Kartenhaus von Irrwisch (Jedes Leben hat einen Sinn. Du musst ihn nur finden. Es gibt den Sinn des Lebens, und sei er nur... BITTE KURZBESCHREIBUNG LESEN!) ================================================================================ Kapitel 3: Wenn der erste Regen fällt... ---------------------------------------- Mein Kopf dröhnt auch drei Tage später noch. Ich will hier weg, aber als ich aufgestanden bin, ist mir schrecklich schlecht geworden. Das wird was geben, wenn ich nach Hause komme! Sesshoumaru würde mich umbringen! Wahrscheinlich muss ich in der neuen Schule gleich zum Spitzenreiter werden. Sesshoumaru wird das verlangen. Seit auch Vater das Zeitliche gesegnet hat, will er, dass ich in der Schule immer vorne mitschwimme. Mir ist es egal, was aus der Zukunft wird. Vor allem, da ich nie richtig leben werde. Ich höre das Klicken der Tür. „Für andere eine erfreuliche Nachricht, für dich eher das Gegenteil. Du sollst nach Hause, Inu Yasha“, sagt Dr. Tendo. Ich blicke ihn nur aus den Augenwinkeln an. Sagen tue ich nichts, ich stehe einfach auf. „Soll ich dir ein Taxi rufen?“, fragt Dr. Tendo. Stumm schüttele ich den Kopf. Ich stelle mich in den Türrahmen und sehe mir den Raum an. „Ist alles in Ordnung? Du torkelst so.“ Da ist es wieder. SEIN Gesicht. Das Gesicht, das meine Mutter umgebracht hat. Ich kann es nicht verdrängen. Nirgends, vor allem nicht an diesem Ort. Ich schließe die Augen und wende mich um. „Nein“, murmle ich schwer verständlich. „Es geht schon so.“ Ich spüre Dr. Tendos besorgten Blick auf mir aber umdrehen tue ich mich nicht. Ich gehe langsam die Treppen herunter, ich weiß noch, dass Vater hier herauf gehechtet ist. Warum lässt mich die Vergangenheit nicht los? Warum liegt sie über mir wie ein Schatten? Ich drehe den Kopf und sehe auf die Parkanlage vor dem Krankenhaus. Ich sehe Kinder, die spielen, alte Leute auf den Bänken sitzen und ihren Enkeln zuschauen und verliebte Pärchen, die Händchen halten. Eins haben sie gemeinsam. Sie alle sind glücklich. Ich stolpere über irgendwas, was auf der Treppe liegt, und bewältige den Rest der Treppe schneller, als mir lieb ist. Es gibt einen dumpfen Schlag, als ich lande. Sofort ist das Nest der Krankenschwestern in heller Aufregung und umschwirrt mich. Sie plappern irgendwas, was ich nicht wahrnehme. Dann ertönen schwere Schritte. Irgendein neunmalkluger Arzt berührt die Platzwunde auf meiner Stirn. Auch er plappert etwas, darauf wird das Geschnatter der Schwestern nur noch lauter. Ich stütze mich auf den Unterarmen ab und springe auf die Beine. Der Arzt ruft irgendwas das wie „Hinlegen!“ klingt, aber ich achte nicht darauf. Die Krankenschwestern laufen wie aufgescheuchte Hühner um mich herum. Ich drehe mich um und laufe aus dem Gebäude, ich will einfach nur weg hier. Weg von dem Geplapper, weg von der Sorge, weg von der Erinnerung, einfach weg von allem. Ich will dahin, wo die Sonne niemals aufgeht. Einfach nur ins Nichts. Ist das denn so schwer? Scheinbar. Nicht nur, dass die Passanten versuchen, mich aufzuhalten, auch ist ein Krankenwagen hinter mir her. „Inu Yasha!!“, schreit eine Stimme, die ich als Dr. Tendos identifiziere. Aber ich will ihn nicht sehen. Die Nacht des roten Schnees. Warum erinnert mich alles daran? Warum kann ich nicht wie andere sein? Warum kann ich niemandem mein Herz öffnen? Ich will jemanden haben, der mich versteht. Der weiß, wie ich fühle. Der mich vielleicht trösten kann. „Achtung!! Da ist eine Katze!!“, ruft jemand. Zu spät. Ich verheddere mich mit dem Fellknäuel und lande schon wieder auf dem Boden. Die Katze miaut schrill auf und schlägt mir ihre Krallen über das Gesicht. Auch wenn mein Kopf protestiert, stehe ich auf und renne weiter. Ich will nicht zurück. Vor zwölf Jahren habe ich ein ganzes Jahr dort verbracht! Reicht das denn nicht? „Los, haltet ihn fest!!!“, schreit jemand durch ein Megaphon. Sofort spüre ich, wie sich zwei Arme um meinen Körper schlingen. „Jetzt bleibst du hier, Freundchen“, sagt er in mein Ohr. „Viel Spaß beim Zahnarzt!“, rufe ich und schlage ihm in den Mund. Wie erwartet lässt er mich los und ich laufe weiter. Dummerweise hat das mich meinen Vorsprung gekostet. Und mir würde bald die Puste ausgehen. Ich muss irgendeine Abzweigung finden! Nur wo? „Bleib doch stehen! Es hat doch sowieso keinen Zweck!“ Ich drehe mich kurz um. Unweit von mir ist ein Fluss. Da kommt mir eine Idee. Ich renne zum Flussufer. „Inu Yasha!! Komm sofort hierher, hast du verstanden?!“ Ja, aber er hat nicht gefragt, ob ich das auch mache. Also weiter im Text. Ich hole Luft und springe kopfüber in den Fluss. Unter Wasser schwimme ich ein paar Meter, bevor ich wieder auftauche. Warum machen diese Leute wegen einer Platzwunde einen solchen Aufstand. Sicher, ich könnte einfach mit ihnen zurückgehen, aber ich will nicht. Ich will nicht wieder in diesem Raum sein. Weg, weg von allem, das ist mein Wunsch. Der Krankenwagen hält quietschend vor dem Flussufer und sie steigen aus. Sie rufen irgendwas und winken mir zu, dann höre ich ein Tuten. Ich sehe hoch und sehe ein Schiff. Ich hole nicht richtig Luft, ich tauche einfach unter. Ich tauche fast auf den Grund. Trotzdem schabt der Kiel über meinen Rücken. Unter Wasser gebe ich eine Art Stöhnen von mir. Noch bevor das Schiff zur Hälfte über mir weg ist, geht mir die Luft aus. Ich schlage die Hände vor den Mund und winde mich. Aber es hilft nicht. Ich fange an zu atmen und zu allem Übel schlägt mir das Ruder noch gegen den Körper. Dann verliere ich die Besinnung. Sinke dahin, wo die Sonne niemals aufgeht. Jemand drückt mir im Sekundentakt die Hand aufs Herz. Ich blinzle und dann spucke ich das geschluckte Wasser wieder aus. Als das erledigt ist, atme ich schwer. Meine Umgebung nehme ich gar nicht wahr. „Es hat doch nichts genutzt, hm?“, fragt jemand. Ich blinzle noch einmal und nehme die Menschen um mich herum wahr. Das Doktorenteam aus dem Krankenwagen. Mein Fluchtversuch ist ja gründlich in die Hose gegangen. Aber so einfach aufgeben kommt nicht in die Tüte! Ich versuche, aufzuspringen, aber die Bewegung tut mir weh. „Du tust dir nur selbst weh. Ein guter Sportsmann muss auch verlieren können, das weißt du doch.“ Ich lasse mich auf den Rücken fallen und sehe den dunklen, bewölkten Himmel an. Und schon tropfen die ersten Regentropfen auf mein Gesicht. „Oh nein, jetzt fängt es auch noch an zu gießen! Hat mal einer eine Decke für Inu Yasha?“ Ich höre ihn gar nicht. Regentropfen. Regentropfen an der Fensterscheibe. Der Junge sah auf. Die Schwester neben ihm sah erfreut aus über seine Regung und fragte ihn etwas. Aber darauf reagierte er nicht. Die Krankenschwester ließ den Kopf hängen. Sie murmelte etwas. Leise stieg der Junge aus dem Bett und tapste zu dem geschlossenen Fenster. Er sah die dunklen Wolken. Die dunklen Wolken des Regens. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, eine Sekunde lang. Dann wurde seine Miene wieder ausdruckslos. Die Regentropfen hatten ihn an die Finger seiner Mutter auf dem Glastisch erinnert, wenn er mal wieder etwas angestellt hatte. Jetzt war ihr Gesicht ganz dicht in seinen Gedanken und los wurde er es nicht. In dem letzten halben Jahr hatte er viel nachgedacht. Über die Nacht des roten Schnees. Über den Tod seiner Mutter. Über ihren Mörder. Über sein Ziel. Aber teilgenommen am Leben hatte er nicht. Er hatte sich aufgegeben, den Wunsch seiner Mutter missachtet. Doch das hatte nicht in seiner Absicht gelegen. Es war einfach so gekommen. Erst vor ein paar Tagen war auch sein Vater gestorben. Nun war nur noch sein Bruder da. Sein verhasster Bruder. Der Junge öffnete das Fenster. Zugleich spürte er die Regentropfen auf seiner Haut. Der Regen war schön kühl, genau wie der Wind, der ihm ins Gesicht blies. Er hatte das Versprechen gegenüber seien Eltern gebrochen. Aber jetzt war es nicht mehr zu ändern. Er musste dieses Leben leben, nicht um seinetwillen, sondern um den Willen seiner Eltern. Das war er ihnen noch schuldig, konnte er das Versprechen schon nicht einhalten. Der Wind ließ seine Haare fliegen. Sein Gesicht war nass, aber das interessierte ihn nicht. Die Regentropfen hatten ihn endlich mal aus seinem Bett hervorgelockt. Dann blitzte es. Der Donner setzte kurz danach ein. Er war laut. Die Krankenschwester versuchte, ihn vom Fenster wegzureißen und das Fenster zu schließen, aber der Junge klammerte sich an der Fensterbank fest. Die Schwester zog und zerrte wie eine Bekloppte, gab schließlich auf, um einen Doktor zu holen, der stärker war. Sie verstand sowieso nicht, wie ein Fünfjähriger stärker war als eine 25-jährige. Das Gewitter kam immer näher. Der Junge konnte die Blitze sehen. Sie waren wunderschön. Als hätte jemand sie in den Himmel gemalt. Und der Donner kribbelte in seinen Adern. Der Doktor und die Schwester versuchten es nun schon mit vereinten Kräften, aber der Junge rührte sich keinen Millimeter vom Fleck. Es schien, als hätte man seine Füße in Beton gegossen und in den Boden eingelassen. Schließlich gaben sie es auf und setzten sich auf zwei Stühle im Raum. Ihnen war sichtlich die Luft ausgegangen. Dann trat der Junge vom Fenster zurück und schloss es. Er konnte sie hören. Die Regentropfen. Regentropfen an der Fensterscheibe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)