Seasons von Kunoichi (Oneshot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 7: [Sommer] Eigene Wege (AU) ------------------------------------ Die Gänsehaut breitete sich unangenehm von den Haarwurzeln bis zu den Zehenspitzen aus und ein kalter Schauer nach dem nächsten jagte Itachi über den Rücken. Schützend schlang er die bloßen Arme um seinen frierenden Körper und wippte mit den Fußballen ungeduldig auf und ab. Ein verstohlener Blick zur Wanduhr über dem harten Plastikstuhl, den man ihm zum Warten zugewiesen hatte, verriet, dass bereits eineinhalb Stunden vergangen waren, seit sich das letzte Mal jemand um ihn gekümmert hatte. Wenn vereinzelt ein Beamter den langen Flur entlang und an Itachi vorbeikam, nahm er keine Notiz von dem schlaksigen Sechzehnjährigen in seiner Baggy und dem viel zu großen T-Shirt. Und auch, dass er im Gebäude seine Basecap nicht abgenommen hatte, schien hier vor Geschäftigkeit und Ignoranz niemanden zu interessieren. Gelangweilt betrachtete Itachi die verschlossenen Türen um ihn herum, die sich nur gelegentlich öffneten, um jemanden eintreten oder hinausgehen zu lassen und fragte sich, wie lange es noch dauern konnte, bis man ihn endlich wieder in die Freiheit entließ. Denn noch mehr als die Klimaanlage, die ihn unaufhörlich zum Schlottern brachte, hasste er es, irgendwo eingesperrt zu sein. Gerade als er begann, seine Chancen abzuwägen, sich heimlich bis zum Haupteingang durchzuschlagen, glitten die Fahrstuhltüren am anderen Ende des Flurs auseinander. Itachis Vater Fugaku Uchiha kam mit langen Schritten auf seinen Sohn zu, gefolgt von einem hageren Mann mit hellen Haaren, den Itachi unter dem Namen Yashiro zu kennen glaubte. Mit wütender Miene packte Fugaku den Jungen am Arm und zog ihn grob auf die Beine. Seine Finger bohrten sich schraubstockartig in Itachis Haut – erinnerten einmal mehr an den Griff eines Polizisten – und seine bebenden Lippen zeugten von dem inneren Kampf, der um die Oberhand seiner Selbstbeherrschung tobte. „Danke, dass du dich um Itachi gekümmert hast“, sagte er schließlich mit gepresster Stimme an Yashiro gewandt. „Die Anzeige werde ich natürlich selbst bearbeiten.“ „Nicht der Rede wert“, murmelte der Angesprochene und klang unsicher, wie er auf diese so persönliche Situation seines Kollegen reagieren sollte. Doch Fugaku erlöste ihn, indem er keine weitere Konversation aufkommen ließ und Itachi schnurstracks in Richtung Aufzug bugsierte. Schweigend fuhren die beiden bis in die Tiefgarage des Polizeipräsidiums, wo ihr schwarzer Kombi sie mit dem Aufblinken seiner Lichter begrüßte, als Fugaku ihn aus der Ferne entriegelte. Der Wagen war brandneu, penibel gewachst und sorgfältig ausgesaugt. Mit grimmiger Überzeugung dachte Itachi daran, dass seinem Vater der Zustand des Autos womöglich mehr bedeutete als das Befinden seiner eigenen Söhne. Teilnahmslos stieg er auf den Beifahrersitz und wartete, bis Fugaku den Motor startete. Dann fuhren sie hoch ins grelle Sonnenlicht des schwülheißen Sommertages, der ihnen selbst in dem abgekühlten Fahrzeug entgegenschlug wie ein Flammenwerfer. Nach dem langen Aufenthalt unter der Klimaanlage empfand Itachi die Hitze als reine Wohltat, schloss die Augen und reckte den Hals zur Sonne, um das Kribbeln ihrer Strahlen auf seinem Gesicht zu spüren. Noch immer hatte Fugaku kein einziges Wort gesagt, doch Itachi kannte ihn gut genug um zu wissen, dass dies bloß die Ruhe vor dem Sturm war. Tatsächlich dauerte es lediglich noch bis zur Autobahnauffahrt und er schien die Stille nicht mehr länger zu ertragen. „Warum hast du das gemacht, Itachi?“, fragte er in bemüht ruhigem Ton und warf einen flüchtigen Seitenblick auf seinen Sohn. „Denkst du, ich kann dich da jedes Mal rausboxen, nur weil ich bei der Polizei arbeite?“ Itachi reagierte nicht und beobachtete, wie die Bäume vom Rand des Fahrbahnstreifens an ihnen vorbeizogen. Den Ablauf der Predigt kannte er mittlerweile fast auswendig und deshalb war ihm auch klar, welcher Teil nun folgen würde. „Ich weiß bald nicht mehr, was ich mit dir machen soll“, fuhr Fugaku genauso fort, wie Itachi es vorausgesehen hatte und ungeachtet dessen, dass ihm nicht geantwortet wurde. „Körperverletzung, Sachbeschädigung, Einbruch, Diebstahl… Du bist bereits weit über Sozialstunden hinaus und jetzt knackst du einfach ein Auto und fährst damit durch die Gegend! Bursche, du bist minderjährig und hast keinen Führerschein!“ Ungerührt streckte Itachi den Arm aus und betätigte den Knopf für das Radio, sodass für einen Moment in voller Lautstärke aus den Boxen schallte: -had everything, your head is running wild again, my dear we still have everything, and- Fugaku drückte das Radio mit einer blitzschnellen Bewegung wieder aus und musste sich kurz besinnen, bevor er erneut zum Sprechen ansetzte. Diesmal gelang es ihm wesentlich schlechter, die Aufregung in seiner Stimme mit Gelassenheit zu überspielen. „Du hättest durch meine Beziehungen große Chancen haben können, aber mit diesem Vorstrafenregister kriegst du bei der Polizei keinen Fuß mehr in die Tür“, sagte er. „Außerdem bringst du aus der Schule nur Bestnoten mit nach Hause, hast aber so viele Fehlzeiten, dass es den Anschein macht, als wärst du dieses Jahr noch überhaupt nicht hingegangen. Was soll das denn werden, Junge?“ Es war ein Gespräch, wie vom Recorder aufgenommen und zum tausendsten Mal abgespielt. Wie immer drehte es sich um Itachis zukünftige Laufbahn, die am besten aus einem Studium und einer Karriere bei der Polizei bestand – völlig irrelevant, was Itachis eigener Wunsch diesbezüglich war. Sein Vater wusste nicht, dass er noch nie Polizist hatte werden wollen und dass er eigentlich viel lieber Sport machte oder plante, irgendwann einmal die Welt zu bereisen. Er hatte keine Ahnung, dass Itachi nur die Schule schwänzte, weil sie ihn langweilte und unterforderte und keiner seiner Klassenkameraden ihm je das Wasser reichen konnte. Nein, das alles waren Themen, die niemanden interessierten. Noch bevor Fugaku es verhindern konnte, hatte Itachi abermals das Autoradio bedient. -we're not broken just bent, and we can learn to love again, it's in the stars, it's been written in the scars- „Sag mal, willst du mich eigentlich provozieren?“ Fugakus Blick war mörderisch. „Ich weiß zwar nicht, was in deinem Kopf vorgeht, aber eines verrate ich dir: Das war das letzte Mal, dass ich für dich in die Bresche gesprungen bin! Du wirst ab nächsten Monat auf ein Internat gehen und da kannst du dir dann überlegen, wie es weitergehen soll! Vielleicht kriegst du auch endlich mal einen vernünftigen Umgang, wenn du ein bisschen aus deiner kleinen Straßenclique rauskommst. Ich will dich jedenfalls nicht mehr zuhause haben!“ Itachi merkte, wie die Aussage seines Vaters ihm einen schmerzhaften Stich versetzte, doch sein Stolz war mächtiger als der Impuls, den aufgestauten Gefühlen Luft zu machen. Stur blickte er geradeaus auf die Straße und versuchte, sein Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen. Wenn er aufs Internat musste, würde er sowohl von seinen Freunden als auch von seinem kleinen Bruder für eine sehr lange Zeit getrennt sein – mal ganz davon abgesehen, dass man ihm damit die Freiheit raubte, die er unter keinen Umständen aufgeben wollte. Da die Erfahrung Itachi gelehrt hatte, dass Proteste und Diskussionen seine Lage höchstens verschlimmern konnten, beschloss er, mit der Sache so zu verfahren wie er es üblicherweise immer tat: in stummer Hinnahme abzuwarten, bis sich die erste Gelegenheit ergab, um wieder auszubrechen. Ein guter Plan! Der schwarze Kombi rollte in die Einfahrt zum Wohnhaus der Uchiha und noch bevor Fugaku den Motor ausgestellt hatte, erschien seine Frau Mikoto mit banger, nervöser Miene an der Haustür. „Was ist passiert?“, fragte sie prompt und ihre Augen huschten erwartungsvoll von einem zum anderen. Itachi drängte sich wortlos an ihr vorbei, steuerte auf sein Zimmer zu und hörte seinen Vater nur noch etwas von „Hausarrest“ rufen, bevor er die Tür kraftvoll hinter sich zuschlug. Einen Moment lang stand er bewegungslos da, den Rücken gegen das kalte Holz gepresst und atmete in tiefen Zügen ein und aus. Dann wandte er sich seinem Bett zu – war im Begriff, sich bäuchlings auf die Matratze zu werfen – und bemerkte plötzlich, dass es bereits besetzt war. „Was machst du denn hier drin?“, fragte Itachi ungehalten und musterte seinen Bruder mit Argwohn. „Ich hab auf dich gewartet“, entgegnete Sasuke. „Mama und ich haben uns Sorgen gemacht, als der Anruf von der Polizei kam.“ „Ach, und ich dachte, ihr seid schon dran gewöhnt.“ Gleichgültig ging Itachi zum Schreibtisch, zog die oberste Schublade auf und holte eine halb zerdrückte Schachtel Zigaretten hervor. „Du sollst nicht rauchen“, sagte Sasuke tadelnd, als der Ältere das Fenster weit öffnete, sich hinaus lehnte und die Zigarette ansteckte. „Meint wer?“ „Ich“, antwortete Sasuke kleinlaut. „Es ist ungesund.“ Itachi blies den Rauch in die flirrende Sommerluft und beobachtete einen kleinen Vogel, der durch die Hecke ihres Vorgartens raschelte, etwas vom Rasen aufpickte und anschließend hochstieg über die Dächer der Stadt, in dem stahlblauen Himmel. Sehnsüchtig dachte er daran, wie es sich wohl anfühlen musste, die eigenen Flügel auszubreiten und dem goldenen Käfig zu entfliehen. Mit einem langen Seufzer drückte er die angerauchte Zigarette auf dem Fensterbrett aus und schnippte sie achtlos nach draußen. Sasuke lächelte selbstzufrieden. Er streckte sich auf dem Bett seines großen Bruders aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sagte: „Übrigens war einer deiner Kumpel vorhin hier und wollte dich abholen.“ Itachi drehte sich so rasch zu ihm um, dass sein alter vertrockneter Kaktus vom Sims auf den Teppich fiel und ihn mit schwarzer Erde bedeckte. „Wer?“, fragte er schneidend. „Keine Ahnung, so ein Junge mit orangegefärbtem Haar. Mama ist beim Anblick seiner Piercings fast in Ohnmacht gefallen und hat ihn sofort wieder weggeschickt.“ „Und hat er vorher noch irgendwas gesagt?“ Sasuke verzog nachdenklich das Gesicht. „Nur, dass ihr euch um fünf am Güterbahnhof treffen wollt“, erwiderte er schulterzuckend. Überstürzt klaubte Itachi seinen Wecker vom Nachschrank und las die Anzeige, die in eben dieser Sekunde auf 16:43 Uhr umsprang. Es blieb ihm also noch eine knappe Viertelstunde, um rechtzeitig bei seiner Clique zu sein, bevor sie womöglich begann durch die Straßen zu ziehen und damit für ihn unauffindbar werden würde – schließlich hatte generell keiner von ihnen Geld auf dem Handy. „Ich muss los“, entfuhr es Itachi und er hatte schon ein Bein durchs Fenster gesteckt, als Sasuke entsetzt aufsprang. „Aber du hast doch Hausarrest“, erinnerte er ihn unsicher und als müsse er sich plötzlich zum Weitersprechen zwingen, biss er sich auf die Unterlippe und fügte völlig unerwartet hinzu: „Kannst du mich bitte mitnehmen?“ Itachi hielt augenblicklich inne und starrte seinen Bruder wie vom Donner gerührt an. „Nein, ich fürchte, das geht nicht“, formulierte er vorsichtig. „Du bist dafür noch zu jung.“ „Ich bin schon elf!“ In Sasukes Stimme klang sowohl Entrüstung als auch Stolz mit. „Ich werde dich und deine Freunde auch ganz sicher nicht stören.“ „Vielleicht ein anderes Mal, okay?“ Leichtfüßig landete Itachi in dem pedantisch hergerichteten Vorgarten seiner Familie, wandte sich um und lief die Einfahrt bis zur Hauptstraße entlang. Hinter sich hörte er Sasuke wütend „Das sagst du immer!“ rufen, doch er achtete nicht mehr auf ihn und genoss stattdessen, wie der Wind durch sein Haar peitschte und die Sonne ihm auf der Haut brannte. Es brauchte nur wenige Minuten, bis der Schweiß ihm aus allen Poren schoss. Sicher waren es heute Nachmittag über 30 Grad! Ungeachtet des Verkehrs oder der Passanten rannte er über Kreuzungen und Spielplätze, dass ihm die Lunge schmerzte, als er endlich das verfallene Gebäude des alten Güterbahnhofs erreichte. Es stand verlassen am Rande der unbenutzten Gleisanlagen, war von Generationen Jugendlicher über und über mit Graffiti besprüht worden und hatte von Steinen eingeworfene Fensterscheiben. Itachi betrat die dunkle, kühle Ruine durch einen schmalen Eingang mit fehlender Tür. Das löchrige Dach ließ vereinzelte Sonnenstrahlen auf den voll Scherben, Müll und Staub bedeckten Boden fallen und beleuchtete die Silhouetten mehrerer Personen, die im Schatten auf ihren Nachzügler warteten. „Na endlich, wir dachten schon, sie hätten dich eingebuchtet!“ Peins Stimme hallte laut von den kahlen Wänden wider. Er war selbsternannter Anführer ihrer Gruppe und der gepiercte Junge, von dem Sasuke zuvor gesprochen hatte. Grinsend bedeutete er Itachi, sich zu ihnen zu setzen und legte dann den Arm wieder um die Taille seiner Freundin Konan, einem hübschen Mädchen mit blaugefärbtem Haar. „Was denkst du denn von mir?“, gab Itachi überlegen zurück. „Die werden mich auch weiterhin laufen lassen.“ Er nahm zwischen seinen Freunden auf einem moosbewachsenen Sicherungskasten Platz. „Tja, echt gut wenn dein Alter bei der Polizei arbeitet, Mann“, mischte sich Deidara ein und strich sich eine Strähne der langen, blondierten Haare aus dem Gesicht. „Das mit dem Auto war schon eine echt krasse Aktion. Und jetzt gib mal ‘ne Kippe rüber!“ Widerwillig kramte Itachi seine Zigaretten aus der Hosentasche, schmiss Deidara die Packung zu und griff sich im Gegenzug eine Flasche Alkohol aus der Kiste zu ihren Füßen. Vermutlich hatte Sasori sie gekauft, denn er machte von ihnen allen zwar den jüngsten Eindruck, war jedoch bei weitem der Älteste. Er hockte neben Hidan, ihrem neusten Bandenmitglied, der sich mit nacktem Oberkörper auf einem besonders breit beschienenen Abschnitt des Bodens sonnte und den Ereignissen um ihn herum keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. Entspannt lehnte Itachi sich zurück, setzte die Flasche an die Lippen und nahm ein paar kräftige Schlucke, als plötzlich fremde Schritte die Clique aufhorchen ließen und sich alle Augenpaare dem Eingang zuwandten. Eine kleine Person betrat zögerlich den alten Bahnhof. Sie wirkte in Anbetracht der älteren Jugendlichen ein wenig eingeschüchtert und schaute hilfesuchend in die Runde, bis ihr Blick auf Itachi fiel und sie merklich erleichtert sagte: „Und ich dachte schon, ich wäre falsch.“ Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Itachi, dem Alkohol müssten noch andere Stoffe beigefügt sein, wenn er schon von dem Bisschen Halluzinationen bekam. Was zur Hölle hatte Sasuke hier verloren? War er ihm etwa die ganze Zeit über gefolgt? Und wie hatte er das nur nicht bemerken können? Auch die anderen schienen zu perplex, um zu reagieren und schließlich war es Deidara, der als erster die Fassung zurückgewann. „Hey, wo kommt denn der Zwerg her?“ Eilig stand er auf, näherte sich dem Neuankömmling und knackte bedrohlich mit den Fäusten, doch Itachi war schneller bei Sasuke als er. Gerade rechtzeitig stellte er sich zwischen die beiden und sagte unwirsch: „Du Idiot, das ist mein Bruder!“ Deidaras Augen blitzten gefährlich auf und musterten die Geschwister mit übertriebener Geringschätzung, denn für Handgreiflichkeiten hatte er eindeutig zu viel Respekt vor dem Uchiha. „Okay, dann frage ich mal anders“, zischte er. „Was will dein Bruder hier?“ „Ja, das wüsste ich allerdings auch gern.“ Wutentbrannt drehte Itachi sich zu Sasuke um und mit trotzigem Ton antwortete dieser: „Ich will bei euch mitmachen!“ Sofort brach die ganze Gruppe in schallendes Hohngelächter aus. Itachi spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss und sein Gesicht zu glühen begann. „Zieh Leine!“, befahl er und schubste den widerspenstigen Sasuke ruppig bis zum Ausgang. „Ich hab dir bereits gesagt, dass du dafür noch zu klein bist! Hau wieder ab nach Hause!“ „He halt, warte mal, Itachi!“ Pein hatte sich erhoben und damit dem Rest der Clique unbewusst das Schweigen befohlen. „Warum geben wir ihm nicht eine Chance sich zu beweisen, wenn er sich uns unbedingt anschließen will?“, fragte er und sein anhaltendes Grinsen glich jener bösen Grimasse, die Itachi nichts Gutes ahnen ließ. „Ich denke nicht, dass-“, setzte er an, doch ehe er sich versah, hatte Sasuke sich seinem Griff entwunden und war auf Pein zugetreten. „Was soll ich machen?“, fragte er mutig und der Anführer deutete mit dem Finger nach oben zum Dachgebälk, wo sich ein Basketball zwischen zwei Holzstreben festgeklemmt hatte. Er war über einen großen Stapel leerer Kisten und Fässer zu erreichen, die den Anschein erweckten, als stünden sie bereits so lange hier wie der Bahnhof selbst. „Der ist uns gestern dort hängen geblieben“, erklärte Pein seelenruhig. „Hol ihn runter und du darfst bleiben.“ Itachi merkte wie Sasuke angesichts der Höhe leicht schauderte, doch mit blass-grünem Gesicht machte er sich furchtlos an den Aufstieg über das wackelige Gebilde aus Frachtgütern. „Lass das bleiben!“, schrie Itachi ihm nach, während sein Bruder immer weiter und weiter kletterte und mit jeder Bewegung ein beunruhigendes Knacken die gespannte Stille zerschnitt. Dann befand sich der Basketball nur noch wenige Zentimeter über seinem Kopf und Itachi wagte kaum zu atmen. Vorsichtig stellte sich Sasuke auf die Zehenspitzen und unter den spöttischen Anfeuerungsrufen von Deidara und Hidan streckte er langsam den Arm aus. Es passierte innerhalb von Sekunden und Itachi hatte es bereits kommen sehen: Die oberste Kiste, auf der Sasuke sich reckte, kippte seitlich vom Stapel und fiel laut krachend zu Boden. Instinktiv griff der Junge nach einem der Querbalken, klammerte sich mit aller Kraft daran fest und baumelte, verzweifelt um Hilfe rufend, mit den Füßen frei an der Decke. Die Clique um Pein johlte und grölte vor Schadenfreude auf, sodass der ganze Bahnhof erzitterte. „Sasuke! Lass nicht los!“ Itachi war vorgesprungen und versuchte nun mit bangem Blick sowohl achtsam als auch schnell den Berg aus Kisten zu erklimmen. Das war gar nicht so leicht wie er zuvor angenommen hatte, denn er war schwerer als Sasuke und viele Behälter waren brüchig und instabil. „Ich kann nicht mehr“, kam Sasukes bebende Stimme von oben und Itachi, von Panik gepackt, wuchs plötzlich über seine eigenen Fähigkeiten hinaus – dankte dem Himmel, dass er so sportlich war – und erreichte mit einem letzten langen Satz endlich die Spitze. Sofort legte er die Arme um Sasukes Hüfte, pflückte ihn runter von dem Querbalken und stellte ihn sanft neben sich auf die Beine. Sasuke schlotterte am ganzen Leib und drückte sich, ängstlich nach Halt suchend, an Itachi. Unter dem dröhnenden Lachen der anderen wagten sie zusammen Schritt für Schritt den nicht minder gefährlichen Abstieg über die morschen Kisten und Fässer und erst, als beide wieder sicheren Boden unter den Füßen hatten, merkte Itachi die blanke Wut durch seinen Körper wallen. „Was seid ihr eigentlich für Freunde?“, donnerte er und sah vorwurfsvoll in die Runde. „Das war wirklich überhaupt nicht lustig!“ Doch alles, was er für seinen Zorn erntete, war weiteres Gelächter von Deidara und Hidan, verständnislose Blicke von Sasori und Konan und eine gleichgültige Miene Peins, die Itachi nur umso rasender machte. „Ich fass‘ es nicht! Seid ihr denn alle zu blöd, um den Ernst einer Lage zu begreifen?“, brüllte er entrüstet und Deidara, der nur allmählich die Beherrschung zurückgewann, hob beschwichtigend die Hände. „Reg dich mal ab, Alter!“, sagte er noch immer grinsend. „Ist doch nichts passiert.“ „Nichts passiert? Nichts passiert?“, wütete Itachi weiter, packte Sasuke am Handgelenk und stapfte mit ihm in Richtung Ausgang davon. „Wisst ihr was? Ich scheiß auf euch!“ Ohne auch nur ein einziges Mal über die Schulter zu sehen trat er hinaus in den stickigen Dunstschleier aus schwüler Luft, der sich wie eine schwere Decke über sie gelegt hatte und folgte dem Gleisbett weg vom Güterbahnhof und hin zur Innenstadt. Noch nie in seinem Leben hatte er sich betrogener gefühlt als in diesem Moment. Sasuke musste fast rennen, um das Tempo seines großen Bruders mitzuhalten, denn er hatte seine Hand bis jetzt nicht losgelassen und bedrückt dachte er darüber nach, was um alles in der Welt er nur sagen konnte. Schließlich entschied er sich für das Banalste, das ihm gerade in den Sinn kam: „Tut mir leid.“ Itachi blieb stehen und drehte sich zu Sasuke um, blickte ihm direkt in die Augen und statt der erwarteten Härte zeigte sich eindeutige Reue auf seinem Gesicht. Nein, Sasuke war nicht derjenige, der sich zu entschuldigen hatte. Wie hätte er es besser wissen sollen, wenn Itachi nie ein gutes Vorbild gewesen war? Sein Vater hatte Recht gehabt, wenn er meinte, dass sich etwas ändern musste, auch wenn Itachi das niemals laut zugegeben hätte. „Bist du sehr sauer?“, deutete Sasuke das lange Schweigen falsch und wirkte noch eine Spur elender als zuvor. „Ich weiß, ich hab echt Mist gemacht und wenn du mich nicht-“ „Ach, halt die Klappe!“ Itachi umschloss die Hand seines Bruders stärker und zog ihn weiter den Weg entlang. „Leute, die so einen Schwachsinn verlangen damit man zu ihnen gehören darf, kannst du echt vergessen“, sagte er leise. „Die sind dich doch gar nicht wert.“ Er wandte sich nicht noch einmal um und wusste trotzdem genau, dass er Sasuke mit diesen Worten wieder zum Lächeln gebracht hatte. Vielleicht würde er sich das mit dem Internat später doch mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen – aber bestimmt nicht, weil sein Vater es so wollte! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)