Wie Schwarz und Weiß von schmoergelmotte ================================================================================ Kapitel 5: Entschuldigung ------------------------- Hallo ^^ Hui, ich habe eine Tradition gebrochen und nicht jeden Freitag etwas hochgeladen, sondern einen Freitag ausgelassen *lol* Aber ich denke, ihr werdet mir alle vergeben ^^ Immerhin war ich letzten Freitag auch in Dresden und erst heute hab ich meinen PC wieder neu eingerichtet ^_~ Aber das interessiert euch ja doch nicht, also laber ich hier nicht weiter rum sondern lass ich fein das Kapitel lesen *lach* Kapitel 5: Entschuldigung Mit leerem Blick saß Michael vor dem Spiegel, der eine seiner Kleiderschranktüren verdeckte, und betrachtete sein Ebenbild. Das Veilchen, welches sein linkes Auge geziert hatte, war mittlerweile nur noch blass-gelblich und ließ die Haut um sein Auge ein wenig matschig wirken. Seiner Meinung nach sah das ein wenig wie das Auge eines 90-Jährigen aus. Doch dafür erstrahlte seine rechte Wange, beginnend bei seinen Wangenknochen unter den Augen bis zu seinen äußersten Kieferknochen, in einem farbigen Blau-violett. Eindeutig waren seine Wangenknochen geprellt, denn dort war es am dunkelsten. Jede Bewegung seines Gesichtes zog schmerzhaft. Von seinen Versuchen, etwas zu essen, wollte er gar nicht erst reden. Die Bewegung seines Mundes, sich gänzlich zu öffnen, um einen Löffel mit Spaghetti hineinzulassen, stellte sich für ihn als eine Qual heraus. An dem Rand seiner Nasenlöcher klebte noch etwas geronnenes Blut, doch zu seinem Glück wirkte seine Nase sich nicht weiter schmerzhaft aus. Schwerfällig schloss er die Augen und lehnte seine pochende Wange vorsichtig gegen die kühlende Glasscheibe des Spiegels. Rasant fuhr ein schwarzer Wagen um die Ecke in eine von blühenden Blumen umgebene Einfahrt und kam dort abrupt zum Stillstand. Im Gegensatz zu dem schnellen Fahrstil öffnete sich die Fahrertür nur langsam, ehe ein schwarzer Springerstiefel auf den matten Asphalt trat. Ihm folgte ein Zweiter, bevor die Autotür hektisch zugeschlagen wurde. Seufzend lehnte Thomas Rosner sich gegen sein Auto und nahm einen kräftigen Zug der Zigarette, die in seinem Mundwinkel verweilte, ehe er langsam wieder ausatmete. Es war ja schon eine Überwindung gewesen, überhaupt hierher zu kommen, aber nun stand er hier und konnte nicht leugnen, dass er wirklich nervös war. Ich glaub, so nervös war ich nicht mehr, seit ich allein vor diesem Türken-Clan stand, den ich zwei Tage vorher mit ein paar Kameraden aufgemischt hatte… ah, das war’n Scheiß… Damals hatte er sogar ins Krankenhaus gemusst und dort einen Tag zur Beobachtung gelegen, ehe die Ärzte ihn ein wenig lädiert wieder aus ihren Fängen gelassen hatten. Doch es half alles nichts. Er war immerhin schon mal bis hier gekommen, als würde er das auch durchziehen. Vorher noch einen kräftigen Zug nehmend, ließ er die beinah bis zum Filter abgebrannte Zigarette zu Boden fallen, ehe er sie mit seinen Stiefeln austrat. Langsam ging er auf die Haustür zu, neben der auf einem hübschen Schild der Name „Pleske“ stand. Allein, wenn er diesen Namen schon las, wurde ihm wieder ein wenig schwindelig. Thomas, jetzt stell dich nicht so an, ermahnte er sich selbst und drückte zögerlich auf den Klingelknopf. Es dauerte nicht lange, bis sich ihm die Tür öffnete und eine junge Frau mit brünetten Haaren ihm gegenüber stand. Dem Gesicht und dem Alter nach zu urteilen, war das sicher Michaels Schwester. Diese sah ihn geringschätzig an und wartete anscheinend darauf, dass er etwas sagte. Leise räusperte Thomas sich, bevor er anfing zu sprechen: „Ähm, hallo. Ich wollte zu… Michael.“ Es fiel ihm unheimlich schwer, den Punk beim Vornamen zu nennen. Immerhin hatte er sich diesen Namen „Michael“ nie in Verbindung mit dem Grünhaarigen eingeprägt. Sie hatten sich immer beim Nachnamen genannt, deswegen war er gestern im Nachhinein, als er sich beruhigt hatte, erstaunt gewesen, dass Pleske ihn tatsächlich „Thomas“ genannt hatte. „Und was willst du von ihm?“, stellte seine Schwester ihm nun eine skeptische Frage und bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. Anscheinend war sie nicht gerade begeistert von seinem Besuch, aber mit übergroßer Euphorie hatte Thomas auch nicht gerechnet. „Mit ihm reden“, antwortete er daher wahrheitsgemäß. Einen Moment lang schien sie zu überlegen, was nun das Richtige war, doch dann machte sie seufzend Platz und ließ ihn durch. Zögernd betrat Thomas die aufgeräumte Wohnung und musste zugeben, sich nun noch unbehaglicher zu fühlen. „Die Treppe hoch und dann direkt die erste Tür, die du siehst“, erklärte Michaels Schwester ihm, wo das Zimmer ihres Bruders lag und deutete mit dem Zeigefinger auf die Treppe. „Alles klar“, murmelte Thomas leise und begab sich zu der Treppe. Hinter sich hörte er eine Tür zuknallen. Anscheinend war die junge Frau in einen der Räume im Erdgeschoss verschwunden. Langsam ging er Stufe für Stufe hoch; wurde mit jedem Schritt ein wenig nervöser. Doch schließlich schaffte er es dennoch nach oben, blieb allerdings am Treppenansatz stehen. Seine grauen Augen hefteten sich auf die helle Tür, die schräg gegenüber von der letzten Treppenstufe lag und damit wahrscheinlich in Michaels Zimmer führte. Okay, Augen zu und durch, machte Thomas sich selber Mut, ehe er tief durchatmete und vorwärts ging. Mit einem Ruck drückte er die Klinke runter und öffnete Tür zu Michaels Zimmer. Sein Blick haftete für einen kurzen Moment auf der zerknüllten, grün-orangefarbenen Bettwäsche, die auf der dunklen Matratze lag, ehe er sich suchend nach dem Punk umsah. Nur wenige Sekunden später bemerkte er, wie dieser vor einem Spiegel kauerte und ging einen Schritt in den abstrakten Raum hinein. Die helle Tapete war von Postern überpflastert, sodass sie kaum noch zum Vorschein kam. Diverse Bands waren darauf zu sehen, aber auch viele Fotografien und Verarsche-Bilder, wie es sie in manchen Postershops gab. Ansonsten war das Zimmer eher unaufgeräumt. Hier und da lagen einige Klamotten herum. Bücher lagen neben dem Bett wahllos auf dem Boden, auch wenn Thomas bisher immer bezweifelt hatte, dass Michael überhaupt lesen konnte. Auf einem kleinen Schränkchen hockte in einem großen Käfig eine kleine, schwarze Ratte, die neugierig durch die Gitter schnupperte. „Was willst du?“ Michaels Stimme klang eisern und Thomas fragte sich für einen Moment, woher der Punk wusste, dass er im Raum war. Doch dann fiel ihm ein, dass Michael ihn wahrscheinlich durch den Spiegel sehen konnte. „Mit dir reden“, antwortete Thomas leise, doch Michael schien es verstanden zu haben. Allerdings wollte er ihn immer noch nicht anschauen; schien die rechte Ecke neben seinem Spiegel interessanter zu finden als Thomas. „Ach, echt?“, fragte der Kleinere mit spöttischer Stimme und ließ ein leises „Tze“ erklingen. „Du willst mir nicht die Fresse einschlagen? Das ist ja bombastisch!“ Allein für diesen Kommentar hätte Thomas ihm am liebsten doch die Faust ins Gesicht geschlagen. Er war hier her gekommen, um mit ihm zu reden und nicht, um sich beleidigen zu lassen. „Hey, ich kann auch wieder gehen!“, zischte er eingeschnappt und Michael lachte nur leise auf. „Wär’ auch nicht schlecht!“, erwiderte der Punk unnachgiebig. Nervös ließ Thomas seine Hand über seine Glatze gleiten, ehe er beide Hände in seine Hosentaschen versenkte. Langsam ging er auf den Punk zu. Wenn dieser ihn jetzt angreifen würde, wäre er vollkommen wehrlos. Er könnte seine Hände niemals so schnell wieder aus den Taschen der engen Jeans ziehen. Das schien auch Michael klar zu werden, denn er hob langsam den Kopf und sah Thomas nun das erste Mal am heutigen Tage richtig in die Augen. Der Neonazi erschrak leicht, als er Michaels lädiertes Gesicht sah. Er hatte zwar schon häufig Menschen mit Prellungen gesehen und selber nach Raufereien nicht gerade wenige gehabt, aber dies hier war nicht in einem Streit zwischen ihm und Michael passiert, sondern nur allein durch ihn. „Scheiße…“, murmelte er leise und beobachtete, wie Michael aufstand und sich auf sein Bett setzte. „Tut das sehr weh?“ Überrascht zog Michael die Augenbrauen hoch. „Kaum zu glauben, dass dich das wirklich interessiert“, begann er Thomas erneut eins reinzuwürgen und lächelte emotionslos. „Aber ja, es tut weh. Verdammt weh. Ich kann nicht essen oder trinken, geschweige denn lachen. Selbst, dass ich dich jetzt hier zur Sau mache, tut meiner befickten Wange scheiße weh! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Penner!“ Beschämt senkte Thomas seinen Kopf ein wenig und sah auf den dunklen Teppichboden unter seinen Füßen. „Es tut mir Leid“, entschuldigte er sich und erschrak ein wenig, als er bemerkte, wie unsicher und rau seine Stimme klang. Es war schon lange her, dass er sich für irgendetwas aufrichtig entschuldigt hatte. „Wie war das? Es tut dir Leid?“, wiederholte Michael seine Worte ungläubig und blickte ihn fragend aus grüngrauen Augen an. Langsam sah Thomas wieder auf und Michael konnte die Unsicherheit in den sonst so kalten, grauen Augen sehen. „Ja“, antwortete Thomas und schluckte trocken. „Wirklich.“ Als wollte er seinen Worten Nachdruck verleihen, ging er einen Schritt näher auf das Bett und damit auch auf Michael zu. Dieser sah immer noch ein wenig ungläubig aus, nickte dann aber. Dann wandte Michael seinen Blick zu dem dunkelgrauen Teppichboden und ließ seine Finger nervös mit den Falten, die seine Hose in den Kniekehlen warf, spielen. Für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen. Tief atmete Thomas ein und aus. Aufgrund seiner Nervosität fragte er sich, ob er nicht schon so laut atmete, dass Michael es hören müsste. Aber selbst wenn… was war schon interessant daran, wie jemand atmete? Während Thomas weiter seinen verworrenen Gedankengängen nachging, sah Michael wieder auf und betrachtete ihn einen Moment lang mit emotionslosem Blick. Er hätte wirklich nicht gedacht, dass gerade Thomas Rosner, dieser Neonazi, sich bei ihm entschuldigen würde. So oft hatten sie sich schon geprügelt und Gemeinheiten sowie hasserfüllte Sprüche an den Kopf geworfen und nie hatte sich einer von beiden entschuldigt. Michael verzog seine Lippen zu einem schiefen Grinsen, ließ seine Mundwinkel aber wieder sinken, als er den Schmerz in seiner rechten Wange spürte. Jetzt, wo er das Stechen seiner Prellung wieder fühlte, kam in ihm wieder die Frage hoch, warum die Situation gestern so eskaliert war. „Okay, Entschuldigung angenommen“, meinte Michael dann plötzlich und bemerkte, wie Thomas wieder zu ihm sah. Die Erleichterung war dem Neonazi deutlich anzumerken. „Aber nur unter einer Bedingung“, fuhr Michael fort und sah mit Vergnügen, wie Thomas gespannt aufhorchte. „Sag mir, warum du deinen Vater so hasst und warum du gestern so… aggressiv und danach so weggetreten warst.“ Mit jedem Wort verspannte Thomas sich mehr. Seine Zähne bohrten sich unnachgiebig in die helle Haut seiner Lippen, hinterließen weiße Striemen. „Das geht dich nichts an, Pleske“, presste er mühevoll heraus und wich Michaels Blick aus. „Falsche Antwort“, meinte Michael und rückte ein Stück. Auffordernd schlug er mit der flachen Hand auf den Platz neben sich; verlangte von dem Neonazi, dass er sich neben ihn setzte und ihm die Geschichte erzählte. „Ich denke, wenn ich schon meine Wange herhalten muss, dann darf ich auch den Grund dafür erfahren“, fügte er noch hinzu und blickte Thomas wartend an. Dieser seufzte lautlos, gab sich aber geschlagen und ging zögernd auf das Bett zu. Mit einem leichten Abstand zu Michael ließ er sich auf der schwarz bezogenen Matratze nieder und strich mit seinen Händen fahrig über seine Knie. „Also… hm, wo fang ich an…“, murmelte Thomas leise und blickte fragend und ein wenig hilflos zu Michael, welcher ihm jedoch nur ein Schulterzucken schenkte. „Na ja… also mein Vater… meine Eltern haben sich früher recht lange gestritten. Meistens waren es Kleinigkeiten, aber das Geschrei war trotzdem groß. Besonders meine Mutter war früher nicht so ruhig, wie sie heute ist, sondern hysterisch, wenn es ums Streiten ging. Kurz vor meinem 14. Geburtstag ist mein Vater dann abgehauen. Ich war mit Benni auf dem Spielplatz, er war damals sieben oder acht. Jedenfalls meinte meine Mutter, dass er weggegangen wäre. Sie war damals im vierten Monat schwanger. Und er wusste es. Aber dieses Drecksschwein hat sich trotzdem verpisst…“ Seine Finger krallten sich in seine Jeans, als er abbrach. Seine Stimme war von Wort zu Wort rauer und leiser geworden. Michael bemerkte, wie sehr Thomas die Situation zu belasten schien. Verdenken konnte er es ihm nicht. So langsam verstand er, warum Thomas seinen Vater hasste. Aufmunternd legte er ihm ohne Nachzudenken eine Hand auf die Schulter und atmete erleichtert auf, als er bemerkte, dass Thomas dies nicht zu stören schien. „Jedenfalls… hat er sich verhalten wie ein Arschloch“, fuhr der junge Neonazi weiter fort. „Zu meinem 14. Geburtstag bekam ich noch einen Anruf. Ich hab ihn gefragt, ob ich ihn besuchen kommen kann, aber er meinte, er hätte keine Zeit für mich. Zu Bennis Geburtstag hat er auch noch angerufen. An Jana hat er nicht gedacht. Er wusste wahrscheinlich nicht mal genau, wann sie damals geboren war. Zum 15. gab’s dann aber nur noch eine Karte. Bei Benni war es nicht anders. Zum 16. hat er sich gar nicht mehr gemeldet…“ Verwirrt riss Michael die Augen auf. So wie Thomas’ Vater gestern gewirkt hatte, hätte er ihm nie zugetraut, dass er sich so gegenüber seiner Familie verhalten hatte. Sein Blick suchte den von Thomas, doch der Neonazi sah nur stur geradeaus auf Michaels Schrank, auch wenn Michi sich sicher war, dass Thomas gar nicht wirklich dort hin blickte. Aber dennoch konnte er erkennen, dass die Augen des Größeren ein wenig glänzten. Betroffen wandte er seinen Blick wieder ab, ließ seine Finger jedoch ein wenig über Thomas’ Schulter streichen. „Aber jetzt ist er doch wieder da, oder?“, fragte er behutsam und Thomas nickte langsam. „Ja, kurz vor meinem 17. Geburtstag ist er dann wieder aufgekreuzt. Er wolle sich entschuldigen und seine Tochter endlich mal sehen, hat er zu meiner Mutter gesagt. Sie war so glücklich, ihn wieder zu sehen. Benni auch“, begann er, die Geschichte weiter zu erzählen. „Er war entsetzt mich zu sehen und zu erkennen, dass sein Sohn nationalsozialistisch ist…“ Auch wenn Thomas Michael im Moment ein wenig Leid tat, konnte er dessen Vater nicht verübeln, bestürzt zu sein, wenn der eigene Sohn Neonazi geworden war. Für Michael selber würde eine Welt zusammenbrechen. Und für viele andere Menschen sicher auch. „Jedenfalls hat er meine Mutter angeschrieen, sie hätte auf ganzer Linie versagt“, erzählte Thomas dann. „Sie hätte nicht aufgepasst, was aus ihrem ältesten Sohn wird. Er hat sich Sorgen gemacht, dass ich Benni und Jana nachher auch auf die rechte Seite ziehe. Dann ist er abgehauen und hat später angerufen, dass es ihm Leid täte. Eine Woche später wollte er sich mit meiner Mutter aussprechen und brachte dann auch gleich schon seine neue Schnalle mit. Daniela.“ Die Art, wie Thomas den Namen der neuen Lebensgefährtin seines Vaters aussprach, war an Spott und Abneigung nicht mehr zu übertreffen. Michael fragte sich, warum Thomas diese Daniela so sehr verabscheute. Lag es daran, dass sie die neue Freundin seines Vaters war? Oder wirklich, weil sie in Russland soziale Arbeit geleistet hatte und Thomas als Neonazi ein solches Verhalten verabscheute? Doch die Antwort folgte schneller, als Michael gedacht hatte. „Sie hätte Sozialpädagogik studiert und solle als unparteiische Zuhörerin fungieren, meinte er“, fuhr Thomas fort und Michael war sich sicher, seine Zähne knirschen zu hören. „Dann saßen wir da. Mum, er, seine Daniela und ich. Sie hat mich ausgefragt und mein Verhalten dann analysiert wie so eine billige Psycho-Tante aus dem Fernsehen. Nach ungefähr zehn Minuten hatte ich keine Lust mehr und bin einfach gegangen.“ Irgendwie kam Michael das sehr bekannt vor. Er hatte zwar nie jemanden dabei gehabt, der sein Verhalten professionell analysieren wollte, doch seine Eltern hatten sich selber oft genug darin versucht. Sie wollten wissen, warum er so rebellisch war; warum er Punk war; warum er so viel trank und warum er plötzlich rauchte; wieso Punk-Musik so schrecklich sein musste und vor allem, warum er provozieren wollte und gegen die Regierung war. Seine Noten waren allerdings auch ein beliebtes Thema gewesen, aber die hatten ja auch schon nachgelassen, bevor er sich optisch als Punk bekannte. „Kenn ich. Das nervt“, meinte er leise und klopfte Thomas auf die Schulter. „Weißte, meine Ellis wollten auch unbedingt kapieren, was in ihrem Sohn vorgeht. Anstatt einfach ma’ zu akzeptieren, ne. Ich mein, wir fragen ja auch net nach, warum sie ihren Kram machen.“ Thomas grinste schief und blickte das erste Mal, seit er angefangen hatte zu erzählen, zu ihm. „Hätte ich vielleicht damals mal als Argument bringen sollen“, meinte er auf düstere Art und Weise belustigt. „Haste nicht? Echt, das ist schlecht!“, erwiderte Michael grinsend und stupste ihn an. „Aber wegen der Geschichte kannste deinen Vater wohl nicht ab? Kann ich irgendwie verstehen.“ Locker wie Michael eben war, blubberten diese Worte aus seinem Mund. Doch schon Sekunden später bereute er, dass er sich nicht zurückhalten konnte. Sofort sah Thomas wieder ein wenig depressiv aus und der Glanz in seinen Augen kehrte zurück, insofern er jemals wirklich weg gewesen war. „Ich denke, er kann mich mittlerweile auch nicht mehr leiden. Immerhin versucht er mich zu meiden und will mich ja auch nicht bei sich haben“, sagte er stockend und Michael konnte ihn hart schlucken hören. „Seit ich gegenüber Daniela mal so ausgerastet bin, guckt er mich mit dem Arsch nicht mehr richtig an. Dass er gestern in mein Zimmer kam, ist ja schon fast ein Weltwunder gewesen… Aber wie du bemerkt hast, enden Gespräche von uns eh nur im Streit.“ Michael nickte. Oh ja, das hatte er bemerkt. „Die Kenntnis pocht schmerzhaft an meiner Wange“, meinte er draufgängerisch und deutete mit dem Zeigefinger auf seine Kriegsverletzung. Doch Thomas schien das nicht zum Lachen zu bringen. Leise brachte er ein „Sorry“ über seine Lippen, auf welche er sogleich wieder seine Zähne versenkte. „Meine Mutter war gestern ganz schön fertig“, erzählte er dann stockend und klang betrübt. Sofort erlosch Michaels Grinsen. Kaum merklich rückte er ein wenig näher zu den kahlköpfigen Jungen. „Was hat sie gesagt?“ Thomas lachte kurz spöttisch auf. „Nicht wirklich viel. Eigentlich hat sie nur geweint“, meinte er und sagte für einen Moment nichts mehr. Die Tränen, die sich in seinen Augen angesammelt hatten, sammelten sich an der Kante der unteren Wimpern. „Es ist meine Schuld… und dabei sollte sie wegen mir nicht weinen…“ Eigentlich hätte Michael am liebsten gesagt, dass ein Nazi als Sohn schon Grund genug wäre zu weinen, doch in der Situation schien es ihm mehr als unpassend. Er sah, wie eine einzelne Träne langsam über Thomas’ Wange rollte und schluckte hart. Niemals hätte er sich vorstellen können, dass Thomas Rosner fähig war, wegen etwas zu weinen. Der einen Tränen folgten langsam einige andere, doch über Thomas’ Lippen kam nicht ein Schluchzen. Michael schloss daraus, dass er versuchte, sich zusammenzureißen und sah Thomas daraufhin mitleidig an. Einen Augenblick lang beobachtete er wie die salzigen Perlen über die blasse Haut liefen, ehe sich sein Kopf zu verabschieden schien. Ohne weiter nachzudenken, rückte er ein wenig näher zu Thomas und legte sanft einen Arm um dessen Schulter. Zögernd zog er ihn näher zu sich, bis er Thomas gänzlich in seinen Armen vorfand. Zu seiner eigenen Verwunderung reagierte der Neonazi darauf in keiner Weise, weder positiv noch negativ. Er schien ein wenig perplex, aber verkrampfte sich nicht. „Ich denke nicht, dass es deine Schuld war“, sagte Michael leise und ernst. Dennoch konnte er sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, als er spürte, wie die Tränen von Thomas’ Kinn in seine Halsbeuge tröpfelten und dort kitzelten. Langsam löste sich der Neonazi von dem Punk und setzte sich wieder aufrecht hin. Seine Hände wanderten zu seinem Gesicht und wischten das feuchte Nass weg. „Scheiße, ich hab nicht mehr geheult, seit ich 14 war“, meinte er ein wenig atemlos und seine Stimme klang heiser. Michael grinste leicht. „Na, dann wurde es wohl mal wieder Zeit“, erklärte er belustigt und klopfte Thomas kräftig auf die Schulter. „In so ’ner Zeitschrift meiner Mutter stand mal, heulen täte gut.“ Ein schiefes Grinsen seitens Thomas folgte. „Ah, und deswegen heulst du jetzt zwei Mal pro Tag?“, neckte er den Kleineren und schüttelte leicht den Kopf. Gespielt empört plusterten Michaels Wangen sich auf. „Natürlich nicht“, wehrte er sich, was Thomas aber nur zum Lachen brachte. Fasziniert betrachtete Michael ihn. Er hatte Thomas noch nie offen lachen sehen. Na ja, zumindest nicht in seiner direkten Gegenwart. Oh doch, hast du… auf Klassenfeier. Er war so betrunken, dass man ihm erzählen konnte, was man wollte. Alles brachte ihn zum Lachen. Na ja, und eingekriegt hat er sich nicht mehr, als ich dann besoffen in den See gekippt bin… ah, war das peinlich… Er wurde ein wenig rot, was ihm einen erstaunten Blick von Thomas einbrachte. „Äh…, nichts“, wehrte er ab und kratze sich verlegen an einer seiner kahlen Stellen. Sein Haar hatte er heute nicht gestylt und so hing sein Iro einfach über seine rechte Kopfhälfte. „Ich denke, ich geh dann mal“, meinte Thomas plötzlich und stand auf. Michael nickte und erhob sich ebenfalls. Gemeinsam gingen sie runter zur Haustür und sagten kein Wort, ehe Thomas sich noch einmal umdrehte. „Danke“, meinte er einfach nur, klang aber ernst. „Wofür?“ „Dafür, dass du meine Entschuldigung angenommen hast“, erklärte Thomas und seine Mundwinkel zuckten leicht. „…und mir zugehört hast.“ Michael lächelte. „Ach so, kein Ding“, erwiderte er und nickte. „Ach ja“, meinte Thomas, als hätte er was vergessen und ging zu seinem Wagen. Verwirrt sah Michael ihm nach und blickte wohl noch konfuser drein, als Thomas noch mal zurückkam und ihm eine CD in die Hand drückte. Nazi-Propaganda?, fragte er sich sofort skeptisch, sah dann aber auf die CD-Hülle in seiner Hand. Seine Augenbrauen zogen sich hoch und seine Augen weiteten sich, als er erkannte, dass es das Computerspiel war, das er gestern in Thomas’ Schublade gesehen und interessant gefunden hatte. „Nur geliehen“, meinte Thomas überflüssiger Weise. „Und ich sag dir eins, Pleske: Wenn da auch nur ein Kratzer drauf ist, brech ich dir alle Knochen.“ „Schon klar“, erwiderte Michael und blickte von der Hülle zu Thomas auf. „Aber wie kommst du da drauf, dass die bei mir kaputt gehen könnte?“ „Ich hab dein Zimmer gesehen“, begründete Thomas seine Behauptung schlicht und begab sich zu seinem Wagen, wo er die Fahrertür öffnete und sich dann noch mal umdrehte. „Das solltest du mal aufräumen…“ Mit diesem Worten stieg er in seinen Wangen und startete diesen. Mit einem leichten Schmollmund sah Michael Thomas hinterher, als dieser aus der Ausfahrt fuhr und schloss dann die Haustür von innen. „Unverschämtheit“, murmelte er leise, als er die Treppen wieder hinauf ging. „Nur wegen den Shirts auf den Boden und den CDs, die so neben der Anlage rumfliegen.“ Verdrießlich setzte er sich an seinen Schreibtisch und startete seinen PC. Er wusste ja, dass Thomas bezüglich seines Zimmers Recht hatte, aber das musste man ja nicht so zeigen. Sein Blick glitt auf die CD in seinen Händen und er musste leicht grinsen. Der kann ja richtig menschlich sein, stellte er glorreich fest und lehnte sich gedankenverloren zurück. TBC So, das war's; das fünfte Kapitel ^^ Ich denke, man hat mal eine andere Seite von Thomas gesehen. Die verletztliche Seite von jemanden, der nach außen hin sonst immer kühl wirkt. Die Erfahrungen von seinem Vater haben sicher dazu beigetragen, dass er sich zu der Neonazi-Szene hingezogen gefühlt hat. Nichts desto trotz wächst die Sympathie und das Vertrauen zwischen den beiden in diesem Kapitel um einiges und der Hass ist schon mal aus dem Weg geräumt. Ich hoffe, es hat euch wieder gefallen. Bis zum nächsten Kapitel, Grüßchens, Motte Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)