Was hätte ich ihr sagen sollen? Ich lehne mich an die Fensterscheibe. Die Straßenlaternen geben den Betrunkenen auf ihrem Weg nach Hause ein wenig Licht. Ich kann sehen, wie sie torkeln. Ihre Frauen würden sauer werden. Schimpfen und ihm dann wieder verzeihen. Weil sie sie lieben. Liebe. Ein seltsames Wort. Ein Wort, das ich nicht kennen gelernt habe. Ich weiß, was Hass ist. Ich weiß, wie sich Schmerz anfühlt. Und ich weiß, was Einsamkeit ist. Ich schließe die Augen. „All that I’m living for is my promise“, flüstere ich. Ich lebe nur für das Versprechen, das ich dir gegeben habe. Für mehr nicht. Oder… doch. Für meinen Weg ins Nichts. Auch für ihn lebe ich. Als ich die Augen öffne, sehe ich eine Sternschnuppe. Ein weißer Strahl am Himmel. Wo kommen Sternschnuppen her? Was bedeuten sie? Gibt es wirklich einen „Gott“…? Auf keine dieser Fragen gibt es eine Antwort. Keine Antwort, der ich Glauben schenken kann. Ich glaube nicht an Gott. Ich glaube nicht daran, dass „Wünsche“ wahr werden können. Ich glaube nicht an die wahre Liebe. Ich glaube nur an Bestimmung. Zufälle gibt es nicht. Alles ist vorherbestimmt. Auch mein Weg ins Nichts. All dieser Schmerz. All das ist vorherbestimmt. All das muss so kommen. Weil es richtig ist. Es gibt keine Alternative. Die Menschen glauben, sie hätten eine Wahl. Aber am Ende kommt es, wie es kommen muss. Sonst zerbricht die Welt. Das weiß ich. Wenn man den Tod verhindert, muss ein anderer sterben. Ich hatte die Ehre noch nicht. Wir alle sterben nur anstelle eines anderen. So schließt sich alles in einem Kreis. Einen Kreis, den niemand verließen, nicht der größte Elefant, nicht der kleinste Floh. Dann höre ich einen Schrei. Ich sehe, wie ein Mann erschossen wird. Er ist gestorben. Gestorben für einen anderen Menschen. Hier hat sich der Kreis des Lebens also geschlossenen. Ich sehe hoch in den Himmel. Der Mond strahlt auf mein Gesicht. Sein Licht. Sein kaltes, kühles Licht. Das kalte Licht, das den Tod umgibt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)