Seasons von Kunoichi (Oneshot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 8: [Herbst] Was übrig bleibt (Darkfic) ---------------------------------------------- Morgens mit der Gewissheit aufzuwachen, dass alles, was eben noch so schrecklich real erschien, bloß ein böser Traum war, bezeichne ich als eines der schönsten Gefühle, die ein Mensch überhaupt haben kann. Wenn die letzte Furcht mit dem ersten Wimpernschlag verfliegt und Verwirrung abgelöst wird durch die Erkenntnis, sich an einem sicheren Ort zu befinden, ist das die pure Erleichterung. Doch was passiert, wenn der Albtraum gar keiner war? Ich wusste sofort, dass die harte, unebene Fläche unter meinem Körper nicht mein Bett sein konnte. Helles Sonnenlicht brannte sich durch meine geschlossenen Lider und ein erbarmungslos kalter Wind wirbelte einige Blätter in der Nähe geräuschvoll auf. Während mein Bewusstsein nur getrübt seine Rückkehr antrat, strömten die Schmerzen umso klarer auf mich ein. Ich wagte es nicht, mich zu rühren, obgleich ich es vielleicht gekonnt hätte. Jede Faser meines Körpers schien sich den Qualen der Hölle auszusetzen und eine einzelne Quelle derselben zu fokussieren, erwies sich als unmöglich. Vergebens wartete ich auf die Erinnerungen, die mir die vielen Fragen in meinem Kopf beantworten sollten. Wo war ich? Weshalb befand ich mich an diesem Ort und wie lange schon? Wie spät mochte es nun wohl sein? Mein Zeitgefühl schien mich vollkommen verlassen zu haben und es fiel mir schwer, die Augen zu öffnen. Unglücklicherweise halfen mir auch die verschwommenen Bilder, die langsam auftauchten, nur bedingt weiter und erst, als mir etwas angenehm Weiches an meinem Rücken bewusst wurde, durchfuhr es mich wie ein Blitz. „Akamaru?“, flüsterte ich mit heiserer Stimme und versuchte, mich schneller aufzurichten, als meine Verfassung es zuließ. Stöhnend hob ich meinen Oberkörper an und hielt inne, als mir im ersten Moment schwarz vor Augen und im zweiten speiübel wurde. Ich spürte gebrochene Rippen, Prellungen und eine feuchte Spur, die sich von meiner Stirn über meine Wange zog und am Kinn abtropfte. Blinzelnd sah ich mich um und erfasste umgestürzte Bäume mit abgeknickten Ästen, verbrannte Sträucher und nassen, roten Rasen, der unter meinen Fingern klebte. Der Anblick der Kampfspuren holte mein Gedächtnis an seinen richtigen Platz zurück. Im Auftrag, Sasuke und sein Team zu suchen, hatten Akamaru und ich uns von den anderen Kameraden aus Konoha getrennt. Dabei waren wir Mitgliedern der Akatsuki begegnet. Sie hatten uns entdeckt, bevor wir die Flucht antreten konnten und sofort angegriffen, in der Befürchtung, wir könnten sie verfolgen oder Verstärkung anfordern. Akamaru und ich waren nicht schwach und hatten uns mit allen Mitteln zur Wehr gesetzt, doch mir lief es immer noch kalt den Rücken herunter, wenn ich bloß an die Überlegenheit der zwei Abtrünnigen dachte. Was danach geschehen war, bekam ich nicht mehr zusammen. „Akamaru?“, murmelte ich abermals und drehte mich zu meinem Gefährten um. Der große Hund lag regungslos neben mir; das weiße Fell struppig, glanzlos und an einigen Stellen rötlich gefärbt. Mein Blick wanderte von den offenen Wunden, die seinen Leib übersäten, zu der langen Blutspur am Boden. Ergriffen schloss ich, dass das Tier sich aus einiger Entfernung zu mir hergeschleppt haben musste, um sich zu mir zu legen und mich zu wärmen. Akamarus Augen waren geschlossen und die Zunge hing ihm einen Spalt aus dem Maul. Er sah aus, als würde er schlafen – genauso wie ich ihn schon unzählige Male beobachtet hatte. Ich streckte meine Hand aus und streichelte sanft über seinen Rücken; ließ sie auf ihm ruhen und wartete darauf, zu spüren, wie sie sich hob und senkte. Doch nichts dergleichen geschah. Die Beine des Hundes zuckten nicht, wie sonst, wenn er träumte, und er knurrte auch nicht vor sich hin oder rümpfte die Nase. Mein Körper wurde plötzlich taub und ich fühlte mich nicht mehr, als steckte ich wirklich in mir. Ich hatte kein Gefühl mehr in den Fingern, die auf meinem Begleiter ruhten, und bewegte sie, um sicher zu gehen, dass sie wirklich mir gehörten. Abwesend sah ich mir selbst zu, wie ich Akamarus Schnauze anhob, über seine Lefzen strich und seine Ohren kraulte, ohne eine Reaktion zu erhalten. Die Schmerzen, die mich eben noch so beherrscht hatten, waren mit einem mal verschwunden, als hätte ich sie nie erlebt. Gedanken, die ich nicht begreifen wollte, kamen und gingen, wie in einer unsortierten Diashow. Mein Kopf glich einem überlaufenden Fass, indem mein Geist das Durcheinander nicht mehr steuern konnte, und schließlich drängte mich die Verwirrtheit zum Warten. Ich wartete auf die Auflösung der Situation; wartete auf die Erkenntnis, dass alles nur eine Wahnvorstellung oder eine optische Täuschung war; wartete auf jemanden, der kommen würde, um mir zu sagen, dass es sich hier um einen Scherz handelte; wartete, dass Akamaru sich endlich erhob… Ich wartete Minute um Minute und ich wartete umsonst. Meine Hilflosigkeit strebte ihrem Höhepunkt entgegen. Für den Bruchteil einer Sekunde ging mir meine Familie durch den Sinn und ich dachte an meine Schwester, die als Tierärztin unseren Hunden immer wieder erfolgreich geholfen hatte. Vielleicht würde sie auch jetzt etwas für Akamaru tun können? Hastig blickte ich mich um, aber niemand war zu sehen. Ich war enttäuscht und fühlte mich im Stich gelassen. Wo war Hana? Wenn jemand da wäre – nur irgendjemand – bekäme man sicher alles in den Griff. Von heilenden Kräutern bis Magie gingen mir alle Möglichkeiten durch den Kopf, doch keine schien realisierbar. Ich wurde wütend darauf, dass keiner kam und wütend auf mich und meine schreckliche Ohnmacht. Zorn und Trauer schienen sich gegenseitig zu lähmen und verboten mir jegliche Gefühlsregung. Ich wollte laut loslachen und gleichzeitig losweinen und konnte doch nichts weiter, als tatenlos dasitzen. Die Zeit zog sich dahin wie zäher Kaugummi und noch immer geschah nichts. Voller Furcht vor der Wahrheit begannen meine Hände den kalten, starren Körper Akamarus abzutasten und zitterten dabei so sehr, dass ich mühe hatte, sie ruhig zu halten. Schon wenige Augenblicke genügten, um mir klar zu machen, dass ich unter der Kruste aus Blut keinen Puls mehr finden würde. Die Gewissheit, die ich bis jetzt so vehement von mir abzuweisen versuchte, brach wie ein Sturm über mich herein. Ungläubig starrte ich hinab auf das Tier, eine leere Hülle, von dem ich nicht glauben konnte, dass es tatsächlich der echte Akamaru war. Unter keinen Umständen wollte ich das akzeptieren! Das konnte, nein, durfte nicht sein! Er konnte mich nicht verlassen haben! Und doch, obwohl ich es tief in meinem Inneren bereits gewusst hatte, drang die schreckliche Klarheit nur sehr langsam zu mir vor. Schmerz und Schwindel eroberten meine Sinne von neuem und ließen mein Bewusstsein schwanken. Ich spürte, wie der Schweiß mir aus jeder Pore kroch und mein Herz mir gegen die Brust donnerte, als wollte es mich daran erinnern, dass ich noch am Leben war. Der Wald engte mich ein; schien seine Zweige auszustrecken, um nach mir zu greifen und mir die Luft zum Atmen zu rauben. Eine Windböe trug die eisige Kälte dieses Herbstes zu mir herüber und ließ mich erschauern. Dann kam die Angst dazu; viel zu schnell, viel zu unerwartet und unmittelbar nachdem ich mir bewusst gemacht hatte, was geschehen war. Akamarus Tod bedeutete Endgültigkeit. Er war unwiderruflich; war nichts, was man durch Worte oder Taten wieder beheben konnte, wie bei einer Entschuldigung, nach der jeder Fehltritt vergeben sein würde. Das hier war kein Spiel, in dem man es nach einem Scheitern einfach noch mal von vorne probierte und auch keine schlechte Note in der Akademie, die man durch die nächste bessere wieder ausglich. Wenn jemand fortginge, könnte man ihm folgen oder hätte zumindest die Möglichkeit auf ein Wiedersehen, egal wie viele Jahre es auch dauern möge. Man könnte Ungesagtes in Briefe schreiben und sicher sein, dass der Empfänger die Worte bekäme, die er lesen soll. Doch der Tod lässt sich nicht bestechen und wenn die Zeit gekommen ist, ist er erbarmungslos. Ich ließ die Augen nicht von meinem Hund ab und streichelte wieder und wieder über sein geschundenes Fell, das einst fast schneeweiß gewesen war. Akamaru war so groß geworden, dass es mir wie eine Ewigkeit vorkam, seit ich ihn das letzte Mal hatte tragen müssen. Sogar bis zu den Schultern hatte er mir gereicht, wenn er mich ansprang und sich auf seine Hinterbeine stellte. Ich wusste, das würde er jetzt nie wieder tun. Die Tränen kamen, ohne dass ich Notiz von ihnen nahm. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ohne Akamaru weitergehen würde; hatte vergessen wie war, bevor ich ihn kannte. Dieser Hund war weit mehr gewesen, als nur mein Haustier und ich hatte mir niemals angemaßt, mich seinen „Besitzer“ zu nennen, weil wir in meinen Augen immer gleichwertig gewesen waren. Nein, vielmehr hatte ich Akamaru bezeichnet als steten Begleiter, besten Freund, kleinen Bruder… Seit meinem neunten Lebensjahr war er mir wichtiger gewesen als mein eigenes Leben. Meine Erinnerungen holten mich zurück an die unzähligen Tage, an denen er tröstend zu mir kam und seine nasse Nase an mir rieb, wenn ich traurig war und jemanden an meiner Seite brauchte; an denen er die Menschen anknurrte, die ich nicht leiden konnte oder an denen er auf mich zustürmte und mich umriss, sobald ich ihn für eine Weile alleine gelassen hatte. Es gab keine Marotte, die ich nicht kannte und es gab noch so verdammt viel, das ich ihm sagen wollte. Ich wollte mit Akamaru spazieren gehen, Kämpfe bestehen, spielen, zusammen essen, gemeinsam einschlafen… Nun kauerte ich neben ihm auf dem Boden und fühlte mich schuldig dafür, dass er fort war. Das Versprechen, das ich ihm damals gegeben hatte – dass ich ihn nie wieder würde leiden lassen – hatte ich nicht einhalten können. Abermals war ich zu schwach gewesen, es mit den Angreifern aufzunehmen und dieses Mal hatte das Wesen, das mir am meisten bedeutete, dafür zahlen müssen. Was würden die anderen denken, wenn sie wüssten, wie ich versagt hatte? Hätten sie Mitleid mit mir? Was würde meine Mutter sagen? Würde sie mir mehr Vorwürfe machen können, als ich mir ohnehin selbst machte? Auf die Wut, die folgte, war ich vorbereiteter als auf jedes andere bisherige Gefühl. Obwohl meine Augen brannten, schien ich klarer zu sehen, als jemals zuvor und meine Nase konnte den verbliebenen Gestank der Akatsuki so deutlich wahrnehmen, dass ich ihn förmlich auf der Zunge schmeckte. Die Kameraden aus Konoha, die viele Meilen weit weg und über Funk unmöglich zu erreichen waren, spielten plötzlich keine Rolle mehr. Der blinde Zorn schlug in so hohen Wellen um mich, dass er die Hilflosigkeit davon schwemmte. Ich blendete meine Wunden aus, hievte mich entgegen der rasenden Schmerzen auf die Beine und blieb taumelnd stehen, um die wenige Kraft, die mir verblieben war, zu sammeln. Langsam und ohne mich umzublicken trat ich den Weg durch die Verwüstung an und schleppte mich immer weiter fort von dem Leichnam meines Tieres. Jeder Schritt, den ich wagte, verstärkte die angenehme Leere und Stille in meinem Kopf, die jedes rationale Denken besiegte und die unbändige Wut, die mich antrieb, stärker wallen ließ. Der einzige Gedanke, der mich nun noch beherrschen konnte war, die Personen zu finden, die dieses grausame Verbrechen begangen hatten. Mir war plötzlich klar, ich würde solange suchen, bis ich diese Menschen gefunden hatte, selbst wenn es bis an mein Lebensende dauern würde. Und wenn es soweit war, würde ich sie bestrafen. Ich wollte sie leiden lassen wie Akamaru gelitten hatte und noch nie zuvor war ich mir so sicher gewesen, dass ich dieses Mal töten wollte. Ich würde töten – für meinen Begleiter, besten Freund und kleinen Bruder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)