König der Schwerter von Tsumugu-Tachibana ================================================================================ Die Memoriafrucht 3 ------------------- Im Tempel lief alles auf Hochtouren. Jeder wusste, wo er zu stehen hatte. Diara, Shong, Sheik und Timon saßen in der ersten Reihe, die Würdenträger neben ihnen, die Priester in den Reihen dahinter. Auf der Fläche, die zwischen den Sitzreihen und dem Altar lag, stand Rokono bei einem Tischen. Es hatte keine große Fläche und besaß nur ein Bein, das unten in drei auseinanderlief und ihm so etwas Halt gab. Der Oberpriester selbst trug eine ähnliche Kutte wie sonst, nur dass zwischen den dünnen roten Fäden noch Goldene entlangliefen. Alle anderen Priester trugen zu diesem besonderen Anlass Gewänder der gleichen Art, schlicht mit roten Fäden. Nun hob Rokono gebieterisch die Hand. Wie in allen zeremonischen Angelegenheiten hatte er hier mehr Macht als Shong. König und Oberpriester bildeten zwar die nachrückende Generation des anderen aus, doch oblagen die Zeremonien dem Oberpriester allein. Auch Sheik würde ab dem nächsten Jahr von Rokono ausgebildet werden, die erlernten Kräfte aber nie einsetzen dürfen. Bis auf die Zeit, in der er Rokonos Ältesten ausbilden würde. So blieb ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Krone und Religion bestehen, in dem das eine dem anderen nichts tun konnte, weil sie voneinander abhängig waren. Das Gemurmel verstummte. Seine Stimme richtete sich an Publikum. “König Shong el Naga, Königin Diara Mepa, Kronprinz Sheik, höhere Anwesende, viel geehrte Priester, Timon.” Alle Augen blickten in Erwartung der nächsten Worte zum Oberpriester. “Keinem von Ihnen wird der Aufruhr der letzten Tage entgangen sein. Wie auch. Er betraf ja uns alle. Doch besonders die beiden Jungen, Timon und Sheik.” Die Augen der Anwesenden wanderten zu den beiden Fünfjährigen. Timon bekam weiche Knie, Sheik war derartige Aufmerksamkeit wohl gewohnt. Rokono befahl ihnen durch eine Geste zum ihm nach vorne zu kommen. Gemurmel erfüllte jetzt den Raum. Der Oberpriester flüsterte dem Kronprinzen etwas zu. Daraufhin begann er zu sprechen. “Verehrte Anwesende.” Die Jugend war seiner Stimme entschwunden. Er klang wieder wie ein alter Mann, die Haare ähnlich denen Rokonos mit Silberperlen zum Netz geflochten. Aufgerichtet blickte er mit demütiger Miene in die wieder schweigende Menge. Sie erhob sich. “Wegen mir hat die Jagd nach einem Frevler begonnen, darum will ich für diese auch das Schlusssignal ausstoßen. Denn wisset: Ich tat den Frevel aus Unwissenheit, mein Freund Timon hier ebenso. -Selbstverständlich kenne ich die Weisheit: ‘Nicht wer nichts weiß ist dumm, sondern wer nichts weiß und sich trotzdem nicht weiterbildet.’ Aber glaubt mir: Ich war in dem Irrglauben, unsere Bräuche zu kennen. Wer sie mir unrichtig erklärt hat, ist egal, es ist meine Schuld gewesen, mein Wissen nicht zu erweitern... Wie auch immer: Ich gestehe mir und euch meinen Fehler ein. Und ich hoffe, ihr vergebt mir.” Keiner sagte ein Wort. Jeder war noch im Bann dieser wenigen, aber weisen Worte aus dem Munde des Knaben. Mepa rann eine verirrte Träne über ihr ausdrucksloses Gesicht. In ihrem Inneren küssten sich die Gefühle. Stolz aus tiefstem Herzen, vermischt mit aufrichtiger Ehrerbietung und unendlicher Liebe zu ihrem Sohn erfüllten sie mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl. Sie dachte: /Es ist wirklich erstaunlich, wie früh die Stimme der Vernunft in ihm erwacht ist. Noch nicht mal in einigen Erwachsenen ist sie so deutlich. Und das schon ohne Rokonos Unterweisung.\ Sie lächelte. /Er wird ein guter König.\ Nachdem Sheik so geendet hatte, machte Timon durch ein Räuspern auf sich aufmerksam. “Verehrte Anwesende” Seine Pupillen waren geweitet und überdeckten fast gänzlich die schimmernden Iris, ein Zeichen dafür, dass sein Unterbewusstsein seine Worte bestimmte. Ein wahrer Gedanke entsprang der Erkenntnis der Königin. /Ich wusste, dass die Stimme der Vernunft übertragbar ist, man sie dann aber noch selbst besitzt. Schön, dass Timon sie bekommen hat.\ “Auch ich bestrebe eure Vergebung. Ich habe Sheik kennen gelernt und geglaubt, durch das Besitzen einer Kette zu euch zu gehören. Aber mir ist aufgefallen, dass ich keinen größeren Irrtum kenne. Für meine Schuld jedoch habe ich gebüßt. Durch Sheik. Denn keine Strafe ist schlimmer als die, zu wissen, dass ein Freund unschuldig für ein fremdes, ja sogar eigenes Verbrechen gequält wurde. Darum hört die Bitte eines seelisch verletzten Freundes: Vergebt mir." Rokono nickte. Die perfekte Stille wurde nur von Schluchzern Gerührter durchbrochen. Viele hatten von den Begleitumständen nichts gewusst. Der Oberpriester hatte das Wort. “Ihr Priester, jetzt kennt ihr die wahre Tat mit all ihren Gründen und Folgen. Eure Ansicht beeinflusst nun das Schicksal von Sheik und Timon. Wer den ‘Frevel’ weiterhin bestrafen will, hebe die Hand.” -Stille. Irgendwo fiel eine Stecknadel hinunter. “Gut.” Er blickte in die großen, erwartungsvollen Augen der Jungen. “Dann seid ihr hiermit von der Bezichtigung eines Frevels ohne Schuldrückstände freigesprochen.” Mepa atmete aus. Sie erhob sich und ging Sheik mit offenen Armen entgegen. Den beiden Jungen schien es, als wäre eine zentnerschwere Last von ihnen genommen worden. Eine zweite, eisenschwere Haut der Schuld, die sie am ganzen Körper quälte und an den Ernst und die Wichtigkeit der Lage erinnerte, löste sich sanft von ihren Gliedern, stieg empor und verschwand zuletzt ganz. Als hätte man ein Ventil geöffnet, ergossen sich nun Meere von Tränen über die glücklichen Kindergesichter. Nach dem Applaus, der vom Heulen Sheiks und Timons begleitet wurde, hob Rokono ruhebittend die Hand. “Dann schreiten wir jetzt Zeremonie. Timon, knie nieder.” Der Fünfjährige kam der Aufforderung nach. Die Priesterschaft erhob sich. Der Oberpriester nahm Timons Kette vom Tischen und hängt sie ihm mit feierlichen Worten um. “Schwörst du, Timon -” Eine Explosion öffnete unsanft die Tür zum Weihesaal und zerstörte die erwartungsvolle Angespanntheit der Anwesenden. -”Die Brunnenpriester! Sie sind wieder da! Beeilt euch!” Eine Wache taumelte mit diesen Worten herein, bevor der letzte Funke Leben sie verließ. “Wer ist das bitte?” Timon, die Kette hatte Rokono ihm nunmehr achtlos umgehängt, schaute Sheik fragend an. Der verneinte eine informative Antwort. “Ich weiß es auch nicht.“ Als die Priesterschaft wie eine zähe Masse aus dem Eingang nach draußen quoll, war dort bereits die Hölle los. Bis auf eine kleine Gruppe, die das Königspaar schützen sollte. Diara jedoch bekam einen Schock. Denn Sheik war weg. Timon auch. “Wir können sie nicht suchen. Mepa, unsere Sicherheit zählt mehr.” “Nein! Nein, Shong!” Weinend vergrub sie ihr Gesicht im Gewand ihres Mannes. Dieser nahm sie in den Arm und leitete sie sanft zum anderen Ausgang, wo die Priester schon warteten. Etwas knackte. Sheik, Robin und die Priester gingen unbeängstigt weiter, Nami umklammerte ängstlich den Arm der Freundin. “Sind wir bald da?” “Ja.” Vor ihnen strömte ein Fluss. Nebelschwaden umhüllten das andere Ufer und versperrten die Sicht. Früher hatte er nur von drei Seiten den Geheimstaat der Filut Drevi umflossen, nun musste man ihn überqueren, egal, von wo man kam. Die Priester fingen nun an, in all ihrer Kleidung ins sanft abfallende Flussbett zu steigen und schwammen in dichten Nebel. Langsam nahm auch Nami ihre Schuhe in die Hand und begann, ins Wasser zu waten. Es war kalt. Sie hoffte, dass der Lockport keinen Schaden nehmen würde. Robin allerdings zögerte. “Na los, komm schon.” Sheik legte seine Fingerspitzen auf ihre Schulterblätter. “Wir sind die letzten.” Er übte leichten Druck aus. “Ich will aber nicht.” “Du musst.” Sie wehrte sich gegen das Weitergehen wie ein sturer Esel. “Dann eben nicht...” Er flüsterte. “...auf die sanfte Tour.” Unvermittelt berührte er sie an der nackten Haut über ihrer Hüfte. Sie drehte sich zu ihm um... “Was-” ...und wurde von ihm mit voller Kraft ins Wasser gestoßen. *platsch* Er musste herzhaft lachen. Denn sie gab wirklich einen zu köstlichen Anblick ab. Mit gespieltem, entschlossen-beleidigtem Gesichtsausdruck saß sie klatschnass im knietiefen Wasser und pustete sich eine triefende Strähne aus der Stirn. Sheik grinste. “Tja, wer nicht gehen will, muss schwimmen.” “Das habe ich gemerkt.”, sagte sie trocken. “Dann sind wir uns ja einig.” Mittlerweile war auch er im Wasser. Verdrossen schwamm sie vor ihm in den Nebel. “Mama? Papa?” Der kleine Prinz und sein bester Freund waren nur den rotgoldenen Streifen auf blauem Tuch gefolgt und merkten nun erst, dass Shong und Mepa nicht mehr bei ihnen waren. Der Oberpriester beachtete sie jedoch auch nicht, sondern koordinierte nur mit immerwährend grünschimmernden Augen den Lauf der Teufelskerne, die aus unzähligen Schubladen herangeflogen kamen und in von Dienern offengehaltenen Beuteln landeten. Nach dem Beenden der Flugstunde schlossen die Boten die Säckchen und verschwanden stumm in Richtung Getümmel. Nach Rückwandlung der Wand verließ Rokono zielstrebig wieder sein Gemach, erneut, ohne auf die Kinder zu achten, die kaum mit ihm Schritt halten konnten und ihn letztendlich in der Menge verloren. -”Mist, wo ist er denn jetzt?” “Ich weiß es nicht.” Vor ihnen bot sich ein merkwürdiges Bild. Es schien, als hätten sich Artgenossen verfeindet und versuchten nun, im Kampf um Leben und Tod ihre Meinung zu dem unbekannten Thema zu vertreten. Beide Parteien trugen Kerne, bloß waren die einen in blaue, die anderen, feindlich gesinnten Priester in gelbe Gewänder gehüllt. Die Jungen verstanden nicht, warum die Priester gegeneinander kämpften, im Gegensatz zu diesen, sonst wären die Gesichter der Kämpfer nicht so gnadenlos verbittert gewesen. Die Gelbgekleideten waren jedoch mit älteren, viel unmoderneren Waffen ausgestattet als die gegenwärtigen Priester, deren geschmiedete Waffen um so viele Jahre neuer waren und noch kaum Gebrauchsspuren aufwiesen. Jetzt liefen die Boten fleißig zwischen den eigenen Leuten hin und her und hängten ihnen die mittlerweile gläsern gewordenen Kerne aus den Beuteln um. Sie wurden eins mit den schon umgehängten Kernen, beeinflussten jedoch aus geheimen Grund die Kampftechnik der Priester. Denn sie bemühten sich jetzt zielstrebig, in ihrer Mitte einen kämpferfreien Kreis entstehen zu lassen, der ständig wuchs. So wurden die Angreifer erfolgreich zurückgedrängt. Irgendwann begann der Kreis sich zu öffnen und als Phalanx in Richtung Wald weiterzudrängen. Plötzlich sah Timon Rokono, zog an Sheiks Ärmel und ihn in Richtung des Oberpriesters. Sie riefen ihn, als sie ihn fast erreicht hatten. “Roko-” Und wurden in der Phalanx mitgerissen, die sich unaufhaltsam weiterbewegte. Der Angesprochene, selbst Teil der Schlachtreihe, hörte sie nicht und so bewegten sich nun auch Sheik und Timon in der kämpfenden Masse. Mittlerweile bogen sich die Enden der Phalanx nach vorn, um die Brunnenkrieger einzukesseln. Alles lief so durch und durch geplant ab, als wäre es tausendmal geübt worden. Dabei waren die meisten Priester jung und unerfahren. Timon, Sheik erneut an der Hand, drängte sich diesmal erfolgreich zu Rokono durch. Diesmal sah er sie auch kommen. Ab und zu mussten sie in der langsam verharrenden Masse einem Baum ausweichen, letztendlich kamen sie aber heil bei ihm an. Von einem Moment auf den anderen wendete sich die Situation jedoch vollends. Als hätten die Priester ihre ehemalige Aufgabe vergessen, pflückten sie zum Erschrecken ihrer Gegner aus der Gegenwart heuschreckenartig die Teufelsbäume kahl und warfen die Früchte wahllos, aber mit viel Kraft auf die Kreisenden. Auch die Kinder bekamen Fruchtteile ab, versteckten sich jedoch schnell hinter dem Oberpriester, der viele Würfe erfolgreich abwehrte, sodass sie nicht allzuviel abbekamen. Auf einmal kam wieder eine Frucht auf Rokono zu. Sie war blau und apfelförmig, hatte aber die Größe eines kleinen Kürbisses. Ohne groß darüber nachzudenken, spaltete er die Frucht mit einem Handkantenschlag in zwei exakt gleich große Hälften, die jedoch, anstatt komplett abgelenkt zu werden, in den Gesichtern von Sheik und Timon landeten, die gerade vorsichtig hinter dem Priester hervorgelugt hatten. *flatsch* *flatsch* Diese zogen angeekelt Grimassen. “Igitt, was ist das?” Der hellblaue Matsch lief langsam ihre Gesichter hinunter und tropfte auf den Boden und ihre Kleidung. “Mein Anzug! Wäh, das ist ekelig!” “Rokono, wie konntest du?” Dieser schien jetzt erst zu realisieren, was er angerichtet hatte. “Oh nein! Es tut mir leid!” Nach einer kleinen Verbeugung wandte er sich wieder den flugstundennehmenden Geschossen zu. “Das Zeug, es schmeckt scheußlich!” Er drehte sich wieder den Jungen zu. Sheik tat wie Timon so, als müsse er sich übergeben, was wegen dem tropfenden Fruchtfleisch eine gewisse Echtheit besaß. “Ihr habt... “ Er schaute sie mit schockgeweiteten Augen an. -”Was?” Die Jungen unterbrachen das Demonstrieren ihrer bloß halb gespielten Übelkeit und schauten ihn fragend an. Dieser bemühte sich schnell um einen neutralen Gesichtsausdruck. Das Geschehen um sie herum wurde für den Augenblick unwichtig. “Ach, schon gut.” Er lächelte. Doch in seinem Kopf begann bereits eine gewaltige Gedankenkaskade zur neuen Situation zu fließen, in der er mit allen Sinnen bereits nach einer Lösung für dieselbe suchte. Wie sollte er das Unglück der Königin erklären? Und vor Allem: Würde er die Jungen vor den Folgen des Unfalls bewahren können? “Ist es wirklich so schlimm, eine Teufelsfrucht zu essen?”, fragte Sanji. Chopper verzog das Gesicht, Timon schaute verlegen. Der Elch antwortete zuerst. “In meinem Fall war eine Teufelsfrucht das Einzige, was ich an der Felsküste gefunden habe, die ich aufgesucht habe, nachdem mich meine Herde verstoßen hatte. Ich musste sie quasi essen.” Timon nickte verstehend und begann selbst. “Na ja, abgesehen davon, dass eine Teufelsfrucht nicht wirklich lange satt hält, sind sie trotzdem sehr gewöhnungsbedürftig. Sobald du das Fruchtfleisch im Mund hast, wird es weich und -wenn du so willst- zart. Doch kriegt man das Zeug nicht zerkaut. An sich nur ein kleines Problem, ein viel größeres ist der Geschmack. Brr.” Er verzog das Gesicht. “Sobald du ein Stück im Mund hast, wechseln die Geschmacksrichtungen wild hin und her. Scharf, sauer, salzig, bitter, süß, scharf, sauer und so weiter. Und nicht nur eine zur Zeit. Letzten Endes schmeckst du alle gleichzeitig. Die Mischungen mal außen vor.” “Bäh, das klingt ja nicht sehr berauschend.” “Ist es auch nicht. Ich hätte damals fast gekotzt.” “Wie war’s bei dir, Ruffy?” “Puh!” Mit einem letzten Schwimmzug erreichte Robin die andere Seite des Flusses. Sheik kam kurz nach ihr ans Ufer, wo die anderen, seltsamerweise komplett trocken, schon warteten. Er kramte nun in einer Tasche seines triefenden Gewandes, ein Wunder, dass er mit so viel Stoff so gut hatte schwimmen können, und holte einen Kern heraus. Er stellte sich zur verdutzen Robin, umfasste den Kern mit Daumen und Zeigefinger und streckte den Arm von ihnen weg. Eine rote, durchsichtige Blase breitete sich aus, wurde immer größer. Sheiks Hand, sein Arm, jetzt auch Robin wurden von der Blase eingehüllt. Während ein warmer Luftzug über ihre Haut strich, sah sie, wie Wassertropfen von der Blase vor sich hergetrieben wurden, nicht einer blieb in ihrer Kleidung oder anderswo zurück. Eine letzte Brise wehte durch ihr jetzt trockenes Haar, als sie verschwand. Nun machten die beiden sich gemeinsam mit den anderen wieder auf den Weg nach Triwo Funt, während die Frauen weitere Details aus Sheiks Leben erfuhren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)