Sportfreak 1/2 von Imi ================================================================================ Kapitel 1: Aus ganz mach 1/2 ---------------------------- Es war ein sonniger Frühlingstag, nicht zu warm aber auch nicht unangenehm kalt. Der Wind spendete zusätzlich angenehme Kühle, die auf der Haut prickelte. Ein perfekter Tag für einen Wettkampf. Sie, Haruka, hatte es ganz legal in eine von Männern dominierte Sportart geschafft. Zugegeben gewissermaßen war das, was ihr die Teilnahme bei diesem Wettkampf ermöglichte, wirklich nicht ganz rechtens, doch sie selbst hatte es sich nicht ausgesucht und versuchte nun das Beste aus ihrer Situation zu machen. Mit gemischten Gefühlen dachte sie immer wieder an jenen schicksalhaften Tag zurück, da es geschah. Auch heute, etwa ein halbes Jahr später, wusste sie nicht ob sie darüber lachen oder weinen sollte. Rückblick: Haruka und ihre beste Freundin Reika hatten sich gemeinsam mit den anderen Mitgliedern ihres Judo-Vereins in ein Trainingslager nach China begeben. Dort trainierten sie mehrere Tage intensiv und als Belohnung einer harten Trainingswoche fuhr die gesamte Gruppe in die nächstgelegene Stadt. Sie hatten Glück. In jener Stadt war gerade Jahrmarkt. Viele Menschen tummelten sich auf dem großen Kirmesgelände, auf dem viele die verschiedensten Vergügungsmöglichkeiten gab. Ihre Leiterin teilte sie in Gruppen von jeweils zwei oder mehreren Personen ein. Natürlich waren Reika und Haruka eine einzelne Gruppe. Das großgewachsene blonde Mädchen verstand sich nicht wirklich gut mit den anderen. Reika war ihre einzige Freundin. Schon seit Kindertagen kannten sie sich und trieben oft ihre Scherze mit anderen. Allerdings war dem großen Mädchen auch aufgefallen, dass Reika sich in letzter Zeit seltsam benahm. Immer öfter riss sie das Thema um Liebe, Jungs und vermeintlichen Pärchen an. Doch das war Haruka alles weitgehend egal. Für sie zählten bislang andere Dinge. Sie wollte frei sein und jede Sportart mit Bravour bewältigen. Das erfüllte sie vollkommen. Um Jungs hatte sie sich noch nie Gedanken gemacht. Zumindest nicht in jenem Sinne wie man es von Mädchen in ihrem Alter erwartete. Sie kam ganz gut mit Jungs aus, was ihr auch vollkommen genügte. Immer schon hatte es sie eher zu Mädchen gezogen. Ein gelegentlicher Flirt mit einem ließ sie sich nicht entgehen, doch selbst das war mehr ein Spiel als wirklicher Ernst. Vor allem kümmerte sie sich jetzt nicht darum. Sie war auf einem Rummelplatz. Sie war hier um Spaß zu haben. Haruka erspähte als erstes den Autoscooter und zog ihre Freundin mit sich. Danach machten sich die beiden lachend auf die nahegelegene Achter- und Geisterbahn zu testen. Als sie die selbige verließen sah Reika sich missmutig um. „Du Haruka.“, sagte sie, den Blick nicht von den Pärchen wendend, welche gerade die Bahn verließen. „Hm.“, brummte diese nur. Längst war sie erneut damit beschäftigt die nächste Bahn auszukundschaften. „hättest du eigentlich nicht auch gern einen Freund?“ „Soll das ein Witz sein?“, fragte diese erstaunt. „Weißt du, ich hätte schon ganz gerne einen, aber der müsste dann so sein wie du?“ Erstaunt drehte Haruka, welche die ganze Zeit mit dem Rücken zu ihr gestanden hatte, sich zu ihrer Freundin um. Da, schon wieder. Reika tat es schon wieder. Sie benahm sich seltsam. „Wie ich?“, entgegnete sie geistesabwesend. Es waren Reikas grün-braune Augen, die sie in jenem Moment fesselten. Dieses zierliche Mädchen mit den braunen, geschmeidig schulterlangen Haaren, die sich zart lockten, hatten sie schon immer in ihren Bann gezogen. „Ja, wie du. Haruka, du bist stark und vertrauenswürdig, sogar einfühlsam. Das können die meisten Jungs einem nicht bieten. Und doch zieht es mich nur zu ihnen.“ Sie fixierte ihre Gegenüber. Reika meinte es todernst. Ihre Gesichtszüge waren einen Augenblick erwartungsvoll, so als hoffte sie inständig, dass Haruka sich in ihren Märchenprinz verwandelte. Es kam ihr schon fast vor, als sehnte sie sich danach, dass Haruka sie liebte. Was für ein absurder Gedanke, schalte Haruka sich selbst. Oder etwa doch? Diese grünbraunen Augen sind verlockend, aber mehr auch nicht, sinnierte sie gedanklich weiter. Denn dann, ganz plötzlich hellte sich Reikas Mine auf. „Du bist ein Trottel, voll drauf reingefallen.“, lachte sie. „Du hättest dein dummes Gesicht sehen müssen. Einfach zu komisch.“ „Du hast mir Angst gemacht. Für einen Moment dachte ich, du willst mich in einen Jungen verwandeln und anschließend abschleppen.“, scherzte Haruka mit. Sie fuchtelte, während dem Sprechen, mit den Händen einen Zauberer imitierend herum. Dann wandte sich sofort wieder dem Rummelplatz zu. So überhörte sie Reikas flüsternde Stimme: “Ja das wünsche ich mir. Wenn ich es könnte, würde ich es tun, denn du wärst mein Traummann.“ Gleich darauf verwarf Reika diesen in ihren Augen doch etwas absurden Gedanken wieder. Dennoch verkrampfte sich ihr Herz. „Wenigstens so wie bei diesem Ranma ½ Manga das wäre mir genug...“ Fieberhaft spähte das große Mädchen nach interessanten Ständen, die sie noch nicht inspiziert hatte. Sie liebte einfach den Jahrmarkt. Die Menschen, die Atmosphäre. Die ein oder andere Verwechslung bezüglich ihres Aussehens. Ja, obwohl sie ein Mädchen war, trug sie ihre sandblonden Haare stets kurzgeschnitten und liebte Männerkleidung, die nicht so beengend wie Frauenkleidung am Körper lag. Stets waren jene Verwechslungen amüsant verlaufen, jedoch pflegte Haruka die Situation rechtzeitig aufzuklären bevor es ernsthafte Schwierigkeiten gab. „Hey wie wärs damit?“ Reika deutete mit einer knappen Handbewegung auf einen etwas abgelegeneren Stand. Von außen sah er nicht gerade vertrauenserweckend aus. Schwarze Leinentücher verhüllten den Eingang des großen dunkelgrauen Zeltes. Über dem Eingang prangerte ein Schild, auf welchem geschrieben stand: Das Reich der Magie. „Das Reich der Magie. Das klingt als ob das Imperium um Darth Vader zurück wäre.“, sagte Haruka spottend. „Ach komm schon. Schlimmstenfalls erwartet uns da ein Wahrsager, der dir dann aus der Hand liest und dir fünf Kinder prophezeit.“, erwiderte die bereits vorausgehende Reika. Missmutig stapfte Haruka hinter her. Wahrsager, Magie und all das Zeug mochte sie schon immer nicht auch wenn es auf irgendeine Weise anziehend auf sie wirkte. Es war ihr fremd und alles was ihr fremd war oder sie nicht wirklich begreifen konnte jagte ihr Schauer über den Rücken. Schon als ihr Blick auf das Zelt gefallen war, hatte sie ein ungutes Gefühl beschlichen. Ihre Sinne und ihr Gewissen mahnten sie. Andererseits wollte sie vor Reika nicht als Feigling dastehen. Gemeinsam betraten sie das Zelt, welches, wie sich schnell herausstellte, Innen ebenso düster war, wie es von Außen ausgesehen hatte. Die Stoffwände waren schwarz. Hier und da brannten kleine Teelichter, welche schemenhafte Schatten auf die gegenüberliegende schwarze Wand warfen. Haruka schauderte und war im Inbegriff zu gehen. „Wow.“, flüsterte Reika andächtig. „Willkommen.“, sagte eine unbekannte Stimme. Haruka blieb stehen. Der Klang der Stimme hatte sie soeben in ihren Bann geschlagen. „Womit kann ich den Damen dienen?“, fragte die unbekannte Stimme. Beide Mädchen sahen sich suchend im Raum um, doch niemand war zu sehen. Alles schien wie zuvor. Schemenhafte Schatten, die sich leicht bewegten verliehen der Atmosphäre mehr Spannung. Es knisterte förmlich in der Luft als Reika das Wort ergriff. „Eigentlich wollten ich uns nur umsehen.“ Verlegen wuschelte sie sich durch das lange gelockte Haar. „Und ich möchte gar nichts. Reika ich warte draußen.“, sagte sie schlicht und verließ das Zelt. „Du bist wegen ihr gekommen, nicht wahr?“, fragte die Stimme aus dem Schwarz des Raumes. „Wie kommen Sie denn darauf?“ Reika war empört, dennoch wusste sie, dass die Stimme die Wahrheit sprach. Tief in ihrem Herzen hatte sie sich gewünscht hier eine Möglichkeit zu finden, um sich ihren, mittlerweile innigsten, Wunsch zu erfüllen. Es quälte sie, wenn sie Haruka sah. Immer kam sie in Männerklamotten an und sah daran noch so unverschämt gut aus, dass sie allein bei ihrem Anblick dahin schmolz. Und so war mit jedem Tag, der verstrich der Wunsch gewachsen, dass Haruka ein Mann wäre, sich ansonsten aber nicht änderte. Dann hätte sie wirklich eine reelle Chance ihren Traummann für sich zu gewinnen. Denn alle anderen waren, wie sie bereits schmerzlich feststellen musste, vergeben. „Magie.“, antwortete die Stimme gelassen. „Magie?“, wiederholte Reika. „Ganz genau. Du besitzt zwei sehnlichste Wünsche. Doch nur einen davon kann ich dir erfüllen. Wähle weise.“ Konnte sie das wirklich tun? Ihr Gewissen mahnte sie, doch Reikas Wunsch nach einem Traummann war stärker. In jenem Moment war ihr egal, was in Harmukas Interesse lag oder nicht, es war ihr völlig egal. Vielleicht ging ihr unmöglicher Wunsch ja trotz allem in Erfüllung. „Du hast also gewählt. Die junge Dame soll von nun an als Mann weiterleben.“ Reika nickte. „Bist du dir wirklich sicher?“ Wieder nickte Reika. „Zumindest zur Hälfte.“, sagte sie und fügte gedanklich hinten an: „Wie in Ranma ½“ Sie ahnte ja nicht, dass jener Unbekannte wirklich die Kräfte der Magie beherrschte und so auch ihre Gedanken lesen konnte. „Dein Wunsch sei gewährt.“, sagte die Stimme. „Nun geh.“ Reika, die das alles mittlerweile als Scherz abtat, trat nach draußen. Mittlerweile war es dunkel geworden und die bunten Lichter der vielen Jahrmarktstände brachten sie zum Lächeln. Rückblick Ende Der Wettkampf war mittlerweile beendet und missmutig packte Haruka ihre Sachen zusammen. Sie hatte nicht ganz ihr erwünschtes Resultat geschafft, aber immerhin war sie vierte geworden. Gerade als sie ihre gepackte Sporttasche schulterte vernahm sie eine ihr bekannte Stimme. „Bist du das Haruka?“ Eigentlich wollte sich Haruka gar nicht umdrehen. Nicht jetzt, nicht so wie sie war, erkannt werden. Dies führte nur zu Fragen, das wusste sie genau. Seit einem halben Jahr war das schließlich schon so etwas wie Routine geworden. Aber sie drehte sich um, es geschah ganz automatisch. „Du bist es wirklich, Haruka. Lange nicht mehr gesehen.“, sagte die ihr bekannte Stimme, welche Elza Grey gehörte. Verdammt, dachte Haruka. Jetzt bloß nicht in ein allzu langes Gespräch verwickeln lassen, ehe es ihr auffällt. „Oh hi Elza.“ Haruka bemühte sich wirklich so höflich wie möglich zu klingen. Leider wollte es ihr nicht so ganz gelingen. „Man es ist echt eine Ewigkeit her, seit wir uns das letzte Mal sahen.“, entgegnete Elza, wenig von der Ruppigkeit Harukas beeindruckt. Haruka kannte das ihr gegenüberstehende Mädchen , mit den rosagelockten Haaren und der wunderschönen sonnengebräunten Haut schon seit langer Zeit. Sie waren sich das erste Mal bei einem Wettkampf begegnet. Damals lief sie noch Rennen und war eine der angesehensten Athletinnen überhaupt. Nicht das sich das heute geändert hätte, aber mittlerweile war sie vorsichtiger geworden. Sie nahm längst nicht mehr an allen Wettkämpfen teil, die ihr zugesagt hätten. Vieles hatte mit ihrem Zustand zu tun. „Kann schon sein. Tut mir leid, aber eigentlich hab ich keine Zeit.“, sagte sie barsch. Gerade als sie gehen wollte sagte Elza etwas, das sie wie eine Salzsäule erstarren ließ. “Einen Moment lang dachte ich wirklich, ich hätte dich mit jemandem verwechselt. Der Zopf steht dir gut, auch wenn es für mich ungewohnt aussieht. Beinnahe hätte ich mich nicht getraut dich anzusprechen...“, sagte sie und fuhr ungehindert fort: „Aber sagmal...irgendwie kommst du mir doch größer vor.“ „Unsinn.“, entgegnete Haruka sichtlich genervt. „Und irgendwie...breitschultriger.“, fuhr das sportliche Mädchen fort. Haruka wurde die Situation immer unerträglicher, sah sich jedoch auch nicht mehr in der Lage irgendetwas dagegen zu behaupten. Ihr einziger Gedanke war: Verschwinden und zwar plötzlich. „Außerdem.“, bemerkte Elza knapp. „klingt deine Stimme viel tiefer als sonst. Du wirst doch hoffentlich keine Anphvitamine zu dir nehmen.“ „Was?“, fragte Haruka sichtlich geschockt. Erneut hatte sie in ihrer Gehbewegung inne gehalten ohne es zu wollen. „und das da... in deinem Gesicht.“ „Ich weiß nicht was du meinst und worauf du hinaus willst.“ „Man Haruka, das sind eindeutig Bartstoppeln.“ Oh verflucht!! Das blonde, großgewachsene Mädchen wünschte sich in jenem Moment nichts sehnlicher, als im Boden zu versinken. Aber wenigstens kanns nicht schlimmer kommen, dachte sie. „Haru-kun, da bist du ja.“, drällerte Reika und schmiss sich zugleich lachend an Harukas Hals. „Gratuliere zum vierten Platz, Champion.“ „Verschwinde“, zischte Haruka wütend. „Du bist schuld an diesem ganzen Schlamassel!“ „Ach reg dich nicht so auf, Haru-kun, dafür hast du ja mich.“, sagte Reika sich genüsslich an Haruka schmiegend. „Genau das ist ja der Schlamassel.“, entgegnete diese prompt. Elza stand die Augenbraun verziehend in unmittelbarer Nähe zu den Beiden. „Du bist wirklich ein Mann oder?“, fragte sie, nachdem sie Haruka einige Minuten länger betrachtet hatte. Haruka neigte den Kopf etwas zur Seite und schob Reika endgültig von sich. Elza fasste diese Geste richtig auf: “Mein Gott, bist du etwa unserem Biochemie-Club zum Opfer gefallen? Die haben neulich was von evolutionären Durchbruch gefaselt.“ Haruka schüttelte den Kopf. „Nicht ganz.“, antwortete sie. „Wenn du Zeit hast erkläre ich es dir später.“ Elza nickte verwirrt. „Himmel.“, stöhnte die Verwirrte, als sie von Weitem ein zierliches Mädchen auf sich zukommen sah. „Michiru, die hab ich ganz vergessen. Man Haruka, mach dich aus dem Staub.“ Nun staunte Haruka nicht schlecht. “Das Mädchen ist eine deiner größten Fans, wenn sie dich jetzt hier so erwischt nimmt das kein gutes Ende.“, erklärte sie knapp. Doch es war längst zu spät. Das zierliche Mädchen war nur noch wenige Schritte von der kleinen Gruppe entfernt. Als sie Elza sah, lächelte sie und strahlte dann über das ganze Gesicht, nachdem sie Haruka entdeckte. Reika, die das Schauspiel höchst eifersüchtig verfolgte, klammerte sich ihrerseits an den linken Arm ihres Geliebten. „Die Schnepfe hat sich den falschen Kerl ausgesucht...“, zischte sie leise, aber dennoch für Haruka gut hörbar. „Ich bin kein Kerl.“, schimpfte diese Reika sogleich an und stieß sie somit wieder von sich. Reika gab nicht viel auf die ablehnenden Gesten ihres Angebeteten. Längst hatte sie sich Hals über Kopf in ihren Haruka verliebt, der so grazil neben ihr stand. „Na ja, ich will mich ja nicht in eueren Streit mischen, aber für mich siehst du wirklich verdammt männlich aus.“, fügte Elza ergänzend hinzu. „Das liegt auch daran, dass ich momentan einer bin.“, knurrte Haruka. Sie war sichtlich genervt. „Aber in Wirklichkeit doch nicht?“, fragte Elza ungläubig. „Nein, verdammt. Das hast du doch selbst in der Umkleide gesehen!“, zischte Haruka böse. „Stimmt.“, meinte Elza. „Hm, vielleicht bist du auch einfach nur ein Zwilling...“ „Hallo.“, unterbrach sie eine liebliche Stimme. Das zierliche Mädchen stand nun lächelnd vor der kleinen Gruppe. Sie war schlank und trug ihr türkisfarbenes Haar offen. Sie kam einem Engel gleich, fand Haruka. Sie konnte gar nicht mehr den Blick von dieser zierlichen Schönheit wenden, bis ihre liebliche Stimme sie erneut aus ihren Gedanken riss. „Du bist also Haruka Ten’ou.“, sagte sie an die selbige gerichtet. Haruka antwortete nicht sofort. Was hatte Elza eben noch gesagt?, dachte sie. Ich sollte verschwinden... „Ja das ist Haruka Ten’ou.“, fiel Reika ihr in ihre Gedanken, noch ehe sie einen davon fortführen konnte. „Und er gehört zu mir.“ Sie betonte den letzten Satz mit einer solchen Unfreundlichkeit, dass es Haruka den Atem verschlug. „Danke Reika, aber ich kann immer noch für mich selbst sprechen.“, zischte sie zu ihrer Linken hin. Michiru versteifte sich. Sie traute ihren Augen kaum. „Aber das ist unmöglich.“, presste sie schließlich verstört heraus. Elza, die als erste schaltete, mischte sich die Situation aufklärend ein. „Michiru, das war ein Scherz.“ Ungläubige Blicke streiften Elza. Sogar Reika, die egal was ihren Geliebten betraf, um keine Antwort verlegen war, stutzte. Die Neugier, auf das was Elza zu sagen hatte, ließ sie schweigen. „Ein Scherz?“, erwiderte die Angesprochene ungläubig. Der Unterton ihres Satzes sprach ironische Bände. „Das da ist Harukas Zwilling.“ Haruka, die das ganze Gespräch mehr oder weniger amüsiert verfolgte verzog ungläubig verwirrt eine Augenbraue in die Höhe. Es war ihr schlichtweg ein Rätsel, warum Elza solch einen Aufwand betrieb um jenem Mädchen einzutrichtern, dass sie nicht Haruka sei. „Zwilling?“, fragte sie abermals ungläubig. Nun grinste auch Reika amüsiert. Dieses Spiel war ganz nach ihrem Geschmack. „Ein Zwilling also.“, stellte Michiru fest. „Aber sei so gut und verrate mir, warum dieser Zwilling,“, sie sprach das Wort absichtlich betont aus, „den gleichen Namen trägt, wie seine vermeidliche Schwester?“ Elza schluckte. „Na gerade des Scherzes wegen.“, mischte Reika sich zuckersüß lächelnd ein. „Deine rothaarige Freundin hat uns eben abgepasst, mich und meinen Freund Taro. Taro ist nicht so berühmt wie seine Schwester, musst du wissen. Folglich, um den ganzen Trubel nach dem Wettkampf zu entgehen, ist sie früher gegangen. Damit du nicht allzu enttäuscht bist warteten wir hier mit ihr.“ Haruka, die dem Wortschwall ihrer Freundin fassungslos folgte, begann, um wenigstens für den Moment die Fassade aufrecht zu halten, zu lächeln. Eine Sekunde später aber suchte sie flehend Blickkontakt mit Elza. Als sie diese anblickte, erkannte sie, dass das rothaarige Mädchen mindestens genauso blöd dreinblickte wie sie selbst. Michiru allerdings schien mit dieser Erklärung zufrieden. Die Enttäuschung stand ihr mit einem Male in ihrem engelhaftem Gesicht geschrieben. „Schade.“, murmelte sie betrübt. Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht ehe sie sich zum Gehen umwandte. „Ihr hattet eueren Spaß.“, sagte sie knapp. „Wir sehen uns dann morgen, Elza.“ Zum Abschiedsgruß hob sie die Linke und verschwand anschließend ebenso anmutig, wie sie über den Vorhof des Sportzentrums gekommen war. Ein sanfter Windhauch, welcher die Wipfel der Bäume leise rascheln ließ, trug ihr ein paar weiße Kirschbaumblüten hinterher. Kapitel 2: Der Zwilling ----------------------- „Was zum Teufel sollte das eigentlich?“, fragte Haruka nicht gerade freundlich, während sie sich energisch aus Reikas Umarmung befreite. Sichtlich genervt nahm sie demonstrativ von ihrer einstmals besten Freundin mehrere Meter Abstand. Schließlich musterte sie abwechselnd Elza und dann Reika. „Ihr seid mir eine verdammte Erklärung schuldig.“, schrie sie aufgebracht. Elza zuckte merklich unter Harukas scharfen Worten zusammen. Dieser drohende Unterton besaß im Anbetracht ihrer Männlichkeit eine völlig neue Tragweite! „Verdammt, Haruka.“, entgegnete das rothaarige Mädchen ebenso aufgebraucht. „Erkläre mir lieber mal deinen Zustand. Einen Moment lang dachte ich wirklich Reika habe Recht. Das ist ein Scherz von dem ich auch nichts weiß. Du kannst nicht Haruka sein. Haruka war..ist durch und durch eine Frau!“ Elza schenkte der blonden Läuferin einen verächtlichen Blick. „Und ich bin ebenso wie Michiru darauf hereingefallen. Verfluchter Doppelgänger.“ Die junge Athletin drehte sich auf dem Absatz ihrer Turnschuhe um und verschwand in jene Richtung, welche zuvor auch Michiru eingeschlagen hatte. Zurück blieben eine verdutzt dreinblickende Haruka und eine leise kichernde Reika. Ein Lufthauch streifte Harukas Gesicht, ehe sie sich aus der Erstarrung löste. „Verdammt noch mal!“, fluchte sie laut schreiend. „Jetzt ist auch noch Elza auf und davon. Das is alles deine Schuld!“ „Meine Schuld?“, erwiderte Reika ungläubig. Haruka nickte energisch. Die Zornesröte stand ihr ins Gesicht geschrieben und sorgte dafür, dass sie einem aufgeblähtem Luftballon ähnelte. „Ich geb ja zu, ich hab mir deinen Zustand gewünscht. Aber mal ganz ernsthaft, du hättest die Situation auch aufklären können, wenn du gewollt hättest.“ „Na klasse. Und dann halten mich alle für irre und sperren mich in die Klapse.“, zischte Haruka zurück. „Siehst du! Daran trage ich keine Schuld!“, antwortete Reika gelassen. Sie war es ja schließlich gewöhnt, dass ihr Traumprinz sich derlei Beschuldigungen herausnahm ohne nachzudenken. Haruka blieb eben ein Hitzkopf, aber ein liebenswürdiger Hitzkopf, was ihn gleich noch mal doppelt so süß für sie machte! Verträumt lächelte sie. „Hör auf so doof zu grinsen. Die Show ist vorbei!“ „Ach du kennst doch die Freddieweisheit – Show must go on.“, kicherte Reika und hakte sich bei Haruka ein. „Lass uns nach Hause gehen.“, forderte sie lautstark. Seufzenden Untertons und widerwillig gehorchte die Blonde dann schließlich ohne ein weiteres Wort über dieses verrückte Treffen zu verlieren. Die Wochen zogen eintönig ins Land. Es gab nichts, was es sonst nicht auch gab. Haruka nahm, den Vorfall längst vergessen, abwechselnd an irgendwelchen Wettkampfveranstaltungen teil. Ihr neuer Zustand, welchen sie anfangs als Fluch gesehen hatte, besaß auch durchaus seine positiven Seiten. Seit Tagen allerdings nervte Reika schon. Oh eigentlich nervte ihre Freundin ja ständig, aber in letzter Zeit war es besonders schlimm. Von Morgens bis Abends lag sie Haruka in den Ohren, gemeinsam mit ihr zu dieser Ausstellung, welche sich seit Wochen eines riesen Ansturms erfreute, zu gehen. Natürlich, wollte ihre Freundin auch, dass es in ihrem männlichen Zustand geschähe. Oft fragte Haruka sich warum sie sich überhaupt noch mit Reika abgab. Sie allein trug Schuld daran, dass sie, wann immer sie mit kaltem Wasser in Berührung kam, einen männlichen Körper bekam. Lediglich warmes Wasser kurierte diesen Zustand. Reika hatte es sich damals gewünscht, das wusste Haruka und obwohl sie nichts anderes als Zuneigung für das kleinere Mädchen empfand, brachte sie es ebenso wenig über sich, mit ihr zu brechen. Zu brechen bedeutete den einzigen Menschen zu verlieren, mit dem sie je hatte reden können, in jenem Sinne, wie Freunde untereinander, miteinander sprachen, alberten und beratschlagten. Egal wie sehr der Gedanke des Brechens sie immer wieder verführte, er war nicht stark genug. Nichtmal eine Sekunde besaß er Ernsthaftigkeit und auch diesemal, da Reika wieder jammernd durch ihre Wohnung lief, schob sie jenen Gedanken rasch beiseite. „Schon gut, schon gut.“, sagte Haruka beschwichtigend, als sie es in ihrer Wohnung verdächtig klirrte. „Ich werde mitkommen.“, fügte sie geschlagen hinzu. Lieber das, als eine zerschlagene Wohnung! Das Aufräumen nach Reikas Wutanfällen war furchtbar mühsam und anstrengend. Nicht dass ihre Freundin damit genug hatte, sich lautstark durchzusetzen, nein sie musste dem ganzen noch immer einen letzten Touch verpassen, in dem sie irgendetwas zu Bruch gehen ließ. Wie so oft fragte sich Haruka, warum sie überhaupt die Tür geöffnet hatte. Sie wusste ja genau wer letztlich davor stand und um Einlass bat. Sie seufzte. Diesmal jedoch würde sie Reika nicht den Gefallen tun und als Mann an ihrer Seite in einer Menschenmenge aufzukreuzen. Missmutig, sich selbst über die Zusage ärgernd, verließ sie das Wohnzimmer in Richtung Bad. Ihre Wohnung war groß und geräumig. Es dauerte eine kleine Weile, bis man sie vollkommen durchquert hatte. Helle Tapete säumte die Wände, die ab und an mit Bildern verschönert worden waren. Alles in Allem legte die junge Sportlerin keinen besonderen Wert auf Ordnung. Jedoch gestand sie sich selbst ein, Ordnung zu halten war einfacher und praktischer für einen aufräumfaulen Menschen wie sie es war. Die großen breitkantigen Fenster, welche das Tageslicht großzügig gewähren ließen, harmonierten perfekt mit der Innenausstattung. Hier und da standen grüne Topfpflanzen auf dem Boden, auf dem Tisch. Manche besaßen auch einen der begehrten Regalplätze, die es den Pflanzen erlaubten sich vollkommen nach Lust und Laune auszubreiten. Warmes Wasser rann über kalte, nackte Haut. Und wieder geschah das, was Haruka ein jedes Mal Schauer über den Rücken trieb. Ihr Körper wandelte sich. Er tat es rasch und ohne Schmerzen. Sie empfand gar nichts dabei und doch war es seltsam mit anzusehen, wie der eigene Körper die Form wandelte. Etwas schrak sie aus den Gedanken. Ein Rufen. Der Ruf ihres Namens ertönte lautstark. Reika wartete ungeduldig. Nun galt es sich zu beeilen, wenn sie sich nicht den Zorn ihrer Freundin auf sich ziehen wollte. Kapitel 3: allgemeiner Aufklärungsbedarf ---------------------------------------- Dämmriges Licht erhellte den dunkel gehaltenen Ausstellungsraum. Es war, wie Haruka fand, eine äußerst angenehme Atmosphäre, die sicherlich noch um einiges angenehmer gewesen wäre, wenn sie ohne ihre Begleitung hätte erscheinen können. Aber wie so oft spielte das Leben seltsame Spiele und so hatte sie des lieben Hausfriedenswillen auch eingewilligt Reika zu begleiten. Die Bilder, welche abwechselnd rechts und links liebevoll arrangiert an den Wänden hingen, verliehen der ohnehin schon ruhigen Stimmung den spannungsvollen mystischen Hauch, der all die zahlreichen Besucher in ihren Bann schlug. Nicht einer in diesem Raum oder auch auf den Fluren nahe des Eingangs sowie des Ausgangs sprach ein Wort. Haruka fühlte sich regelrecht in eine andere Welt versetzt. Eine Welt, die vor Mystik und Abenteuer gerade zu platzte und es tatsächlich schaffte auch sie zu fesseln. Vor allem jenes Bild, vor dem sie bewundert stehen geblieben war, hatte es ihr angetan. Diese wohltuenden Farben harmonierten perfekt obgleich sie verschiedenster Art nicht hätten sein können und sprachen in Haruka etwas an, das sie nicht kannte. Stille! Ah es war so herrlich still. Nicht nur, da niemand es wagte auch nur ein Wort über die Lippen kommen zu lassen, sondern vor allem, weil dieses Bild, dessen Motiv so bizarr und doch harmonisch wirkte, die junge Sportlerin beruhigte. Solch einen inneren Seelenfrieden hatte sie noch nie besessen. Etwas zupfte an Haruka. Haruka, die ihre Augen einen Moment geschlossen hatte, blinzelte missmutig. Direkt sah sie in das Antlitz ihrer ohnehin nicht besonders erfreuten Freundin. Reika machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter, obwohl das nicht genügte um ihren Ausdruck zu beschreiben. Die Sportlerin schmunzelte. Wenn sie Reika so sah könnte sie lauthals loslachen. Es war wirklich schwer stets mit einer Begleitung unterwegs zu sein, welche die eigene Person vergötterte! „Lass uns gehen.“, forderte Reika leise flüsternd. Haruka verzog nachdenklich das Gesicht. „Du kannst unmöglich schon alles gesehen haben.“, gab sie gelassen zurück. Natürlich war sie sich dessen bewusst, dass Reikas schlechte Laune aus ihrem Impuls heraus resultierte hier ganz normal aufzutreten. Ganz normal bedeutete in diesem Fall als Haruka Ten’ou, so wie sie geboren wurde. Dazu noch einem Kleidungsstil, der schlichtweg jedem Funken und sei er noch so winzig, androgyn zu sein, entgegen wirkte. „Natürlich. Neupiccasso habe ich im Übrigen auch schon gesprochen und jetzt lass uns verschwinden?“, entgegnete Reika gereizt. „So?“; fragte Haruka neugierig. Irgendwie interessierte es sie die Person kennen zu lernen, die solch wunderschönen Bilder, ungeachtet ihrer gezeigten Motive, malte. Bestimmt handelte es sich um einen untersetzten, großen Kerl, dessen Körper schlaksig wirkte und der zu allem Überfluss eine dicke Hornbrille auf der Nase trug. Der typische Träumer eben. Bei diesem absurden Gedanken huschte ein ehrliches Lächeln über Harukas Lippen. „Wie ich sehe gefällt Ihnen das Bild.“, sagte eine fremd und doch seltsam vertraut klingende Stimme. Haruka nickte nur, denn so wirklich wollte sie den Anblick des Bildes nicht missen. „Ich habe es einfach nur Ocean genannt.“ Wieder nickte Haruka nur. Doch dann ganz plötzlich fanden die gesprochenen Worte sogar Verständnis in ihrem Kopf. Abrupt wandte Haruka sich um. „Das heißt Sie haben dieses Bild gemalt?“ Es war mehr eine Feststellung, als eine wirkliche Frage. Leider ermöglichte das fahle Licht des Ausstellungsraumes, welches ausschließlich dazu diente die Bilder zu beleuchten, es nicht, Harukas Gegenüber deutlich zu erkennen. Ihr Gegenüber stand aber eine, wie die junge Sportlerin auf Grund des Stimmenklanges vermutete, junge, weibliche Person, deren Gestalt von zierlicher Natur sein musste. Zur Antwort erklang ein melodisches, glockenklares Lachen. Ein Lachen, das Haruka so schnell nicht wieder vergessen würde. Ohnehin fühlte sie sich bereits be- wenn nicht sogar verzaubert. Wer nur, wer war diese Person? Welch Wesen zauberte solch anmutigen Bilder? Haruka schwindelte, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade dachte. Dazu noch von einem Mädchen. „Ja, dieses und auch die anderen hier stammen von mir, Michiru Kai’oh.“ Michiru? Hatte sie nicht irgendwo diesen Namen schon mal gehört? Schwach erinnerte sie sich. Der Name musste wohl auf der Eintrittskarte gestanden haben. Ja, das ergab sogar Sinn! „Es ist faszinierend.“ Als Haruka sich selbst sprechen hörte, glaubte sie kaum, welch ein Unsinn ihre Lippen verließ. Sonst war sie doch nie so verlegen! Ganz im Gegenteil, wer auch immer mit ihr sprach, wurde früher oder später verlegen. Egal ob sie das nun weiblicherseits oder männlicherseits tat. „Das Bild ist auch eines meiner Lieblingswerke.“, entgegnete Michiru. Man hörte das Lächeln, welches ihre Lippen umspielen musste, aus den Worten, die sie sprach. „Sie sind Haruka Ten’ou nicht wahr? Ich finde es wirklich schade, dass Sie sich aus den meisten Wettkämpfen zurückgezogen haben.“ Noch immer hörte Haruka nur auf das Lächeln, das sie nicht sehen konnte. Somit verging eine regelrechte Unendlichkeit, bis sie es schaffte auf die Frage der Künstlerin zu antworten. „Ich...also, es...“ Aber auch diesmal wollte es der jungen Sportlerin nicht gelingen einen vernünftigen Satz zu formulieren. „Haruka!“, die Stimme klang grauenhaft in den Ohren der Gerufenen. Es war Reika, die an ihrem Arm zerrte. „Lass uns gehen.“, forderte sie immer und immer wieder, ungeachtet Michirus Anwesenheit. „Ich möchte noch nicht gehen. Im Gegensatz zu dir konnte ich mir noch nicht alles ansehen.“ „Wen wundert das denn, wenn du eine geschlagene Stunde vor diesem bizarren Bild stehen bleibst?“, gab ihre Mitbewohnerin zurück. „Das Bild muss Ihnen ja außerordentlich gut gefallen.“, stellte Michiru ungeachtet der Protestreaktion Reikas fest. „Das tut es.“, entgegnete Haruka. Endlich, da war er! Der erste vernünftig formulierte Satz, seit diese talentierte Malerin sie angesprochen hatte, der ihrer Meinung nach sogar einen Sinn ergab. Insgeheim hatte die junge Sportlerin schon befürchtet sämtlicher Grammatik- und Sprachunterricht sei gänzlich umsonst gewesen. „Vor allem,“, die Worte kamen nun von ganz allein, Reika schien auf einmal weit weg und das Zerren an ihrem Arm nahm Haruka nicht mehr wahr, „die Farben. Sie harmonieren so wundervoll und passen doch kein Stück aufeinander. Ich besitze nicht viel Kenntnis über die Kunst an sich und möchte mir nichts anmaßen Kai’oh-San, aber ich weiß, dass genau das mir an diesem Bild gefällt.“ „Wow. Das nenne ich eine ehrliche Antwort. Dann wird Ihnen sicherlich das große Gemälde in dem anderen Saal ebenfalls sehr gut gefallen.“ „Sagen Sie müssten Sie sich nicht um andere Gäste kümmern.“, zischte es eifersüchtig neben Haruka. „Reika!“, diesmal konnte und wollte Haruka sich nicht bevormunden lassen. Wenn sie an die unangenehmen Situationen dachte, die durch Reikas dämlichen Witze immer wieder entstanden, ärgerte sie sich ein jedes Mal, dass sie ihr gegenüber nie konsequent genug gewesen ist. „Manchmal frage ich mich, warum ich so jemanden wie dich überhaupt mit mir herum schleife. Ich kann für mich alleine entscheiden.“ Haruka legte eine kurze Atempause ein. „Ich würde mir sehr gern unter Ihrer Führung die Bilder ansehen.“ Haruka bemühte sich so zauberhaft wie möglich zu lächeln. Warum sie das eigentlich tat, wusste sie nicht. Diese Michiru, auch wenn Haruka die Künstlerin bisher nur schemenhaft gesehen hatte, besaß die gleiche magische Anziehungskraft, wie ihre Werke. Koste es was es wolle! Sie musste Kai’oh-San besser kennenlernen! „Unter meiner Führung?“, fragte Michiru. Wieder hörte Haruka das ein Lächeln ihre Lippen umspielen musste. Der Klang ihrer Stimme zeugte davon. Und schließlich hörte die junge Sportlerin Michirus anmutiges Lachen. Es war so glockenklar, dass selbst kein Engel schönere Töne hätte zu Stande bringen können. Was Haruka in diesem so flüchtigen Moment fühlte, der scheinbar zugleich eine Ewigkeit währte, entzog sich ihrer Kenntnis. Auf einmal sammelten sich in Herz und Seele Gefühle, die vor Fremdartigkeit nur strotzten. Diese fremden Gefühle schmerzten, trugen zugleich aber auch eine wohltuende, ungekannte Wärme in ihr Innerstes. „Nun ich fürchte kostenlos wird das nicht werden.“ Haruka erstarrte. Der ernste Unterton dieses Satzes war ihr, auch wenn sie längst nicht mehr mitbekam was um sie herum geschah, nicht entgangen. Ja, sie hatte nicht beachtet, wie Reika den Ausstellungssaal zu Tode beleidigt verlassen hatte. Auch die Tränen, die das junge Mädchen dabei vergossen hatte, waren unbemerkt geblieben. „Sie werden sich wohl mit mir verabreden müssen.“, erklärte Michiru, die offensichtlich bemerkt hatte, dass Haruka vollkommen sprachlos vor ihr stand. „Verabreden?“ Mit einem Mädchen, fügte sie in Gedanken hinzu. Also wirklich, wo sollte das nur hinführen? Kapitel 4: Regen ---------------- Die Tür schlug laut hinter Reika zu, was verwunderte Blicke auf sie lenkte. Schließlich gab es einen Butler, der einer jeden Person, die Ein- oder Ausgang begehrte, diesen auch gewährte. Draußen hatte mittlerweile die Dämmerung den Tag besiegt und verhüllte die dicken grauen Regenwolken mit ihrem dunkelblauen Umhang. Sanfter Nieselregen, bestehend aus winzigen Wassertröpfchen, benetzte die Stadt. Die asphaltierten Straßen glänzten durch das auf die nasse Fahrbahn fallende fahle Licht der Straßenlaternen, die in regelmäßigen Abständen rechts und links der Dunkelheit trotzten. Es war still in der Stadt, wenn man die eintönigen, rasch vollführten Gehgeräusche Reikas außer acht ließ. Das junge Mädchen hastete durch die Straßen ohne dabei ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Salzige Tränen verschleierten ihren Blick wie nebliger Dunst, der von der sonnengewärmten Straße empor stieg um alles unwirklich erscheinen zu lassen. Als die Tränen verebbten und das Schluchzen erstarb, fand Reika sich im nächtlichen Jubaan-Park wieder. Das leise Plätschern, welches der Springbrunnen auch des Nachts verursachte, drang an ihr Ohr ebenso wie das leise Rascheln, das der sanfte Wind verursachte, als er mit seinem Atemhauch durch das Blätterdach der Bäume säuselte. Reika fror. Ihre Kleidung besaß kaum mehr die Fähigkeit die Körperwärme, welche das Mädchen abgab, zu halten. Der zarte Nieselregen hatte sie ebenso wie ihre Kleidung nach und nach vollkommen durchnässt. Das junge Mädchen seufzte. Ihr war nicht danach in ihre Wohnung zurück zu kehren. Ebenso wie ihr die Motivation fehlte sich zu Wärmen. Was spielte es auch für eine Rolle? Missmutig steuerte sie die nasse Parkbank an und setzte sich. Die Wolken am Firmament lichteten sich und zum Vorschein trat ein zunehmender Halbmond. Milchiges Licht spiegelte sich in den unzähligen Wassertropfen sowie im Brunnen. Bizarre Schatten huschten durch das sich stets in Bewegung befindende Wasser über die wellenschlagende Oberfläche. Reika seufzte abermals. Ihr Herz schmerzte. Auch wenn es im Ausstellungsraum sehr dunkel gewesen war, hatte das schemenhafte Licht, welches die Ausstellungsstücke beleuchtete, ausgereicht um den Blick zu zeigen, den Haruka dieser Künstlerin entgegen gebracht hatte. Einen solchen Blick hatte ihre Freundin noch nie besessen. Das neugierige Aufflackern in den sanft blauen Augen war ihr vollkommen fremd. Nie zuvor hatte sie Haruka gegenüber jemand anderem verlegen erlebt. Reika seufzte ein drittes Mal. Ihr schwindelte bei dem Resultat ihrer Gedankengänge. Vor allem aber schmerzte ihr Herz um so mehr. Krampfartig zog es sich zusammen, während ihre Seele kläglich zu weinen begann. Salzige Tränen rannen über ihre geröteten Wangen. Das verschwundene Schluchzen erklang von Neuem, ungehört. „Oh.“, sagte jemand. Das braunhaarige Mädchen schrak auf, während der blasse Mond wieder verdunkelt wurde. Scheinbar war sie in dieser wolkenverhangenen Nacht doch nicht allein gewesen. „Das klingt nach Liebeskummer.“ Langsam erhob Reika sich. Die schweren Tränen, die ihre geröteten Augen verließen, trübten ihren Blick jedoch derart, dass sie den Urheber des Satzes nicht ausfindig machen konnte, bis sie jemanden ganz in der Nähe husten hörte. „Es ist erstaunlich.“ Ein unangenehmes Schmatzen folgte. „Es zieht euch jungen Dinger immer wieder bei Liebeskummer in den Park.“ Reika antwortete nicht. Die große breitschultrige Gestalt, die sie mittlerweile in ihrer unmittelbaren Nähe ausfindig gemacht hatte, erweckte nicht unbedingt Vertrauen. „Hat er dich verlassen?“ „Nein.“, antwortete Reika automatisch. „Es ist kompliziert.“ „Ah. Kompliziert. Ja, das ist es immer.“ Die Gestalt, die eine sehr tiefe Stimme besaß, ließ den letzten sicheren Abstand zwischen Reika und ihr schmelzen. Der Halbmond lieferte sich am Firmament ein ständiges Wechselspiel mit den Wolken. Jetzt, da die Gestalt direkt vor Reika stand, offenbarte er ihr das Antlitz ihres Gegenüber. Vor ihr stand ein ruppig aussehender älterer Mann. Ganz offensichtlich gehörte er zu den Landstreichern, welche in den wärmeren Jahreszeiten den Park des Nachts als Schlafgelegenheit nutzten. Seine Kleidung, ein zerrissener dunkelgrüner Parker, triefte ebenso wie Reikas Kleidung vor Nässe. Die Jeans, die der Mann trug war verschmutzt und zerlöchert, ebenso wie die großen, offenen Schuhe an seinen Füßen. Sein Gesicht war kantig. Große, hässliche Bartstoppeln von graubrauner Farbe spickten es wie Nadeln einen Kaktus. Seine Augen aber verrieten Reika, dass er zumindest im Grunde seines Herzens ein netter Mensch sein musste. „Er ist gar nicht mein Freund.“, sagte sie in die Stille des Parks hinein. Irgendwie glaubte sie dem Alten eine Antwort schuldig zu sein. „Verstehe.“, brummte er. „Es wirkt nun so, als ob er sich für eine andere interessiert.“ „Eine angesehene Künstlerin.“ „Eine Künstlerin? Der Junge scheint ja was daher zu machen.“, stellte er erstaunt fest. Reika zuckte bei dieser Bemerkung zusammen. Da war er wieder, der Aufschrei ihrer Seele. „Mhm“, lenkte der Landstreicher ein, „aber das tun sie ja alle. Sonst würde man sich kaum für jemand anderen interessieren und umgekehrt ist es genau so.“ Er lachte und es klang furchtbar kratzig. Dem Mädchen kam ein unangenehm nach Alkohol und Zigaretten riechender Atemhauch entgegen, der ihr Übelkeit brachte. Kurz nachdem ihre Nase ihr die beiden Laster ihres Gegenüber offenbart hatte, kramte dieser ungeduldig in seiner Jackentasche. Einen Augenblick später zog er eine zusammengedrückte Schachtel Zigaretten hervor. Er schüttelte sie sanft. „Zwei sind noch drin. Nimm, wenn du magst.“ Er hielt ihr die offene Seite der Schachtel hin. Verlegen lächelnd lehnte Reika ab. „Ist auch besser so. Wenn man nicht anfängt, wird man auch nicht süchtig, nicht wahr?“ Wieder lachte er und wieder kramte er in seiner Jackentasche. Diesmal jedoch nach einem Feuerzeug oder den Streichhölzern. Nach einer schier unendlichen Suche fand er schließlich das Gesuchte und zündete sich zufrieden eine der Zigaretten an. Er nahm einen gigantischen Zug und bließ den unangenehm riechenden Dampf durch die Nase aus, während er die zerdrückte Schachtel wieder in seiner Jacke verschwinden ließ. „Die Liebe geht seltsame Wege, lass dir das gesagt sein. Und wenn die Künstlerin die richtige für ihn ist und es sich umgekehrt ebenso verhält, gib dich damit zufrieden, dass du in der Lage warst die Liebe zu empfinden.“ Reika schwieg. Vor wenigen Minuten, eben in jenem Moment, da sich der Landstreicher die Zigarette angezündet hatte, hatte Reika einen Entschluss gefasst. Sie würde ihr Verhalten ändern und sich Haruka nicht mehr wie ein kleines Schulmädchen an den Hals werfen. Elegant würde sie auftreten und um ihren Prinzen kämpfen. Koste es was es wolle! Schließlich hatte der alte Landstreicher ja gut reden! Jemand seiner Herkunft hatte wohl nie Chancen auf das Glücklich-sein besessen. Und durch einen weisen Spruch, der mit Sicherheit den einen oder anderen anteiligen Wahrheitsgrad besaß, ließ sie sich nicht abfertigen. Immerhin war und blieb Haruka ihr Traumprinz. Eine Freundschaft zwischen Haruka und ihr war auf Grund der Liebe, die Reika empfand, unmöglich geworden. „Ich werde nun nach Hause gehen.“, sagte sie an den Landstreicher gewandt. „Tu das. Und nimm es nicht so schwer. Es wird sich jemand anderes für dich finden.“, entgegnete der Angesprochene ruhig, während er den letzten Zug seiner Zigarette nahm. Lange Zeit blickte er Reika hinter her, wie sie ruhigen Schrittes den Park verließ. Schließlich warf er den Stummel auf den aufgeweichten Lehmboden und trat ihn aus. „Intrigen sind ein Fluch dieser Gesellschaft. Dein Herz ist durch zwei innige Wünsche zerrissen, von denen aber keiner so innig ist, dass er überwiegen könnte, Reika. Bald ist wieder Jahrmarkt, vergiss das nicht.“ Kapitel 5: Gedankenkreise ------------------------- Haruka lag schlaflos in ihrem Bett und starrte in die Dunkelheit. Es war bereits 4 Uhr in der Früh und die junge Sportlerin hatte noch kein Auge zugetan, seit sie die Ausstellung, die bedauerlicherweise um 23:00 Uhr schloss, verlassen hatte. Ihre Gedanken kreisten immer wieder nur um sie, die junge Künstlerin, die sich extra die Zeit genommen hatte, sie durch ihre Ausstellung zu führen. Eine wahre Wohltat. Wann immer sie ihr ein anderes Bild zeigte, hatte sie Haruka Zeit gelassen es in Ruhe zu betrachten, ehe sie mit zauberhafter, unschuldiger Stimme erklärte was sie dazu bewegt hatte, dieses Bild zu malen. Michiru. Haruka seufzte, als der Name erneut durch ihre Gedanken huschte. Michiru. Solch ein wunderschöner Name, der auch allerdings auch für einen Schreckmoment gesorgt hatte. Kurz nachdem Haruka gemeinsam mit Michiru den ersten Ausstellungsraum verlassen hatte, offenbarte sich das Antlitz der jungen Künstlerin. Haruka war einen Moment lang sichtlich geschockt gewesen. Sie hatte den Namen nicht nur auf der Eintrittskarte gelesen. Nein, ihr gegenüber stand Michiru Kai’oh. Jenes Mädchen, das eines ihrer größten Fans sein sollte. Auf einmal war es ihr unangenehm gewesen neben genau dieser Michiru zu stehen und mit ihr zu sprechen. Schnell aber war ihr bewusst geworden, dass Michiru sie nicht auf den Vorfall auf dem Wettkampfgelände ansprechen würde. Zumindest täte sie es nicht während dieser Veranstaltung. Michiru. Die Gedanken hörten nicht zu kreisen auf. Und sogar jener Schreckensmoment verlor an Wirkung, als die junge Sportlerin bemerkt hatte, dass es keine Bürde war mit der Künstlerin zu reden. Ja, sie hatte Haruka wirklich dazu gebracht zu plaudern wie ein kleines Schulmädchen, das sich für keines seiner Worte schämte. Ein Lächeln huschte über Harukas Gesicht, als sie an die Unterredung dachte, und ehe sie dann doch einschlief. Am nächsten Morgen riss ein seltsames in regelmäßigen Abständen wiederkehrendes Geräusch die junge Frau aus ihrem traumlosen Schlaf. Völlig schlaftrunken und orientierungslos richtete sie sich auf, stolperte aus dem Bett und auf ihre Schlafzimmertür zu. Entgegen ihrer Gewohnheit die Fensterläden über Nacht offen zu lassen, hatte sie die selbigen letzte Nacht jedoch geschlossen, um besser einschlafen zu können. So lag ihr Schlafzimmer trotz des weit vorgeschrittenen Morgens im Dunkeln da, was Haruka mehrmals fluchend kommentierte, ehe sie die Tür zur restlichen Wohnung aufriss. Abermals fluchend schützte sie ihre empfindlichen Augen vor den munter durch die Fenster einfallenden Sonnenstrahlen, welche die Wohnung angenehm wärmten. Endlich, nach einer schier unendlichen Reise durch ihre eigene Wohnung erreichte Haruka gereizt ihr Telefon: „Ten’oh.“ „Oh, habe ich Sie geweckt? Bitte verzeihen Sie mir.“ „Michiru?“, fragte Haruka völlig verdutzt und schollt sich bereits in Gedanken für ihre Respektlosigkeit. Wie konnte sie es wagen, die anmutige Künstlerin ohne Erlaubnis beim Vornamen zu nennen? „Ja.“, kam es kleinlaut zurück. „Ich wollte mich bei Ihnen für den gestrigen Abend bedanken.“ Bedanken?, dachte Haruka und sprach es sodann auch laut aus. „Nun Sie waren eine Inspiration und vor allem eine sehr angenehme Gesellschaft.“ Die junge Sportlerin spürte wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Wie konnte es nur geschehen, dass solch eine harmlose Bemerkung ihr die Röte ins Gesicht trieb? Normalerweise war sie diejenige oder derjenige, der für solche Reaktionen des Gesprächspartners sorgte. Ein Glück, dass Haruka keines dieser Bildtelefone besaß. „Danke.“, etwas anderes fiel ihr auf die Schnelle nicht ein. „Aber eigentlich rufe ich an, weil ich Sie gerne wiedersehen möchte.“ „Oh.“, entfuhr es Haruka, während sich ihre Gedanken überschlugen, Alarmglocken tangierten und schließlich in die Gefühlsachterbahn einstiegen. „Es tut mir leid, das war sehr anmaßend von mir.“ „Nein.“, entgegnete Haruka rasch, damit Michiru ja nicht in die Verlegenheit kam aufzulegen. „Es ist nur, ich... nun ja, wie soll ich sagen?“ „Ich verstehe das schon.“, versicherte Michiru. „Sie wollen Ihren freien Tag mit Ihrem Freund verbringen.“ „Meinem Freund?“, Haruka kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Aber woher wissen Sie eigentlich, dass ich heute frei habe?“ Letzteres störte die junge Sportlerin mehr, als der Verdacht vergeben zu sein, obwohl sie zugeben musste, dass es ihr diese Vermutung einen kleinen Stich ins Herz versetzte. „Nun ja, sagen wir so, ich habe unserer gemeinsamen Freundin Elza ein Angebot gemacht, das sie nicht ablehnen konnte.“ Michirus glockenklares Lachen drang an Harukas Ohr und besänftigte sofort ihren aufkeimenden Zorn. Aber Zweifel blieben. Woher wusste eigentlich Elza, dass sie einen freien Tag hatte? „Das klingt ganz nach der Pate. Steht etwa die Kunstmafia hinter Ihnen?“, scherzte Haruka mit. Sie wollte um jeden Preis ungezwungen klingen, um ihre Verlegenheit und vor allem das aufkeimende Misstrauen Michiru gegenüber zu verbergen. Sie spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. Hier ging es mit Sicherheit nicht einfach um ein simples Wiedersehen. „Ach bitte, nennen Sie mich Michiru. Dieses gesieze ist in unserem Fall unangebracht.“ „Na ja. Also eigentlich.“, Haruka versuchte das eigentliche Thema nochmals zur Sprache zu bringen, „habe ich den gesamten Tag Zeit.“ „Also gut, dann treffen wir uns im Pavillon des Jubaan-Parks heute Nachmittag um zwei. Bis später.“ Klick. Michiru hatte einfach ohne eine Antwort Harukas abzuwarten aufgelegt. Seltsam. Dieses Gespräch war mindestens ebenso verrückt gewesen, wie das erste Treffen, an dem Tag als Reika Elza und Michiru weiß machte, dass sie Taro hieße und Harukas Zwilling sei. Sei es wie es sei. Nun hatte sie so etwas wie eine Verabredung mit Michiru, die es einzuhalten galt. Vornehmlich aber freute sie sich ehrlich auf das Treffen. Eins aber betrübte den freudigen Gedanken daran. Haruka wusste, dass sie Michiru aufklären musste. Es war ganz offensichtlich, dass die Künstlerin Haruka nicht nur ehrliche Bewunderung zu trug. Kapitel 6: Vergessen -------------------- Die Zeit verging im Flug und Haruka hatte sich schrecklich beeilen müssen. Als sie vor knapp einer Stunde das Fenster ihres Schlafzimmers öffnete, war ihr Blick auf die Uhr gefallen, welcher ihr offenbarte, dass es kurz vor Knapp gewesen war. In Windeseile war sie also unter die Dusche gesprungen, hatte sich die erstbesten Klamotten aus dem Kleiderschrank genommen und diese angezogen. Wenig später, sie war mit ihrem geliebten Motorrad durch die Stadt gejagt, selbstverständlich sämtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen und Sicherheitsvorschriften ignorierend, stand sie wie verabredet vor dem Pavillon. Im Grunde hatte junge Sportlerin nicht gewusst, welchen Michiru meinte, schließlich gab es mehrere davon im Park. Alles in allem war es aber leicht gewesen den besagten zu finden. Eine Menschentraube hatte sich um ihn gebildet und Haruka kam sich mehr als unpassend vor. Der Pavillon fungierte als Bühne. Vor ihm waren Stühle aufgebaut worden, auf welchen vornehmlich ältere und anscheinend prominentere, wohlgekleidete Menschen saßen. Andächtig lauschten sie den Klängen, die das hölzerne Instrument der grazilen Musikerin bei strahlend schönem Wetter verließen. Haruka war mehr als überrascht, als sie Michiru auf der Bühne erkannte. Diese Frau steckte voller Überraschungen, was ihr mehr und mehr imponierte. Ja, wenn sie Michiru so auf der Bühne betrachtete, ganz ungeachtet der kritischen Blicke, die man ihrer eigenen Person auf Grund der unpassenden Kleidung – Haruka trug eine am linken Knie aufgerissene, ausgewaschene hellblaue Jeans, völlig ausgetretene Chucks, eine lässig über die Hose hängende weiße, kurzarmige Bluse und ihre hellblaue Jeanskutte – zu trug, befand sie sich außer Stande die Künstlerin aus den Augen zu lassen. Wie herrlich Michiru spielte. Die harmonischen Töne, die ihre Geige verließen, verzauberten Haruka und trugen sie auf ähnliche Weise in eine andere Welt, wie es am Abend zuvor ihre Bilder getan hatten. Das türkise, lockige Haar fiel Michiru hin und wieder ins Gesicht und verlieh dem anmutigen Engel das i-Tüpfelchen unvergleichlicher Schönheit. Mit ihrem samtgrünen Kleid hob sich Michiru sanft und unaufdringlich von der blassen, weißen Wand des Pavillons ab. Die provisorische Bühne besaß keinen Schmuck. Keine Blumen zierten das karge Weiß. Welche wären diesem Engel auch würdig gewesen? Haruka erschrak. Was dachte sie da? Michiru war ihr völlig fremd, auch wenn diese unvergleichliche Ausstrahlung, ihre nette Art eine durchaus ernstzunehmende Anziehung auf sie ausübte. Nichts desto Trotz war sie, ebenso wie sie selbst, na ja fast, eine Frau. Wie zum Teufel konnte Haruka auf einmal derartige Gefühle für eine ihr fremde Frau hegen? Oh ja, sie hatte die aufkeimenden Gefühle auf Anhieb erkannt. Die Liebe versuchte hartnäckig ihre Seele und auch ihr Herz für Michiru zu erobern. Vor langer, sehr langer Zeit aber, hatte sie sich selbst geschworen, dass es nichts zu erobern gab. Liebe war vergänglich und brachte Schmerzen, die Haruka nicht noch einmal mehr ertragen wollte. Und doch konnte sie den Blick von ihr nicht lösen. Erst jetzt fiel der Sportlerin auf, dass Michiru die Augen während der Darbietung geschlossen hielt. Versuchte Michiru etwa eine Botschaft zu senden? Wenn ja, an wen und welche? Donnernder Applaus riss Haruka aus ihrer Überlegung. Obwohl sie die Künstlerin die gesamte Zeit über beobachtet hatte, war ich nicht aufgefallen, dass das Musikstück zu Ende war. Das Publikum in der ersten Reihe erhob sich laut Beifall klatschend, während Michiru sich auf der Bühne verbeugte. Ein Mann, in schwarzem Anzug, betrat die Bühne: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies war das junge Nachwuchstalent Michiru Kai’oh. Ich bitte nochmals um Ihren Applaus.“ Das Publikum leistete der Aufforderung sofort Folge. „Vielen Dank. Als nächstes darf ich Ihnen...“ Haruka hörte bereits nicht mehr zu. Vor ihren Augen hatte Michiru mit einem einzigen suchenden Blick, der direkt in ihre Richtung gefallen war, die provisorische Bühne verlassen. Ein wenig später, Haruka schaute und hörte dem talentierten Sänger auf der Bühne zu, stand Michiru hinter ihr. „Hallo.“ Die junge Sportlerin drehte sich in Michirus Richtung und sah in ein fröhlich lächelndes Gesicht, konnte jedoch nichts erwidern. „Ich hoffe die Vorführung hat dir gefallen.“ Haruka entging nicht, dass Michiru ihre Kleidung amüsiert betrachtete. „Ja, das hat sie. Aber ich wusste nicht, dass...“ Michiru schnitt ihr sanft lächelnd die Worte ab. „Solltest du auch nicht. Die meisten jungen Menschen mögen keine klassische Musik.“, erklärte sie ein Auge spielerisch zukneifend. „Nun, aber ich bin nicht die meisten jungen Menschen.“, erwiderte Haruka in einem etwas ernsterem Ton. Sie wusste nun wirklich nicht was sie davon halten sollte. Im Grunde aber war es ihr egal. Schon jetzt fühlte sie sich ähnlich wie am letzten Abend, herrlich frei und ungezwungen. Michiru schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln. „Ich weiß.“, sagte sie. „Du hast etwas Besonderes und das mag ich an dir.“ Hitze ließ Harukas Wangen erröten. Die von Michiru gesprochenen Worte schlichen sich in ihr Herz und ließen es höher schlagen. „Außerdem sieht man das.“ Da war er wieder. Der amüsierte Blick, der Haruka für den aller winzigsten Bruchteil einer Sekunde, wenn es so etwas überhaupt gab, im Ganzen musterte. Er sorgte dafür, dass ein dunkler Schatten über ihre Stirn huschte. „Ach, sei nicht böse.“, sagte Michiru lächelnd, „Immerhin habe ich dir nicht gesagt, dass heute die Nachwuchstalente des Landes hier ihr Bestes geben und entsprechendes Publikum zu Gegen sein wird.“ Ihr glockenklares Lachen, das sich von Nahem noch wunderbarer anhörte, drang der jungen Sportlerin durch Mark und Bein. „Es ist also genau genommen meine Schuld, dass diese armen betuchten Menschen nun denken, dass sich ein wilder Roadie zu ihnen verirrt hat.“, führte sie weiterhin munter lachend aus und hielt sich dabei elegant eine Hand vor den Mund. Wie vornehm Michiru war. Nun fühlte Haruka sich wirklich fehl am Platz. Es war das erste Mal, dass sie sich in der Nähe der jungen Künstlerin unbehaglich fühlte. Diese Höflichkeitsfloskeln, Haruka kannte und beherrschte sie alle. Sie wusste wie man charmant und elegant sein konnte. Wie man Aufmerksamkeit ganz unauffällig auf die eigene Person lenken konnte und vor allem wie man kommunizierte. All das war ihr aber, vornehmlich in solch einem Umfeld, zuwider. Floskeln, so zumindest empfand sie all das, waren nur ein Mittel der Gesellschaft um Regeln zu schaffen und zu etablieren. Sie schränkten mit diesen Höflichkeitsgeboten die Menschen in ihrer Redens-, schlimmer noch, in ihrer Denkensweise und Art ein. Man war schlicht und ergreifend eingesperrt. Was sagten im Grunde Kleider schon aus? Über den Menschen, der vor einem stand, eigentlich gar nichts. Urteile aber, über jene unbekannte, angeblich schlecht gekleidete Menschen, wurden jedoch rasch herbeigeführt. Vor allem aber sprach man diesen das Rechtsmittel der Berufung ab. Vorurteile, dachte Haruka bitter. „Vielleicht wäre es dann angebracht,“, sagte Haruka, nachdem ihre Gedanken zu einer ungefähren Gemeinsamkeit fanden, „dass man den wilden Roadie entfernt.“ Es war mehr die Nachdenklichkeit gewesen, als wirklich das scherzhafte Geplänkel Michirus weiterzuführen. „Gerne.“, erwiderte diese nur und hakte sich ganz selbstverständlich bei ihr ein. Gemeinsam gingen sie so eine Weile Seite an Seite. Michiru schien sich an Harukas Seite sichtlich wohl zu fühlen. Die Zufriedenheit stand ihr förmlich im Gesicht. In der Nähe des großen Brunnens, Haruka mochte diesen Ort sehr gerne, da er von Bäumen förmlich umzingelt war und der Wind sich in ihrem Blätterdach austoben konnte, blieb Haruka stehen. Während des Spazierganges hatte sie nachgedacht und das anfängliche Misstrauen keimte wieder auf. Michiru, die ebenfalls stehen geblieben war, lächelte vielsagend und nickte schließlich verstehend. „Ich ahne was du fragen möchtest. Du möchtest wissen, woher ich wusste, dass du heute einen freien Tag hast, nicht wahr?“ Haruka nickte nur. Michiru senkte entschuldigend den Kopf. „Um ganz ehrlich zu sein. Ich wollte dich näher kennenlernen. Haruka, ich bewundere dich und außerdem...“ „Das mag ja sein. Aber das ergibt im Grunde nicht die Antwort auf die eigentliche Frage.“, entgegnete Haruka ein wenig hart. Härter sogar als sie eigentlich wollte. Michiru, auch wenn diese seltsame Spiele zu spielen schien, war ihr innerhalb weniger Stunden sehr ans Herz gewachsen, mehr noch als es ihr überhaupt behagte. „Außerdem frage ich mich,“, sagte sie nun ehrlich um die Situation ein wenig zu lockern, „woher weißt du, dass ich frei habe. Das heißt im Grunde, musst du viel über mich wissen. Aber es drängt sich dann die Frage auf, woher du nicht weißt, dass ich keinen Freund habe.“ Haruka lachte und sie dankte Gott in Gedanken dafür, dass es ungezwungen klang. „Nun ja.“, entgegnete Michiru ausweichend, „im Grunde wusste ich es nicht. Ich habe es einfach vermutet. Elza hat damit auch gar nichts zu tun. Von ihr habe ich nur deine Nummer bekommen. Versteh mich bitte nicht falsch Haruka, es war wirklich der Zufall, der uns gestern zusammenbrachte. Das hat mich sehr gefreut, denn ich wollte dich schon immer mal kennen lernen. Ja, ich weiß es klingt sehr verrückt.“ Haruka wollte bereits etwas vorbringen, doch Michirus Blick hielt sie davon ab. „Zum ersten Mal habe ich dich bei einer Schulmeisterschaft gesehen. Damals bist du noch viele Rennen gelaufen. Und seit ich dich damals das erste Mal wiedergesehen hatte, zog es mich zu dir.“ Nun war Haruka sprachlos. Die Ehrlichkeit, welche die Künstlerin ihr entgegenbrachte, ließ sie die zurechtgelegten Worte einfach vergessen. „Weißt du,“, fuhr Michiru fort, „vor ein paar Wochen bin ich zufällig einem jungen Mann begegnet. Er sah dir sehr ähnlich. Wenn nicht konnte man sagen, dass er aussah wie du, nur dass er eben ein Mann war.“ „Also weißt du Michiru, da gibt es etwas, dass...“, wandte Haruka ein. Jetzt schien der günstigste Zeitpunkt für die Wahrheit zu sein. „Bitte unterbrich mich nicht.“, entgegnete diese nur. „Er selbst stellte sich nicht vor. Aber an seiner Seite war eine junge Frau, die ihn als Taro Ten’ou vorstellte, deinen Bruder. Es war die gleiche Frau, die dich gestern Abend zur Ausstellung begleitet hat. Du hast vielleicht keinen Freund, aber mit Sicherheit ist sie deine Freundin.“ Was sollte das denn jetzt? Irgendwas blockierte in Harukas Kopf jegliche Fähigkeit logischen Denkens. „Reika?“, fragte sie schließlich. „Reika kenne ich seit klein auf. Aber wieso Freundin. Dieses betonte Wort klingt, als ob du vermutest sie sei meine Geliebte.“ Logisches Denken war nun gar nicht mehr erforderlich. Der Instinkt hatte jetzt die Sprachfähigkeit Harukas übernommen und ließ die ehrlichen Worte nur so sprudeln. Ja, sie ließ Michiru nicht einmal die Möglichkeit irgendetwas darauf zu erwidern. „Außerdem was soll das? Du sprichst darüber als seist du eifersüchtig.“ In jenem Moment bereute Haruka auch schon, was sie ausgesprochen hatte. Natürlich war das Gespräch nicht gerade gut verlaufen. Und ja, es verletzte sie sehr, dass Michiru auf direktem Wege mehr über sie herausfinden wollte, als sie eigentlich bereit war preiszugeben. Doch sie wusste auch, dass dies ihr nicht das Recht gab Michiru so eine Behauptung an den Kopf zu werfen. Eine dünne Wolke verdeckte schleierhaft die Sonne. Schatten fiel in seiner absoluten Schwärze auf Haruka und verdeckte das von Sorgenfalten durchzogene Gesicht. Michiru, welche gesenkten Kopfes da stand, hob den selbigen. Der Blick ihrer eigentlich sanftmütigen blauen Augen fixierten Haruka auf eine seltsame kühle Art und Weise, dass er der jungen Sportlerin Schauder über den Rücken laufen ließ. „Ich habe mir schon gedacht, dass du mir so etwas sagen würdest. Du hast es einfach vergessen oder ich habe mich ganz einfach geirrt.“ Vergessen? Ein kurzes Bild der Erinnerung flackerte einen Wimpernschlag vor Harukas geistigem Auge. „Vergessen?“, fragte Haruka verwirrt und auf einmal war es, als habe das Gespräch auf nicht einmal stattgefunden. Sie konnte sich bizarrerweise an die letzten 5 Minuten gar nicht mehr so recht erinnern. Doch so bizarr war es auch wieder nicht. Diese Aussetzer kamen und gingen mit einer unglaublichen Beständigkeit. Michirus Blick fixierte Haruka nochmals. Ein trauriger Hauch von Sehnsucht spiegelte sich darin wider. „Bitte entschuldige.“, Haruka fuhr sich mit einer Hand verlegen durch die Haare, was zur Folge hatte, dass ein paar ihrer Haarsträhnen strubbelig wegstanden, „Was hast du zuletzt gesagt?“ „Das ist jetzt nicht dein ernst, oder?“ Michiru wirkte entgeistert und erntete als Antwort ein entschuldigendes Lächeln von Haruka und gleich darauf ein Augenzwinkern, um die Situation zu entschärfen. Augenblicklich entspannte sich die Lage. „Michiru, der,“, begann Haruka langsam. Sie hatte den Moment genutzt eine Entscheidung zu treffen. Ja, sie würde es Michiru sagen. Besser jetzt als nie! „junge Mann, der dir zusammen mit Reika begegnet ist,“ Ein Blick in die Augen der jungen Künstlerin verriet, dass Michiru sie aufmerksam beobachtete und gespannt jedes Wort, das nun folgen würde wie ein Schwamm in sich aufnähme. „Also dieser junge Mann, das ist nicht mein Bruder.“ Endlich! Sie hatte es tatsächlich geschafft den Satz zu Ende zu führen! Michiru nickte. „Ja, das dachte ich mir. Ein Bruder wäre bei so einer berühmten Schwester zumindest mehrmals namentlich erwähnt worden.“ Haruka zog die Augenbraun zusammen, sodass sich Denkfalten auf ihrer weißen Stirn ausbreiteten. Dieses Gespräch geriet in immer schiefere Bahnen! Jeder Versuch Michiru die Wahrheit zu sagen, über das was sie war, und irgendwie war ihr dies ein dringendes Bedürfnis, ließ die gesamte Situation furchtbar unwirklich erscheinen. Die Sportlerin fühlte sich in einen dieser furchtbar kitschigen Hollywoodfilme versetzt, in welchem sie eine tragische Figur spielte, die am Ende ihr Liebesglück auf Grund eines solchen Gespräches sausen lassen musste. Schlimmer noch! Mittlerweile vermeinte sie sogar, dass ihr jemand all die gesprochenen Worte in den Mund legte. Was dachte sie da eigentlich? Liebesglück? So ein Unsinn! „Trotzdem sieht dieser Taro dir unglaublich ähnlich.“ Michiru fixierte Harukas Blick. Die Augen der Künstlerin erinnerten sie an unendlichen Tiefe des unbändigen Meeres und ihr türkises Haar vollführte im sanften Windhauch die dazugehörigen oberflächlichen Wellenbewegungen. Dieser Blick. Dieser unendliche Blick in ungeahnte Tiefen verzauberte Haruka, sodass sie sich gar nicht mehr von Michirus Augen lösen konnte. Plötzlich, die großgewachsene blonde Frau vermeinte einen winzigen Augenblick in Michirus Augen eindeutig lesen zu können, dass sie es wusste. „Michiru.“, flüsterte Haruka heiser. Haruka schluckte. Ihr Mund fühlte sich trocken und spröde an, als ob heißer Wüstenwind durch ihn hindurch gefegt wäre. Auch jetzt, in diesem Moment, da die Zeit still stand, durchfuhren angenehme Schauer den Körper der Sportlerin. Michiru, die Haruka noch immer in die Augen sah, näherte sich ihr langsam und mit solcher einer Anmut, wie es nur Prinzessinnen konnten. Als sie wenige cm vor Haruka stand, stellte sich die etwas kleinere Frau auf die Zehenspitzen, umschlang die blonde Frau mit ihren zarten Händen und versiegelte deren Lippen mit ihren. Haruka, deren Herz in diesem Moment stehen blieb, verharrte. Ihr Verstand setzte wieder einmal aus. Instinktiv schloss sie die Augen und ließ die Künstlerin gewähren. Einen Wimpernschlag später löste Michiru den gut schmeckenden Kuss und senkte den Blick. „Verzeih.“, murmelte sie kleinlaut. Gerade als Haruka etwas erwidern wollte, wand Michiru sich ab und rannte davon. Lauf ihr nach!, schrie eine innere Stimme. Lauf ihr nach, du Trottel!, schrie sie nochmals und wiederholte sich mehrere Male. Haruka aber konnte nicht. Sie hatte die sanft aufblitzende Träne in Michirus Augen gesehen. Auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte, sie respektierte Michirus Wunsch nun allein zu sein. Kapitel 7: Mut und Mutlosigkeit ------------------------------- Eine ganze Weile stand Haruka wie versteinert da und starrte gedankenverloren in die Richtung, in welche Michiru geflohen war. Ihr Kopf wog schwer, obwohl keinerlei sinnvolle Gedanken ihn füllten. Es kam ihr vor, als ob die große Leere sich an allen Erinnerungen, Gedankengängen und Bildern satt fraß und dadurch nur noch größer und schwerer wurde. Nur an dieses eine Bild, an diese eine Erinnerung wagte sich selbst diese Schwerfälligkeit nicht. Der Moment des Kusses beherrschte die junge Sportlerin nach wie vor. Ob dies nun positiv oder negativ zu werten war, wusste sie selbst nicht, da ihre Gedanken zwar wirbelten, aber allesamt ohne Inhalt blieben. Schwere schwarze Regenwolken verschlangen die Sonne wie ein gieriger Gott seine Opfergaben. Dunkle Schatten breiteten sich über dem Park sowie der restlichen Stadt aus. Harukas leerer Blick wanderte flüchtig zum Himmel. Es sah eindeutig nach Regen aus. Aber was kümmerte sie das, jetzt in diesem Moment? Von Fern her drang Musik an ihr Ohr. Furchtbar traurige Klänge suchten sich einen Weg in ihr Bewusstsein. Hatte die Veranstaltung vorhin nicht ihr Ende gefunden? War der angekündigte Sänger nicht der letzte des Konzertes gewesen sein? Ihr Verstand meldete sich auf einmal völlig gehorsam zum Dienst zurück. Sie verharrte ruhig, stand da, lauernd wie ein Luchs um die weit entfernten, melodischen Töne in sich aufzunehmen und vor allem um sie zu identifizieren. „Unglaublich.“, murmelte sie. Sie vernahm tatsächlich die Klänge einer Violine. Ein Entschluss durchzuckte die Sportlerin, wie ein Blitz, der den tiefschwarzen Himmel aufleuchten ließ. Aber konnte sie Michiru wirklich zur Rede stellen? Besaß sie tatsächlich ein Recht dazu? Sie, die sie selbst nicht wusste, wie sie mit der Situation umgehen sollte geschweige denn wie sie diese einordnen sollte? So rasch wie die Entscheidung herbei geeilt war, verschwand sie auch in den unendlichen Weiten einfacher Unsicherheit. Haruka seufzte und setzte sich langsam in Bewegung. Ihr Weg würde sie sowieso am Pavillon vorbeiführen, da sie dort in der Nähe ihr Motorrad abgestellt hatte. Sollte Michiru aber tatsächlich dort nochmals Geige spielen, würde Haruka sie schweren Herzens in Ruhe lassen. Was ging sie schon dieses Mädchen an?, flüsterte eine finstere, verbitterte Stimme, die ihr schreiendes Herz in jenem Moment übertönte. Haruka schlich durch den Park wie eingeprügelter Hund. Seit sie sich überhaupt in die Richtung ihres abgestellten Motorrades und so auch in die Richtung der leisen Musik bewegte, hatte sie keinen besonderen Wert auf Schnelligkeit gelegt. Gesenkten Hauptes schlenderte die junge Sportlerin an einer der großflächig angelegten Wiesen in der nähe des Brunnens vorbei. Ein Gärtner, ein schlaksig wirkender Mann, dessen Hemd ihm bis an die Knie reichte, verrichtete freudig seine Arbeit. Er hielt einen Wasserschlauch in den Händen um den empfindlichen Rasen zu bewässern. Dumpfes Stimmengewirr drang an Harukas Ohr ehe sie ein Schwall Wasser überkam. Haruka fluchte hörbar. „Verzeihen Sie bitte, Sir.“, sagte der Gärtner an sie gerichtet. Höflich verbeugte er sich. „Es tut mir wirklich leid. Ich war einen Augenblick unachtsam.“ Die junge Sportlerin zog die Luft schwer zwischen den Zähnen ein. Warum musste so etwas ausgerechnet immer ihr passieren? „Schon gut.“, murmelte sie schließlich. Die Bluse, die sie trug, spannte ungemein an den Schultern und vor allem auch an der Taille. Streng genommen besaß sie nun keine Taille mehr. Missmutig schälte Haruka sich aus der Jeanskutte und gleich darauf auch aus ihrer Lieblingsbluse. Gerade als sie sich weiter in Bewegung setzen wollte, verriet ein unangenehm quietschendes Geräusch, dass ihre Schuhe ebenfalls vor Nässe trieften. Sie seufzte und wünschte dem Gärtner insgeheim eine Horde stechwütiger Bienen an den Hals. Abermals setzte sie sich, die nassen Kleidungsstücke geschultert, in Bewegung. Wenigstens hatte sie für solche Fälle vorgesorgt. Schließlich war dies ja schon so was wie Alltag geworden. Allerdings war es kein Alltag mit nacktem Oberkörper am hellen Tage, auch wenn sich das Tageslicht durch die schweren Regenwolken stetig abschwächte, durch den Jubaan-Park zu spazieren. Insbesondere nicht, wenn der Weg eventuell noch an Michiru vorbei führte. Wieder seufzte Haruka. Michiru. Schon wieder klebten ihre Gedanken an dieser jungen Frau wie eine gierige Fliege am Honigglas. Diese Frau schaffte es einfach ohne weiteres Harukas sonst so geordnete Gedanken ganz für sich zu vereinnahmen. Was würde sie wohl denken, wenn sie Haruka jetzt so sah? Ein weiterer ihrer ach so geliebten Seufzer, entglitt ihren Lippen. Vermutlich würde sie sich ärgern. Ärgern? Oder sogar gehen? Haruka dachte an das Gespräch mit Michiru. Ihr war das missbilligende Glitzern in den sanft grünen Augen aufgefallen, als sie von Taro sprach. Sie schnaubte. Da, sie machte sich schon wieder Gedanken darüber, was Michiru von ihr denken könnte. So ein Blödsinn! Sollte sie doch denken was sie wollte. Sie war ein freier Mensch, ebenso wie sie selbst. „Hey, sieh dir mal den Typen an.“, rief jemand hinter ihrem Rücken. Und je näher sie dem Pavillon kam, desto mehr erstaunte Rufe und leises Geraune konnte sie in ihrer Umgebung vernehmen. Hatte sie das allerdings zu interessieren? Im Augenblick jedenfalls, vergrub Haruka ihre Hände in den Hosentaschen und schlenderte den Kopf gesenkt in Richtung Motorrad. Als sie im Inbegriff war an der Verursacherin der traurigen Violinenklänge vorüber zu gehen, konnte sie der Versuchung eines Blickes nicht widerstehen. Augenblicklich gefror Haruka das Blut in den Adern. Der Anblick Michirus, wie sie gesenkten Kopfes dastand und die traurigste Melodie spielte, welche die Sportlerin je gehört hatte, berührte ihr Herz. Ganz automatisch, ohne überhaupt zu registrieren was sie tat, ging Haruka auf Michiru zu. Auf einmal war es ihr gleich, dass dutzende Leute um die Bühne herum standen und der Musikerin zu hörten. Es war ihr gleich, dass all diese Menschen sie beobachteten und bei ihrem Anblick von Neuem zu Tuscheln begannen. Aber am wenigsten interessierte sie nun ihr eigener Vorsatz. Das einzige, was in diesem Moment zählte, war die Ursache der traurigen Melodie auszulöschen. „Michiru.“ Haruka hatte leise, aber dennoch gut vernehmlich gesprochen. Nur wenige Meter Abstand trennten sie von der jungen Künstlerin. Die Angesprochene hob den Blick, ehe sie das musizieren gänzlich unterließ. „Was wollen Sie?“ Sie? Wieso siezte Michiru auf einmal? Ihre Stimme klang seltsam kalt. „Mit dir reden.“, erwiderte Haruka unbeirrt. „Ich wüsste nicht, dass wir eine gemeinsame Gesprächsbasis hätten.“ Michirus grüne Augen fixierten kalt Harukas. „Oh ich verstehe, dann war das eben wohl ein Versehen?“, entgegnete Haruka amüsiert. Was dachte Michiru sich eigentlich dabei? „Ich verstehe nicht was Sie meinen.“ „Nun ich denke schon, schließlich hast du mich doch heute hergebeten.“ „Ihre Schwester.“, entgegnete Michiru gelassen. Schwester? Siedend heiß fiel Haruka ein, dass sie nun ja gar nicht mehr Haruka war, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Ein kräftiges Rot, ließ Harukas Wangen leuchten. „Nein.“, entgegnete die junge Sportlerin hart und gefasst, so als müsste sie sich selbst überzeugen. „Nein?“, amüsiert beobachtete Michiru wie sich der Körper ihres Gegenübers versteifte. Auch wenn sie selbst es nicht gerne zugab. So wie er im Moment vor ihr stand, sah er einfach verdammt gut aus. Die nassen Haare, welche schier unmöglich in jede Richtung stehen konnten, es aber dennoch taten, besaßen den gleichen sandblonden Farbton wie Harukas Haare. Auch die Farbe der Augen war zum verwechseln ähnlich. Wassertropfen, welche noch nicht gänzlich vertrocknet, verliehen dem von Muskeln durchzogenen nackten Oberkörper einen unwiderstehlichen Glanz und eine grazile Anmut. Doch wo zum Teufel war eigentlich das besagte Kleidungsstück, welches im Normalfall der heutigen Zivilisation den Oberkörper eines Mannes bedeckte? Michiru zog nachdenklich ihre Stirn graus. „Ich bin nicht Harukas Bruder.“, sagte der junge Mann. Er wirkte dabei entschlossen und verunsichert zugleich. Michiru aber ließ sich davon nur schwerlich beeindrucken. „Verstehe.“, antwortete sie lediglich. Obwohl dieser Mann Haruka so sehr ähnelte, konnte sie ihn nicht leiden. Er wirkte so unwirklich. So vieles an ihm erinnerte sie an Haruka. Haruka. Der Gedanke an diese wilde scheinbar unbezähmbare Frau, die ihre Freiheit so unbeschwert genoss, vernebelte der jungen Künstlerin das klare Denkvermögen. „Du möchtest mir also gar nicht zuhören, verstehe ich das richtig?“ Etwas in seiner Stimme mahnte die Geigerin zur Vorsicht. Hatte sie soeben eine leichte Enttäuschung vernehmen können? So ein Unsinn! „Das haben sie absolut richtig verstanden. Ich wiederhole mich nur ungern, aber ich wüsste nicht, welche gemeinsame Gesprächsbasis wir hätten.“ Michirus Stimme klang kalt. Kälter als sie es eigentlich hatte sagen wollen, doch nun hingen diese Worte unwiderruflich in der Luft und formierten sich zu Gewitterwolken. Sie sah, dass etwas in den blauen Augen, die Harukas so sehr ähnelten, als seien es die gleichen, unwiderruflich erlosch. Beinah tat ihr das Gesagte leid, aber eben nur beinah und so verließ die Entschuldigung, die der Geigerin auf der Zunge lag, nie ihren Geburtsort. „Verstehe.“, erwiderte Haruka. Was gab es nun noch zu sagen? Haruka wandte sich ab. Nicht etwa, da der Mut sie verlassen hatte. Es war mehr die Erkenntnis, dass Michiru ein Gespräch mit ihr in dieser Gestalt nicht wünschte, die sie dazu bewog es auf sich beruhen zu lassen. Menschen enttäuschen. Jeden Tag, jede Stunde und es wiegt immer wieder schwer. Manches verletzt, vieles nicht, aber dies hier sehr. Die junge Sportlerin fühlte sich schwer und vermeinte sich kaum bewegt zu haben. Vor ihr zeichnete sich jedoch in grauen Umrissen ihr vermutlich einzig zuverlässiger Freund ab: Das Motorrad. Ob Michiru ihr nachgesehen hatte oder nicht besaß nun keine Bedeutung. Alles was sie fühlte kam einer riesigen Leere gleich, die alle Freude in Schwermut wandelte. Kapitel 8: Depression --------------------- Die Wochen zogen schwermütig ins Land. Ein Morgen wurde zum Nachmittag und dieser wandelte sich in die Nacht bis ein neuer Morgen graute. Auf diese Weise endete der Sommer und glitt hinüber in die bunte Herbstzeit. Die Welt veränderte einmal mehr ihr Äußeres. Die riesige Leere aber, die Haruka seit jenem Tag der Verabredung in sich spürte, wollte nicht abebben. Doch Haruka wäre nicht Haruka, wenn sie damit nicht irgendwie klar käme. Schließlich hatte eine leise Stimme in ihrem Inneren stets dezent auf diese Eventualität hingewiesen. Letztlich sah sich die junge Sportlerin sogar in ihren Befürchtungen bestätigt. Menschen verletzten einander stets und überall. Diese Erkenntnis jedoch befriedigte in keinster Weise das verräterische Gefühl des Schmerzes, welcher ihr Herz immer wiederkehrend heimsuchte. Ja, sogar Reika, die ihr Jahre lang eine treue Begleiterin gewesen war, hatte sich seit Wochen nicht mehr bei ihr Blicken lassen. Auf der einen Seite schmerzte Haruka diese Tatsache. Andererseits wog der betäubende, lähmende Schmerz, welcher der fehlgeschlagene Ausspracheversuch mit Michiru nach sich zog, zu schwer, als das sie einen klaren Gedanken bezüglich Reikas seltsamen Verhaltens hätte fassen können. Michiru. Haruka seufzte, als ihre lahmen Gedanken wieder einmal über das Abbild der junge Geigerin stolperten und sie diese wie einen übergroßen Felsbrocken nur schwerlich bei Seite schieben konnte. Michiru. Mittlerweile hatte sie schon eine Art Hass entwickelt, wenn ihre Gedanken erneut über diesen Namen stolperten. Es bedeutete nur Schmerz. Schmerz über einen zu gut schmeckenden Kuss, der nie andere Lippen hätte berühren dürfen! Michiru… Haruka seufzte. Das Leben war grausam und ungerecht – ebenso wie damals. Damals. Ja, damals vor vielen Jahren, als Haruka noch nicht dieses Appartement in einer ihr völlig fremden und viel zu großen Stadt bezogen hatte, hatte sie auch so etwas ähnliches wie eine Familie besessen. Allein der Gedanke an das Vergangene quälte die junge Sportlerin. Fast schon hätte sie vergessen wie es war sich einsam zu fühlen. Beinah hätte das Leben die Leere ihres Herzens überwogen, wenn sie nicht gewesen wäre. Und so schloss sich ein weiteres Mal der Kreis, welchen Harukas Gedanken unendlich oft in den letzten Tagen und Wochen beschritten hatten. Michiru. „Man! Ten’ou hör auf zu pennen!“, herrschte eine Haruka bekannte Stimme von der Seite. „Wirfst Du mir nun endlich den Schraubendreher rüber oder was?“ Haruka blinzelte so als ob sie aus einem viel zu langem Schlaf aufgewacht sei und tastet gedankenverloren auf der Ablage, die gleich neben ihr stand, herum bis sie den besagten Gegenstand ergriffen und dem Mechaniker zu geworfen hatte. Es dauerte nicht lange, bis Yuri fertig war und sich zu ihr gesellte. „Du machst mir echte Sorgen, man! Seit Wochen schon hängst du deinen Gedanken nach. Das sieht dir gar nicht ähnlich.“ Haruka reagierte nicht. Was wusste er schon. Ja sicher, es passte nicht zu ihr, dass ihre Gedanken ständig an dieser Person klebten. An dieser einen Person, der sie ungewollt auf Anhieb ihr Herz geschenkt hatte. Diese eine Person, die sie aber auch nicht so akzeptierte wie sie war. Sie war ja noch nicht einmal in die Verlegenheit geraten es ihr erklären zu dürfen! Welche dieser Erkenntnisse sie nun mehr Schmerze, wusste sie jedoch noch nicht. „Weißt du was, ich lad dich ein! Komm, lass uns einen trinken!“ Der Mechaniker, er besaß in etwa die gleiche Größe wie Haruka selbst, klopfte ihr eifrig auf die Schultern. „Hab keinen Bock.“, erwiderte Haruka nur. Mit Ekel erinnerte sie sich an das letzte Mal, als Yuri sie mit in diese Bar geschleppt hatte. Schmierig war sie gewesen, eng und stickig. Das alles wäre nur halb so wild gewesen, wenn er nicht alle Nase lang eine Schlägerei angezettelt hätte. In dieser Beziehung war Yuri einfach unmöglich. Auch wenn sie selbst die eine oder andere Rauferei mochte. Sich jedoch im betrunkenen Zustand zu prügeln, unterbot eindeutig ihr Niveau! „Mhm“, brummte der ölverschmierte Mechaniker. „Dann muss ich wohl alleine gehen. Also, ich hau dann ab.“ Kaum, dass die Worte seinen Mund verlassen hatten, war er auch schon zur Tür hinaus und Haruka blieb allein in der großen Werkstatt, ihrem Zufluchtsort, zurück. Seit sie sich erinnern konnte war sie hier hergekommen. Diese KfZ Werkstatt hatte es schon immer gegeben und wann immer sie Kummer gehabt hatte, war es ihr hier möglich gewesen sich mit Schrauben, Öl und Motoren abzulenken. Sie mochte den Geruch von altem und frischem Öl der hier in der Luft hing, vermischt mit dem Geruch von Benzin und Ruß. Ja, sie mochte sogar den Rost, den sie des Öfteren von alten Fahrzeugen entfernte. Irgendwie beruhigte sie der Gedanke altes zu Erneuern oder gar zu retten. Das fahle Licht, draußen begann es bereits zu dämmern und Yuri hatte die Beleuchtung noch nicht eingeschaltet, welches durch die Fenster fiel, erhellte kaum noch die Werkhalle. Es reichte allerdings zum Aufräumen, obwohl die junge Sportlerin einen Augenblick mit dem Gedanken spielte, alleine an dem europäischen Oldtimer aus dem Jahr 1963 zu basteln. Sie seufzte. Yuri würde sie umbringen! Und so begann sie damit gemächlich die Werkstatt auf Vordermann zu bringen. Eines aber war verrückt! Auf einmal wirkten die fahlen Wände trostlos, ja sogar furchteinflößend. Manchmal kam es ihr sogar vor, als verhöhnten diese sie. Die Werkstatt wuchs ins Unermessliche und Haruka verspürte den Drang zu fliehen. Ihre Hände, die gerade nach dem auf dem Boden liegenden Werkzeug greifen wollten, besaßen plötzlich die Temperatur von Eisklötzen. Sie verlor jegliche Konzentration. Weg! Sie musste hier weg! Hastig verstaute sie das Werkzeug notdürftig in einer der dafür vorgesehen Kisten. Raschen Schrittes ließ sie die Werkhalle hinter sich, um gleich darauf von außen die Tür zu schließen und abzusperren. Haruka spürte wie das klamme Gefühl weiter, nun aber nicht mehr so intensiv nach ihr verlangte. Es fühlte sich beinah so an, als griffe die Leere, welche Michiru in ihrem Herzen zurück gelassen hatte, nach ihrer Seele. „Verdammt.“, zischte sie. Da kehrten sie zurück! Die Gedanken an die junge Musikerin. Grob riss Haruka den Schlüssel aus dem Schlüsselloch und begann zu rennen, als könnte sie der stetig wiederkehrenden Qual auf diese Weise entfliehen. Haruka rannte. Ihre Füße berührten kaum den Boden. Ihre sandblonden Haare, welche um einiges länger geworden waren, fielen ihr ins Gesicht und verdeckten somit ihren Blick. Um sie herum herrschte Dunkelheit, auch sah sie nicht wohin ihre Füße sie trugen. Im Grunde aber maß sie dem Weg oder gar dem Ziel keinerlei Bedeutung bei. Weg! Das war es, was sie sich wünschte, ungeachtet aller fragenden Blicke, die Passanten ihr zu werfen würden. Ungeachtet dem stummen Mitleid, was diese für sie übrig hatten und ungeachtet dessen was ihre innere Stimme rief, leise, so leise wie das Wispern des Frühlingswindes der sanft über das erste Grün des Jahres streifte. Wie gerne wäre sie der Wind! Frei und unabhängig. Tobend und sanftmütig zugleich. Vor allem aber zärtlich, wenn man es nur gut mit ihm meinte! Es krachte. Etwa zeitgleich bekam Haruka ihre eigene Wucht am Leibe zu spüren, als sie gegen etwas Hartes prallte und sodann vorn über auf dieses Etwas fiel. Im Gegensatz zu ihrem Herz, arbeitete ihr Verstand an diesem Abend zuverlässig. Sie war nicht in Etwas sondern in jemanden gerannt – sprichwörtlich. „Verzeihen Sie bitte.“, sagte sie, hielt den Kopf jedoch gesenkt um die Person, welche vor ihr auf dem Boden lag nicht ansehen zu müssen. „Schon gut.“, erwiderte ihr Gegenüber. Dem Klang nach zu urteilen, lächelte sie. Ein Menschenlächeln war so etwas schönes, dachte Haruka, und zugleich so qualvoll. Der Höflichkeit halber reichte sie der offenbar weiblichen Person ihre Hand, damit diese besser aufstehen konnte. Ganz automatisch hob sie den Kopf ein wenig an, um nun doch einen Blick auf diese Person zu werfen. Das Blut gefror Haruka in den Adern, obwohl es lebendiger nicht hätte sein können. „Michiru.“ Sie hatte es bereits gesagt, als die frohe und peinigende Botschaft ihr Herz erreichten. Und genau in diesem Moment ergriff Michiru die ihr angebotene Hand und ließ sich auf helfen. Tausend kleine Nadeln bohrten sich angenehm und unangenehm kribbelnd in ihre Haut. Michirus Hand strahlte eine derartige Wärme ab, dass sie Haruka vor Ehrfurcht erzittern ließ. „Danke.“, erwiderte Michiru. Offenbar wusste diese nicht, wen sie vor sich hatte, so fragend wie die junge Musikerin drein schaute. Haruka schluckte hart, während sie ihre Hand zurück zog. Es war besser so. Was hatten sie sich überhaupt zu sagen? Was hatte sie ihr zu sagen? Das ganze war doch mehr als lächerlich! Warum aber, warum verkrampfte sich dann ihr Inneres so sehr? Ihre Füße begannen erneut sich in Bewegung zu setzen. Ihre kalten Hände fanden ganz automatisch den Weg in ihre Hosentaschen. Was gab es schon zu sagen? Nichts würde den alten und auch den neuen Schmerz lindern. Sie seufzte und zog automatisch den Kopf zwischen die Schultern, während sie gedankenverloren auf den kalten Straßenasphalt, der unter ihren Schritten dahinglitt, starrte. Zu Hause angekommen führte ihr Weg direkt ins Bad. Kaltes Wasser rann plätschernde Geräusche verursachend durch die Kuhle, die ihre Hände bildeten. Einen Augenblick betrachtete Haruka das sich in ihren Händen bewegende Nass. Ungestüm, so als besäße es eigenes Leben, schwappte es Wellen bildend hin und her um kurze Zeit später in kleineren und größeren Tropfen von ihrem Gesicht zu perlen. Haruka, die gebeugt vor dem Waschbecken stand, richtete sich auf und blickte in die Realität ihres eigenen Spiegelbildes. Kein Wunder, dass Michiru sie nicht erkannt hatte, so wie sie nun aussah: Das sandblonde Haar klebte an vielen Stellen wegen diverser Ölspritzer. Ihr sonst glasklarer Blick aus ihren blauen Augen wirkte müde. Ihr Gesicht, ihr männliches Gesicht war dem Fluch des männlichen Haarwachstums zum Opfer gefallen. Eine Tatsache, die früher einmal regelrechtes Entsetzen zu Tage gefördert hatte. So kann es nicht weiter gehen.“ mahnte ihre innere Stimme. Zumindest vermeinte die Junge Sportlerin es wäre so. Soll sie doch sagen, was sie will!, antwortete ihr Herz, während Haruka sich weiterhin im Spiegel betrachtete. Völlig unbeeindruckt dessen, was ihre Stimmen an gut gemeinten Ratschlägen erteilten, begann sie sich schließlich wie ein unbeteiligter Zuschauer, der zufällig Zeuge einer Auseinandersetzung wurde, aus ihren dreckigen Klamotten zu schälen. Ihr müder Blick fiel registrierend auf die weit offenstehende Badezimmertür, jedoch machte sie keinerlei Anstalten diese zu schließen. Wozu auch? Gleichmütig wandte Haruka sich der offenen Dusche zu. Das Geräusch, welches auf Keramik prasselndes Wasser erzeugte, vereinigte sich mit der Stille ehe die junge Frau dieses durch ihren Eintritt in die Dusche veränderte. Kaltes Wasser rann ihren Körper entlang, zog geschmeidige Bahnen und hinterließ wo immer es gewesen war wohltuende Feuchtigkeit. Es muss ein Ende haben!, schrie ihr Inneres, während ihr Herz sich derart verkrampfte, dass sie sich mit einer Hand gegen die kalten, gefühllosen Fliesen lehnen musste. Ein qualvoller Laut entglitt ihren Lippen, als ihre linke Hand das Wasser von kalt auf warm stellte. Ihr Körper veränderte sich wie so oft. Diesmal aber blieb das Schauspiel nicht unbeobachtet. Ein Augenpaar von grünblauer Natur beobachtete in stummer Verstörtheit und Faszination das seltsame Ereignis. Einige Minuten und eine gründliche Wäsche später stellte die blonde Frau ihre Dusche ab. Etwas bessergelaunt trat sie auf einen der auf dem Boden liegenden Läufer und griff nach ihrem sandfarbenen Handtuch. Haruka wollte sich rasch abtrocknen, da es durch die offene Tür unangenehm zog. Der leichte aber eiskalte Luftzug, welcher ihren nackten Körper zielsicher anvisierte, ließ sie frieren. Ihre Nackenhärchen richten sich auf. Dazu gesellte sich die ihren gesamten Körper überziehende Gänsehaut. Der Luftzug aber war nicht der einzige Grund, weshalb sie schauderte. Eine kaum merkliche Bewegung und ein noch leiseres Geräusch hatte ihren aufmerksamen Sinnen verraten, dass sich jemand unmittelbar vor ihrem Badezimmer befand. Misstrauisch kniff Haruka die Augen zusammen, sodass diese sich zu hauchdünnen Schlitzen verengten. „Dummkopf!“, maulte ihre Vernunft, „du hast nicht nur die Badezimmertür offengelassen. Nein!?! Madame war sogar noch zu faul die WOHNUNGStür zu schließen!“ Dabei legte ihre Vernunft besonderen Wert auf die Betonung des Wortes Wohnungstür. „Hmpf.“, antwortete Haruka sich selbst. Ernüchtert musste sie feststellen, dass ihre Verrücktheit sich auf siegesreichem Vormarsch befand. Es dauerte nur einige Sekunden, bis Haruka einen Entschluss gefasst hatte. Lautlos, so wie Gott sie erschaffen hatte, schlich sie zur Tür, ehe sie mit ihrem Handtuch bewaffnet vor genau diese sprang. Die Gardinen blähten sich auf Grund eines Windhauchs, der durch das offene Fenster in die Wohnung verirrte, wie die Backen eines Hamsters auf. Das fahle von draußen ins Wohnzimmer fallende Licht der Straßenlaterne, vermochte es kaum die von der zunehmenden Dunkelheit verursachten Schatten zu vertreiben. Stille. Nichts als Stille und eine menschenleere Wohnung. „Ich muss verrückt geworden sein.“, seufzte Haruka resignierend. Ihr sonst so unerschütterlicher Stolz sowie ihr Kampfgeist erloschen in jenem Moment beinah völlig. Mit der hereinbrechenden Nacht war auch der Schwermut zurückgekehrt, welcher ihr Herz bleiern werden ließ. Einen Augenblick lang stand sie noch so da, das Handtuch in der Hand so als sei es eine moderne Schlag- oder Feuerwaffe. Ihre Finger zitterten, da ihr Griff die vermeintliche Waffe so sehr umklammerte, dass ihre Knöchel weiß hervor traten. Sie seufzte erneut, lockerte den Griff und wandte sich wieder dem Badezimmer zu. Kapitel 9: Du siehst mich nicht ------------------------------- Der Flur des Wohnhauses lag beinahe still im Dunkeln. Von draußen drangen die Geräusche des all abendlichen Straßenverkehrs gedämpft nach Innen. Schemenhafte Schatten bewegten sich in unregelmäßigen Abständen und fielen sodann auf das von der Straßenbeleuchtung beschienene Gesicht. Dieses war dem gegenüberliegendem Wohnblock zugewandt. Ein Schreck durchfuhr die Person, als hallende Schritte das Kommen einer weitern Person verräterisch ankündigten. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Reika konnte sich diese Frage selbst nicht beantworten. Vor etwa einer Stunde war sie zufällig diesem Yuki in die Arme gelaufen. Normalerweise pflegte sie keinerlei Kontakt zu solch seltsamen Vögeln, doch die Art und Weise wie er sie angesprochen hatte, trug letztlich die Verantwortung dafür, dass sie ihm doch Gehör geschenkt hatte. Was nur, was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht, als sie vor einigen Monaten im nächtlichen Juban-Park den Entschluss gefasst hatte Haruka auf andere Weise auf sich aufmerksam zu machen? Der Teufel musste sie geritten haben! Ja, so war es bestimmt gewesen., dachte sie, als sie den Flur des Wohnhauses betrat, in dem Haruka wohnte. In all den Wochen, während sie krampfhaft versucht hatte Haruka durch ihre Abwesenheit für sich zu gewinnen, war es ihre sich sonst mit allem einverstanden erklärende innere Stimme gewesen, die ihr sagte, wie sehr sie die Gesellschaft ihrer Freundin vermisse. Diese gewonnene Erkenntnis vertrug sich sehr schlecht mit den Neuigkeiten über Haruka. Reika sorgte sich, obgleich sie sich in wenigen Minuten selbst einen Überblick über die Situation verschaffen konnte. Ein letztes Mal bog das braunhaarige Mädchen ab. Zielstrebig visierte sie Harukas Wohnungstür an. „Nanu?“, verwirrt blieb Reika stehen. Die angesteuerte Tür stand sperrangelweit offen und wirkte so einladend wie ein beim Gähnen zu weit aufgerissener Mund. Zudem hatte sich gerade in jenem Augenblick, da sie um die Ecke gekommen war, eine Person in ihre Richtung gedreht. Auf einmal kehrte das Gefühl, das sie so lange von Haruka fern gehalten hatte, zurück. Eifersucht bemächtigte sich ihrer. Eifersucht und Wut. Sie war es gewesen, die ihrer Freundin eindeutige Blicke zugeworfen hatte. Michiru Kai’oh. „Was wird hier gespielt?“, knurrte Reika angewidert von der Anwesenheit dieser Frau in die Stille des Flures hinein. Eigentlich wollte sie sich weder verletzlich noch zu gefühlsbetont geben. Doch dafür war es bereits zu spät. Die Wut überwog seit mehreren Sekunden ihre Vernunft. „Was wird hier gespielt?“, fragte sie abermals unfreundlich, da Michiru ihr nicht antwortete. Reika funkelte die ruhig dastehende Frau bösartig an. In jenem Moment aber, als ihre Blicke sich begegneten, konnte sie ihr nicht mehr böse sein. Etwas in ihrem Blick verriet der Braunhaarigen, dass es ihr nicht sehr viel anders mit ihrer Gefühlswelt erging als ihr selbst. Soviel Schmerz spiegelte sich in grün-blauen Augen wider. Soviel, dass Reika ihren Wutausbruch bereits bereute. „Verzeih.“, murmelte sie schließlich verlegen. Erneut trafen sich ihre Blicke und Reika vermeinte die Traurigkeit und Verzweiflung des Allmächtigen darin zu erkennen. Das war zuviel! Schuldbewusst drehte sich Reika in Richtung Wohnungstür. Inmitten der Bewegung erstarrte sie. „Haruka.“ Die Angesprochene verharrte regungslos im Eingang. Wie starr ihre Miene war und wie ausdruckslos ihre blauen Augen auf sie gerichtet waren. Die Haare standen strubblig in alle Richtungen. Um ihren Hals schlang sich ähnlich wie eine Kletterpflanze ein dunkelblaues Handtuch, welches sie mit beiden Händen festhielt. Reika hatte Harukas Kommen nicht einmal bemerkt. Vermutlich trugen ihre lauten, zornigen Worte, die sie vor wenigen Minuten an Michiru gerichtet hatte, Schuld daran, dass Haruka nun in der Tür stand. Die Braunhaarige beobachtete ihre sportliche Freundin. Sie sah, dass Harukas Blick nun auf Michiru ruhte. Die Art und Weise, wie die beiden einander eingehend betrachteten missfiel Reika. Siehst du mich denn gar nicht? Diese Frage, von ihren Gedanken formuliert, hallte immer lauter werdend in ihrem Kopf. Haruka? Eine stumme Frage folgte der nächsten. Reika erschien es als ginge der Schmerz Michirus nun auf alle Anwesenden über. Du hast nur Augen für sie! Die Erkenntnis traf sie derart, dass ihr dicke, salzige Tränen in die Augen stiegen. Würde der Landstreicher etwa doch Recht behalten? Musste sie sich tatsächlich damit zufrieden geben unerwidert geliebt zu haben? Nein! Reikas Seele schrie vor Schmerz. Ihr Herz setzte aus, als Haruka auf Michiru zuging. Die Liebe, welche die junge Frau für ihre sportliche Freundin empfand, schnürte ihr nicht nur das unregelmäßig schlagende Herz, sondern auch die Kehle zu. Reika ahnte, was nun geschähe. Unfähig sich zu regen, beobachtete sie Haruka angespannt. Wie starr ihr Blick Michiru fixierte. Wie hart ihr Gesichtsausdruck war. Offensichtlich litt die Sportlerin sehr. Einen Moment später war das einzige was Reika noch hörte ihr eigenes ersticktes Schluchzen. Leer, die junge Frau fühlte sich so furchtbar leer. Haruka, übermächtig wirkend im Vergleich zu der zierlichen Musikerin, beugte sich, als sie nahe genug vor ihr stand, langsam zu Michiru herab. Ihre Arme umschlagen die kleinere Frau, während Haruka Michirus Lippen durch ihre eigenen versiegelte. Das eigene Schluchzen brachte Reikas Bewusstsein zurück. Weg! Sie musste hier weg! Abrupt drehte Reika diesem Schauspiel den Rücken zu. Ihre Beine, die im Grunde das ganze Jahr über träge waren, trugen sie diesmal zuverlässig davon. Reika rannte den Flur und die Treppen hinab. Sie wollte nicht sehen, wie die beiden einander eng umschlungen da standen und wilde Küsse tauschten. Sie wollte nicht sehen, was ihr das Herz zerbrach. Also lief sie so schnell sie nur konnte und schloss die Augen. Sie rannte. Ihre ausgepumpten Lungen brannten, als etwas ganz plötzlich ihre Flucht beendete. Brennender Schmerz, verursacht von aufgeschürften Knien und Handflächen durchzuckte sie, als sie alle Viere von sich gestreckt auf dem kalten Steinplatten des Flures lag. Noch ehe Reika sich versah, spürte sie, wie zwei starke Hände, ihren Oberkörper umschlagen. Ruckartig, aber nicht grob, zog man die junge Frau auf ihre Beine. „Sie hatten es ja ganz schön eilig.“, stellte eine wohlklingende männliche Stimme fest. Erstaunt, und ihren Kummer für einen Moment vergessend, drehte sie sich um. Vor ihr stand ein großgewachsener junger Mann, dessen Haar so schwarz wie der Tod persönlich war. Ohnehin kam dieser Vergleich der Gesamterscheinung des Mannes recht nahe. Seine Haut, obgleich er jung aussah, schimmerte bleich. Aus den Augenhöhlen stachen zwei markante Augen grüner-brauner Farbe hervor. Insgesamt wirkte er äußerst elegant und zuvorkommend. „Sehr gesprächig scheinen Sie ja nicht zu sein.“, fügte er sanftmütig lächelnd hinzu. „Verzeihen Sie, ich hatte es eilig.“ Leider klangen die Worte nicht so wie sie es sich gewünscht hatte. Aus der unterschwelligen Stimmlage war herauszuhören gewesen, dass sie totunglücklich sein musste. „Oha.“, erwiderte der Fremde. „Also hat Ten’ou wieder zugeschlagen und Casanova gespielt.“ Abermals schenkte er ihr ein Lächeln. Reika stutzte. „Sie kennen Haruka?“, erstaunt sah sie dem Fremden in die Augen. Verdutzt zog ihr Gegenüber eine Augenbraue graus. Er tat dies auf die gleiche Art und Weise, wie Haruka es immer tat. Eine Geste, die Reika so sehr an Haruka liebte. Doch sie an diesem Mann zu sehen, dass gestand sie sich ehrlich ein, linderte ein wenig den Seelenschmerz. „Ach herrje, also kommen Sie wirklich von Ten’ou? Verstehe, deshalb hatten Sie es so eilig. Eigentlich wollte ich Scherzen. Schließlich ist es bekannt, dass die berühmte Haruka Ten’ou in diesem Haus wohnt.“ Er seufzte und fuhr sich mit der rechten Hand über das Gesicht. „Aber ein wirklicher Casanova…“, fügte er nachdenklich hinzu, beendete den angefangen Satz jedoch nicht. Reika antwortete ihm nicht. Sie wollte ihm weder zustimmen noch widersprechen. Haruka war und blieb eben Haruka, ihre beste Freundin. Der Schmerz über diese Erkenntnis, die schon so lange vorhanden war, saß tief. Tiefer als der Höllenschlund je sein könnte. Etwas aber linderte ihre Pein. Seltsamerweise es war das Schweigen, das zwischen den Fremden und sie getreten war. Sie empfand es als unangenehm mit ihm zu sprechen, da er scheinbar schon sehr lange Haruka kannte. Sie aber im Gegenzug ihn nicht kannte. Warum sie so empfand, konnte sie sich selbst nicht erklären. Vermutlich lag es an der Art und Weise wie er sie ansah. Er sah sie an, so als würde er verstehen wie sehr sie litt, als wüsste er um alles was geschehen. „Nun…“, begann er schließlich nun die eine Hand verlegen über den Hinterkopf führend, „seien Sie doch so gut und erzählen mir, was ich dort finden werde.“ Reika stutzte. Sie wusste, was er mit „dort“ meinte und merkwürdigerweise breitete sich zugleich mit dem Wissen ein Gefühl in ihr aus, das der Liebe ähnlich war. Woher es stammte, vor allem aber, warum es just in diesem Augenblick ihr Herz eroberte, konnte sie sich selbst nicht erklären. Sie fühlte sich so, als wäre er ein alter Bekannter. Der quälende Schmerz, welcher so lange schon in ihrer Brust wohnte ebbte langsam ab. Ihr war, als zöge die Anwesenheit des Schwarzhaarigen die Trauer aus ihrer Seele. Vielleicht war es ja sogar die Trauer, welche seine Haare so pechschwarz hatte werden lassen. Was zum Teufel dachte sie da? Kaum besaß sie Klarheit über ihre eigenen Gefühle im Bezug auf Haruka, gepaart mit der unverwechselbar erschlagenden Erkenntnis, dass Haruka sehr viel für Michiru empfand und schon verlor sie jenes bisschen Verstand, dass all die Zeit ihr liebeskrankes Herz erfolgreich überlebt hatte! „Ah ich verstehe, sie lassen mich ungewiss aufs Schlachtfeld treten und ich bin dazu verdammt den Heldentod zu sterben.“, sagte er lächelnd in die Stille hinein. Reika sah zu ihm auf. Ihre milden aber durch das Weinen aufgequollenen und rot leuchtenden Augen fixierten aufmerksam die seinen. „Woher kennen Sie Haruka?“ Sie musste es wissen. Diese Gefühlsachterbahn, in welche ihr Herz vor Jahren eingestiegen war, sollte endlich einmal anhalten und ihr Herz wieder aussteigen lassen! Solang konnte ihr Fahrschein doch gar nicht gelten! Zudem, so ganz nebenbei, war Haruka ihre beste Freundin. Sie kannte sie seit klein auf. Seit jenem schicksalshaftem Tag, da sie mit dem Rest ihrer Familie in die kleine Vorstadt hier ganz in der Nähe gezogen war. Der Fremde schloss lächelnd die Augen und als er sie öffnete suchte er Reikas Blick. Seine geheimnisvollen Augen funkelten spitzbübisch während das Lächeln, welches seine blassen Lippen umspielte, ehrlich wirkte. „Das ist eine lange Geschichte.“, sagte er schließlich. Er hatte die Worte so leise in den Flur gesprochen, sodass sie vermeinte es wäre nur das Wispern des Windes in den Wipfeln der Bäume gewesen. „Ich habe Zeit.“, entgegnete sie ihm fest entschlossen mehr über Haruka zu erfahren. Mehr über das, was der Grund dafür zu sein schien, dass ihre beste Freundin ihrer Liebe entglitt. Oder war es etwa die Liebe, die sich verselbstständigte und lange im Verborgenen auf diesen Moment gewartet hatte, da sich ihr die Augen öffneten? „Ich fürchte.“, sagte er lächelnd, „dass wir das verschieben müssen, ich habe noch einen Heldentod zu sterben.“ Spielerisch kniff er ein Auge zu und wandte sich der Treppe zu. „Werden wir uns wiedersehen?“ Diese Frage glitt Reika schneller über die Lippen als ihr eigentlich lieb war. Irgendwas aber, etwas das der Liebe ähnlich war… nein nicht etwas wollte ihn nicht einfach so gehen lassen: Sie wollte ihn nicht einfach so gehen lassen? „Nun ja.“, entgegnete er freundlich. „Es ist Jahrmarkt.“ Er lächelte und verschwand schließlich lautlos über die Treppen. Kapitel 10: Blickkontakte ------------------------- Langsam, so sanft wie der Wind, löste Haruka den Kuss. Zu ihrer eigenen Verwunderung hatte Michiru die zärtliche Geste zugelassen. Doch nun, da sie der jungen Musikerin Blick suchte, ahnte sie bereits, dass auch diese Begegnung kein gutes Ende nähme. Als sie den ruhelosen Blick Michirus auf sich zog, lächelte Haruka sanftmütig. Sie wusste selbst nicht, was sie hier tat. Sie besaß auch keinerlei Wissen über das Warum der zärtlichen Geste. Es gab nur diesen einen, einzigen Gedanken, der unruhig wie ein Schwarm aufgebrachter Insekten in ihrem Kopf und zugleich in ihrem Herzen umher irrte und das schon seit so vielen Wochen: Michiru! Sie war da und obgleich sie die junge Frau, welche das wohlklingenste Lachen der Welt besaß, erst vor ungefähr einer Stunde unheilvolle Qualen leidend getroffen hatte, so war ihr diesmal bewusst, was sie zu tun hatte. Und so hielt Haruka den Blickkontakt zu jenen meeresgrünen Augen, die sie undefinierbar ansahen, während die junge Sportlerin indes versuchte mit Blicken zu sagen, was ihr Mund nicht in Worte zu fassen vermochte, bis Michiru den Blick abwand. Die junge Künstlerin, zwischen der Wand und Haruka stehend, schloss die Augen. Haruka schrak zurück. Die leise Stimme ihrer Vernunft flüsterte ihr klare Worte zu, sodass die blonde Frau einen Schritt zurück trat. Kälte, gemeine, eisige Kälte kroch ähnlich wie eine Schlange in ihre Knochen. Dieser frostige Hauch rührte jedoch nicht daher, dass Haruka barfuß auf den kühlen Steinfliesen stand. Nein, diese Kälte kam von Michiru, welche in eben jenem Moment die Augen wieder aufschlug. Die Sportlerin begriff blitzschnell, dass Michiru eine Entscheidung getroffen hatte. Eine Entscheidung, die Haruka schon jetzt missfiel. Würde die Musikerin sie abermals ohne eine Erklärung ihrerseits anzuhören vor den Kopf stoßen? Jetzt da, sich Haruka selbst überwunden hatte und dieser völlig fremden Frau Eintritt in ihr Herz gewährt hatte? Flehend, mit Blicken sagend, was sie empfand, sah sie Michiru in die wunderschönen aber den Seelentod mit sich führenden blau-grünen Augen. „Es tut mir leid.“, flüsterte die Künstlerin. Die leisen Worte aber hallten in Harukas Ohren, als wären sie geschrien worden. Noch einmal, ein aller letztes mal suchte Haruka den Blickkontakt. Sagte ihr so, was sie mit Worten nicht konnte. Flehte mit traurigen Augen, was ihr graziler und ansonst von Stolz erfüllter Körper nicht zu zeigen in der Lage war: „Ich glaube, ich liebe dich.“, sagte ihr Blick. „Ich weiß.“, antwortete der andere. „Dann verlass mich bitte nicht.“, forderte er. „Es geht nicht anders.“, erwiderte der zweite. „Du bist mir fremd, aber ich überlasse dir dennoch mein Herz.“ „Du aber bist mir fremd geworden, so kann ich dir meines nicht mehr geben. Du hast mich vergessen.“ Der tiefgründige, aus dem Nichts erscheinende Schmerz in Michirus Augen traf die junge Sportlerin. Was nur stand zwischen ihnen, dass sie obgleich sie einander mochten, nicht miteinander konnten? Plötzlich, so als sei es göttliche Fügung, erlosch das Licht im Flur und beendete jene süße und qualvolle Ewigkeit jäh. Mit der überraschend eingetretenen Dunkelheit kehrten die bizarren Lichtspiele, welche durch die Scheinwerfer der unten auf der Straße fahrenden Autos verursacht wurde, zurück. Auch belästigte nun, warum auch immer, der leise ständig vorhandene Lärm, welcher der Verkehr produzierte, die beiden im Flur stehenden Personen. Es dauerte einen langen Augenblick bis Haruka, geblendet vom Dunkel, etwas erkennen konnte. Es war aber auch jener zeitlose Moment, den Michiru nutzte, um leisen Schrittes das Weite zu suchen. Die Geräusche, welche sie dabei verursachte, so leise sie auch gewesen sein mochten, fanden dennoch den Weg an der Sportlerin Ohren. Als jene Signale durch ihr mehr oder weniger zuverlässig arbeitendes Gehirn die Strecke zu ihrem Herzen bewältigt hatten, blieb jenes stehen. Natürlich, das wusste Haruka selbst, war dem ganz und gar nicht so. Leider?! Wie könnte man auch sonst noch darüber grübeln? Vor allem aber, wäre jener alt bekannte Schmerz, der ihre Seele ehrfürchtig erzittern ließ, gar nicht vorhanden. Aber er war da. Ebenso wie die Zuneigung zu einem anderen Menschen plötzlich wieder aus dem Nichts ihres Seins aufgetaucht war. Haruka fröstelte. Schlimmer noch! Ein leiser Schluchzer verließ ihre blau angehauchten Lippen. Salzgetränkte, schwere Tränen folgten dem ungewohnten Ton. Langsam, ganz langsam gar, dass der BEwegugnsmelder des Hausflures nicht einmal reagierte, sank die junge Frau bitterlich weinend in sich zusammen. Leere. So bleiern und schwer bemächtigte sie sich ihrer wieder. Wann hatte sie eigentlich zuletzt geweint? Der schwach aufkommende Gedanke vertrieb kurzeitig das trübsinnige Gefühl der Einsamkeit, welches unaufhörlich in ihrer Brust brannte. Ich weiß es nicht mehr., antwortete sie sich selbst laut aufschluchzend. Sie wusste gar nichts mehr! Sie wollte auch gar nichts mehr wissen. Sie wollte den Geschmack von Michirus himmlisch weichen Lippen vergessen. Wollte vergessen, wie angenehm so ein Kuss kribbelte. Wollte Michiru vergessen und wollte es doch nicht! Vor allem aber, und das wollte sie wirklich, wollte sie wieder ihr Herz vergessen! Wann immer dieses dumme auf einmal mit Liebe befüllte Ding zu schlagen begann, bescherte es nur Ärger! Welchen Ärger sie zuletzt damit gehabt hatte, wusste sie zwar nicht mehr, aber sie kannte die damit verbundenen Schmerzen. Es musste Schluss damit sein! Licht, unheimlich grelles Licht, blendete Haruka, sodass sie die geröteten Augen zusammenkneifen musste. „Oh.“, hörte sie jemanden, offenbar männlicher Natur, sagen. Haruka blickte auf. Doch ihre von den salzigen Zeugnissen ihrer Trauer verhangenen Augen erkannten nur schemenhafte, grobe Umrisse der ihr gegenüberstehenden Person. „Haruka?“, fragte er vorsichtig. „Wer will das wissen?“, entgegnete sie unfreundlich. „Na ich bins.“ Die Sportlerin antwortete ihm nicht. „Herrje.“, fügte er hinzu „Sakuya.“ „Ich kenne niemanden, der so heißt.“, sagte sie. Der Name aber klang so seltsam vertraut. So furchtbar altbekannt. Langsam, erhob sie sich vom Boden, da mittlerweile nicht nur ihre Lippe blau angelaufen war, sondern ihre ganzer Körper sich über die Kälte mit Zittern beschwerte. Allmählich lichtete sich der Tränenschleier. Haruka betrachtete ihren Gegenüber ausgiebig. Vor ihr stand ein großer schwarzhaariger Mann, dessen Gesicht recht freundlich wirkte und aus welchem zwei markante grün-braune Augen sie anstrahlten. „Dann stimmt es also, was ich gehört habe. Egal, deshalb bin ich ja hier.“ Irgendetwas, das sagte ihr ein Gefühl tief aus einem völlig verdunkelten Winkel ihres Gedächtnisses, stimmte hier nicht. Sie erinnerte sich. Doch woran? Bilder. So viele undeutliche Bilder strömten plötzlich auf sie ein. Hin und wieder war auch ein gut erkennbares dabei. Was war nur los? „Übrigens!“ Die Flut der Bilder ebbte ab und Haruka, die den Mann namens Sakuya gerade geistesabwesend angesehen hatte, blickte ihn nun wieder aufmerksamer an. Verlegen führte er eine Hand zu seinem Hinterkopf und grinste dann über das ganze Gesicht. „In dem Outfit siehst Du rattenscharf aus!“ Haruka entglitt das Gesicht. Was hatte dieser Typ da gerade gesagt? Ein Muskel, genauer gesagt der Sportlerin Augenbraue, zuckte nervös bevor sie die kalte beinah gefühllose Hand zur Faust ballte. Sie holte aus, aber irgendetwas hinderte sie daran den Schlag auszuführen. Schwindel bemächtigte sich ihrer und ließ den letzten klaren Gedanken sowie die übriggebliebene Schwermut drehend verschwinden bis abermals tröstende Dunkelheit ihr Sein umfing. Kapitel 11: Ratlosigkeit ------------------------ Gemächlich ging Michriu durch das Treppenhaus. Alles in ihrem Körper schrie regelrecht danach nach Hause zu laufen, die Ruhe, welche um solch eine Uhrzeit üblicherweise in ein Wohnhaus einkehrte mit ihren schnellen und unbarmherzig lauten Schritten rücksichtslos zu zerfetzen. Der Schock, über das, was soeben passiert war, saß jedoch zu tief. Dabei wollte sie weg! Weg! Sie wollte nach Hause und wünschte sich unmittelbar in ihre tröstliche Wohnung, die ihre aufkommende Ratlosigkeit wenigstens ansatzweise zu vertreiben wusste. Aber weder ihre Beine schienen willig eiligen Schrittes nach Hause zu rennen, noch wollte es ihr Herz. Ihr Herz war es, das sich kontinuierlich darüber beschwerte, dass sie gerade einen äußerst tragischen sowie dummen Fehler begangen habe, während es dadurch erfolgreich ihre Beine lähmte. Es glich einem Wunder, dass sie sich überhaupt fortbewegte. Der kühle Verstand, welcher sich mit ihrem unantastbaren Stolz verbündet hatte, flüsterte sich stets wiederholend, dass sie das Richtige getan habe, was bedeutete, dass sie doch irgendwie einen Fuß vor den anderen setzte. Warum aber fühlte sie sich dann so elend? Was war es, das ihr Herz betrübte? Musst Du Dir wirklich diese Frage stellen, hörte sie es beinahe maulen. Ein schiefes, gezwungenes, im Angesicht ihres bleichen Gesichts gruselig erscheinendes Lächeln stahl sich flüchtig auf ihre Lippen. Jetzt war es endgültig soweit: Sie wurde verrückt. Vielleicht war ja auch das die Erklärung dessen, was sie soeben gesehen hatte. Es war nichts weiter als eine Schutzmaßnahme ihres kühl arbeitenden Verstandes, der sich diese Szenerie ausgedacht hatte, um die Wahrheit über Haruka erträglicher zu machen: Haruka liebte sie nicht. Nachdenklich blieb Michriu stehen. Sie hatte nun ohne merkliche Geräusche zu verursachen, das gesamte Treppenhaus durchquert sowie den dahinter liegenden Flur. Nun stand sie nachdenkend vor der Eingangstür. Mit einem mal verfinsterte sich ihr trauriges Gesicht, denn sie schien nun die Lösung des Problems ausfindig gemacht zu haben: Haruka hatte das alles so aussehen lassen, um ihr durch die Blume zu sagen, dass sie nichts mit ihr zu tun haben wolle! Ja, so musste es sein! Ihr Verstand jubelte, als Michiru den Gedanken zu Ende gedacht hatte. Ihr Herz aber, ihr dummes, weiches Herz maulte und wollte jenen Gedanken keinen Glauben schenken. Die Verwirrung in Michiru wuchs zu einem unglaublichen Gedankenchaos an. Sie versuchte diese verwirrenden Gedanken und Bilder an die junge Sportlerin zu verdrängen. Versuchte zu vergessen, wie gut ihr dieser Kuss doch geschmeckt hatte und wie sehr und vor allem wie lange sie sich schon danach gesehnt hatten. Harukas Körper war so warm gewesen. Diese Wärme hatte sogar den Weg durch ihre Kleidung gefunden und ihr eine Gänsehaut beschert. Michiru schüttelte energisch den Kopf, denn sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, die Finsternis der aufgekommenen Wut vertrieb und sich dort niederließ. War es denn das, was sie gesehen hatte, wirklich so schlimm gewesen? Sie wusste keine Antwort auf die Frage, von all den anderen Fragen und Gedanken, sah sie nun großzügig ab. Sie seufzte. Auch wusste sie keinen Rat oder jemanden, bei dem sie sich Rat holen konnte. Doch plötzlich durchzuckte sie eine Idee: Elza Grey. Kapitel 12: Die Macht der Träume -------------------------------- Finsternis. Geräusche. Monotone Geräusche. Irgendetwas prasselte. Es regnete. Doch da war noch etwas anderes, das monotone Klänge verursachte. Ein sich näherendes Licht blendete einen Moment. Kurzzeitig konnte man die Regentropfen, abertausende von ihnen schlugen gegen das Glas einer Windschutzscheibe, sehen. Dann herrschte erneut Finsternis und übrig blieben der monotone Regen und das Geräusch, welches der Scheibenwischer verursachte. Dunkel. Es war alles so furchtbar dunkel, ähnlich wie ein bodenloser Abgrund angefüllt mit gähnendem Nichts. Plötzlich krachte es. Irgendetwas zerbrach. Jemand schrie. Oder schrien gar zwei Menschen? Nichts. Da war absolut nichts. Nur der Regen. Der kalte unbarmherzig nasse Regen. Kein Licht. Kein Scheibenwischer. Nur der Regen. War da wirklich nur der Regen? Hatte nicht zuvor jemand geschrien? Einen Namen gerufen? Ja, da gab es eine Person. Eine Frau mit blondem Haar und starrem Blick. Was war es, das ihre Augen verschleierte? Warum blinzelte sie nicht? War es denn nicht der Regen, der sie quälte und frieren ließ? Nein, sie fror! Sie, und damit meinte sie sich selbst – Haruka. Die blonde Frau aber würde nie wieder frieren. Blut verdeckte ihre Augen, als das Licht eines anderen Wagens auf sie fiel. Haruka, starr vor Schock, fühlte nichts. Da war nur leere Finsternis und dann zerfetzte ein gellender Schrei die Dunkelheit. Harukas Augenlider flatterten und öffneten sich schließlich. Die Helligkeit, die ihr Schlafzimmer durchströmte, blendete sie. Ein leises Stöhnen entwich ihrem trockenen Mund. Ohnehin fühlte sie sich furchtbar. Ihr Kopf schmerzte schlagartig und außerdem war ihr schrecklich heiß. Sie fühlte sich schlapp, so als habe sämtliche Kraft ihren Körper Verlassen. Als ihre Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, fiel ihr Blick auf die sich gegenüber befindende Wand. Mehrere Minuten lang starrte Haruka die karge Wand gedankenleer an, bis sie sich plötzlich wieder an diesen trostlosen Traum erinnerte. War es denn wirklich nur ein Traum gewesen? Bilder aus jenem Traum geisterten durch ihre Gedanken und ließen ihren schwitzenden Körper trotz der Bettdecke frieren. Gänsehaut stahl sich unangenehme Schauder verursachend über ihre Glieder. Unwillkürlich blinzelte die Sportlerin und dicke Tränen rannen heiße Spuren hinterlassend auf ihren glühenden Wangen hinab ins bodenlose, während ihr ein unbewusster Schluchzer über die Lippen kam. Kurz darauf öffnete sich die Schlafzimmertür leise. Haruka nahm, noch völlig eingenommen und verwirrt durch ihre eigenen Gefühle, es nicht wahr und wunderte sich sehr, als sie eine Stimme hörte: „Wie ich sehe hast Du ausgeschlafen.“ Die gesprochenen Worte drangen an ihr Ohr und eine gefühlte Ewigkeit später erreichten sie schließlich ihren Verstand. Schwerfällig löste sie den Blick, welcher sich so herrlich im Nichts der kargen Wand verloren hatte, und suchte nach der Ursache der gesprochenen Worte. Ihr Blick fiel auf den jungen Mann, der scheinbar gut gelaunt neben ihrem Bett stand. „Sakuya.“ Ihre Lippen formten diesen Namen selbstständig, ohne dass sie eine wirkliche Erinnerung oder etwas mit ihm hätte in Verbindung bringen können. Harukas Gedanken blieben vom bitteren Nachgeschmack des Traumes durchtränkt. Oder verursachte die Erkenntnis darüber, dass es Erinnerungen waren, den bitteren Geschmack? Sie wusste es nicht. Alles fühlte sich schwer an. Furchtbar schwer und leer. „Immerhin scheint es dir etwas besser zu gehen.“, stellte Sakuya fest. Anscheinend hob dies seine Laune an. Da Haruka ihm nicht antwortete fuhr er fort: „Ich dachte schon, dass ich dich heute ins Krankenhaus fahren müsste. Dabei weiß ich doch wie sehr du Krankenhäuser verabscheust.“ „Was?“ Irgendwie hatte der letzte Satz einen direkten Weg zum Gehirn der Sportlerin gefunden. Die Leere löste sich schlagartig auf und schuf somit viel Platz für ein anderes, ebenso verheerendes Gefühl namens Verwirrung. Sakuya lächelte. „Wow! Es kann sprechen.“, witzelte er, doch augenblicklich verschwand der Schalk aus seinem Blick und seine Miene wurde ernst. „Ich sehe es dir an. Du kannst dich nicht mehr erinnern, hab ich Recht?. Weder an mich, an die Zeit im Krankenhaus noch an irgendwelche anderen Dinge, die vor fünf Jahren passiert sind.“ „Vor fünf Jahren?“, wiederholte Haruka monoton. Langsam aber stetig stiegen die Bilder, die sie bereits aus ihrem Traum kannte aus dem Nebelschleier des Verdrängens empor. Verheerend breiteten sie sich abermals Tränen verursachend in der Sportlerin Gedanken aus. „Man hat dich damals nach dem Unfall mit leichten Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.“; sagte Sakuya. Seine Stimme klang sanft, während er sich zu ihr auf das Bett setzte. „Rasch stellten die Ärzte aber fest, dass völlig unter Schock standest und böse den Schädel gestoßen hast.“ „Ich habe mir also den Schädel gestoßen“, fasste Haruka ungläubig zusammen, denn so sehr sie es versuchte sie konnte sich nicht daran erinnern. Da waren nur diese bizarren Bilder, die zueinander nicht so recht passen mochten. „Oh ja, allerdings.“, erwiderte Sakuya mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Ich erinnere mich noch genau, wie du diesen turbanartigen Verband am Kopf getragen hast.“ Haruka, die erneut ins Nichts gestarrt hatte, sah nun zu ihm auf. „Okay…okay. Dummer Scherz.“ Das Grinsen wich einem entschuldigendem Lächeln. „Kannst du dich wirklich nicht erinnern?“ Der Schalk wich der Ernsthaftigkeit. Haruka schüttelte den Kopf. „Nur Bilder.“, antwortete sie nach einer Weile. „Verschwommene Bilder.“ Sakuya gab einen undefinierbaren Laut von sich. „Neulich, im Treppenhaus, ist mir auf dem Weg zu dir eine junge Frau begegnete, die völlig aufgelöst schien.“ „Reika war da.“, erwiderte Haruka knapp. Sie verdrängte die schmerzlichen Erinnerungen an Michiru, die unwillkürlich hervorgerufen wurden. Wieder erntete Haruka einen undefinierbaren Laut Sakuyas. Es ähnelte einem Schnauben. „Ja, ich gebe zu, dass ich auch sie getroffen habe. Allerdings traf ich sie im Flur.“ Sakuya machte eine kurze Pause. „Die junge Frau war Michiru nicht wahr?“ Haruka zuckte merklich zusammen. Ihr Verstand protestierte, ihr Herz rebellierte. Ihr Inneres tobte schmerzlich. Heiße Tränen, die junge Sportlerin versuchte sie zu unterdrücken, suchten sich einen Weg nach Draußen und rannen brennende Spuren hinterlassend über ihre Wange. „Woher…?“, schluchzte Haruka erstickt. Das Schluchzen war nicht beabsichtigt. Eigentlich entsprach es nicht ihrer Art vor Fremden zu Schluchzen oder gar zu weinen. Es entsprach ja nicht einmal ihrer Art zu weinen. Aber sie konnte nicht mehr. Alles was ihre Gedanken beherrschte war, neben der großen Verwirrtheit, diese Frau: Michiru Kai’oh. Sie liebte sie. Warum wusste sie nicht. Aber es tat weh. Furchtbar weh. Es schmerzte, an sie zu denken und noch mehr es nicht zu tun. Alles war so verwirrend. „Damals,“, begann Sakuya leise, „war auch sie im Krankenhaus gewesen.“ Haruka erstarrte wie ein Kaninchen, das vor der Schlange saß. Ein Bild kroch ähnlich wie eine noch von der Winterstarre schläfrige Kröte aus dem Erdloch ihres Seins hervor. „Sie spielte Geige vor den Kindern der Station.“, sagte Haruka gedankenverloren. „Glaube ich jedenfalls.“, fügte sie nach einigen Minuten des Schweigens hinzu und sah Sakuya aus roten Augen an. „Ja.“, entgegnete er knapp. „Du solltest wieder versuchen zu schlafen.“ Kaum, dass er diesen Satz gesprochen hatte, drückte er die Sportlerin sanft in ihr Bett. Haruka ließ es geschehen. Sie sah ihm nach, als er zur Tür ging. Kurz bevor er das Zimmer verließ, drehte er sich noch einmal zu ihr um und schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Schlaf gut.“, sagte er und schloss leise hinter sich die Tür. Kapitel 13: Die unglaubliche Geschichte --------------------------------------- Am späten Mittwochnachmittag, stand Michiru wie verabredet bei Elza vor der Tür. Sie klingelte nervös, denn ihre Armbanduhr zeigte ihr ungnädig, dass es 16:55 Uhr war. Zwar bedeutete dies, dass Michiru nicht zu spät gekommen war, jedoch hasste es die Freundin, wenn jemand nicht den für Elza geltenden Zeitrahmen, welcher ein Treffen um 17:00 Uhr bedeutete, einhielt. Im Grunde verhielt es sich so: Betrug die verabredete Zeit 17:00 Uhr, so hatte man auf keinen Fall zu spät, also um 17:01 Uhr, zu erscheinen. Um jedoch pünktlich zu sein, durfte man auf keinen Fall früher als 16:58 Uhr an der Tür läuten. Da Michiru nun aber bereits um 16:55 Uhr die Türklingel betätigt hatte, malte ihre Fantasie sich aus, wie das Hausmädchen nun gleich die Tür öffnete, sie hereinbat und sie zur Strafe für ihr frühes Erscheinen fünf Minuten in die dunkelste Ecke des Hauses verbannte. Zum Teufel mit diesen altenglischen Gepflogenheiten, dachte Michiru gereizt und vergaß dabei einen winzigen Augenblick, warum sie Elza eigentlich aufsuchte. Gerade, als sie ihre Fantasie zum Schweigen gebracht hatte, öffnete sich die schwere, aus brauner englischer Eiche bestehende Eingangstür mit einem quietschenden Geräusch und eine höfliche Stimme bot ihr an, eintreten zu dürfen. Michiru leistete der Aufforderung sofort Folge und trat aus dem schwindenden Tageslicht in das Reich der Grays. Die Grays waren eine traditionsreiche altenglische Familie, die erst in der zweiten Generation hier lebte. Dies taten sie nur, da die Firma, welche Elzas Großvater vor etwa 70 Jahren gegründet hatte, nunmehr einen sehr lukrativen Sitz in Japan inne hatte. Selbstverständlich betreute nur ein kleiner Familienzweig eben jenen Standort und so war es der zweite Sohn des Großvaters gewesen, der die Heimat verließ und sich hier mit Frau niederließ. Damit das Heimweh der Grays nicht zu groß wurde, ließen sie, als der Standort genügend Gewinn abwarf, das Herrenhaus im altenglischen Stil errichten. Ein dazu passender Garten durfte ebenfalls nicht fehlen. Sogar der Rasen der Grays besaß die in England dafür vorgeschriebene Grashalmlänge. Das Hausmädchen führte Michiru durch den gigantischen Flur, vorbei an der ebenso gigantischen Holztreppe zu einem der hinteren Zimmer. Dort angekommen klopfte es und nachdem Elza stimme zum Eintritt aufforderte, öffnete das Hausmädchen Michiru die Tür und ließ sie eintreten. Nachdem sich die Tür leise geschlossen hatte, kam Elza zu ihr, bot ihr, nach altenglischer Sitte etwas zum Trinken an und bedeutete ihr sich zu setzen. „Es ist lange her, dass du mich das letzte Mal besucht hast, Michiru. Was also kann ich für dich tun?“ Noch während sie sprach, zauberte sie aus dem Nichts zwei Kristallgläser und eine dazu passende Flasche hervor. Ein Glas reichte sie Michiru. Das andere stellte sie vor sich auf den Tisch. Die junge Musikerin wusste, dass sie mit ihrer Geschichte zu warten hatte, bis Elza sie erneut ansah. Diese Etikette legte sie allerdings nur hier an den Tag, sobald sie das Haus verließ, blieben scheinbar auch alle unnötigen und übertriebenen Höflichkeitsfloskeln im Herrenhaus zurück. Als es dann soweit war, erzählte Michiru ihr die Geschichte von jenem Abend sowie den Ereignissen zuvor. Leider konnte sie währenddessen nicht verhindern, dass sie hin und wieder die Gesichtsfarbe wechselte und zum Schluss sogar eine Träne des Bedauerns wegblinzeln musste. Die große Eichenholzstanduhr, welche den nun wieder ruhigen Raum penetrant mit ihrem „Tick Tack“ füllte, ließ ihren alle 15 Minuten wiederkehrenden Big Ben-Glockenton erklingen, um zu verkünden, dass es nun 17:45 Uhr war. „Das ist eine unglaubliche Geschichte.“, sagte Elza schließlich. Als sich der Freundinnen Blick begegnete, sah Michiru Elzas faltige Stirn. „Ich weiß.“, entgegnete Michiru lahm. „Um ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht mehr weiter. Mir fehlt das Verständnis dafür.“ Elza nickte nachdenklich ohne die Musikerin anzusehen. Seit mehreren Minuten hielt sie das polierte und im Licht des Raumes glänzende Kristallglas in ihren Händen. Sie drehte es, sodass das darin befindliche Wasser leise darin schwappte. „Du kennst Haruka nun schon recht lange und damit besser als ich.“, fuhr Michiru fort. „Warum sagt sie mir einfach nicht, dass sie mich nicht mag. Warum, verflucht nochmal zieht sie diese Show ab?“ „Hmm“, brummte Elza. „Das weiß ich auch nicht. Aber die Geschichte ist seltsam und sie passt auch nicht zu Haruka. Zugegeben seit mehr als einem halben Jahr verhält sie sich etwas seltsam. Dennoch passt das nicht so recht.“ „Was soll daran komisch sein?“, fragte Michiru ärgerlich. Sie spürte, wie ihr der tief in ihrem Inneren angestaute Zorn zu Kopf stieg und diesen erröten ließ. Elza hob widerwillig den Blick und begegnete Michirus vor Wut funkelnden meergrünen Augen. „Nun ja.“ Elza seufzte. „Ich finde es seltsam, dass sie diese vermeintliche Show abzieht um dich loszuwerden. Zumal du mir erzähltest, dass sie eigentlich den Eindruck machte, gerne mit dir zusammen die Zeit zu verbringen. Welchen Nutzen soll das Bringen?“ „Sie will mich eben loswerden.“, entgegnete Michiru scharf. „Du solltest dich beruhigen.“, sagte Elza ruhig. „Haruka würde es dir ohne Zögern ins Gesicht sagen, wenn du sie nervst.“ Michiru schnaubte verächtlich. Sie konnte es nicht verhindern, dass der Zorn sie beherrschte. Dabei war es im Grunde die Ohnmacht, die sie seit jenem Abend bei Haruka spürte, welche ihren Zorn nährte. Die Ohnmacht nichts von alledem, was passiert war, verstehen zu können. „Ich kann mich noch genau an das erste Rennen erinnern, bei dem ich Haruka begegnete.“, erzählte Elza. „Es war ein heißer Sommertag. Eigentlich viel zu heiß um Rennen zu laufen. Als ich hörte, dass auch sie, die angesehenste Sportlerin des Landes, dabei ist, machte ich ihr meine Aufwartung. Ich wollte Haruka unbedingt kennenlernen und obwohl wir Konkurrenten waren, wollte ich sogar eine Freundschaft aufbauen. Also suchte ich sie kurz vor dem Start auf und erklärte wer ich war. Sie hatte nicht mehr als einen kurzen Seitenblick und ein schlappes Lächeln für mich übrig. Ohnehin machte ihre Gesamterscheinung einen ziemlich hochnäsigen Eindruck und so zog ich verärgert über ihre Arroganz davon. Ich war nur noch besessen von dem Gedanken sie beim Rennen zu schlagen. So einem Großkotz musste man das Maul stopfen. Beim Rennen lieferten wir uns einen harten Kampf, den ich schließlich knapp verlor. Danach aber kam sie zu mir, reichte mir die Hand und lächelte mich ehrlich an. Sie sagte damals – Elza, ich bin froh, dass du sauer auf mich warst, denn so ein gutes Rennen hatte ich schon lange nicht mehr. Ich freue mich, dich bald wiederzusehen.-“ „Aha.“, erwiderte Michiru. „Was ich damit sagen will, Haruka ist ein Mensch, der wohl verschlossen ist, sich aber denen öffnet, die sie respektiert. Sie respektiert auch dich und deine Kunst. Sonst hätte sie dir das nie gesagt. Umso seltsamer ist es, dass sie angeblich versucht dich mit diesem Geschlechtsumwandlungstrick zu verjagen. Ich kann das einfach nicht glauben! Es muss einen Grund dafür geben.“ „Aber welchen?“ Die Verzweiflung in Michirus Stimme stach deutlich in den Vordergrund. „Das müssen wir herausfinden.“, überlegte Elza. „Und wie stellst du dir das vor?“, fragte Michiru wenig überzeugt. „Na Haruka fragen. Der direkte Weg ist der Beste.“ Michiru erschrak. „Neulich Abend bin ich aber davon gelaufen. Ich ertrage das nicht Elza. Es verletzt mich sie zu sehen und ich fühle mich auch jetzt noch kraftlos. Ich fürchte mich davor ihr erneut zu begegnen. Sie hat mich vergessen.“ „Was meinst du damit, sie hat dich vergessen?“, fragte Elza, die hellhörig wurde. „Vor vielen Jahren begegnete ich Haruka in einem Krankenhaus. Sie war dort stationär untergebracht…“ „Oha.“, rief Elza aus, als Michiru endete. „Jetzt weiß ich wirklich keinen Rat mehr.“ „Verständlich.“, entgegnete Michiru traurig. „Mir geht es ebenso.“ Elza gab erneut einen kehligen Laut von sich, ehe sie etwas sagte: „Es ändert aber nichts an meiner Meinung über Haruka. Die Geschichte mag seltsam sein, aber sie passt nicht zu Haruka. Weder so wie du sie kennengelernt hast, noch so wie ich sie kennenlernte. Also müssen wir der Sache irgendwie auf den Grund gehen!“ „Okay.“ Das war alles was Michiru dazu sagte und es klang noch nicht einmal überzeugt. Doch immerhin fühlte die Musikerin sich nun leichter. Irgendwie befreit. Es hatte gut getan jemandem von den unglaublichen Geschehnissen berichten zu können. Noch besser war es, dass Elza offensichtlich bereit war, ihr zu helfen. Aber da war etwas, das ihr neues Gefühl der Zuversicht trübte. Die Furcht. Michiru fürchtete sich vor einem neuen Zusammentreffen mit der Sportlerin. Wie laut und kraftvoll hatte doch ihr Herz geschlagen, als Haruka ihr den Kuss geschenkt hatte. Wie sehr hatte sie das Kribbeln im Bauch genossen. Wie herrlich doch das Prickeln auf den Lippen gewesen war. Doch wie sehr hatte es geschmerzt, in ihren eisblauen Augen zu lesen, dass die Sportlerin sie liebte und doch nicht wusste wer sie war. Alles hatte sich in jenem Moment vom Guten ins Böse verkehrt. Gemeine Dämonen hatten den guten Geschmack des Kusses von ihren Lippen gefegt und Platz für Bitterkeit gemacht. Ungnädig tobten Sie in ihrem Inneren und hatten somit für das Zittern ihres Körpers gesorgt. Dies hatten die Dämonen solange getan, bis sie die Tränendrüse erfolgreich beschädigt hatten und Michiru schließlich weinend den Entschluss gefasst hatte Elza aufzusuchen. Und so schloss sich der Kreis. Es war 20:00 Uhr als Michiru das Haus der Grays mit gemischten Gefühlen verließ. „Überlass das nur mir.“, hatte Elza gesagt und sie anschließend nach Hause geschickt. Die junge Musikerin, welche dankbar in die kühle Abendluft trat, beschloss sich nicht mehr so viele Gedanken darüber zu machen. Sie sollte es wirklich Elza überlassen. Wohlmöglich würde sie mehr Erfolg haben. Immerhin sah die englische Sportlerin die ganze Geschichte auch mit etwas neutraleren Augen, was vermutlich hilfreich war. Endlich spürte Michiru nachdem ewigen Hin und Her ihrer Gefühle, dass die Erleichterung die Furcht besiegte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)