Des Feuervogels Glut I von Lilienkind ================================================================================ Kapitel 5: Wie ein Schatten --------------------------- Tokio (Japan), Ende Oktober Endlich war Kai diese nervigen Fans losgeworden. Sie liefen ihm bestimmt schon seit einer Viertelstunde hinterher und das seit dem er den New Seaside-Dome verlassen hatte. Insgeheim hatte er gehofft, man würde ihn dank des neuen, befremdenden Outfits nicht erkennen, außerdem hatte er den Hinterausgang benutzt, doch es hatte nichts gebracht. Irgendein kreischendes Girlie hatte ihn erkannt, laut geschrieen und somit die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf ihn gelenkt. Kai war mehr oder weniger eilig geflüchtet und hatte nun auch die letzten seine Verfolger abgehängt. Warum war es nur immer wieder so nervig, zur Weltelite zu gehören? Er lies sich gegen die Wand eines Gebäudes fallen und atmete erst einmal tief durch. Erschöpft blickte er sich um. Es befand sich in irgendeiner Seitenstraße, irgendwo in einem entlegeneren Stadtteil…er würde sich schon irgendwo orientieren. Müde strich er sich ein paar Haarstränen aus dem Gesicht. Was war nur mit ihm los? Wieso war er nach einem kleinen Dauerlauf schon außer Atem? Ob es an diesen Pillen lag? Möglicherweise ja. Er beschloss, das Zeug zu entsorgen. Ein Knirschen hinter sich auf dem Dach riss Kai aus seinen Gedanken. Überrascht wandte er sich um, doch da war niemand. Misstrauisch glitt sein Blick über die umliegenden Gebäude. Irgendetwas war dort gewesen, dessen war er sich sicher. Die eigenartigen Erscheinungen in letzter Zeit konnten keine Einbildung sein. Mit einem leisen Seufzer wendete er den Blick von den Hausdächern ab und setzte sich in Bewegung. Er musste den Heimweg oder zumindest einen Orientierungspunkt finden. Fragen würde er hier niemanden und außerdem befand sich ohnehin niemand auf den Straßen. Es musste bereits später Nachmittag sein, fünf Uhr schätzte de Silberhaarige. Nach einem Anhaltspunkt suchend blickte er sich fragend um. Er war in so etwas wie eine Fußgängerzone eingebogen und studierte gelangweilt die Schaufenster der einzelnen Läden. „Menschenmode“, dachte er herablassend und schenkte den Kleidungsstücken keinerlei nähere Beachtung. Eine Abneigung gegen grelle Farben hatte er schon immer besessen und in den letzten Jahren war seine Vorliebe für Schwarz mehr und mehr gewachsen. Da! Wieder ein Geräusch. Schnell reagierend blickte Kai zur Seite und erkannte tatsächlich jemanden. In der schmalen Gasse neben sich hatte sich etwas bewegt. Zu groß für ein Tier aber entschieden zu schnell für einen Fan. Besonders viel hatte er nicht erkennen können, nur einen Schatten, der graziös über einen Müllcontainer auf eines der umliegenden Gebäude gesprungen war und dort verschwand. Zwar setzte Kai seinen Fußmarsch fort, ließ dabei die Stelle, an der sich die Silhouette verloren hatte, nicht aus den Augen. Und tatsächlich! Da war diese Erscheinung schon wieder. Sie WOLLTE gesehen werden. Interessiert blickte Kai in das Antlitz der Gestalt, um nach abermals Details zu suchen. Ihre Blicke trafen sich und mit einemmal überkam ihn ein befremdendes Gefühl. Kai blieb stehen, blickte die Erscheinung sekundenlang einfach nur an, war vollkommen geistesabwesend, hatte alles um sich herum vergessen. Das Gefühl begann stärke zu werden. Er konnte es nirgendwo zuordnen und dennoch kam es ihm so erschreckend vertraut vor. Doch plötzlich ertönte von irgendwo her ein lautes Scheppern, vermutlich hatte eine Katze in einem der Müllcontainer nach Fressbarem gesucht und dabei den Deckel zuschlagen lassen, so vermutete er in der Eile. Aufgescheucht machte die Gestalt einen gewaltigen Satz, beinahe als könne sie Fliegen, und war abermals verschwunden. „Warte!“, rief Kai ihr nach und rannte hinterher in die kleine Gasse. Entschieden kletterte er an einer rostigen Leiter nach oben, und befand sich auf einem niedrigeren Flachdach. Rat suchend blickte er sich um und spürte nach einem Hinweis, wohin die Person geflüchtet war. Am anderen Ende eines etwas höher gelegenen, angrenzenden Daches erblickte er sie schließlich. Sofort stürmte er darauf zu, sprang, zog sich am nächsten Dach hoch und setzte seine Jagt fort. Auf keinen Fall durfte er sie verlieren! Die Verfolgung erschien ihm wie eine Ewigkeit, die doch in Sekundenbruchteilen an ihm vorbeischnellte. Agil sprang er von einem Gebäude auf das nächste, eilte über die Plateaus oder abfallenden, rutschigen Ziegeldächer und holte sie dennoch nicht ein. Inzwischen hasteten sie die dritte Feuertreppe hoch und befanden sich in Schwindelerregender Höhe. Dies machte ihm nichts aus. Der Drang, dieses merkwürdige Phantom zu jagen, hatte alles andere aus seinem Verstand gejagt und ließ keinen Platz für Überlegungen von Risiko oder gar Vorsicht. Nein, hier ging es um Alles oder Nichts! Und so stürmte er vor Erschöpfung bebend die metallenen Stufen nach oben. Völlig atemlos und verschwitzt erreichte er schließlich das Dach und stieg auf die betonierte Fläche. Einen Moment lang stützte er sich auf seinen Knien ab, rang nach Luft und sank dann einfach zu Boden. Seine Lunge fühlte sich trocken und rau an und jeder seiner Atemzüge schmerzte. So lag er einige Augenblicke einfach nur auf der kalten Betonfläche und begann sich erst allmählich zu fragen, wo er hier überhaupt gelandet war. Nachdenklich drehte er seinen Kopf, hörte während der Bewegung ein paar kleinere Steinchen auf dem Untergrund knirschen. Doch viel konnte er so nicht erkenne, denn das Gebäude war ziemlich hoch. Dann, endlich fand er wieder Kraft um sich aufzurichten und ließ seinen Blick über die Landschaft gleiten. So schlecht war dieser Ort gar nicht. Er war höher gelegen als der Rest der Stadt und bot eine Möglichkeit der Flucht vor Lärm und Zivilisation. Dennoch war es ihm hier eindeutig zu riskant, um näher an den Rand zu treten und hinunterzublicken. Seine Vernunft war inzwischen zu ihm zurückgekehrt, doch die Person war verschwunden. Der Himmel schien wie mit grauen Leinentüchern verhangen und ein Donnergrollen kündigte den kurz darauf folgenden Wolkenbruch an. Kai streifte den Mantel von seiner verschwitzten Haut und genoss den kalten Schauer. Binnen Sekunden waren sein Haar und seine Kleidung durchtränkt und er spürte wie die Hitze aus seinen Muskeln wich. Sielend schloss er die Augen, legte den Kopf zurück und tat einem tiefen und entspannten Atemzug. Er ließ einige Sekunden verstreichen bevor er sich entschloss, wieder zu gehen. Er hatte das Phantom bis hierher verfolgt und es dann verloren aber er wollte den Vorfall hiermit vergessen. Und da blieb ihm fast das Herz stehen vor Schreck. Vor der Feuertreppe, die er hatte wieder hinuntersteigen wollen, stand es – oder besser SIE. Nein, das konnte einfach keine Einbildung mehr sein! Mit weit aufgerissenen Augen taumelte Kai einige Schritte zurück, seinen Blick fassungslos auf die Gestalt gebannt. Er hatte sich nicht geirrt, es war ein Mädchen oder eine junge Frau, sie dürfte in etwa sein Alter erreicht haben. Ihr bleiches Gesicht war von einem schneeweißen Haarschopf umsäumt, sie hatte Augen von der Farbe des Ozeans. Ihr schlanker Köper war in ein eigenartiges, hautenges Outfit gehüllt, der Stoff wirkte strapazierfähig und dick doch gleichzeitig schien er irgendwie in Fetzen zu hängen. Sowohl der Dress als auch der lange Kapuzenumhang, der um ihre Schultern hing, waren in Schwarz oder zumindest in einem dunkleren Grau gehalten. Ein Windstoß ließ letzteren parallel zu ihrem Haarschopf anmutig fliegen und wehte ihr die Kapuze vom Kopf. Auf irgendeine Weise schien sie nicht von dieser Welt zu sein, ein fremdartiges Wesen aus einer anderen Dimension oder Zeit. Und sie starrte Kai direkt in die Augen. Wieder ergriff dieses eigenartige Gefühl von Kai besitz. So sehr er es auch versuchte, er konnte es nicht aus seinem Kopf verbannen. Es war ihm so unangenehm bekannt und doch vermochte er es nicht zu beschreiben. „Bleib stehen, sonst fällst du noch.“, sprach die Person vor ihm mit seidenweicher Stimme. Wie ein weiterer, eiskalter Schock drang der sanfte Schall in den Russen ein. Zögernd blickte dieser hinter sich und Verlor für einen Moment das Gleichgewicht. Hinter ihm klaffte ein bodenlos scheinender Abgrund. Ohne es zu merken war er so weit nach hinten gestolpert, dass seine Fersen bereits frei von festem Untergrund waren. Seine Augen weiteten sich erschrocken und er glaubte, er würde jeden Moment den Halt verlieren. Die junge Frau packte ihn zielsicher am Arm und zog ihn mit unerwartet rauer Gewalt zurück aufs Dach. Taumelnd fiel er ihr in Umarmung und kam wieder zu sich. Als er seine momentane Lage realisierte, stieß er sie panisch weg und wich abermals ein paar Schritte von ihr weg; doch dieses mal in eine andere Richtung um nicht den gleichen Fehler zweimal zu machen. „Fass mich nicht an…“, stammelte Kai unsicher und abweisend. Doch die Fremde schien von seiner heftigen Reaktion unbeeindruckt und legte den Kopf schief. Ja, okay, die Fremde hatte ihn vor einem Unheil bewahrt aber das war noch lange kein Grund, sie sympathisch zu finden. Und außerdem hatte sie ihn beobachtet, verfolgt, halb wahnsinnig gemacht. Er war ihr quer durch ganz Tokio hinterher gejagt…letzten Endes war es doch ihre Schuld, dass er sich auf dem Dach dieses Hochhauses befand. Und sie hatte ihn in geschwächtem Zustand auf seinem Bett liegend gesehen – nackt! „Fällt dir sonst noch was ein?“, rissen ihn ihre Worte aus seinen Gedanken. Woher wusste sie…konnte sie etwa… Geschockt starrte er die junge Frau vor sich an. „Was? Ob ich deine Gedanken lesen kann? Nein, das nicht. Aber aus deiner Mimik lässt sich so einiges herauslesen.“ Abermals änderte sich Kais Gesichtsausdruck, dieses Mal in Richtung stark entnervten, gereizten Zustandes. Das brauchte er sich nun wirklich nicht anzutun. Er beschloss zu gehen. Zielsicher ließ er sich an ihr vorbei gleiten und gelangte zu seiner Erleichterung an die Feuertreppe. Im Vorbeigehen hob er seinen Mantel auf, jener hinter ihr auf dem Boden gelegen hatte. Gedankenlos begann er die stählernen Stufen hinab zusteigen. Doch seine Füße bevorzugten statt normalen Gehens plötzlich ein zügigeres Tempo. Immer schneller kletterte Kai die Stufen hinunter, unfähig, etwas gegen den Drang seines Körpers zu unternehmen. Inzwischen rannte er fast, übersprang die letzten fünf sechs Sprossen eines Treppenabschnittes auf einmal und wunderte sich, dass er nicht hinfiel. Beiläufig warf er sich den Mantel um seine Schultern. Aus einem unerfindlichen Grund saß ihm plötzlich die Angst im Nacken und kitzelte dort eine Gänsehaut hervor. Ihr Ursprung schien ihm unerklärlich. Möglicherweise war es eine Überreaktion aufgrund seines beinahigen Sturzes vom Dach des Gebäudes, vielleicht wegen der Reihe kleinerer Schocks, die dieses Mädchen bei ihm ausgelöst hatte…eventuell war es auch einfach eine Fehlfunktion seines Unterbewusstseins…Er wusste es nicht. Seine einziger Gedanke galt jetzt einer Möglichkeit, dein Heimweg zu finden und das so schnell wie möglich. Bevor dieses Wesen auf die Idee kam, ihn zu verfolgen. Er hatte sogar das Gefühl, sie kletterte hinter ihm die Leiter herunter. Da das Gestänge aufgrund seiner Sprünge und seines trampelnden, rastlosen Sprintens ins schwanken geriet und schepperte, konnte er nicht hören, was hinter oder über ihm geschah. Umdrehen konnte er sich nicht, diese unerklärliche Angst hatte ihn gelähmt. Endlich hatte er das untere Ende der Feuertreppe erreicht, entfernte sich ein Stück von ihr und blickte zurück, ohne wirklich stehen zu bleiben. Sein Blick suchte hektisch das immer noch bebende Stahlgerüst ab. Nichts. Niemand verfolgte ihn. Dennoch bevorzugte er es, sich joggend aus der Seitenstraße, in jener er sich nun befand, zurückzuziehen und eiligst einen Orientierungspunkt zu finden. Nach einer Weile ratlosen Suchens fand er einen: Ein markantes Bürogebäude. Er musste sich ganz in de Nähe seines Wohnblocks befinden. In sich hineinlächelnd änderte er zielstrebig die Richtung und konnte hinter der nächsten Straßenecke bereits das ihm bekannte Bauwerk erkennen. Ein heißes Bad war jetzt genau das richtige, um einen freien Kopf zu bekommen. Doch blitzartig bohrte sich ein nadeldünnes Stechen durch seine Schläfen, das Bild vor seinen Augen verschwamm, löste sich in lauter einzelne kleine Funken auf. Flammen. Er war von ihnen umzingelt. Seine Sinne wurden schlechter, er hörte die Geräusche der Stadt, als seien sie weit entfernt. Verloren blieb er stehen, stützte sich heftig atmend an der Mauer irgendeines Gebäudes ab und sank dann daran zu Boden. Der qualvolle Schrei. Die scharfkantigen Dolche in seiner Brust, seinem Arm, seinem Gesicht. „Ich…kann das…nicht immer und immer…wieder durchmachen…“, gab er kraftlos von sich, schlug mehrmals mit der bloßen Faust gegen den Beton zu seiner Seite, bis sie blutig war. In diesem Moment quoll Alles wieder nach oben. Wie lange ertrug er nun schon diese seelischen Höllenqualen, wie lange hatte er das ganze Unheil über sich ergehen lassen? Man hatte ihm seit seiner frühesten Kindheit alles genommen, angefangen bei seinen Eltern und einem normalen, kindgerechten Leben. Immer nur ersuchte ihn das Unglück, er war alleine und ungeliebt, wie...“wie ein Magnet, der nur Scheiße anzieht…“, stöhnte er sarkastisch und presste die schmerzende Hand gegen seinen Bauch. „Kein Schlaf, keine Kraft und ständig diese…grausamen Gedanken…diese Erinnerung…Wieso?! WIESO NIMMST DU MIR ALLES WEG?!!!“, schrie er gen Himmel, kniff die Augen zusammen und spürte, wie sich ein paar glühendheiße zu den kalten Wasserperlen auf seinem Antlitz gesellten. Sie erinnerten ihn an die roten Ströme von Blut, die damals über seinen Körper rannen. Er hatte diese Phrasen unschlüssig, an wen seine Worte soeben gerichtet waren, geschrieen. Denn er hatte seinen Glauben an Gott bereits lange verloren, sofern er ihn überhaupt besessen hatte. Die Kälte drang in seinen ausgehungerten Köper ein, während er bebend auf dem mit Pfützen übersäten, schlammigen Gehweg kauerte. Der Regen verdünnte das Blut auf seine Hand und hinderten die Wunden daran, sich zu schließen. Er hatte inzwischen Untergewicht, wie ihm die unzähligen Ärzte weismachten, jene er besucht hatte. Der letzte hatte sich auf Grund dessen sogar weigern wollen, ihm diese Pillen zu verschreiben. Was konnte Kai denn dafür, wenn für ihn alles Essen wie Gift schmeckte und er erbrechen musste, sobald er sich zu dessen Verzehr zwang. Der Heilfachmann hatte nichts von derartigen Nebenwirkungen gesagt und ihm versichert, es würde ihm nach der Einnahme besser gehen. Bei Ersterem mochte er richtig gelegen haben, der Mangel an Appetit, Schlaf und die stechenden Kopfschmerzen waren bereits vorher aufgetaucht. Helfen konnte ihm das Zeug allerdings auch nicht. Lediglich kurzzeitig ersetzte es die grausamen Erinnerungen und die damit verbundenen abscheulichen Depressionen, die alles Erträgliche bei Weitem überstiegen, gegen ein unangenehm heftiges Delirium und einen darauf folgenden Schwächeanfall. Es war hoffnungslos, er war gefangen, dem Allem schutzlos ausgeliefert. Seine Kraft war am Ende. Er konnte das nicht noch länger durchstehen. Das alles war einfach zu viel für ihn. Zuletzt wurde ihm fast schlagartig noch kälter. Dann verlor er beinahe sein Augenlicht. Er biss die Zähne zusammen, riss sich selbst gewaltsam vom Untergrund hoch und schleppte sich erbost in Richtung Wohnblock. Nein, so tief war er nicht gesunken. Er…er würde sich nicht von einer geistigen Fehlfunktion in die Knie zwingen lassen. Mühsam keuchend lenkte er seine unsicheren Schritte auf die Eingangstür. Ein weiteres Mal verschwamm das Bild vor seinen Augen. Warum musste das ausgerechnet jetzt passieren, auf offener Straße? Mit fiebrigem Glanz in den Augen blickte er sich um und hoffte, nicht allzu viele Personen zu erblicken. Währenddessen hatte er seiner Manteltasche den Schlüssel entnommen und führte ihn mit zittrigen Fingern zum Schloss. Taumelnd lehnte er sich gegen die Tür und schloss sie auf, er quälte sich zum glücklicherweise offen stehenden Fahrstuhl und stürzte hinein. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, als er sich an der stählernen Innenwand der Kabine abfing und den Knopf für das oberste Stockwerk drückte. Die Türen schlossen sich und der Lift setzte sich in Bewegung. „Wieso…dauert das denn so lange…“, stöhnte der Silberhaarige, spürend wie die letzte Kraft aus seinen Knien wich und er drohte, einfach auf den Boden einzusinken. Wie er nur noch beiläufig mitbekam, legte er keinen Zwischenstopp ein, niemand würde ihn zu Gesicht bekommen. Die Lampe für das Dachgeschoss erleuchtete und der Fahrstuhl blieb stehen. Vorsichtig streckte der Russe zunächst nur seinen Kopf hervor, um sicherzugehen, dass sich auch niemand mehr im Treppenhaus befand. Dann stieß er sich von der Trennwand des Fahrstuhls ab und stolperte auf seine Wohnungstür zu, fing sich abermals hart ab und schloss sie auf. Den Mantel ließ er unbewusst von seinem Körper gleiten und ihn hinter sich auf den Boden sinken, gefolgt von seinem Tanktop, den fingerlosen Handschuhen, jene gleichzeitig wie Stulpen seine Unterarme bedeckten, und den Stiefeln, die er, sich an der Wand abstützend, samt der Socken mit seinen Füßen abstreifte. Er ließ hinter sich die Wohnungstür ins Schloss fallen und humpelte unsicheren Schritts zum Badezimmer hinüber. Ein paar der „Wunderpillen“ mussten her, selbst wenn er sie eigentlich abschaffen wollte! Sich schwächlich am Waschbecken abstützend entnahm er dem kleinen Schränkchen das Medikament, ließ sich auf den Boden fallen und schüttete sich, mit dem Rücken gegen den Unterschrank lehnend, von dem Inhalt des Plastikdöschens in den Mund. Seine inzwischen vor Schmerz vollkommen taube Hand blutete seinen Oberkörper und die weißen Fliesen voll. Ein paar Minuten am Rande der Ohnmacht schwebend spürte er schließlich, wie die Wirkung der Droge langsam einsetzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)